• Berlin-Friedrichswerder: Die neue Bürgerlichkeit | Berliner Zeitung
    https://www.berliner-zeitung.de/berlin/friedrichswerder-die-neue-buergerlichkeit-31059058


    Friedrichswerder: Gated Community neben der Friedrichswerdersche Kirche

    Ein dunkles Berlin, ein abgeschottetes Berlin, ein Berlin wo sichtbare und unsichtbare Mauern gegen die Armen gebaut werden. So sieht das neue Stadtzentrum aus.

    Wir kennen gated communities bislang im Refugium der Reichen Am Großen Wannsee nahe der Halbinsel Heckeshorn und im biederen Waidmannslust den Ettenheimer Pfad am Zabel-Krüger-Damm , beide entstanden um das Jahr 2000.

    Nun breiten sich privatisierte und abgeschottete Quartiere im Zentrum aus. Im Namen des Grundrechts auf Privateigentum entzieht uns das in die Stadt flutende Geld unseren Lebensraum. Jetzt sind die Luxuswohnbauten übergabereif, für deren Bau uns Berlinern über ein Jahrzehnt die Friedrichswerdersche Kirche und ihre wunderbare Kunstsammlung vorenthalten wurde. Eine neue Mauer steht. Schöner ist die Stadt durch den neuen Reichtum nicht geworden, denn hinter jeder historisierenden oder modernen, jungen und hübschen Fassade verbirgt sich das hässliche Gesicht von Ausgrenzung und Ausbeutung.


    Friedrichswerder: Caroline-von-Humboldt-Weg

    Der Kern des Friedrichswerder sind die am Caroline-von-Humboldt-Weg, Kleine Jägerstraße und Oberwallstraße entstandenen „Townhouses“: Breite meistens sechs Meter, vorgegeben war bei der Vergabe der Grundstücke die Nutzung für Wohn- und Geschäftszwecke sowie die Haushöhe.

    ... es ging Stimmann um eine soziale Utopie: Die Innenstadt sollte „für bürgerliche Schichten als Wohnort wieder attraktiv“ werden. Gebaute Mittelstandsförderung sozusagen.

    Charakter eines antifaschistischen Manifests

    Geradezu liebevoll pflegten damals nämlich konservativere Essayisten, Stadthistoriker und viele Stadtplaner die bis weit ins 19. Jahrhundert zurück zu verfolgende Legende, dass Berlin kein kultiviertes „Bürgertum“ wie Wien, Köln, Dresden oder Hamburg habe.

    Ob im 21. Jahrhundert dies hoch idealisierte Goethe-Schiller-Brecht-Bürgertum wirklich noch eine kulturbildende Kraft sein kann, das sei hier dahin gestellt. Die Legende reichte nämlich aus für die These, dass auch Berlin ein wie auch immer geartetes Bürgertum benötige, damit es nach der Katastrophe des gleichmacherischen deutschen Nationalsozialismus, des DDR-Sozialismus und West-Berliner Sozialdemokratismus wieder genesen könne.

    Die Wiederbebauung des Friedrichswerder hatte also neben der demonstrativen Abwendung vom „sozialistischen“ Massenwohnungsbau der DDR an der Leipziger Straße durchaus auch den Charakter eines antifaschistischen Manifests: Wir Bürger lassen uns unsere Stadt nicht wegnehmen.

    Zur bürgerlichen Stadt aber gehöre, war die These, die Verfügung über ein eigenes Stadthaus, in dem man aufwächst, arbeitet, Kinder zeugt, Enkel betreut, aufgebahrt wird.

    Jede Fassade ist anders

    Dieser Individualismus wurde durchgesetzt bis hin zur ökonomischen Absurdität, dass keine gemeinsame Tiefgarage angelegt werden konnte. Und jede Fassade durfte, nein, sollte sich weitgehend frei nach Geschmack der Hausbesitzer entwickeln.

    Während in Amsterdam der 90er straffe Gestaltungssatzungen auch für Townhouses galten, entstand in Berlin ein heiter-buntes Potpourri, mal Ziegel, mal Putz oder Naturstein, mit postmodern runden Fenstern oder modernistischen Ganzglasfassaden, britischen Baywindows, klassischen Gesimsen oder abstrakten Betonplatten.

    Die grausame Krönung dieser Strategie des Privat vor Öffentlich waren dann jene schamlosen Super-Reich-Häuser seitlich der Friedrichswerderschen Kirche, viel zu nahe, viel zu hoch, viel zu brutal. Das Friedrichswerder-Viertel wurde damit endgültig zu einem Musterbeispiel dafür, was geschieht, wenn nur noch minimale Ordnungsinstrumente den neoliberalen Egoismus eingrenzen.

    #Berlin #Mitte #Friedrichswerder #Caroline-von-Humboldt-Weg #Werderscher_Markt #Werdersche_Rosenstraße #Wannsee #Heckeshorn #Am_Großen_Wannsee #Waidmannslust #Zabel-Krüger-Damm #Ettenheimer_Pfad