• Uber: Das Ende des Taxis | ZEIT Arbeit
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    Sie beuten sich selbst aus und brechen Regeln: Wie Uber-Fahrer den Taxi-Unternehmen das Geschäft kaputt machen.
    Von Matthias Kreienbrink 16. November 2018, 20:51 Uhr

    Die Aral-Tankstelle am Club Chalet in Kreuzberg: Die Brücke zwischen der Schlesischen Straße und der Puschkinallee ist überrannt von Touristinnen und Touristen, vor allem nachts, vor allem von Angetrunkenen, die nach einer durchfeierten Nacht nicht mehr selbst nach Hause fahren können. Tausende Feiernde sind hier jedes Wochenende unterwegs, Tendenz steigend. Und trotzdem: Vor drei Jahren musste Abdurrahman A. höchstens drei Minuten warten, dann saß ein Fahrgast im Taxi. An diesem Herbstwochenende aber wartet A. mehr als 20 Minuten.

    Er erinnert sich wieder, wieso er diese Bezirke – Kreuzberg, Friedrichshain, Mitte, Neukölln – eigentlich meidet. „Da wo die Touristen sind, herrscht Uber“, erzählt er. Darum versucht er sein Glück inzwischen in den Randbezirken Berlins: Zehlendorf, Hellersdorf, Reinickendorf: Da wird noch Taxi gerufen, nicht Uber.

    Abdurrahman A. wird an diesem Wochenende keine 300 Euro Umsatz machen. Vor drei Jahren waren es an einem guten Wochenende schon mal 1.000 Euro. Das war vor Uber. Der 30-Jährige studiert Politikwissenschaft. Seit vier Jahren finanziert er mit dem Taxifahren sein Studium. Seinen Bachelor hat er bald geschafft. Aber wie bloß den Master finanzieren, fragt er sich. Wenn es weiter so abwärts geht, kann er schon bald nicht mehr die Miete bezahlen. Während A. wartet, steigen immer wieder Menschen in Autos, die am Straßenrand warten. Oder sie tippen in ihr Handy und fünf Minuten später ist ein Auto da. An Fahrgästen mangelt es nicht, doch die meisten steigen für den Heimweg in Mietwägen, nicht in Taxis.

    Wie A. geht es vielen Taxifahrern seit dem Erfolg von Uber.

    Am Flughafen in Tegel steht der Taxiunternehmer Frank S. Reihe in Reihe mit Taxikollegen und Uber-Fahrern. Er erkennt die sie am Toyota Prius und dem Kennzeichen aus dem Berliner Umland. Manche Uber-Fahrer gehen auf Kunden zu und versprechen, dass die Fahrt günstiger sei als das Taxi.

    Der Vorwurf: Uber macht das Taxigeschäft kaputt
    Richard Leipold fährt seit 1978 Taxi und ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Berliner Taxivereinigung. Zusammen mit seinem Partner hat er sechs Autos und zwölf angestellte Fahrer. Im Januar, Februar und April haben sie minus gemacht. Vom Januar 2017 auf 2018 einen Rückgang von 30 Prozent. Wenn es so weitergeht, wird er sich bald verkleinern müssen.

    Insgesamt hat ZEIT ONLINE mit fünfzehn Taxifahrern gesprochen. Alle hatten in den letzten Monaten Umsatzeinbrüche. Viele wollen aussteigen, umschulen. Oder wissen einfach nicht weiter. In einer Facebook-Gruppe tauschen sie sich aus. Sie posten Bilder von Uber-Autos, die in Seitenstraßen warten. Erzählen sich Geschichten von drängelnden Uber-Autos. Tauschen sich aus über ihren Frust und die Verzweiflung, nicht mehr genug Geld zu verdienen. Und hier versuchen sie sich auch zu organisieren. Erst Mitte Oktober haben Hunderte Taxifahrer in Düsseldorf mit einem Autokorso für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Düsseldorfer werfen Uber vor, sich nicht an deutsches Recht zu halten und mit Dumpingpreisen das Taxigeschäft kaputt zu machen.

    Taxifahrer müssen sich an viele Regeln halten. Um den Taxischein zu bekommen, müssen sie eine Ortskundeprüfung ablegen, die je nach Anbieter mehrere Hundert Euro kostet. Das beinhaltet eine mehrmonatige Vorbereitung, genaues Einprägen der Straßengeflechte einer Großstadt wie Berlin. Bei der Prüfung wird dann eine Fahrt von A nach B abgefragt, die der Prüfling aus dem Gedächtnis abfahren muss – inklusive Nennung aller abgehenden Straßen.

    Taxifahrer haben ein Fiskaltaxameter in ihrem Auto, das Umsatz und Arbeitszeit aufzeichnet und speichert, jederzeit vom Finanzamt abrufbar. Taxifahrer müssen bei jeder Fahrt den gleichen Fahrpreis nehmen. An den Taxiständen warten immer wieder und unangekündigt Kontrolleure vom Landesamt für Bürger und Ordnungsangelegenheiten (LABO). Stimmt die Kennzeichnung des Wagens? Funktioniert das Warndreieck? Wenn nicht: Bußgeld.

    Uber-Fahrer brechen Regeln und beuten sich selbst aus
    Für Uber-Fahrer, die offiziell Mietwagenfahrer genannt werden, gilt all das nicht – oder nicht mehr. Seit dem 24. August 2017 müssen Mietwagenfahrer keine Ortskenntnisprüfung mehr ablegen. An diesem Tag trat eine Fahrerlaubnis-Verordnung in Kraft, die es ihnen erlaubt, auch ohne die Ortskenntnisprüfung zu fahren. Anders als Taxifahrer wüssten Mietwagenfahrer immer vor der Fahrt, wohin sie fahren und seien auch nicht verpflichtet, den kürzesten Weg zu fahren, erklärt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur auf Nachfrage. Auch schon vor dem 24. August 2017 sind viele Mietwagenunternehmer die Prüfung umgangen und haben ihren Betriebssitz in Orten unter 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern gegründet. In kleineren Städten entfällt die Ortskenntnisprüfung. Darum erkennt man Uber-Autos in Berlin auch oft an den Kennzeichen aus dem Brandenburger Umland.
    Regelbruch und Selbstausbeutung
    Mietwagenfahrer müssen keine Fiskaltaxameter in ihren Autos anbringen, müssen ihr Auto nicht als Mietwagenfahrzeug kennzeichnen und werden auch keinen unangekündigten Kontrollen unterzogen. Den Preis bestimmt ein Algorithmus, der sich nach der aktuellen Nachfrage richtet.

    Doch auch für Uber-Fahrer gelten gewisse Regeln. Eine davon ist die Rückkehrpflicht. Eigentlich sollte eine Mietwagenfahrt wie folgt ablaufen: Ein Kunde bestellt im Voraus einen Mietwagen über eine App wie „UberX“. Der Vermittler – Uber – gibt diese Bestellung an ein Mietwagenunternehmen weiter, dieses wiederum leitet sie weiter an einen Fahrer. Je nach Uhrzeit der bestellten Fahrt würde der Fahrer dann von seinem Betriebssitz aus zu dem Fahrgast fahren, ihn abholen, absetzen und zurück zum Betriebssitz fahren. Das heißt auch: Mietwagenfahrer dürfen nicht herangewunken werden, und dürfen auch nicht in besonders frequentierten Gegenden auf einen Fahrgast warten.

    Tatsächlich mischen sich am Flughafen oder vor den Clubs in Kreuzberg ständig Uber-Autos. Sie brechen die Regeln und beuten sich selbst aus, um ein gutes Geschäft machen zu können. Manche Uber-Fahrer übernachten in ihren Autos oder fahren 15 Stunden am Stück, um genug zu verdienen. Kontrolliert wird auch das nicht. Der Konkurrenzkampf zwischen denen, die schon immer dort waren, und den neuen wird immer erbitterter.

    Abdurrahman A. hat ein Formular auf seinem Computer gespeichert. Es liegt „ein Verstoß gegen das PBefG, Paragraph 49 Abs. 4 vor“, steht darin. Er muss nur noch Automarke, Kennzeichen, Ort und Uhrzeit eintragen – damit ist die Anzeige wegen Nichtbeachtung der Rückkehrpflicht fertig. „Solche Anzeigen stelle ich andauernd bei den verschiedenen Bezirken“, erzählt er. Ihn ärgert es, dass die Taxifahrer so stark kontrolliert werden und die Uber-Fahrer ungeschoren davonkommen. Doch Reaktionen bekäme er kaum welche. „Ich hatte gehofft, dass die Anzeigen zentral gesammelt werden, doch für die Behörden scheinen das lauter Einzelfälle zu sein.“

    Taxifahrer waren Helden
    Uber, ein US-amerikanisches Milliardenunternehmen mit Sitz in San Francisco, hat einen Markt geschaffen, der auch in Europa kaum reguliert wird. Das Unternehmen vermittelt Autofahrer. Uber wurde damit zum Pionier der sogenannten Gig Economy, eine neue Industrie, in der Arbeitskräfte in der Regel pro Gig, also Auftrag, bezahlt werden: pro Fahrt, geliefertes Essen oder geputzte Wohnung.

    Menschen, die in der Gig Economy arbeiten, tun dies oft als Neben-, Zweit- oder Drittjob. Oft ist die Bezahlung so schlecht und die Bedingungen so prekär, dass niemand davon allein überleben kann. Deliveroo-Lieferanten und Uber-Fahrer sind oft Studierende, Neuzugezogene, Suchende. Manche machen den Job ein paar Stunden an Tag, andere fünfmal im Monat, die wenigsten Vollzeit.

    Ganz anders der Taxifahrer. Auch Taxifahren ist vielleicht für die wenigsten von Anfang ein Traumberuf, viele blieben es jedoch ein ganzes Leben lang und konnten damit sich, sogar eine Familie, ernähren. Den Taxifahrer umgab auch einen Mythos: In Jim Jarmuschs Film Night on Earth sind Taxifahrer Helden.
    „Klageverfahren gegen Uber sind eine kostspielige Sache“
    Heute werden Anekdoten aus dem Straßenverkehr in amerikanischen Serien und Filmen mit den Worten „My Uber driver …“ eingeleitet. Ein Uber zu nehmen ist aufgrund des Algorithmus, der den Preis bestimmt, nicht immer günstiger, aber trotzdem modern. Auch in deutschen, angesagten Bezirken wie Kreuzberg findet man kaum noch Taxis, man holt sich ein Uber.

    In Berlin-Kreuzberg in einem großen, roten Backsteinhaus findet man auch Alexandra Decker, Rechtsanwältin für Urheber- und Wettbewerbsrecht. Ihr Studium hat sie sich mit Taxifahren finanziert. Sie hat schon mehrfach Taxifahrer in Berlin und München vor Gericht vertreten – gegen Uber. Immer ging es um das Nichteinhalten der Rückkehrpflicht. „Klageverfahren gegen Uber sind eine kostspielige Sache“, sagt sie. Wer gegen Uber klagt, klagt gegen eine renommierte Großkanzlei. Mehrere Male hat Decker schon gewonnen – jedes Mal habe Uber Rechtsmittel eingelegt und der Fall ging in die nächsthöhere Instanz. „Da herrscht keine Waffengleichheit.“

    Die grundsätzliche Frage im Umgang mit Uber ist, ob das Unternehmen als Verkehrsdienstleister oder als Technologieplattform behandelt wird. Für Decker ist Uber ein Verkehrsdienstleister, der mehr als nur die Vermittlung organisiert. Das Unternehmen bestimmt die Fahrpreise, fordert 25 Prozent Provision und verschafft den Mietwagenunternehmern vergünstigte Autos.

    Uber argumentiert anders: „All unsere Fahrerpartner sind Angestellte oder Betreiber von professionellen Mietwagen- oder Taxiunternehmen“, betont ein Uber-Sprecher auf Nachfrage von ZEIT ONLINE. Uber stelle nur die Technologie zur Verfügung. Man halte sich an alle geltenden Regelungen.

    Aggressive Lobbyarbeit
    Dass in der Praxis jedoch kaum ein Fahrer wieder zurück an den Betriebssitz fährt, muss auch dem Unternehmen klar sein. Etwa 500 Mietwagen, die für Uber im Dienst sind, sind in Brandenburg registriert. Dahin müssten die Fahrer also eigentlich zurückkehren, wenn sie nicht während einer Fahrt bereits einen neuen Auftrag bekommen. „Sie verstoßen permanent und wissend gegen bestehendes Recht“, sagt Alexandra Decker.

    Doch die Lobbyarbeit des Unternehmens sei so aggressiv, dass sie damit sowohl im Bundestag als auch der EU einiges bewegen könnten. Laut der Plattform LobbyFacts.eu gab das Unternehmen auf der EU-Ebene im Jahr 2017 800.000 bis 899.000 Euro für Lobbyismus aus, etwa doppelt so viel wie die Vermietungsplattform Airbnb.

    Harald Moritz ist Abgeordneter für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Auch er ist der Meinung, dass Uber viel mehr ist als ein Vermittler. „Uber ist ein Verkehrsdienstleister und sollte auch so behandelt werden“. Im Berliner Abgeordnetenhaus hat er im März 2018 eine Kleine Anfrage zur Kontrolle von Uber-Fahrern durch die Behörden gestellt. Die Antwort: ziemlich schwammig. „Das LABO ist heillos überfordert bei der Kontrolle von Uber-Fahrern. Eigentlich müsste bei jeder Fahrt ein Mitarbeiter des LABO auf der Rückbank sitzen, damit das gewährleistet werden könnte“, meint Moritz.

    Am 13. Dezember 2018 wird der Bundesgerichtshof über die Einordnung von Uber entscheiden. Wird Uber, wie kürzlich in Österreich, als Verkehrsdienstleister eingestuft, wäre das ein Rückschlag für Uber. Dass Uber genauso stark kontrolliert wird wie das Taxigewerbe, ist auch dann unwahrscheinlich. Abdurrahman A. wird also auch nächstes Jahr noch Anzeigen wegen Nichtbeachtung der Rückkehrpflicht stellen müssen. Möglicherweise werden sie eher erhört.

    #Uber #Taxi #disruption