Die Ordnung schuf der liebe Gott von Jura Soyfer

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  • So starb eine Partei - Romanfragment - Jura Soyfer - 1934
    http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-ordnung-schuf-der-liebe-gott-6483/6

    Wenngleich Karrierist, hatte Dreher sich bisher um die Fragen von »Glück haben«, »Pech haben« wenig gekümmert. Er betrachtete seinen Aufstieg als historische und damit gerechtfertigte Notwendigkeit: Wie anders könne der Machtzuwachs des Proletariats sich äußern als dadurch, daß es seine besten Söhne die Sprossenleiter des Staates hinaufklimmen lasse? Und, was das Wettklettern selbst betraf, hatte es in diesem Lande weit weniger den Charakter eines Hasardspiels als etwa in der französischen Demokratie. Listenwahlrecht, Zweiparteiensystem, strenge Parteidisziplin – das hieß in diesem Fall: sich langsam hinaufdienen müssen. Nur wer eine genügende Weile auf Bürostühlen gesessen war, hatte sich durchgesetzt und durchgewetzt. Für Eigenbrötler und Renegaten war nichts zu holen. (Auch schon darum nicht, weil die Bourgeoisie hier so arm war, daß sie kaum die eigenen Korruptionisten zu sättigen vermochte.) Das System der Glückssterne verlief in geregelten Bahnen. Kometen waren rar.

    Daß Dreher 1924, getragen von einem ungeheuren Aufschwung der Wahlstimmen (damals fehlten, so schrieb Otto Bauer, nur 300+000 zur Einführung der klassenlosen Gesellschaft in Österreich), als Vierziger ins Parlament gelangt war, galt schon als staunenswert. Doch, einmal arriviert, war man unter solchen Umständen heroben derart gut geborgen, daß auch ihm nicht annähernd der Gedanke kam, er könne je wieder hinunterpurzeln. Und da sein Aufstieg zwar hurtig, aber normgemäß erfolgt war, vermißte auch er in seiner Stellung keineswegs das gesunde Bewußtsein: Ich habe lange genug selbstlos dem Proletariat gedient – jetzt darf ich mit Recht die Früchte ernten. Ja, seine Verbundenheit mit der Klasse war zweifellos stark. Auf jeder der zurückgelegten Stufen, bis zur untersten hinab, besaß er eine Schar dort zurückgelassener, meist neidloser Freunde. Ihm war wohl in den Kommissionen des Parlaments; stattete er aber dem Betrieb einen Besuch ab, so fand er sich dort ebenso zu Hause. Nicht einen Moment lang empfand er einen leeren Raum zwischen sich und den 700+000. Er fühlte sich als Proletarier und war stolz darauf.

    Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAPDÖ)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdemokratische_Partei_%C3%96sterreichs#1920%E2%80%931934:_Von_der

    Nach dem 4. März 1933 nutzte die christlichsoziale Dollfuß-Regierung die von ihr so genannte Selbstausschaltung des Parlaments, um mit Notgesetzen autoritär weiter zu regieren. Die politischen Rechte wurden sukzessive eingeschränkt, u. a. war der traditionelle Maiaufmarsch der Sozialdemokraten auf der Ringstraße am 1. Mai 1933 verboten worden. Die Sozialdemokraten reagierten darauf paralysiert: Es fehlte eine klare Strategie, wie man den antidemokratischen Tendenzen Dollfuß’ begegnen könnte.

    Als Dollfuß den nun verbotenen paramilitärischen Schutzbund in Oberösterreich entwaffnen wollte, kam es am 12. Februar 1934 in Linz zu einer bewaffneten Auseinandersetzung, der zum Februaraufstand von Teilen der SDAP führte. Am selben Tag wurde Bürgermeister Karl Seitz in Wien von Polizei aus dem Rathaus entfernt und die Sozialdemokratische Partei verboten.[25] Der Aufstand wurde von Gendarmerie, Polizei, Bundesheer und Heimwehren bis zum 14. Februar niedergeschlagen.

    An den Februarkämpfen beteiligte sich bei weitem nicht die gesamte österreichische Sozialdemokratie; sie war darauf nicht vorbereitet. Der Aufstand ging auch nicht von der Parteizentrale aus, sie wurde davon überrascht. Die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Republikanischen Schutzbund einerseits und Polizei und Bundesheer andererseits fanden nur punktuell statt. In anderen Stadt- und Landesteilen sah man nichts davon. Deshalb war die Bekämpfung des „Februaraufstandes“ für die Regierung kein großes Problem.

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