Glaser (78 !) will weiterarbeiten, findet aber keinen Laden - Tempelhof-Schöneberg

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  • Glaser (78!) will weiterarbeiten, findet aber keinen Laden
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    Hans-Jürgen Arnsmann muss aus seinem Geschäft raus. Er sucht neue Räume, aber bislang bekam er von Vermietern nur Absagen.

    02.11.2018, Gudrun Mallwitz

    Handwerker, die neue Räume suchen, haben es derzeit sehr schwer in Berlin. Ein Handwerker, der 78 Jahre alt ist, braucht es wahrscheinlich gar nicht erst zu versuchen. Hans-Jürgen Arnsmann tut es trotzdem. Nach fast 40 Jahren muss der Glasermeister aus seiner Glaserei und Bilderrahmen-Werkstatt in der Albestraße in Friedenau raus.

    Sein Mietvertrag endet zum 31. Dezember, die Wohnungen in dem Altbau von 1893 und auch seine rund 120-Quadratmeter großen Galerie- und Werkstatträume mit Ofenheizung im Erdgeschoss werden verkauft. „Ich hatte nicht gedacht, dass es so schwer wird, neue Räume zu finden“, sagt Arnsmann, „einen so alten Knaben wie mich will offenbar kein Vermieter mehr haben.“ Vor etwa zwei Wochen hat er die letzte Absage bekommen – aus Charlottenburg. „In diese Offerte hatte ich große Hoffnung hineingesetzt, doch es hat dann doch wieder nicht geklappt“, sagt der Handwerksmeister enttäuscht.

    Jedes Wochenende 30 Kilometer auf dem Mountainbike
    Warum will einer mit fast 80 Jahren überhaupt weiter arbeiten? „Ich habe einfach noch so viel Energie“, sagt Arnsmann. Stimmt. Man muss ihm nur zusehen, wie er in seinem Laden zwischen dem großen Werkstatt-Tisch, allerhand Werkzeug, Holzleisten und den Bilderrahmen hin und her läuft. „Kein Rheuma, alles bewegt sich wunderbar“, sagt er mit einem Lächeln.

    Dass er so fit ist, kommt nicht von ungefähr: 30 Kilometer fährt Hans-Jürgen Arnsmann jedes Wochenende mit seinem Mountainbike über die Havelchaussee hoch auf den Teufelsberg. Als Ausgleich fürs viele Stehen. „Über Stock und Stein, das brauche ich. Auf der Straße zu fahren, das ist mir viel zu langweilig“, betont er. Auf einem Grafikschrank in der Ladenecke liegt ein kleines Fotoalbum. Arnsmann im Elbsandsteingebirge beim Klettern. Aufgenommen vor drei Jahren.

    Die Glaserei ist 100 Jahre alt

    Eigentlich ist die Friedenauer Glaserei, die nun bald schließen muss, schon 100 Jahre alt. Der ursprüngliche Eigentümer hatte sie einst am nahe gelegenen Friedrich-Wilhelm-Platz eröffnet, ab 1965 hat Arnsmann beim Nachfolger zu arbeiten begonnen, zwei Jahre danach legte er 1967 die Meisterprüfung ab. Fünf Jahre später zog die Glaserei dann an ihren jetzigen Standort in die Albestraße 11 um. Anfang 1979 übernahm Arnsmann dann das Geschäft.

    Kirchenfenster von St.Canisius bearbeitet

    Gelernt hatte Arnsmann in seiner Heimat Essen, danach arbeitete er in Zürich, später in Bayern, wo es ihm gar nicht gefiel. Er fühlte sich nicht willkommen auf dem Dorf, auf dem die Bayern wohl lieber unter sich geblieben wären. Toll fand er aber, dass er für die Firma in Freising die Bleiverglasung einer Barockkirche mit restaurieren konnte. Er ging nach Berlin, bekam Arbeit bei einem Glaser in Zehlendorf. Auch hier durfte er Kirchenfenster bearbeiten. Auf das Ergebnis ist er heute noch stolz, doch inzwischen existieren davon nur noch Fotos. Von den damaligen bunten Fensterkunstwerken der katholischen Kirche St. Canisius am Lietzensee ist nichts mehr übrig. Sie wurden bei einem Brand im April 1995 zerstört, nachdem zwei Jugendliche gezündelt hatten.

    An schönen Tagen arbeitet er draußen

    Die Erinnerungen aber bleiben. Auch an das Friedenau von einst. Die Albestraße hat sich stark verändert in den vergangen Jahrzehnten. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, als es in der Straße in den 1960er Jahren noch acht Läden gab“, erzählt Arnsmann. „Heute bin ich hier der Einzelkämpfer.“

    Als Einzelkämpfer ist er längst eine Institution, und das über Friedenau hinaus. In seinem Atelier entstehen nicht nur handgefertigte individuelle Bilderrahmen, wird nicht nur Glas zugeschnitten oder repariert, in seiner Werkstatt stellten immer wieder auch Künstler aus. „Kunst Glaserei Bau“ steht auf dem dekorativen Schild über der Tür zu seinem Laden. Eine Schülerin vom Rheingau-Gymnasium hat den ungewöhnlichen Glasermeister und Rahmenkünstler 2015 porträtiert. Auf den gelungenen Schwarz-Weiß-Fotos in einem Kalender ist Hans Jürgen Arnsmann bei der Arbeit zu sehen. Arnsmann, mit seinem langen grauen Bart, Hut und schelmischen Lächeln. Arnsmann über eine Arbeit gebeugt, Arnsmann vor seinem Laden. An schönen Tagen arbeitet er auch draußen, zieht mit einem großen Holztisch hinaus ins Freie.

    Ausverkauf im Dezember

    Seit Wochen ist er nun dabei, alles aufzuräumen, jahrzehntelange Erinnerungen sind mit der Werkstatt verbunden. Und jeden Tag kommt der Abschied näher. Er plant auch schon den Ausverkauf: Am Sonnabend, 1. Dezember, will er ab 13 Uhr seine Schatzkammer öffnen und seine vielen alten Rahmen verkaufen. Denn eins steht für ihn fest: Sollte er neue Räume finden, dürften sie nur noch halb so groß sein.

    Die Wohnung seit Jahrzehnten gegenüber

    Mit dem beschaulichen Schöneberger Kiez ist er auch privat seit fast 50 Jahren verbunden. Mit seiner Frau Karin – die beiden haben zwei Kinder und einen Enkelsohn – wohnt er im Altbau vis-à-vis. „Es war immer so schön“, denkt Hans-Jürgen Arnsmann schon jetzt in der Vergangenheit. „Mittags konnte ich zumachen und bequem über die Straße zum Essen heimgehen.“ Am liebsten würde er seine neue Werkstatt ganz in der Nähe eröffnen.

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