Wie Renzi Italiens Kommunismus abserviert

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    Bergedorfer Zeitung
    Wie Renzi Italiens Kommunismus abserviert
    23.06.2014, 19:05
    Italien
    Wie Renzi Italiens Kommunismus abserviert
    Tobias Bayer, Rom
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    Die Kommunistische Partei des Landes war die größte außerhalb der Sowjetunion. Doch Premier Matteo Renzi schiebt die Postkommunisten beiseite. Nur ein paar Unerschrockene leisten Widerstand.

    Via delle Botteghe Oscure 4. Einst der Sitz der Partito Comunista Italiano (PCI) im Zentrum Roms. Die Eingangstür öffnet sich automatisch. Links an der Wand hängen Hammer und Sichel. Darüber ist ein rotes Banner angebracht: „2. April 1871“ steht dort. Es ist eine Hommage an die Pariser Kommune. In einer Einbuchtung vor dem Treppenaufgang erhebt sich vor einer langen, in Marmor gemeißelten Widmung eine Büste.

    Es ist das Antlitz von Antonio Gramsci, dem Intellektuellen, Schriftsteller und Mitgründer der Partei. Gestorben nach faschistischer Haft 1937. Eine zierliche Plakette auf einer Säule klärt auf, wer auf den Stockwerken seine Büros hat: ABI, die Abkürzung von Associazione Bancaria Italiana. Der italienische Bankenverband ist nun zu Hause, wo früher die Kommunisten herrschten.

    Am 18. Juni 2014 ist das Gebäude immerhin für einen Abend wieder kommunistisch. Das Filmstudio Città Futura TV hat zur Filmvorführung geladen. Gezeigt wird ein kurzer Streifen über Enrico Berlinguer, den legendären Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Berlinguer war einer der prominentesten Vertreter des Eurokommunismus, der sich von Moskau bisweilen absetzte, an der parlamentarischen Demokratie teilnahm und Bündnisse mit bürgerlichen und sozialdemokratischen Parteien nicht ausschloss.

    Am 11. Juni jährte sich sein Todestag zum 30. Mal. „Ritorno a casa“ heißt der Film, „Rückkehr nach Hause“. Weggefährten Berlinguers haben sich zur Vorführung versammelt. Die meisten sind schon ergraut. Man umarmt sich, plaudert. Dann geht in dem anonymen Konferenzraum das Licht aus. Auf der Leinwand erscheinen zwei betagte Herren. Es sind der frühere Leibwächter und der Fahrer von Berlinguer. Die beiden betreten den früheren Parteisitz, bleiben kurz stehen, schauen sich etwas hilflos um und lesen die Plakette. „Was? Die Banken? Also wir hatten mit denen früher nie viel am Hut.“ Gelächter im Saal.
    Renzis Vorbilder sind Blair und Clinton

    Die PCI war die größte Kommunistische Partei außerhalb der Sowjetunion. Sie ist Geschichte. Sie gibt es nicht mehr. Übrig geblieben ist nur noch Nostalgie. Erstaunlich ist: Auch die italienischen Kommunisten sind verschwunden. Bei der PCI-Nachfolgepartei Partito Democratico (PD) hat Matteo Renzi, 39, das Kommando übernommen. Der amtierende Premier des Landes ist kein Linker, sondern ein ehemaliger Christdemokrat.

    Sein Vorbilder sind Tony Blair und Bill Clinton. Renzi spricht von Liberalisierung und Privatisierung, von Google, Facebook und Twitter. Seine Arbeitsmarktreform nennt er „Jobs Act“, in Anlehnung an US-Präsident Barack Obama. Zu seinen Freunden zählen Unternehmer und Hedgefonds-Manager. Seine Lieblingsfarbe ist nicht Rot, sondern Lila. Das ist die Trikotfarbe seines Fußballvereins AC Florenz.

    Renzi hat spätestens seit den Europawahlen Ende Mai, als er mehr als 40 Prozent holte, keine Gegner mehr in der PD. Die einst mächtigen Ex-Kommunisten hat er beiseitegefegt. Ex-Premier Massimo D’Alema, der frühere Bürgermeister Roms, Walter Veltroni, oder Pier Luigi Bersani, der Spitzenkandidat der Parlamentswahlen im Februar 2013? Sie spielen alle keine Rolle mehr.

    Die noch Jungen, die einmal Kommunisten waren, springen auf Renzis Zug auf. Matteo Orfini, 39, stand einst Bersani nahe. Nun ist er Vorsitzender der PD, dank Renzi. Dario Nardella, 38, mischte früher links in der Partei mit. Dann wechselte er ins Renzi-Lager und wurde zum Lohn dafür Bürgermeister von Florenz. Und auch außerhalb der Partei ist der Sogeffekt zu spüren. Ein Drittel der Abgeordneten der postkommunistischen Partei Sinistra Ecologia Libertà hat sich losgesagt und orientiert sich auch in Richtung Renzi.
    Niedergang binnen 20 Jahren

    Luca Telese, 44, hat über den Untergang der PCI ein Buch geschrieben. Der Journalist und TV-Moderator aus Cagliari war selbst einmal Sprecher von einer der Nachfolgeparteien. Seine Lebensgefährtin ist Laura Berlinguer, die Tochter des früheren Generalsekretärs. Er kennt die Welt der Kommunisten in- und auswendig. Selbst er ist erstaunt, wie schnell und komplett sie zerfallen ist.

    Telese wartet vor dem Teatro Sistina an der Piazza Barberini in Rom. In der Hand hält er ein iPhone. Während er telefoniert, hakt er sich unter und führt einen die Straße hinab. Bis zur Via delle Botteghe Oscure 4 sind es knapp zwei Kilometer: eine kurze Stadtführung, vorbei am Trevi-Brunnen, eine Reise in die Vergangenheit. Vor einem Schaufenster hält er inne. „Das war mal der Redaktionssitz von ,Rinascità‘“, sagt Telese.

    „La Rinascità“ war das intellektuelle Zentralorgan der PCI, ins Leben gerufen von Palmiro Togliatti, einem Mitgründer der Kommunistischen Partei. Telese meint: „Wenn ein Kommunist 20 Jahre lang geschlafen hätte und jetzt aufwachen würde, der würde nichts mehr verstehen.“ An der Spitze der Partei steht mit Renzi ein Christdemokrat, der die Regierung zusammen mit der politischen Rechten bildet.

    Das Phänomen Renzi brach über Italiens Linke nicht über Nacht herein. Es ist der Endpunkt eines langen Prozesses. Zuerst fiel die Berliner Mauer. Dann begrub der Korruptionsskandal „Tangentopoli“ das Parteiensystem der Ersten Republik unter sich. Die Kommunisten zerstoben in alle Richtungen. Die Mehrheit fand sich in der PD wieder, einem Sammelbecken aus Ex-Kommunisten und Ex-Christdemokraten.
    Von wegen Kollektiv

    Renzi verpasst der Partei nun ein liberales Antlitz, stark orientiert an Labour in Großbritannien und den amerikanischen Demokraten. Viel diskutiert wird nicht, Renzi gibt die Linie vor, die anderen folgen. Damit ähnelt die PD zunehmend den anderen italienischen Parteien, die auf eine Führungsfigur zugeschnitten sind: Forza Italia von Silvio Berlusconi und Fünf Sterne von Komiker Beppe Grillo. Noch könne man zwar nicht bei der PD von einer „persönlichen Partei“ sprechen, der Trend dahin sei aber stark, so stark wie nie in der Vergangenheit, analysiert Massimiliano Panarari, Politologe an der Universität Reggio Emilia.

    Die Stadt in der Emilia-Romagna ist eine der „roten“ Hochburgen Italiens. Renzi überspringe die Gremien der Partei und stehe direkt mit den Bürgern im Kontakt. Die Zuspitzung auf seine Person sei mit Risiken behaftet: „Sollte der Anführer scheitern, dann würde das die politische Kraft in eine tiefe Krise stürzen. Und für eine Partei wie die PD, die darauf stolz war, im Kollektiv zu entscheiden, wäre solch ein Problem nur schwer zu meistern“, sagt Panarari.

    Ein paar Unerschrockene halten aber doch noch die rote Fahne hoch. Paolo Ferrero, 53, ist so einer. Ferrero gehört der Rifondazione Comunista an. Das ist eine der Splitterparteien, die sich der kommunistischen Idee verbunden fühlen. Das Parteibüro zieht gerade um. Deshalb muss das Treffen in einer Bar stattfinden, gegenüber einer Poliklinik in Rom. Ferrero trägt eine graue Jacke, an die Brust geheftet hat er sich eine rote Brosche. Während er spricht, dreht er sich eine Zigarette. Auf seiner silbernen Tabakbüchse steht: „Die Linke. Zweiter Bundesparteitag. 15. und 16. Mai 2010, Rostock.“ Ferrero kennt auch Oskar Lafontaine.
    Sprunghaftigkeit bei der Partnerwahl

    Ferrero erzählt eine Leidensgeschichte. Um in den vergangenen 20 Jahren nicht ganz in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, war die Rifondazione Comunista wiederholt auf Bündnisse angewiesen. Einmal machte sie bei der PD mit, ein andermal duldete sie sie passiv. Ein Hin und Her. Immer mit Magenschmerzen. „Bei all den Wahlen in den vergangenen 20 Jahren sind wir nie zweimal hintereinander in derselben Konstellation angetreten“, sagt Ferrero.

    „Bildlich gesprochen hüpften wir von Stein zu Stein über das Wasser. Und dann sind wir in den Fluss geplumpst“, sagt Ferrero. Damit bezieht er sich auf 2006 bis 2008. Die Rifondazione Comunista war an der Regierung von Romano Prodi beteiligt, Ferrero selbst rückte als Sozialminister ins Kabinett ein. „Ihr Deutschen habt ja die Angewohnheit, das auch zu tun, was ihr ankündigt. Bei den Italienern ist das so eine Sache. Wir setzten nichts von unserem Programm um“, sagt Ferrero. „Das hat uns demoliert.“

    An den Kommunismus glaubt Ferrero weiter. „Es mag paradox klingen, aber er ist aktuell wie nie“, sagt er. „Das ist nicht länger die Kaserne Stalins.“ Der Kapitalismus habe erst jetzt die Grundlage für seine Überwindung geschaffen, sagt Ferrero. Er spricht von den Grenzen des Wachstums, von den endlichen Ressourcen. Er entwirft das Bild eines solidarischen Kontinents: Schluss mit der Sparpolitik, Schluss mit der Troika. Bei den Europawahlen ging die Rifondazione Comunista mit anderen linken Kräften auf der Liste Tsipras an den Start. Namensgeber war der Spitzenkandiat der europäischen Linken, der griechische Syriza-Politiker Alexis Tsipras. Die Liste Tsipras holte vier Prozent und drei Sitze im EU-Parlament. „Ein Erfolg“, sagt Ferrero.
    Das Kollektiv setzt auf einen Bankkredit

    Italiens Kommunismus lebt auch an einer anderen Stelle. Noch gibt es „Il Manifesto“. 2012 galt das Blatt als gescheitert. Die Regierung strich die Fördermittel, die Genossenschaft war zahlungsunfähig. Doch die Journalisten gaben sich nicht geschlagen. Mit einer neuen Genossenschaft „mieteten“ sie sich ein. Seitdem zahlen sie 1000 Euro pro Tag an die Insolvenzverwalter, um drucken zu dürfen. Die Auflage liegt bei rund 11.000.

    In der Redaktion an der Via Angelo Bargoni sieht alles wie früher aus. Rote Poster mit gehobener Faust, rauchende Journalisten, eine abgeriebene Couch vor der Balkontür. Das Kollektiv hat das Sagen, alle 44 Mitarbeiter verdienen den gleichen Lohn. „Da gelten die Prinzipien des Kommunismus“, sagt Redakteur Matteo Bartocci.

    Doch es weht ein frischer Wind. Die neue Führungsspitze um Chefredakteurin Norma Rangeri achtet auf die Kosten, setzt aufs Internet und hat mithilfe von Crowdfunding sogar Handy-Apps programmieren lassen. „Il Manifesto“ erreichte bei einem Umsatz von 6,5 Millionen Euro im vergangenen Jahr fast die schwarze Null. Die Genossen wollen die Zeitung zurückkaufen. Bartocci sagt: „Auch mit einem Bankkredit.“ Ohne die Geldhäuser, das weiß offenbar inzwischen jeder Kommunist, geht es nicht.