• jungle.world - Fressen und gefressen werden
    https://jungle.world/artikel/2019/38/fressen-und-gefressen-werden

    19.09.2019 Von Peter Nowak -Plattformen, über die Kunden Essen bestellen können, konkurrieren hart miteinander. Leidtragende sind die Beschäftigten. Doch die Fahrerinnen und Fahrer organisieren sich nun selbst.

    Am 16. August zog sich der Essenslieferdienst Deliveroo endgültig aus Deutschland zurück. Über 1 000 Beschäftigte wurden mit einem Mal arbeitslos. Zuvor war bereits der Essenslieferdienst Foodora von Lieferando aufgekauft worden, der die wechselseitige Kannibalisierung der Lieferdienste als Sieger überstand. Für Keno Böhme, der für verschiedene Lieferdienste gearbeitet hatte, bevor er hauptamtlich begann, bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss- Gaststätten (NGG) die dort Beschäftigten zu organisieren, hat der Abschied von Deliveroo aus gewerkschaftlicher Sicht auch positive Auswirkungen. »Unserer Meinung nach hängt der Rückzug damit zusammen, dass das Modell der Scheinselbständigkeit der Fahrer nicht funktioniert hat«, sagte er der Jungle World. Wie er haben auch andere Kuriere, sogenannte Rider, mittlerweile den Wert gewerkschaftlicher Organisierung erkannt.

    Die einzige Chance für ein kollektives Unternehmen sieht die FAU darin, dass Menschen bereit sind, mehr für den Service zu bezahlen.

    Die NGG hatte Ende August zum dritten Riders Day nach Berlin geladen. Wichtigster Diskussionspunkt waren die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten nach der Übernahme von Foodora durch Lieferando. Die Gewerkschafter wollen durchsetzen, dass die Betriebsratsstruktur auch nach der Übernahme erhalten bleibt und den Ridern das Beschäftigungsverhältnis bei Foodora angerechnet wird. Davon hänge schließlich ab, ob die Fahrer erneut zwei Jahre befristet beschäftigt werden können; eine Festanstellung stehe ihnen nämlich erst nach zwei Jahren zu, betonte NGG-Sekretär Christoph Schink im Gespräch mit der Jungle World. Doch nicht alle Kuriere wollen nach dem Aufkauf von Foodora und dem Rückzug von Deliveroo eine Festanstellung bei Lieferando.

    Einige von ihnen möchten lieber ein Kollektiv gründen. Zwei Kuriere haben mit »Kolyma 2« die Idee bereits realisiert. Doch das Projekt sei so provisorisch wie der an einen russischen Film erinnernde Name und die Website, sagt Christopher M., einer der beiden Gründer von »Kolyma 2«, der Jungle World. Bisher lohnt sich das Kollektiv für die Betreiber allerdings noch nicht. Für M. ist es ein Zuverdienst zu seinem Einkommen als Softwareentwickler.

    Der alternative Kurierdienst wird vor allem am Wochenende angeboten. Kooperationspartner sind einige Restaurants und Hamburger-Läden in den Berliner Stadtteilen Kreuzberg und Schöneberg. Parallel dazu diskutiert eine größere Gruppe von rund 30 Fahrradkurieren über die Gründung eines Kollektivs mit deutlich größerer Resonanz. »Welche Form das am Ende annimmt, ob wir eine Genossenschaft gründen oder lose organisiert bleiben, ist noch nicht entschieden«, sagt M. Einig seien sich die Kuriere darin gewesen, dass sie nicht Angestellte von Lieferando werden wollen. »Weil dadurch einer der wichtigsten Werte für uns nicht mehr gegeben wäre: die Freiheit und Flexibilität. Die Schichtplanung bei Lieferando ist sehr strikt, das ist der Hauptgrund dagegen, neben der schlechteren Bezahlung«, sagte ein Rider im Onlinemagazin Gründerszene.

    Als wichtige Werte für das Kollektiv werden »Freiheit, Nachhaltigkeit, Arbeiterrechte, Gesundheit und Würde, aber auch Geld« genannt. Offen bleibt, wie und ob sich diese Werte in einem Kollektiv vereinen lassen. Vor allem dann, wenn ausdrücklich nicht ausgeschlossen wird, dass Fahrerinnen und Fahrer auch angestellt werden können. Spätestens dann muss sich zeigen, ob mit den Werten Freiheit und Flexibilität nicht einfach die kapitalistische Ausbeutung bemäntelt wird. Schließlich haben sich die Lieferdienste seit Jahren darauf berufen und konnten auch wegen der schlechten Bezahlung der Fahrer auf dem Markt erfolgreich sein.

     
    Theresa Ingendaay von der Deliverunion, einer von der Freien Arbeiter-Union (FAU) unterstützten basisgewerkschaftlichen Selbstorganisation der Fahrradkuriere, sagte der Jungle World, dass man einen hierarchiearmen ­Kollektivbetrieb, in dem alle das Gleiche verdienen, grundsätzlich befürworte. Probleme könne es aber geben, wenn die Fahrradkuriere gleichzeitig Unternehmer seien. Auch die Gefahr der Selbstausbeutung hält Ingendaay für gegeben. »Ein Kollektivbetrieb, der nicht auf Ausbeutung und Lohndumping setzt, hat dementsprechend höhere Kosten. Das bedeutet, dass die einzelnen Mitarbeiter eventuell einen niedrigen Lohn bekommen. Auch der Anspruch des Kollektivs, Mehrwegpackungen für die Lieferungen einzuführen, müsse erst seine Realitätstauglichkeit beweisen. Es besteht die Gefahr, dass diese Ideale aufgeweicht werden, wenn man konkurrenzfähig bleiben möchte und sich mit den Kosten konfrontiert sieht«, befürchtet ­Ingendaay.

    Große Konzerne wie Lieferando würden zwar mit CO2-neutralem Transport werben, dabei würden jedoch die Emissionen, die Alu-, Plastik- und auch Papierverpackungen, die innen mit Plastik ausgekleidet sind, verursachen, außer Acht gelassen. Klaus Meier von der AG Taxi in der Berliner Dienstleistungsgewerkschaft Verdi (siehe Jungle World 31/2019) sieht für seine Branche nach den Erfahrungen alter Taxikollektive keine Alternative: »Wer Taxikollektive neu beleben möchte, muss eine Antwort auf die Frage haben, wie auskömmliche Einnahmen zu erzielen sind.« Als theoretische Überlegung sind Plattformkooperativen für Meier allerdings interessant. »Die Macht der großen Plattformen beruht zum großen Teil auf der Kontrolle der Kommunikationswege. Wenn es gelingt, neben den Fragen der neuartigen Zusammenarbeit eine erforderliche kritische Masse an Teilnehmern zu erreichen und im öffentlichen Bewusstsein als die bessere Alternative wahrgenommen zu werden, können appbasierte Kooperativen durchaus eine Alternative werden.« Die dafür erforderliche poli­tische Unterstützung werden Kollektivbetriebe und Genossenschaften nach Ansicht von Meier allerdings nur erlangen, »wenn sie nicht ausschließlich als Marktteilnehmer«, sondern ausdrücklich auch als Akteure einer gesellschaftlichen Umgestaltung agierten.

    Doch der wahre Reichtum der großen Plattformen sind ihre Daten. Darüber, wie und ob diese auch in Kollektivbetrieben gesammelt und ausgewertet werden sollen, gibt es noch keine Überlegungen. Doch wer den Plattformkapitalismus ohne Big Data betreiben möchte, muss den Wettbewerbsnachteil anderweitig kompensieren.

    Die einzige Chance für ein kollektives Unternehmen, auf dem Markt zu be­stehen, sieht Ingendaay darin, dass Menschen bereit sind, mehr für die Produkte und Dienstleistungen zu bezahlen. »Es braucht Kunden, die bewusst bei einem Kollektiv einkaufen, weil sie den Zweck wichtig finden.« Die müssen sich diesen Einkauf dann freilich auch leisten können. Zielgruppe für solche gesellschaftspolitisch engagierten Kollektive ist daher auch eher die konsumbewusste Mittelschicht als die Hartz-IV-Bezieher.

    #Gigworker #Fahrradkuriere #Plattformkapitalismus

  • jungle.world - Der unerklärte Krieg
    https://jungle.world/artikel/2019/34/der-unerklaerte-krieg?page=all

    Voilà comment on peut interpréter les efforts du gouvernement de Berlin-Est qui visaient à freiner le progrès de l’impérialisme étatsunien. Ce texte constitue un exemple pour la domination quasi totale par les lobbyistes sionistes de l’information sur le Proche-Orient en Allemagne.

    Der Historiker Jeffrey Herf über das Verhältnis der DDR zu Israel
    Die DDR führte de facto einen Krieg gegen Israel, sagt der US-Historiker Jeffrey Herf. Die SED kämpfte nicht nur propagandistisch gegen den jüdischen Staat, sondern rüstete auch seine Feinde auf.

    Interview Von Till Schmidt

    Auf welche Weise hat die DDR die Feinde Israels unterstützt?
    Das geschah mit Geld, Waffen, militärischem Training, Propagandakampagnen, aber auch diplomatisch, und hier vor allem bei den Vereinten Nationen. Empfänger dieser Unterstützung waren Gruppen wie die Palästinensische Befreiungsorgani­sation (PLO), die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) sowie Israel feindlich gesinnte Staaten wie der Irak unter Saddam Hussein und insbesondere Syrien unter Hafez al-Assad.
    Zweck dieser vielfältigen Hilfe war es, diese Akteure in ihren Angriffen auf Israel und seine Bürger zu unterstützen. Der weitaus größte Teil der militärischen Unterstützung für die arabischen Staaten und die PLO kam direkt aus der Sowjetunion. Doch die von mir ausgewerteten Akten der Stasi, des ostdeutschen Außen- und Verteidigungsministeriums sowie des Politbüros belegen: Bei der Offensive gegen Israel nahm die DDR innerhalb des sowjetischen Blocks eine führende Rolle ein.

    Inwiefern?
    Besonders stolz war die DDR auf ihre »antiimperialistische und antizio­nistische Solidarität« mit der PLO und Hafez al-Assads Syrien. In der offen antisemitischen Propaganda tat sich vor allem die Sowjetunion hervor, etwa indem die Politik Israels immer wieder genüsslich mit dem Nationalsozialismus verglichen wurde. Doch auch das Zentralorgan der Sozia­listischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die Zeitung Neues Deutschland, stand dem in nichts nach.
    Die klassische sowjetische Propaganda wurde gerne und häufig wiederholt. Israel wurde für den Nahostkonflikt verantwortlich gemacht und der Zionismus als »Werkzeug des US-Impe­rialismus« denunziert. 1971 besuchte Yassir Arafat (der Begründer und Anführer der Fatah, die zahlreiche terroristische Anschläge auf israelische, jordanische und libanesische Ziele verübte; Anm. d. Red.) zum ersten Mal Ostberlin. Das erste Büro der PLO in Europa wurde 1973 in der DDR eröffnet.

    Wie kam es zu dieser umfangreichen Unterstützung von antizionistischen Gruppen und Staaten?
    Die Politik der DDR resultierte aus tiefer ideologischer Überzeugung, die ihre Grundlage in einer strikt marxistisch-leninistischen Interpretati­on der Weltpolitik hatte. Dazu kam die Bemühung, Westdeutschland zu bekämpfen, indem man die westdeutsche Unterstützung Israels denunzierte. Dadurch versuchte Ostberlin, sich als das »bessere« – sprich antizionistische – Deutschland zu präsen­tieren.
    Die vom sowjetischen Block geleistete Unterstützung der Feinde Israels war Mitte der sechziger Jahre bereits stark und wuchs nach dem Sechstagekrieg 1967 noch einmal drastisch an. Die DDR unterstützte ­Syrien und die PLO bis zu ihrem Ende. Zwischen 1960 und 1989 kam es zu keinen grundlegenden Veränderungen in der israelfeindlichen Politik Ostdeutschlands.

    Gab es innerhalb des DDR-Regierungsapparates oder bei der Bevölkerung auch Ablehnung gegen die antizionistische Politik?
    Nein, eine bedeutende Opposition gegen die Haltung zu Israel gab es nicht. Die antikosmopolitischen Schau­prozesse von 1949 bis 1956 und vor ­allem die Verhaftung des SED-Politikers Paul Merker 1952 beendeten die letzten Hoffnungen auf eine Unterstützung Israels durch die DDR. Die Frage nach den Auswirkungen der Israel-Feindschaft des Regimes auf die Alltagskultur in der DDR können andere Historiker besser beantworten.
    Die Ausstellung und das Buch »Antisemitismus hat es bei uns nicht gegeben« der Amadeu-Antonio-Stiftung zum Beispiel geben hier wich­tige Einsichten. Man sollte aber nicht vergessen, dass das Regime über ein Pressemonopol verfügte – und deren Botschaften waren durchweg israelfeindlich.

    Wie reagierte die ostdeutsche jüdische Gemeinschaft auf dieses israelfeindliche gesellschaftliche Klima?
    Nach den Prozessen der fünfziger Jahre floh ein großer Teil der ostdeutschen jüdischen Gemeinschaft in den Westen. Die Verhaftungen und Prozesse endeten in der Unterdrückung einer jeden verbalen Opposition gegen die Israel-Politik des Regimes. Ein für die deutsche Leserschaft besonders interessanter Teil meines Buchs beleuchtet die äußerst wichtige Rolle, die der Zentralrat der Juden in Deutschland damals spielte.
    Hervorzuheben sind hier vor allem die Schriften und Reden von Heinz Galinski (von 1954 bis 1963 Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie von 1949 bis 1992 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Anm. d. Red.). Der Zentralrat zeigte für die Israel-Feindschaft der Neuen Linken sowie für die Ursprünge und das Ausmaß des Linksterrorismus in den siebziger Jahren besondere Aufmerksamkeit.

    Sie haben auch die Reaktionen der israelischen UN-Gesandten auf die antizionistische Politik untersucht.
    Eingehend beschäftig haben mich die Interventionen der israelischen UN-Botschafter, vor allem von Gideon Rafael, Abba Eban, Yosef Tekoah und Yehuda Blum. Diese hatten eine bemerkenswerte Dokumentation der terroristischen Angriffe auf Israel in der Zeit zwischen 1967 und 1989 angelegt und zudem eloquente Antworten auf die rhetorischen Attacken auf Israel bei der UN durch den ­sowjetischen Block, die arabischen Staaten und die Organisation der Islamischen Staaten gegeben. Diese Entgegnungen zeugen von Redegewandtheit und Mut, sie sind es wert, auch in Deutschland gelesen und studiert zu werden.

    Sie sprechen von einer »eurozentrischen Definition der Terrorismusbekämpfung« durch die DDR. Was meinen Sie damit?
    Das ist eine komplexe Angelegenheit. Die Stasi hat mit der PLO für terroristische Attacken auf Israel zusammengearbeitet, sie aber davon ab­gehalten, die Staaten des ­sowjetischen Blocks und allen voran die DDR für Anschläge auf die Bundesrepublik und Westeuropa zu nutzen. Die Stasi wusste, dass dies die Entspannungspolitik durch die USA sowie die Neue Ostpolitik der Bundesrepublik (die an Entspannung orientierte Außenpolitik der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt ab 1969, Anm. d. Red.) unterminieren würde.

    Wie bewerten Sie den unerklärten Krieg der DDR gegen Israel abschließend?
    Die Sowjetunion, der sowjetische Block und auch die DDR haben ihren eigenen Teil zur Geschichte des Antisemitismus beigetragen. Der älteste Hass der Welt wurde in einen Mantel des Antifaschismus und Antiimperi­alismus gekleidet. Die Lügen über die Geschichte des Zionismus, die Geschichte der Gründung des Staates ­Israel und sein Wesen sind heutzutage immer noch Teil eines giftigen ideologischen Gebräus.
    Insofern sind die Rhetorik und die Ideen, die wir heute etwa bei den israelfeindlichen BDS-Kampagnen an Universitäten finden, alles andere als neu. Etwas, das wir aus der unseligen UN-Resolution »Zionismus ist Rassismus« von 1975 kennen, hat nun akademischen Glanz erhalten.

    Israel erfuhr Ablehnung, aber auch Unterstützung durch westliche Staaten.
    Die Gründung Israels wurde in den entscheidenden Monaten von 1947 bis 1948 von Seiten des größten Teils der US-amerikanischen, britischen und französischen Außen- und Militärpolitik mit Opposition und Unbehagen begleitet. Die stärkste moralische und diplomatische Unterstützung für den neuen, jüdischen Staat kam jedoch von US-amerikanischen und britischen Liberalen, französischen Kommunisten und Sozialisten, gaullistischen Veteranen der französischen Resistance sowie von italienischen Linken.
    Bei den Vereinten Nationen waren es die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, Ungarn und Polen, die den Teilungsplan von 1947 am entschiedensten unterstützten. Die wichtigste militärische Hilfe kam damals aus der Tschechoslowakei. Dies alles ist Thema meines nächsten Buches: »Israel’s Moment: Support and Opposition in the United States and Europe, 1945–1949«.

    Jeffrey Herf: Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967–1989. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Wallstein-Verlag, Berlin ca. 39 Euro, ca. 560 Seiten. Erscheint voraussichtlich Ende September.

  • »Wildwest-Zustände in der Taxibranche«
    https://jungle.world/artikel/2019/31/wildwest-zustaende-der-taxibranche?page=all

    Verkehrsminister Scheuer will den Taximarkt liberalisieren. Dabei arbeiten Fahrer schon heute unter prekärsten Bedingungen, berichten die Gewerkschafter Klaus Meier und Andreas Komrowski.
    Interview von Peter Nowak

    Seit Monaten protestieren Taxifahrer gegen den Fahrdienst Uber. Worum geht es?
    Andreas Komrowski: Die Protestaktionen von Taxifahrern entzündeten sich am Vorhaben des Bundesverkehrsministeriums unter Andreas Scheuer, das Personenbeförderungsgesetz zu liberalisieren. Dabei geht es vor allem um den Punkt 1 d) eines bekanntgewordenen Eckpunktpapiers aus dem Hause Scheuer: Die Rückkehrpflicht von Mietwagen soll aufgehoben werden. Dies ist dem Konzern Uber wie auf den Leib geschneidert, da er mit Mietwagenfirmen zusammenarbeitet – die jedoch oftmals reine Subunternehmen sind, da sie nur für Uber fahren.

    Welche Rolle spielen Sie als gewerkschaftlich organisierte Taxifahrer in diesen Protesten? Komrowski: Die Proteste werden von Unternehmerverbänden wie der »Innung des Berliner Taxigewerbes e. V.«, vor allem aber von »Taxi Deutschland e. V.« unter dem Motto »Scheuerwehr« bundesweit koordiniert. Es geht ihnen um die Verteidigung eines traditionell klein- und mittelständischen Gewerbes gegen den Angriff kapitalkräftiger Großkonzerne. Durch den Kampf gegen den gemeinsamen Feind Uber wird jedoch von den Klassenwidersprüchen innerhalb des Taxigewerbe selbst abgelenkt. Das macht unser Verhältnis zu den Unternehmerprotesten schwierig. Wenn Uber sich durchsetzt, ist das Taxigewerbe zerstört und unsere Arbeit wird noch schlech­ter bezahlt, die Jobs sind weg. Wenn sich alle auf die Seite der Taxiunternehmen stellen, ist es jedoch selbst im Erfolgs­fall schwierig, streitbar Arbeitnehmerrechte gegen sie durchzusetzen. Wir weisen auf unserer Website auf die Proteste hin und verteilen vor Ort unseren Newsletter, um die Organisationsmöglichkeit bei Verdi zu bewerben.

    Thematisieren Sie auch Ausbeutung im Taxigewerbe?
    Klaus Meier: Auf niedrige Entlohnung und prekäre Arbeitsbedingungen jenseits der Legalität aufmerksam zu machen, ist Teil unserer ständigen Arbeit. Viele der Gründe dafür, dass es als Taxi­unternehmen kaum möglich ist, auf legale Art und Weise Gewinne zu erwirtschaften, sind hausgemacht. Dazu gehören die Verschiebung von Betrieben an Strohmänner circa 20 Monaten nach Betriebsgründung, um Kontrollen zu umgehen, sowie die Falschdeklaration von Arbeitsbereitschaft am Halteplatz als Pausen. Oftmals wird von Kollegen verlangt, falsche Arbeitszeit- und Lohn­abrechnungen zu unterschreiben. Staatliche Behörden zeigen von sich aus in Berlin keinerlei Interesse daran, die Ausbeutung im Taxigewerbe zumindest in die wenigen vorhandenen gesetzlichen Schranken zu weisen.

    Können Sie ein Beispiel für die schlechten Arbeitsbedingungen im Taxigewerbe nennen?
    Meier: Derzeit stellen wir in einer Artikelserie einen besonders krassen Fall von Ausbeutung in München vor, der einen Kollegen beinahe das Leben gekostet hätte. Er hatte seine Firma auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Bezahlung geleisteter Arbeitsstunden und Schadensersatz verklagt. Sein Vorgesetzter hatte ihn derart unter Druck gesetzt, dass der Taxifahrer sich beinahe zu Tode arbeitete. Als er sich krank meldete, wurde er entlassen. Auf unserer Website www.ag-taxi.de erzählen wir auch andere Taxigeschichten, die einen lebensnahen Eindruck von den Wildwest-Zuständen in der Taxibranche vermitteln.

    »Appsolute Ausbeutung« lautete der Titel einer Veranstaltung im Juni der »AG Taxi« zusammen mit der Kampagne »Deliverunion« im Kiezhaus Agnes Meinhold in Berlin-Wedding. Wie verändern Dienstleistungsapps Ihre Arbeitsbedingungen?
    Meier: Bereits vor mehr als zehn Jahren haben die Taxizentralen in Berlin begonnen, die Fahrtenvermittlung auf Datenfunk umzustellen. Man könnte denken, das wäre nur eine Verlagerung auf ein anderen technischen Kanal. Mit der Zeit merkten wir, dass unsere Aufmerksamkeit durch die Bedienung der Touchscreens der Vermittlungs­software mindestens so stark beansprucht wurde, wie vorher durch den Sprachfunk. Die Umstellung von Sprach- auf Datenfunk brachte auch nicht die versprochene Reduzierung von Fehlfahrten und Fahrgastklau, sondern zusätzlichen Stress, da wir wissen, dass unsere Anfahrten getrackt werden. Umwege bei der Anfahrt haben aber oft gute Gründe, etwa das Umfahren von Staus oder Baustellen.

    Wie verändert diese Technik Ihren Arbeitsalltag?
    Meier: Beim Sprachfunk war es unver­meidlich, dass alle Fahrer immer über die Auftragslage im Bilde waren, weil jeder Auftrag und jedes Gespräch für alle auf dem Kanal hörbar waren. Heute müssen wir umständlich in der App nachsehen, welche Halteplätze in der letzten Zeit »besonders gut liefen«. Nicht zuletzt konnten wir über Sprachfunk jederzeit Kollegen zu Hilfe rufen, die immer schnell zur Stelle waren, um renitente Fahrgäste zu beruhigen. Das gibt es heute überhaupt nicht mehr. Jeder ist auf sich allein gestellt.
    Seit der Einführung von GPS überwacht die Zentrale, an die in Berlin circa 5 000 von 8 200 Taxen angeschlossen sind, unsere Standorte und Fahrstrecken. Mit taxi.eu hat der Betreiber »Taxi Berlin« eine eigene App auf den Markt gebracht, mit der auch die Kunden jederzeit sehen, wo wir gerade sind.
    Mit den Apps haben zusätzliche Abrechnungs­systeme wie Paypal Einzug gehalten, die müssen wir alle bedienen können. Das hört sich einfach an, auf­grund der Vielzahl der Abrechnungsarten und der Eile, in der alles erfolgen muss, ist die Arbeitsbelastung dadurch jedoch erheblich gestiegen. Erst mit den Apps konnten neue Vermittler Billigkonkurrenz wie die Plattform »mytaxi« durchsetzen. Sie ist vor kurzem an ein Joint Venture von BMW und Mercedes-Benz verkauft worden und vermittelt nun unter der neuen Bezeichnung »free now« sowohl Taxen als auch Mietwagen. Damit wird das Taxigewerbe ­weiter unter Druck gesetzt.

    Wieso ist es trotzdem so schwer, Taxifahrer gewerkschaftlich zu organisieren?
    Meier: Die meisten Taxis wurden von selbst fahrenden Unternehmern betrieben, die sich für die Nacht- und Wochenendschichten Studierende holten. Unter diesen Umständen brauchte niemand eine Gewerkschaft. Heute sitzen in etwa 6.000 Berliner Taxis Angestellte, die weniger als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen. Da es chon vorher keine gewerkschaftliche Präsenz im Taxigewerbe gab, und die meisten heutigen Taxibetriebe in einem gewerkschaftsfernen migrantischen Kontext gegründet wurden, liegt der Aufbau einer mächtigen Interessenvertretung der angestellten Fahrerinnen und Fahrer noch vor uns.

    Wie sind betriebliche Kämpfe möglich, wenn die Arbeitsmodelle Beschäftigte voneinander isolieren?
    Komrowski: Das stimmt, man sieht sich in der Regel nur bei der Ablösung im Schichtbetrieb. Betriebliche Kämp­fe zu entwickeln, ist schwierig, wenn es keinerlei etablierte gewerkschaftliche Mitbestimmung gibt. Umso wichtiger sind außerbetriebliche Treffpunkte für Pausen oder nach Feierabend, wo Kol­legen sich treffen können. Aus basisgewerkschaftlicher Sicht kann die Erfah­rung der Worker Center in den USA hier Anknüpfungspunkte bieten. Wir entwickeln deshalb neue Angebote für Angestellte der Taxi- und Mietwagenbranche. Sie verdienen so wenig, dass wir ihnen zunächst helfen müssen, alltägliche Probleme besser zu meistern, bevor daran zu denken ist, gemeinsam klassische Gewerkschaftsarbeit zu machen.
    Meier: Die Sache hat große gesellschaftliche Relevanz, weil eine große Zahl von Menschen systematisch ihrer Rechte beraubt wird und das Folgen für die ganze Gesellschaft hat. Von den heute etwa 8 300 Berliner Taxen gehören weniger als 2 500 zu Ein-Wagen-Betrieben. Diese selbst fahrenden Unternehmer sind der Konkurrenz von Uber und anderen Anbietern schutzlos ausgeliefert.

    Was kann man dagegen tun?
    Komrowski: Wichtig ist es für uns, in der Kampagne gegen Uber eigene Akzente zu setzen. So haben wir an großen Halteplätzen Flugblätter mit kurzen Statements gegen Uber verteilt, die die Kollegen ins Taxi hängen können. Auf großen QR-Codes wird auf Zeitungsartikel verwiesen, die die Behauptungen der Parolen belegen. Erfolge sind vor allem dort möglich, wo die Vereinzelung der Kollegen durchbrochen wird. Wir arbeiten mit der Gewerkschaft Verdi, die in Brüssel relativ erfolgreich Lobbyarbeit betreibt und immer wieder gegen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen in den Transportbranchen angeht. Der Kampf für besseren Datenschutz hilft auch, die Ambitionen der Plattformkapitalisten zu bremsen.

    Gibt es auch Diskussionen über eine App, die nicht den Konzernen, sondern den Beschäftigten nutzt? Oder lehnen Sie diese Technik grundsätzlich ab?
    Meier: Das Problem ist nicht die App als technische Neuerung, sondern es sind die Arbeitsbeziehungen, die sich dadurch verändern. Hinter Uber, aber auch Mytaxi stehen kapitalkräftige globale Unternehmen. Sie bestimmen die Arbeitsbedingungen und das Geld fließt über sie. Ihnen gegenüber sind auch Bosse mittelständischer Unternehmen so machtlos wie einzelne Fahrer. Das lässt einen leicht übersehen, dass auch mittelständische Unternehmen von der Arbeit ihrer Angestellten leben. Es geht wie immer im Kapitalismus um die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel.

    #Taxi #Berlin #Gewerkschaft #Uber #Plattformkapitalismus #Interview

  • »Uber ist eine Gefahr für das Taxigewerbe«
    https://jungle.world/artikel/2019/03/uber-ist-eine-gefahr-fuer-das-taxigewerbe

    17.01.2019 - Small Talk mit Andreas ­Komrowski von der »AG Taxi« der Gewerkschaft Verdi über den Widerstand gegen das Unternehmen Uber

    Das Unternehmen Uber ist bekannt für aggressives Marketing und seinen Kampf gegen rechtliche Beschränkungen seiner angeblich nur vermittelnden Tätigkeit in der Personenbeförderung. Jüngst hat Uber eine Werbekampagne in Berlin begonnen. Andreas Komrowski, Mitglied der AG Taxi in der Berliner Dienstleistungsgewerkschaft ­Verdi, sprach mit der Jungle World über den Widerstand der gewerkschaftlich organisierten Taxifahrer

    Small Talk von Peter Nowak

    Uber hat Mitte Dezember erneut eine juristische Niederlage hinnehmen müssen. Warum wirbt das Unternehmen zurzeit in Berlin?

    Vor Gericht gab es Erfolge gegen Uber Pop und Uber Black, die jetzt verboten sind. In Berlin ist jedoch bereits seit längerem Uber X ­aktiv, Mietwagen aus dem Umland werden unserer Ansicht nach gesetzeswidrig in Berlin bereitgestellt. Gerichtsurteile beziehen sich immer nur auf ein »Produkt«. Uber X ist angeblich ein anderes, neues »Produkt« und deshalb nicht vom Urteil betroffen. Mit der Werbung will das Unternehmen sein angeknackstes Image aufpo­lieren und die Zielgruppe technikaffiner Menschen unter 35 Jahren erreichen, vor allem die zahlreichen Party-Touristen.

    Kann das eine Konkurrenz für Taxifahrer werden?

    Im Gegensatz zu kleinen bis mittelständischen Taxiunternehmen kann Uber mit milliardenschwerem Kapital operieren, um Märkte zu erobern. Das Unternehmen vermittelt taxiähnlichen Verkehr zu Dumpingpreisen am Rande des Erlaubten. Uber ist nicht nur eine Konkurrenz, sondern eine Gefahr für den Bestand des Taxigewerbes geworden. Taxis müssen rund um die Uhr verfügbar sein, haben Tarif- und Beförderungspflicht – Uber hat das nicht. Hat Uber eine Stadt erobert, werden die Fahrer und Fahrerinnen des Unternehmens extrem ausgebeutet. Sie müssen bis zu 25 Prozent der Einnahmen als Provision an Uber zahlen.

    Was stört Sie an der Uber-Werbung?

    Die Werbung suggeriert, dass Profis die Fahrgäste durch Berlin befördern würden. Richtig ist hingegen, das Uber-Fahrer keine Ortskundeprüfung für Berlin ablegen müssen. Sie sind oft bei Mietwagenfirmen mit Briefkastenadresse im Berliner Umland angestellt. Die Mietwagen müssen nach jeder Fahrt dorthin zurückkehren, was sie natürlich nicht tun.

    Wie geht die AG Taxi dagegen vor?

    Wir haben eine Plakatkampagne entwickelt, die den dreisten Behauptungen von Uber in knappen Losungen die Realität entgegenstellt. Mit QR-Codes und Verlinkungen verweisen wir auf unsere Website und auf Zeitungsartikel, die die Parolen unterfüttern. Diese Plakate haben wir zusammen mit unserem Newsletter an über 100 Kollegen am Berliner Hauptbahnhof verteilt. Die Resonanz war bei fast allen Fahrern positiv. Weitere Aktionen werden folgen.

    Es gab in der jüngsten Zeit in verschiedenen Ländern Proteste ­gegen Uber. Sehen Sie die Aktion der AG Taxi in diesem Kontext?

    Uber ist ein international agierendes Unternehmen und insofern sind auch internationale Aktionen gegen sein von rücksichtsloser Gewinnmaximierung getriebenes Geschäftsmodell nötig, um es zu stoppen. Die Protestformen und -traditionen sind in den diversen Ländern verschieden. Aus manchem können wir lernen. In Deutschland kommen Sozialproteste oft schwer in Gang.
    Für die Aktion wird der Hashtag #deleteuber, also »Uber ­löschen«, genutzt. Was steckt dahinter?
    Der Hashtag #deleteuber wird vor allem in den USA von Kritikern und Kritikerinnen von Uber genutzt, die verschiedene Motive haben. Dazu gehört zum Beispiel eine Initiative von Frauen, die zahlreiche sexuelle Übergriffe durch Uber-Fahrer beklagen. Das Ziel des Hashtags ist vor allem, dass Nutzer die App löschen und auf andere Beförderungsmöglichkeiten ausweichen. Er dient auch dazu, die eigenen Aktionen bekannt zu machen und von denen anderer zu erfahren. Wir finden es richtig, auf dieses moderne Medium zurückzugreifen.

    #Berlin #Taxi #Uber

  • Ein Fall von Hostel Busting
    https://jungle.world/artikel/2019/21/ein-fall-von-hostel-busting

    23.05.2019 - Arbeitskampf im Berliner Hostel »Wombat’s«

    Eine Hostel-Kette will sich einer kämpferischen Belegschaft in Berlin durch die Schließung der Filiale entledigen. Die Unterstützung für Ein Fall von Hostel Bustingdie Beschäftigten ist groß.
    Von Peter Nowak

    stralische Beutelsäuger bestand zu keiner Zeit eine Gefahr. Zwar stand der Slogan »Wombats enteignen« auf Schildern bei einer Protestkundgebung am Freitag vergangener Woche in Berlin. Gemeint waren aber nicht die Tiere, sondern ein Unternehmen. Die Forderung zeigt, dass die Enteignungsdebatte weitere Kreise zieht. Denn Wombat’s ist kein Immobilienkonzern, sondern eine Hostel-Kette mit Filialen in München, London, Budapest, Wien und ab Anfang August voraussichtlich auch in Venedig.

    Die Berliner Filiale im ehemaligen Scheunenviertel in Berlin-Mitte soll zum 31. August geschlossen werden. Deswegen hatten die Beschäftigten zu einer Protestkundgebung vor dem Hostel aufgerufen. Der Grund für die drohende Schließung ist nicht etwa mangelnder Umsatz; das Hostel mit seinen 350 Betten ist oft ausgebucht. »Bedauerlicherweise stehen wir nun an einem Punkt, an dem diese Anfeindungen ein Ausmaß angenommen haben, das für uns nicht mehr hinnehmbar ist, so dass der Fortbetrieb des Hauses bedauerlicherweise nicht mehr möglich ist«, begründete eine Pressesprecherin von Wombat’s auf Nachfrage der Taz die geplante Schließung.

    »Wir haben in unserem Alltag im Hostel gemerkt, dass die Arbeit am besten läuft, wenn die Chefs und ihre Vertreter nicht anwesend sind.«

    Allerdings geht es um weit mehr als irgendwelche Anfeindungen. Das Berliner Hostel ist der Ort einer heftigen und langwierigen Auseinandersetzung zwischen dem Management und den Beschäftigten. Im Jahr 2015 hatten die Berliner Mitarbeiter den ersten Betriebsrat in einem Hostel in Deutschland erkämpft. Er versteht sich als eine konsequente Interessenvertretung der Beschäftigten und nicht, wie viele Betriebsräte, als Co-Management. Die Geschäftsführer des Unternehmens, Alexander Dimitriewicz und Marcus Praschinger, ­hatten damals in einem offenen Brief geschrieben, die Gründung des Betriebsrats komme einem »Vertrauensentzug« gleich, zudem werde sich durch den Schritt nichts verbessern. Seither gab es heftige Konflikte zwischen der Filialleitung und dem Betriebsrat beziehungsweise den Beschäftigten.

    Die Mitarbeiterin Ruth K. schildert im Gespräch mit der Jungle World die Erfolge der Beschäftigten: »Mittlerweile ist es der Hausleitung nur noch dann erlaubt, Kolleginnen und Kollegen in ihrer Freizeit zwecks Übernahme weitere Dienste zu kontaktieren, wenn diese vorab monatsweise ihr Einverständnis dazu gegeben haben. Darüber hinaus sind angeordnete Überstunden unzulässig. Auch ist die Personaldecke bei uns im Vergleich zu anderen Häusern der Kette ziemlich dicht.« Die Mitarbeiter nähmen an, die geplante Schließung sei eine Vergeltungsmaßnahme für die gewerkschaftliche Organisierung.

    »Obwohl das Management die ganze Palette des union busting, also der professionellen Gewerkschaftsbekämpfung, nutzte, konnten sich Betriebsrat und Gewerkschaft ab 2015 nicht nur halten, sondern mehr als 80 Prozent der Belegschaft organisieren«, sagt Elmar Wigand von der »Aktion Arbeitsunrecht«. »Von Beginn an hat man alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die gewerkschaftlichen Aktivitäten zu unterbinden. Es wurde viel Geld in Rechtsanwaltskanzleien investiert, die sich auf union busting spezialisiert haben«, sagt Raphael K., einer der 35 Beschäftigten der Berliner Filiale von Wombat’s. Diese erklären den häufigen Wechsel der Anwälte des Managements damit, dass das Ziel, den Betriebsrat auszuschalten, bisher nicht erreicht werden konnte.

    Einige Beschäftigte berichten, die Gegenseite habe auch nicht davor zurückgeschreckt, Rechte der Belegschaft zu missachten. »So wurden bei uns beispielsweise Streikteilnehmerinnen gekündigt. Sie mussten sich in langwierigen Verfahren an den überlasteten Berliner Arbeitsgerichten wieder zurück an ihren alten Arbeitsplatz klagen. Bis dahin standen die Betroffenen ohne Job und Unterstützung von der Agentur für Arbeit auf der Straße, denn bei einer verhaltensbedingten Kündigung wird man ja erst einmal für drei Monate gesperrt«, sagt Ruth K.

    Obwohl solche Kündigungen vor Gericht keinen Bestand haben, demoralisieren sie die Belegschaft. »Nach ­einem Blick auf den eigenen Kontostand haben plötzlich alle Angst um ihren Arbeitsplatz«, sagt der Mitar­beiter Milenko K. Er beklagt Abmahnungen und Ankündigungen arbeitsrechtlicher Konsequenzen wegen Selbstverständlichkeiten wie einem Gespräch mit dem Betriebsrat während der Arbeitszeit. Auch solche Abmahnungen sind zwar in der Regel ­widerrechtlich, sorgen aber erst einmal für Verunsicherung und schrecken möglicherweise von künftigen Besuchen beim Betriebsrat ab.

    Allerdings ließ sich der harte Kern der Beschäftigten des Wombat’s nicht einschüchtern. Sie radikalisierten sich eher im Zuge der Auseinandersetzung, wie die Forderung nach der Enteignung des Hostels zeigt. »Wir haben in unserem Alltag im Hostel gemerkt, dass die Arbeit am besten läuft, wenn die Chefs und ihre Vertreter nicht ­anwesend sind. Da haben wir uns gedacht, dann könnten wir doch den ­Betrieb gleich selbst organisieren«, sagt Raphael K.

    Die protestierenden Beschäftigten erhielten auf ihrer Kundgebung am Freitag Unterstützung von unterschiedlichen Gruppen. Insgesamt beteiligten sich etwa 150 Menschen an dem Protest. Der Frankfurter Sekretär der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten (NGG), Jürgen Hinzer, hielt eine Rede, in der er auch auf ­seine langjährige Erfahrung als Streikorganisator verwies. Die Beschäftigten sind Mitglieder der Berliner NGG und zeigen sich zufrieden mit der ­Unterstützung ihrer Gewerkschaft. Beschäftigte eines Hostels in Berlin-­Moabit, die kürzlich Schritte zur Wahl eines Betriebsrats eingeleitet haben, beteiligten sich ebenfalls an dem Protest. Auch die AG Taxi von Verdi Ber­lin, die sich gegen die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse im Be­förderungsgewerbe wehrt, solidarisierte sich mit den Beschäftigten des Hostels. Zudem hatten diese sich ei­nige Tage vor der Kundgebung mit ihren Unterstützern im kürzlich eröffneten »Kiezhaus Agnes Reinhold« im Wedding getroffen, das die Stadtteilgruppe »Hände weg vom Wedding« betreibt.

    #Arbeit #Tourismus #Berlin #Union-Busting #Gewerkschaft

  • jungle.world - »Wildwest-Zustände in der Taxibranche«
    https://jungle.world/artikel/2019/31/wildwest-zustaende-der-taxibranche

    Seit Monaten protestieren Taxifahrer gegen den Fahrdienst Uber. Worum geht es?

    Andreas Komrowski: Die Protestaktionen von Taxifahrern entzündeten sich am Vorhaben des Bundesverkehrsministeriums unter Andreas Scheuer, das Personenbeförderungsgesetz zu liberalisieren. Dabei geht es vor allem um den Punkt 1 d) eines bekanntgewordenen Eckpunktpapiers aus dem Hause Scheuer: Die Rückkehrpflicht von Mietwagen soll aufgehoben werden. Dies ist dem Konzern Uber wie auf den Leib geschneidert, da er mit Mietwagenfirmen zusammenarbeitet – die jedoch oftmals reine Subunternehmen sind, da sie nur für Uber fahren.

    Klaus Meier (rechts) und Andreas Komrowski sind gewählte Vertrauensleute bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und dort in der AG Taxi Berlin tätig. Meier ist seit 1985 Taxifahrer, Komrowski seit 1995.

    BILD: MATTHIAS COERS
    Welche Rolle spielen Sie als gewerkschaftlich organisierte Taxifahrer in diesen Protesten?
    Komrowski: Die Proteste werden von Unternehmerverbänden wie der »Innung des Berliner Taxigewerbes e. V.«, vor allem aber von »Taxi Deutschland e. V.« unter dem Motto »Scheuerwehr« bundesweit koordiniert. Es geht ihnen um die Verteidigung eines traditionell klein- und mittelständischen Gewerbes gegen den Angriff kapitalkräftiger Großkonzerne. Durch den Kampf gegen den gemeinsamen Feind Uber wird jedoch von den Klassenwidersprüchen innerhalb des Taxigewerbe selbst abgelenkt. Das macht unser Verhältnis zu den Unternehmerprotesten schwierig. Wenn Uber sich durchsetzt, ist das Taxigewerbe zerstört und unsere Arbeit wird noch schlech­ter bezahlt, die Jobs sind weg. Wenn sich alle auf die Seite der Taxiunternehmen stellen, ist es jedoch selbst im Erfolgs­fall schwierig, streitbar Arbeitnehmerrechte gegen sie durchzusetzen. Wir weisen auf unserer Website auf die Proteste hin und verteilen vor Ort unseren Newsletter, um die Organisationsmöglichkeit bei Verdi zu bewerben.

    »Wildwest-Zuständen in der Taxibranche«

    Thematisieren Sie auch Ausbeutung im Taxigewerbe?
    Klaus Meier: Auf niedrige Entlohnung und prekäre Arbeitsbedingungen jenseits der Legalität aufmerksam zu machen, ist Teil unserer ständigen Arbeit. Viele der Gründe dafür, dass es als Taxi­unternehmen kaum möglich ist, auf legale Art und Weise Gewinne zu erwirtschaften, sind hausgemacht. Dazu gehören die Verschiebung von Betrieben an Strohmänner circa 20 Monaten nach Betriebsgründung, um Kontrollen zu umgehen, sowie die Falschdeklaration von Arbeitsbereitschaft am Halteplatz als Pausen. Oftmals wird von Kollegen verlangt, falsche Arbeitszeit- und Lohn­abrechnungen zu unterschreiben. Staatliche Behörden zeigen von sich aus in Berlin keinerlei Interesse daran, die Ausbeutung im Taxigewerbe zumindest in die wenigen vorhandenen gesetzlichen Schranken zu weisen.

    Können Sie ein Beispiel für die schlechten Arbeitsbedingungen im Taxigewerbe nennen?
    Meier: Derzeit stellen wir in einer Artikelserie einen besonders krassen Fall von Ausbeutung in München vor, der einen Kollegen beinahe das Leben gekostet hätte. Er hatte seine Firma auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Bezahlung geleisteter Arbeitsstunden und Schadensersatz verklagt. Sein Vorgesetzter hatte ihn derart unter Druck gesetzt, dass der Taxifahrer sich beinahe zu Tode arbeitete. Als er sich krank meldete, wurde er entlassen. Auf unserer Website www.ag-taxi.de erzählen wir auch andere Taxigeschichten, die einen lebensnahen Eindruck von den Wildwest-Zuständen in der Taxibranche vermitteln.

    »Appsolute Ausbeutung« lautete der Titel einer Veranstaltung im Juni der »AG Taxi« zusammen mit der Kampagne »Deliverunion« im Kiezhaus Agnes Meinhold in Berlin-Wedding. Wie verändern Dienstleistungsapps Ihre Arbeitsbedingungen?
    Meier: Bereits vor mehr als zehn Jahren haben die Taxizentralen in Berlin begonnen, die Fahrtenvermittlung auf Datenfunk umzustellen. Man könnte denken, das wäre nur eine Verlagerung auf ein anderen technischen Kanal. Mit der Zeit merkten wir, dass unsere Aufmerksamkeit durch die Bedienung der Touchscreens der Vermittlungs­software mindestens so stark beansprucht wurde, wie vorher durch den Sprachfunk. Die Umstellung von Sprach- auf Datenfunk brachte auch nicht die versprochene Reduzierung von Fehlfahrten und Fahrgastklau, sondern zusätzlichen Stress, da wir wissen, dass unsere Anfahrten getrackt werden. Umwege bei der Anfahrt haben aber oft gute Gründe, etwa das Umfahren von Staus oder Baustellen.

    »Arbeitsbelastung erheblich gestiegen«
    Wie verändert diese Technik Ihren Arbeitsalltag?
    Meier: Beim Sprachfunk war es unver­meidlich, dass alle Fahrer immer über die Auftragslage im Bilde waren, weil jeder Auftrag und jedes Gespräch für alle auf dem Kanal hörbar waren. Heute müssen wir umständlich in der App nachsehen, welche Halteplätze in der letzten Zeit »besonders gut liefen«. Nicht zuletzt konnten wir über Sprachfunk jederzeit Kollegen zu Hilfe rufen, die immer schnell zur Stelle waren, um renitente Fahrgäste zu beruhigen. Das gibt es heute überhaupt nicht mehr. Jeder ist auf sich allein gestellt.
    Seit der Einführung von GPS überwacht die Zentrale, an die in Berlin circa 5 000 von 8 200 Taxen angeschlossen sind, unsere Standorte und Fahrstrecken. Mit taxi.eu hat der Betreiber »Taxi Berlin« eine eigene App auf den Markt gebracht, mit der auch die Kunden jederzeit sehen, wo wir gerade sind.
    Mit den Apps haben zusätzliche Abrechnungs­systeme wie Paypal Einzug gehalten, die müssen wir alle bedienen können. Das hört sich einfach an, auf­grund der Vielzahl der Abrechnungsarten und der Eile, in der alles erfolgen muss, ist die Arbeitsbelastung dadurch jedoch erheblich gestiegen. Erst mit den Apps konnten neue Vermittler Billigkonkurrenz wie die Plattform »mytaxi« durchsetzen. Sie ist vor kurzem an ein Joint Venture von BMW und Mercedes-Benz verkauft worden und vermittelt nun unter der neuen Bezeichnung »free now« sowohl Taxen als auch Mietwagen. Damit wird das Taxigewerbe ­weiter unter Druck gesetzt.

    Wieso ist es trotzdem so schwer, Taxifahrer gewerkschaftlich zu organisieren?
    Meier: Die meisten Taxis wurden von selbst fahrenden Unternehmern betrieben, die sich für die Nacht- und Wochenendschichten Studierende holten. Unter diesen Umständen brauchte niemand eine Gewerkschaft. Heute sitzen in etwa 6.000 Berliner Taxis Angestellte, die weniger als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen. Da es chon vorher keine gewerkschaftliche Präsenz im Taxigewerbe gab, und die meisten heutigen Taxibetriebe in einem gewerkschaftsfernen migrantischen Kontext gegründet wurden, liegt der Aufbau einer mächtigen Interessenvertretung der angestellten Fahrerinnen und Fahrer noch vor uns.

    »Vereinzelung der Kollegen durchbrochen«
    Wie sind betriebliche Kämpfe möglich, wenn die Arbeitsmodelle Beschäftigte voneinander isolieren?
    Komrowski: Das stimmt, man sieht sich in der Regel nur bei der Ablösung im Schichtbetrieb. Betriebliche Kämp­fe zu entwickeln, ist schwierig, wenn es keinerlei etablierte gewerkschaftliche Mitbestimmung gibt. Umso wichtiger sind außerbetriebliche Treffpunkte für Pausen oder nach Feierabend, wo Kol­legen sich treffen können. Aus basisgewerkschaftlicher Sicht kann die Erfah­rung der Worker Center in den USA hier Anknüpfungspunkte bieten. Wir entwickeln deshalb neue Angebote für Angestellte der Taxi- und Mietwagenbranche. Sie verdienen so wenig, dass wir ihnen zunächst helfen müssen, alltägliche Probleme besser zu meistern, bevor daran zu denken ist, gemeinsam klassische Gewerkschaftsarbeit zu machen.
    Meier: Die Sache hat große gesellschaftliche Relevanz, weil eine große Zahl von Menschen systematisch ihrer Rechte beraubt wird und das Folgen für die ganze Gesellschaft hat. Von den heute etwa 8 300 Berliner Taxen gehören weniger als 2 500 zu Ein-Wagen-Betrieben. Diese selbst fahrenden Unternehmer sind der Konkurrenz von Uber und anderen Anbietern schutzlos ausgeliefert.

    Was kann man dagegen tun?
    Komrowski: Wichtig ist es für uns, in der Kampagne gegen Uber eigene Akzente zu setzen. So haben wir an großen Halteplätzen Flugblätter mit kurzen Statements gegen Uber verteilt, die die Kollegen ins Taxi hängen können. Auf großen QR-Codes wird auf Zeitungsartikel verwiesen, die die Behauptungen der Parolen belegen. Erfolge sind vor allem dort möglich, wo die Vereinzelung der Kollegen durchbrochen wird. Wir arbeiten mit der Gewerkschaft Verdi, die in Brüssel relativ erfolgreich Lobbyarbeit betreibt und immer wieder gegen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen in den Transportbranchen angeht. Der Kampf für besseren Datenschutz hilft auch, die Ambitionen der Plattformkapitalisten zu bremsen.

    Gibt es auch Diskussionen über eine App, die nicht den Konzernen, sondern den Beschäftigten nutzt? Oder lehnen Sie diese Technik grundsätzlich ab?
    Meier: Das Problem ist nicht die App als technische Neuerung, sondern es sind die Arbeitsbeziehungen, die sich dadurch verändern. Hinter Uber, aber auch Mytaxi stehen kapitalkräftige globale Unternehmen. Sie bestimmen die Arbeitsbedingungen und das Geld fließt über sie. Ihnen gegenüber sind auch Bosse mittelständischer Unternehmen so machtlos wie einzelne Fahrer. Das lässt einen leicht übersehen, dass auch mittelständische Unternehmen von der Arbeit ihrer Angestellten leben. Es geht wie immer im Kapitalismus um die Verfügungsgewalt über Produktionsmittel.

    #Taxi #Berlin #Ausbeutung

  • jungle.world - Ärger am Taxistand
    https://jungle.world/artikel/2019/10/aerger-am-taxistand

    07.03.2019 - Taxifahrer und Lokalpolitiker kritisieren eine Gesetzesnovelle des Bundesverkehrsministers

    Der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will den Markt im Interesse neuartiger Anbieter von Personenbeförderung wie Uber deregulieren. Die Taxifahrer protestieren, aber auch Kommunal­politiker sehen das Vorhaben kritisch.

    Von Ralf Fischer

    »Taxifahrer in Linden-Süd niedergeschlagen und ausgeraubt«, »Betrunkener schlägt ohne Vorwarnung mit Fäusten auf Taxifahrer ein« oder »Taxifahrer fährt renitente Frau direkt aufs Polizeirevier« – es sind solche Schlagzeilen aus dem Ressort Lokales, die den Arbeitsalltag einer Berufsgruppe ziemlich gut beschreiben, deren soziales Prestige gering ist. Das Mitleid mit den Betroffenen hält sich oft in Grenzen. Das hat auch etwas mit der sozialen Zusammensetzung dieser Berufsgruppe zu tun. Es gibt drei große Per­sonengruppen, denen die Tätigkeit als bezahlte Chauffeure vorwiegend der Mittelschicht zugeschrieben wird: Studierende der Geisteswissenschaften, die ihre Semesterzahl nicht mehr an zwei Händen abzählen können, Männer mit Migrationshintergrund und autochthone Männer ohne Berufsausbildung, aber mit Führerschein. Selbst Putzkräfte sind besser angesehen.

    Dementsprechend gering fällt die öffentliche Resonanz auf die Proteste der Taxifahrer gegen die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes zugunsten neuer digitaler Mobilitätsangebote aus. Im besten Falle handelt es sich nur um Desinteresse, weitaus gravierender dagegen ist die weitverbreitete Bequemlichkeit, sich auf eine neue Technologie einzulassen, ohne über die Arbeitsbedingungen der Dienstleister nachzudenken. Das bekamen Ende Februar Hunderte Taxi­fahrer zu spüren, die gegen die von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vorgestellten Pläne zur Liberalisierung des Personenbeförderungs­gesetzes protestierten. In manchen Medien wurde das als Kampf einer völlig veralteten Branche gegen die moderne Konkurrenz dargestellt.

    Studien zeigen, dass nicht nur Autofahrer von ihrem Privatwagen auf Uber umsteigen, sondern vor allem Menschen, die sonst U- und S-Bahnen oder das Fahrrad nutzen.

    Aus Sicht des Economist ist der Fall Uber nur »ein weiteres Zeichen für die wachsende Feindseligkeit gegen ame­rikanische Technologiefirmen« in Deutschland. Schuld daran sei eine »digitale Phobie«, die gezielt von Firmen geschürt werde, die ihr Geschäftsmodell schützen wollten, indem sie Wettbewerbern keine Chance ließen. Der US-amerikanische Konzern Uber ist das bekannteste der Unternehmen, die ihr sogenanntes Ridesharing-Angebot in Deutschland stark ausbauen wollen. Um diesem Ziel näher zu kommen, schickte Uber fertige Textbausteine für ein neues Personenbeförderungsgesetz an Bundestagsabgeordnete unterschiedlicher Parteien. Nach Recherchen der ARD landeten einige dieser Passagen im neuen Personenbeförderungsgesetz. Doch auch deutsche Ride­sharing-Anbieter betreiben intensive Lobbyarbeit. Sie wollen ebenfalls eine Liberalisierung des Personenbeförderungsgesetzes.

    Bislang stehen dem Ausbau der Angebote von Fahrdienstleistern noch ­einige Hürden im Weg. Eine davon ist die Rückkehrpflicht an den Betriebssitz nach jeder Fahrt. Diese Regelung untersagt den Chauffeuren die Aufnahme eines Fahrgastes auf dem Rückweg zum Sitz der Firma. Viele Miet­wagenunternehmen, die für Uber in Berlin fahren, sind zum Beispiel im Land Brandenburg angemeldet. Sie müssten nach jeder Fahrt dorthin zurückkehren. Kontrolliert wird das jedoch nur selten. Außerdem gibt es bei Uber weder einen Wegstreckenzähler noch ein Arbeitszeitprotokoll.

    »Die sehr sinnvolle Trennung von Taxi und Mietwagen« würde mit dem neuen Geschäftsmodell aufgehoben, sagt Thomas Grätz, Geschäftsführer des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbands. Er prophezeit, dass mit der geplanten Gesetzesänderung »das Taxi­gewerbe nicht mehr wettbewerbsfähig« bleiben werde. Auf der Kundgebung Ende Februar vor dem Bundesverkehrsministerium widersprach der Präsident des Verbands, Michael Müller, entschieden der Behauptung, durch die »Öffnung und Liberalisierung« des Marktes entstehe mehr Wettbewerb – das sei Unfug. Uber trete nicht an, »um einen Wettbewerb mit vielen einzugehen, sondern um den Markt zu monopolisieren«.

    Die Kritik an dem Geschäftsgebaren von Uber wird auch international immer vernehmbarer. Lokalpolitiker wie die demokratische Stadtverordnete Hillary Ronen aus San Francisco warnen ihre europäischen Kollegen eindringlich davor, Fahrdienstleister wie Uber oder Lyft zuzulassen. Der öffentliche Nahverkehr werde letztlich das Nachsehen haben. Tatsächlich zeigen Studien, dass nicht nur Autofahrer von ihrem Privatwagen auf Uber umsteigen, sondern vor allem Menschen, die sonst U- und S-Bahnen oder das Fahrrad nutzen.

    Ein Fahrdienstleister, dessen Preisgestaltung auf Algorithmen basiert, hat noch weitere Nachteile. Nach einem Schneesturm im Dezember 2014 in New York häuften sich die Beschwerden über völlig überhöhte Fahrpreise.

    Eine Kundin musste für eine Fahrt von drei Meilen 91 Dollar bezahlen, beinahe eine Vervierfachung des Standard­tarifs. Ein anderer Nutzer dokumentierte ein Angebot mit 93 Dollar Mindestzahlung – 5,81 Dollar pro Minute und 23,25 Dollar pro Meile. Diese Preissteigerungen verteidigte der damalige CEO der Firma, Travis Kalanick, mit dem Verweis auf das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Sein Unternehmen mache nichts anderes als Hotels, die zu Großveranstaltungen oder an Feiertagen wie Neujahr oder Weihnachten in New York die Zimmerpreise anheben. Als 2017 das Sturmtief Xavier nahezu den gesamten Bahnverkehr in Deutschland lahmgelegt hatte, stiegen die Preise des Fahrdienstleisters ebenfalls.

    Die Anbieter der Ridesharing-Dienste werben damit, dass alle von den »öko­logisch wie ökonomisch sinnvollen Mobilitätskonzepten profitieren«, zum Beispiel dadurch, dass Nutzer auf ihr eigenes Auto verzichteten und durch geteilte Fahrten insgesamt weniger Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs seien.

    Diese Behauptung konnte bisher in der Praxis nirgendwo bestätigt werden. »Die Erfahrungen zeigen, da sitzen dann ein oder zwei Leute drin, die in einem Kleinbus durch die Stadt geschippert werden«, konstatiert der Verkehrsforscher Tilman Bracher vom Deutschen Institut für Urbanistik. In einigen Städten hätten sich die Verkehrsprobleme eher weiter verschärft. So beobachtet der in Düsseldorf zuständige Dezernent Andreas Meyer-­Falcke (FDP) eine steigende Nachfrage nach Konzessionen für Mietwagen. Zugleich kommen mit Uber auch viele zusätzliche Autos aus benachbarten Ortschaften und Landkreisen in die Stadt.

    In Berlin kommt noch eine weitere Konkurrenz für das Taxigewerbe hinzu. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) betreiben seit September gemeinsam mit Via Van, einem Joint Venture von Mercedes-Benz Vans und der Firma Via, im Rahmen einer sogenannten Experimentierklausel des Personenbeförderungsgesetzes mit 50 Fahrzeugen einen »On-Demand Ridesharing-Service« namens Berlkönig. Das Angebot soll »als Ergänzung des Hochleistungs-ÖPNV mit Bussen und Bahnen« fungieren, sagte ein BVG-Sprecher der Jungle World. Es sei weder »als Konkurrenz zu U-Bahn, Tram und Bus gedacht noch als Ersatz des Taxis«, da sich die Fahrgäste im Berlkönig das Auto teilen müssen.

    Der Pressesprecher der Berliner Taxivereinigung, Richard Leipold, sieht das anders. Er kritisiert vor allem das Einsatzgebiet des Fahrservices. In den Außenbezirken, wo Busse und Bahnen nachts nur noch selten fahren, ergebe es Sinn, den Berlkönig fahren zu lassen, so Leipold. »Aber in der Innenstadt ist das Netz der öffentlichen Verkehrsmittel doch ausgezeichnet.« Die BVG plant einen weiteren Ausbau dieses Dienstes und will »die Flotte entsprechend der Nachfrage kontinuierlich« ausweiten. Die vorläufige Genehmigung gelte für 300 Fahrzeuge. Eine Ausweitung des Bediengebiets sei dagegen vorerst nicht geplant. »Bei so einer Konkurrenz haben wir so große Chancen zu überleben wie ein Schneeball in der Hölle«, fürchtet Leipold.

    #Taxi #Politik #disruption

  • jungle.world - Zumutbare Erinnerung
    https://jungle.world/artikel/2019/02/zumutbare-erinnerung


    Edgar Hilsenrath est mort le 30 décembre 2018. Avant son déménagement dans une province moins polluée on le rencontrait de temps en temps dans les locaux du parti de gauche de son arrondissement berlinois. Ce survivant des efforts nazis pour exterminer les juifs d’Europe détestait les philosémites parce qu’il considérait leur manière de penser comme structurellement antisémite. Ses romans tragiques et grotesques traitent les génocides juifs et arméniens. Son succès international précédait de vingt ans sa céĺébrité allemande. Pour lui ses contemporains du Gruppe 47 se comportaient comme une mafia culturelle qui n’échappait pas au philosémitisme obligatoire en l’Allemagne de l’Ouest. L’ironie de l’histoire veut que l’organe officiel des philosémites de gauche ( Antideutsche ) lui consacre un nécrologue qui montre encore que son auteur n’a rien compris.

    Edgar Hilsenrath, dieser witzigste Autor unter den Überlebenden der Shoah, ist tot. Humor in der Holocaust-Literatur, geht das überhaupt? In seinem Fall, ja. Niemand verblüffte mit solchen alltagssprachlichen Dialogen, kaum jemand konnte solche Grotesken über die Judenvernichtung schreiben und zugleich so einfühlsame, leise Töne der Erinnerung an den größten Massenmord der Geschichte anschlagen wie Hilsenrath.

    Als 1926 in Leipzig geborener, in Halle aufgewachsener und 1938 in das Schtetl Sereth in der rumänischen Bukowina geflohener Jude überlebte Hilsenrath das Ghetto von Mohyliw-Podilskyj, in dem bis zur sowjetischen Befreiung im April 1944 etwa 40 000 Menschen an Kälte, Hunger, Fleckfieber und Cholera starben. Über Palästina und Frankreich emigrierte er schließlich in die USA. Dass er seine schriftstellerische Karriere dort begann, beeinflusste sein Schreiben stark. Zugleich machte Hilsenrath aus seiner Liebe zu seiner Muttersprache keinen Hehl und zog 1975 zurück in die Bundesrepublik.

    Zum Leben und Werk von Edgar Hilsenrath. Nachruf anlässlich seines Todes am 30. Dezember 2018 – Edgar Hilsenrath
    http://hilsenrath.de/nachruf
    Son ami et éditeur Ken Kubota publie un long nécrologue sur le site officiel de l’auteur.

    Edgar war Zionist, aber kein Dogmatiker. Als ich ihn wegen der Diskriminierung der Palästinenser einmal zur Rede stellte, so räumte er ein, auch er wisse, dass die Araber unfair behandelt würden. Er sehe aber keine wirkliche Lösung des Problems, und so sehe er auch keinen anderen Weg. Zugleich war mir bewusst, dass er als jüdischer Holocaust-Überlebender einen instinktiven Überlebensreflex hatte, der auch in seiner Argumentation zugunsten des jüdischen Staates zum Ausdruck kam.

    Edgar Hilsenrath war ein großer Verehrer der Politikerin Sahra Wagenknecht, die er auch im Wahlkampf unterstützte.
    ...
    Schon als Studentin übertraf Sahra Wagenknecht mühelos die allermeisten Philosophieprofessoren einschließlich derer, die offiziell für Hegel zuständig sind.

    Œuvre
    https://fr.wikipedia.org/wiki/Edgar_Hilsenrath#%C5%92uvre

    Voici une liste de nécrologues des médias philosémites notoires.

    https://www.tagesspiegel.de/kultur/nachruf-auf-edgar-hilsenrath-so-reden-die-menschen-halt/23817440.html
    https://www.sueddeutsche.de/kultur/nachruf-edgar-hilsenrath-ist-gestorben-1.4271386
    https://www.berliner-zeitung.de/kultur/literatur/nachruf-auf-schriftsteller-edgar-hilsenrath-der-meister-des-geschwa
    https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article186366878/Edgar-Hilsenrath-ist-tot-Nachruf-auf-einen-Solitaer.html
    https://www.zeit.de/news/2019-01/01/edgar-hilsenrath-mit-92-jahren-gestorben-190101-99-398971
    https://www.swr.de/swr2/literatur/nachruf-edgar-hilsenrath/-/id=6891032/did=23130850/nid=6891032/2dbvis
    http://www.taz.de/!5562395

    #Allemagne #histoire #gauche #holocaust #littérature #nécrologie