• Robert Gernhardt über Brecht
    https://web.archive.org/web/20010606114552/http://archiv.informatik.fh-augsburg.de/informatik/projekte/brecht/vip_buch/gernhard.htm

    O-MEI / BUCH DER WINDUNGEN

    Verzeichnis der Namen
    Brecht : Kin
    Henscheid : He-hei
    Gernhardt : Ge-ga
    Goethe : Go-e-te
    Klopstock : Og-op
    Lessing : Es-ing
    Emil Ludwig : Lu
    Feuchtwanger : Fe-hu-wang
    Ingeborg Bachmann : I-ba

    Über das Lachen

    Hörend, er solle den Kin-Preis erhalten, sei er zusammengezuckt, räumte Ge-ga ein. „Aber nur für einen Moment“, setzte er hinzu. „Vergleichend Kins auf dem ganzen Erdball gerühmtes Riesenwerk mit meinem unscheinbaren, selbst einem Großteil meiner Landsleute unbekannten Hervorbringungen, hielt ich mich nicht lange bei dem Gedanken auf, es könne mir als Anmaßung ausgelegt werden, meinen Namen mit dem Kins in Verbindung zu bringen. Wer reizt bei der Hochzeit zwischen einem Elefanten und einer Maus mehr zum Lachen? Der Bräutigam? Die Braut? Oder der Priester, der das ungleiche Paar allen Ernstes zu trauen gewillt ist? Die Antwort erscheint mir nebensächlich angesichts der Tatsache, daß es überhaupt was zum Lachen gibt. Denn da, wo man lacht, bin ich gern dabei. Warum also nicht bei der Kin-Preisverleihung?“

    Über den Widerstand

    Der Schriftsteller He-hei hielt es für verwerflich, Literaturpreise anzunehmen, während sein Kollege Ge-ga nichts dabei fand.
    „Indem du dich mit dem Literaturbetrieb gemein machst, stärkst du ihn“, sagte He-hei vorwurfsvoll.
    „Indem ich ihm Geld entziehe, schwäche ich ihn“, hielt Ge-ga entgegen.
    „Indem du einen Preis annimmst, gibst du zu verstehen, welches dein Preis ist“, setzte He-hei nach.
    „Indem ich jedweden Preis annehme, ganz gleich, wie hoch er dotiert ist, signalisiere ich, wie gleichgültig mir der jeweilige Preis und das mit ihm verbundene Geld sind“, erwiderte Ge-ga.
    „Indem du es zuläßt, daß dein guter Name mit so etwas Fragwürdigem in Verbindung gebracht werden darf, wie es ein Preis ist, schwächst du bei jenen Jüngeren, die zu dir aufblicken, den Sinn für Richtig und Falsch und damit ihren Widerstand gegen den Literaturbetrieb“, mahnte He-hei.
    „Indem ich ein schlechtes Beispiel gebe, schwäche ich lediglich ihre Bereitschaft, zu jemandem aufzublicken“, versetzt Ge-ga. „Damit aber stärke ich ihren Eigensinn, die wichtigste Voraussetzung dafür, jedwedem Betrieb Widerstand entgegenzusetzen.“

    Über die Ausbeutung

    Als die Nachricht, er habe den Kin-Preis erhalten, sich herumsprach, begegnete Ge-ga einer Bekannten, die ihn zur Rede stellte: „Findest du eigentlich nichts dabei, einen Preis anzunehmen, dessen Namensgeber des vielfachen geistigen Diebstahls sowie der intellektuellen und materiellen Ausbeutung ihm emotional verfallener Frauen überführt ist?“
    "Kin war sicherlich kein Heiliger", räumte Ge-ga ein. „Aber erstens hat er aus seiner Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums nie einen Hehl gemacht. Zweitens hat er den ihm verfallenen Frauen eine Weisheit abverlangt, die sie ohne seinen Hebammendienst vermutlich nie an den Tag gelegt hätten. Und drittens stelle ich es mir riesig vor, wenn einem dieselbe Maus, die man nachts gebürstelt hat, tags drauf kein Drama macht, wenn man weitere Mausis anschleppt, sondern einem, im Verein mit ihnen, ein Drama schreibt. Und wenn das Kind eines solchen Autorenkollektivs denn unbedingt einen Autorennamen haben muß - warum soll es nicht den dessen tragen, der das ganze Mausirudel zusammengeführt und Nacht und Tag bei Laune gehalten hat, weshalb“ - doch bemerkend, daß seine Gesprächspartnerin längst das Weite gesucht hatte, bequemte sich Ge-ga zu schweigen.

    Über die Kritik

    Schon im Vorfeld des hundertsten Todestages des Dichters Kin erhob sich ein gewaltiges Rauschen im Blätterwald, aus welchem kritische Untertöne nicht zu überhören waren: Kin, der große Ankläger der Ausbeuter, habe selber seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgebeutet. Kin, der leidenschaftliche Freund der Freundlichkeit, habe an seinen Mitmenschen wenig freundlich gehandelt. Kin, der Aufrührer, habe seine Anfänge verraten und sich am Lebensende als staatstragender Dichter feiern lassen.
    Aus all dieser Kritik schloß Ge-ga jedoch nicht auf ein Versagen Kins, sondern auf dessen Verdienste: „Wer Zeit seines Lebens damit zugebracht hat, auf Widersprüche hinzuweisen, hat es verdient, daß man seine Methoden nach erfolgtem Ableben auf dieses Leben anwendet. Wer, als er heranwuchs, die Größen seiner Zeit kritisiert hat, wird es als Lob empfinden, daß er, groß geworden, selber kritisiert wird. Wer die Herrschaft des Menschen über den Menschen abschaffen wollte, kann nur zustimmen, wenn auch seiner eigenen Herrschaft der Prozess gemacht wird.“

    Ob er denn wirklich glaube, Kin würde, lebte er noch, dazu in der Lage sein, seinen Kritikern gegenüber eine derart abgeklärte Haltung an den Tag zu legen, wurde Ge-ga gefragt.
    „Vermutlich würde er sich mopsen“, räumte der ein. "Möglicherweise würde er sich jede Kritik verbitten und den Rotzlöffeln raten, es erstmal besser zu machen. Und hätte er nicht recht? Kritisieren ist leicht. Kritisieren kann jeder!
    Aber er habe doch ebenfalls hier und da den Kin kritisiert, wurde Ge-ga entgegengehalten.
    „Natürlich habe ich das“, versetzte der. „Was lediglich belegt, wie leicht das Kritisieren ist. Wenn schon ich das kann!“

    Über Kunst und Leben

    Je höher die Wellen zu Kins hundertstem Geburtstag schlugen, desto tiefer das Tal, in welches ihn so manche Feder zu stürzen suchte.

    Am freundlichsten meinten es noch jene mit Kin, die lediglich seinen Ideen, nicht seinem Werk den Prozess machten. Weniger freundlich die Stimmen, welche nur noch Teile von Kins Werk gelten lassen wollten, wobei einige der Kritiker jene Gattungen bzw. Phasen bevorzugten, die Kin selber weniger hoch geachtet hatte, die Lyrik beispielsweise oder das Frühwerk, andere aber so weit gingen einzig und allein einem Bruchteil des Kinschen Erbes, beispielsweise dem Fragment gebliebenen Werkstück „Fatzer“, bleibenden Wert zuzusprechen.

    Und schließlich waren da noch jene, die bereits beide dem dunkelsten Orkus verfallen sahen, Ideen wie Werk, freilich nur, um das Leben Kins vor solch düsterer Folie um so heller erstrahlen zu lassen: Derart exemplarisch habe Kin die Widersprüche seiner Epoche erlebt und gelebt, daß sein Lebenslauf recht eigentlich jenes Kunstwerk darstelle, das allein es rechtfertige, dieses ansonsten doch mehr als fragwürdigen und abgetanen Dichters zu gedenken. Ja, es gab sogar mißtrauische Geister, die sich Kins überreiche Produktivität nicht anders zu erklären vermochten, als daß er sich vampirhaft anderer Lebenssäfte und Phantasiekräfte bemächtigt habe, ein Verdacht, aus welchem sie die Berechtigung ableiteten, die Keller der Kinschen Biographie rücksichtslos nach Leichen zu durchsuchen und bei jedem Fund, der einem Knöchelchen auch nur entfernt ähnelte, „Beweisstück“ zu schreien.

    Ge-ga hörte all jenen Stimmen voll nachsichtiger Belustigung zu. „Mit unserem Altmeister Go-e-te schließe ich aus großen Wirkungen auf große Ursachen“, sagte er. „Die Säure des Ingrimms, mit der die Verächter Kins den Jubilar überschütten, ist für den Verachteten ungleich belebender als es der parfümierteste Weihrauch sein könnte.

    ’Wer wird nicht einen Og-op loben / Doch wird ihn jeder lesen? Nein’, dichtete Meister Es-ing einst, um fortzufahren: ’Wir wollen weniger erhoben / Und fleißiger gelesen sein.’ Was aber könnte, mehr zur Lektüre anstacheln als die Behauptung, der Verfasser gehöre nicht der Literatur-, sondern der Kriminalgeschichte an? Daher bin ich guten Mutes, daß Kin, anders als seine zu ihrer Zeit hochberühmten und, zumindest in ihren Schriften, sittlich sicherlich höherstehenden Zeitgenossen und Kollegen Lu oder Fe-hu-wang, auch von kommenden Generationen gelesen werden wird. Denn wenn etwas partout nicht umzubringen ist, dann jenes gesunde Interesse am Verbrechen, das bereits der junge Kin an den Tag legte, als er den Elternmörder Jakob Apfelböck und die Kindsmörderin Marie Farrar besang. Und wer erstmal so weit ist, die ’Hauspostille’ des übel beleumdeten Kin aufzuschlagen, der wird auch nach hundert Jahren nicht umhin können festzustellen, daß da kein teuflischer Verbrecher, sondern ein höllisch begabter Dichter am Werk gewesen ist.“

    Über das Verbessern

    In jungen Jahren hatte sich Kin die Grabinschrift REIN.SACHLICH.BÖSE gewünscht, älter werdend war er mehr und mehr darauf aus gewesen, das seiner Meinung nach Gute zu loben und die Freundlichkeit als solche zu preisen.

    Ge-ga, der diesem positiven Kin so wenig über den Weg traute, wie er den negativen hoch schätzte, versäumte es daher nicht, sich bei der Kin-Lektüre stets eines Stifts zu vergewissern, mit dessen Hilfe er immer dann eingriff, wenn Kin in seinen Augen mal wieder des Guten zu viel tat. So, als er auf Kins „Lob der Partei“ stieß, das mit den Zeilen beginnt: „Der einzelne hat zwei Augen / Die Partei hat tausend Augen.“

    „Der einzelne hat nur zwei Augen / Die Partei hat ein Auge“, berichtigte Ge-ga.

    Auch den Schluß des Gedichts „Vergnügungen“ mochte er nicht so stehen lassen, wie Kin ihn hingeschrieben hatte - „... Begreifen/Neue Musik/ Schreiben, Pflanzen/Reisen/Singen/Freundlich sein“ -: „Freundlich tun“, korrigierte Ge-ga.

    „Aber du kannst doch nicht einen Kin verbessern wollen!“ wurde ihm entgegengehalten.

    „Wer spricht hier von wollen?“ versetzte Ge-ga. „Ich verbessere ihn.“

    „Wer gibt dir das Recht dazu?“ fragte man Ge-ga.

    „Der Dichter Kin“, erwiderte Ge-ga. „Lest nur einmal nach, wie der die Gedichte der Dichterin I-ba zusammengestrichen hat. Dabei lebte die zur Zeit der Kinschen Verbesserungen noch und hätte sie selber leisten können. Um so einleuchtender, dem, der seine Gedichte ablebenshalber nicht mehr selbst zu verbessern imstande ist, diesen Dienst zu erweisen!“

    „Ich verstehe“, lenkte Ge-gas Gegenüber ein. „Du verbesserst Kins Gedichte nicht aus Besserwisserei, sondern aus Freundlichkeit!“

    „Oh!“ sagte Ge-ga und erbleichte.

    Robert Gernhardt, 1. März 1998

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