• Theater-Performance in Berlin - Im Taxi dem Leben hinterhergefahren
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    14.05.2015, von Gerd Brendel - In der Theaterperformance „Hellelfenbein“ erzählen sechs Taxifahrer aus aller Welt über ihr Leben vor und seit dem Taxi-Job in Deutschland. Das hätte eigentlich spannend werden können.

    „Mein Vater hat mir letztens gesagt, wenn man anfängt Taxi zu fahren, dann fängt man an die Leute als Geldscheine zu sehen.“ 

    Bevor die Fahrgäste in die wartenden Taxis steigen, werden sie taxiert. Wir erwarten Taxitheater und werden erst einmal selbst in Augenschein genommen. 

    „Also Sie zum Beispiel: Sie sind so ne gute 20-Euro-Fahrt.“

    „Und an ihrem Mantel erkenn ich sofort: 50-Euro-Fahrt.“

    „Sie sind eher so ne Kurzstrecke.

    „Sie haben wichtige Unterlagen fürs Büro vergessen: 20 Euro.“

    „Sie wollen in den nächsten Puff: 100 Euro.“

    Je nach geschätztem Budget bekommen wir von der jungen Frau, die sich uns als Tochter eines türkischen Taxifahrers vorstellt, bunte Kärtchen zugeteilt. 

    „Gelb bei mir!“ 

    „Also Gelb und orange.“

    Je nach Farbe verteilen sich die Gäste auf die elfenbeinfarbenen Taxen. „Hellelfenbein“, so haben die beiden Theatermacherinnen Jessica Glause und Olivia Wenzel ihre Taxi-Performance genannt. Die Geschichten ihrer Fahrer stehen im Mittelpunkt. 

    Ein ganzes Leben zwischen Anatolien und Berlin-Neukölln
    „Seit 40 Jahre bin ich hier“,

    begrüßt Abdullah seine Fahrgäste. 
     
    „hab in den Ford-Werken als Maschinist geschuftet, dann habe ich LKW-Führerschein gemacht, dann wurde ich Truck-Driver.“

    Draußen zieht das nächtliche Berlin-Kreuzberg vorbei, im Großraumtaxi ein ganzes Leben zwischen Anatolien und Berlin-Neukölln. Vom Truck-Driver zum Buchhändler und schließlich zum Taxi-Fahrer. Kurz vor der ersten Station zieht Abdullah ein paar Bücher aus dem Handschuhfach. „Hab ich selbst geschrieben“, sagt er zum Abschied. Dann steigen die Gäste um ins nächste Taxi. 

    Seit 14 Jahren die selben Fragen
    „Ich heiße Maki mit Vornamen, komme aus dem Irak. Habe in meiner Heimat Theaterwissenschaften studiert. Als ich nach Deutschland gekommen bin, die haben meinen Abschluss nicht anerkannt. Später konnte ich nicht weiterstudieren, wegen finanzieller Gründe. Am Ende bin ich zum Taxi gekommen. Ich fahre Taxi jetzt seit 14 Jahren.“

    Und seit 14 Jahren stellen Makis Fahrgäste die immer gleichen Fragen:

    „Woher kommen Sie? Wie lange sind Sie hier? Dann sage ich, ja seit 1993. Eine Frage beantworte ich nie, weil ich kann sie nicht richtig antworten: Warum sind Sie in Deutschland? Es ist eine sehr traurige Geschichte, warum ich hergekommen bin.“

    Die bekommt das Publikum später zu hören, über das Autoradio. Sie spielt im kurdischen Nordirak nach dem zweiten Golfkrieg. 

    Liebesgeschichte ohne Happy End
    „Damals hab ich mit einer NGO gearbeitet, und ich habe eine Deutsche Journalistin kennen gelernt.“

    Eine Liebesgeschichte ohne Happy End: Anschläge sind an der Tagesordnung. Nach einem Bombenattentat entschließt sich Maki zur Flucht nach Deutschland. Seine Freundin bleibt und wird zwei Jahre später von Saddam Husseins Schergen erschossen. 

    „Zwei Jahre habe gesagt, ich werde aufzuhören. Aber konnte ich nicht. Es ist eine Sucht“,

    hatte Maki kurz vorher in seinem Taxi erzählt. Man ahnt warum: Das Taxi als letzter Rückzugsort um mit den eigenen Erinnerungen nicht alleine zu sein. Die Erinnerungen und die Geschichten der Fahrgäste kommen an diesem Abend kaum zur Sprache. Dass was das Taxi in Jim Jarmuschs Film „Night on Earth“ oder zuletzt in Jafar Panahis „Taxi“ zur faszinierenden Bühne intimer Begegnungen auf Zeit macht, fehlt.

    Die Taxis fahren kreuz und quer durch die Nacht immer dem realen Leben hinterher und kommen nie da an, wo Theater wirklich spannend wird, da wo die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmt.

    #Taxi #Theater #Berlin #hellelfenbein

    • Antirassistischer Denkmalsturm - Auch der Philosoph Immanuel Kant steht zur Debatte

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      Nach den Antirassismus-Protesten weltweit hofft der Historiker Michael Zeuske auf einen kulturellen Wandel. Auch in Deutschland müsse über historische Persönlichkeiten wie den Philosophen Immanuel Kant neu diskutiert werden.

      Auch an diesem Wochenende wird europaweit gegen Polizeigewalt und Rassismus demonstriert. „Black Lives Matter“, heißt es in London, Paris und Berlin. In der englischen Stadt Bristol wurde vor einigen Tagen die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston vom Sockel gerissen und symbolisch ins Hafenbecken geworfen. Von dort legten die meisten Sklavenschiffe ab.

      #audio #radio

      https://www.deutschlandfunkkultur.de/antirassistischer-denkmalsturm-auch-der-philosoph-immanuel.101

    • Denkmalsturz-Debatte: Kant und die Stammtischwahrheiten

      Was Immanuel Kant an Gedanken über den Begriff der Rasse publiziert hat, wurde schon zu seinen Lebzeiten nicht immer mit Ehrfurcht behandelt oder auch nur ernst genommen. Johann Daniel Metzger, ein Universitätskollege Kants, der in Königsberg Anatomie lehrte, veröffentlichte 1786 einen Aufsatz „Ueber die sogenannten Menschenracen“, in dem er sich mit Kants Abhandlungen „Von den verschiedenen Racen der Menschen“ von 1777 und „Bestimmung des Begrifs einer Menschenrace“ von 1785 auseinandersetzte. Zu Kants Vorschlag, vier „Keime“ anzunehmen, die vier durch Hautfarben unterschiedene Rassen erzeugen und für die Unveränderlichkeit dieses vererbten Merkmals sorgen, nahm Metzger Stellung, indem er zunächst einen anderen Autor anführte, Johann Gottfried Herder. Was Herder darlege, dass „die Abartungen der Menschengattungen“ durch den Einfluss von Ort und Zeit entstünden, „klimatisch und genetisch“, das sage uns „die genaue Beobachtung der Natur“. Solche Bestätigung durch die Naturbeobachtung war nach Metzger für Kants Lehrstück von den Hautfarben nicht zu haben. „Von den viererley Keimen eines einzelnen Menschenstammes schweigt sie hingegen gänzlich, und ich hätte beynahe Lust über diese weissen, schwarzen, rothen und gelben Keime ein wenig zu lachen, wenn die schuldige Hochachtung für den Herrn Prof. es mir nicht untersagte.“

      Wie viel Stoff zum Lachen das von Kant zusammengetragene Wissen über die vermeintlich augenfälligen Unterschiede zwischen den sehr weit von einander entfernt lebenden Völkergruppen der Menschheit bietet, erkannte vor vier Jahrzehnten der Schriftsteller Eckhard Henscheid, als ihm die 1802 gedruckte Ausgabe von Kants Vorlesungen über „Physische Geographie“ in die Hände fiel. Er veranstaltete eine separate Neuausgabe des Kapitels über die Afrikaner, ergänzt um eine eigene Fortschreibung der kantischen Ethnographie, die unter Überschriften wie „Physiologie und Körperbau" oder „Geschlechtsbarkeit und Pflöckeln" den Untersuchungsgegenstand in absurdem Nominalismus entgrenzte und beispielsweise auch den Mainzer Karnevalssänger Ernst Neger als Spezimen heranzog. Das Ganze wurde ein mehrfach auch als Taschenbuch nachgedrucktes Büchlein, auf dessen Titelblatt Henscheid nach dem Brauch der Naturwissenschaft als Ko-Autor Kants in Erscheinung trat: Immanuel Kant / Eckhard Henscheid, Der Neger (Negerl).

      Es ist keine Spekulation, wenn man behauptet, dass dieses Buch unter diesem Titel (ohne den es witzlos würde) heute nicht wieder aufgelegt werden könnte. Selbst seine Behandlung in einem Universitätsseminar der Germanistik wäre unmöglich, und zwar schon deshalb, weil die Studenten sich typischerweise die Forderung afrodeutscher Bürgerrechtsaktivisten zueigen gemacht haben, dass kein Weißer das N-Wort in den Mund nehmen dürfe – noch nicht einmal zitierend.
      Studenten und andere Minderheiten

      Der Rezensent des Norddeutschen Rundfunks stellte 1982 fest, dass Henscheid die meisten der von Kant wieder abgedruckten Sätze auch selbst hätte fabrizieren können. „Die Neger werden weiß geboren, außer ihren Zeugungsgliedern und einem Ringe um den Nabel, die schwarz sind. Von diesen Theilen aus ziehet sich die Schwärze im ersten Monate um den ganzen Körper.“ Der NDR-Kritiker charakterisierte diese Aussagen als „Stammtischwahrheiten“; das heißt als Pseudo-Wissen, in dem Gerüchte, Phantasien und ein winziger Extrakt von Angelesenem unentwirrbar vermengt sind. Was fand Henscheid an diesem Wust anachronistischer Ist-Aussagen interessant für ein Lesepublikum der nicht mehr ganz jungen Bundesrepublik?

      Im NDR gab es eine Antwort. „Worauf er mit seinen Sentenzen hinauswill, zeigt folgende Wortkombination: ,Neger sind die Frauen unserer Zeit. Wo man hinschaut, Unterdrückung. Neger sind die Juden unserer Zeit. Also praktisch Studenten. Und andere Minderheiten.“ Mit „dieser verdrehten Logik“, so der Rezensent, entlarvte Henscheid die „Sprachhülsen“ einer politischen Rhetorik, in der die Erfahrung der Unterdrückung zur kleinen Münze geworden war, weil von der universellen Umtauschbarkeit auch Nichtbetroffene profitierten. Wenn der Kritiker weiter referiert, dass Henscheid „mit der ,Black is Beautiful‘-Mentalität und deren verharmlosender Anpassungstendenz“ aufräumen wolle, klingt das heute anstößig, bis man erkennt, dass man Henscheid auch als Pionier der Kritik an der kulturellen Aneignung würdigen kann. Henscheids „Aufruf an alle deutschen Neger" richtete sich gegen die Dummheit eines kulturbürgerlichen Milieus, dem bei allem ideologiekritischen Eifer nie in den Sinn kommt, dass auch die eigenen aufgeklärten Parolen für Außenstehende nachgeäfft und deshalb lächerlich klingen könnten. „Angesichts der bescheuerten Popper und Punker, angesichts des elendiglichen Lehrerüberangebots: Macht den Deutschen Beine. Inklusive Jimmy Hartwig!" (Jimmy Hartwig ist ein Fußballer, der 1982 für den HSV spielte.)

      Heute lassen sich die Deutschen wenigstens in den Kulturredaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von einer revolutionären Stimmung Beine machen, die auf den Sturz der Denkmäler von Sklavenhändlern, Reichsgründern und anderen des Rassismus verdächtigten Personen drängt. Im Deutschlandfunk Kultur sagte Michael Zeuske, ein Historiker der Sklaverei, der an der Universität Bonn forscht, wenn man die Denkmäler von Rassisten stürzen wolle, müsse man „beispielsweise“ an Kant „rangehen“, der „in seinen anthropologischen Schriften den europäischen Rassismus mit begründet“ habe. Ein solches Urteil kann sich scheinbar auf die zeitgenössische Rezeption dieser Schriften stützen.
      Die Grenzen der Satire

      Für Metzger bewiesen sie „die Unkenntniß des Herrn Prof. in der Physiologie“; Kant zeige, dass er „in dieser Wissenschaft ganz Fremdling“ sei. Damit scheint ein Merkmal des volkstümlichen Rassismusbegriffs erfüllt: die Unwissenschaftlichkeit einer Einteilung der Menschheit entlang erblicher Eigenschaften. Kant hatte diese Eignung des Ererbten für stabile Distinktionen auf eine einzige Eigenschaft, die Hautfarbe, beschränkt und damit auch eigene frühere Positionen korrigiert, aber genau in diesem Punkt widersprach ihm Metzger: „Der Mohr aus Senegambien wird zwar in Frankreich Mohr bleiben, weil ihm das Clima sein unauslöschliches Siegel aufgedrückt hat. Er wird auch seine Rechte auf seine Nachkommenschaft noch behaupten, weil Generationen dazu gehören, wenn Menschen aus einem Clima einem andern anarten sollen -; allmählich aber wird die Umänderung doch geschehen. Seine Ururenkel werden die mächtige Hand des Clima und einer veränderten Lebensart unfehlbar an sich erfahren.“

      Der Mohr auf französischem Boden wird demnach ungefähr in der vierten Generation zum Weißen werden und so vor Augen führen, dass „kein einziges Merkmal einer Menschenvarietät unvertilgbar erblich“ ist. Bei Kant steht das Gegenteil. Einen entsprechenden Satz übernahm Henscheid: „Die Europäer, die in dem heißen Erdgürtel wohnen, werden nach vielen Generationen nicht Neger, sondern behalten ihre europäische Gestalt und Farbe.“ Dieser in der NDR-Rezension zitierte Satz wirkt auf uns wie eine Stammtischweisheit in dem Sinne, dass er mit dem Pathos der Umständlichkeit etwas Selbstverständliches ausspricht; zum Stammtisch gehört neben dem weit Hergeholten und dem böse Erfundenen auch das allzu Naheliegende. Der Disput mit Metzger zeigt, dass diese Aussage des physischen Geographen Kant in seiner Zeit aber keineswegs selbstverständlich war.

      Wir erkennen hier, wo Henscheids Verfahren der satirischen Evidenz durch Zitatmontage an seine Grenzen stößt. Die gesammelten Aussagesätze Kants über Körper- und Lebensform der Afrikaner waren nicht allesamt von vornherein so bizarr, wie sie im Rückblick scheinen mögen. Man kann sie nur verstehen, wenn man sie als Beiträge zu einer wissenschaftlichen Diskussion nimmt, in der auch Kants disziplinär zuständigerer Kollege Metzger nicht in allen Punkten die moderne Forschungsentwicklung vorwegnahm. Die wichtigste, nämlich stark einschränkende Bedingung dieser Diskussion war, dass ihr Material aus zweiter Hand stammte.
      Konsistenz hat ihren Preis

      Forscher, die Theorien über den Zusammenhang klimatischer und genetischer Faktoren bei der Ausdifferenzierung der Menschheit aufstellten, waren auf Berichte von Reisenden angewiesen. Der Philosoph Oliver Eberl aus Hannover hat 2019 in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Kantian Review“ die These aufgestellt, dass Kant im Zuge seiner Beschäftigung mit den außereuropäischen Völkern das Belegmaterial vom Typus des Souvenirs wegen Unzuverlässigkeit am Ende systematisch ausgeschieden habe. In dieser Sicht entspräche der Ablehnung von Sklaverei und Kolonialherrschaft, die Kant in seinen späten moralphilosophischen Schriften begründete, eine skeptische Selbstbeschränkung bei der Einschätzung der Möglichkeiten einer empirischen Völkerkunde.

      In der „Welt“ hat Norbert Bolz den neuen Streit um Kant auf die aphoristische Formel gebracht, das Zur-Debatte-Stellen ersetze das Studieren. Das kann nur schreiben, wer selbst nicht liest. Bolz führt die Zeitungsleser in die Irre, indem er ihnen den Stand der Kant-Forschung verschweigt. Über die Frage, wie sich Kants empirische Untersuchungen über die Menschen mit seiner ethischen Theorie für den Menschen begrifflich verbinden lassen, wird dort seit Jahren gestritten, mit Gründen und Gegengründen, wie sie Kant, Herder und Metzger im Streit über die „Race“ austauschten.

      Pauline Kleingeld von der Universität Groningen hat Begriffe für die Alternative gefunden, vor die sich viele ihrer Kollegen gestellt sehen: Soll man Kant als inkonsistenten Gleichheitsdenker ansehen oder als konsistenten Ungleichheitsdenker? Kleingeld beschreibt mit diesen verschränkten Formulierungen ein schulmäßiges Dilemma: Die Herstellung von Konsistenz, also Widerspruchsfreiheit, die Ziel des philosophischen Denkens und auch der sogenannten Rekonstruktion der Gedanken verstorbener Philosophen ist, scheint bei Kant nur um den Preis einer politisch unwillkommenen Bestimmung des Gehalts seiner Philosophie erreichbar.
      Die Einheit der Menschheit

      Der aus Jamaika gebürtige Philosoph Charles Mills, der an der City University of New York lehrt, zahlt diesen Preis. Er will sexistische und rassistische Implikationen des Kategorischen Imperativs explizit machen: Mit dem Menschen, an den sich der Befehl zur Selbstgesetzgebung richtet, meine Kant tatsächlich nur den weißen Mann, daher sei es kein Widerspruch, wenn Kant Afrikanern und Frauen die Fähigkeit zur Regelung der eigenen Angelegenheiten abspreche. Für die Personen, die keine Menschen im Sinne des ethischen Schemas sein sollen, hat Mills einen polemischen Namen. „Kants Untermenschen“. Mills hält einen „schwarzen radikalen Kantianismus“ gleichwohl und erst recht für möglich: Das politische Pendant zu seiner Analyse der stillschweigenden Voraussetzungen von Kants Idee der Menschheit ist die Kritik des liberalen Ideals der Farbenblindheit.

      Kleingeld hat Kant in einem einflussreichen Aufsatz „second thoughts“ zum Thema der Rasse bescheinigt: Sie möchte die Inkonsistenz durch den Nachweis eines Prozesses der Revision wenigstens vermindern. Allerdings wendet sie sich eine rettende Hermeneutik, die gegenläufig zu Mills einen konsequenten Egalitarismus für die wahre Implikation von Kants Lebenswerk hält. Eine gendergerechte Reformulierung von Kants Lehrsätzen lehnt sie ab, solange die Lehren des historischen Kant gemeint sind: Es sei irreführend, für Kants Subjekt das Pronomen „sie“ oder auch „sie oder er“ einzusetzen.

      Der Berliner Philosoph Stefan Gosepath hat im Deutschlandfunk Kultur die Frage nach „gedanklicher Schuld“ Kants gestellt, ohne zu erklären, welche Erkenntnisabsicht Kant mit seinen Überlegungen über eine Rangordnung der Menschenrassen überhaupt verfolgt haben könnte. Diesen Kontext stellt Eberl bereit: Kant fand den Diskussionsstand einer Wissenschaft vom Menschen vor, die den Menschen als Naturwesen betrachten und mit naturwissenschaftlichen Methoden erforschen wollte. Damit wurden Menschen zu Objekten von Klassifikationen.

      Der Begriff der „Race“ war ein in dieser Fachdiskussion erörtertes Einteilungsschema unter anderen, und eine Pointe seiner Bestimmung durch Kant lag darin, dass er die Einheit der Menschheit intakt ließ. Andere Diskutanten wie der Weltreisende Georg Forster schlugen nämlich vor, verschiedene Menschenarten anzunehmen. Mit der Geduld des wahren Philosophen hat Daniel-Pascal Zorn in einer Reihe von Diskussionsfäden bei Twitter auseinandergelegt, mit was für einer Art von Denken man es hier zu tun hat: einer Wissenschaft, die Hypothesen bildet, das heißt Behauptungen unter dem Vorbehalt der Falsifikation. Als „Debattenbeiträge“ schließen Kants Texte auch Paraphrasen sowie Antithesen ein, deren Form von den zurückgewiesenen Thesen mitbestimmt wird. Zorns wichtigster methodischer Hinweis: Sachaussagen diesen Stils darf man nicht vorschnell mit dem Ausdruck persönlicher Überzeugungen identifizieren. Eine präzise Bestimmung dessen, was zwischen den Diskutanten strittig war, kann dann auch die ethische Dimension der Kontroverse an den Tag bringen. Zwischen Forster und Kant ging es laut Zorn um „Gleichberechtigung im biologischen Unterschied versus Beschreibung von Unterschieden bei Anerkennung des Gleichen im Verschiedenen“.

      Kants philosophischer Ruhm bedeute nicht, „dass er nicht auch bestimmte moralische Fehler auch in seinem Werk begangen hat“, sagte Stefan Gosepath im Radio. Aber wann ist ein Argument, selbst wenn es verworfen wird, als moralischer Fehler zu bewerten? Die „Vertreter der Aufklärung“ seien „nicht unschuldig“, sagte Gosepath weiter. Nur woran?

      Gosepath zitierte einen der bekanntesten Aussprüche Kants, der seine Bekanntheit dem englischen Philosophiehistoriker und Essayisten Isaiah Berlin verdankt: „Wir Menschen sind, wie Kant dann selber sagt, aus einem krummen Holz geschnitzt.“ Solche Sentimentalität gibt das Bemühen um Konsistenz preis. Kants Lehre und Publikationstätigkeit auf dem Feld der naturkundlich informierten Anthropologie, die ihn immerhin jahrzehntelang beschäftigte, erscheint dann als menschliche Schwäche, die irgendwie entschuldigt werden muss. Die Hochachtung, die man einem Wissenschaftler schuldig ist, gebietet aber nur eines: ihn zu lesen und jedes Urteil über die Lektüre mit einem Grund zu versehen.

      https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/denkmalsturz-debatte-rassismusvorwuerfe-gegen-immanuel-kant-16821689.html?GEPC=

    • Wurzeln des Rassismus: Was Kant zu wissen meinte

      War Immanuel Kant ein Rassist? Statue vor der Universität in Kaliningrad Bild: Picture-Alliance

      Der berühmte Philosoph hat sich übel über Rassen geäußert, Schüler trugen seine kruden Theorien weiter. Was sagt das über ihn, seine Zeit und sein Gesamtwerk?

      Wann immer in Deutschland über Rassismus diskutiert wird, kommt die Rede über kurz oder lang auch auf Immanuel Kant, den großen Philosophen aus Königsberg. Auch der sei Rassist gewesen, heißt es dann. Er habe in unfassbarer Weise über Rassen – bei ihm: Race – schwadroniert. Der Bonner Historiker Michael Zeuske, ein Spezialist für die Geschichte der Sklaverei, nannte den Philosophen im Deutschlandfunk jetzt einen Mitbegründer des europäischen Rassismus. Auch Kant müsse man „in den Blick nehmen“, wenn man es ernst meine „mit der Aufklärung von Rassismus und dem Stürzen von Denkmälern“.

      Frank Pergande

      Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

      F.A.Z.

      Kritik an Kant gab es schon früher. Derzeit aber ist sie Teil einer weltweiten Bewegung, die sich nach dem Fall des Schwarzen George Floyd, der in Minneapolis von Polizisten getötet wurde, zuerst in den Vereinigten Staaten bildete. Der Protest richtete sich gegen die Polizei, wuchs dann aber weit darüber hinaus. Seine Wucht hat dazu geführt, dass inzwischen viele Zeugnisse der Sklavenhalter- und Kolonialgeschichte Amerikas abgerissen wurden. Einige Statuen früherer Südstaatengenerale sind weg, ebenso solche für einfache Soldaten. In Richmond im Bundesstaat Virginia stürzten Demonstranten auch ein Standbild des Amerika-Entdeckers Christoph Kolumbus.

      https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wurzeln-des-rassismus-was-der-philosoph-kant-zu-wissen-meinte-16824066.html

    • Kants Rassismus: Ein Kind seiner Zeit

      Kant war ein Rassist. Aber was folgt aus dem Befund, dass der Kritiker der Vorurteile seinen Universalismus nicht zu Ende dachte – und was nicht? Ein Gastbeitrag.

      In einer Zeit, in der Denkmäler von Rassisten und Sklavenhändlern gestürzt werden, wird nun auch diskutiert, ob der Philosoph Immanuel Kant (1724 bis 1804) vom Sockel gestoßen werden müsse, denn er sei, so der Bonner Historiker Michael Zeuske, durch seine Theorie der Menschenrassen ein Vorreiter des Rassismus und Kolonialismus in Deutschland gewesen. Patrick Bahners hat in diesem Feuilleton am 19. Juni zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser Vorwurf insofern unbegründet ist, als Kant seine Theorie der Menschenrassen als einen Beitrag zu einer laufenden wissenschaftlichen Diskussion verstanden hat.

      Tatsächlich habe Kant seine Position mehrfach revidiert und den Begriff der Menschenrasse schließlich aufgegeben. Volker Gerhardt hat in der „Welt“ betont, dass Kant sich äußerte, bevor der Rassismus des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts und insbesondere die Rassenideologie der Nationalsozialisten die ganze politische und moralische Problematik des Rassenbegriffs offenkundig gemacht haben. Zudem sei Kant in seinen späten Werken gerade kein Vorreiter, sondern ein vehementer Kritiker des Kolonialismus gewesen.

      https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wie-man-kants-rassismus-bewerten-muss-16827398.html

    • Kants Rassismus: Die falsche Frage

      Die Frage, ob Immanuel Kant ein Rassist war, ist falsch gestellt. Das entscheidende Problem liegt nicht in Kants rassistischen Einstellungen, sondern in der Frage, inwiefern wir sein philosophisches Werk vor dem Hintergrund der Ausführungen zu „Rasse“ neu verstehen müssen.

      Schließlich hat Kant sich nicht nur nebenbei abwertend über nichtweiße Menschen geäußert. Seine „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace“ (1785) war ihm vielmehr – gerade aus dem Hintergrund seines philosophischen Begriffsrahmens heraus – ein zentrales „wissenschaftliches“ Anliegen. Dies zeigt insbesondere der spätere Text „Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie“ (1788), mit dem er auf Kritik an seiner Theorie der „Rasse“ reagierte.

      https://www.faz.net/aktuell/wissen/kants-begriff-der-rasse-als-philosophische-diskussion-16838954.html

    • Prüfung eines Zitats: Kant war ein Anti-Rassist

      Der freundliche Herr auf dem Podest gehört keiner der Menschenrassen an, über deren Einteilung Kant mit den Wissenschaftlern seiner Zeit stritt. Als Denkmäler des beinahe schon aufrechten Gangs präsentierte Georges-Louis Leclerc de Buffon im vierzehnten Band seiner von Kant ausgewerteten Naturgeschichte auch die Menschenaffen. Bild: Bridgeman Images

      War Kant ein Rassist? Diesem Urteil des Kant-Forschers Marcus Willaschek liegt ein Zitat zugrunde, das gar nicht von Kant stammt. Empirischen Unterschieden zwischen den Menschen sprach der Philosoph jede moralische Bedeutung ab. Ein Gastbeitrag.

      Man muß, so sehr man auch, und zwar mit Recht der Frechheit der Meinungen feind ist, eine Geschichte der Natur wagen, welche eine abgesonderte Wissenschaft ist, die wohl nach und nach von Meinungen zu Einsichten fortrücken könnte.

      Immanuel Kant: „Von den verschiedenen Racen der Menschen“, 1775

      „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der amerikanischen Völkerschaften.“ Diese Sätze sollen hier kurz „das Zitat“ heißen. Sie gehören zur „Physischen Geographie“, die in Band 9 der Akademieausgabe von „Kants Schriften“ enthalten ist. Der Frankfurter Kant-Spezialist Marcus Willaschek hat das Zitat in seinem Artikel „Kant war ein Rassist“ gebraucht, um Kant zu beschuldigen, Rassist gewesen zu sein. An dieser Tatsache würden die von Patrick Bahners in diesem Feuilleton gegebenen Hinweise (Kant habe „seine Theorie der Menschenrassen als einen Beitrag zu einer laufenden wissenschaftlichen Diskussion verstanden“, auch habe er „seine Position mehrfach revidiert“ und „den Begriff der Menschenrasse schließlich aufgegeben“) nichts ändern, jedenfalls dann nicht, wenn man (so Willaschek) unter einem Rassisten jemanden verstehe, der Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und ähnlicher Merkmale pauschal herabsetzt.

      https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/pruefung-eines-zitats-kant-war-ein-anti-rassist-16851951.html

    • Debatte um Immanuel Kant: Kant war sehr wohl ein Rassist

      Michael Wolff nimmt Anstoß an meiner Feststellung, Kant sei Rassist gewesen. Er wendet ein, dass Kants Theorie der Menschenrassen auf die Einheit der menschlichen Gattung hinauslaufe und daher seinem moralischen Universalismus nicht widerspreche. Ganz ähnlich hatte Bernd Dörflinger in einem Brief an die Herausgeber argumentiert. Wolff bezweifelt die Authentizität des Zitats aus Kants „Physischer Geographie“, auf das ich meine Aussage stütze: „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Theil der amerikanischen Völkerschaften.“ Diese Aussage stamme eigentlich von Buffon, den Kant hier nur zitiere. Ob Kant sie sich zu eigen gemacht habe, sei unklar.

      Doch das ist falsch. Zwar ist die Authentizität der „Physischen Geographie“ umstritten (worauf ich hingewiesen hatte), aber dass Kant an dieser Stelle in eigener Stimme spricht, geht unter anderem daraus hervor, dass er sich genauso in Schriften äußert, deren Authentizität unstrittig ist. So heißt es in dem Aufsatz „Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien“ von 1788, die „Einwohner Amerikas“ seien „unfähig zu aller Cultur“, weshalb diese „Rasse“ „noch tief unter dem Neger selbst steht, welcher doch die niedrigste unter allen übrigen Stufen einnimmt“. Eine ähnliche Rassenhierarchie hatte Kant 24 Jahre zuvor in „Über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“ vertreten. Auch wenn Kant diese Auffassung später aufgegeben haben sollte, wie Pauline Kleingeld argumentiert, ist unstrittig, dass er jahrzehntelang an ihr festhielt.

      https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/warum-kant-sehr-wohl-ein-rassist-gewesen-ist-16860444.html

    • Warum den großen Menschheitsphilosophen die Sklaverei egal war by #Michael_Zeuske

      Michael Zeuske ist Historiker am Center for Dependency and Slavery Studies an der Universität Bonn. Zuletzt veröffentlichte er „Sklaverei. Eine Menschheitsgeschichte. Von der Steinzeit bis heute“, Stuttgart, Reclam, 2018.

      Die Black Lives Matter-Proteste gegen Rassismus, ausgelöst vom Tod des Schwarzen Amerikaners George Floyd durch Polizeigewalt, haben die Debatte über Sklaverei und ihre Folgen angeheizt und verändert.

      Sklaverei war und ist ein globales Phänomen. Ihre Hochzeit in Bezug auf Wirtschaft und Institutionen des Westens hatte sie in der atlantischen Sklaverei 1450-1888 gefunden. In dieser Zeitspanne wurden etwa 11 Millionen Menschen aus verschiedenen Teilen Afrikas verschleppt.

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      Allein im 18. Jahrhundert waren es etwa sechs Millionen Menschen aus Afrika, im 19.Jahrhundert nochmals rund zwei bis drei Millionen.

      Sie wurden durch europäische oder amerikanische Sklavenhändler, Kapitäne und Schiffe in die Karibik, nach Brasilien, in das Spanische Amerika (heute Lateinamerika) und nach Nordamerika transportiert und mit meist hohen Profiten für Sklavenhändler und Kapitäne verkauft.
      Auch Preußen versuchte sich im Sklavenhandel

      Die Erforschung dieses atlantischen Sklavenhandels – so wird er in Afrika genannt - ist nicht ganz einfach. Die beste Darstellung der Schiffe, Sklavenhandelsfahrten und Zahlen von Versklavten findet sich auf www.slavevoyages.org. Die nationalen Hauptprofiteure waren Portugal, Spanien, Großbritannien, Frankreich und die Niederlande, zeitweilig auch Dänemark, Schweden sowie Brandenburg-Preußen.

      Es gab Versuche Preußens, Kolonien in Afrika und in der Karibik zu halten und zwischen ihnen Sklavenhandel zu treiben. Da diese Versuche letztendlich gescheitert sind, herrscht in deutschsprachigen Gebieten heute die Meinung vor, man habe mit Sklaverei und Sklavenhandel nichts zu tun gehabt.
      Groß-Friedrichsburg, der Hauptort der brandenburgischen Kolonie an der Guinea-Küste. Zeichnung, 1688.Foto: akg-images

      Das ist allerdings nicht richtig. Zum einen konnte man schon 1774 informiert sein, in dem Jahr lagen die Werke des Rassisten und Sklavenhalters Edward Long (History of Jamaica in drei Bänden) vor.

      Zweitens gab es im Heiligen Römischen Reich und in den deutschen Staaten, aber auch sonst in Europa, viele Kindersklaven aus Afrika. Aus Gebieten mit muslimischer Bevölkerung gab es viele Kriegsgefangene, die versklavt wurden, insbesondere aus dem Osmanischen Reich.

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      Und nicht zuletzt profitierten vor allem Hafenstädte und Produktionsgebiete von Leinen, bedruckter Baumwolle oder Kleineisenwaren in Europa als eine Art Sklaverei-Peripherie von der atlantischen Sklaverei-Wirtschaft. Dies traf auch auf den Handel mit tropischen Luxuswaren zu – wie Zucker, Kaffee, Baumwolle, Tabak, Zigarren, Tee, Farbstoffen oder Kakao –, die oft von Versklavten hergestellt worden waren.

      Kein deutscher Philosoph des 18. oder 19. Jahrhunderts ist ohne eines dieser von Sklaven hergestellten Luxusgüter, auf Neudeutsch „commodities“, ausgekommen. Und es gab auch Investitionen in Sklavenhandel und Versicherungen von Sklavenschiffen sowie direkte Beteiligungen am Sklavenhandel durch den Kauf von Plantagen. So besaß beispielsweise ein Mitglied der Schweizer Familie Escher eine Kaffeeplantage auf Kuba, zu der auch mehr als 80 Sklaven gehörten.
      Das Thema Sklaverei interessierte viele Universalgelehrte nicht

      Sklaverei wirkte also weit über ihr direktes Einzugsgebiet hinaus – räumlich wie zeitlich. Die Gelehrten der deutschen Gebiete, wie Immanuel Kant in Königsberg und andere in Weimar oder Jena, aber auch Weltreisende wie der Schriftsteller und Naturforscher Georg Forster beschäftigten sich in den Jahren vor der französischen Revolution 1789-1795 und der Sklaven-Revolution von Saint-Domingue/ Haiti (1791-1803) eher selten direkt mit dem Thema Sklaverei oder dem Schicksal Versklavter.

      Vielmehr geschah dies über den Umweg der Beschäftigung mit den sogenannten Entdeckungsreisen, der Genese „des Menschen“ sowie dem Universalismus ihrer jeweiligen Denkansätze und Beobachtungen. Sie benutzten dabei die gleiche Sprache und oft auch ähnliche Worte – zogen aber unterschiedliche Schlüsse.

      Kant, der erste unter den Aufklärungs-Philosophen, entwarf in seinen Schriften zur Anthropologie, aber auch in denen über Ästhetik sowie zur physischen Geographie, eine Systematik der unterschiedlichen Menschen, die auf der Erde zu finden waren. In dieser Systematik werden Menschen aufgrund von Differenzmarkern klar in „Menschenracen“, wie es bei ihm heißt, eingeteilt.
      Kant und die Rassen

      Bei Kant sind es meist vier „Racen“: „…1) die Rasse der Weißen, 2) die Negerrasse, 3) die hunnische (mungalische oder kalmukische) Rasse, 4) die hinduische oder hindistanische Rasse. Zu der erstern, die ihren vornehmsten Sitz in Europa hat, rechne ich noch die Mohren (Mauren von Afrika), die Araber …, den türkisch-tatarischen Völkerstamm, und die Perser, imgleichen alle übrigen Völker von Asien, die nicht durch die übrigen Abteilungen namentlich davon ausgenommen sind... Endlich scheinen die Amerikaner eine noch nicht völlig eingeartete hunnische Rasse zu sein.“

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      Für Kant spielten Klima, Anpassung und physische Geografie, aber auch die Frage, ob die Menschen Staaten oder Imperien gebildet und Kolonien hatten, visuelle Körpermerkmale, geistige Fähigkeiten, Faulheit oder Fleiß sowie Hautfarben eine Rolle. Im Grunde ist das eine frühe, aber sehr systematische Diskriminierung durch Differenzmarker.

      Kant hat den „Racen“-Begriff und die „Racen“-Ordnung im Rahmen seines Gesamtwerkes zwar relativiert: Sie waren für Kant, wie Jürgen Goldstein in seinem Buch über den Schriftsteller und Naturforscher Georg Forster schreibt, „nicht von zentraler Bedeutung“. Vielmehr blieb Kants „universale, auf dem Vermögen der praktischen Vernunft beruhende Moralphilosophie von der Rassendifferenzierung gänzlich unberührt“.
      Kants Schriften zu Rassenunterschieden wurden viel diskutiert

      Ich darf hinzufügen, dass auf Kants Schultern alle stehen, die sich mit Erkenntnissen, Vernunft, Wahrheit, Globalgeschichte und Wissen beschäftigen, auch wenn sie, wie ich, keine Kantianer oder Neo-Kantianer sind. Und Kants Schriften, auch seine kleineren, in denen er Rasse als Konzept begründete, waren damals in der Welt. Die Schriften wurden Grundlage einer intensiven Debatte zwischen Georg Forster und Immanuel Kant.

      Forster war ein mobiler Intellektueller und empirischer Forscher. Im Gegensatz zu Kant, der Philosophie im Lehnstuhl betrieb, hatte Forster die Welt mit eigenen Augen gesehen – unter anderem auf der Weltumseglung mit James Cook 1772-1775. Es war ein sehr heftiger Streit, der oft auf gleichen Worten und Ideen – etwa von der Genese des Menschen beruhte.

      Aber eines war klar, wie Jürgen Goldstein nachwies: „Forsters auf Erfahrung beruhende Anthropologie betont immer wieder und unermüdlich die Einheit der verschiedenen Völker und Menschengruppen, trotz aller Unterschiede und der durchscheinenden Skala von Zivilisationsstufen.“
      Alexander von Humboldt lehnt Hierarchie von Menschenrassen ab

      Alexander von Humboldt, der Freund und Bewunderer Forsters, hat diese Haltung – nach vielen Jahren der Reisen und empirischen Forschungen sowie von Publikationen gegen Sklaverei und Sklavenhandel – in seinem Werk „Kosmos“ auf den Nenner gebracht: „Indem wir die Einheit des Menschengeschlechts behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenracen“. Humboldt war gegen Rassen – sowohl als Begriff wie auch in der Realität.

      Kant hätte, bevor er sich für die scharfen Differenzmarker entschied, auch auf Latein die Schriften des schwarzen Deutschen Anton Wilhelm Amo lesen können, er hätte den Anatomen und Anthropologen Johann Friedrich Blumenbach zur Kenntnis nehmen können, der sich gegen scharfe Differenzgrenzen und gegen höhere und niedere „Racen“ aussprach.

      Oder er hätte sich mit dem Buch des ehemaligen Sklaven und Abolitionisten Olaudah Euquinao beschäftigen können, das allerdings erst 1789 und auf Englisch erschien (Merkwürdige Lebensgeschichte des Sklaven Olaudah Equiano, von ihm selbst veröffentlicht im Jahre 1789. Insel Verlag, 1990).
      Muss ein Berg nach einem Rassisten benannt bleiben?

      Was die Denkmäler oder besser Denkmale als Orte der Erinnerung und öffentliche Fixpunkte eines herrschenden Geschichtsbildes angeht, so bin ich als Historiker natürlich gegen das gewaltsame Zerstören, Niederreißen oder Beschmieren. Auch historische Texte und ihr Vokabular sowie historische Bilder müssen als Quellen erhalten bleiben.
      Die Statue des Konföderierten-Generals Albert Pike wurde von Demonstranten gestürzt.Foto: dpa

      Ich bin grundsätzlich für eine Debatte, für die Offenlegung des dahinterstehenden Geschichtsbildes, für Gegendenkmäler und natürlich für neue Denkmäler, die ein neues Geschichtsbild repräsentieren. Aber muss ein Berg nach einem Rassisten benannt werden? In der Schweiz bemühen sich Historiker, Intellektuelle und Aktivisten beispielsweise schon lange darum, dass das Agassizhorn, ein 3946 Meter hoher Berg der Berner Alpen umbenannt wird.

      Er trägt den Namen des wohl bedeutendsten „wissenschaftlichen“ Rassisten des 19.Jahrhunderts, der damals modernste Darstellungsmethoden für seine Thesen benutzte, und er soll umbenannt werden in Rentyhorn – nach einem Sklaven aus dem Kongo, den Agassiz fotografieren ließ, um die von ihm behauptete Minderwertigkeit der Schwarzen visuell „zu beweisen“.

      https://www.tagesspiegel.de/politik/die-denker-und-ihr-kaffee-warum-den-grossen-menschheitsphilosophen-die-sklaverei-egal-war/25953892.html

  • Moshe Zuckermann zur Debatte um Mbembe - „Antizionismus, Antisemitismus und Israelkritik sind drei Paar Schuhe“
    Beitrag vom 25.04.2020
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/moshe-zuckermann-zur-debatte-um-mbembe-antizionismus.1013.de.h
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/5/5678b0b7e15b618164c1c3c2a7f7bce5v1_max_635x357_b3535db83dc50e2

    Die Vorwürfe wiegen schwer: Der renommierte Postkolonialismus-Theoretiker Achille Mbembe ein Antisemit? Der Historiker Moshe Zuckermann ist anderer Ansicht: Kritik am Staat Israel müsse auch in Deutschland möglich sein.

    Dem kamerunischen Postkolonialismus-Theoretiker und Historiker Achille Mbembe wird von Felix Klein, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, vorgeworfen, den Holocaust zu relativieren und die vom Bundestag als antisemitisch eingestufte Kampagne „BDS“ zu unterstützen. Mbembe weist beides entschieden zurück.

    Der israelische Historiker Moshe Zuckermann verteidigt Mbembe jetzt und meint, besagte Vorwürfe hätten weniger etwas mit Mbembe zu tun, als vielmehr mit „deutschen Befindlichkeiten“: In Deutschland haben man das Gedenken an den Holocaust und den Kampf gegen Antisemitismus „dermaßen verhunzt“, „dass man noch nicht begriffen hat, dass Israel, Zionismus und Judentum drei paar Schuhe sind. Was auch – negativ gewendet – heißt, dass Antizionismus, Antisemitismus, Israelkritik drei paar Schuhe sind.“

    Wer bestimmt, wer Antisemit ist?

    Kritik an Israel sei deswegen nicht gleichzeitig antisemitisch. Auch ein Vergleich des Umgangs Israels mit den Palästinensern mit dem Apartheidregime Südafrika hält Zuckermann für zulässig.

    Es gehe nicht darum, ob Menschen wie Achille Mbembe oder er selbst Antisemiten seien, sagt Zuckermann, sondern um „die Tatsache, dass man wieder von Deutschland aus bestimmt, wer Jude ist und wer nicht Jude ist, und wer Antisemit ist und wer nicht Antisemit ist, und sich dabei gar nicht die Frage stellt: Was betreibt Israel, dass es dazu führt, dass es zu diesen Strategien und zu dieser Kritik kommt?“

    #Antisémitisme #Antisionisme

  • ’The German government has sent the wrong signal by relaxing coronavirus lockdown’ - The Local
    https://www.thelocal.de/20200423/the-german-government-has-sent-the-wrong-signal-by-relaxing-coronavirus-loc
    https://www.thelocal.de/userdata/images/article/42cb3542101a9a273735d5ec12de3ff899b762d2622ee7406c5a7849d430d61d.jpg
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/0/0ace8a12d1a775174042b9b7e0b4814av1_abs_635x357_b3535db83dc50e2

    Virologist Melanie Brinkmann of the Helmholtz Centre for Infection Research in Braunschweig, told Spiegel that relaxing some lockdown measures leads people to think the coronavirus crisis in Germany is coming to an end.

    “People are now seeing that some measures are being relaxed, and this gives them the impression that they will soon be able to return to normal life." said Brinkmann.

    However, there is no chance of that happening anytime soon, she said.

    “The government has sent the wrong signal with the relaxation, and I am afraid that many people are now no longer taking the virus so seriously and are having more contact with other people again,” said Brinkmann.

    “If that happens, we will soon be back to where we started.”

    Contact restrictions, including a ban on gatherings of more than two people outside, are still in place in Germany up to and including May 3rd but public life is gradually reopening.

    But scientists have been saying the country should not move too quickly.

    Virologist Christian Drosten, warned in an NDR podcast that a second wave of infection could hit Germany with even greater force than the first. The virus “continues to spread” even with measures in place he said.

  • Buchautor über den Taxifahrer-Protest - Am Rand des Existenzminimums (Archiv)
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/buchautor-ueber-den-taxifahrer-protest-am-rand-des.1008.de.htm
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/2/2bac71eb117fd98423a5058827024771v1_max_635x357_b3535db83dc50e2

    Beitrag vom 21.02.2019 - Jochen Rausch im Gespräch mit Dieter Kassel

    Der Bundesverkehrsminister will neuen Fahrdiensten wie Uber den Marktzugang erleichtern. Taxifahrer fürchten um ihr mageres Einkommen. Jochen Rausch hat ein Buch über sie geschrieben und warnt, die Lebensgrundlage vieler Fahrer sei in Gefahr.

    Die von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer angestrebte Reform des Personenbeförderungsgesetzes soll es privaten Fahrdienst-Anbietern wie Uber künftig leichter machen. Unter anderem soll die Rückkehrpflicht für Mietwagenfirmen mit Fahrern abgeschafft werden. Bislang müssen die Fahrer nach jeder Tour an den Hauptstandort zurückkehren und dürfen anders als Taxis nicht auf der Straße auf Kunden warten. Das will Scheuer ihnen in Zukunft erlauben.

    Taxiunternehmen betrachten dies als existenzbedrohend. Die Branche wehrt sich gegen die Konkurrenz und protestiert, ruft zu Demonstrationen auf.

    Jochen Rausch, Autor und Journalist beim WDR, hat sich länger mit dem Job hinter dem Steuer beschäftigt. Für sein Buch „Im Taxi. Eine Deutschlandreise“ (2017) führte Rausch über 200 Gespräche mit Fahrern.

    Taxifahrer wird, wer keine andere Möglichkeit hat
    Tatsächlich, so Rausch, lebten viele Fahrer schon jetzt oft am Existenzminimum – was man unter anderem auch am Typ und Zustand ihrer Taxis ablesen könne. Und kaum einer sei Taxichauffeur aus Leidenschaft:

    „Es sind schon oft Leute, die am Ende einer beruflichen Karriere stehen, die vielleicht nicht gerade sehr erfolgreich verlaufen ist. Ich habe noch nie einen Taxifahrer getroffen, der gesagt hat: ‚Ich wollte immer schon Taxifahrer werden!‘ Das ist immer etwas, das man macht, wenn nichts anderes mehr bleibt.“

    Es gebe viele Taxikunden, die die Fahrer überhaupt nicht „als Menschen beachteten“, sagte Rausch. Deshalb müsse man sich fragen: „Will man diesen Menschen auch noch ihre Existenz wegnehmen – wo landen wir dann?“

    Er könne jedenfalls niemandem empfehlen, Taxifahrer zu werden, betonte der Journalist. Tatsächlich hätten diese wenig Möglichkeiten, ihre Dienstleistung zu verbessern, um sich von Konkurrenz wie Uber abzuheben.

    Jochen Rausch hat ein Buch über seine Taxi-Erlebnisse verfasst - WELT
    https://www.welt.de/regionales/nrw/article160561842/Der-Mann-der-im-Taxi-immer-freiwillig-vorne-sitzt.html

    1Live-Chef Jochen Rausch fährt gerne Taxi. Aus seinen Erlebnissen hat er ein Buch gemacht – 120 Geschichten mitten aus dem Leben. Und so etwas wie ein Sittengemälde unserer Gesellschaft.

    Vor fünf Jahren hat Jochen Rausch das mit dem Autofahren aufgegeben. Nur ab und an steuert er noch die Familienkutsche, wenn die Kinder irgendwo hinwollen, wenn sein Sohn Tim ins Stadion muss, um dort als Jungreporter für eine Wuppertaler Stadtzeitung ins Internet zu tickern. Meist aber freut sich Rausch, dass er nicht mehr ans Steuer muss, dass er Bahnfahren kann. Oder Taxi. Dass er vor allem Leute treffen darf, dass er mit denen reden kann. „Ich war vorher immer isoliert in meinem Auto“, sagt der 60-Jährige, der beim WDR die sogenannten Breitenprogramme im Radio verantwortet, also zuständig ist für 1Live, WDR2 und WDR4.

    Jeden Morgen pendelt er deshalb von Wuppertal nach Köln, und abends fährt er zurück. Manchmal wird es sehr spät, bis er wieder am Wuppertaler Bahnhof landet. Dann nimmt Rausch ein Taxi, dann beginnt er gerne ein Gespräch mit den Fahrern.

    Rausch steigt immer vorne ein, und dann sagt er ziemlich schnell auch was, um das Gespräch in Gang zu bringen. „Schöner Wagen“, lobt er, wenn er in einen neuen BMW steigt. Oder er lässt einfach ein lapidares „Und?“ fallen. Manchmal reicht das schon als Gesprächseröffnung. Der legendäre Gerd Ruge hat unzählige Weihnachtsreportagen aus fremden Ländern so gefüllt. Einfach auf Menschen zugehen und sie mit einem unschuldigen „Und?“ aufschließen.

    Viele Hundert Mal ist Rausch Taxi gefahren, hat zugehört und sich oft nach dem Aussteigen Notizen gemacht. Daheim hat er das Notierte in sein Laptop übertragen. So sind 120 Geschichten entstanden, die regelmäßig bei WDR 5 laufen und Mitte Januar auch als Buch vorliegen. „Im Taxi“ heißt das lapidar und trägt den Untertitel „Eine Deutschlandreise“, weil der Autor viel unterwegs ist und dann gerne in die Welt der Taxifahrer eintaucht.

    Rausch hat die Geschichten streng formatiert. Jede Story passt auf eine Seite. Auf einer Seite muss also alles erzählt sein. Das passt natürlich zum Schicksal der Taxifahrer, die oft über viel zu kurze Fahrten klagen und über viel zu lange Wartezeiten danach.

    Das Soziogramm einer Schicht

    Nimmt man all die Geschichten zusammen, dann entsteht so etwas wie ein kleines Sittengemälde der rollenden Republik. „Das Buch ist ein Soziogramm aus einer ganz bestimmten Schicht“, sagt Rausch. Vorbei seien die Zeiten, da in den Taxis vornehmlich Studenten saßen. Heute sind es vor allem ältere Männer, die nicht viel verdienen, die sich aber nach Rauschs Eindruck mehrheitlich redlich mühen, anständig über die Runden zu kommen. Viele haben einen Migrationshintergrund, sind geflohen vor Kriegen und vor politischer Unterdrückung.

    Rausch hat Ärzte und Literaturwissenschaftler aus dem Iran kennengelernt, Bauingenieure aus Krakau und Wachtmeister aus russischen Gefängnissen. Alle haben ihm ihre sehr eigene Sicht auf die Dinge geschildert.

    Einmal in Dortmund hat er einen Pakistani getroffen, der lauthals auf all die Flüchtlinge geschimpft hat. Die wolle er nicht hier haben. Als Rausch ihn sanft darauf hinwies, dass er doch wohl auch mal ein Flüchtling war, sagte der Fahrer nur, dass das etwas anderes sei. Er sei hier, weil er hier sein wolle, weil hier alles so gut funktioniere. „Mir gefällt es in Deutschland besser als vielen Deutschen“, sagte er. Rausch hat das aufgeschrieben.

    Er sieht sein neues Werk in der Tradition von Walter Kempowski, der sich mit der Wiedergabe von Feldpostbriefen auch zwischen Literatur und Journalismus bewegt hat. Er sieht gleichfalls Parallelen zu einem sehr berühmten Jim-Jarmusch-Episodenfilm, der von Taxifahrern in aller Welt erzählt. „Das ist ,Night On Earth’ in 120 Episoden“, sagt Rausch, der sein Buch auch gerne als „Shortstories auf engstem Raum“ anpreist.

    Dass sein Buch so lapidar „Im Taxi“ heißt, wurmt Rausch im Nachhinein, aber als der Titel entschieden werden musste, gab es keine bessere Wahl. Inzwischen nennt er sein Werk gerne „Beobachtungen im Nahverkehr“, was natürlich eine wunderbare Doppeldeutigkeit beinhaltet. Bei der Lit. Cologne im März wird der Schauspieler Johann von Bülow unter diesem Titel aus dem Buch lesen. Die Veranstaltung ist jetzt schon ausverkauft.

    „Das Taxi ist ein sehr intimer Raum“, skizziert der Autor seine Rangehensweise und verweist auf die Kunst, selbst nicht allzu viel zu reden. „Ich gebe den Leuten meistens recht. Wenn man widerspricht, erfährt man nichts“, sagt er. Im Idealfall macht sich der Protokollant unsichtbar und erfreut sich dessen, was da auf ihn einströmt. „Taxifahren macht arm und übergewichtig. Sehen Sie ja“, sagt in Geschichte 100 ein dicker Hamburger, der noch bei seiner Mutter wohnt und am liebsten Sport im Fernsehen guckt. Möglicherweise hat Rausch ihm den prominenten Platz auf der Position 100 eingeräumt, weil der Dicke so schwärmt vom Radio, von der Faszination, die es erzeugt, wenn im Radio jemand so vom Turmspringen erzählt, dass man meint, selbst mit auf dem Zehner zu stehen.

    Manchmal verschwimmen die Rollen

    Das gefällt einem wie Rausch natürlich, weil Radio für ihn ja nicht nur Job, sondern auch Leidenschaft ist. Kennt man den Autor schon eine Weile, dann verschwimmen an manchen Stellen die Rollen ein wenig. Dann ist Rausch plötzlich nicht mehr nur Zuhörer, dann lässt er sich von einem Taxifahrer notfalls auch seine eigene Geschichte erzählen. So wie bei jenem Fahrer, der den Sänger Peter Gabriel verehrt, der sogar mal zu dessen Studio ins britische Bath gepilgert ist, um über die Hecken hinweg zuzuschauen, wie Gabriel aus seinem Auto steigt. Auch Rausch ist ein riesiger Peter-Gabriel-Fan, selbst wenn man ihm das nicht gleich ansieht und wenn ihm zum Pilgern schlichtweg die Zeit fehlt.

    Zu spüren ist in allen Geschichten die Sympathie, die Rausch für jene aufbringt, denen er sich regelmäßig als fahrender Gast anvertraut. „Ich will niemanden bloßstellen“, sagt er. Manche Stellen hat er verfremdet, manchmal auch den Ort vertauscht, auf dass nur niemand sein freies Sprechen bereue.

    Und manchmal wurde es dann auch sehr nah. „Ich wollte nie Taxifahrer sein und davon träumen, einmal Rockstar zu werden“, sagt Rausch, der als Musiker früher schon mal mit dem legendären Conny Plank und Udo Lindenberg zusammenarbeiten durfte, dem die große Schallplattenkarriere aber verwehrt blieb.

    Als solcher trat er nach einer Besprechung beim NDR in Hamburg aus dem Sender, und der Taxifahrer hielt ihn prompt für einen wichtigen Entscheider aus der Musikbranche. Er spielte ihm prompt Demoaufnahmen von seiner Musik vor, in der Hoffnung, Rausch könne irgendetwas für seine Karriere tun. „Da wurde mir mein Albtraum live aufgeführt“, erinnert sich der Fahrgast.

    Geschichten über einfache Leute

    Rausch mag seine Protagonisten, das spürt man durchweg. Er mag sie möglicherweise auch, weil er sich in ihnen wiedererkennt. „Ich habe immer Geschichten über einfache Leute gemacht“, sagt er. Vielleicht rührt das daher, dass er selbst aus eher bescheidenen Verhältnissen stammt. „Meine Eltern waren einfache, fleißige Leute“, sagt der Wuppertaler. Der Vater war Dekorateur, die Mutter hat Gardinen gewaschen.

    Rausch hat sich da rausgearbeitet, könnte man sagen. Aber sein Herz ist geblieben bei den einfachen Leuten. Daran konnte auch der Erfolg seiner beiden Bücher „Trieb“ (2013) und „Krieg“ (2015) wenig ändern. Bei beiden finden sich fünfstellige Verkaufszahlen in der Bilanz, was nicht unbedingt nach Bestseller riecht, sich aber durchaus sehen lassen kann. „Krieg“ wird sogar bald verfilmt, was die Aufmerksamkeit für das Buch sicherlich noch einmal anfeuern wird.

    Rausch kommt zugute, dass er einen guten Job beim WDR hat, dass er mit dem Schreiben nicht sein Geld verdienen muss. „Ich schreibe, was ich will und nicht, was ich muss, damit die Miete reinkommt.“

    Jochen Rausch / Im Taxi – lesefieber.ch
    https://www.lesefieber.ch/buchbesprechungen/jochen-rausch-im-taxi

    28. Februar 2017 von Manuela Hofstätter
    Als Kind war für den Autor Jochen Rausch das Taxifahren im Mercedes ein Luxus, für welchen er einen langen Fussmarsch in Kauf nahm. Die Taxis haben sich verändert, längst sind nicht nur Luxusmarken unterwegs und wie steht es wohl mit den Taxichauffeuren in Deutschland? Auf etlichen Fahrten in verschiedensten Orten zeugen diese Geschichten von der Befindlichkeit der Menschen in Deutschland. Manch ein Chauffeur erzählt aus seiner Heimat und warum er sie verlassen hat, nicht wenige unter ihnen loben Deutschland. Andere müssen sich als Deutsche verteidigen, weil sie nicht deutsch genug aussehen, jedoch besser Deutsch sprechen, als der Fahrgast, der sie offensichtlich nicht hier haben möchte. So flucht ein Fahrgast auf den Humanisten, den er eigentlich Terrorist nennen wollte, wenn denn seine Hirnzellen dazu ausgereicht hätten, auch das richtige Wort zu verwenden. Deutschland? Sehr sehr viel Unterschied. Hier streichelt man Hund und tritt alte Menschen. In Afrika streichelt man alte Menschen und tritt Hund. Ich hab oft Fahrgast mit Hund. Reden mit Hund wie mit Mensch. Aber Hund ist kein Mensch. Ja, so ist das wohl, und auch die Tatsache, dass hier vierzehnjährige Mädchen volltrunken nachts ein Taxi bestellen, ist für manche Fremdländer ebenso unglaublich wie die Tatsache, dass sich die Paare heute im Internet finden. Die Kehrseite der Medaille? Im Internet findest du rasch heraus, in welchem Land es dir als Flüchtling gefallen könnte und du bist stolz darauf, dass deine Kinder keinen Alkohol trinken und studieren in der neuen Heimat. Deutsche sind oft einsam, trauern der DDR nach und versinken in Selbstmitleid, viele Taxifahrer leiden unter Rückenschmerzen und träumen von einem besseren Leben.

    Fazit: Fahrer und Fahrgast haben eines gemeinsam: Beide fahren Taxi, weil sie müssen!

    Jochen Rausch hat aus seinen Eindrücken und Begegnungen bei Taxifahrten quer durch Deutschland ein faszinierendes Porträt des menschlichen Daseins gezeichnet. Wem die Familie wirklich viel bedeutet, erfahren wir ebenso wie welches die stillsten Kunden sind. Religion, Herkunft, Gesinnung, Charakter und Schicksal, das Leben würfelt so, wie es ihm gefällt und wir lesen und staunen bei der Lektüre dieses Buches; und ob in Deutschland oder in der Schweiz, das Bild ist sicherlich ein ganz ähnliches. Ein Buch, das verblüfft und mir gut gefallen hat.

    ver.di: Gefangen in Eden
    https://publik.verdi.de/2017/ausgabe-01/spezial/kulturbeutel/seiten-22-23/A5

    Jochen Rausch: Im Taxi

    Jeder hat seine eigene Story. Jochen Rausch hat sie gesammelt, als Fahrgast in Taxis, kreuz und quer durchs ganze Land. Er hat zugehört, verdichtet, auf den Punkt gebracht. 120 Geschichtchen, jedes nur eine Seite lang, viele davon kleine Kunstwerke. Die Fahrer erzählen von ihrem Leben, ihren Träumen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Sie politisieren, polemisieren, philo­sophieren und parlieren über das Menschlich-Allzumenschliche, das ihnen tagein, tagaus so begegnet. Das ist oftmals witzig, skurril oder einfach nur daneben. So wie der Frust, von zwei jungen Mädchen ausgeraubt zu werden, junge Jungs wären weniger schmählich gewesen. Oder der Kasache, der unbedingt in den Himmel kommen will - in den über Deutschland. Auch viel Mitgefühl ist zu hören, für Menschen, denen es schlecht geht. Jochen Rausch hat einen guten Riecher gehabt, einfach mal Leute reden zu lassen, die das pralle Leben bestens kennen. Mit diesen Storys hat er eine kleine Welt des Banalen und Besonderen erschaffen, das unseren Alltag so oft ausmacht. Das lässt sich gut auch zwischendurch mal lesen - auch im Taxi. Tina Spessert

    BERLIN VERLAG, 128 S., 9 €

    NEU: IM TAXI | JOCHEN RAUSCH
    http://www.jochenrausch.com/taxi-im-januar
    http://www.jochenrausch.com/wp-content/uploads/2017/01/IMG_6674-768x576.jpg

    Beobachtungen im Nahverkehr – 120 Miniaturen Piper Verlag (9.00 Euro).

    Im Taxi von Jochen Rausch | PIPER
    https://www.piper.de/buecher/im-taxi-isbn-978-3-8333-1081-2

    In Deutschland gibt es eine Viertelmillion Taxifahrer und jeder hat seine Geschichte.

    Sie fahren Tag für Tag, Nacht für Nacht, ohne je richtig anzukommen: In Deutschland gibt es über 250.000 Taxifahrer und jeder hat seine Geschichte. Viele Jahre sammelte Jochen Rausch Gespräche im Taxi: Aus 120 Miniaturen von erstaunlicher Intensität entsteht das Psychogramm unserer multinationalen Gesellschaft aus einer sehr speziellen Perspektive. Mal nachdenklich, mal heiter, aber immer authentisch, unverstellt, berührend. Schon mit seinen hochgelobten Short-Story-Bänden „Trieb“ und „Rache“ zeigte Rausch, dass er auf engstem Raum große Geschichten zu erzählen weiß.

    Rastlose Existenzen - Unterwegs mit Jochen Rausch: „Im Taxi“ auf einer „Deutschlandreise“ : literaturkritik.de
    https://literaturkritik.de/rausch-im-taxi-rastlose-existenzen-unterwegs-mit-jochen-rausch-im-ta

    13.03.2017 - von Bernhard Judex

    Spätestens seit Martin Scorseses Taxi Driver (1976) mit Robert de Niro als frustriert-wanhsinnigem Travis, der sein Yellow Cab durch den New Yorker Straßendschungel lenkt, hat das Taxi einen wenn auch nicht prominenten, so doch festen Platz in Kino und Literatur. Jim Jarmuschs genial witzige Nahaufnahme Night on Earth inszenierte 1991 einprägsame Begegnungen zwischen Fahrgästen und ihren skurrilen Chauffeuren. In Deutschland hat die Hamburger Ex-Taxilenkerin und Schriftstellerin Karen Duve 2008 ihren Roman Taxi veröffentlicht und gibt mit ihm Einblicke in das alles andere als langweilige Beförderungsgewerbe. Auf einem bereits 1958 im französischen Original erschienenen Text von Louise de Vilmorin basiert die deutsche Übersetzung Der Brief im Taxi von 2016.

    Aktuell erschienen ist nun unter dem Titel Im Taxi die literarisch-journalistische Reportage des WDR-Redakteurs und Autors Jochen Rausch. Nicht wenigen der von ihm in insgesamt 120 kurzen Sequenzen auf je einer Seite porträtierten Taxilenkern und – weit weniger häufig vertretenen – Taxilenkerinnen merkt man an, dass die goldenen Zeiten der Branche längst vorbei sind. Eine ungehemmt freie Marktwirtschaft und der Konkurrenzdruck – Stichwort Uber –, vereint mit immer strengeren behördlichen Vorschriften bei gleichzeitig zunehmendem Verkehrsaufkommen trüben nicht nur die Freude am Fahren, sondern auch die Verdienstmöglichkeiten. Rund 50.000 elfenbeinfarbene Autos mit dem „Dachziegel“ sind im Bundesgebiet registriert. Ihre 250.000 Fahrer und Fahrerinnen sind im Schichtdienst Tag und Nacht bei jedem Wetter unterwegs und warten mal mehr, mal weniger gelassen auf Kundschaft.

    Jochen Rausch, selbst leidenschaftlicher Taxifahrgast, ließ sich auf seiner „Deutschlandreise“, so der Untertitel seines Porträts, durch verschiedene Städte – von Aachen bis Wuppertal, von Rosenheim bis Berlin, von Saarbrücken bis Cottbus – chauffieren. Neben den notorischen Nörglern und Schwarzsehern, den „Adipösen“ und von ihrer Arbeit Frustrierten gibt es zahlreiche fröhliche Freigeister, intellektuelle Lebenskünstler und erfahrene Routiniers. Der Studienabbrecher der Politologie ist ebenso anzutreffen wie der ausgebildete Akademiker aus dem Iran oder der türkischstämmige Berliner, wütende Lenker aus dem Ruhrgebiet, die über Radfahrer schimpfen, genauso wie der kultivierte und zuvorkommende Chauffeur alter Schule, der anstrengende Possenreißer oder manch reifere Dame, die ihre Pension aufbessert und der Tochter das Studium finanziert. So mancher beklagt sich zu Recht über die Primitivität einzelner Fahrgäste, unter denen sich neben unangenehmen und handgreiflichen Nachtschwärmern – so in Düsseldorf – durchaus auch mal ein harmloses Hündchen befindet, das zum doppelten Fahrpreis zu seinem Herrchen gefahren werden will. Nur für wenige ist die Arbeit als Taxilenker ihr „Traumberuf“.

    Im Taxi bietet einen äußerst lesenswerten Einblick in den beruflichen Alltag sowie das höchst unterschiedliche soziale Milieu des Berufskraftfahrers hinter dem Volant der modernen Droschke, die schon längst nicht mehr ausschließlich einen Stern auf der Kühlerhaube trägt. Die 120 Momentaufnahmen, aus dem Leben gegriffene Szenen einer im Durchschnitt an die 15 Minuten dauernden Fahrt, sind rasch verschlungen. Vielleicht mag die eine oder andere Episode in der Kürze etwas zu überzeichnet oder literarisch nachbearbeitet wirken. Doch insgesamt bietet das Buch eine spannende und amüsante Perspektive auf die Welt, wie sie der Taxler eben nur aus seiner Sicht kennt.

    Als „Seismographen unserer Gesellschaft“, so Rausch, haben Taxilenker mit allen Bevölkerungsschichten Kontakt und immer etwas zu erzählen. Das liegt am Unerwarteten dieses Jobs, an der vielschichtigen Klientel, die vom renommierten Opernsänger bis zum arbeitslosen Alkoholiker, vom hochbetagten Rentner bis zum partygestylten Teenager reicht. Im Grunde genommen wissen weder Fahrer noch Kunde im Vorhinein, wer neben ihnen sitzt. Freilich kann man es auch nüchterner sehen wie jener im Vorwort zitierte Chauffeur: „Fahrer und Fahrgast haben eines gemeinsam […], beide fahren Taxi, weil sie müssen.“ Doch dabei wird der Wagen zu einer Art Mikrokosmos des oft banalen, aber auch aufregenden und überraschenden Alltags und hat eine dem Beichtstuhl vergleichbare Atmosphäre des vertraulich geschützten Raumes. Hernach steigt man nicht nur seelisch geläutert, sondern um einige Euro erleichtert, wenn schon nicht im Paradies, so doch am Ort seiner vorübergehenden Wahl aus. Die Taxifahrer und -fahrerinnen hingegen sind berufsbedingt rastlose Existenzen. Sie kennen die Höhen und Tiefen der menschlichen Psyche und haben zwischen den Fahrten, während manch unerträglich langer Stunde des Wartens Zeit, über den Sinn des Lebens zu reflektieren. In welch anderem Beruf außer dem des Schriftstellers oder Philosophen hat man schon dieses Privileg?

    Jochen Rausch: Im Taxi. Eine Deutschlandreise.
    Berlin Verlag, Berlin 2017.
    128 Seiten, 9,00 EUR.
    ISBN-13: 9783833310812

    Jochen Rausch: „Taxifahren ist intim“ - DER SPIEGEL
    https://www.spiegel.de/reise/deutschland/jochen-rausch-taxifahren-ist-intim-a-1136702.html

    14.03.2017 - von Anne Haeming

    Geschichten vom Taxifahren - „Ich möchte, dass sie weiterreden“

    Er steigt stets vorne ein und fragt erst mal: Und? Die Geschichten, die ihm Taxifahrer daraufhin erzählten, hat Jochen Rausch in einem Buch veröffentlicht.

    SPIEGEL ONLINE: Herr Rausch, Sie kommen gerade aus Österreich. Sind Sie Taxi gefahren?

    Rausch: Selbstverständlich. Und ich habe auch gleich ein interessantes Gespräch geführt. Der Fahrer hatte einen Verband an einer Hand, also fragte ich, was passiert sei. Offenbar war Eis aus einem Hydranten geschossen und hatte ihm den kleinen Finger weggerissen. Manchmal reichen zehn Minuten im Taxi, um von einem Menschen ein ganzes Leben zu erfahren.

    SPIEGEL ONLINE: 120 Protokolle solcher Gespräche haben Sie nun veröffentlicht - neben Ihrem Job als Programmleiter beim WDR. Wieso fahren Sie denn so häufig Taxi?

    Rausch: Ich dachte irgendwann, ich stehe zu oft im Stau - und schaffte vor sechs Jahren mein Auto ab. Seither mache ich alles mit der Bahn, auch privat und wenn ich zu Lesungen fahre. Deswegen fahre ich nun auch öfter Taxi. In den sechs Jahren waren es etwa 200 Fahrten, also drei im Monat. So viel ist das gar nicht.

    SPIEGEL ONLINE: Welche Bedeutung hat das Taxifahren für Sie bekommen?

    Rausch: Es hat meinen Blick auf unsere Gesellschaft sehr verändert. Wenn man von seiner Wohnung aus über die Autobahn in die Garage des WDR fährt, bleibt man in seiner Blase. Aber so spürte ich den Frust früher: Viele Themen, die jetzt politisch aufgepoppt sind, habe ich schon vor zwei, drei Jahren von Taxifahrern oder in der Bahn gehört. Da gärte etwas. Ich sehe mich als eine Art Meinungsforscher, wobei es mir nicht um lustige Taxifahrer-Anekdoten ging, sondern um den Blick aufs Leben.

    SPIEGEL ONLINE: Und wie kommen Sie ins Gespräch?

    Rausch: Meine Standardfrage ist: Wie geht’s Ihnen? Manchmal schaue ich, welcher Radiosender läuft; wenn einer ein schönes Auto fährt, spreche ich ihn darauf an. Wenn schlechtes Wetter ist, kann man auch fragen, ob das gut oder schlecht fürs Geschäft ist. Aber ich habe es noch weiter reduziert und frage oft nur: „Und?“ Selbst wenn der Fahrer dann antwortet: „Ja, wie - und?!“, haben sich daraus schon interessante Gespräche entwickelt.

    SPIEGEL ONLINE: Wieso klappen Unterhaltungen im Taxi besonders gut?

    Rausch: Ich setzte mich immer nach vorne - und viele Fahrer sind nach Stunden am Halteplatz froh, mal wieder mit jemandem reden zu können. Sie sagen gerne: „Sollen wir da oder da längs fahren“, da entsteht ein „Wir“ für die kurze Fahrtzeit. Auch wenn es eine reine Zufallsbegegnung ist, ist es eine sehr intime Situation. Man fühlt sich unbeobachtet - und redet offener. Zumal ich ja kein Aufnahmegerät dabei habe: Ich notiere mir die Stichworte immer erst, wenn ich ausgestiegen bin.

    SPIEGEL ONLINE: Welche Momente haben Sie überrascht?

    Rausch: Unter Taxifahrern gibt es das gesamte Spektrum - vom Kommunisten bis zum Ausländerfeind. Insgesamt sind die Leute konservativer und politisch inkorrekter, als wir Journalisten das vielleicht wahrhaben wollen und es sich auch offenbar in den Meinungsumfragen ausdrückt. Einer erzählte zuerst ganz freundlich und begeistert von seinen beiden indischen Schwiegersöhnen und dann, dass er mal in der Stadtverwaltung angerufen hat und nach dem Inländerbeauftragten gefragt habe, den es ja bekanntlich nicht gibt. Und wenn noch mehr Ausländer nach Deutschland kämen, würde er demnächst mal „rechts ranfahren“.

    SPIEGEL ONLINE: Diskutieren Sie in solchen Fällen?

    Rausch: Fast nie. Ich bin eher affirmativ und möchte, dass sie weiterreden. So kommt zum Vorschein, dass sich die Leute oft eine eigene Welt zurechtzimmern: etwa, wenn einem ausländerfeindliche Ausländer als Taxifahrer begegnen. In Dortmund sagte ein Pakistani, der seit 15 Jahren hier lebt: Die Flüchtlinge sollen wegbleiben. Wenn man dann entgegnet: Sie sind doch auch mal hierhergekommen, folgt die Erklärung, man habe sich aber angepasst - und die, die jetzt kämen, wollten sich nicht anpassen. Es ist nicht immer logisch oder intellektuell belastbar, was die Leute sagen, aber ich habe auch sehr viele kluge Gedanken gehört, die zum Teil weit über Talkshow-Niveau waren.

    SPIEGEL ONLINE: Spiegelt sich im Taxikosmos unsere Gesellschaft wider?

    Rausch: Den Taxifahrer gibt es nicht, in Deutschland gibt es allein 250.000. Es fahren allerdings kaum noch Frauen, nachts erst recht nicht. Und Studenten, wie damals unter meinen Kommilitonen noch üblich, auch kaum noch. Manche Taxifahrer haben nie einen „richtigen“ Beruf gelernt, andere sind iranische Ärzte oder Literaturwissenschaftler, die vor Khomeini geflohen sind. Die meisten sind über 40, viele mit Migrationshintergrund. Es ist für viele ein Job am Existenzminimum. Nicht wenige fahren auch als Zweitjob Taxi, weil der Hauptjob nicht genug einbringt, um die Familie durchzubringen.

    SPIEGEL ONLINE: Also sind die Fahrer doch repräsentativ für eine bestimmte Schicht?

    Rausch: Der Job scheint oft Ergebnis einer gebrochenen Biografie zu sein, selten trifft man auf Fahrer, die sagen: „Ich wollte schon immer Taxifahrer werden“. Im Pressetext zum Buch schrieb der Verlag, dass Taxifahrer dem unteren gesellschaftlichen Milieu angehörten. Bei einer Lesung beschwerte sich einer prompt: Das würde nicht stimmen, sie seien ein alteingesessener Familienbetrieb mit 20 Wagen.

    SPIEGEL ONLINE: Anders als in New York, London oder Paris halten viele hier Taxifahren immer noch für relativ dekadent.

    Rausch: Es ist ja auch nicht ganz billig. Und wir haben eine andere Taxi-Tradition. Auch weil wir die Kultur des Heranwinkens kaum kennen, außer in Berlin vielleicht. In Städten wie Bielefeld, Wuppertal oder Dortmund können Sie sehr lange stehen und winken, da kommt nie ein Taxi vorbei. Aber auch für mich war Taxifahren immer etwas Besonderes.

    SPIEGEL ONLINE: Erinnern Sie ich noch an Ihr erstes Mal?

    Rausch: Als ich Kind war, waren alle Taxen schwarz, vor allem aber war der Standardwagen ein Mercedes. Um mit solch einem Luxuswagen mitzufahren, blieb mir nur eine Möglichkeit: als Messdiener mit dem Pfarrer im Taxi zum Friedhof.

    #Taxi #Arbeitsbedingungen #Literatur

  • Undurchsichtige Lieferwege des Goldes

    Einblicke in die schmutzigen Geheimnisse des Goldhandels gewährt der Buchator Mark Pieth in seinem neuen Buch „Goldwäsche“. Er kritisiert Sklavenarbeit in Peru und dass die Schweiz sich nicht an OECD-Regeln hält.

    Wie schmutzig das Geschäft mit dem Gold weltweit ist, hat der Jurist Mark Pieth bei Recherchen für sein Buch „Goldwäsche“ selbst in Erfahrung gebracht. Er sei zu Recherchen nach Peru und nach Südafrika gereist, um die Lieferkette nachzuvollziehen, sagte der Anti-Korruptionsexperte und Professor für Strafrecht an der Universität Basel im Deutschlandfunk Kultur.
    Sklavenarbeit in Peru

    Auf 5000 Metern in den peruanischen Anden habe er beispielsweise eine Minen-Barackenstadt mit 60.000 Minenarbeitern angesehen, die wie Sklaven beschäftigt würden.

    „Das heißt 28 Tage gratis ohne Versicherung, ohne Lohn in der Mine“, sagte Pieth. Dafür werde ihnen erlaubt, an zwei Tagen im Monat so viel Gesteine herauszuschleppen, wie sie tragen könnten. „Daraus hofft man dann noch ein bisschen Gold zu machen.“ Dabei fänden sich in diesem Gestein vielleicht etwa fünf Gramm Gold.

    „Die Stadt ist der absolut grauenhafteste Ort, den man sich vorstellen kann“, sagte Pieth. Es gebe keine Kanalisation, keine Müllentsorgung und keine Polizei.
    Undurchsichtige Lieferanten

    Als er den Lieferweg weiter gegangen sei, habe er einen Lieferanten in einer Baracke in einem peruanischen Slum aufgesucht. Der Mann habe keinen Nachweis darüber geführt, woher er das Gold eigentlich habe.

    „Der hat aber zehn Tonnen Gold im Jahr zusammen getragen von den verschiedensten Quellen.“

    Weiter gingen die Recherchen in der Schweiz, wo sich die meisten Raffinerien befinden, in denen Gold eingeschmolzen und verarbeitet wird. Die Schweiz importiere 70 Prozent des neu gewonnenen Goldes weltweit und exportiere es wieder, sagte Pieth.

    „Am Schluss haben wir da saubere, schöne Uhren oder Schmuckgegenstände.“
    Vorwürfe an die Schweiz

    Anders als die Europäische Union halte die Schweiz die bestehenden Regeln der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nicht für verbindlich. Nur in der EU seien Firmen dazu verpflichtet, nachzufragen, woher ihr Gold komme. Das Schweizer Prinzip der Freiwilligkeit funktioniere nicht, wie auch die OECD inzwischen festgestellt habe. „Selbstregulierung ist in dem Bereich einfach untauglich.“

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/anti-korruptionsexperte-mark-pieth-undurchsichtige.1008.de.htm
    #mines #extractivisme #Pérou #or #Suisse #travail #exploitation #néo-esclavagisme

    ping @albertocampiphoto

  • Graphic Novel „Nachts im Paradies“ - „Du bist ein Hinterkopf“
    https://www.deutschlandfunk.de/graphic-novel-nachts-im-paradies-du-bist-ein-hinterkopf.807.de.html?
    https://www.deutschlandfunk.de/media/thumbs/d/d49bb78b0b488bfc1876b02890bed7a3v1_max_755x425_b3535db83dc50e27c1bb1

    Frank Schmolke ist lange Zeit in München Taxi gefahren, meistens nachts und auch während des Oktoberfests. In seiner Graphic Novel „Nachts im Paradies“ erzählt er davon. „Man ist ein Niemand, deshalb wird das Taxi zum Beichtstuhl“, sagte Schmolke im Dlf.

    Frank Schmolke im Corsogespräch mit Sigrid Fischer

    Die Stadt, in der für viele aus einem Gelegenheitsjob der Hauptberuf wurde – nämlich Taxi fahren – das war lange Zeit Berlin. Vielleicht nur ein Klischee, denn jede Großstadt hat großen Bedarf an Personentransport und an Leuten mit P-Schein, Personen-Beförderungsschein. Und wenn es sonst gerade nicht so gut läuft, fährt man eben ein paar Schichten. Und manch einer bleibt dabei. Frank Schmolke nicht. Er hat den Job mit zweiundzwanzig angetreten – in München. Dreißig Jahre später bringt er jetzt eine Graphic Novel heraus, in der er seine Erlebnisse als Taxifahrer bildlich und textlich verarbeitet. „Nachts im Paradies“ heißt die und spielt sich in drei der heißesten Nächte der Bayernmetropole ab: während des Oktoberfests, wo die Bierzombies einem unter Umständen den Fahrgastraum verunreinigen – um es harmlos auszudrücken.

    Nachts fährt man keine netten Omis
    Die Leute, die man nachts fahre, seien anders als die am Tag, sagte Frank Schmolke im Dlf. Man fahre keine netten Omis zur Dialyse oder ins Krankenhaus, sondern man fahre meistens zu Clubs und Bars, da sei oft viel Alkohol im Spiel.

    In jungen Jahren habe er dieses Leben sehr genossen, je älter er werde, desto mehr erkenne er, wie schräg das teilweise sei. Man habe als Nachtfahrer eine andere Sozialisation. Das Leben tagsüber gehe an einem vorbei, man brauche Freunde, die ein ähnliches Leben haben.

    Die Leute, die einstiegen, schauten einem nur auf den Hinterkopf, man sei ein Niemand. Deshalb sei das Taxi auch ein Beichtstuhl, die Leute erzählten Dinge, die man manchmal gar nicht wissen wolle.

    Der erste Strich ist der beste
    Vincent, die Hauptfigur in seiner Graphic Novel, will eigentlich ein Buch schreiben. Auch Frank Schmolke hat die ersten Skizzen für „Nachts im Paradies“ in den Wartezeiten im Taxi angefertigt. Schon vor über 10 Jahren hatte er die Idee, die Geschichten zu veröffentlichen. Einige davon hat er selbst erlebt. Auch den Russen Igor zum Beispiel, der Vincent anheuert, damit er seine Prostituierten chauffiert, habe es gegeben, der wollte ihn tatsächlich anheuern, so Schmolke.

    Er schlägt auch kritische Töne in Sachen UBER-Fahrdienste und Mietwucher in München an. Taxifahrer könnten sich Münchens Mieten wohl kaum noch leisten. Die UBER-Konkurrenz nehme ihnen viele Fahrgäste weg, und München sei eine der teuersten Städte.

    Er habe den Comic in schwarz-weiß gezeichnet, um sich an die ursprünglichen Skizzen zu halten, der erste Strich sei einfach immer der beste. Er arbeite sehr gerne analog, nur mit Stift und Papier.

    Seit fünf Jahren ist Frank Schmolke kein Taxi mehr gefahren. Sollte er noch einmal Schichten fahren müssen, dann fange er wieder von vorne an. Auf der Straße sei er ein anderer Mensch. Lieber aber sitze er am Schreibtisch und kritzele vor sich hin.

    NACHTS IM PARADIES– Edition Moderne - Verlag für Graphic Novels und Comics
    http://www.editionmoderne.ch

    Graphic Novel: „Nachts im Paradies“ - Zombies in Lederhosen und die dunkle Seite von München
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/graphic-novel-nachts-im-paradies-zombies-in-lederhosen-und.215
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/e/e1ffd198ce48e8b2a95c975eba42279ev1_abs_635x357_b3535db83dc50e2

    Tobias Krone im Gespräch mit Christine Watty

    Der Zeichner Frank Schmolke verarbeitet in seiner Graphic Novel „Nachts im Paradies“ seine eigenen Erfahrungen beim nächtlichen Taxifahren in München. Er zeigt die dunkle Kehrseite der Glitzer-Stadt und des Oktoberfestes.

    Im Taxi kommen nicht nur freundliche Seiten von Menschen und Orten zum Vorschein, sondern auch die dunklen. Interessant ist das in einer Stadt, die in den Medien eigentlich nie so wirklich als Metropole mit düsteren Ecken wahrgenommen wird, nämlich München. Der Journalist Tobias Krone ist dort eine Runde mit dem Gelegenheitstaxifahrer und Grafiker Frank Schmolke gefahren. Er hat seine Erlebnisse in der Graphic Novel „Nacht im Paradies“ verdichtet und erzählt von Zombie-Begegnungen der typisch Münchner Art.

    Das Interview im Wortlaut:
    Christine Watty: Was erlebt man als Taxifahrer in München, was man vielleicht in Berlin, in Hamburg oder auch in New York nicht erleben wü

    #München #Taxi #Kunst

  • Das Geschäft mit den Flüchtlingen - Endstation Libyen

    Wenn sie aufgegeben haben, besteigen sie die Flugzeuge. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) transportiert verzweifelte Flüchtlinge und Migranten zurück in ihre Heimatländer – den Senegal, Niger oder Nigeria. Es ist die Rettung vor dem sicheren Tod und gleichzeitig ein Flug zurück in die Hoffnungslosigkeit.

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/2/27a298dc737f6b659d3d4b7b097f1346v1_max_700x394_b3535db83dc50e2

    Flug in die Hoffnungslosigkeit (picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte)

    Für die Menschen, die Tausende Kilometer nach Libyen gereist sind, um nach Europa überzusetzen, wird die EU-Grenzsicherung zunehmend zur Falle. Denn die Schleuser in Libyen haben ihr Geschäftsmodell geändert: Nun verhindern sie die Überfahrt, kassieren dafür von der EU und verkaufen die Migranten als Sklaven.

    Die Rückkehrer sind die einzigen Zeugen der Sklaverei. Alexander Bühler hat sich ihre Geschichten erzählen lassen.

    Endstation Libyen
    Das Geschäft mit den Flüchtlingen
    Von Alexander Bühler

    Regie : Thomas Wolfertz
    Es sprachen : Sigrid Burkholder, Justine Hauer, Hüseyin Michael Cirpici, Daniel Berger, Jonas Baeck und Florian Seigerschmidt
    Ton und Technik : Ernst Hartmann und Caroline Thon
    Redaktion : Wolfgang Schiller
    Produktion : Dlf/RBB 2018

    Alexander Bühler hat in Gebieten wie Syrien, Libyen, Haiti, dem Kongo und Kolumbien gearbeitet und von dort u.a. über Drogen, Waffen- und Menschenhandel berichtet. 2016 erhielt er den Deutschen Menschenrechtsfilmpreis in der Kategorie Magazinbeiträge, 2018 den Sonderpreis der Premios Ondas.

    https://www.deutschlandfunkkultur.de/das-geschaeft-mit-den-fluechtlingen-endstation-libyen.3720.de.

    #migrations #UE #externalisation #contrôles_frontaliers #frontières #désert #Sahara #Libye #gardes-côtes_libyens #Tunisie #Niger #OIM (#IOM) #évacuation #retour_volontaire #réinstallation #Côte_d'Ivoire #traite #traite_d'êtres_humains #esclavage #marchandise_humaine #viol #trauma #traumatisme #audio #interview #Dlf

    @cdb_77, j’ai trouvé la super !!! métaliste sur :
    externalisation, contrôles_frontaliers, frontières, migrations, réfugiés...juste que ce reportage parle de tellement de sujets que j’arrive pas à choisir le fil - peut-être ajouter en bas de la métaliste ? Mais le but n’est pas de faire une métaliste pour ajouter des commentaires non ? En tout cas c’est très bien fait cette reportage je trouve ! ...un peu dommage que c’est en allemand...

    • Merci @unagi et @reka !
      Effectivement, pour celles et ceux qui se trouveraient à Berlin, on ne peut que recommander d’aller voir dans le quartier bavarois (Schöneberg) l’installation « Orte des Erinnerns im Bayerischen Viertel » de Renata Stih und Frieder Schnock : https://de.wikipedia.org/wiki/Orte_des_Erinnerns_(Bayerisches_Viertel). Elle montre à la perfection comment l’horreur s’insinue petit à petit dans les esprits et la vie quotidienne et finit par devenir la « normalité ».
      Par contre l’image (très connue) mise en tête du billet de The Intellectualist, sous le titre « In 1934, A NYT Editorial Asked Jews To Show More Civility Towards Nazis » date de 1943 (une arrestation dans le ghetto de Varsovie, voir https://www.histoire-image.org/de/etudes/enfant-juif-varsovie) et la juxtaposition prête, me semble-t-il, à confusion.
      Mais unagi pose ici une vraie question et il est intéressant d’essayer de comprendre pourquoi des déclarations d’apaisement face à la politique nazie ont couru en Allemagne même.
      1. Dans la République de Weimar : Depuis la révolution allemande de 1918/1919, à laquelle avaient participé beaucoup d’Allemandes et d’Allemands d’origine juive (voir Adolf Hitler, Mein Kampf (1925/27), à ce sujet), on retrouve souvent l’idée de devoir se faire le plus discrèt*e possible pour ne pas nuire à la cause juive ou sioniste. La ZVfD (Zionistische Vereinigung für Deutschland), par exemple, propose en 1918 de ne pas « se mettre en avant en tant que Juifs » (« als Juden zunächst nicht hervorzutreten ») tant que le Reich n’aura pas pris position sur le cas de la Palestine et le statut des Juifs en Allemagne (lettre de novembre 1918 de la ZVfD à ses délégations sur l’attitude à tenir après la révolution, citée dans Jehuda Reinharz, Dokumente zur Geschichte des deutschen Zionismus, 1882-1933 (1981), p. 237.
      2. Sous le régime nazi : Les « lois de Nuremberg » (« Nürnberger Gesetze ») désignent trois lois promulguées le 15.9.1935, dont le « Reichsbürgergesetz » et le « Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre ». La première fait des Juifs des citoyens de seconde classe (de simples ressortissants allemands et non plus des « Reichsbürger », des citoyens du Reich de plein droit) et la deuxième instaure leur ségrégation « raciale » (pour protéger le « sang » et l’« honneur » allemands). Une troisième loi fixe l’apparence du drapeau national.
      Ces lois vagues, dont la rédaction a été bâclée, seront interprétées de plus en plus durement au fil de leurs décrets d’application. Mais, à leur promulgation, elles semblent offrir enfin une base légale à la situation des personnes d’origine juive en Allemagne, qui subissent déjà l’antisémitisme ambiant déjà exacerbé, et, surtout, ces lois sont présentées comme définitives. Ainsi, Hitler déclare qu’elles sont censées établir une « relation vivable » entre les peuples juif et allemand. (« Die deutsche Reichsregierung ist dabei beherrscht von dem Gedanken, durch einmalige säkulare Lösung veilleicht doch eine Ebene schaffen zu können, auf der es dem deutschen Volke möglich wird, ein erträgliches [vivable/supportable] Verhältnis zum jüdischen Volk finden zu können. » (Discours de Adolf Hitler du 15.9.1935 devant le Reichstag cité dans : David Jünger, Jahre der Ungewissheit : Emigrationspläne deutscher Juden 1933–1938 (2016), p. 211.)
      Il n’est donc pas étonnant que l’agence de presse de l’instance nationale représentative juive, relayant le discours ci-dessus, déclare : « Les lois décidées par le Reichstag à Nürnberg ont lourdement frappé les Juifs. Elles doivent cependant constituer une base sur laquelle une relation vivable est possible entre les peuples allemand et juif. La représentation nationale des Juifs d’Allemagne veut y contribuer de toutes ses forces. La condition pour une relation viable est l’espoir que les Juifs et les communautés juives conserveront en Allemagne leur base morale et économique d’existence par une fin mise à leur diffamation et leur boycott. » ( « Die vom Reichstag in Nürnberg beschlossenen Gesetze haben die Juden in Deutschland aufs Schwerste betroffen. Sie sollen aber eine Ebene schaffen, auf der ein erträgliches Verhältnis zwischen dem deutschen und dem jüdischen Volke möglich ist. Die Reichsvertretung der Juden in Deutschland ist willens, hierzu mit ihrer ganzen Kraft beizutragen. Voraussetzung für ein erträgliches Verhältnis ist die Hoffnung, daß den Juden und jüdischen Gemeinden in Deutschland durch Beendigung ihrer Diffarmierung und Boykottierung die moralische und wirtschaftliche Existenzmöglichkeit gelassen wird. » (Communiqué de la Pressestelle der Reichsvertretung des Juifs d’Allemagne du 22.9.1935, cité dans : Otto Dov Kulka, Deutsches Judentum unter dem Nationalsozialismus, vol. 1 (1998), p. 236).

      Désolée d’être si longue...

      #nazisme #normalité #mémoire #Berlin

  • Deutscher Filmpreis für Hark Bohm - „Wir waren politisch viel interessierter“
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/deutscher-filmpreis-fuer-hark-bohm-wir-waren-politisch-viel.10

    Der deutsche Film sei unpolitisch, beklagt der Regisseur Hark Bohm, der am Freitag für sein Lebenswerk den Deutschen Filmpreis bekommt. Damit spiegelte Film den Zeitgeist wider: „Denken Sie nicht, dass meine Kinder sich für Politik interessieren!“

    Für sein Lebenswerk wird der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Hark Bohm am Freitagabend in Berlin mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Sowohl der deutsche Film als auch die deutsche Filmakademie hätten Bohm als „Filmemacher, als Filmelehrer und als filmpolitischem Gestalter immens viel zu verdanken“, begründete die Jury ihr Urteil.

    Möglicherweise ist die „Lola“ für sein Lebenswerk nicht die einzige Auszeichnung, die Bohm am Freitag erhält. Auch für sein Drehbuch zu Fatih Akins NSU-Film „Aus dem Nichts“ ist er nominiert - vielleicht der einzige politische Film in der Auswahl.
    Kino spiegelt den Zeitgeist wider

    Geht der deutsche Film politischen Stoffen aus dem Weg?, haben wir Hark Bohm gefragt. „Aus dem Weg - das würde ja bedeuten, dass das ein bewusster Akt ist. Ich glaube, die Situation hat sich insgesamt so verändert“, sagt der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. „Das, was wir im Kino sehen und erleben, ist einfach Ausdruck des Zeitgeistes.“

    (Warner Bros.)Diane Kruger als verzweifelte Ehefrau und Mutter in Fatih Akins „Aus dem Nichts“. (Warner Bros.)

    Und dieser Zeitgeist sei unpolitischer geworden: „Ich habe viele Kinder. Glauben Sie nicht, dass diese Kinder irgendwann mal auf eine Demonstration gehen oder eigentlich sich überhaupt für Politik interessieren!“
    Auch „Nordsee ist Mordsee“ ist ein politischer Film

    Seine eigenen Filme hätten dagegen immer einen politischen oder gesellschaftlichen Bezug gehabt, sagt der 79-Jährige Bohm. Zum Beispiel: „Nordsee ist Mordsee war ganz bewusst auch eine Geschichte zwischen einem Ausländer – also einem, der nicht dazu gehörte – und einem deutschen Jungen, der ihn nicht in seiner Gang haben wollte. Insofern war das indirekt auch ein politischer Film.“

  • Patientenfront/Sozialistisches Patientenkollektiv(H)
    http://www.spkpfh.de
    Tun und Glücken kraft Kranksein
    Aus Krankheit stark!

    Krankheit im Recht, Pathopraktik mit Juristen
    http://www.spkpfh.de/Stadtztg2.htm

    Eines steht fest: Krankheit nimmt heute immer mehr zu. Und die Fortschritte der Medizin dagegen sind alles andere als überzeugend. Besonders bezeichnend für diese Medizin ist ihr „Erfolg“, Patientenausrottung und Herrenmenschenzüchtung wieder in die öffentliche Diskussion gebracht zu haben, Euthanasie, Holocaust und Genetik. Viele Patienten streiten dafür, Seite an Seite mit dieser Medizin. Ein Offenbarungseid, ein Armutszeugnis dieser „Fortschritt“, oder ein Rückfall in die schlimmste Barbarei? Sowohl als auch!

    Gibt es eine Lösung? In diesem Beitrag möchten wir einen Ansatz vorstellen, der über die Medizin hinaus gegen alles Bestehende gerichtet ist.
    Für die jungen Leser hier kurz etwas über die Anfänge:
    An der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg war seit 1964 ein Arzt und Wissenschaftler beschäftigt, der den Anspruch der Universität ‘Wissenschaft für den Menschen’ als gesellschaftlichen Auftrag begriff: Dr. Wolfgang Huber. Er hat einen Zustand geschaffen, der aus der Sicht der Patienten der Aufhebung ihrer systembedingten Objektrolle gleichkam. Diese Wissenschaft f ü r den Kranken befähigte die Patienten, nicht mehr länger Versuchskaninchen und Schlachtvieh für Ärztekarrieren oder Profitforschungsinteressen zu sein.
    1965 begann Huber das ursprüngliche Patientenkollektiv zu entwickeln, das 1970 mit der ersten Patientenvollversammlung der Welt pro Krankheit als SOZIALISTISCHES PATIENTENKOLLEKTIV (SPK) öffentlich hervortrat und alles Bestehende in Frage stellte, nicht zuletzt auch die Zustände in der Psychiatrischen Poliklinik selbst. Das SPK stürzte kurz darauf den Prorektor der Universität für Medizin (namens Kretz, Helmut), was die fristlose Kündigung Hubers zur Folge hatte. Nach Hungerstreiks, Besetzungen von Dienstzimmern und des Rektorats, zahllosen Go-Ins, Sit-Ins und Teach-Ins ergingen Morddrohungen, auch gegen Huber.
    Auf Betreiben der Ärzte wollten Polizei und Regierung 500 SPK-Patienten der Medizin wieder einverleiben. Niemand unter den Patienten war dazu bereit. Deshalb zogen sie sich 1971 aus den Räumen in der Rohrbacherstraße zurück. Nach der Selbstauflösung des SPK wurden auch Dr. Wolfgang Huber und Dr. Ursel Huber 1972 verurteilt, und zwar zu je 4 1/2 Jahren Gefängnis, dem Löwenanteil unter 22 Jahren Haft insgesamt gegen etwa ein Dutzend herausgegriffene Patienten. Das SPK selbst ist, sehr bezeichnenderweise übrigens, nie verurteilt, geschweige denn verboten worden; denn Krankheit geht eben auch dadurch nicht weg.

    SPK Komplex – ein Film von Gerd Kroske
    https://www.spk-komplex-film.de

    DoP: Susanne Schüle / Anne Misselwitz
    Montage: Olaf Voigtländer / Stephan Krumbiegel
    Kinostart: 19.April 2018 im Verleih von Salzgeber & Co. Medien GmbH
    Weltvertrieb: deckert-distribution GmbH
    Germany 2018, 111 Min., Dolby 5.1, Color/B&W

    Arsenal: SPK Komplex
    https://www.arsenal-berlin.de/berlinale-forum/programm-forum/hauptprogramm/spk-komplex.html

    Warum radikalisieren sich Menschen?

    Der Impuls zu SPK KOMPLEX entstand aus der Lektüre eines Briefs von Gudrun Ensslin. Darin übt sie Kritik am Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK). Auf sich und andere Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) bezogen schreibt sie: „… jeder von uns hatte nicht zu wenig, sondern zu viel SPK in sich, was die vergangenen Jahre betrifft.“ Gemeint war mit dieser Formulierung ein Scheitern.
    Den Brief schrieb Gudrun Ensslin 1972 in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Im gleichen Gebäude, in der Zelle Nr. 109, saß damals auch Dr. Wolfgang Huber, der das SPK 1970 gegründet hatte, in Erwartung seines Prozesses.
    Zu der merkwürdigen Symbiose des SPK aus einem sozialtherapeutischen Experiment und Agitation – den Namen hatten sich die Gründungsmitglieder selbst gegeben – gehörte von Anfang an, dass die Mitglieder und Patienten, die dieser Gruppierung angehörten, aufgrund dieser Tatsache in der Gesellschaft Zurückweisung und Verleumdung erlebten, später sogar verfolgt wurden. All dies führte zu der Zerschlagung des SPK und zu der Bereitschaft einiger seiner Mitglieder, fortan im Untergrund zu leben und sich der RAF anzuschließen.
    Zu Beginn meiner Arbeit am Film erschien mir diese Konstellation undurchschaubar. Sie klärte sich mit der Frage: Was konnte bei der Suche nach Selbstbestimmtheit von Psychiatriepatienten und Sympathisanten zu solcher Radikalisierung beigetragen haben?
    Während des Filmens wurde mir zunehmend klar, dass es bei der Verfolgung des SPK und dessen vehementer Gegenwehr nicht um einen internen Konflikt zwischen Psychiatrie-Ordinarien und einem jungen Assistenzarzt an der Universität Heidelberg ging, sondern dass es sich dabei um einen zutiefst politisch motivierten Vorgang handelte. Es ist mir wichtig, die Frage aufzuwerfen, wie sich in Umbruchsituationen konkrete soziale Interessen auch politisch instrumentalisieren lassen. (Gerd Kroske)

    Gerd Kroske über seinen Dokumentarfilm „SPK Komplex“ - Vom Patientenkollektiv zur kriminellen Vereinigung
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/gerd-kroske-ueber-seinen-dokumentarfilm-spk-komplex-vom.2168.d
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/2/263c421f06331dbfb2387c9e11ecaa47v1_max_635x357_b3535db83dc50e2

    https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2018/04/14/spk_komplex_vom_patientenkollektiv_zur_kriminellen_drk_20180414_

    Der Berliner Rudi Mährländer, hier mit einem Foto von sich selbst, gehörte dem „Sozialistischen Patientenkollektiv“ an - Filmstill aus „SPK Komplex“ (Salzgeber & Co. Medien GmbH)

    Ein neuer Dokumentarfilm über das Sozialistischen Patientenkollektivs beleuchtet das gesellschaftlichen Klima im deutschen Vorherbst. Der Regisseur sieht die Radikalisierung des Kollektivs als Vorwegnahme der RAF und des Stammheim-Prozesses.

    Susanne Burg:"SPK Komplex", so heißt ein neuer Dokumentarfilm, der sich mit einem brisanten Kapitel deutscher Geschichte auseinandersetzt: mit den Folgen des Jahres 1968, mit dem gesellschaftlichen Klima im deutschen Vorherbst. Regisseur Gerd Kroske tut das, indem er die Entstehung und Entwicklung des SPK beleuchtet – des Sozialistischen Patientenkollektivs. Gegründet 1970 durch 52 Psychiatriepatienten unter der Leitung von Wolfgang Huber, Assistenzarzt an der Poliklinik Heidelberg. Kroske interviewt unter anderem Zeitzeugen und benutzt auch Tonaufnahmen von Wolfgang Huber aus der Zeit.

    O-Ton Wolfgang Huber: Über meine Person ist Ihnen alles Wissenswerte aus der Presse bekannt.

    O-Ton Publikum: Nein!

    O-Ton Huber: Nein? Umso besser. Sachlich unqualifiziert, Verhalten unärztlich. Mein Verhalten ist eines Arztes unwürdig.

    Burg: Soweit Wolfgang Huber, zu hören im Film „SPK-Komplex“. Ich freue mich, dass der Regisseur des Films im Studio ist. Willkommen Gerd Kroske!

    Gerd Kroske: Guten Tag!

    Der Dokumentarfilmer Gerd Kroske zu Besuch beim Deutschlandfunk Kultur (Deutschlandradio/Maurice Wojach)Der Dokumentarfilmer Gerd Kroske zu Besuch beim Deutschlandfunk Kultur (Deutschlandradio/Maurice Wojach)

    Burg: Sie haben mehrere Filme über die DDR und die Wende gedreht, unter anderem „Leipzig im Herbst“, ihr Film „Striche ziehen“ erzählt dann von einer Kunstaktion, die fünf Freunde aus Weimar 1986 in Westberlin durchführten. Was hat Sie jetzt an diesem Kapitel bundesdeutscher Geschichte, westdeutscher Geschichte interessiert, dem SPK?

    Kroske: Ich habe ja zu bundesdeutschen Milieus schon mehrere Filme gemacht, nämlich drei. Das ist eine Hamburg-Trilogie geworden über einen Boxer, über einen Puff-Besitzer und einen Maler und Radiokabarettisten. Im Zusammenhang dieses letzten Films über Heino Jaeger, „Look before you kuck“ heißt der, im Jahr 2012, hatte ich einen Protagonisten, der schon verstorben war, aber Anfang der 60er-Jahre bis Ende der 90er-Jahre mehrere Psychiatrie-Episoden hatte.

    Und in dem Zusammenhang habe ich mich mit Psychiatriegeschichte beschäftigen müssen – also westdeutscher spezieller – und mitgekriegt, dass natürlich dieser Protagonist Heino Jaeger damals in dem Film drei sehr verschiedene Epochen von deutscher Psychiatrie erlebt hat. Anfang der 60er-Jahre war es ein völlig anderer Zustand als Ende der 90er. Und in diesen Recherchen damals ist mir das erste Mal das SPK aufgefallen. Das habe ich mal zur Seite gelegt, und dann sammelte sich da über einen längeren Zeitraum immer mehr Material an, und dann war da irgendwann der Punkt, wo ich dachte, da muss ich jetzt weiter gucken.

    Burg: Also so ein paar Eckdaten hatte ich ja eben schon gegeben, aber wir sollten vielleicht das Sozialistische Patientenkollektiv noch mal in der Zeit verorten. Das SPK kritisierte ja unter anderem die damalige Verwahrpsychiatrie. Wo stand denn die Psychiatrie 1970 und was waren die Forderungen des SPK?

    Kroske: Eine ganz klare Forderung war eine Auseinandersetzung mit der Nazi-Ära der deutschen Psychiatrie. Man muss dazu sagen, dass an dieser Klinik ja bis Ende der 80er-Jahre noch Pfleger aus der Nazizeit in der Psychiatrie beschäftigt waren.

    Burg: Genau, in Heidelberg dann.

    Kroske: Das war in Heidelberg. Das war natürlich ein Riesenthema, und das SPK waren einfach die ersten, die das überhaupt aufgriffen nach dieser Verwicklungsgeschichte. Heidelberg selber ist ja eine Universitätsstadt, auch zu der Zeit längst gewesen, mit, glaube ich, 12.000 Studenten, und es gab überhaupt keine psychologischen Beratungsstellen für Studenten.

    Einer, der das mit abfing, war Wolfgang Huber. Und die haben da angefangen, Studenten psychologisch zu betreuen. Dann haben sie angefangen, einfach weil es auch so viele wurden, gruppentherapeutisch zu arbeiten und eine klare Abgrenzung auch zu dem, was sonst in der Verwahrpsychiatrie üblich war, dass die Leute hospitalisiert wurden und dort ein Leben lang eigentlich verbrachten.
    SPK bezog erstmals gesellschaftliche Ursachen von Krankheit mit ein

    Burg: Das Sozialistische Patientenkollektiv, es gab ja da eine Radikalisierung und in der bundesdeutschen Rezeption, später wurde es gerne so als eine Geschichte dieser Kriminalisierung, des Scheiterns eigentlich gesehen. Bevor wir das etwas differenzierter beleuchten – worin bestehen denn die Leistungen des SPK? Welche Forderungen von damals werden vielleicht auch heute noch in der Psychiatrie praktiziert?

    Kroske: Das, was damals als Forderung so radikal klang, also dass man sich nicht nur mit einer Krankheit im medizinischen Sinne beschäftigt, sondern da auch gesellschaftliche Ursachen mit heranzieht, das ist ja heute eigentlich üblich. Bei jeder Burn-out-Studie ist natürlich klar, welche gesellschaftlichen Zusammenhänge mit reinspielen. Damals war es eben nicht so, das war ein völlig neuer Ansatz. Dazu muss man wissen, dass es natürlich weltweit so eine Bewegung gab, es gab Basaglia in Italien oder R.D. Laing in England, der Wohnprojektgruppen betreuter, oder Cooper in Amerika, der auch gruppentherapeutisch arbeitete.

    Foucault muss man in dem Zusammenhang nennen, der mit Wahnsinn und Gesellschaft so ein Schlüsselwerk eigentlich geschrieben hat, und diesen Moment beschreibt, wann eine Differenz aufgemacht wird zwischen Kranken und Kriminellen – das sind alles so Themen die da miteinspielen und die so geistige Urheber des Ganzen sind. Und diese Radikalisierung ist natürlich, dass von Anfang an da auch ein politischer Ansatz dahinter war, also dem Zeitgeist entsprechend sich natürlich auch politisch zu betätigen. Da war in Heidelberg speziell so ein Vakuum entstanden, weil der SDS dort verboten war nach so einer Demonstration gegen McNamara, und es gab eigentlich dann bloß noch den Kommunistischen Bund Westdeutschland mit seinen A- und B-Gruppen oder das SPK in Heidelberg als so einen linker Zufluchtsort. Das spielt da mit rein, dass natürlich dann sehr viele politisierte Studenten auch ins SPK strömten und so.
    Kritisches Infragestellen der Interpretationen

    Burg: Dann gab es ja auch die Auseinandersetzung mit der Uni Heidelberg und mit der baden-württembergischen Landesregierung. Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Interpretationen darüber wie kriminell diese Vereinigung des SPK wurde, wie stark die Verbindungen dann zur RAF waren. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen, sich da mit einer Machete erst mal durch diesen Wust an Interpretationen und Materialien zu arbeiten.

    Kroske: Erst mal durch so eine kritische Infragestellung. Das was ja bekannt ist, oder oft kolportiert wird, ist ja das, was Stefan Aust geschrieben hat in seinem Baader-Meinhof-Komplex. Da gibt es ein Kapitel, das ist überschrieben mit der Überschrift „Irre ans Gewehr“. Das ist eigentlich eine Überschrift aus der „Bild“-Zeitung, wenn man das weiter recherchiert. Und dann gibt es so Darstellungen von Wolfgang Kraushaar, die sich aber eigentlich auf Zeugenaussagen eines Kronzeugen des BKA, Gerd Müller, stützen. Also das sind alles nicht so die richtigen Quellen für mich.

    Dann war ich sehr viel in Archiven, und dann findet man natürlich sehr schnell auch Zusammenhänge, so aus den verschiedenen Regierungsbezirken, und je nachdem wie das in Archiven verwahrt wird: Was sehr schnell deutlich wird, also mir klar war, dass es sich dabei eben nicht wie oft beschrieben um so einen universitären Konflikt handelt, sondern dass das schon einen klaren politischen Ansatz gibt, aber auch auf der Gegenseite zu der Zeit. Ich habe Dokumente gefunden, die aus dem Innenministerium stammen zu einem Zeitpunkt, wo man von einer Radikalisierung des SPK noch gar nicht sprechen kann, wo aber schon völlig klar schriftlich niedergelegt ist, dass man das nicht wünscht, und dass man das zerschlagen will – und erst mal von der medizinischen Seite anfängt, wie kann man dem Huber irgendwie die Approbation streitig machen oder aberkennen und welche Gründe müssen dafür vorliegen – das ist irgendwie sehr früh angelegt. Das spitzt sich natürlich dann entsprechend zu, weil die sich natürlich auch zur Wehr setzen.

    !Burg:!! Sie setzen sich zur Wehr, sagen Sie. Wie würden Sie denn die Radikalisierung des SPK beschreiben?

    Kroske: Das, was mit der RAF passiert, ist eigentlich nie so richtig nachweisbar. Das was sich belegen lässt ist, dass es da natürlich, wie ein Protagonist das auch nennt, Überschneidungen gab und sicherlich auch Hilfestellungen. Das war nicht so verwunderlich, weil das irgendwie zwei Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung damals mit auch gemacht hätten, also es gab eine Allensbach-Umfrage Anfang der 70er-Jahre, und da hätte die Mehrzahl der jungen Leute RAF-Leute unterstützt, logistisch, oder durch einen Ausweis, oder, oder, oder. So richtige Tatbeteiligung, und so weiter, ist ja auch strafrelevant nie nachgewiesen worden.

    Natürlich gab es eine Schießerei in Wiesenbach, die hat sich nie aufgelöst – die wurde in Verbindung mit der RAF gesehen und als so eine Art Rekrutierungspfad beschrieben. Man kriegt da nie so richtig die Wahrheit raus. Dass was aber dokumentiert ist, das sind Briefe von Gudrun Ensslin, wo sie ziemlich scharf mit dem SPK abrechnet. Also die werden eigentlich von denen als Kleinbürger gesehen, die die Welt aus ihrer psychiatrischen Sicht viel zu klein angehen. Und das, was Zeitzeugen beschreiben, die da involviert waren, die sagen, es gab da natürlich immer eine gewisse Nähe, aber keine wirklich praktisch relevante. Dafür ist das ganze Projekt – das SPK gab es 18 Monate – und fast zeitgleich ist ja auch die erste Generation der RAF verhaftet gewesen.
    Schlechtes Gewissen bei den Alt-Ordinarien

    Burg: Wie schwierig war es eigentlich, diese Zeitzeugen zum Sprechen zu bewegen. Sie interviewen ja auch verurteilte RAF-Mitglieder wie Carmen Roll oder Karl-Heinz Dellwo?

    Kroske: Da war sehr schwierig, aber unterschiedlich. Der Punkt ist ja der bei solchen Recherchen, es findet sich ja nicht so ein Kompendium, wo alle versammelt sind, oder ein Telefonbuch, wo man irgendwie dann nachschlagen kann, sondern man muss das irgendwie sehr geschickt einfädeln. Im Falle von Karl-Heinz Dellwo war nicht ganz so schwierig, weil er aber auch zu denen zählt, die sich aus der Generation der RAF sich überhaupt öffentlich äußern – es gibt ja auch sehr viele, die sich gar nicht äußern, prinzipiell nicht, auch mir gegenüber nicht.

    Am schwierigsten hatte ich es eigentlich mit den Alt-Ordinarien der Heidelberger Universität, ich habe da mit zwei Medizinern gesprochen, die da in diesem Konflikt sehr maßgeblich involviert waren, aber auf der Gegenseite. Die haben sich völlig blödsinnig so rausgeschummelt, also eine wirklich anerkannte Psychiatriegröße Deutschlands, heute 92 Jahre alt, der hat dann erklärt, seine Frau hätte ihm geraten, nicht vor eine Kamera zu gehen, er sei dafür schon zu alt. Der Mann geht aber noch dreimal die Woche in Mannheim in seiner Klinik arbeiten. Ich habe mit dem auch ein Gespräch geführt, anderthalb Stunden, der hatte ein brillantes Erinnerungsvermögen, das hätte ich gern in manchen Punkten. Und ein anderer Klinikdirektor, der hat sich dann genau so, so ähnlich. Also die haben natürlich auch ein schlechtes Gewissen, weil sie wissen, was sie da angerichtet haben, und das halte ich Ihnen mal zugute.

    Burg: Sie haben auch Gudrun Ensslin erwähnt, wenn es jetzt so um das Klima im deutschen Vorherbst geht, welches neue Licht wirft denn Ihrer Meinung nach die Auseinandersetzung mit dem SPK in diesem Zusammenhang?

    Kroske: Das, was man erkennen kann, ist natürlich so eine, fast Vorwegnahme, also auch der Stammheim-Prozess. Obwohl die Strategie im SPK-Prozess eine andere war, weil die Stammheimer haben ja nicht sich total verweigert, sondern durchaus sehr weit ausufernde Statements abgeliefert – das hat ja Huber und seine Frau überhaupt nicht gemacht. Da sind wir wieder am Anfang der Geschichte, dass das schon, und da sehe ich das auch als einen politischen Vorgang und nicht mehr nur als so eine medizingeschichtliche Posse aus Heidelberg an der Uni, sondern schon in größeren Dimensionen.

    Burg: Auf jeden Fall ein sehr interessanter Blick in die frühen 70er-Jahre der Bundesrepublik. „SPK-Komplex“, so heißt der neue Film von Gerd Kroske. Donnerstag ist er im Kino zu sehen, vielen Dank für Ihren Besuch im Studio!

    Kroske Danke!

    Doku „SPK Komplex“: Irre wird man erst im Irrenhaus - SPIEGEL ONLINE
    http://www.spiegel.de/kultur/kino/doku-spk-komplex-irre-wird-man-erst-im-irrenhaus-a-1198504.html

    Wer sich zuvor nie mit dem SPK auseinandergesetzt hat, dem wird in dieser ersten Szene bereits die führende Hand entzogen. Die Regalwände werden aufgekurbelt, der Film öffnet sich, die Arbeit kann beginnen: Was hatte es auf sich mit dem SPK, dem Vorreiter der Antipsychiatrie-Bewegung im Umfeld der 68er und der RAF?

    Unter der Leitung Hubers formierte sich 1970 in Heidelberg eine Gruppe von Ärzten und Psychiatriepatienten mit dem Ziel, bestehende anstaltspsychiatrische Behandlungsweisen und -kontexte zu revolutionieren. „Krankheit als Waffe“, so hieß die Losung, unter der sich das Kollektiv zu hierarchielosen Gruppentherapiesitzungen zusammenfand. Angeleitet von marxistischen Theoremen vertraten sie die These, dass die Krankheit des Einzelnen - speziell die psychiatrische Erkrankung - auf die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse zurückzuführen seien.

    Solidarisch eingesperrt

    Der antipsychiatrische Impuls der Gruppe ging deshalb weit über die Reformierung therapeutischer Praktiken hinaus und hatte vordergründig eine grundlegende Neubestimmung des Begriffs Krankheit im Visier. Man hört es immer wieder im Verlauf von „SPK Komplex“: „Alle sind krank“ - und weil Krankheit ein kollektiver Zustand ist, lässt sie sich auch nur kollektiv behandeln und zwar immer mit Blick auf das erkrankte Kollektiv selbst.

    Neu im Kino: SPK Komplex: Das Sozialistische Patientenkollektiv | SWR2 | SWR.de
    https://www.swr.de/swr2/kultur-info/film-spk-komplex-gerd-kroske/-/id=9597116/did=21522812/nid=9597116/c61s40

    Die Geschichte des gesellschaftlichen Umbruchs von den 68ern bis zum Deutschen Herbst scheint fast auserzählt. Ein kaum bekanntes Kapitel aus dieser Zeit entdeckt die Kinodokumentation „SPK Komplex“ des Berliner Filmemachers Gerd Kroske. Darin geht es um das sozialistische Patientenkollektiv in Heidelberg. Es setzte sich ab 1970 für eine menschenfreundlichere Psychiatrie ein und geriet danach in den Sog der RAF.

    Der Kapitalismus macht krank. Also muss man aus der Krankheit eine Waffe machen und den Kapitalismus zerstören. So in Kurzform die Devise des SPK, des sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg.

    Doku „SPK Komplex“ im Kino: Aus der Krankheit eine Waffe machen - Kultur - Tagesspiegel Mobil
    https://m.tagesspiegel.de/kultur/doku-spk-komplex-im-kino-aus-der-krankheit-eine-waffe-machen/21194010.html

    Christiane Peitz - Wenigstens ein Zeitzeuge schlägt sich sichtlich mit dem unbewältigten, abgründigen „Rest“ des Heidelberger Geschehens herum und formuliert in brüchigen Sätzen die eigene Unschlüssigkeit von damals, das Mitmachen, irgendwie, das Unbehagen von heute. Es ist das Zögern von Ewald Goerlich (SPK-Patient, dann Physiker und Kardiologe), das den Film sehenswert macht, sein beredtes Schweigen, wenn er zurückdenkt, das Suchen nach Worten. Und es ist das Bild einer Zeit, in der die Fronten sich verhärteten und deren Reformen man nicht missen möchte. Man vergisst leicht, welch entsetzliche Zustände in vielen psychiatrischen Kliniken herrschten, nicht nur in Deutschland.

    „SPK Komplex“ – Filmfeature zum Kinostart - Spex Magazin
    https://spex.de/spk-komplex-filmfeature-zum-kinostart

    Die antipsychiatrische Gruppe, der Gerd Kroske nun einen Dokumentarfilm gewidmet hat, nahm die Praxis vorweg, dass Laien Patienten betreuen und Patienten in Wohngruppen leben. Die Gruppe beschäftigte sich mit der Nazivergangenheit der deutschen Medizin. Vor allem aber entwickelte das SPK einen revolutionären Begriff von Krankheit, den es in griffigen Slogans auf den Punkt brachte. „Das System hat uns krank gemacht; geben wir dem kranken System den Todesstoß.“ „Aus der Krankheit eine Waffe machen.“


    In Hohenasperg

    Das Krankenhaus beschrieb Huber als Fabrik: Der Kranke muss seine Produkte – Stuhl, Nierensteine, Kopfschmerzen – abgeben, die dann in Arztrechnungen, Labor- und Verwaltungskosten umgewandelt werden. Dieser radikale Ansatz machte das SPK so bekannt, dass sich später eine Band nach ihm benannte: Die Industrialcombo SPK, die mit „Metal Dance“ einen Underground-Hit schrieb.

    Karlstorkino Heidelberg: Film-Preview von „SPK Komplex“ - Nachrichten aus Heidelberg - Rhein Neckar Zeitung
    https://www.rnz.de/nachrichten/heidelberg_artikel,-karlstorkino-heidelberg-film-preview-von-spk-komplex-_arid,3

    Anfang der 1970er-Jahre studierte Goerlich Mathematik und Physik an der Universität Heidelberg. Es ging ihm nicht gut, er fühlte sich allein und hatte Suizidgedanken. Beim „Sozialistischen Patientenkollektiv“ fand er so etwas wie freundliche Aufnahme, er wurde angenommen mit seiner ganzen Problematik: „Es gab eine Atmosphäre von Freiheit und von Arbeit an sich selbst und an den anderen.“ Wolfgang Huber gefiel ihm gleich. „Das kann man bearbeiten“, habe der Arzt zu Goerlichs psychischen Problemen gesagt.

    Er schilderte den Mann, der bis zu seiner Entlassung Assistenzarzt an der Poliklinik der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg war, als sehr intelligent, sehr einfühlsam und vielseitig begabt. Bei tobenden Patienten gelang es ihm häufig als einzigem, diese wieder zu beruhigen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe verurteilte Huber später wegen „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Sprengstoffherstellung und Urkundenfälschung“ zu viereinhalb Jahren Gefängnis. Die Radikalisierung, die das SPK seinerzeit erfuhr, kommentiert Goerlich aus heutiger Sicht so: „Es wäre viel vernünftiger gewesen, wenn daraus eine Art psychiatrische Bürgerrechtsbewegung geworden wäre.“

    #Allemagne #maladie #santé #résistance #lutte_des_classes #terrorisme

  • Alors que les #Etats-nations (notamment l’#Italie dans ce cas précis) ferment les portes aux exilés, les #villes semblent aujourd’hui faire preuve de #solidarité.

    Il y a eu l’exemple de #Valence, mais #Barcelone et #Berlin se disent prêtes à accueillir les personnes sauvées par les navires des #ONG en #Méditerranée.

    Ici, des liens sur les #villes-refuge :
    http://seen.li/eh64

    Et ci-dessous, dans le fil de la discussion, des liens plus récents.

    #Etat-nation #villes #urban_matter #migrations #réfugiés #asile

    • Barcelona urges Spain to allow migrant ship to dock

      Barcelona Mayor Ada Colau is calling on Spain’s prime minister to grant the city docking rights to help a Spanish aid boat that rescued 60 migrants in the Mediterranean near Libya.

      The Open Arms boat, run by Spanish aid group Proactiva Open Arms, was the cause of a political row Saturday between Italy and Malta, who both rejected taking in the aid boat’s migrants.

      Mr Colau tweeted that Spanish Prime Minister Pedro Sanchez should “save lives” because Barcelona “doesn’t want to be an accomplice to the policies of death of Matteo Salvini,” referring to Italy’s hard-line interior minister.

      Mr Salvini, head of an anti-migrant party in the Italian coalition government, has vowed that no more humanitarian groups’ rescue boats will dock in Italy.

      The Spanish vessel said it rescued the migrants Saturday — including five women, a nine-year-old child and three teenagers — after it spotted a rubber boat patched with duct tape floating in the sea. All the migrants appeared in good health.

      "Despite the hurdles, we continue to protect the right to life of invisible people,’ said Open Arms.

      Mr Salvini quickly declared that the rescue boat “can forget about arriving in an Italian port” and claimed the boat should go to Malta, the nearest port.

      But Malta swiftly pushed back, with its interior minister contending that the tiny Italian island of Lampedusa, south of Sicily, was closer to the boat.

      Earlier this month, Rome rejected the Aquarius ship carrying 630 migrants, forcing it to eventually dock in Spain.

      “For women and children really fleeing the war the doors are open, for everyone else they are not!” Mr Salvini tweeted.

      https://www.thenational.ae/world/europe/barcelona-urges-spain-to-allow-migrant-ship-to-dock-1.745767
      #villes-refuge

    • Migrants rescue boat allowed to dock in Barcelona

      A Spanish rescue boat which plucked 60 migrants from a patched-up rubber dinghy in the Mediterranean Sea near Libya has been given permission to sail to Barcelona, following another political row between Italy and Malta over where the vessel should dock.

      The boat, Open Arms, run by Spanish aid group Proactiva Open Arms, said it rescued the migrants – including five women, a nine-year-old child and three teenagers – after it spotted a rubber boat patched with duct tape floating in the sea. All the migrants appeared in good health.

      Italy’s right-wing interior minister Matteo Salvini quickly declared that the rescue boat “can forget about arriving in an Italian port”, and claimed it should instead go to Malta, the nearest port.

      Malta swiftly pushed back, with its interior minister contending that the tiny Italian island of Lampedusa, south of Sicily, was closer to the boat.

      http://www.itv.com/news/2018-06-30/migrants-rescue-boat-allowed-to-dock-in-barcelona

    • #Palerme:

      La Commission régionale de l’Urbanisme a rejeté le projet de pré-faisabilité du « #hotspot » à Palerme, confirmant l’avis du Conseil municipal de Palerme. L’avis de la Commission régionale reste technique. Le maire de Palerme a rappelé que "la ville de Palerme et toute sa communauté sont opposés à la création de centres dans lesquels la dignité des personnes est violée (...). Palerme reste une ville qui croit dans les valeurs de l’accueil, de la solidarité et des rencontres entre les peuples et les cultures, les mettant en pratique au quotidien. En cela, notre « non » à l’hotspot n’est pas et ne sera pas seulement un choix technique, mais plutôt un choix relatif à des principes et des valeurs".
      > Pour en savoir plus (IT) : http://www.palermotoday.it/politica/hotspot-zen-progetto-bocciato-regione.html

      – Leoluca Orlando, le maire de Palerme, continue de défier le gouvernement et les politiques migratoires de Salvini. La nouvelle querelle fait suite à une circulaire envoyée aux préfets et présidents de commissions sur la reconnaissance de la protection internationale. Matteo Salvini souhaite une accélération de l’examen des demandes et un accès plus strict au titre de séjour pour motif(s) humanitaire(s), un des avantages les plus accordés (cette année, ils représentaient 28% des trois titres de séjour prévus par la loi). La circulaire invite les commissions à être plus rigoureuses dans l’examen de la vulnérabilité.
      > Pour en savoir plus (IT) : www.palermotoday.it/politica/migranti-polemica-orlando-salvini-querela.html ?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter

      – 8 Juillet, 18h : manifestation citoyenne des oppressé.es à Palerme.
      > Pour en savoir plus (IT), lien vers l’évènement : http://palermo.carpediem.cd/events/7342024-prima-le-oppresse-e-gli-oppressi-at-piazza-giuseppe-verdi

      –-> Reçu via la mailing-list Migreurop

    • Migranti: parte l’offensiva degli amministratori locali contro la deriva xenofoba e razzista del Governo

      Primo firmatario dell’appello «inclusione per una società aperta» Nicola Zingaretti; tra gli aderenti Sala, Pizzarotti e De Magistris.

      Trentatré episodi di aggressioni a sfondo razzista da quando il governo Salvini - Di Maio si è insediato, tre solo nelle ultime ore; porti chiusi e criminalizzazione delle Ong; ruspe sui campi rom e una narrazione costante e diffusa che parla di invasione, sostituzione etnica, pericolo immigrazione: qualcuno ha deciso di non restare in silenzio e mostrare che esiste anche un’Italia che rifiuta tutto questo, rivendica lo stato di diritto e sostiene l’inclusione sociale come valore assoluto.

      Per questo oggi stato lanciato - e ha già raccolto più di 200 adesioni in tutta Italia - il manifesto «Inclusione per una società aperta», ideato e promosso dai consiglieri regionali del Lazio Alessandro Capriccioli, Marta Bonafoni, Paolo Ciani, Mauro Buschini e Daniele Ognibene e rivolto a tutti gli amministratori locali che rifiutino «la retorica dell’invasione e della sostituzione etnica, messa in campo demagogicamente al solo scopo di ottenere consenso elettorale, dagli imprenditori della paura e dell’odio sociale; rifiutino il discorso pubblico di denigrazione e disprezzo del prossimo e l’incitamento all’odio, che nutrono una narrazione della disuguaglianza, giustificano e fanno aumentare episodi di intolleranza ed esplicito razzismo», col fine di costruire «una rete permanente che, dato l’attuale contesto politico, affronti il tema delle migrazioni e dell’accoglienza su scala nazionale a partire dalle esperienze e dalle politiche locali, con l’obiettivo di opporsi fattivamente alla deriva sovranista e xenofoba che sta investendo il nostro paese», come si legge nell’appello diffuso quest’oggi.

      «In Italia viviamo una situazione senza precedenti», ha spiegato Alessandro Capriccioli, capogruppo di +Europa Radicali durante la conferenza stampa di lancio dell’appello insieme ai colleghi Paolo Ciani, Marta Bonaforni e Marietta Tidei. «Attraverso una strategia quasi scientifica è stato imposto un racconto sull’immigrazione che alimenta l’odio e lo sfrutta per ottenere consensi. Questo manifesto si rivolge agli amministratori locali che affrontano sul campo il tema dell’immigrazione con risultati virtuosi che spesso smentiscono quel racconto, ed è uno strumento per formare una rete istituzionale che potrà diventare un interlocutore autorevole e credibile in primo luogo di questo Governo, dettando indicazioni, strategie e proposte».

      Paolo Ciani, capogruppo di Centro Solidale, ha sottolineato come «questa narrazione distorta sta portando a un imbarbarimento della nostra società. Gli episodi di questi giorni rappresentano solo la punta dell’iceberg di un atteggiamento diffuso: sappiamo tutti che esistono degli istinti bassi che appartengono a tutti gli esseri umani e che, se trovano una loro legittimazione nelle istituzioni, diventano un problema». Marietta Tidei, consigliera regionale del Pd ha posto l’attenzione sul fatto che «oggi viene raccontato solo il brutto dell’immigrazione, ma noi siamo qui per dire che c’è anche molto che ha funzionato: il programma Sprar è un esempio virutoso», mentre la capogruppo della Lista Civica Zingaretti Marta Bonafoni ha sottolineato come ciò che conta sia «la quantità e la pronta risposta che stiamo avendo: la distribuzione geografica ci dice che c’è un’altra italia, che con questo appello diventa una rete istituzionale che si pone come interlocutrice del Governo».

      Oltre al Presidente della regione Lazio hanno già sottoscritto l’appello Beppe Sala, sindaco di Milano, Federico Pizzarotti, sindaco di Parma, Luigi De Magistris, sindaco di Napoli e più di 200 tra assessori e consiglieri regionali, sindaci, presidenti di municipi e consiglieri comunali e municipali da ogni parte d’Italia.

      http://www.repubblica.it/solidarieta/immigrazione/2018/08/03/news/migranti_parte_l_offensiva_degli_amministratori_locali_contro_la_deriva_x
      #xénophobie #racisme #anti-racisme

    • Espagne : #Bilbao accueille de plus en plus de migrants

      Dernière étape avant la France ou une autre destination, Bilbao accueille de plus en plus de migrants débarqués sur les plages du sud de l’Espagne. Le Pays basque, connu pour être doté d’un réseau de solidarité citoyenne très développé, prend en charge le sort de ces migrants en transit. C’est le cas de l’association #Ongi_Etorri_regugiak - « Bienvenue réfugié » - qui depuis trois mois aide un groupe de 130 subsahariens livrés à eux-mêmes.

      Dans la cour de récréation, une vingtaine d’Africains jouent au football en attendant l’heure du dîner. C’est dans cette ancienne école primaire du quartier populaire de Santuxtu, transformée en centre social, que sont hébergés ces migrants âgés de plus de 18 ans. Tous ont débarqué en zodiac sur les côtes espagnoles, puis ont été transportés jusqu’à Bilbao dans des bus affrétés par les autorités espagnoles. Mais à leur arrivée, ils sont très vite livrés à eux-mêmes.

      La solidarité d’une centaine de personnes a permis d’aider ces migrants et de prendre la relève des autorités locales comme le souligne Martha, une des volontaires. « On a ouvert ce dispositif entre personnes qui n’ont aucun moyen économique, c’est autofinancé, et on apprend sur le tas un peu de tout, explique-t-elle. Il y a des gens qui restent dormir pour voir si tout se passe bien. On est là pour les accompagner, pour créer aussi le lien avec les gens d’ici, avec la ville. C’est très émouvant de voir comment s’est créée une chaîne de solidarité entre différents quartiers peu à peu, qui ne devrait pas s’arrêter là et on espère qu’elle ne va pas se rompre ».

      Parmi ces migrants, Zacharia, un Camerounais de 29 ans, désigné chef cuisinier. C’est lui qui prépare les repas pour les 130 personnes avec les vivres donnés par les habitants du coin. Il espère l’obtenir l’asile politique, mais il va devoir attendre six mois pour avoir son premier rendez-vous avec les autorités, ce qui le préoccupe.

      Les autorités basques ont promis de se pencher sur le sort de ces migrants, mais d’ordinaire, ils sont très peu à choisir de rester au Pays basque. La plupart décident de continuer leur périple vers le nord de l’Europe avec ou sans aide.

      http://www.infomigrants.net/fr/post/11498/espagne-bilbao-accueille-de-plus-en-plus-de-migrants

    • #Atlanta says NO to detention and YES to increased legal services and support for family reunification:

      Mayor Keisha Lance Bottoms Issues Executive Order to Permanently End City of Atlanta Receiving ICE Detainees

      Mayor Keisha Lance Bottoms has signed an Executive Order directing the Chief of the Atlanta City Department of Corrections to take the necessary action to permanently stop receiving U.S. Immigration and Customs Enforcement (ICE) detainees under the current agreement with the United States Marshals Service.


      https://t.co/9jZoIICiIi
      #détention_administrative #rétention

      #USA #Etats-Unis

    • How Cities Are Demanding a Greater Voice on Migration

      Cities are developing their own solutions to help fast-growing migrant and refugee populations in urban areas. Cities expert Robert Muggah describes the swell of initiatives by urban leaders and what it will take to overcome the barriers ahead.

      Most refugees and internally displaced people live in cities. Yet urban leaders are regularly excluded from international discussions about refugee response.

      Robert Muggah, cofounder of the Brazil-based think-tank the Igarape Institute and Canadian risk consultancy The SecDev Group, is among a growing chorus of city and migration experts calling for that to change. His recent paper for the World Refugee Council describes how cities are developing their own solutions and offers a blueprint for better cooperation.

      “Cities will need resources to scale up their activities,” Muggah told Refugees Deeply. “This may require changes in laws so that cities can determine their own residence policies and keep tax revenues generated by migrants who move there.”

      Refugees Deeply talked to Muggah about how city leaders are championing new approaches to displacement and the barriers they’re trying to overcome.
      Refugees Deeply: Are the global compacts on refugees and migration a missed opportunity for a smarter international approach to urban refugees and migrants?

      Robert Muggah: The international response to the urbanization of displacement has been woefully inadequate. The U.N. High Commissioner for Refugees (UNHCR), in particular, was remarkably slow to empower cities to assume a greater role in protecting and assisting refugees and other groups of concern. And while it has made some modest improvements, the UNHCR’s strategic plan (2017–21) makes just one reference to urban refugees – acknowledging that they constitute the majority of the agency’s caseload – but offers no vision or concrete recommendations moving forward.

      The global compacts on migration and refugees were never going to be revolutionary. But so far they have been a disappointment seen from the vantage point of cities. While still under review, the new compacts only tangentially address the central role of urban authorities, businesses and civic associations in supporting displaced populations. While they offer a suite of sensible-sounding proposals to ensure a more predictable approach to protection and care and “regularize” population movements more generally, they are silent on the role of cities. The global compact on refugees mentions the word “urban” just four times and “cities” just once. These omissions have not gone unnoticed: cities and inter-city networks are agitating for a greater voice.

      The global compacts on migration and refugees were never going to be revolutionary. But so far they have been a disappointment seen from the vantage point of cities.
      Refugees Deeply: What are some of the main political and institutional blockages to better equipping cities around the world to protect and care for migrants and refugees?

      Muggah: For most of the 20th and 21st centuries, nation states have actively resisted giving cities more discretion in responding to issues of cross-border and internal population displacement. Cities will not find recourse in international law, and the Sustainable Development Goals (SDGs) also have nothing to say about urban displacement. More positively, the nonbinding New Urban Agenda offers more concrete direction on cooperation between national and subnational authorities to address the needs of refugees and internally displaced people.

      Cities have also received comparatively limited support from international organizations to support urban refugees and displaced people. On the contrary – the UNHCR has instead emphasized the need to reduce assistance and promote self-reliance. Under immense pressure from U.N. member states, and host states in particular, the UNHCR sought to limit refugees from moving to cities where possible. UNHCR made tentative gestures to move beyond the minimalist approach and advocate for refugee rights in cities in the 2000s, but a camp-based model prevailed. There were concerns that the focus on refugees in cities could antagonize host countries, many of whom saw displaced people as a threat to domestic and international security.
      Refugees Deeply: What are some of the factors common to the most proactive and innovative cities on these issues?

      Muggah: A growing number of cities are demanding a greater voice on issues of migration and displacement. Earlier in 2018 a small delegation of cities – led by New York – sent recommendations to improve the overall wording and content of the Global Compact. Likewise, in 2017, the International Organization for Migration, together with the United Cities and Local Government (UCLG), assembled 150 cities to sign the Mechelen Declaration demanding a seat at the decision-making table. And in 2015, Eurocities also issued a statement on refugees in the wake of the influx of refugees from the Middle East and North Africa. They set up Solidarity Cities, which provides support to help cities deliver services and identify effective long-term solutions to protect social cohesion and integration.

      Cities are also getting on with developing legislative and policy frameworks to welcome refugees and promote protection, care and assistance. Good examples include more than 100 “welcoming cities” in the U.S. that have committed to promoting integration, developing institutional strategies for inclusion, building leadership among new arrivals and providing support to refugees. Meanwhile, some 500 jurisdictions describe themselves as “sanctuary cities.” Despite threats of cuts to funding, they are resisting federal efforts to enforce immigration law and are on the front line of supporting refugees. In the U.K., at least 80 “cities of sanctuary” offer another approach to providing compassionate solutions for refugees. Large and medium-sized cities across Europe are also adopting similar strategies, in cooperation with Eurocities – a network of major European cities founded in 1986.

      While it can generate tension with federal counterparts, these city-level responses can help contribute to greater safety and economic progress in the long run. Cities, states and countries with sanctuary policies tend to be safer and more prosperous than those without them. Sanctuary cities can build trust between law enforcement agencies and migrant communities. Likewise, the economies of sanctuary cities, towns and counties are largely more resilient than nonsanctuary counterparts, whether measured in terms of the population’s income, reliance on public assistance or labor force participation.
      Refugees Deeply: Many cities face financial and political limitations on their ability to respond to refugee crises. Where have you seen good examples of devolution of power and resources helping cities to respond better?

      Muggah: There are countless examples of cities strengthening their protection and care for urban refugees in a time of austerity. In New York, for example, city authorities launched ActionNYC, which offers free, safe legal assistance for migrants and refugees in multiple languages. In Barcelona, the SAIER (Service Center for Immigrants, Emigrants and Refugees) program provides free advice on asylum and return, while Milan works with the UNHCR and Save the Children to offer services for unaccompanied minors.

      Montreal established the BINAM (Bureau d’integration des nouveaux arrivants a Montreal) program to provide on-the-job training and mentoring to new arrivals, and Sao Paulo has created municipal immigration councils to help design, implement and monitor the city’s policies. Likewise, cities such as Atlanta and Los Angeles are requiring that migrants – in particular, refugees – have equal access to city facilities, services and programs regardless of their citizenship status.

      Cities are also banding together, pooling their resources to achieve greater influence on the urban refugee agenda. Today there are more than 200 intercity networks dedicated to urban priorities, ranging from governance and climate change to public safety and migration. Several of them have dedicated guidelines on how cities can protect and care for refugees. For example, the Global Parliament of Mayors, established in 2016, focuses on, among other things, promoting inclusive cities for refugees and advocating on their behalf. The International Coalition of Inclusive and Sustainable Cities and the UCLG are others, having teamed up with think-tanks and international agencies to strengthen information-sharing and best practices. Another new initiative is Urban20, which is promoting social integration, among other issues, and planning an inaugural meeting in October 2018.
      Refugees Deeply: Most cities at the forefront of refugee crises are in the Global South. What recommendations would you offer to ensure that international responses to urban displacement do not become too North-centric?

      Muggah: This reality is often lost on Northern policymakers and citizens as they seek to restrict new arrivals and reduce overseas assistance. The Carnegie Mellon University’s Create Lab and the Igarape Institute have developed a range of data visualization tools to highlight these trends, but a much greater effort is required to educate the public. These outreach efforts must be accompanied with a dramatic scaling-up of assistance to redressing the “causes” of displacement as well as supporting front-line cities absorbing the vast majority of the world’s displaced populations.


      https://www.newsdeeply.com/refugees/community/2018/09/21/how-cities-are-demanding-a-greater-voice-on-migration

    • Création de l’#association_nationale des #villes et #territoires accueillants

      À l’heure où l’échec des politiques migratoires européenne et nationale entraîne une montée des populismes tout en restreignant les droits humains fondamentaux, nous, élu.e.s de villes et collectivités, décidons de nous unir sous une bannière commune : celle de l’accueil inconditionnel.

      Nous demandons ainsi que l’Etat assume ses missions et assure les moyens pour créer des solutions d’accueil, d’hébergement et d’accompagnement plus nombreuses et plus qualitatives que celles existantes aujourd’hui. Cela doit passer par la mise en place d’une stratégie nationale d’accueil afin de répartir et d’accompagner l’effort de solidarité.

      Nous l’enjoignons à respecter le droit et ses engagements internationaux (Protocole de Quito de l’ONU, Convention de Genève), européens (Pacte d’Amsterdam) et nationaux (Code des Familles et de l’Action Sociale)

      Néanmoins, dépositaires d’une tradition d’accueil et de valeurs humanistes, nous, élu.e.s locaux et territoriaux, mettons en oeuvre et expérimentons déjà sur nos territoires, au quotidien, des réponses aux impératifs de l’urgence humanitaire et d’inclusion de tout un chacun, même quand l’Etat est défaillant.
      Surtout, nous agissons en responsabilité, conformément à nos obligations règlementaires et législatives.

      L’association que nous avons constituée à Lyon 1er le 26 septembre 2018, rassemble tout.e.s les élu.e.s promouvant l’hospitalité, source de politiques inclusives et émancipatrices. Fort.e.s de notre expérience, animé.e.s par la volonté d’agir collectivement, nous donnerons à voir que des solutions dignes sont possibles et adaptées à chaque situation locale. Il n’y a pas UNE politique d’accueil, mais autant que de particularismes locaux.

      Elle permettra de mettre en avant toutes les réussites locales en matière d’accueil sur notre
      territoire et les réussites que cela engendre lorsque chacun assume ses responsabilités.
      Elle permettra aussi, la mise en commun de bonnes pratiques, l’accompagnement de territoires volontaires, la mobilisation autour d’enjeux liés aux politiques migratoires, la proposition de mesures adaptées. En partenariat avec toutes les forces vives volontaires : acteurs associatifs, citoyen.ne.s, universitaires, juristes, militant.e.s, etc.

      Nous souhaitons la bienvenue aux élu.e.s de tous horizons et de tout territoire, qui, partageant nos valeurs humanistes et notre volonté politique, veulent rejoindre notre association.

      Damien CARÊME, Maire de #Grande-Synthe, Président de l’Association
      Catherine BASSANI, Représentante de la ville de #Nantes
      Philippe BOUYSSOU, Maire d’#Ivry-Sur-Seine
      Marie-Dominique DREYSSE, Maire-adjointe de #Strasbourg
      Gérard FROMM, Maire de #Briançon
      Corinne IEHL, Elue de #Lyon 7ème arrondissement
      Myriam LAÏDOUNI-DENIS, Elue de la #Région_Auvergne-Rhône-Alpes
      Bernard MACRET, 4ème Adjoint aux Solidarités Internationales, #Grenoble
      Halima MENHOUDJ, Adjointe au Maire de #Montreuil
      Jaklin PAVILLA, 1ère Adjointe au Maire de #Saint-Denis
      Nathalie PERRIN-GILBERT, Maire du 1er arrondissement de Lyon
      Eric PIOLLE, Maire de #Grenoble
      Laurent RUSSIER, Maire de #Saint-Denis
      Bozena WOJCIECHOWSKI, Adjointe au Maire d’Ivry-sur-Seine

      https://blogs.mediapart.fr/fini-de-rire/blog/280918/creation-de-l-association-nationale-des-villes-et-territoires-accuei
      #villes_accueillantes #territoires_accueillants #France
      #ANVITA

    • How Cities Can Shape a Fairer, More Humane Immigration Policy

      National governments do not have all the answers on immigration says Bristol mayor Marvin Rees. Ahead of a mayors’ summit he outlines a better city-led response.

      People have always been on the move, both within nations and across borders, but increasingly migrants tend to settle in cities. This puts cities and their responses at the heart of the conversation, something we are looking to highlight at the Global Parliament of Mayors (GPM) Summit here in Bristol.

      There is a steady upward trend in the number of people who have left their homelands voluntarily for economic or other reasons, or who are forced to leave their homes as refugees or displaced persons for reasons of conflict or environmental disaster. Population diversity in most developed countries can be attributed to international migration, whereas in developing nations it is mostly internal migration that contributes to this diversity.

      This is an important moment in the United Kingdom’s approach to the issue of migration. The upcoming Immigration Bill, expected toward the end of this year, will bring unprecedented reform of U.K. immigration policy. At the same time, the scandal over the treatment of the Windrush generation has brought to public consciousness the impact of this government’s “hostile environment” policy and the burdensome bureaucracy the Home Office is inflicting on individual human lives. A fairer, more compassionate system is needed, one in which no one is detained without knowing why and when they will be released. It is everyone’s legitimate right to enjoy a family life with loved ones and to realize the aspiration to provide for oneself and one’s family and contribute to society through employment.

      However, national governments clearly do not have all the answers. Around the world, it is cities that are increasingly collaborating nationally and across borders, learning from each other and replicating good practice. Cities’ experiences have to be included in the national debate on how to take advantage of the full potential of migration and drive a change in policies and mind-set to ensure that migration is embraced as an opportunity rather than seen solely as a challenge.

      That is why this will be high on the agenda at the GPM summit opening on October 21, with almost 100 mayors representing both developed and emerging states in attendance. Cities are where migrants interact with communities, society and, if only indirectly, with the host country. The social, economic, political and cultural activities in a city can play a crucial role in countering the anxiety and fears associated with migration, and help integration and inclusivity. Where the right policies and practices are in place, migration can bring huge benefits to communities and cities, fueling growth, innovation and entrepreneurship.
      City Responses

      City responses to migration and refugees have been varied and multifaceted but they are characterized by the theme of inclusion, with city leaders attempting to design and implement policies that allow newcomers to contribute to, and benefit from, the flourishing of their new communities. These responses are rooted in an approach that is both principled and pragmatic – seeking to uphold human rights and dignity while at the same time identifying practical solutions to the challenges affecting local residents. At a time when, at national and international level, migration has been used by some as a political weapon to stoke resentment and tension, this city perspective has never been more vital in bringing both humanity and reality back into public discourse.

      In seeking to develop inclusive solutions on migration, cities across the globe are innovating and developing new models of best practice.

      Amsterdam has adopted a programme called “Everyone’s Police,” which encourages the reporting of crimes in the interest of more effective policing and community engagement.

      New York City has created the I.D. NYC scheme, a government-issued identification card available to all residents regardless of immigration status that enables people to access a variety of services and discounts in the city.

      Barcelona supports children and families applying for family reunification by providing comprehensive and personalized guidance on the legal, practical and psychological aspects of the process.

      Sao Paulo has established the Coordination of Policies for Migrants’ Unite within its municipal structures to promote city policies for migrants across departments and disciplines and in a participative manner.

      Amman has welcomed almost 2 million migrants and refugees in the last two decades as a result of conflicts in neighboring countries. And cities in Uganda have played a key role in implementing national policies designed to allow refugees to own land and set up businesses.

      These are just a handful of examples of the great work already being done by many cities on these issues. These innovations will be examined in detail at the GPM summit, with city representatives sharing their valuable learning and experience.

      A number of initiatives and networks have been established to support and catalyze such innovations and share best practice across different city contexts, from the World Economic Forum Global Future Council on Migration to the Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) Champion Mayors for Inclusive Growth – and many more. Together these networks provide a wealth of resources and insight for cities seeking to make inclusion a reality.
      A Voice for Cities on the Global Stage

      Despite this vital work on the ground, cities remain underrepresented on the global stage when it comes to key decision-making on migration and refugee issues. This is the challenge the GPM summit will address.

      The GPM has already been actively engaged in the negotiations on the United Nations global compacts on migration and refugees. As the mayor of Bristol I become the first city leader to speak in the deliberations on the compact on migration in May 2018.

      At the summit we will debate and decide how, collectively, we can take a leadership role for cities in the implementation of the global compacts. We will hear from other key international stakeholders, as well as from mayors with direct and varied experience. And we will agree on practical steps to enable cities to implement the compacts in their areas of influence.

      The price of inaction is huge – a critical global diplomatic process could once again largely pass cities by and leave national-level politicians bickering over watered-down commitments. The potential prize is just as significant – a recognized seat at the table for cities to review and implement global compacts, and a range of practical resources to maximize the contributions that migrants and refugees can bring to our communities.

      Our conversations in Bristol represent a critical opportunity to better grasp the key issues for cities related to migration and integration, and to amplify the voice of city leaders in international policymaking relating to migrants and refugees.


      https://www.newsdeeply.com/refugees/community/2018/10/19/how-cities-can-shape-a-fairer-more-humane-immigration-policy

    • Migranti, «Venite al porto di Napoli, vi accogliamo»

      E sul fronte migranti: «Io faccio una proposta ai timonieri di navi: la prossima volta che avete un problema per le autorizzazioni avvicinatevi alle acque territoriali di una città povera ma dalla grande dignità. Avvicinatevi al porto di Napoli. Noi disponiamo di due gommoni come Comune, un po’ malandati ma funzionanti. Vi assicuro che ci sono pescatori democratici e tanta gente in grado di remare e venire a prendere. E mi metto io nella prima barca, voglio vedere se ci sparano addosso».

      https://napoli.repubblica.it/cronaca/2018/12/01/news/incontro_con_de_magistris_a_roma_nasce_terzo_fronte_-213118777/?ref=fbpr

    • Italie : #Palerme, l’exception

      En juin, il a été l’un des premiers à proposer d’accueillir l’Aquarius et ses passagers indésirables : Leoluca Orlando, le maire de Palerme, s’affiche comme l’un des plus farouches opposants à la politique migratoire du gouvernement italien. Il milite entre autres, pour la disparition du permis de séjour et la libre-circulation des personnes.

      Ces trois dernières années, la capitale sicilienne a accueilli des dizaines de milliers de migrants. Ils sont nombreux à y être restés et, parmi eux, beaucoup de mineurs isolés. Pour les prendre en charge, une multitude d’associations travaillent main dans la main avec le soutien de la mairie.
      Reportage à Palerme, où les initiatives se multiplient, à contre-courant de la politique du ministre de l’intérieur, Mateo Salvini.

      https://www.arte.tv/fr/videos/084352-000-A/italie-palerme-l-exception

      signalé par @sinehebdo
      https://seenthis.net/messages/743236

    • Le temps est venu pour des villes solidaires...


      https://twitter.com/seawatchcrew/status/1078595657051574272?s=19

      Stuck at Sea for over 6 days – the New Year for the rescued on Sea-Watch 3 must start ashore!

      Already on Saturday, the crew of the Sea-Watch 3 has saved 32 people from drowning, including four women, three unaccompanied minors, two young children and a baby. Five countries (Italy, Malta, Spain, Netherlands, Germany) refused to take responsibility and grant the rescued a port of safety for Christmas.
      In Germany only, more than 30 cities and several federal states have declared themselves to be safe havens and are willing to accept those rescued from distress at sea.

      https://sea-watch.org/en/stuck-at-sea-for-over-6-days-without-port-of-safety

    • NYC to Fund Health Care for All, Including the Undocumented, Mayor Says

      New York Mayor Bill de Blasio proposed a $100 million plan that he said would provide affordable “healthcare for all,” reaching about 600,000 people, including undocumented immigrants, low-income residents not enrolled in Medicaid and young workers whose current plans are too expensive.

      The plan, which de Blasio dubbed “NYC Care,” will offer public health insurance on a sliding price scale based on income, the mayor said during an interview Tuesday morning on MSNBC. It will begin later this year in the Bronx and will be available to all New Yorkers in 2021, and would cost at least $100 million once it reaches full enrollment, according to the mayor’s office.

      The proposed city-funded health insurance option would assign a primary care doctor to each plan participant and help patients find specialists if needed. De Blasio said the plan, which would be financed out of the city’s public health budget, would ultimately be cost effective by reducing hospital emergency room visits by uninsured patients and by improving public health.

      The program builds upon the city’s $1.6 billion a-year Department of Public Health and Mental Hygiene budget and the separately funded public hospital system, which already serves 475,000 under-insured and uninsured patients annually, including undocumented immigrants, in more than 11 hospitals and 70 neighborhood clinics. The city already has an insurance plan, MetroPlus, that will be used as the template for the coverage. The program may take two years to get “to full strength,” de Blasio said.

      https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-01-08/nyc-to-fund-health-care-for-all-including-the-undocumented

      #NYC #New_York

    • Avec la « ville-refuge », ce serait un nouveau concept de Ville qui pourrait émerger, un autre droit d’asile, une autre hospitalité qui transformerait le droit international

      Intervenant devant le Parlement international des écrivains pour répondre à un appel lancé en 1995 pour constituer un réseau de villes-refuges susceptibles d’accueillir un écrivain persécuté, Jacques Derrida s’interroge sur les implications de cette proposition. Une Ville peut-elle se distinguer d’un Etat, prendre de sa propre initiative un statut original qui, au moins sur ce point précis, l’autoriserait à échapper aux règles usuelles de la souveraineté nationale ? Peut-elle contribuer à une véritable innovation dans l’histoire du droit d’asile, une nouvelle cosmopolitique, un devoir d’hospitalité revisité ? Inventer cela peut être considéré comme une utopie, mais c’est aussi une tâche théorique et critique, urgente dans un contexte où les violences, les crimes, les tragédies, les persécutions, multiplient les réfugiés, les exilés, les apatrides et les victimes anonymes.

      Le droit d’asile est un vestige médiéval, qui a survécu aux guerres du 20ème siècle. Appeler les villes à renouer avec cette tradition en accueillant les réfugiés comme tels, sans leur proposer ni la naturalisation, ni le retour dans leur région d’origine, implique de déborder les limites fixés par les traités entre Etats souverains. On peut imaginer une nouvelle figure de ville, une ville franche qui bénéficierait d’un statut d’exemption, d’immunité, comparable à celui qui est encore parfois attaché à certains lieux, religieux ou diplomatiques.

      On trouve la notion de ville-refuge dans la bible, chez certains stoïciens grecs, chez Cicéron, Saint Paul (qui la sécularise), dans la tradition médiévale et religieuse (les églises comme lieu de « sauveté »). Les Lumières en héritent et Kant, dans son Article définitif en vue de la paix perpétuelle, en donne une formulation rigoureuse mais restrictive : (1) il limite l’hospitalité au droit de visite, excluant le droit de résidence ; (2) il la fait dépendre du droit étatique. Pour faire progresser le droit, il faut analyser ces restrictions. D’une part l’hospitalité selon Jacques Derrida est une Loi, un droit inconditionnel offert à quiconque, un principe irréductible ; mais d’autre part il faut répondre à l’urgence, à la violence et à la persécution. Cela peut ouvrir la possibilité d’une expérimentation - dans la pratique et dans la pensée, d’une autre idée du cosmopolitisme et de la démocratie à venir.

      En France, le droit d’asile est assez récent. La constitution de 1946 ne l’accorde qu’aux pesonnes persécutées à cause de leur action « en faveur de la liberté », une définition élargie en 1954 (par suite de l’adhésion à la Convention de Genève de 1951) à ceux dont la vie ou la liberté se trouve menacée « en raison de leur race, de leur religion ou de leurs opinions politiques ». L’application de cette Convention n’a été élargie aux personnes hors d’Europe et aux événements survenus après 1951 qu’en 1967. Mais les Etats-nations n’acceptent, en pratique, d’accorder ce droit que sous des conditions qui le rendent parfois presque impossible. En France, il faut que l’exilé ne puisse attendre aucun bénéfice économique de son immigration. Souvent, devant l’imprécision des règles, on laisse la police faire la loi - une confusion inquiétante, voire ignoble, comme le dénonçait Walter Benjamin, quand les limites de l’action de la police deviennent insaisissables, indéterminées. Le droit d’asile implique une subordination stricte de toutes les administrations policières au pouvoir politique.

      https://www.idixa.net/Pixa/pagixa-1308210805.html
      via @nepthys

    • #Jacques_Derrida und die Idee der Zufluchtsstädte

      Nach islamistischen Anschlägen in Algerien Anfang der 90er-Jahre flohen viele Kulturschaffende aus dem Land. Zusammen mit anderen internationalen Intellektuellen initiierte der französische Philosoph Jacques Derrida von Staaten unabhängige Zufluchtsorte für Verfolgte. Welche Kraft hat diese Idee heute?

      Der Exodus arabischer Intellektueller in den Westen hat eine lange Tradition. Vor über 20 Jahren wütete der islamistische Furor in Algerien. Viele Journalisten wurden damals ermordet, den Überlebenden blieb nur die Flucht ins westliche Ausland. Dieses Horrorszenario wiederholt sich heute in Syrien. Karim Chamoun, ein in Mainz lebender Radiojournalist, gibt den syrischen Flüchtlingen eine Stimme. Seine Landsleute informiert er über die eskalierenden Zustände in der Heimat. Offenbar – so berichtet Chamoun – läuft dem regierenden Assad-Clan die noch verbliebene Bildungselite davon:

      „In den letzten 18 Monaten sind sehr viele Pro-Assad-Intel­lektuelle ausgewandert und sind in Deutschland gelandet. Viele sind in der jetzigen Zeit ausgewandert, vor Angst, vor Terror. Die haben keine Organisation, die sie vereint.“

      Das Medieninteresse für Syrien lässt vergessen, dass schon vor über 20 Jahren islamistische Fanatiker eine tödliche Hetzjagd auf Journalisten und Künstler veranstalteten. Der Algerier Tahar Djaout war in den 80er-Jahren bekannt für seine Kommentare im Wochenmagazin Algérie-Actualité. Anfang 1993 gründete Djaout Ruptures – „Brüche“ –, eine Zeitschrift, die sich als Stachel im Fleisch einer autoritär regierten Gesellschaft verstand. Die Redakteure fürchteten allerdings nicht nur die Zensur, sie bangten um ihr Leben, da die „Islamische Heilsfront“ ihnen offen den Kampf angesagt hatte. Im Mai 1993 wurde Tahar Djaout vor seiner Haustür in Algier ermordet. Der Journalist war nicht das erste Opfer der Islamisten, aber das prominenteste. Unzählige andere folgten.

      Tahar Djaouts Ermordung war ein Fanal für die französische Intelligenz. Nicht länger wollte man sich auf den mutlosen internationalen PEN verlassen. Der Philosoph Jacques Derrida und der Soziologe Pierre Bourdieu, die lange Zeit in Algerien gelebt hatten, fühlten sich den Algeriern, den Opfern eines langen, erbitterten Bürgerkrieges gegen die französische Kolonialmacht, eng verbunden. Sie wollten den „Terrainverlust“ der Intellektuellen, einer Elite ohne Macht, wettmachen.
      Die Öffentlichkeit wachrütteln

      Christian Salmon, Gründer des Straßburger Zirkels „Carrefour de littérature“, startete eine Unterschriftenaktion. Weltweit verbündeten sich namhafte Schriftsteller mit den verfolgten Algeriern. Salmon schrieb:

      „Algerische Journalisten und Schriftsteller, die glücklich einem Attentat entkommen sind, müssen sich verbergen, während sie vergeblich auf ein Visum warten. Sie harren ungeduldig vor unseren Grenzen. Hunderte algerische Intellektuelle, dem Hass islamistischer Attentäter ausgeliefert, verdanken ihr Überleben entweder purem Glück oder der Überbeschäftigung der Henker. (…) Wir sagen jetzt: Es reicht! Genug der Morde in Algerien! Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle zeigen ihren Widerstand. In aller Deutlichkeit sagen wir: Keine Demokratie ohne Solidarität, keine Zivilisation ohne Gastfreundschaft.“

      Aus Solidarität mit den algerischen Kollegen kamen im November 1993 im Straßburger „Carrefour de littérature“ zahlreiche internationale Autoren zusammen, um die Öffentlichkeit wachzurütteln. 200 Schriftsteller unterzeichneten den Appell. Bei einer rituellen Aktion wollte man es aber nicht belassen: Unter der Leitung des indischen Autors Salman Rushdie, der seit der Fatwa Ayatollah Chomeinis von den iranischen Häschern verfolgt wurde, gründeten sie das Internationale Schriftsteller-Parlament. Währenddessen rief Rushdie, zusammen mit Straßburgs Bürgermeisterin Catherine Trautmann und dem Generalsekretär des Europarats, zur Gründung von Zufluchtsstädten auf – von „villes- refuges“, um verfolgten Schriftstellern und Künstlern Asyl zu gewähren. Salman Rushdie schrieb das Gründungsdokument:

      „Heute widersetzt sich die Literatur ein weiteres Mal der Tyrannei. Wir gründeten das Schriftsteller-Parlament, damit es sich für die unterdrückten Autoren einsetzt und gegen ihre Widersacher erhebt, die es auf sie und ihre Werke abgesehen haben. Nachdrücklich erneuern wir die Unabhängigkeitserklärung, ohne die Literatur unmöglich ist, nicht nur die Literatur, sondern der Traum, nicht nur der Traum, sondern das Denken, nicht nur das Denken, sondern die Freiheit.“
      Kommunen können schneller auf neue Situationen reagieren

      Catherine Trautmann stellte später die Initiative der „villes-refuges“ vor, die zuvor vom Internationalen Schrift­steller-Parlament beschlossen wurde:

      „Es kommt darauf an, dass multikulturell sich verstehende Städte bereit sind, Gedankenfreiheit und Toleranz zu verteidigen. Die in einem Netz verbundenen Städte können etwas bewirken, indem sie verfolgte Künstler und Schriftsteller aufnehmen. Wir wissen, dass Euro­pa ein Kontinent ist, wo über alle Konflikte hinweg Intellektuelle leben und schreiben. Dieses Erbe müssen wir wach halten. Die bedrohten Intellektuellen müssen bei uns Bürgerrecht erhalten. Zu diesem Zweck sollte ein Netz der Solidarität geschaffen werden.“

      Das Projekt der „villes-refuges“ war anfangs äußerst erfolgreich: 1995 beschlossen Vertreter von mehr als 400 europäischen Städten die „Charta der villes-refuges“. Eine Resolution des Europäischen Parlaments förderte ein weltweites Netz von „villes-refuges“. Straßburg und Berlin gehörten zu den ersten „Zu­fluchts­städten“, es folgten Städte wie Venedig und Helsinki.

      Die Skepsis gegenüber den nationalen und überstaatlichen Organisationen wächst. Kommunen, die politische Macht auf lokaler Ebene ausüben, seien imstande, wesentlich schneller und flexibler auf neue, unvorgesehene Situationen zu reagieren, meint der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber:

      „Der Unterschied zu Staaten liegt in der Eigenart der Städte: Sie sind zutiefst multikulturell, partizipatorisch, demokratisch, kooperativ. Städte interagieren und können viel erreichen, während Staaten eigensinnig sind und gemeinsames Handeln behindern. Die Welt globaler Demokratie führt uns nicht zu Staaten, sondern zu Städten. Demokratie entstand in der griechischen polis. Sie könnte ein weiteres Mal in der globalen kosmopolis entstehen.“

      Jacques Derrida ist im Oktober 2004 gestorben. Angesichts der unlösbar scheinenden Flüchtlingsprobleme wäre der Philosoph heutzutage ein verantwortungsvoller und sachkundiger Diskussionspartner. Vielleicht würde er darauf hinweisen, dass sich die Gesetze der Gastfreundschaft keineswegs geändert haben. Denn auch heute müssen Pflichten und Rechte, Grenzen und Freiheiten neu austariert werden. Im Interesse beider – der Gäste und der Gastgeber.

      https://www.deutschlandfunkkultur.de/villes-refuges-jacques-derrida-und-die-idee-der.976.de.html?dr
      #Derrida
      via @nepthys

    • #ICORN

      The #International_Cities_of_Refuge_Network (ICORN) is an independent organisation of cities and regions offering shelter to writers and artists at risk, advancing freedom of expression, defending democratic values and promoting international solidarity.

      Writers and artists are especially vulnerable to censorship, harassment, imprisonment and even death, because of what they do. They represent the liberating gift of the human imagination and give voice to thoughts, ideas, debate and critique, disseminated to a wide audience. They also tend to be the first to speak out and resist when free speech is threatened.

      ICORN member cities offer long term, but temporary, shelter to those at risk as a direct consequence of their creative activities. Our aim is to be able to host as many persecuted writers and artists as possible in ICORN cities and together with our sister networks and organisations, to form a dynamic and sustainable global network for freedom of expression.

      https://icorn.org
      #réseau #art #artistes #liberté_d'expression #écrivains

    • #New_Sanctuary_Coalition

      The New Sanctuary Coalition of #NYC is an interfaith network of congregations, organizations, and individuals, standing publicly in solidarity with families and communities resisting detention and deportation in order to stay together. We recognize that unjust global and systemic economic relationships and racism form the basis of the injustices that affect immigrants. We seek reform of United States immigration laws to promote fairness, social and economic justice.

      http://www.newsanctuarynyc.org
      #New_York

    • #Eine_Stadt_für_Alle

      Eine Stadt, aus der kein Mensch abgeschoben wird, in der sich alle frei und ohne Angst bewegen können, in der kein Mensch nach einer Aufenthaltserlaubnis gefragt wird, in der kein Mensch illegal ist. Das sind die grundlegenden Vorstellungen von einer Solidarity City. In einer solchen Stadt der Solidarität sollen alle Menschen das Recht haben zu leben, zu wohnen und zu arbeiten. Alle Menschen soll der Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung gewährt werden. Alle Menschen sollen teilhaben und das Stadtleben mitgestalten können – unabhängig von Aufenthaltsstatus, finanziellen Möglichkeiten, Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, Religion,…
      In vielen Städten in Deutschland, Europa und der ganzen Welt ist der Prozess, eine Solidarity City zu werden schon in vollem Gang.

      https://solidarity-city.eu/de
      #solidarity_city

    • The Cities Refugees Saved

      In the cities where the most refugees per capita were settled since 2005, the newcomers helped stem or reverse population loss.

      Mahira Patkovich was eight years old in 1997 when her family left Bosnia. After a long and complicated war, Muslim families like hers had found themselves without jobs, food, and any semblance of safety. So they sought refuge in America.

      The first year in their new home in Utica, New York, Patkovich felt uprooted—torn from her childhood and everything she knew, and thrust into an alien environment. She knew no one and didn’t speak English. But as time went by, she began to acclimate.

      “The next thing you know, you’re home,”she says in a recent mini-documentary by New American Economy, a bipartisan immigration reform group, and Off Ramp Films. “This is home.”

      Patkovich, the film shows, is now thriving. She works at the office of the Oneida County Executive, owns a small business, and is on her way to a master’s degree. She is also pregnant, and excited to raise her first-born in a community she loves.

      Utica—it’s clear—saved Patkovich and her family. But the truth is: They’re helping to save this town as well. Like many Rust Belt cities, Utica suffered enormously in the second part of the 20th century, losing jobs and bleeding out residents as major employers like General Electric and Lockheed Martin shuttered or left the Mohawk Valley.

      Adam Bedient, director of photography and editor at Off Ramp Films grew up in the nearby town of Clinton in the 1980s and ’90s. He wasn’t tracking Utica’s trajectory too closely then, in part, because not much was happening there. What he remembers of Utica in that era is a typical fading factory town, a place where shuttered storefronts and exposed bricks belied neglect. “Foundationally, there were beautiful things there, they just didn’t look cared for,” he says.

      Now, he’s working on a full-length feature about the refugee communities in Utica, and when he drives through town, he finds it simmering with new life. Old buildings are getting refurbished. Construction cranes bob up and down. And at the center of town is a long-vacant historic Methodist church that has been renovated and converted into a beautiful mosque—a symbol of the new Utica.

      Without its new Bosnian community, Utica would have faced a 6 percent population drop.

      “It’s really symbolic—it was previously a church that was going to be torn down,” Bedient told CityLab. “The Bosnian community bought it from the city, and now it’s a part of the skyline.”

      For CityLab, NAE crunched the numbers on the 11 cities that have resettled the most refugees per capita between 2005 and 2017 to gauge how welcoming these newcomers affected overall population. In almost all cases, refugee resettlement either stemmed population loss or reversed it completely. Without its new Bosnian community, for example, Utica would have faced a 6 percent population drop. With them, the city saw a 3 percent gain.

      But what Andrew Lim, NAE’s director of quantitative research, found surprising was that this list didn’t just include industrial towns hungry for newcomers—places like Syracuse, New York, and Springfield, Massachusetts; it also features places in the South and Sunbelt. Take Clarkston, Georgia, for example, a diverse Atlanta exurb of 13,000 (whose young mayor you may recognize from a recent episode of Queer Eye). Since the 1970s, Clarkston has taken in tens of thousands of refugees from various parts of Asia, the Middle East, Africa, and Europe. In Bitter Southerner, Carly Berlin recently explained how it gained its nickname as the “Ellis Island of the South.”

      As many white residents fled farther out to more fashionable developing Atlanta suburbs, Clarkston became perfect for refugees, with its hundreds of vacated apartments and access to public transportation, a post office, and a grocery store, all within walking distance. The little city became one of now 190 designated resettlement communities across the country.

      Using the data NAE extracted from the Census Bureau and from the Department of Homeland Services, CityLab’s David Montgomery created this nifty chart to show exactly how much refugees boosted or stabilized population in these 11 cities:

      But the pipeline that funneled refugees into cities like Utica is being closed up. In 2018, the Trump administration lowered the maximum number of refugees it takes in for the third year in a row—to 30,000, which is the lowest in three decades. Resettlement agencies, from Western Kansas to Florida, are having to close shop.

      Some places are already seeing the effects. In cities with large concentrations of refugees and refugee services, recent arrivals have been waiting for loved ones to join them. Because of the slash in numbers being accepted, some of these people have been thrust into uncertainty. Muslim refugees from countries listed in the final travel ban have been doubly hit, and may not be able to reunite with their families at all.

      But the effects of the Trump-era refugee policy don’t just affect individual families. In Buffalo, New York—another Rust Belt city that has been reinvigorated by new residents from refugee communities—medical clinics have closed down, housing developments have stalled, and employers have been left looking for employees, The Buffalo News reported. The loss for refugees hoping to come to America appears to also be a loss for the communities they might have called home

      The biggest argument for refugee resettlement is that it is a moral imperative, many advocates argue. Refugees are human beings fleeing terrible circumstances; assisting them is just the right thing to do. Foes of taking refugees—most notoriously, White House advisor Stephen Miller, who is quoted as saying that he would “be happy if not a single refugee foot ever touched American soil again” in a new book by a former White House communication aide—point to the perceived costs and dangers of taking in more. Past analyses shows little basis to that fear. In fact, cities with large refugee populations have seen drops in crime, per a previous NAE’s analysis. And according to NBC News, an intelligence assessment that included inputs from the FBI concluded that refugees did not pose a major national security threat. The Trump administration dismissed its findings.

      https://www.citylab.com/equity/2019/01/refugee-admissions-resettlement-trump-immigration/580318
      #USA #Etats-Unis #démographie