„SPK Komplex“ – Filmfeature zum Kinostart

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  • Patientenfront/Sozialistisches Patientenkollektiv(H)
    http://www.spkpfh.de
    Tun und Glücken kraft Kranksein
    Aus Krankheit stark!

    Krankheit im Recht, Pathopraktik mit Juristen
    http://www.spkpfh.de/Stadtztg2.htm

    Eines steht fest: Krankheit nimmt heute immer mehr zu. Und die Fortschritte der Medizin dagegen sind alles andere als überzeugend. Besonders bezeichnend für diese Medizin ist ihr „Erfolg“, Patientenausrottung und Herrenmenschenzüchtung wieder in die öffentliche Diskussion gebracht zu haben, Euthanasie, Holocaust und Genetik. Viele Patienten streiten dafür, Seite an Seite mit dieser Medizin. Ein Offenbarungseid, ein Armutszeugnis dieser „Fortschritt“, oder ein Rückfall in die schlimmste Barbarei? Sowohl als auch!

    Gibt es eine Lösung? In diesem Beitrag möchten wir einen Ansatz vorstellen, der über die Medizin hinaus gegen alles Bestehende gerichtet ist.
    Für die jungen Leser hier kurz etwas über die Anfänge:
    An der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg war seit 1964 ein Arzt und Wissenschaftler beschäftigt, der den Anspruch der Universität ‘Wissenschaft für den Menschen’ als gesellschaftlichen Auftrag begriff: Dr. Wolfgang Huber. Er hat einen Zustand geschaffen, der aus der Sicht der Patienten der Aufhebung ihrer systembedingten Objektrolle gleichkam. Diese Wissenschaft f ü r den Kranken befähigte die Patienten, nicht mehr länger Versuchskaninchen und Schlachtvieh für Ärztekarrieren oder Profitforschungsinteressen zu sein.
    1965 begann Huber das ursprüngliche Patientenkollektiv zu entwickeln, das 1970 mit der ersten Patientenvollversammlung der Welt pro Krankheit als SOZIALISTISCHES PATIENTENKOLLEKTIV (SPK) öffentlich hervortrat und alles Bestehende in Frage stellte, nicht zuletzt auch die Zustände in der Psychiatrischen Poliklinik selbst. Das SPK stürzte kurz darauf den Prorektor der Universität für Medizin (namens Kretz, Helmut), was die fristlose Kündigung Hubers zur Folge hatte. Nach Hungerstreiks, Besetzungen von Dienstzimmern und des Rektorats, zahllosen Go-Ins, Sit-Ins und Teach-Ins ergingen Morddrohungen, auch gegen Huber.
    Auf Betreiben der Ärzte wollten Polizei und Regierung 500 SPK-Patienten der Medizin wieder einverleiben. Niemand unter den Patienten war dazu bereit. Deshalb zogen sie sich 1971 aus den Räumen in der Rohrbacherstraße zurück. Nach der Selbstauflösung des SPK wurden auch Dr. Wolfgang Huber und Dr. Ursel Huber 1972 verurteilt, und zwar zu je 4 1/2 Jahren Gefängnis, dem Löwenanteil unter 22 Jahren Haft insgesamt gegen etwa ein Dutzend herausgegriffene Patienten. Das SPK selbst ist, sehr bezeichnenderweise übrigens, nie verurteilt, geschweige denn verboten worden; denn Krankheit geht eben auch dadurch nicht weg.

    SPK Komplex – ein Film von Gerd Kroske
    https://www.spk-komplex-film.de

    DoP: Susanne Schüle / Anne Misselwitz
    Montage: Olaf Voigtländer / Stephan Krumbiegel
    Kinostart: 19.April 2018 im Verleih von Salzgeber & Co. Medien GmbH
    Weltvertrieb: deckert-distribution GmbH
    Germany 2018, 111 Min., Dolby 5.1, Color/B&W

    Arsenal: SPK Komplex
    https://www.arsenal-berlin.de/berlinale-forum/programm-forum/hauptprogramm/spk-komplex.html

    Warum radikalisieren sich Menschen?

    Der Impuls zu SPK KOMPLEX entstand aus der Lektüre eines Briefs von Gudrun Ensslin. Darin übt sie Kritik am Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK). Auf sich und andere Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) bezogen schreibt sie: „… jeder von uns hatte nicht zu wenig, sondern zu viel SPK in sich, was die vergangenen Jahre betrifft.“ Gemeint war mit dieser Formulierung ein Scheitern.
    Den Brief schrieb Gudrun Ensslin 1972 in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Im gleichen Gebäude, in der Zelle Nr. 109, saß damals auch Dr. Wolfgang Huber, der das SPK 1970 gegründet hatte, in Erwartung seines Prozesses.
    Zu der merkwürdigen Symbiose des SPK aus einem sozialtherapeutischen Experiment und Agitation – den Namen hatten sich die Gründungsmitglieder selbst gegeben – gehörte von Anfang an, dass die Mitglieder und Patienten, die dieser Gruppierung angehörten, aufgrund dieser Tatsache in der Gesellschaft Zurückweisung und Verleumdung erlebten, später sogar verfolgt wurden. All dies führte zu der Zerschlagung des SPK und zu der Bereitschaft einiger seiner Mitglieder, fortan im Untergrund zu leben und sich der RAF anzuschließen.
    Zu Beginn meiner Arbeit am Film erschien mir diese Konstellation undurchschaubar. Sie klärte sich mit der Frage: Was konnte bei der Suche nach Selbstbestimmtheit von Psychiatriepatienten und Sympathisanten zu solcher Radikalisierung beigetragen haben?
    Während des Filmens wurde mir zunehmend klar, dass es bei der Verfolgung des SPK und dessen vehementer Gegenwehr nicht um einen internen Konflikt zwischen Psychiatrie-Ordinarien und einem jungen Assistenzarzt an der Universität Heidelberg ging, sondern dass es sich dabei um einen zutiefst politisch motivierten Vorgang handelte. Es ist mir wichtig, die Frage aufzuwerfen, wie sich in Umbruchsituationen konkrete soziale Interessen auch politisch instrumentalisieren lassen. (Gerd Kroske)

    Gerd Kroske über seinen Dokumentarfilm „SPK Komplex“ - Vom Patientenkollektiv zur kriminellen Vereinigung
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/gerd-kroske-ueber-seinen-dokumentarfilm-spk-komplex-vom.2168.d
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/media/thumbs/2/263c421f06331dbfb2387c9e11ecaa47v1_max_635x357_b3535db83dc50e2

    https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2018/04/14/spk_komplex_vom_patientenkollektiv_zur_kriminellen_drk_20180414_

    Der Berliner Rudi Mährländer, hier mit einem Foto von sich selbst, gehörte dem „Sozialistischen Patientenkollektiv“ an - Filmstill aus „SPK Komplex“ (Salzgeber & Co. Medien GmbH)

    Ein neuer Dokumentarfilm über das Sozialistischen Patientenkollektivs beleuchtet das gesellschaftlichen Klima im deutschen Vorherbst. Der Regisseur sieht die Radikalisierung des Kollektivs als Vorwegnahme der RAF und des Stammheim-Prozesses.

    Susanne Burg:"SPK Komplex", so heißt ein neuer Dokumentarfilm, der sich mit einem brisanten Kapitel deutscher Geschichte auseinandersetzt: mit den Folgen des Jahres 1968, mit dem gesellschaftlichen Klima im deutschen Vorherbst. Regisseur Gerd Kroske tut das, indem er die Entstehung und Entwicklung des SPK beleuchtet – des Sozialistischen Patientenkollektivs. Gegründet 1970 durch 52 Psychiatriepatienten unter der Leitung von Wolfgang Huber, Assistenzarzt an der Poliklinik Heidelberg. Kroske interviewt unter anderem Zeitzeugen und benutzt auch Tonaufnahmen von Wolfgang Huber aus der Zeit.

    O-Ton Wolfgang Huber: Über meine Person ist Ihnen alles Wissenswerte aus der Presse bekannt.

    O-Ton Publikum: Nein!

    O-Ton Huber: Nein? Umso besser. Sachlich unqualifiziert, Verhalten unärztlich. Mein Verhalten ist eines Arztes unwürdig.

    Burg: Soweit Wolfgang Huber, zu hören im Film „SPK-Komplex“. Ich freue mich, dass der Regisseur des Films im Studio ist. Willkommen Gerd Kroske!

    Gerd Kroske: Guten Tag!

    Der Dokumentarfilmer Gerd Kroske zu Besuch beim Deutschlandfunk Kultur (Deutschlandradio/Maurice Wojach)Der Dokumentarfilmer Gerd Kroske zu Besuch beim Deutschlandfunk Kultur (Deutschlandradio/Maurice Wojach)

    Burg: Sie haben mehrere Filme über die DDR und die Wende gedreht, unter anderem „Leipzig im Herbst“, ihr Film „Striche ziehen“ erzählt dann von einer Kunstaktion, die fünf Freunde aus Weimar 1986 in Westberlin durchführten. Was hat Sie jetzt an diesem Kapitel bundesdeutscher Geschichte, westdeutscher Geschichte interessiert, dem SPK?

    Kroske: Ich habe ja zu bundesdeutschen Milieus schon mehrere Filme gemacht, nämlich drei. Das ist eine Hamburg-Trilogie geworden über einen Boxer, über einen Puff-Besitzer und einen Maler und Radiokabarettisten. Im Zusammenhang dieses letzten Films über Heino Jaeger, „Look before you kuck“ heißt der, im Jahr 2012, hatte ich einen Protagonisten, der schon verstorben war, aber Anfang der 60er-Jahre bis Ende der 90er-Jahre mehrere Psychiatrie-Episoden hatte.

    Und in dem Zusammenhang habe ich mich mit Psychiatriegeschichte beschäftigen müssen – also westdeutscher spezieller – und mitgekriegt, dass natürlich dieser Protagonist Heino Jaeger damals in dem Film drei sehr verschiedene Epochen von deutscher Psychiatrie erlebt hat. Anfang der 60er-Jahre war es ein völlig anderer Zustand als Ende der 90er. Und in diesen Recherchen damals ist mir das erste Mal das SPK aufgefallen. Das habe ich mal zur Seite gelegt, und dann sammelte sich da über einen längeren Zeitraum immer mehr Material an, und dann war da irgendwann der Punkt, wo ich dachte, da muss ich jetzt weiter gucken.

    Burg: Also so ein paar Eckdaten hatte ich ja eben schon gegeben, aber wir sollten vielleicht das Sozialistische Patientenkollektiv noch mal in der Zeit verorten. Das SPK kritisierte ja unter anderem die damalige Verwahrpsychiatrie. Wo stand denn die Psychiatrie 1970 und was waren die Forderungen des SPK?

    Kroske: Eine ganz klare Forderung war eine Auseinandersetzung mit der Nazi-Ära der deutschen Psychiatrie. Man muss dazu sagen, dass an dieser Klinik ja bis Ende der 80er-Jahre noch Pfleger aus der Nazizeit in der Psychiatrie beschäftigt waren.

    Burg: Genau, in Heidelberg dann.

    Kroske: Das war in Heidelberg. Das war natürlich ein Riesenthema, und das SPK waren einfach die ersten, die das überhaupt aufgriffen nach dieser Verwicklungsgeschichte. Heidelberg selber ist ja eine Universitätsstadt, auch zu der Zeit längst gewesen, mit, glaube ich, 12.000 Studenten, und es gab überhaupt keine psychologischen Beratungsstellen für Studenten.

    Einer, der das mit abfing, war Wolfgang Huber. Und die haben da angefangen, Studenten psychologisch zu betreuen. Dann haben sie angefangen, einfach weil es auch so viele wurden, gruppentherapeutisch zu arbeiten und eine klare Abgrenzung auch zu dem, was sonst in der Verwahrpsychiatrie üblich war, dass die Leute hospitalisiert wurden und dort ein Leben lang eigentlich verbrachten.
    SPK bezog erstmals gesellschaftliche Ursachen von Krankheit mit ein

    Burg: Das Sozialistische Patientenkollektiv, es gab ja da eine Radikalisierung und in der bundesdeutschen Rezeption, später wurde es gerne so als eine Geschichte dieser Kriminalisierung, des Scheiterns eigentlich gesehen. Bevor wir das etwas differenzierter beleuchten – worin bestehen denn die Leistungen des SPK? Welche Forderungen von damals werden vielleicht auch heute noch in der Psychiatrie praktiziert?

    Kroske: Das, was damals als Forderung so radikal klang, also dass man sich nicht nur mit einer Krankheit im medizinischen Sinne beschäftigt, sondern da auch gesellschaftliche Ursachen mit heranzieht, das ist ja heute eigentlich üblich. Bei jeder Burn-out-Studie ist natürlich klar, welche gesellschaftlichen Zusammenhänge mit reinspielen. Damals war es eben nicht so, das war ein völlig neuer Ansatz. Dazu muss man wissen, dass es natürlich weltweit so eine Bewegung gab, es gab Basaglia in Italien oder R.D. Laing in England, der Wohnprojektgruppen betreuter, oder Cooper in Amerika, der auch gruppentherapeutisch arbeitete.

    Foucault muss man in dem Zusammenhang nennen, der mit Wahnsinn und Gesellschaft so ein Schlüsselwerk eigentlich geschrieben hat, und diesen Moment beschreibt, wann eine Differenz aufgemacht wird zwischen Kranken und Kriminellen – das sind alles so Themen die da miteinspielen und die so geistige Urheber des Ganzen sind. Und diese Radikalisierung ist natürlich, dass von Anfang an da auch ein politischer Ansatz dahinter war, also dem Zeitgeist entsprechend sich natürlich auch politisch zu betätigen. Da war in Heidelberg speziell so ein Vakuum entstanden, weil der SDS dort verboten war nach so einer Demonstration gegen McNamara, und es gab eigentlich dann bloß noch den Kommunistischen Bund Westdeutschland mit seinen A- und B-Gruppen oder das SPK in Heidelberg als so einen linker Zufluchtsort. Das spielt da mit rein, dass natürlich dann sehr viele politisierte Studenten auch ins SPK strömten und so.
    Kritisches Infragestellen der Interpretationen

    Burg: Dann gab es ja auch die Auseinandersetzung mit der Uni Heidelberg und mit der baden-württembergischen Landesregierung. Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Interpretationen darüber wie kriminell diese Vereinigung des SPK wurde, wie stark die Verbindungen dann zur RAF waren. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen, sich da mit einer Machete erst mal durch diesen Wust an Interpretationen und Materialien zu arbeiten.

    Kroske: Erst mal durch so eine kritische Infragestellung. Das was ja bekannt ist, oder oft kolportiert wird, ist ja das, was Stefan Aust geschrieben hat in seinem Baader-Meinhof-Komplex. Da gibt es ein Kapitel, das ist überschrieben mit der Überschrift „Irre ans Gewehr“. Das ist eigentlich eine Überschrift aus der „Bild“-Zeitung, wenn man das weiter recherchiert. Und dann gibt es so Darstellungen von Wolfgang Kraushaar, die sich aber eigentlich auf Zeugenaussagen eines Kronzeugen des BKA, Gerd Müller, stützen. Also das sind alles nicht so die richtigen Quellen für mich.

    Dann war ich sehr viel in Archiven, und dann findet man natürlich sehr schnell auch Zusammenhänge, so aus den verschiedenen Regierungsbezirken, und je nachdem wie das in Archiven verwahrt wird: Was sehr schnell deutlich wird, also mir klar war, dass es sich dabei eben nicht wie oft beschrieben um so einen universitären Konflikt handelt, sondern dass das schon einen klaren politischen Ansatz gibt, aber auch auf der Gegenseite zu der Zeit. Ich habe Dokumente gefunden, die aus dem Innenministerium stammen zu einem Zeitpunkt, wo man von einer Radikalisierung des SPK noch gar nicht sprechen kann, wo aber schon völlig klar schriftlich niedergelegt ist, dass man das nicht wünscht, und dass man das zerschlagen will – und erst mal von der medizinischen Seite anfängt, wie kann man dem Huber irgendwie die Approbation streitig machen oder aberkennen und welche Gründe müssen dafür vorliegen – das ist irgendwie sehr früh angelegt. Das spitzt sich natürlich dann entsprechend zu, weil die sich natürlich auch zur Wehr setzen.

    !Burg:!! Sie setzen sich zur Wehr, sagen Sie. Wie würden Sie denn die Radikalisierung des SPK beschreiben?

    Kroske: Das, was mit der RAF passiert, ist eigentlich nie so richtig nachweisbar. Das was sich belegen lässt ist, dass es da natürlich, wie ein Protagonist das auch nennt, Überschneidungen gab und sicherlich auch Hilfestellungen. Das war nicht so verwunderlich, weil das irgendwie zwei Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung damals mit auch gemacht hätten, also es gab eine Allensbach-Umfrage Anfang der 70er-Jahre, und da hätte die Mehrzahl der jungen Leute RAF-Leute unterstützt, logistisch, oder durch einen Ausweis, oder, oder, oder. So richtige Tatbeteiligung, und so weiter, ist ja auch strafrelevant nie nachgewiesen worden.

    Natürlich gab es eine Schießerei in Wiesenbach, die hat sich nie aufgelöst – die wurde in Verbindung mit der RAF gesehen und als so eine Art Rekrutierungspfad beschrieben. Man kriegt da nie so richtig die Wahrheit raus. Dass was aber dokumentiert ist, das sind Briefe von Gudrun Ensslin, wo sie ziemlich scharf mit dem SPK abrechnet. Also die werden eigentlich von denen als Kleinbürger gesehen, die die Welt aus ihrer psychiatrischen Sicht viel zu klein angehen. Und das, was Zeitzeugen beschreiben, die da involviert waren, die sagen, es gab da natürlich immer eine gewisse Nähe, aber keine wirklich praktisch relevante. Dafür ist das ganze Projekt – das SPK gab es 18 Monate – und fast zeitgleich ist ja auch die erste Generation der RAF verhaftet gewesen.
    Schlechtes Gewissen bei den Alt-Ordinarien

    Burg: Wie schwierig war es eigentlich, diese Zeitzeugen zum Sprechen zu bewegen. Sie interviewen ja auch verurteilte RAF-Mitglieder wie Carmen Roll oder Karl-Heinz Dellwo?

    Kroske: Da war sehr schwierig, aber unterschiedlich. Der Punkt ist ja der bei solchen Recherchen, es findet sich ja nicht so ein Kompendium, wo alle versammelt sind, oder ein Telefonbuch, wo man irgendwie dann nachschlagen kann, sondern man muss das irgendwie sehr geschickt einfädeln. Im Falle von Karl-Heinz Dellwo war nicht ganz so schwierig, weil er aber auch zu denen zählt, die sich aus der Generation der RAF sich überhaupt öffentlich äußern – es gibt ja auch sehr viele, die sich gar nicht äußern, prinzipiell nicht, auch mir gegenüber nicht.

    Am schwierigsten hatte ich es eigentlich mit den Alt-Ordinarien der Heidelberger Universität, ich habe da mit zwei Medizinern gesprochen, die da in diesem Konflikt sehr maßgeblich involviert waren, aber auf der Gegenseite. Die haben sich völlig blödsinnig so rausgeschummelt, also eine wirklich anerkannte Psychiatriegröße Deutschlands, heute 92 Jahre alt, der hat dann erklärt, seine Frau hätte ihm geraten, nicht vor eine Kamera zu gehen, er sei dafür schon zu alt. Der Mann geht aber noch dreimal die Woche in Mannheim in seiner Klinik arbeiten. Ich habe mit dem auch ein Gespräch geführt, anderthalb Stunden, der hatte ein brillantes Erinnerungsvermögen, das hätte ich gern in manchen Punkten. Und ein anderer Klinikdirektor, der hat sich dann genau so, so ähnlich. Also die haben natürlich auch ein schlechtes Gewissen, weil sie wissen, was sie da angerichtet haben, und das halte ich Ihnen mal zugute.

    Burg: Sie haben auch Gudrun Ensslin erwähnt, wenn es jetzt so um das Klima im deutschen Vorherbst geht, welches neue Licht wirft denn Ihrer Meinung nach die Auseinandersetzung mit dem SPK in diesem Zusammenhang?

    Kroske: Das, was man erkennen kann, ist natürlich so eine, fast Vorwegnahme, also auch der Stammheim-Prozess. Obwohl die Strategie im SPK-Prozess eine andere war, weil die Stammheimer haben ja nicht sich total verweigert, sondern durchaus sehr weit ausufernde Statements abgeliefert – das hat ja Huber und seine Frau überhaupt nicht gemacht. Da sind wir wieder am Anfang der Geschichte, dass das schon, und da sehe ich das auch als einen politischen Vorgang und nicht mehr nur als so eine medizingeschichtliche Posse aus Heidelberg an der Uni, sondern schon in größeren Dimensionen.

    Burg: Auf jeden Fall ein sehr interessanter Blick in die frühen 70er-Jahre der Bundesrepublik. „SPK-Komplex“, so heißt der neue Film von Gerd Kroske. Donnerstag ist er im Kino zu sehen, vielen Dank für Ihren Besuch im Studio!

    Kroske Danke!

    Doku „SPK Komplex“: Irre wird man erst im Irrenhaus - SPIEGEL ONLINE
    http://www.spiegel.de/kultur/kino/doku-spk-komplex-irre-wird-man-erst-im-irrenhaus-a-1198504.html

    Wer sich zuvor nie mit dem SPK auseinandergesetzt hat, dem wird in dieser ersten Szene bereits die führende Hand entzogen. Die Regalwände werden aufgekurbelt, der Film öffnet sich, die Arbeit kann beginnen: Was hatte es auf sich mit dem SPK, dem Vorreiter der Antipsychiatrie-Bewegung im Umfeld der 68er und der RAF?

    Unter der Leitung Hubers formierte sich 1970 in Heidelberg eine Gruppe von Ärzten und Psychiatriepatienten mit dem Ziel, bestehende anstaltspsychiatrische Behandlungsweisen und -kontexte zu revolutionieren. „Krankheit als Waffe“, so hieß die Losung, unter der sich das Kollektiv zu hierarchielosen Gruppentherapiesitzungen zusammenfand. Angeleitet von marxistischen Theoremen vertraten sie die These, dass die Krankheit des Einzelnen - speziell die psychiatrische Erkrankung - auf die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse zurückzuführen seien.

    Solidarisch eingesperrt

    Der antipsychiatrische Impuls der Gruppe ging deshalb weit über die Reformierung therapeutischer Praktiken hinaus und hatte vordergründig eine grundlegende Neubestimmung des Begriffs Krankheit im Visier. Man hört es immer wieder im Verlauf von „SPK Komplex“: „Alle sind krank“ - und weil Krankheit ein kollektiver Zustand ist, lässt sie sich auch nur kollektiv behandeln und zwar immer mit Blick auf das erkrankte Kollektiv selbst.

    Neu im Kino: SPK Komplex: Das Sozialistische Patientenkollektiv | SWR2 | SWR.de
    https://www.swr.de/swr2/kultur-info/film-spk-komplex-gerd-kroske/-/id=9597116/did=21522812/nid=9597116/c61s40

    Die Geschichte des gesellschaftlichen Umbruchs von den 68ern bis zum Deutschen Herbst scheint fast auserzählt. Ein kaum bekanntes Kapitel aus dieser Zeit entdeckt die Kinodokumentation „SPK Komplex“ des Berliner Filmemachers Gerd Kroske. Darin geht es um das sozialistische Patientenkollektiv in Heidelberg. Es setzte sich ab 1970 für eine menschenfreundlichere Psychiatrie ein und geriet danach in den Sog der RAF.

    Der Kapitalismus macht krank. Also muss man aus der Krankheit eine Waffe machen und den Kapitalismus zerstören. So in Kurzform die Devise des SPK, des sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg.

    Doku „SPK Komplex“ im Kino: Aus der Krankheit eine Waffe machen - Kultur - Tagesspiegel Mobil
    https://m.tagesspiegel.de/kultur/doku-spk-komplex-im-kino-aus-der-krankheit-eine-waffe-machen/21194010.html

    Christiane Peitz - Wenigstens ein Zeitzeuge schlägt sich sichtlich mit dem unbewältigten, abgründigen „Rest“ des Heidelberger Geschehens herum und formuliert in brüchigen Sätzen die eigene Unschlüssigkeit von damals, das Mitmachen, irgendwie, das Unbehagen von heute. Es ist das Zögern von Ewald Goerlich (SPK-Patient, dann Physiker und Kardiologe), das den Film sehenswert macht, sein beredtes Schweigen, wenn er zurückdenkt, das Suchen nach Worten. Und es ist das Bild einer Zeit, in der die Fronten sich verhärteten und deren Reformen man nicht missen möchte. Man vergisst leicht, welch entsetzliche Zustände in vielen psychiatrischen Kliniken herrschten, nicht nur in Deutschland.

    „SPK Komplex“ – Filmfeature zum Kinostart - Spex Magazin
    https://spex.de/spk-komplex-filmfeature-zum-kinostart

    Die antipsychiatrische Gruppe, der Gerd Kroske nun einen Dokumentarfilm gewidmet hat, nahm die Praxis vorweg, dass Laien Patienten betreuen und Patienten in Wohngruppen leben. Die Gruppe beschäftigte sich mit der Nazivergangenheit der deutschen Medizin. Vor allem aber entwickelte das SPK einen revolutionären Begriff von Krankheit, den es in griffigen Slogans auf den Punkt brachte. „Das System hat uns krank gemacht; geben wir dem kranken System den Todesstoß.“ „Aus der Krankheit eine Waffe machen.“


    In Hohenasperg

    Das Krankenhaus beschrieb Huber als Fabrik: Der Kranke muss seine Produkte – Stuhl, Nierensteine, Kopfschmerzen – abgeben, die dann in Arztrechnungen, Labor- und Verwaltungskosten umgewandelt werden. Dieser radikale Ansatz machte das SPK so bekannt, dass sich später eine Band nach ihm benannte: Die Industrialcombo SPK, die mit „Metal Dance“ einen Underground-Hit schrieb.

    Karlstorkino Heidelberg: Film-Preview von „SPK Komplex“ - Nachrichten aus Heidelberg - Rhein Neckar Zeitung
    https://www.rnz.de/nachrichten/heidelberg_artikel,-karlstorkino-heidelberg-film-preview-von-spk-komplex-_arid,3

    Anfang der 1970er-Jahre studierte Goerlich Mathematik und Physik an der Universität Heidelberg. Es ging ihm nicht gut, er fühlte sich allein und hatte Suizidgedanken. Beim „Sozialistischen Patientenkollektiv“ fand er so etwas wie freundliche Aufnahme, er wurde angenommen mit seiner ganzen Problematik: „Es gab eine Atmosphäre von Freiheit und von Arbeit an sich selbst und an den anderen.“ Wolfgang Huber gefiel ihm gleich. „Das kann man bearbeiten“, habe der Arzt zu Goerlichs psychischen Problemen gesagt.

    Er schilderte den Mann, der bis zu seiner Entlassung Assistenzarzt an der Poliklinik der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg war, als sehr intelligent, sehr einfühlsam und vielseitig begabt. Bei tobenden Patienten gelang es ihm häufig als einzigem, diese wieder zu beruhigen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe verurteilte Huber später wegen „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Sprengstoffherstellung und Urkundenfälschung“ zu viereinhalb Jahren Gefängnis. Die Radikalisierung, die das SPK seinerzeit erfuhr, kommentiert Goerlich aus heutiger Sicht so: „Es wäre viel vernünftiger gewesen, wenn daraus eine Art psychiatrische Bürgerrechtsbewegung geworden wäre.“

    #Allemagne #maladie #santé #résistance #lutte_des_classes #terrorisme