• Das 47-Prozent-Dorf : Was ein Ort in Brandenburg über den AfD-Erfolg im Osten lehrt - Agenda - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/themen/agenda/das-47-prozent-dorf-was-ein-ort-in-brandenburg-ueber-den-afd-erfolg-im-osten-lehrt/24388482.html

    Le Tagesspiegel prétend avoir compris les raisons de la montée de l’extrême droite à l’Est. Pourtant son auteur ignore l’essentiel par manque de connaissances historiques : Les électeurs de droite sont les petit bourgeois, ouvriers qualifiés et fonctionnaires qui vont bien et vivent dans une situation stable mais ont peur de perdre ce privilège. Ces couches sociales constituaient la base de la montée du nazisme avant 1933 et sont reponsables pour l’avènement du nouveau fascisme d’aujourd’hui. Les partis du type Volkspartei comme le SPD et CDU s’adressent au même électorat et sont en train de le perdre.

    Une fois au pouvoir le programme politique libéral de l’extrême droite entrainera d’énormes pertes de revenus et d’acquis sociaux pour ces électeurs de droite. Ils continueront malgré ce fait à soutenir les racistes incompétents parce qu’ils seront satisfaits de la discriminisation infligée à tous ceux qui ne leurs ressemblent pas. On l’observe actuellement aux #USA où les enfants morts dans les prisons pour réfugiés ne font pas tourner l’opinion publique contre le voyou à la tête de l’état.

    „Ich lebe nicht schlecht und verdiene gut“, sagt Tony Riller. Trotzdem fühle er sich bedroht. Weil ausländische Fachkräfte die Arbeit wegnehmen könnten, weil die Grenzen zu Polen offen sind. Weil sich die Politik ohnehin zu wenig kümmere, aber um Dieselfahrverbote zu viel.

    Verlassen wirkt das Dorf am Montag nach der Wahl. Die Straßen leer, ein paar Hunde bellen aus den Vorgärten. Früher, so erzählen die wenigen Anwohner, die man aus ihren Wohnungen klingeln kann, habe es hier eine Kneipe, einen Konsum, einen Jugendclub gegeben. Jetzt gibt es nichts mehr. In den Nachbardörfern, die ebenfalls zur Gemeinde Randowtal gehören, ist die Situation dieselbe. In Schmölln, drei Kilometer von Wollin entfernt, haben seit der Wende zwei Friseure, zwei Kneipen, ein Konsum, ein Bekleidungsgeschäft, die Post und ein Blumenladen geschlossen.
    „Der Frust sitzt tief“

    „Wer so viel Mist erlebt hat wie die Menschen in der Uckermark, wählt irgendwann aus Protest rechte Parteien“, sagt Axel Krumrey. Dass auch die NPD hier so erfolgreich ist, erklärt er mit Neonazistrukturen, die es hier einst gegeben habe. Und die entsprechenden Wahlergebnisse auch. 2008 zum Beispiel waren es mehr als 30 Prozent.

    Eigentlich könnte er sich freuen, denn dieselben Menschen, aus deren Reihen am Sonntag so viele die AfD gewählt haben, haben den Linken-Politiker Krumrey auch wieder zu ihrem Bürgermeister gemacht. Eigentlich. „Es hat sich angedeutet. Der Frust sitzt tief.“ Arbeitsplatzverlust, Wegzug der Jugend, Schrumpfung der Dörfer, Abriss der Grundschule, Schließung von Arztpraxen.

    Krumrey hat alles miterlebt. Er ist in Schmölln aufgewachsen, wohnt jetzt im Nachbardorf auf dem Grundstück seiner Großeltern. Auch wenn er beinahe täglich für seine Arbeit in der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Berlin pendeln muss, ist Krumrey einer von hier. Nach seiner Wahl zum Bürgermeister hat er seine Handynummer im Amtsblatt veröffentlicht.

  • Tagesspiegel: 30 Jahre Revolution und Mauerfall
    https://www.tagesspiegel.de/themen/mauerfall

    In diesem Jahr jähren sich die friedliche Revolution in der DDR und der Mauerfall in Berlin zum 30. Mal. Der Tagesspiegel will dabei neue Geschichten suchen und erzählen – gemeinsam mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Mit besonderen Erzählformaten möchten wir die Erlebnisse der Menschen erfahrbar machen – durch vielfältige Foren, interaktive Veranstaltungen und neue Geschichtsformen wie einem Schülerwettbewerb. Machen Sie mit! Denn viele, auch kleine Erinnerungen sind zu berührend, um nicht erzählt zu werden. Sie sind ein Schatz des ganzen Landes und der einst geteilten Stadt Berlin.

  • Terroristin Rasmea Odeh : Sprengsatz des Antisemitismus in Berlin - Reportageseite - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/terroristin-rasmea-odeh-sprengsatz-des-antisemitismus-in-berlin/24105198.html

    Voilà, on savait déjà que le combat contre l’impérialisme étatsunien et son porte-avion en Palestine sont la continuation du génocide nazi à Auschwitz. Cette vue des choses constitue la raison d’être de l’état allemand qui a pourtant négligé l’introduction de lois de censure assez efficaces pour faire taire toute opinion divergeante.

    Résultat : Une femme haïe par tous (à croire la totalité de la presse berlinoise d’aujourd’hui) nous expliquera des choses sur le combat des femmes palestiniennes. C’est une occasion de rencontrer et d’écouter une combattante du front populaire de libération de la Palestine afin de se faire une impression différente de la pensée unique dispersée par les médias bourgeois.

    Ce soir, 18:00 heures, Waterloo-Ufer 5 -7, 10961 Berlin–Kreuzberg

    Ihr Attentat riss vor 50 Jahren zwei Menschen in den Tod. Rasmea Odeh kämpft immer noch gegen Israel, jetzt spricht die Terroristin in Berlin. Die Politik ist entsetzt – aber hilflos.

    Ah bon. Voici la position de ses amis aux USA.

    Justice For Rasmea !
    http://justice4rasmea.org/about

    Rasmea Odeh is a leading member of Chicago’s Palestinian, Arab, and Muslim communities, and her decade of service in Chicago has changed the lives of thousands of people, particularly disenfranchised Arab women and their families. She has been with the Arab American Action Network (AAAN) since 2004, and is responsible for the management of day-to-day operations and the coordination of its Arab Women’s Committee, which has a membership of nearly 600 and leads the organization’s work in the areas of defending civil liberties and immigrants’ rights. She is a mentor to hundreds of immigrant women, as well as many members of the AAAN’s staff and board, and is a well-known and respected organizer throughout Chicagoland, the U.S. and the world.

    In 2013, Rasmea received the Outstanding Community Leader Award from the Chicago Cultural Alliance, which described her as a woman who has “dedicated over 40 years of her life to the empowerment of Arab women, first in her homes of Palestine, Jordan and Lebanon, where she was an activist and practicing attorney, and then the past 10 years in Chicago.”

    Rasmea is a community icon who overcame vicious torture by Israeli authorities while imprisoned in Palestine in the 1970s, and an example for the millions of Palestinians who have not given up organizing for their rights of liberation, equality, and return.

    Voici quelques sources supplémentaires.

    Alle hassen Rasmea Odeh:

    Bild-Zeitunhg
    http://lili.de/u/ix98n

    B.Z. Berlin
    http://lili.de/u/kj1m4

    Tagesspiegel
    http://lili.de/u/7ld1j

    Der Wikipedia Artikel zu Rasmea Odeh sagt viel über ihren Prozeß in den
    USA aber nicht über ihre politische Arbeit. Man muß also hingehen, um
    darüber etwas zu erfahren.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Rasmea_Odeh

    Relevante Infos gibt es auf den Seiten der elektronischen Intifada
    https://electronicintifada.net/tags/rasmea-yousef-odeh

    Diese Soliseite stammt aus der Zeit Ihres Kampfe sgegen die Ausweisung
    aus den USA
    http://justice4rasmea.org

    https://en.wikipedia.org/wiki/Popular_Front_for_the_Liberation_of_Palestine
    https://en.wikipedia.org/wiki/George_Habash
    https://en.wikipedia.org/wiki/Leila_Khaled

    Infos über die Geschichte des Veranstaltungsorts, die ehemalige
    Passierscheinstelle für Westberliner, die Tagesvisa für Ostberlin
    benötigten.

    Berliner Zeitung
    http://lili.de/u/ra1ip

    TAZ
    http://www.taz.de/!5110318

    Adresse auf berlin.de
    http://lili.de/u/gado7

    Dersim Kulturgemeinde Berlin
    Waterloo-Ufer 5 -7
    10961 Berlin–Kreuzberg
    Telefon 030-61283113

    Homepage des Vereins
    https://dersim-cemaati-berlin.de.tl

    #Allemagne #Berlin #Palestine #Terrorisme #FPLP

  • Berliner Spätis: Eine Nacht im Zwischenreich der Zivilisation - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/berliner-spaetis-eine-nacht-im-zwischenreich-der-zivilisation/22859298.html

    Das häßlichste Wort der Nachwendezeit heißt Späti . Schreiben will man ihn nicht, diesen verballhornten Bürokratenbegriff und erst Recht nicht in den Mund nehmen, diese Verniedlichung einer sozialen Katastrophe. Muß aber sein. Denn nur Indien kann Ausbeutung noch besser. Die Rund-um-die-Uhr-Läden Berlins sind Inkarnation einer ausbeuterischen Dienstleistungsgesellschaft. Dienstleistungsgeselschaft, das ist wenn Du auf der Straße stirbst, zur Strafe. Weil Du Dich der Ausbeutung verweigerst, Du Unberührbarer. Selber schuld.

    In Berlin ist das nicht ganz so schlimm. Hier arbeitet nur jeder Späti-Mitarbeiter an der Zerstörung und Abschaffung der Rechte mit, die ihn schützen sollen. Mindestlohngesetz? Schade eijentlich, abba wat sollt. Arbeitszeitgesetz? Wer’ick entlassen, wennik dit Wort ausspreche. Gesetz über den Ladenschluß? Nie jehört. Betriebsrat? Watt’n’dit? Kündigungsschutz? Sollet bei Senatens jehm. Krankengeld? Binnick krank ej?

    Junge Menschen leben am liebsten unbeschwert. Voll Kraft lieben sie nächtliche Begegnungen in lauen Sommernächten, Menschen aus aller Welt im freundlichen Gespräch, Freiheit nach Feierabend. Allet jut. Aber weshalb braucht man dazu tausende von Orten, wo der Wunsch nach Freiheit mißbraucht und Rechtlosigkeit durchgesetzt wird, die sich wie ein Krebsgeschwür in alle anderen Bereiche der Gesellschaft frißt?

    Nächtlicher Alkoholverkauf nur in Gaststätten wäre nicht schlecht. Da wird auch beschissen und ausgebeutet, aber nicht ganz so ungestört. Es bleibt dabei: Ein Regelarbeitsverhältnis mit Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Renten- und Krankenversicherung, im Notfall Unterstützungsleistungen der Berufsgenossenschaft und einer Steuerkarte ist langweilig. No risk no fun , sagt man. Aber alt wird man, wenn man eins hat. Kann fröhlichen Kindern und Enkelkindern beim Aufwachsen zusehen. Kann sich eine eigene Wohnung leisten. Kann man alles nicht, wenn man kein Regelarbeitsverhältnis hat. Und es stirbt früher, wer keins hat.

    Wir sterben an der eigenen Freiheit, aber meist merkt man das zu spät. Da kann der TSP-Schreiber ein noch so schönes Hohelied des Nachtschuppens singen, bevor ick darin einstimme, muss der mir erst einmal erklären, wie er für gute Bezahlung und soziale Absicherung aller Späti-Arbeiterinnen und Arbeiter sorgen will. Kann er nicht. Und deshalb ist der Artikel unverantwortlich. Da verarscht einer in seiner schicken Redaktionsstube die armen Säue, denen man keine Chance gibt. Die Dinger gehörn geschlossen. Punkt.

    Wir Kutscher liefern gerne Bier und Currywurst zur Geisterstunde aus der Kneipe ins Puff und zu Ihn’ nach Hause. Jeht allet, ist legal, und kostet nich’ de Welt.

    Nachsatz - sie sind schon schön, die lauen Sommernächte. Das Gefühl von Freiheit, Toleranz und verkauft sich gut, Berlin zieht die Massen. Allet schön. Gut beschrieben, lesenswert. Wie kann man’s besser machen?
    Bestimmt geht’s noch besser, wenn alle fröhlich Feierabend machen, und nur für fette Zuschläge den Nacht-Malocher geben.
    Geht nicht ohne Gesetze und auch nicht ohne einen, der sie durchsetzt. Irgendwo ist Ende mit dem Spaß.

    Berliner sind Grillen, die im Sommer draußen singen und im Winter keine Vorräte haben. Manchmal ist auch schon am Sonntag nichts mehr da. Dann ist es gut, wenn es den Späti gibt. Knapp 1000 in Berlin.

    Zwischen Sardinen-Bar und Copy-Shop klemmt der legendäre Späti Grunewaldstraße. Während draußen am frühen Abend noch der Teer dampft, brauchen sie drinnen zwei Leute, um die gekühlten Getränke an weinschorlenhafte Cordhosenträger, Schöneberger Ureinwohner, Touristen und grazile Rennradfahrerinnen herauszureichen. Sie alle eint der Durst. Die Kühlaggregate summen, der Verkehr summt und auch das 24 Stunden kaum je abreißende Gespräch der Stammkunden.

    Als Mitte Juni mal wieder über die Öffnungszeiten von Spätis diskutiert wurde, warf der Neuköllner Grünen-Abgeordnete Georg Kössler einen neuen Begriff in die Runde: „Kulturgut“. Das war ein ganz neuer Ton. Kössler erklärte die Spätis für „unabdingbar“ für die Bewohner der Stadt. Dann sagte er: „Sie sind gleichzeitig ein Berliner Kulturgut wie die Eckkneipe, das es zu erhalten gilt.“ Der Berliner Notnagel für Menschen, die es versäumt haben, rechtzeitig einzukaufen – ein Kulturgut? Kultig ja, aber gleich schützenswert? Was ist da gemeint?

    Eine Welt der Vornamen

    Ob man den Film „Smoke“ kenne, fragt Max, 28, im Späti in der Grunewaldstraße, Schöneberg. „Smoke“, klar, wo ein kleiner Tabakladen in Brooklyn der Knotenpunkt für ganz verschiedene Großstadtgeschichten ist. So, sagt Max, müsse man sich vorstellen, wie es bei ihnen zugehe. Einen Film wie „Smoke“ könne man bei ihnen nämlich sofort drehen. Mit der Schöneberger Besetzung, ihren originalen Stammkunden, Querschnitt durch eine sagenhafte Vielfalt.

    „Smoke“ ist nach 112 Minuten zu Ende. Der spezielle Berlin-Späti-Film in der Grunewaldstraße läuft ununterbrochen. Man muss sich für seinen persönlichen Ausschnitt nur auf die umgedrehten Bierkästen vor den Laden setzen, mitten unter die Protagonisten, ja sogleich selbst einer werdend, in die Abwärme der Kühlschränke, die von unten aus dem Gitterrost pustet. Dann geht das Licht aus, wie jeden Abend.

    „Wir brauchen nicht mal einen Namen“, sagt Max, der zusammen mit Tamer Schönebergs bekanntesten Späti führt, 24 Stunden geöffnet. Klar, viele kennen sich hier, aber nur so weit, wie die Leute es wollen. Sein Späti bleibt deshalb eine Welt der Vornamen, und die Nachnamen seiner Nachbarn erfährt auch Max oft erst, wenn er mal ein Paket für sie annimmt.

    Die räumliche Winzigkeit seines Ladens steht in keinem Verhältnis zu seiner Bedeutung für den Kiez. Alle kennen ihn, ein Pulk Leute steht abends davor, obwohl es weder Kunst zu sehen noch Weißwein umsonst gibt.

    Vieles, wofür der Späti steht, ist eigentlich unverkäuflich, sagt Max. Da kann man kein Preisschild dranhängen. „Ich gehe mal Zigaretten holen“ konnte ja schon immer alles bedeuten. In den Späti kommt jeder, dem zum Glück noch eine Kleinigkeit fehlt. Etwas Kleines, aber Dringendes. Etwas, das nicht warten kann, bis am nächsten Tag die Geschäfte wieder öffnen. Das Angebot: Flüssiges, Gefrorenes, zu Rauchendes, Hochprozentiges niedrigschwellig – wenn man einmal von den drei Stufen absieht, die meist hineinführen.

    Sind Späti-Besitzer nicht immer türkisch?

    Sie schmeißen ihren Laden mit einer internationalen Truppe. Es wechseln sich ab: Nick, der Australier, Naru, der Japaner, Angelo, der Italiener, Daniel, der Russe, und Gino, der Palästinenser. Dann natürlich die beiden Teilhaber Max, der in Charlottenburg aufgewachsen ist, und Tamer mit türkischen Wurzeln. So etwas könne man gar nicht planen, das habe sich so ergeben, sagt Max. Wie sich in einem Späti eben alles so ergibt.

    Als Max vor sechs Jahren zwei Häuser weiter einzog, fing er an, diesen Späti zu besuchen. Über die Jahre redete er viel mit Tamer, dem Besitzer, dann half er gelegentlich aus. Man kann auch sagen, es war das längste Bewerbungsgespräch der Welt, an dessen Ende Max bei Tamer mit einstieg. Viele neue Kunden sprechen ihn gleich auf Türkisch an. Ja sind denn Späti-Besitzer nicht immer türkisch? „Ich denke dann: Finde den Fehler im Bild!“

    Ständig schwirren Kunden in den Laden und wieder hinaus. Viele bleiben eine Weile stehen. Jeder Abend ist ein großes Gespräch mit offenem Ausgang. Paula, mit ihren 20 Jahren im achten Monat schwanger mit ihrem „ungeplanten Wunschkind“, kauft eine Literflasche Fassbrause für 1,70 Euro. Dann bleibt sie zwei Stunden auf einer Bierkiste vor dem Laden sitzen, in deren Verlauf zwei Leute erfahren, dass sie auch den werdenden Vater kennen, ohne gewusst zu haben, dass die beiden zusammen sind.

    Angelo ist da, der hier die Frühschicht macht, aber gerade arbeitet er nicht. Er erzählt, wie er am Abend des Mauerfalls mit dem Koch damals sein Restaurant zumachte und dann über die Mauer in den Osten kletterte. Wie er in die DDR hereinkam, aber nicht mehr heraus, weil er keinen Ausweis dabei hatte.

    Eine Bäckereiverkäuferin kommt nach Ladenschluss mit den Resten vorbei. Zu schade zum Wegschmeißen. Will jemand? Ja, eine Flugbegleiterin will.

    Es ist wichtig, dass der Laden hässlich ist
    Der Tag geht, das Laster kommt. Im Späti warten die letzten Abenteuer der Zivilisation: zuckerhaltige Getränke, Alkohol, Chips, Tabakwaren. Lunge teeren. Gehirn federn. Im Späti steht der Mensch in seiner Unperfektheit und mit seinen niedlichen Bedürfnissen: Center-Shock-Kaugummis. Panini-Bilder. Die „Landlust“.

    Man müsse, sagt Max, mitgehen mit der Nachfrage. Als sie sechsmal am Tag nach Kaffee gefragt wurden, haben sie sich eine Maschine hingestellt. Jetzt verkaufen sie 30 Kaffee am Tag. Sie setzen auch dreimal so viel Bio-Limonaden wie Cola-Produkte um. Nur Briefmarken sind hoffnungslos, 1,4 Cent bleiben von einer 70-Cent-Marke hängen. Das ist weniger, als es kostet, den Mitarbeiter für die Zeit des Verkaufs zu bezahlen.

    Ein Späti ist das Gegenteil von Inszenierung. Hier wird nichts hübsch gemacht. Auch der Späti selbst nicht: Schmucklos stehen die Waren angehäuft. Es ist sogar wichtig, dass der Laden ein bisschen hässlich ist. Das ist Teil seiner Funktion. So können Schwellenängste gar nicht erst entstehen. Hinter dem Verkäufer fächern sich die Gruselbilder der Zigarettenpackungen auf, und auch das ist ein Indiz fürs Ganze: An diesem Ort wird nichts beschönigt.

    Spätis sind nicht instagram-tauglich. Ein Späti überfordert niemanden. Die Waren sind der kleinste gemeinsame Nenner. Das ist ungeheuer erholsam für Menschen, die sonst immer im Mittelpunkt ihres kuratierten Lebens stehen sollen. „Weißt du, warum ich komme?“, fragte mal ein solventer Geschäftsmann, Stammkunde, Max. „Weil mich hier keiner fragt, was ich mache.“ Max wackelt in seinen Adiletten mit den Zehen.

    Die Kunden kaufen ein Getränk und hängen noch ein bisschen ab. Die Kunden, sagt Max, reden dann oft einen ganzen Abend miteinander und wissen nachher gar nicht, mit wem sie gesprochen haben. Genau das ist der Reiz. Ein Späti hat keine besondere Zielgruppe, es sind ja potenziell alle gemeint. Sie haben hier generell etwas gegen die Aufspaltung der Gesellschaft in „Zielgruppen“.

    „Eine Schweigepflicht wie beim Arzt“

    Vielleicht macht gerade das Absichtslose alles möglich. Absichtslos kommt das Gespräch ins Fließen. Und plötzlich fügt sich alles: eine inoffizielle Jobvermittlung sind sie hier, eine Anlaufstelle für Anliegen aller Art. Sie bewahren Haustürschlüssel auf, wenn die Nachbarn Gäste erwarten. Sie mussten schon beim Ausfüllen von Hartz-IV-Anträgen helfen und bei Briefen an die Polizei. Der Schöneberger Späti ist der Kitt im Kiez.

    „Jeder hat’n Hund, aber keinen zum Reden“, zitiert die Flugbegleiterin Peter Fox. So ist Berlin. Und deshalb seien die Spätis so wichtig. Max garantiert bei Bedarf „eine Schweigepflicht wie beim Arzt.“

    Man hat den Eindruck, dass dieser Beifang eines Getränkekaufs, die Erzählungen, das Eigentliche an diesem Ort sind. Das unsichtbare Kulturgut.

    Die Italiener haben ihre großartigen Bars, in denen sie sich morgens beim günstigen Espresso lautstark versichern, dass sie noch am Leben sind. Die Süddeutschen haben ihre Wirtshäuser, die Engländer den Pub, die Franzosen treffen sich in den Cafés um ihre Märkte. Es sind Orte für alle, an denen die sozialen Unterschiede verblassen. Und die Berliner? Haben den Späti.

    Als Max vor sechs Jahren zum ersten Mal diesen Laden betrat, den es seit den 70ern gibt, hatte der noch Telefonkabinen und einen kleinen Kühlschrank. Heute ist der Strom für die Kühlschränke die größte Betriebsausgabe, 400 Euro im Monat. Bis vor einem Jahr, da war Max schon Teilhaber, machten sie jede Nacht noch sechs Stunden den Laden zu, zwischen eins und sieben. Vier Mal haben sie ihnen in dieser Zeit die Zigaretten geklaut. „Es ging nicht anders, wir mussten offen bleiben“, schlussfolgerte Max. Seitdem sind sie 24 Stunden da, schon um ihre Zigaretten zu bewachen.

    Zum Glück ist der Umsatz nachts oft dreimal so hoch wie tags. Die Einbrüche haben in der ganzen Gegend aufgehört. Autos parken in der zweiten Reihe, deren Fahrer tragen in den Sommernächten für 30 Euro Getränke raus. Jeder zweite ist Stammkunde.

    Lieber das Geld hier lassen als bei einem Mineralölkonzern
    Durch ihre Stammkunden und deren Bedürfnisse ist es nur logisch, dass jeder Berliner Späti zum Spiegel seines Viertels wird. Einige halten ein unglaubliches Angebot vor, von Klopapier über USB-Sticks bis zu Bacon. Erst mit der Phase der Familiengründung erlernt der Berliner ja die Grundzüge der Vorratshaltung.

    In Kreuzberg am Maybachufer verkauft Dion&Gefolge seit einem Jahr edle Weine, Feinkost und selbst gemachte Krawatten bis in die Nacht – weil auch das Ästhetische in Teilen Berlins ein Grundbedürfnis geworden ist. In der Ohlauer Straße hält Mustafa im Telinstore eine Art Tante-Emma-Vollsortiment bereit, und der Markt hat sogar noch Aufnahmekapazitäten für eigene Merchandising-Feuerzeuge mit dem Bild seiner Dogge, die mit ihm den Laden hütet.

    Ein Späti ist nicht nur die Summe seiner Produkte, er atmet den Geist seiner Besitzer. Das unterscheidet ihn von der Tankstelle. Spätis sind meistens Familienunternehmen. Die Kunden finden es schöner, hier zu kaufen, als ihr Geld bei einem Mineralölkonzern zu lassen. Schon deshalb, weil ein Mineralölkonzern einem nie dabei helfen würde, einen Hartz-IV-Antrag auszufüllen.

    Und längst ist auch der Schöneberger Späti ein Treffpunkt für diejenigen, die befremdet sind von den Veränderungen in der Stadt. Paula ist fremd geworden, dass man seit einigen Jahren in Restaurants reservieren muss! Auch Museen soll man mit besonderen Karten in Zeitfenstern besuchen. Es ist zum Totlachen, das ist doch nicht Berlin. Spätis sind ein Ort der Spontaneität geblieben. Sie sind die Ausnahme, nicht die Regel. Regeln gibt es in Berlin mittlerweile genug.

    Ein Ort verminderter sozialer Kontrolle

    Auf der Grunewaldstraße in Schöneberg hat sich inzwischen ein magischer Umkehreffekt eingestellt. Als würde man ein Negativ der Tagesversion betrachten. Der tagsüber unscheinbare Laden, der zwischen dem Antik-Laden und der Sardinen-Bar klemmt, beginnt zu leuchten. Nach und nach gehen dann ringsum alle anderen Lichter aus. Der Copy-Shop schließt, die Bar, der Grieche gegenüber. Jetzt leuchtet nur noch der Späti, Kronleuchter und Kühlschränke, die ganze Nacht. Der Mensch gestikuliert ein Schattentheater vor der Scheibe.

    Nach Mitternacht beginnt die andere Zeit an diesem Ort verminderter sozialer Kontrolle, wo man, ohne scheel angeschaut zu werden, eine Stange Zigaretten kaufen kann. Ein Zwischengeschoss der Zivilisation.

    Hier in Schönedorf, sagt die Flugbegleiterin, kommen die Leute für den „real talk“. Nix digital. Sie verschwenden nicht einmal Zeit mit Smalltalk. Die Themen sind lustig, unterhaltsam, existenziell. Gesellschaft, persönliche Krisen, Stadtgespräch, keine Beobachtung ist zu klein. Und nichts ist banal.

    Warum, muss man fragen, ist das jetzt ausgerechnet ein Berliner Kulturgut? Soziale Grundbedürfnisse außerhalb der Öffnungszeiten habe doch jeder, heißt es. Im Ruhrgebiet und Rheinland sei es halt das „Büdchen“, oder? Aber Büdchen sind oft freistehende Gebäude, der Kunde tritt an ein Fensterchen heran. Er steht draußen, wenn’s schlimm kommt, im Regen. Die Spätis dagegen sind zu betreten, sie bilden das Erdgeschoss der Wohnhäuser und damit das Fundament der Stadt.

    Längst schon hat Naru die Spätschicht übernommen. Naru, der glaubt, an diesem Ort weniger Verkäufer als Psychologe zu sein. Naru, der mit der Bundeswehr in Mali und Afghanistan war und jetzt Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Einen gut bezahlten Nebenjob beim Wirtschaftsprüfer hat er eingetauscht für die einmalige „Gelegenheit, hier die Welt in ihrer Gauß’schen Normalverteilung zu sehen.“

    Die Last der Zivilisation runterspülen

    In diesem 24 Stunden laufenden Film, in dem jeder schon mit ein paar Sätzen eine Rolle bestreiten kann, besteht die Herausforderung darin, den Absprung nicht zu verpassen.

    Dimitri, ganz heitere Melancholie, lässt seine Bierflasche zwischen den Beinen pendeln. Tja, warum gehen wir zum Späti? „Wir spülen die Last der Zivilisation hinunter. Das muss manchmal sein.“

    Die Flugbegleiterin ist schon vor einer Weile auf ihr Fahrrad gestiegen. Um kurz nach eins nimmt die hochschwangere Paula ihre unberührte Flasche Fassbrause, für die sie 50 Cent mehr bezahlt hat als im Supermarkt, und geht nach Hause. Aber Angelo hat jetzt seine Reiseflughöhe erreicht. Er geht noch tanzen.

    #Berlin #Schöneberg #Grunewaldstraße #Handel #Kultur

  • Verdacht der Zwangsadoptionen : Die verlorenen Kinder der DDR - Tagesspiegel
    https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/verdacht-der-zwangsadoptionen-die-verlorenen-kinder-der-ddr/22734108.html

    Depuis 69 ans le régime anticommuniste en Allemagne de l’Ouest soigne le mythe du régime inhumain à l’Est. Les Allemands sont exposés à un matraquage idéoligique composé de faits présentés dans un contexte historique manipulé et d’histoires abominables purement inventées dans le but de discréditer socialisme et démocratie sans propriété privée.

    Cette longue histoire de mensonges est responsable pour de la souffrance humaine depuis le début. Aujourd’hui le très conservateur journal berlinois Tagespiegel nous relate le sort de victimes imaginaires à la souffrance réelle. Ce sont des anciens citoyens de la RDA qui croient qu’on leur a volé leurs enfants alors que même les plus acharnés enquêteurs anticommunistes affirment que leurs soupçons sont infondés parce qu’il est impossible de trouver la moindre trace des crimes supposés dans les dossiers. Il n’y a ni témoin ni preuve matérielle pour l’enlèvement caché d’enfants par une institution de la RDA.

    Cette histoire montre l’Allemagne d’aujourd’hui comme un pays où la souffrance induite par la contradiction entre les vraies conditions de vie, leur présentation idéologique et la fausse image d’une société honnête produit un sentiment d’insécurité allant jusqu’à la folie chez des personnes déjà fagilisées.

    C’est un exemple pour la violence structuelle qu’on trouve d’habitude quand on regarde de près la pauvreté matérielle et ses origines. Là nous assistons à de la souffrance suite à de la violence structuelle purement idéologique. Elle est quand même structuelle parce que l’anticommunisme est la clé de voûte de la raison d’être de l’état capitaliste allemand.

    Sie hat ihre Tochter nie gesehen. Sie sei tot, sagte man ihr nach der Geburt. In Akten jedoch steht etwas anderes. So wie Katrin Huhnholz sehen sich 160 Mütter und Väter als Opfer der DDR.

    von FRANK BACHNER

    Drei Schritte neben dem Terrarium, wo zwei Leopardengeckos regungslos im Sand glotzen, steht der Esszimmertisch. Eine dunkelblaue Decke liegt darauf, eine rote Kerze steht in der Mitte. Hier hätte Katrin Huhnholz Kaffee und Kuchen serviert. Hier hätte sie mit der Frau, die ihrer Nichte so verblüffend ähnlich sieht, geredet. Hier hätten die beiden Baby-Fotos betrachtet, Aufnahmen von Huhnholz’ Kindern und Fotos der Besucherin als Säugling. Hier hätten sie vor allem die wichtige Frage besprochen: Wann macht die Besucherin einen Erbgut-Test?

    Dann, mit dem Ergebnis, hätten sie endlich die Antwort auf eine noch viel wichtigere Frage gehabt: War die fremde Frau, die hier in dieser kleinen Wohnung in Leipzig Kaffee hätte trinken sollen, die leibliche Tochter von Katrin Huhnholz?

    Am 17. Februar 2018 wollten sie sich treffen. So war der Plan.

    Der Plan ging schief.

    Die Frau ist nie aufgetaucht, es gibt keinen DNS-Test, es gibt keine Antwort.

    Vier Monate später sitzt Katrin Huhnholz am Esszimmertisch vor einem dicken Ordner und blättert Dutzende Dokumente durch, auf denen „Totenschein“ steht und „Autopsiebericht“ oder „gynäkologische Anamnese“. In diesem Ordner ist die Tragik im Leben der Katrin Huhnholz, 53 Jahre alt, Verkäuferin, dokumentiert. Sie blättert, schaut hoch, blättert wieder, schaut wieder hoch, irgendwann sagt sie: „Ich komme jetzt nicht mehr weiter. Da ist ein Gefühl der Ohnmacht.“ Die Trauer liegt weniger im Tonfall, sie ist in den Augen zu sehen, in den Blicken hinter der braunen Hornbrille.

    Ihr Verdacht klingt ungeheuerlich

    Die 53-Jährige, in Leipzig geboren und aufgewachsen, hat einen Verdacht. Einen, der ungeheuerlich klingt. Der Verdacht lautet: Ihre erste Tochter, nach Mitteilung der Ärzte in Leipzigs Universitätsklinik 1985 bei der Geburt gestorben, ist gar nicht tot. Die Ärzte haben gelogen und Huhnholz’ Tochter lebte, wurde im Krankenhaus weitergereicht, verkauft. Verkauft gegen Devisen an ein Ehepaar aus dem Westen, das ein Kind adoptieren wollte. Alles überwacht von der Stasi.

    Im Sitzungssaal 1228 des Berliner Jakob-Kaiser-Hauses stehen sechs Säulen aus nacktem Beton. Die Rollos der riesigen Fensterfront sind bis zum Boden heruntergelassen. Hier tagt am Montag der Petitionsausschuss des Bundestags, hier sitzt neben dem Ausschussvorsitzenden ein schmächtiger Mann mit Halbglatze und dunkelblondem Schnauzbart. Andreas Laake hat 2015 die „Interessengemeinschaft (IG) Verlorene Kinder der DDR“ gegründet, 1500 Eltern, deren Freunde und Angehörige sind dort organisiert. Die meisten sehen sich als Opfer von Zwangsadoptionen, 160 Väter und Mütter der IG aber als Betroffene eines vorgetäuschten Säuglingstodes.

    Ihr Verdacht nährt sich aus Ungereimtheiten in Unterlagen, er nährt sich durch den Vergleich mit Fällen, bei denen andere Frauen Zweifel am Tod ihrer Kinder haben. Fälle zwischen den 60er Jahren und 1989. Vielleicht wurden ihre Kinder von Westlern adoptiert oder von linientreuen DDR-Genossen, sie halten beides für möglich.

    Die Forderung: Unterlagen sollen aufbewahrt werden
    Laake hat nun die politische Ebene erreicht. Der Petitionsausschuss kümmert sich an diesem Tag um Zwangsadoptionen, aber auch um den angeblichen, vorgetäuschten Säuglingstod. Die IG hat den Abgeordneten im April eine Petition mit neun Forderungen überreicht. Eine längere Aufbewahrungsfrist von Unterlagen ist eine davon.

    Jetzt findet dazu die Expertenanhörung statt. Einer der Experten ist Laake, und als er an der Reihe ist, zittert seine Stimme. „Die Ungewissheit ist grauenhaft. Viele sind deshalb krank geworden.“ Die trauernden Eltern hätten Fragen. Lebt mein Kind noch? Und wenn ja, wo? Warum ist auf Krankenakten das Geburtsgewicht unterschiedlich vermerkt? Warum gibt es oft erst gar keine Akten? Wo ist mein Kind begraben? „Gräber wurden geöffnet, niemand lag drin.“

    Für die IG gibt es einfach zu viele Merkwürdigkeiten. Einige Geburtsurkunden wurden mit Schreibmaschine ausgefüllt und dann handschriftlich ergänzt. So stand dann hinter dem Hinweis „Junge“ plötzlich ein Mädchenname und umgekehrt. Oft waren die Mütter jung oder sogar noch minderjährig. Keine von ihnen war politisch auffällig. Auch Katrin Huhnholz nicht.

    Aber es müsste Mitwisser geben, wenn das alles stimmte, es wäre ja ein System gewesen. Leute, die jetzt vielleicht ein schlechtes Gewissen haben. Ja, sagt ein IG-Vorstandskollege von Laake am Telefon, die gibt es. „Wir haben mit Hebammen und Ärzten von damals gesprochen, die bestätigten, dass Adoptiveltern schon auf dem Gang gewartet hätten. Aber aus Angst geben sie das öffentlich nicht zu.“

    „War es ein Mädchen oder ein Junge?“

    Katrin Huhnholz’ Geschichte begann am 7. Mai 1985 in einem Kreissaal der Uniklinik Leipzig. Hier brachte sie ihre Tochter zur Welt, für die 17-jährige Mutter zugleich eine Tragödie. Die Ärzte hatten ihr schon Tage zuvor erklärt: „Ihr Kind wird bei der Geburt sterben.“ Leber und Darm des Babys lägen durch eine Fehlbildung im Mutterleib außerhalb des Körpers.

    Sofort nach der Geburt wurde das Kind in ein Tuch eingewickelt und weggebracht. Katrin Huhnholz hat es nie gesehen. „War es ein Mädchen oder ein Junge?“, habe sie eine Medizinstudentin gefragt, die bei der Geburt anwesend war. „Ich weiß es nicht“, sei die Antwort gewesen, „ich darf es Ihnen nicht sagen.“ Niemand sagte Katrin Huhnholz, wo das Kind beerdigt werden würde. Sie fragte auch nicht danach.

    Weshalb fragt eine Mutter nach dem Tod ihres Kindes nicht nach der Grabstelle? Eine Mutter, die nicht mal Abschied nehmen durfte? 33 Jahre später, im Esszimmer, trifft Katrin Huhnholz die Frage wie ein Schlag. Ihr Körper verkrampft, sie windet sich, sucht nach Erklärungen. Irgendwann zieht sie sich auf den Satz zurück: „Ich war jung.“

    Sie steckte in der Lehre als Verkäuferin, der Vater ihrer Tochter war gerade mal ein Jahr älter, sie war überfordert. Doch es gab einen Moment, an dem sie damals schon stutzte. Ihre Freundin hatte auch eine Totgeburt, aber die durfte sich von ihrem Kind verabschieden.

    Das wachsende Entsetzen
    1991 wurde ihre Tochter Lisa geboren, lebend. Katrin Huhnholz lag wieder in der Uniklinik, sie erhielt ihre Krankenakte und blätterte flüchtig durch. An einem Blatt blieb sie hängen. Eine Seite mit Angaben zu ihrer offiziell damals seit sechs Jahren toten Tochter. Geburtsgewicht: 3400 Gramm, Größe 50 Zentimeter. „Die Zahlen haben sich eingebrannt.“ 2003 kam ihr Sohn auf die Welt, auch er gesund.

    Als Drama begann für Katrin Huhnholz diese Geschichte 2011. Im Internet stieß sie auf eine Reportage über Zwangsadoptionen und mysteriöse Totgeburten von Säuglingen in der DDR. Betroffene Mütter schilderten, was sie im Krankenhaus erlebt hatten und dass sie auf Ungereimtheiten in Dokumenten stießen. Katrin Huhnholz las mit wachsendem Entsetzen. Zu ihrer Tochter habe sie gesagt: „Das klingt wie bei meinem ersten Kind, das ist haargenau der gleiche Ablauf.“

    Fünf Jahre später stieß sie auf die Facebook-Seite der „IG Gestohlene Kinder der DDR“. Sie las Schicksale, die ihrem ähnelten, und jetzt wollte sie Gewissheit, unterstützt von ihrer Tochter. Auf Ebay schaltete sie eine Anzeige. „Suche Frauen, die am 7. 5. 1985 in der Uniklinik Leipzig geboren wurden.“ Eine Frau antwortete. „Ich wurde am 30. April geboren, geht das auch?“ Eigentlich, erwiderte Katrin Huhnholz, sei das ja das falsche Datum, aber man könne sich ja trotzdem mal austauschen.

    Auf Facebook suchte sie nach einem Bild der Unbekannten. „Sie sah meiner Nichte total ähnlich.“ Katrin Huhnholz schrieb ihr auf Facebook, berichtete über das Schicksal ihrer Tochter, über ihre Zweifel an deren Tod, die andere schrieb zurück, irgendwann fragte Katrin Huhnholz: „Hast du ein Babyfoto von dir?“ Kurz darauf erhielt sie eines.

    Am Esszimmertisch geht ein Ruck durch Katrin Huhnholz, sie erzählt von dem Moment, als sie das Foto sah. „Da ist mir das Herz stehen geblieben.“ Das Baby auf dem Foto sah aus wie ihre eigenen Kinder im Babyalter.

    Nun habe auch die andere Frau wissen wollen, was die Wahrheit ist. Sie verabredeten sich zu Kaffee und Kuchen. Doch am Abend vor dem Treffen sagte die Frau ab. Die Tochter sei krank.

    Am nächsten Tag wurde Katrin Huhnholz von ihr auf Facebook geblockt. Die Verkäuferin war fassungslos. Sie besaß weder Telefonnummer noch Adresse von der anderen.

    War die Blockade Selbstschutz?
    Hatte die Frau Angst vor der Wahrheit? War die Blockade also Selbstschutz? Am einfachsten wäre es ja gewesen, die Mutter dieser Frau zu fragen. Die musste die Wahrheit ja wissen. Aber hätte sie ehrlich geantwortet, wenn sie das Kind heimlich adoptiert hätte? Katrin Huhnholz hat nie erfahren, was die Mutter sagte. Die Frau, die ihrer Nicht so ähnlich sieht, hat dazu jede Aussage verweigert.

    Katrin Huhnholz konzentrierte sich auf Unterlagen, die ihr weiterhelfen könnten. Die Uniklinik Leipzig, Gesundheitsamt, Statistisches Bundesamt, Standesamt, Stasi-Unterlagenbehörde, alle möglichen Behörden und Einrichtungen bat sie um Unterlagen. Oft lautete die Antwort: keine Dokumente vorhanden. Eine Stasi-Akte von ihr wurde nie gefunden.

    Von der Uniklinik Leipzig erhielt sie ihre Krankenakte. Und sofort verstärkte sich Huhnholz’ Verdacht. Das Blatt mit den Geburtsdaten, 3400 Gramm Gewicht, 50 Zentimeter Größe, fehlte. Stattdessen fand sie, unter ihrem Namen, Unterlagen zu einem Baby, das zwar unter jenen Fehlbildungen litt, die angeblich ihr Kind hatte. Aber dieses Baby wog bei der Geburt 1880 Gramm und war 40 Zentimeter groß. „Ich kann mir vorstellen, dass man die Akte eines wirklich gestorbenen Kindes genommen und meinen Namen drauf geschrieben hat.“

    Verschwörungstheorie? Vielleicht. Aber dann erzählt sie die Geschichte mit dem Friedhof. Laut Akten soll ihr Kind auf dem Zentralfriedhof Leipzig begraben sein. Doch die Friedhofs-Verwaltung teilte ihr mit: „Ihr Kind ist hier nicht begraben.“ Nächster Punkt: Vom Statistischen Bundesarchiv erhielt Katrin Huhnholz die Kopie eines Auszugs aus der Lebendgeburt-Statistik der DDR. Neben ihrem Namen steht in der Rubrik „Lebendgeburten“: „Drei.“ Drei? Laut Krankenakte kam Huhnholz’ erste Tochter bereits tot zur Welt, das Kind starb schon im Mutterleib.

    In den Akten findet sich nichts

    Im Sitzungssaal 1228 sitzt zwei Meter neben Laake ein anderer Experte. Der Historiker Christian Sachse, er blickt jetzt sehr mitfühlend, er sagt: „Das tut jetzt einigen verdammt weh.“ Stimmt, Andreas Laake zum Beispiel. Sachse hatte nämlich gerade erklärt: „Wir haben in den Akten keinen einzigen Fall von vorgetäuschtem Säuglingstod gefunden.“

    Und überhaupt: Wie hätte so ein System in der Praxis funktionieren sollen? „So etwas setzt voraus, dass es ein ganzes Krankenhaus mit Inoffiziellen Mitarbeitern hätte geben müssen.“ Hätte es diese fiktiven Tode wirklich gegeben, dann „hätten sie mit Sicherheit Spuren in den Akten hinterlassen“. Haben sie aber nicht. Jedenfalls wurde bislang nichts gefunden.

    Gut, ein schreckliches Szenario hält Sachse für möglich. Jungen Frauen in Jugendwerkhöfen, die gerade ein Kind geboren hatten, wurde gesagt, der Säugling sei bei der Geburt gestorben. Werkhöfe waren das gefürchtete Sammelbecken für Jugendliche, die als schwer erziehbar galten. In Wirklichkeit hätten linientreue Genossen heimlich das Baby adoptiert. Eine Möglichkeit, nicht bewiesen.

    Auch die Expertin Maria Nooke, Brandenburger Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, muss Laake weh tun. „Wir haben keinen einzigen Fall gefunden, der einen vorgetäuschten Säuglingstod belegt.“ Das gelte auch für die Stasi-Unterlagen-Behörden. Mit entsprechender Sachaufklärung bei Betroffenen könne man sogar Ungereimtheiten bei Unterlagen auflösen. Aber der Verlust eines Kindes, die Trauer, die Ungewissheit über das Schicksal, das alles ist nicht mit Statistik zu bewältigen. Deshalb, sagt Nooke auch, benötigten Betroffene eine psychosoziale Trauerarbeit.

    Die Ängste vor der Wahrheit bleiben

    Auch Katrin Huhnholz kann mit Statistik nichts anfangen. Die hilft ihr nicht weiter, wenn es um ihr eigenes Kind geht. Ihre offenen Fragen bleiben ja. Und so klammert sie sich in Gedanken an die Frau, die als Baby so aussah wie ihre eigenen Kinder. Inzwischen hat sie die Adresse dieser Frau herausgefunden und ihr einen Brief geschrieben. „Mir geht’s nur um den DNA-Test.“

    Doch zugleich tobt in der 53-Jährigen weiter ein innerer Kampf. Die Katrin Huhnholz, die so sehr auf Antworten drängt, die bremst sich zugleich. Die Sehnsucht nach der Wahrheit ist größer geworden, die Ängste vor dieser Wahrheit sind aber immer noch da.

    Sie stand sogar mal vor dem Haus der Frau, sie wollte sehen, wie die lebt. Aber sie nahm keinen Kontakt zu ihr auf. Warum nicht? Da knetet Katrin Huhnholz die Hände, die Antwort kommt erst nach Sekunden. „Der nächste Schritt muss von ihr kommen. Sie hat meine Nummer.“

    Katrin Huhnholz hat noch nicht vergessen, dass in dieser Geschichte nicht bloß sie ein Opfer sein könnte. „Diese Frau“, sagt sie leise, „muss ja auch alles verarbeiten können, wenn herauskommt, dass sie meine Tochter ist.“

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