Vom Gartenhaus nach Buchenwald | Telepolis

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    Der Heimatschutzstil ist ein Gegenentwurf zur Moderne, aus der er stammt

    „Ein wilder Volksstamm, Heidschnucken genannt, bewohnt die Lüneburger Heide.“ Selbst wenn Madame de Stael, die dies 1814 in ihrem Deutschlandbuch schrieb, eine Verwechslung mit Heiducken unterlaufen sein sollte, wird das Missverständnis nicht geringer. Die Heidelandschaft zog eine Fülle von Schriftstellern an, von Theodor Storm über Anette Droste-Hülshoff und Hermann Löns bis zu Arno Schmidt, und jeder sah in ihr etwas anderes, wenngleich in einer Art verwehter Innerlichkeit. Liegen die Missverständnisse am Heidekraut?

    Keine Pflanze ist in Deutschland stärker politisiert worden. Die Aufladung reicht vom heiteren Jugendstil in Worpswede bis zum Nazi-Lied „Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein, und das heißt Erika“, das von der Bundeswehr übernommen worden ist. Man glaubt zu hören - rumsrumsrums - wie das garstige Kraut, das eigentlich ein Mägdelein symbolisiert, unter dem Marschtritt zermalmt wird.

    Der „Heidedichter“ Löns bediente die Wandervogel-Bewegung mit einem (Zeitschriften-)"Organ für Heideforschung". Die Landschaft zwischen Moor und Steppe ist ein Hort der Ende des 19. Jahrhunderts aufblühenden Heimatschutzbewegung. Und sie ist ein Tableau. Die Bauwerke sollen sich ins Gesicht der Landschaft einschreiben und das Gesicht des Bauern, das dann nicht sehr stark ausdifferenziert sein dürfte, in sein Haus. Heide verbürgt Heimat. Hegemonialansprüche Niederdeutschlands gegenüber den Alpenländlern sind unverkennbar, aber landschaftsgebundenes Bauen ist auch im Süden möglich, selbst wenn etwa die dunklere „dinarische“ Rasse - wie es dann bei den Nazis hieß - nicht ganz so treuherzig ist wie die... Heidschnucken.
    Vom Gartenhaus nach Buchenwald

    Goethes Gartenhaus in Weimar in einer Darstellung von 1868. Bild: Public Domain

    Aus heutiger Sicht klingt es paradox, dass sich Architekten und Planer verschiedenster Richtungen vor dem Ersten Weltkrieg einig darin waren, mit neuer Architektur zu einer Sozialreform beizutragen. Alle waren Lebensreformer und jugendbewegt. Man fand sich 1907 im „Werkbund“ zusammen. Das Wohnungselend durch Zustrom der Massen in die Städte war herkömmlich nicht mehr zu bewältigen. Eklektizismus und Historismus überdeckten das Elend, indem sie artifizielle Ornamente an die Fassaden klebten.

    Während aber die eine Gruppe zur (November-)Revolution und zur internationalistischen Neuen Sachlichkeit vorwärtsstürmte, machte die andere Gruppe die Rolle rückwärts über den Historismus hinweg und landete beim Baustil um 1800. Mehr Stadt war ihnen das falsche Rezept. Die giftgeschwängerte Atmosphäre des städtischen Sündenbabels hatte die Heimat verschandelt und vernichtet. Biedermeierliche Beschaulichkeit und bäuerliche Bescheidenheit, Sinnbilder der Epoche des Klassizismus, waren ihre Quelle, aus der sie die Wiederauferstehung der verlorenen Heimat schöpften. Sie verstanden darunter nicht eine getreue Reproduktion oder Konservierung des alten Stils, sondern eine vorsichtige Adaption.

    Bei Durchsicht der zahlreichen exemplarischen Lehrbücher mit meist fotografischer Dokumentation fragt sich allerdings, wie die abgebildeten, gar nicht so bescheidenen Palais oder Höfe - ganz zu schweigen vom niederdeutschen Hallenhaus - den sozialen und hygienischen Defiziten der Industriegesellschaft um 1900 gerecht werden sollten. Das hinderte Paul Mebes nicht daran, sein Beispielbuch „Um 1800“ zu betiteln.

    Die architektonischen Leitbilder, welche den Heimatschutzstil ausmachten, sind zusammengefasst: landschaftsgebundene Bauweise, Verwendung regionaltypischer Baustoffe, sparsam gesetzte Lisenen und betonte Giebel. Dächer in allen möglichen Formen, ob Sattel-, Schopfwalm- oder Mansarddach, Hauptsache geneigt. Die Fenster sind durch Sprossen gegliedert. Die einheimischen Steine und Hölzer sind durch das lokale Handwerk materialgerecht zu behandeln.
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    Handwerkliches wird großgeschrieben. Das Wohnen wird mit dem Begriff des Werks, des Aufbauens und Erhaltens verknüpft. Die ideale Werkstatt, in welcher die alte landschaftsgebundene Baukunst praktisch gelehrt wird, taucht in Adalbert Stifters Roman „Der Nachsommer“ von 1857 auf. In gedrechselter Manieriertheit beschreibt Stifter ein ideales, dabei bescheidenes bürgerliches Leben.

    Im Mittelpunkt steht das „Rosenhaus“. Es ist mit einer Restaurierungswerkstatt verbunden, in der architektonische Fragmente zusammengetragen und zusammengesetzt werden. Damit ist auch das Leben der Bewohner zu einer idealen Gutbürgerlichkeit zusammengesetzt. Allerdings müssen sie sich auf Filzschuhen im eigenen Haus bewegen. Da schrumpft Stifters Bescheidenheitsgestus zur Musealisierung. Das literarische Rosenhaus, das in seiner ganzen modellhaften Fiktionalität in die Ausbildung an der konservativen Stuttgarter Schule der Architektur integriert war, hat nichtsdestotrotz ein reales Vorbild: Goethes Gartenhaus in Weimar.

    Im unscheinbaren Rosenhaus paart sich schlichte Zweckmäßigkeit in der Anordnung mit edler Materialbehandlung im Detail und prägt das ästhetische Dasein der Bewohner. Die Bezüge zur englischen Arts-an-Crafts-Bewegung liegen auf der Hand. Das Rosenhaus ist andererseits die Urhütte des Heimatschutzstils. Zum Archetypischen gehört die Natur. Stifter: „Endlich waren alle Bauwerke aus Naturdingen entstanden, welche die Vorbilder gaben, etwa aus Felskuppen oder Felsenzacken oder selbst aus Tannen, Fichten oder anderen Bäumen.“

    Vegetabilische Ornamente, Zacken und asymmetrische Vorsprünge sprechen nicht gerade für einen geglätteten und regelmäßigen klassizistischen Stil. Passen auch Mittelalter-Zitate zum Heimatschutzstil? Passen verwinkelte Enge und Butzenscheibenromantik ins Heimatstil-Weltbild? Der Dichter Arno Holz malt es aus:

    Wirrfirstig, zickzackig, wunderlich / Verbaute, gleißend, schrägschief, rundrings hochkletternde / Städtchen.

    Die Phantasie, welche sich die Vergangenheit als Modell einer besseren Zukunft ausmalt, hat viele Kammern. Wo liegen die bevorzugten Orte des Heimatschutzstils - in der Stadt, auf dem Land, oder besser im Dazwischen, in der Unbestimmtheit der Kleinstadt oder des Landhauses? Im Grunde nirgends. Aus den vorhandenen und überlieferten Baubeständen wird ein Extrakt gezogen, der auf gröbste Typisierungen von Siedlungsformen bezogen und zur Norm erhoben wird. Eine Abstraktion wird zur Realität umgedeutet.

    In Wahrheit werden die Siedlungen zu Kulissen fiktionalisiert. So sahen die Musterdörfer auf den Industrie- und Gartenausstellungen vor dem Ersten Weltkrieg denn auch aus. Die Nazis, die Deutschland in drei oder vier Landschaften einteilten, sollten dann den Heimatschutz, der den Kern ihrer Ideologie bildete, ins Nichts der abgeräumten Landschaften des Ostens überführen.
    Krieg der Dächer

    Die Lebensreform mit ihren sozialen Ansprüchen hielt Architekten aller Schulen so lange zusammen, wie die frühen Gartenstädte errichtet wurden. Licht, Luft und Sonne sowie sanitäre Einrichtungen und Gärten sollten den Arbeitern zuteil werden. Das Programm der Moderne wurde erstmals erprobt, so 1909 in Hellerau bei Dresden. Haus und Garten, Innen und Außen waren ein engverschmolzenes Ganzes. Die Räume des Hauses waren nicht nur bei Klein-, sondern auch bei städtischen Landhäusern entsprechenden Kompartimenten des Gartens zugeordnet. Die Küche ging nach dem Kräutergarten hinaus. Die Gartenstadt-Häuser standen häufig in Reihe, doch wurde die Serie intermittiert durch gelegentlichen Wechsel von Trauf- und Giebelständigkeit.

    Die sozialen Siedlungen der Zwanziger Jahre waren im Kern vorbereitet. Aber so geometrisch, wie der Engländer Ebenezer Howard die ideale Gartenstadt 1898 entworfen hatte, sah es in Hellerau nicht aus. Die Straßen und Plätze waren der Topographie angepasst, und der Stadtplaner Camillo Sitte schrieb: „Vor allem durch Variationen in Straßenführung und -belag, Begrünung, Ruhezonen usw. sowie eine unregelmäßige Gruppierung der Baumassen versuchte man, individuell gestaltete Lebensbereiche zu schaffen.“ Was Friedrich Ostendorf als „geschickt aufgebaute Theaterkulisse“ brandmarkte, ist gemäß Sittes Beschreibung eine überzeugende Variante des Heimatschutzstils.
    Konfrontation der Dächer am Fischtalgrund in Zehlendorf, um 1928. Bild: Bildarchiv Foto Marburg

    Diesem Stil stand der Chefplaner Helleraus, der Münchener Richard Riemerschmid, nahe, während Hermann Muthesius, der mitwirkender Architekt war, die Grundsätze einer funktionalistischen Moderne vorformuliert hatte, weg vom „Fassadenstil“. Die verschiedenen Richtungen trafen sich friedlich in Hellerau. Der Heimatschutzstil sah sich jedoch im Zwiespalt, die Ziele der Moderne mit rückwärtsgewandtem Rüstzeug zu verfolgen. Ihm wurde das Etikett „antimoderne Moderne“ verpasst.

    Im Untergrund hatte sich bereits eine andere, mehr und mehr mitreißende Strömung entwickelt. Zwei Jahre vor dem englischen Gartenstadtpionier Howard hatte Theodor Fritsch weitgehend unbeachtet „Die Stadt der Zukunft“ veröffentlicht. Das enthaltene Gartenstadt-Konzept geht von der Organisation der Gemeinden in Nachbarschaften aus, hinter der sich jedoch eine hierarchisch-ständische Gliederung der Volksschichten durch deren räumliche Segregation verbirgt. Das erstaunt wenig in Anbetracht des „Antisemiten-Lexikons“, das Fritsch bereits 1887 herausgebracht hatte. Er wurde zu einem führenden theoretischen Wegbereiter des Nationalsozialismus.

    Die emanzipatorische Gartenstadtidee konnte nun durch eine Blut- und Boden-Ideologie untermauert werden. In der „Obstbaukolonie Eden“ ging es los. Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es dort Stimmen, die den Vegetarismus zur „Abwehr der Rassenverschlechterung“ einsetzen wollten.

    Spätestens 1928 war der Bruch zwischen dem gemäßigten Klassizismus des Heimatstils und der Neuen Sachlichkeit der um das Bauhaus gruppierten Architekten vollzogen. Bruno Taut, Hugo Häring und Otto Salvisberg hatten den Bau der modernen, aus kubischen Baukörpern bestehenden Siedlung „Onkel-Toms-Hütte“ in Berlin-Zehlendorf bis zu einer Straßenkante vorangetrieben, von der aus der Blick der Bewohner über eine liebliche Grün-Landschaft schweifen sollte. Ein führender Vertreter der anderen Fraktion, Paul Schultze-Naumburg, glaubte hingegen ein Nichts zu sehen, wenn er auf Häuserzeilen im Stile Tauts blickte. Ihm waren die Häuser „dachlos“. Flachdächer waren im gutbürgerlichen Zehlendorf eine Provokation. Der „Zehlendorfer Dächerkrieg“ entbrannte.

    Eine auf eine mittelständische Klientel ausgerichtete Wohnungsbaugesellschaft setzte den Bewohnern der Taut-Siedlung eine „Versuchssiedlung“ vor die Nase, deren Steildächer vollends die Sicht aufs Grün versperrten. Auf dieser konservativen Seite der Straße wurde alles an Heimatstil-affinen Architekten aufgeboten, was Rang und Namen hatte, darunter Heinrich Tessenow, Paul Mebes und Paul Schmitthenner. Letzterer brandmarkte die flach gedeckten Häuser als nomadische Araber- und Palästinenserdörfer.

    Schultze-Naumburg montierte in eine Postkarte der heute berühmten Weißenhof-Siedlung in Stuttgart, welche die Koryphäen des Neuen Bauens versammelt hatte, Beduinen, Kamele und Löwen hinein. Der Soziologe Werner Sombart steuerte eine originelle Erklärung fürs Flachdach bei: Weil die Juden ein baumloses Volk sind.

    Heinrich Tessenow, der die konservative Fraktion leitete, bekam Muffensausen. Er wollte keine „Kriegsstimmung“ aufkommen lassen. Dazu bestand - noch - kein Grund. Es scheint zu den Tugenden von Architekten zu gehören, die Position wechseln zu können. Taut konnte auch Satteldach, während Mebes sich auf kubische Baukörper und Stahlskelettbauweise verstand. Paradoxerweise steuerte Walter Gropius, der Bauhauschef, zur Versuchssiedlung einige begleitende Pavillons in flacher Bauweise bei. Die Fronten verliefen asymmetrisch, und der „moderne“ Bruno Ahrends wusste sogar eine Lösung: „Ich mache für ein schlechtes Haus nicht die Dachform, sondern die Planverfasser verantwortlich und trete dafür ein, dass man nicht von guten und schlechten Dachformen, sondern nur von guten und schlechten Architekten sprechen kann.“

    Aber es half nichts. Als die Nazis hochkamen, ging es um mehr als nur Satteldächer. Es ging um Blut und Boden. Der für den besetzten Osten zuständige Landschaftsarchitekt Heinrich Wiepking-Jürgensmann schrieb: „Die Morde und Grausamkeiten der ostischen Völker sind messerscharf eingefurcht in den Fratzen ihrer Herkommenslandschaften.“ Ganz anders die Physiognomie derjenigen Häuser, in die sich die germanischen Eigenschaften eingeschrieben haben. Sie sind verwurzelt in der Landschaft, in der die Blutlinien der germanischen Rasse verlaufen. Die SS schuf im Zuge ihres berüchtigten „Generalplan Ost“ einen „Raum ohne Volk“ und fand kaum deutsche Neusiedler.

    Wie aber sahen nun die heimatlichen Modellhäuser und -städte aus, die im besetzten Osten gleichsam aus der Retorte gezogen werden sollten? Sie bilden eine Wehrlandschaft. Orte und Siedlungen sind hierarchisch gegliedert. Zentral sind Versammlungsräume und Aufmarschplätze, aber entscheidend ist die „Tektonik“ der Landschaft: Viereckige Felder sind von Windschutzhecken umschlossen. Dieses Muster wiederholt sich stereotyp, bis die ganze Landschaft mit Hecken überzogen ist, einer alten Forderung des Natur- und Heimatschutzes entsprechend.

    In der Stereotypie der Siedlungen und Häuser ist das Verfahren der Abstraktion von historischen Formen auf die Spitze getrieben. Die Typisierung, die dabei herauskommt, ist geschichtslos und übertragbar auf andere Orte.1 Das ist der logische Grund der Wahnidee vom tausendjährigen Reich. Seine reale Wirkung ist die Zerstörung traditioneller und regionaler Verschiedenheit. Ein Schlaglicht auf die Verschmelzung verschiedener deutscher „Volksstämme“ zu einer gesichts- und geschichtslosen, gleichwohl kriegsbereiten Masse wirft Leni Rieffenstahls „Triumph des Willens“.

    Die Landschaft, die Wiepking im Rahmen des Generalplans Ost beplante, hatte den Wehrbedingungen zu genügen. Um feindliche Flugzeuge abzulenken, wurden Baumgruppen gepflanzt, unter denen die Straßen abknickten. Wallhecken dienten der Tarnung vor Infanterie. Himmler ordnete wieder die Abholzung an, weil er Partisanen befürchtete. Die Zunft der Landschaftsarchitekten hatte aber noch genug am Westwall zu tun, der aus den gleichen Motiven begrünt wurde.2
    Autogerechte Landschaftsverbundenheit

    Der Heimatschutz ging in der wehrstrategischen Zweckrationalität unter. Die Nazis ließen zunehmend wirtschaftlichen Pragmatismus walten und tasteten die Industrie und deren Eigengesetzlichkeiten nicht an. Wenn für den Brückenbau regionaltypische Natursteine zu knapp oder teuer waren, ging man zu standardisierten Stahlkonstruktionen über.

    Neue Brücken wurden im Reich für eine ganz andere Art von Straßen benötigt: die Autobahnen. Sie verschafften den Landschaftsarchitekten eine Sternstunde. Unter der Leitung von Alwin Seifert wurden sogenannte Landschaftsanwälte eingesetzt, die entlang der Autobahnen das Bild der Heimat - wieder? - herstellen sollten. Das Begleitgrün vermittelt ein Heimatgefühl im Vorüberfahren.

    Die Reichsautobahnen stellen nicht die kürzeste, sondern die „eldelste“ Verbindung zwischen zwei Punkten her, hieß es. Als Blickfang konnte „Deutsche Eiche“ gepflanzt werden, obwohl im Mythos doch die Eberesche den Vorrang hat. Auch ein altbekanntes Kraut taucht wieder auf:

    Herbstliche Süße / Polster von Erika / die Autobahn entlang (...) in sich gekehrtes Kraut / das bald hinbräunt (...) ins Nieerblühte.
    Gottfried Benn

    Einen Höhepunkt des Heimatschutzstils, den die Nazis meinten, stellten die Tankstellen mit ihren gelegentlich abgewalmten Satteldächern über den Zapfsäulen und die Raststätten dar, deren Gasträume wie Wohnzimmer eingerichtet waren. Technik und Natur verbanden sich im Autobahnbau zu einem „völkischen Gesamtkunstwerk“, sagte Fritz Todt. Hatte die Moderne Ende der Zwanziger Jahre die autogerechte Stadt eingeläutet, kamen die Nazis mit dem autogerechten Land hinterher.
    SS-Kameradschaftssiedlung (1938-1940). Bild: Bernhard Wiens

    Der Landschaftsanwalt Alwin Seifert, der auch Architekt war, kam wie so viele aus der Lebensreform. Seine Wende zum Antisemitismus und völkischen Denken suchte er mit seiner Sympathie für Anthroposophie und biologisch-dynamische Wirtschaftsweise zu verbinden. Im Konzentrationslager Dachau gelang ihm dies. Er nahm Anteil an Versuchen der SS mit einer 300 ha großen Heilkräuterplantage. Die Häftlinge verrichteten die Sklavenarbeit. Die Pointe von Karl Valentin ist nicht aus der Luft gegriffen: „Der Hitler hat Glück ghabt, dass er nicht Adolf Kräuter ghoaßn hat, sonst hätt ma immer ’Heil Kräuter’ schrein müassn.“

    Als die hochrangigen Heimatstilplaner nach 1945 vor Entnazifizierungsausschüsse kamen, fiel ihnen rückwirkend ein, sich immer nur für „Landesverschönerung“ eingesetzt zu haben. Meist hatten sie Erfolg, und sie konnten die Kontinuität ihres Stils wahren, etwa beim Bau von Jugendherbergen in Westdeutschland. Der „Wandervogel“ lässt grüßen. In Düsseldorf brach 1952 sogar ein Architektenstreit aus, als würden die Fraktionen des Dächerkrieges wiederaufleben.

    Das Pendant in der DDR waren Kinderheime sowie Freizeit- und Schulungsheime ("Pionierrepublik") für den Partei-Nachwuchs. Einem moderaten Klassizismus im Sinne Paul Mebes’ kommen die „Arbeiterwohnpaläste“ in der ehemaligen Stalinallee nahe, nun zum mehrgeschossigen Mietwohnungsbau aufgestockt. Das nannte sich „Bauen in nationaler Tradition“. In Westdeutschland ließ man es kleiner angehen. Aus Heimat wurde Heim, heckengeschützt.

    Ein letztes Mal tritt das Heidekräutlein auf, ebenfalls entpolitisiert. Da vom Konzentrationslager Bergen-Belsen nur noch vage Grundrisse übriggeblieben waren, empfahl der vormalige Landschaftsanwalt Wilhelm Hübotter statt Konservierung oder Restaurierung eine „landschaftliche Gestaltung“ des Areals des Massengrabs. Als Vorbild schwebte ihm eine germanische Begräbnisstätte nach Art des „Sachsenhains“ vor, den er selbst im Auftrag Himmlers entworfen hatte. Der Sachsenhain war eine Wallfahrtsstätte der Nazis. Zur Realisierung in Bergen-Belsen kam es nicht, aber wenigstens sorgte die bereits angepflanzte Heide für die Einbettung in eine Ideallandschaft im Heimatschutzstil. Es mutet wie eine nochmalige Schändung der Getöteten an.
    Heimat- und Naturschutz sind ambivalente Strömungen

    Einerseits wollten Heimat- und Naturschutz die Fesseln und Schnörkel des wilhelminischen Zeitalters durch eine Lebensreform abstreifen, andererseits fielen sie, weil die Industrialisierung ihnen in die Quere kam, in die Phantasmagorie eines biedermeierlich gemilderten Feudalismus zurück. Paul Schultze-Naumburg, Mitbegründer sowohl des „Deutschen Bundes Heimatschutz“ (1904) als auch des Werkbundes, von dessen zahlreichen Werken das Schloss Cecilienhof in Potsdam hervorgehoben sei, stieß am weitesten in die Extreme vor. 1902 veröffentlichte er „Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung“. Das große emanzipatorische Thema war die Befreiung der Frau vom Korsett. Die Reformkleider fielen weich und locker.

    26 Jahre später verglich er in Wort und Bild die Malerei der Moderne mit pathologischen Deformationen. Die schmierige Welt aus verbogenen Leibern sei die „rohe Andeutung vertierten Untermenschentums“. Das war die exakte Vorlage für die Ausstellung „Entartete Kunst“, die 1937 folgen sollte. Schultze-Naumburg synthetisiert Kunst und Leben zu einem Menschenideal, das unmittelbar zu realisieren sei. Wer nicht in diesen Begriff von Schönheit passt, ist auszumerzen. Dem entsprach Hitlers Selbstbild: Der Künstler als Politiker - und Feldherr. Aus der Person wird ein Gesamtkunstwerk ohne Widerspruch.1930 fuhr Schultze-Naumburg fort: Zur „artgemäßen“ Heimat gehört die „Ausmerzung des Lebensuntauglichen“. Sie sind Fremdkörper.

    Die SS reklamierte den Heimatschutzstil für ihre eigene Wohnumgebung. Unweit des Schauplatzes des Dächerkriegs wurde 1937-40 die SS-Kameradschaftssiedlung erbaut. Der Architekt hatte bereits bereits bei der konservativen Fraktion des Dächerkriegs mitgewirkt. Die Siedlung ist wie eine ideale Gartenstadt in die Waldlandschaft eingebettet. Ins Stadtzentrum ist es nur ein Katzensprung.

    Wer heute dort wohnt und nicht gerade puritanischer Bauhaus-Anhänger ist, hat es gut getroffen. An der hierarchischen, den Dienstgraden der SS entsprechenden Gliederung der Wohneinheiten braucht man sich nicht mehr zu stören. Die Dachgeschosse können ausgebaut werden. Nach kriegslüsterner Provokation sieht es nicht aus, eher nach Idylle.

    Gerade diese doppelte Eigenschaft ist die Provokation. Das Abschlachten und die massenhafte Tötung von Menschen verträgt sich mit der Suche nach dem kleinen Paradies, nach der „Schollenverwurzelung“. Brutalität und Sentimentalität haben in einer Menschenseele Platz, besonders in der deutschen, die zwischen „romantisch“ und „faustisch“ schwankt. Goethes Weimarer Arkadien, das Gartenhaus, liegt nicht weit vom KZ Buchenwald entfernt.

    Heimat ist als ministerielle Propaganda-Angelegenheit in schlechten Händen. Wer von Heimat säuselt und die dunkle Seite, das Potential an Gewalt verschweigt, begünstigt im Gegenteil, dass das eine - wieder - in das andere kippt. Heimat enthält Momente an Fremdheit, an nicht zu Verwirklichendem. Diese ambivalenten Momente sollten ihr belassen bleiben, statt sie zur Festung zu versteinern und bis zur territorialen Eroberung des Andersartigen auszubauen. Hölderlin wusste: Ohne Fremde gibt es keine Heimat.

    #architecture #nazis