Ausbeutung in Pink (Tageszeitung junge Welt)

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  • 02.05.2018: Ausbeutung in Pink (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/331773.ausbeutung-in-pink.html

    In Italien wehren sich die Fahrer des Essenslieferdienstes Foodora gegen schlechte Arbeitsbedingungen

    Von Martina Zaninelli

    Schon im Oktober 2016 streikten die Foodora Rider in Turin gegen die schlechten Arbeitsbedingungen

    Am 1. Mai sind in mehreren italienischen Städten die pinkgekleideten Fahrer des Essenslieferdienstes Foodora gemeinsam mit anderen prekär Beschäftigten auf die Straße gegangen. Unter anderem in Turin, wo die Proteste der »Rider« gegen den deutschen Konzern vor eineinhalb Jahren begonnen hatten. Das Motto der Demonstration war »Es ist Arbeit«. Die grundlegenden Forderungen: Mindestlohn für alle Beschäftigten, Verträge in denen die Arbeitssicherheit und die Zahlung der Krankenversicherungsbeiträge gewährleistet sind, sowie die Anerkennung von »untergeordneten Arbeitsverhältnissen«, eine in Italien verbreitete Form von Scheinselbständigkeit.

    Im Oktober 2016 begannen die Proteste vor allem in Norditalien. Damals hatte Foodora angekündigt, ab November die Gehaltsregeln zu ändern. Die alten Arbeitsverträge waren ausgelaufen, und die neuen sahen einen Umstieg von Zeit- auf Geldakkord vor: Anstatt fünf bis 5,50 Euro pro Stunde wurden nur noch 2,70 Euro pro Lieferung gezahlt. Außerdem wurden die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlter Urlaub, die Beiträge zur Sozial- und Rentenversicherung sowie das 13. Monatsgehalt gestrichen.

    Erst nach Protesten und einem Streik war Foodora Italia bereit, mit den Fahrern zu verhandeln. Die Forderungen der Beschäftigten: Wiedereinführung der Bezahlung nach Stunden, eine Beteiligung der Firma an Reparaturkosten für die Fahrräder und an den anfallenden Telefonkosten. Das Angebot des Unternehmens sah lediglich pro Lieferung einen Euro mehr vor. Gleichzeitig wurden sechs Fahrer entlassen – genau diejenigen, die die Proteste und Versammlungen organisiert hatten. Das Foodora-Management wies Kritik daran zurück und leugnete jeglichen Zusammenhang. Laut seiner Darstellung habe kein regulärer Arbeitsvertrag bestanden. Schließlich seien die Fahrer offiziell »selbständig« und nur durch eine App »angestellt«. Gerade diese ermöglicht es dem Unternehmen, sich unliebsamer Beschäftigter zu entledigen, indem der Zugang zur App und damit auch zum Schichtplan blockiert wird.

    Diese technischen Möglichkeiten seien problematisch, erklärte Giuseppe Martelli, Sekretär im Bereich Dienstleitungen im Gewerkschaftsbund CGIL, gegenüber jW: »Heute nennen wir diejenigen, die uns seit eh und je die Pizza nach Hause bringen, ›Rider‹. Diese Arbeitsform ist nicht neu, aber die Beschäftigungsverhältnisse sind es. Früher waren diese durch Arbeitsverträge und persönliche Beziehungen zwischen ›Arbeitgeber‹ und ›Arbeitnehmer‹ bestimmt, nun wurden sie durch eine App ersetzt. Diese Entpersonifizierung erschwert deutlich die gewerkschaftliche Arbeit. Wenn man keine Gelegenheit zu einer Diskussion oder einer Auseinandersetzung mit dem Unternehmen hat, verringert sich auch die Möglichkeit, konkrete Verbesserungen für die Beschäftigten zu erreichen«, so Martelli.

    Die sechs Fahrer ließen sich nicht einschüchtern und klagten gegen ihre Kündigung durch den »Arbeitgeber«. Am 12. April dieses Jahres standen sie vor Gericht. Das Urteil überraschte: Ihr Beschäftigungsverhältnis sei keines als Arbeitnehmer im »klassischen« Sinne, sondern als Selbständige. Im Gerichtssaal waren viele Kollegen anwesend, deren Hoffnung durch den neoliberalen Richterspruch enttäuscht wurde.

    Nach den Protesten von 2016 verschärfte sich die Lage bei Foodora. Zwar wurden nach und nach wieder Fahrer nach Stunden bezahlt. Doch das Arbeitsklima hat sich deutlich verändert, so dass eine gewerkschaftliche Organisierung immer schwieriger wird. Dadurch, dass mehr Beschäftigte eingestellt wurden, wuchs auch die interne Konkurrenz. Außerdem hat Foodora die internen Chatgruppen so verändert, dass kein Zugriff auf die Telefonnummer anderer Arbeiter mehr möglich ist.

    Die Gewerkschaftsverbände versuchen seit mehreren Jahren, die »neuen Arbeiter« des Transportwesens zu organisieren. Eine schwierige Aufgabe, wie Martelli meint: »Unsere Erfahrung beim Versuch, die ›Rider‹ gewerkschaftlich zu organisieren, ist, dass die Verhandlungspartner das Hauptproblem sind.« Doch aussichtslos sei die Lage nicht. »Was wir aus gewerkschaftlicher Perspektive machen müssen, ist, in den verschiedenen Foodora- und Deliveroo-Firmen einen guten Organisierungsgrad zu erreichen und die Unternehmen zu einer kontinuierlichen Auseinandersetzung zu zwingen.« Erste Erfolge wurden bereits erzielt. »Nach vielen Jahren musste sich sogar Amazon darauf einlassen. Es gibt also noch Hoffnung für die ›Riders‹«.

    #Arbeit #Disruption #Ausbeutung