Asja Lācis — Wikipédia

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  • Zeichen einer anderen Zeit: Das proletarische Theater als Stätte der Erziehung Texte von Asja Lācis und Walter Benjamin, mit einer Einführung von Andris Brinkmanis - South Magazine Issue #9 [documenta 14 #4] - documenta 14
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    Zeichen einer anderen Zeit: Das proletarische Theater als Stätte der Erziehung
    Texte von Asja Lācis und Walter Benjamin, mit einer Einführung von Andris Brinkmanis

    Aus den Trümmern großer Bauten [spricht] die Idee von ihrem Bauplan eindrucksvoller als aus geringen noch so wohl erhaltenen …
    – Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels

    Die Reformatoren des Theaters haben die platonische Opposition zwischen Chor und Theater als Opposition zwischen der Wahrheit des Theaters und dem Trugbild des Schauspiels umformuliert. […] Seit der deutschen Romantik wird das Denken des Theaters mit dieser Idee einer lebendigen Gemeinschaft in Verbindung gebracht, […] der Gemeinschaft als einer Art und Weise, einen Ort und eine Zeit zu besetzen, als Körper in Aktion und nicht als einfacher Gesetzesapparat, als eine Gesamtheit von Wahrnehmungen, Gesten und Haltungen, die den Gesetzen und politischen Institutionen vorausgeht und sie vorformt. […] Die Reform des Theaters bedeutete also die Wiederherstellung seines Wesens als Versammlung oder als Zeremonie der Gemeinschaft. Das Theater ist eine Versammlung, wo die Leute des Volkes sich ihrer Situation bewusst werden und ihre Interessen diskutieren, sagt Brecht nach Piscator. Es ist, behauptet Artaud, das reinigende Ritual, wo eine Gemeinschaft ihre eigenen Energien in Besitz nimmt. Wenn das Theater somit die lebendige Gemeinschaft verkörpert im Gegensatz zur Illusion der Mimesis, dann wird man nicht erstaunt sein, dass der Wille, das Theater auf sein Wesen zurückzubringen, sich gerade auf die Kritik des Theaters stützen kann.
    – Jacques Rancière, Der emanzipierte Zuschauer

    Demonstrierende mit Masken in Leningrad, 1. Mai 1924. Slogan links: „Ich kaufe beim privaten Händler“; Slogan rechts: Ich kaufe bei der Kooperative“. Krasnaja Gazeta, 2. Mai 1925

    Welche Formen der Kultur können heute noch die Gestalt eines Chors, einer Versammlung annehmen? Welche Kulturformen könnten am Aufbau von Gemeinschaften mitwirken, in denen sich die vielfältigen Verschiedenheiten als gemeinsame Kraft äußern, als Stimme mit der Fähigkeit, den eigenen Diskurs, die eigenen Wünsche, die eigene Politik zur Sprache zu bringen, und sei es für eine begrenzte Zeit? Und könnte aus solchen gelebten Formen ein Wissen hervorgehen, das der endlosen, vom Kapitalismus erzwungenen Vereinzelung widersteht, das uns wieder zur selbstbestimmten Praxis einer vita activa führt? Über welche Instrumente einer positiven Dialektik verfügen wir noch, und wo sollen wir danach suchen?

    Heute sich dem geistigen Erbe Deutschlands und Sowjetrusslands aus dem frühen 20. Jahrhundert zuzuwenden, heißt hingehen zu einer „Ruine von gestern, in der die Rätsel des heute sich lösen“, wie Benjamin einmal formuliert hat. Es bedeutet auch, alte Wunden aufzureißen und sich Gespenstern zu stellen, die diesmal vielleicht sogar Verbündete in unserem Bemühen werden könnten, aus ihrer spukhaft beharrlichen Gegenwart zu lernen. Mit diesen Phantomgliedern und den nicht selten gewaltsam aus dem kollektiven Gedächtnis gesprengten Gespenstern der Moderne fertigzuwerden, der um sich greifenden Anosognosie unserer Zeit entgegenzutreten: Das ist vielleicht die Aufgabe materialistischer Historiker in unserer Zeit. Indem wir verstehen, zu welchem Handeln ein Körper – eine Körperschaft – einst fähig war und vielleicht immer noch fähig ist oder eben nicht mehr fähig ist, schaffen wir mitunter das Bewusstsein, das wir brauchen, um jeglicher künftiger Kunst und Politik den Weg zu bereiten und die Fundamente zu legen.

    Auf dem Höhepunkt der Achtundsechziger tauchte unvermittelt der Name von Anna Ernestovna (genannt „Asja“) Lācis (1891–1979) unter jungen „Archäologen“ der Kultur wieder auf. Sie bargen ihn aus den Trümmern einer historischen Stadt der Träume. Ein wichtiges, fehlendes Bindeglied einer bestimmten politisch-kulturellen Tradition war damit gefunden. Walter Benjamins kurzer Aufsatz „Programm eines proletarischen Kindertheaters“ erhielt wieder seine Bedeutung einer konkreten und dialektischen, politisch-ästhetischen, auf tatsächlicher Lehrerfahrung beruhenden Pädagogik. Auch seine anderen Schriften über Kindheit und Erziehung gewannen an programmatischer Statur als Versuche, sich den vorherrschenden „bürgerlichen“ Erziehungs- und Verhaltensmustern mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu widersetzen, mithin die Grundmauern des kapitalistischen Ideologiegebäudes schon in der frühkindlichen Erziehung auszumachen.

    1967 und 1968 stieß die deutsche Literaturkritikerin Hildegard Brenner bei der Arbeit an der Alternative: Zeitschrift für Literatur und Diskussion im fernen Litauen auf eine ungeahnte Quelle von einschlägigen Erfahrungsberichten aus dem fernen Litauen. Autorin war eine gewisse Asja Lācis, marxistische Kindertheaterregisseurin, Theoretikerin, Schauspielerin und enge Freundin Walter Benjamins. Wie so viele andere war sie ein Opfer der stalinistischen Unterdrückung, die sie immerhin überlebte. Ihr Name fand sich in kaum einer offiziellen Geschichte des europäischen politischen Theaters im 20. Jahrhundert. Auch nachdem sie 1948 aus einem stalinistischen Gulag in Russland nach Litauen zurückkehrte, blieben die meisten ihrer Leistungen aufgrund ihres Status als ehemaliger politischer Gefangener aus der Geschichte getilgt. Nach einem Jahrzehnt der Unterbrechung durch die Haft musste Lācis ihre Theaterarbeit fast völlig neu beginnen.

    Aber beginnen wir von vorne: Lācis absolvierte ihre Schulbildung in Riga, wo ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse ihr zahlreiche unerfreuliche Begegnungen mit den damaligen bürgerlich geprägten Verhältnissen bescherte. Ihre eigentliche ideologische Prägung und künstlerische Ausbildung erhielt sie erst in St. Petersburg und Moskau. Sie schrieb sich zunächst am Bechterew-Institut für Psycho-neurologische Forschung ein und studierte ab 1916 an der Schauspielschule von Fjodor Komissarschewski. Diese Ausbildung war neben ihrem Miterleben der revolutionären Ereignisse von 1917 und ihrer Zugehörigkeit zur Avantgarde der Künstler, Dichter, Denker und Theatermacher – Eisenstein, Majakowski, Meyerhold, Nemirowitsch-Danschenko, Stanislawski, Tairow, Wigotski und andere – Grundlage ihres eigenen engagierten Lebenswerks.

    1918 wurde die russische Kleinstadt Orel zum Schauplatz von Lācis’ Auseinandersetzung mit den Besprisorniki, wie man die vom Krieg elternlos gemachten Kinder damals nannte. Ihr experimentelles Kindertheater half den Kindern der Stadt, das Trauma des Verlustes und der Gewalt in den Nachkriegsjahren mittels Improvisation, Spiel und Schauspiel zu verarbeiten. Ihr Theater war eines von Kindern für Kinder. Es stellte den Prozess über das Ergebnis. Mitwirkung und Zusammenarbeit waren wichtiger als die Aufführung am Ende. Das Wagnis, Kindern Handlungsmacht an die Hand zu geben, war Grundlage ihrer Methode, die sie anschließend auch in proletarischen und politischen Theaterprojekten in Riga und anderswo anwandte. In Orel schuf Lācis eine offene, kollektive Form der Theaterarbeit, die auf Diskussion, gemeinsamem Erarbeiten der Handlung, Improvisation, Aufführungen im öffentlichen Raum, direkter Beteiligung des Publikums und Einbeziehung von Musik, Tanz und Kabarett beruhte.

    Nach Deutschland kam Lācis erstmals 1922, als Fahnenträgerin der siegreichen Revolution, was ihr zu Begegnungen mit Wilhelm Reich, Fritz Lang, Erwin Piscator und auch Bertolt Brecht verhalf, mit dem sie später zusammenarbeitete. Brecht verarbeitete in der Folge einige ihrer Ideen und Überlegungen in Form seiner Lehrstücke. Aus der Kooperation mit Piscator in den Kreisen des Agitprop-Theaters bezog Lācis umgekehrt Anregungen, die sie in ihre eigene Arbeit aufnehmen konnte. Erst 1924 auf Capri begann ihre Freundschaft und enge Beziehung zu Walter Benjamin. Gemeinsam veröffentlichten die beiden in der Frankfurter Zeitung vom 19. August 1925 als Ausdruck ihrer produktiven Zusammenarbeit die Stadtbeschreibung „Neapel“. Metaphern wie „Porosität“ und „Konstellation“, von beiden verwendet, wurden später zu Schlüsselbegriffen bei Adorno, Kracauer und anderen. Benjamin verdankte Lācis, wie er selbst sagte, Einblicke in den „radikalen Kommunismus“, die den Verlauf seiner weiteren Arbeit prägten. Er besuchte sie 1925 in Riga und 1926 in Moskau. Seinem Buch Einbahnstraße stellte er eine Widmung an Lācis voran: „Diese Straße heißt Asja-Lacis-Straße nach der die sie als Ingenieur im Autor durchgebrochen hat.“

    Ab 1928 begann Lācis sich vermehrt für den Kinderfilm zu interessieren und arbeitete auf diesem Gebiet mit Lenins Witwe Nadeschda Krupskaja zusammen. Daraus ging das Kinderkino Balkan hervor, eines der allerersten in Moskau. Lācis wurde zur offiziellen Gesandten an der sowjetischen Handelsvertretung in Deutschland für den Bereich des Kinder- und Dokumentarfilms und stellte in dieser Position regelmäßig sowjetisches Kultur- und Filmschaffen vor, unter anderem die „Kino-Auge“-Filme von Dziga Wertow. Sie selbst erzählt über diese Zeit in ihrem Buch Deti i kino („Kinder und Film“), das 1928 in Zusammenarbeit mit Keilina in Moskau erschien. Im selben Jahr verfasste Benjamin auf Ersuchen von Johannes R. Becher und Gerhart Eisler vom Karl-Liebknecht-Haus das „Programm eines proletarischen Kindertheaters“, das, wie später in Vergessenheit geriet, wesentlich Lācis’ Arbeitserfahrungen zusammenfasste. In den Jahren danach setzte Lācis ihre Theaterarbeit mit Kindern und proletarischen Laientruppen, aber auch am konventionelleren, professionellen litauischen Theater Skatuve in Moskau fort.

    Wie so viele andere Intellektuelle ihrer Zeit wurde Lācis aus vorgeschobenen Gründen von der sowjetischen Geheimpolizei 1938 angeklagt und festgenommen. Ihre erste Haft verbrachte sie im Butyrka-Gefängnis, danach kam sie in kasachische Arbeitslager. In ihrem Lebensbericht schreibt sie darüber nur: „Ich musste einige Zeit in Kasachstan verbringen.“ Entsprechend wenig ist über diesen Teil ihres Lebens bekannt, doch wir wissen aus verstreuten Erinnerungen, dass es ihr trotz der extrem harten und körperlich zermürbenden Bedingungen gelang, im Lager ein Frauentheaterkollektiv zu gründen. Nach ihrer Freilassung 1948 zog Lācis nach Valmiera in Litauen und arbeitete dort bis zu ihrer Pensionierung als Leiterin des Schauspiels Valmiera. Erst nach ihrer Rehabilitierung konnte sie wieder Kontakt mit Brecht aufnehmen und erfuhr so auch vom Schicksal Walter Benjamins. Im Ruhestand arbeitete sie an ihren Lebenserinnerungen und an theoretischen Aufsätzen auf Russisch, Litauisch und Deutsch. Lācis starb 1979.

    Das Buch Revolutionär im Beruf. Berichte über proletarisches Theater, über Meyerhold, Brecht, Benjamin und Piscator (erschienen 1971 in München) war Lācis’ einzige „westliche“ Veröffentlichung. Es versammelte Interviews und Briefe, die zunächst in Hildegard Brenners Zeitschrift erschienen waren, und wurde anschließend ins Italienische, Französische und Spanische übersetzt. Die Texte erschienen in bearbeiteter Form und zusammen mit einem Auszug aus ihrem 1935 auf Russisch erschienenen Buch über das revolutionäre Theater in Deutschland (Revolucionnij teatr germanii). Dieses Buch trug wesentlich zur Rekonstruktion der deutschen Geistesgeschichte der Weimarer Republik und der in Vergessenheit geratenen Bewegung politischer Arbeitertheater wie des Proletkult Cassel in Deutschland bei.

    Ohne die Wiederentdeckung durch Hildegard Brenner und ohne das erwähnte Buch Revolutionär im Beruf wäre Lācis’ Werk heute vermutlich kaum einem westlichen Wissenschaftler bekannt. Die relative Abgeschiedenheit Litauens im Kalten Krieg trennte auch diese Welten. In der Benjamin-Gesamtausgabe von 1955 wurde zudem ihr Name unter dem Aufsatz „Neapel“ und die Widmung an sie in Einbahnstraße getilgt. Auch entschied das Frankfurter Institut für Sozialforschung, dass die Moskauer Tagebücher erst nach Lācis’ Tod erscheinen sollten. Ihre Charakterisierung als „bolschewikische Bettgenossin“, die Benjamins Hinwendung zum Marxismus und seinen „Untergang“ eingeleitet habe, konnte nur durch unsaubere Recherche von Mitarbeiter_innen der Frankfurter Schule und durch fehlendes Quellenmaterial, insbesondere eigene veröffentlichte Texte, entstanden sein. Beides hätte solche klischeehaften Deutungen gar nicht erst aufkommen lassen.

    Das Erbe dieser revolutionären Theatermacherin des frühen 20. Jahrhunderts, die die Ereignisse von 1917 aus nächster Nähe miterlebte und danach zu einem Bindeglied zwischen dem „Oktobertheater“ und der Linken in der Weimarer Republik wurde, ist jenseits eines kleinen Kreises von Kunst- und Theaterwissenschaftlern in Deutschland, Italien oder den Vereinigten Staaten bis heute kaum bekannt. Viele wichtige Dokumente sind verstreut oder unzugänglich archiviert. Eine ernsthafte Würdigung von Lācis’ Werk steckt noch in ihren Anfängen. Bisher maßgeblich dazu beigetragen haben Beata Paskevica, Jack Zipes, Susan Ingram und Mara Kimele, eine litauische Regisseurin und Enkelin von Asja Lācis. Vielleicht bietet nun der 100. Jahrestag der Russischen Revolution einen symbolischen Anlass zur Neubewertung der wegbereitenden geistig-künstlerischen Arbeit, die von den Katastrophen des Stalinismus in Russland, des Nationalsozialismus in Deutschland und der darauf folgenden Politik des Kalten Krieges jäh unterbrochen wurde.

    In diesem Sinn folgen hier Asja Lācis’ bislang unveröffentlichter Artikel „Neue Tendenzen im Theater“ aus dem Jahr 1921 und ihr Bericht über die Arbeit des Kindertheaters in Orel, begleitet von Benjamins „Programm eines proletarischen Kindertheaters“, das auf diesen Erfahrungen beruht. Anhand dieser Texte erweist sich die Theater- und Erziehungsauffassung von Asja Lācis als Synthese aus Leben, Ästhetik und Politik mit einem starken emanzipatorischen Impuls – der vielleicht auch erklärt, warum ihre Arbeit in der Sowjetunion nie wirklich Anerkennung erfuhr, während die strengere und konventionellere Ideologie eines Makarow oder Sats zu den bevorzugten Indoktrinierungsinstrumenten des Regimes erkoren wurde.

    In unseren heutigen, von Benjamin hellsichtig vorweggenommenen Weltkrisen, Erschütterungen und anscheinend dauerhaften Ausnahmezuständen, da ganze Generationen das Recht auf Selbstbestimmung verloren haben und äußerster Gewalt ausgesetzt sind, birgt das Programm einer ermächtigenden politisch-ästhetischen Erziehung, wenngleich viele Jahrzehnte alt, enormes Potenzial. Wie Benjamin selbst sagt, „spricht aus den Trümmern großer Bauten die Idee von ihrem Bauplan eindrucksvoller als aus geringen noch so wohl erhaltenen“. Und Lācis stellte fest: „In Zeiten des Kampfs muss die Kunst eine Verbündete und Freundin derjenigen sein, die den Kampf führen.“ Benjamins Text ist der Grundriss des „Baus“, den Asja Lācis zu Lebzeiten nicht vollenden konnte. Dessen Trümmer sprechen eindrucksvoller als die geringeren, ungleich besser erhaltenen ihrer bekannteren Kollegen.

    – Andris Brinkmanis

    Aus dem Englischen übersetzt von Herwig Engelmann

    Plakat für eine Diskussion über das Arbeitertheater im Club des Zentralbüros der Rigaer Gewerkschaften, eingeführt von Anna Lācis, 1. November 1925, Offsetdruck, 98,5 × 69,5 cm. Literatur- und Musikmuseum, Riga

    Die neuen Richtungen in der Theaterkunst
    von Anna Lācis

    Die Kunst ist kein Ziel für sich. Doch kann sie helfen, die fernsten Ziele der Menschheit zu erreichen. In diesem Sinne müssen Sozialismus und Kunst Hand in Hand gehen.

    „Kunst schaffen heißt Sprengstoff verfertigen. Der Tag wird kommen, da die Kunst ihr Dynamit gegen die Mauern des Schicksalsgefängnisses schleudern wird. Die Mauern werden sich auftun und das Gefängnis wird zum Leben.“ (A. Belyj)

    Dieses neue Leben wird sich mit der Kunst vereinigen. Dann werden Leben und Kunst eins.

    Das Leben ist schöpfend, sich immer bewegend, immer vorangehend; das Leben ist dynamisch. Die Kunst ist ein Teil dieser Bewegung. Beginnt sie zu erstarren, beginnt die Katastrophe. Alles, was starr wird im Leben, ist nicht mehr zu gebrauchen, und wenn es Kunst wäre. Was zu erstarren beginnt, wird historisch, ist nicht mehr schöpferisch, ist nicht mehr voller Lebensrhythmus. Gerade jetzt, da in der ganzen Welt die Umwertung aller Werte begonnen hat, sehen wir das am deutlichsten.

    In dieser Zeit der Kämpfe muss die Kunst Helfer und Freund der Kämpfenden sein. Im Zeitalter der Kämpfe suchen wir die Kunst auch im schönen, freien Leben auf. Dieser Vorgang zeigt sich in der intensiven, freien Wirkung des Geistes, in großen Menschenmassen, die zusammenfließen und sich in einem hinreißenden Rhythmus vereint bewegen. In unserem Zeitalter der Kämpfe zeigt sich diese Form der Kunstschöpfung am deutlichsten in der Theatertätigkeit. Das Theater ist schon an sich kollektiv; es ist eine Synthese der Künste und der Zukunft zugeneigt. Das Theater hat großen Einfluss auf die Menschenmassen. Zugleich zeigte es sich im Vergleich zu Kunstformen wie etwa der Malerei bisher als weniger fortschrittlich. Es hat sich weniger entwickelt, hat weniger gesucht, hat weniger Tradition ausgebildet, zumal bei uns in Lettland. Als das Theater unter der Last des Kapitalismus zu erstarren begann, traten Reformatoren auf den Plan, die einen Ausweg aus dieser Erstarrung suchten. Viele bedeutende Reformen kamen von Nicht-Professionellen, von Dilettanten, von Künstlern, von Literaten. Solche Reformatoren waren Stanislawski, Fuchs, Reinhardt, Craig, Jevreinov, Kommissarschewski, Tairow, Meyerhold. Schon mitten im Naturalismus hat Stanislawski alles Nötige gesagt und seine Schüler in Russland (das Dritte Studio) suchen nach neuen Wegen für die theatralische Form. Diese revolutionären Theater haben bereits eigene Schulen und eigene Traditionen geschaffen. Tairow – das Kammertheater, “Die Prinzessin Brambilla”, war eine synthetische Aufführung, wo alle Reiche des Theaters gemeinsam auftraten: Komödie, Tragödie, Ballett, Zirkus, Operette, alles vereint im gemeinsamen Rhythmus. Derzeit ist das Theater eine Art Experimentierkabinett, das neue Traditionen erschafft.

    Dieses Kabinett betrachtet den Kollektivismus als notwendig, weil seine neuesten Aufführungen Improvisationen sind, an denen das gesamte Personal beteiligt ist. Eine andere, eine nicht kabinettartige, sondern Leben bringende Tendenz geht auf die Straße und zeigt sich in Massenaufführungen, Volksfesten und Massenimprovisationen. Kollektivismus und Laienkunst sind ihre Fundamente. Hier versucht das Theater, mit dem Leben zusammenzufließen. Propheten dieses neuen Theaters sind Keržencev und Meyerhold. Das Theater reflektiert die Lebenswirklichkeit umfassender als andere Kunstgattungen. Die Musik ist Kunst in der Zeit, die Malerei Kunst im Raum. Die Dichtung strebt danach, Zeit und Raum zu vereinen. Das Theater aber vereint Raum und Zeit tatsächlich. Es führt zu Vereinigung, nicht zu Spaltung. Im Theater sind Musik und Malerei vereint, Bildhauerei und Architektur, Dichtung und Schauspielkunst. Der Künstler, der Regisseur, bringt all dies zusammen.

    Wir können das Theater-Leben, die Theater-Ekstase nicht auf einen Schlag entstehen lassen. Dafür ist die soziale Einheit notwendig. Wir müssen aber die Methode unserer Arbeit an der Zukunft ausrichten und nicht an der Vergangenheit. Am Aufbau des proletarischen Theaters können wir arbeiten, indem wir Menschen aus den Kreisen der Arbeiter zu uns rufen. Wie sollen solche Theaterwerkstätten beschaffen sein? In diesen Werkstätten sollen Menschen mit gemeinsamen Interessen zusammenwirken. Das Hauptaugenmerk soll auf kollektives Handeln gerichtet sein, um eine Verbindung herzustellen, die einem gemeinsamen Ziel dient: in jedem Schüler den Wunsch nach Selbsttätigkeit zu wecken, seine schöpferischen Instinkte zu wecken, seine Persönlichkeit sich entfalten zu lassen. Man muss in offenen Labors arbeiten. Man darf den Massen die Beteiligung nicht verweigern, und sei es nur die Beteiligung als kritisches Publikum.

    Auch heute ist das Theater gelegentlich nur Erholung und Genuß. Gelegentlich wird das Publikum durch das Theater belehrt, gelegentlich wird moralisiert. Oft ist das Theater eine Art lebendiges Feuilleton. Das revolutionäre Theater kann diesen Weg nicht einschlagen.

    Wie ein revolutionärer Politiker gegen das alte ökonomische und politische System und gegen die alte Moral protestiert, die den freien Geist der Menschheit tötet, so protestiert ein revolutionärer Künstler gegen überlebte, im Akademischen erstarrte Formen, die aus dem kapitalistischen System erwachsen sind, und wendet sich den neuen, frischen Kunstformen zu. Das naturalistische Theater ist zu eng, zu starr für die neuen Ideen und Bestrebungen. Das neue Theater sucht nach Symbolen, nach stilisiertem Realismus und nach Schlichtheit, um mit wenigen Mitteln in konzentrierter Form möglichst viel an Handlung und Gedanken zu vermitteln. Ein revolutionärer Inhalt sucht nach revolutionärer Form!

    Wie in der Malerei all die „Ismen“ – Kubismus, Expressionismus, Suprematismus – neue Wahrheiten für das Verständnis der Wesenheit der Kunst erbracht haben, so muss auch das Theater durch dieses Fegefeuer gehen, um Traditionen zu etablieren, ohne die keine Kunstgattung bestehen kann. Tairow hat im “Schleier der Pierrette” eines der Hauptelemente des Theaters ins Licht gerückt, die Handlung. Aber neben der Handlung gibt es auch noch “das Wort”, das sich nicht aus dem Theater vertreiben lässt.

    Im neuen Theater muss man neue, ursprüngliche Kräfte in Tätigkeit versetzen, Kräfte, deren Zeit noch kommen wird, um sie in Selbsttätigkeit und kollektives Schaffen einzubeziehen. Um aber die Menschen geistig zu befreien, muss man sie zuerst ökonomisch und politisch befreien. Je stärker der menschliche Geist von der Sehnsucht nach Freiheit angeregt wird, desto mehr Kraft wird er haben, um die äußeren Hindernisse zu überwinden, die er auf seinem Weg antrifft.

    Das Theater muss helfen, diese Sehnsucht nach Freiheit zu wecken. Das Theater muss zum Leitstern werden, der den Weg zum Aufgehen des Lebens in Kunst weist.

    Obdachlose Kinder in Moskau, 1920er Jahre

    Das Ensemble des Kindertheater-Kollektivs für das Stück Alinur, Orel, Russland, Juli 1920. Literatur- und Musikmuseum, Riga

    Eine Erinnerung
    von Asja Lācis

    Als ich die letzten Examen im Studio ablegte – wurde der Winterpalast in Petrograd erobert, die Rätemacht war da. Aus Petrograd sprang die Revolution nach Moskau über. Vereinzelte Gruppen der Junker hielten sich noch einige Tage. Das Studio arbeitete weiter. Wenn ich abends nach Hause ging, pfiffen die Kugeln über meinen Kopf. Die Revolution änderte die Beziehungen zwischen den Menschen, die Auffassung von der Arbeit, es eröffneten sich ganz neue Perspektiven. Im Studio bildeten sich feindliche Gruppen, man forderte eine sofortige Änderung des Repertoires und des Lehrplans. Ein großer Teil der Lehrer an der lettischen Flüchtlingsschule war überzeugt, daß die Sowjetmacht sich nicht lange halten würde. Aber die linken Schriftsteller, Lehrer und Studenten „witterten Morgenluft“.

    Als ich die ersten Aufrufe „An alle, an alle!“, unterzeichnet von Lenin, an den Mauern der Häuser las, war ich ganz für die Sowjetmacht. Ich wollte ein guter Soldat der Revolution sein und unter ihrer Führung das Leben verändern, und das Leben veränderte sich ringsum – das Theater drang auf die Straße vor und die Straße ins Theater. Der ‚Theateroktober‘ brach an.

    Das Veränderungstempo in den Theatern war verschieden – einige verhielten sich längere Zeit skeptisch und zögernd. Doktor Dappertutto aus Petersburg, der unermüdliche Experimentator, nahm als einer der ersten unter den Theaterleuten entschieden Stellung für die Sowjets. Er suchte Kontakt mit den Arbeitern in Fabriken, mit den Rotarmisten, mit dem Komsomol – und organisierte überall Theaterzirkel. Er trug Rotarmistenuniform. Seine Petrograder Inszenierung der „Eroberung des Winterpalais“ gab das Vorbild für Masseninszenierungen unter freiem Himmel, wo Tausende mitwirkten und Zehntausende zuschauten. Seine Inszenierungen revolutionärer Stücke: „Mysterium Buffo“, „Die Erde bäumt sich“, „Trust D. E.“ u. a. führten die früheren Versuche fort (Aufhebung der Rampe, Freilegung der Theatermaschinerie, Sprechen mit dem Publikum, „bedingter“ Dekorationsstil) und brachten wichtige Neuerungen (die parteiliche direkte Publizistik, soziologische Charakteristik, die offene revuehafte Dramaturgie, die Konstruktionsbühne usw.). Er wurde der Führer des Theateroktobers genannt. Meine Regisseur- und Kritikertätigkeit in Orel, Riga, Moskau, Kasachstan-und -Walmiera schuldet-.Meyerhold viel. Heute sehe ich deutlich, welche Kraft in seinem „bedingten Theater“ und in seiner Philosophie des Arrangements enthalten war und mit welch unerschöpflicher Phantasie er die theatralischen Ausdrucksmittel handhabte.

    1918 kam ich nach Orel. Ich sollte im Stadttheater von Orel als Regisseur arbeiten, also ein gebahnter Weg. Doch es kam anders.

    Auf den Straßen von Orel, auf den Marktplätzen, auf den Friedhöfen, in Kellern, in zerstörten Häusern sah ich Scharen verwahrloster Kinder: die Besprisorniki. Darunter waren Burschen mit schwarzen, monatelang nicht gewaschenen Gesichtern, zerlumpten Jacken, aus denen die Watte in Strähnen hing, breiten langen Wattehosen, die mit einem Strick festgebunden waren, bewaffnet mit Stöcken und Eisenstangen. Sie gingen immer in Gruppen, hatten einen Häuptling, stahlen, raubten, schlugen nieder. Kurz gesagt, es waren Räuberbanden – Opfer des Weltkriegs und Bürgerkriegs. Die sowjetische Regierung bemühte sich, die streunenden Kinder in Erziehungshäusern und Werkstätten seßhaft zu machen. Aber sie brachen immer wieder aus.

    In den städtischen Heimen waren die Kriegswaisen untergebracht. Ich besuchte sie. Diese Kinder hatten zu essen, waren sauber gekleidet, hatten ein Dach überm Kopf, aber sie blickten drein wie Greise: müde, traurige Augen, nichts interessierte sie. Kinder ohne Kindheit … Dagegen konnte man nicht gleichgültig bleiben, da mußte ich etwas tun, und ich begriff, daß Kinderliedchen und Reigen hier nicht genügten. Um sie aus ihrer Lethargie herauszuholen, bedurfte es einer Aufgabe, die sie ganz zu ergreifen und ihre traumatisierten Fähigkeiten freizusetzen vermochte. Ich wußte, welche ungeheure Kraft im Theaterspielen steckt. Ich wohnte in einem schönen aristokratischen Haus, wo, wie man erzählt, die Helden von Turgenjews „Adelsnest“ gelebt haben sollen. Die Zimmer hatten große gotisch geschnittene Fenster, man sah durch die alten Akazienbäume bis in die Flußniederung, Diese Räume waren wie geschaffen für Kindertheater. Ich ging zum Leiter des städtischen Volksbildungswesens und entwickelte ihm mein Projekt. Dem Iwan Michailowitsch Jurenew gefiel der Plan. Die Zimmer wurden vereinigt. Es entstand ein Saal, die Wände wurden mit Fresken geschmückt. Wir rechneten mit fünfzig Kindern, es kamen hunderte.

    Ich war überzeugt, daß man die Kinder durch das Spiel wecken und entwickeln könne. Einfach wäre es gewesen – ein passendes Kinderstück finden, die Rollen verteilen, mit den Kindern proben und die Aufführung fertigstellen. Das hätte gewiß die Kinder eine Zeitlang beschäftigen können, würde aber ihre Entwicklung kaum gefördert haben. Sobald man ein vorgegebenes Stück mit Kindern probt, arbeitet von Anfang an alles auf ein festes Ziel hin – die Premiere. Die Kinder spüren unablässig einen fremden Willen, der sie leitet und zwingt – den Willen des Regisseurs. Auf diesem Weg hätte ich mein Ziel nicht erreichen können – ihre ästhetische Erziehung, die Entwicklung ihrer ästhetischen und moralischen Fähigkeiten. Ich wollte die Kinder dazu bringen, daß ihr Auge besser sieht, ihr Ohr feiner hört, ihre Hände aus dem ungeformten Material nützliche Sachen gestalten. Dazu teilte ich die Arbeit in Sektionen ein. Um das Auge, das Sehen zu entwickeln, malten und zeichneten die Kinder. Diese Sektion leitete Viktor Schestakow, der später als Bühnenbildner mit Meyerhold arbeitete. Ein Pianist leitete die musikalische Erziehung. Dann gab es das technische Training; die Kinder bauten Requisiten, Gebäude, Tiere, Figuren usw. Weitere Sektionen meines Schulmodells in Orel waren Rhythmus und Gymnastik, Diktion und Improvisation. Verborgene Kräfte, die durch den Arbeitsprozeß freigesetzt, die Fähigkeiten, die ausgebildet wurden, vereinigten wir durch die Improvisation.

    So entstand das Spiel. Kinder spielten für Kinder. Das System von Beschäftigungen wurde in eine anspruchsvollere, zugleich kollektive ästhetische Form überführt. Die bürgerliche Erziehung war auf die Entwicklung einer besonderen Fähigkeit, eines besonderen Talents ausgerichtet. Sie fördert den Menschen einseitig. Um mit Brecht zu sprechen: sie will den einzelnen und seine Fähigkeiten „verwursten“. Die bürgerliche Gesellschaft verlangt von ihren Mitgliedern, daß sie so bald als möglich Waren produzieren. Dieses Prinzip wird in der Kindererziehung in allen seinen Aspekten offenbar. Wenn z. B. solche Kinder Theater spielen, so haben sie das Resultat vor Augen – die Aufführung, den Auftritt vor dem Publikum. Dabei geht die Freude am spielenden Produzieren verloren. Der Regisseur steht als Pädagoge fortwährend im Vordergrund und drillt die Kinder. (Ein treffender Witz: Was ist ein Telegrafenmast? Ein redigierter Tannenbaum. – Leider werden auch unsere Kinder sehr oft so redigiert.)

    Ziel der kommunistischen Erziehung ist es, auf Grund eines hohen allgemeinen Bildungsniveaus Produktivität freizusetzen, dies bei speziellen wie nichtspeziellen Begabungen. Meine proletarische Herkunft sowie das Studium bei Professor Bechterew in Petersburg verwiesen mich auf dieses Erziehungsprinzip, und ich versuchte, es in Orel auf die proletarisch-ästhetische Kindererziehung anzuwenden.

    Ausgangspunkt für Erzieher und zu Erziehende war für uns die Beobachtung. Die Kinder beobachten die Dinge, ihre Beziehungen zueinander und ihre Veränderbarkeit; die Erzieher beobachten die Kinder daraufhin, was sie erreicht haben und wie weit sie ihre Fähigkeiten produktiv anwenden können. Nicht nur im Studio wurde das Beobachten geübt und durch das Zeichnen, Malen, Musizieren weitergeführt, sondern auch im Freien. Früh am Morgen und wieder am Abend gingen wir mit den Kindern nach draußen und machten sie aufmerksam, wie die Farben durch Entfernung und Tageszeit sich ändern, wie verschieden Töne und Geräusche morgens und abends klingen, und daß die Stille singen kann …

    Mit den Kindern, die aus den städtischen Heimen ins Turgenjew-Haus kamen, gab es keine Schwierigkeiten. An die Besprisorniki aber kam ich lange Zeit nicht heran. Als ich sie das erste Mal auf dem Markt ansprach und sie aufforderte, zu uns zu kommen, verhöhnten sie mich, drohten mit Stöcken und schickten mich dorthin, wofür es im Deutschen vielleicht gar kein Wort gibt. Aber ich kam wieder. Sie gewöhnten sich an mich und an unsere Dispute, so daß, wenn ich längere Zeit ausblieb und dann wiederkam, sie mich als alte Bekannte mit Geheul umringten.

    Im Turgenjew-Haus ging die Arbeit unterdessen weiter. Wir beobachteten, daß die Kinder schon danach verlangten, Phantasie und erworbene Fähigkeiten an Objekten zu materialisieren. Eine wichtige Etappe, denn dieses Bedürfnis will befriedigt werden, soll die kindliche Phantasie sich nicht verirren. Wir gingen also zu Improvisationen mit konkreten Stoffen über.

    Ich hatte ein Kinderstück von Meyerhold gewählt: „Alinur“ (nach dem Märchen von Oscar Wilde „Der Sternenknabe“). Die Kinder wußten von meinen Plänen nichts. Ich gab ihnen als Improvisationsaufgabe eine Szene daraus: Räuber sitzen im Wald um ein Feuer und prahlen mit ihren Taten. Mitten in eine solche Szene fiel dann, wenig später, der erste Besuch der Besprisorniki in unserem Haus. Die Kinder sprangen auf und wollten vor den Eindringlingen flüchten. Diese sahen zum Fürchten aus: Papierhelme auf dem Kopf, gepanzert mit Zweigen und Blechstücken, in den Händen Piken und Stöcke. Ich überredete die Kinder, weiter zu improvisieren und auf die Eindringlinge nicht zu achten. Nach einer Weile trat Wanjka, ihr Häuptling, in den Kreis der Spielenden, gab seiner Gruppe einen Wink – sie drängten die Kinder beiseite und begannen, selber die Szene zu spielen. Sie renommierten mit Mordtaten, Brandstiftungen, Beraubungen, wobei sie sich gegenseitig an Grausamkeiten zu übertrumpfen suchten. Dann standen sie auf und schauten mit höhnischer Verachtung unsere Kinder an: „So sind Räuber!!“ Allen pädagogischen Regeln zufolge hätte ich ihre wilden und schamlosen Reden unterbrechen müssen – doch ich wollte Einfluß auf sie gewinnen. Ich gewann das Spiel tatsächlich – die Besprisorniki kamen wieder und wurden später das Aktiv unseres Kindertheaters.

    Das improvisierende Spiel war für die Kinder Glück und Abenteuer. Sie begriffen viel, und ihr Interesse regte sich. Es wurde ernsthaft gearbeitet – geschnitten, geklebt, getanzt und gesungen, Texte wurden gelernt. So entstand die Figur vom tatarischen bösen Knaben Alinur, der seine Mutter beleidigte und andere Kinder terrorisierte. Das Stück öffentlich aufzuführen wurde erst dann diskutiert, als die Arbeit der einzelnen Sektionen zur Synthese drängte. Da entstand die Forderung eines kollektiven Tuns – die moralisch-politische Erziehung im sozialistischen Sinne – und der Wunsch, das Spiel auch den Kindern der ganzen Stadt zu zeigen. Die öffentliche Aufführung wurde zu einem Fest. Die Kinder unseres Studios gingen in einer Art Karnevalszug zur Freilichtbühne der Stadt. Sie trugen die Tiere, die Masken, die Requisiten und Dekorationsteile durch die Straßen und sangen dazu. Kleine und große Zuschauer schlossen sich an. Abends folgten uns viele auf dem Rückweg zum Turgenjew-Haus. Unsere Methode hatte sich bewährt. Wir erhielten den Beweis, daß es richtig war, die Leiter gänzlich zurücktreten zu lassen. Die Kinder glaubten, daß sie alles selber machten – und spielend schafften sie es. Ideologie wurde den Kindern nicht aufgedrängt und nicht eingedrillt, sie eigneten sich an, was ihren Erfahrungen entsprach. Auch wir, die Erzieher, lernten und sahen vieles nett. Wie leicht Kinder sich Situationen anpassen können, wie erfinderisch sie sind und wie empfindlich sie reagieren. Selbst Kinder, die unbegabt und begrenzt schienen, zeigten unerwartete Fähigkeiten und Talente. Bei der Aufführung lösten sich überraschend Spannungen, die die wilde Phantasie ihrer Erfindungen sichtbar machte.

    1928 in Berlin erzählte ich von meiner Arbeit Johannes R. Becher und Gerhart Eisler. Das Modell einer ästhetischen Kindererziehung gefiel ihnen, und sie schlugen vor, ein solches Kindertheater im Liebknecht-Haus zu errichten. Ich sollte das Programm ausarbeiten. Walter Benjamin hatte schon in Capri (1924) von meinem-Kindertheater erfahren und ein außerordentliches Interesse daran gezeigt. „Ich werde das Programm schreiben“, sagte er, „und deine praktische Arbeit theoretisch darlegen und begründen.“ Er schrieb es wirklich. Aber in der ersten Fassung wurden meine Thesen ungeheuer kompliziert dargestellt. Im Liebknechthaus las man und lachte: Das hat dir ja Benjamin geschrieben! Ich gab Walter Benjamin das Programm zurück, er solle verständlicher schreiben. So entstand das „Programm eines proletarischen Kindertheaters“ in einer zweiten Fassung (die erste ist noch nicht wieder aufgefunden).

    Aus dem Lettischen übersetzt von Beata Paškevica

    Pamphlet mit Walter Benjamins „Programm eines proletarischen Kindertheaters“, (Zentralrat der sozialistischen Kinderläden West-Berlin, 1969), 21 × 15,5 cm. Walter Benjamin Archiv, Berlin

    Programm eines proletarischen Kindertheaters
    von Walter Benjamin

    Vorbemerkung

    Jede proletarische Bewegung, die einmal dem Schema der parlamentarischen Diskussion entronnen ist, sieht unter den vielen Kräften, denen sie plötzlich unvorbereitet gegenübersteht, als die allerstärkste aber auch allergefährlichste vor sich die neue Generation. Die Selbstsicherheit des parlamentarischen Stumpfsinns kommt gerade daher, daß die Erwachsenen unter sich bleiben. Über Kinder dagegen haben Phrasen gar keine Gewalt. In einem Jahre kann man erreichen, daß im ganzen Lande die Kinder sie nachsprechen. Die Frage ist aber, wie man es erreicht, daß in zehn oder zwanzig Jahren nach dem Parteiprogramm gehandelt wird. Und dazu vermögen Phrasen nicht das mindeste.

    Die proletarische Erziehung muß vom Parteiprogramm, genauer: aus dem Klassenbewußtsein, aufgebaut sein. Aber das Parteiprogramm ist kein Instrument einer klassenbewußten Kindererziehung, weil die an sich höchst wichtige Ideologie das Kind nur als Phrase erreicht. Wir fragen ganz einfach, aber wir werden auch nicht aufhören zu fragen, nach den Instrumenten der klassenbewußten Erziehung proletarischer Kinder. Dabei werden wir vom wissenschaftlichen Unterricht im folgenden absehen, weil viel früher als Kinder (in Technik, Klassengeschichte, Beredsamkeit etc.) proletarisch gelehrt werden können, sie proletarisch erzogen werden müssen. Mit dem vierten Lebensjahr beginnen wir.

    Die bürgerliche Erziehung der kleineren Kinder ist, der Klassenlage der Bourgeoisie entsprechend, systemlos. Selbstverständlich hat die Bourgeoisie ihr Erziehungssystem. Die Unmenschlichkeit seiner Inhalte verrät sich eben nur darin, daß sie vor dem frühen Kindesalter versagen. Auf dieses Alter kann nur das Wahre produktiv wirken. Von der bürgerlichen Erziehung der kleinen Kinder hat die proletarische zuallererst durch System sich zu unterscheiden. System aber heißt hier Rahmen. Es wäre für das Proletariat ein ganz unerträglicher Zustand, wenn so wie in den Kindergärten der Bourgeoisie alle sechs Monate eine neue Methode mit den neuesten psychologischen Raffinements in ihre Pädagogik den Einzug hielt. Überall, und da macht die Pädagogik gar keine Ausnahme, ist das Interesse an der „Methode“ eine echt bourgeoise Einstellung, die Ideologie des Weiterwurstelns und der Faulenzerei. Die proletarische Erziehung braucht also unter allen Umständen zuerst einmal einen Rahmen, ein sachliches Gebiet, in dem erzogen wird. Nicht, wie die Bourgeoisie, eine Idee, zu der erzogen wird.

    Wir begründen jetzt, warum der Rahmen der proletarischen Erziehung vom vierten bis zum vierzehnten Lebensjahre das proletarische Kindertheater ist.

    Die Erziehung des Kindes erfordert: es muß ein ganzes Leben ergriffen werden.

    Die proletarische Erziehung erfordert: es muß in einem begrenzten Gebiet erzogen werden.

    Das ist die positive Dialektik der Frage. Weil nun das ganze Leben in seiner unabsehbaren Fülle gerahmt und als Gebiet einzig und allein auf den Theater erscheint, darum ist das proletarische Kindertheater für das proletarische Kind der dialektisch bestimmte Ort der Erziehung.

    Schema der Spannung

    Dahingestellt lassen wir, ob nicht oder ob doch das Kindertheater, von dem nun die Rede sein wird, den genauesten Zusammenhang mit dem großen Theater auf den Höhepunkten seiner Geschichte hat. Dagegen müssen wir mit aller Entschiedenheit feststellen, daß dieses Theater nichts gemein hat mit dem der heutigen Bourgeoisie. Das Theater der heutigen Bourgeoisie wird ökonomisch durch den Profit bestimmt; soziologisch ist es vor und hinter den Kulissen vor allem Instrument der Sensation. Anders das proletarische Kindertheater. So wie der erste Griff der Bolschewiki die rote Fahne erhob, so organisierte ihr erster Instinkt die Kinder. In dieser Organisation hat sich als Zentrum das proletarische Kindertheater, Grundmotiv der bolschewistischen Erziehung, entwickelt. Zu diesem Faktum gibt es die Gegenprobe. Sie geht auf. Nichts gilt der Bourgeoisie für Kinder so gefährlich wie Theater. Das ist nicht nur ein restlicher Effekt des alten Bürgerschrecks, der kinderraubenden fahrenden Komödianten. Hier sträubt vielmehr sich das verängstete Bewußtsein, die stärkste Kraft der Zukunft in den Kindern durch das Theater aufgerufen zu sehen. Und dies Bewußtsein heißt die bürgerliche Pädagogik das Theater ächten. Wie würde sie erst reagieren, wo das Feuer - in welchem Wirklichkeit und Spiel für Kinder sich verschmelzen, so eins werden, daß gespielte Leiden in echte, gespielte Prügel in wirkliche übergehen können - aus der Nähe ihr spürbar wird.

    Jedoch: die Aufführungen dieses Theaters sind nicht wie die der großen Bourgeoisietheater das eigentliche Ziel der angespannten Kollektivarbeit, die in den Kinderklubs geleistet wird. Hier kommen Aufführungen nebenbei, man könnte sagen: aus Versehen, zustande, beinahe als ein Schabernack der Kinder, die auf diese Wiese einmal das grundsätzlich niemals abgeschlossene Studium unterbrechen. Der Leiter legt auf diesen Abschluß weniger Wert. Ihm kommt es auf die Spannungen an, welche in solchen Aufführungen sich lösen. Die Spannungen der kollektiven Arbeit sind die Erzieher. Die übereilte, viel zu späte, unausgeschlafene erzieherische Arbeit, die der bourgeoise Regisseur am Bourgeoisschauspieler vollzieht, fällt in diesem System fort. Warum? Weil im Kinderklub kein Leiter sich halten könnte, der irgendwo den echt bourgeoisen Versuch unternehmen wollte, unmittelbar als „sittliche Persönlichkeit“ auf Kinder zu wirken. Moralische Einwirkung gibt es hier nicht. Unmittelbare Einwirkung gibt es hier nicht. (Und auf diesen beruht die Regie im bourgeoisen Theater.) Was zählt, ist einzig und allein die mittelbare Einwirkung des Leiters auf Kinder durch Stoffe, Aufgaben, Veranstaltungen. Die unvermeidlichen moralischen Ausgleichungen und Korrekturen nimmt das Kollektivum der Kinder selbst an sich vor. Daher kommt es, daß die Aufführungen des Kindertheaters auf Erwachsene als echte moralische Instanz wirken müssen. Es gibt keinen möglichen Standort für überlegenes Publikum vorm Kindertheater. Wer noch nicht ganz verblödet ist, der wird sich vielleicht schämen.

    Aber auch das führt nicht weiter. Proletarische Kindertheater erfordern, um fruchtbar zu wirken, ein Kollektiv als Publikum ganz unerbittlich. Mit einem Worte: die Klasse. Wie denn andererseits nur die Arbeiterklasse ein unfehlbares Organ für das Dasein der Kollektiva besitzt. Solche Kollektiva sind die Volksversammlung, das Heer, die Fabrik. Solch ein Kollektivum ist aber auch das Kind. Und es ist das Vorrecht der Arbeiterklasse, für das kindliche Kollektivum, welches der Bourgeoisie nie zu Gesicht kommen kann, das offenste Auge zu haben. Dieses Kollektivum strahlt nicht nur die gewaltigsten Kräfte aus, sondern die aktuellsten. Unerreicht ist in der Tat die Aktualität kindlichen Formens und Gebarens. (Wir verweisen auf die bekannten Ausstellungen der neuesten Kinderzeichnung.)

    Das Kaltstellen der „moralischen Persönlichkeit“ im Leiter macht ungeheure Kräfte frei für das eigentliche Genie der Erziehung: die Beobachtung. Sie allein ist das Herz der unsentimentalischen Liebe. Jede erzieherische Liebe, welcher nicht in neun Zehntel aller Fälle des Besserwissens und des Besserwollens die Beobachtung des kindlichen Lebens selbst den Mut und die Lust verschlägt, taugt nichts. Sie ist sentimental und eitel. Der Beobachtung aber – hier fängt Erziehung erst an – wird jede kindliche Aktion und Geste zum Signal. Nicht so sehr, wie dem Psychologen beliebt, Signal des Unbewußten, der Latenzen, Verdrängungen, Zensuren, sondern Signal aus einer Welt, in welcher das Kind lebt und befiehlt. Die neue Erkenntnis vom Kinde, die in den russischen Kinderklubs sich ausbildete, hat zu dem Lehrsatz geführt: das Kind lebt in seiner Welt als Diktator. Daher ist eine „Lehre von den Signalen“ keine Redensart. Fast jede kindliche Geste ist Befehl und Signal in einer Umwelt, in welche nur selten geniale Menschen einen Blick eröffnet haben. Allen voran tat es Jean Paul.

    Es ist die Aufgabe des Leiters, die kindlichen Signale aus dem gefährlichen Zauberreich der bloßen Phantasie zu erlösen und sie zur Exekutive an den Stoffen zu bringen. Das geschieht in den verschiedenen Sektionen. Wir wissen, daß – um von der Malerei allein zu sprechen – das Wesentliche auch in dieser kindlichen Betätigungsform die Geste ist. Konrad Fiedler hat in seinen „Schriften über Kunst“ als erster bewiesen, daß der Maler kein Mann ist, der naturalistischer, poetischer oder ekstatischer sieht als andere Leute. Vielmehr ein Mann, der mit der Hand da näher zusieht, wo das Auge erlahmt, der die aufnehmende Innervation der Sehmuskeln in die schöpferische Innervation der Hand überführt. Schöpferische Innervation in exaktem Zusammenhang mit der rezeptiven ist jede kindliche Geste. Die Entwicklung dieser kindlichen Geste zu den verschiedenen Formen des Ausdrucks, als Anfertigung von Requisiten, Malerei, Rezitation, Musik, Tanz, Improvisation fällt den verschiedenen Sektionen zu.

    In ihnen allen bleibt die Improvisation zentral; denn schließlich ist die Aufführung nur die improvisierte Synthese aus ihnen. Die Improvisation herrscht; sie ist die Verfassung, aus der die Signale, die signalisierenden Gesten auftauchen. Und Aufführung oder Theater muß eben darum die Synthese dieser Gesten sein, weil nur sie die unversehentliche Einmaligkeit hat, in welcher die kindliche Geste als in ihrem echten Raume steht. Was man als runde „Leistung“ aus Kindern herausquält, kann nie an Echtheit mit der Improvisation sich messen. Der aristokratische Dilettantismus, der es auf solche „Kunstleistungen“ der armen Zöglinge abgesehen hatte, füllte schließlich nur deren Schränke und Gedächtnis mit Plunder, der sehr pietätvoll behütet wurde, um in Erinnerung an die frühere Jugend die eigenen Kinder wiederum zu plagen. Nicht auf die „Ewigkeit“ der Produkte, sondern auf den „Augenblick“ der Geste stellt alle kindliche Leistung es ab. Das Theater als die vergängliche Kunst ist die kindliche.

    Schema der Lösung

    Dem erzieherischen Aufbau der Arbeit in den Sektionen steht die Aufführung gegenüber als der Spannung die Lösung. Vor ihr tritt der Leiter gänzlich zurück. Denn keine pädagogische Klugheit kann vorhersehen, wie Kinder die geschulten Gebärden und Fertigkeiten mit tausend überraschenden Varianten zu einer theatralischen Totalität zusammenfassen. Kommt schon für den Berufsschauspieler die Erstaufführung als ein Anlaß der glücklichsten Varianten in der einstudierten Rolle nicht selten in Betracht, so bringt sie im Kinde das Genie der Variante zur vollen Herrschaft. Die Aufführung steht der erzieherischen Schulung gegenüber als die radikale Entbindung des Spiels, dem der Erwachsene einzig und allein zusehen kann.

    Die Verlegenheiten der Bourgeoisen Pädagogik und der heranwachsenden Bourgeoisie machen sich neuerdings in der Bewegung für „Jugendkultur“ Luft. Der Widerstreit, den diese neue Tendenz zu vertuschen bestimmt ist, liegt in den Ansprüchen der bürgerlichen, wie jeder politischen, Gesellschaft an die unmittelbar politisch niemals zu belebenden Energien der Jugend. Vor allem der kindlichen. Nun versucht „Jugendkultur“ den aussichtslosen Kompromiß: sie entleert den jugendlichen Enthusiasmus durch idealistische Reflektionen über sich selbst, um unmerklich die formalen Ideologien des deutschen Idealismus durch die Inhalte der Bürgerklasse zu ersetzen. Das Proletariat darf sein Klasseninteresse an den Nachwuchs nicht mit den unsauberen Mitteln einer Ideologie heranbringen, die bestimmt ist, die kindliche Suggestibilität zu unterjochen. Die Disziplin, welche die Bourgeoisie von den Kindern verlangt, ist ihr Schandmal. Das Proletariat diszipliniert erst die herangewachsenen Proletarier; seine ideologische Klassenerziehung setzt mit der Pubertät ein. Die proletarische Pädagogik erweist ihre Überlegenheit, indem sie Kindern die Erfüllung ihrer Kindheit garantiert. Der Bezirk, in dem dies geschieht, braucht darum nicht vom Raum der Klassenkämpfe isoliert zu sein. Spielweise können - ja müssen vielleicht - seine Inhalte und Symbole sehr wohl in ihm Platz finden. Eine förmliche Herrschaft über das Kind aber können sie nicht antreten. Sie werden das nicht beanspruchen. So bedarf es denn auch im Proletariat all der tausend Wörtchen nicht, in denen die Bourgeoisie die Klasseninteressen ihrer Pädagogik maskiert. Auf „unbefangene“, „verständnisvolle“, „einfühlende“ Praktiken, auf „kinderliebe“ Erzieherinnen wird man verzichten können.

    Die Aufführung ist die große schöpferische Pause im Erziehungswerk. Sie ist im Reiche der Kinder, was der Karneval in alten Kulten gewesen ist. Das oberste wird zuunterst gekehrt und wie in Rom an den Saturnalien der Herr den Sklaven bediente, so stehen während der Aufführung Kinder auf der Bühne und belehren und erziehen die aufmerksamen Erzieher. Neue Kräfte, neue Innervationen treten auf, von denen oft dem Leiter unter der Arbeit nichts ahnte. Erst in dieser wilden Entbindung der kindlichen Phantasie lernt er sie kennen. Kinder, die so Theater gespielt haben, sind in dergleichen Aufführungen frei geworden. Im Spielen hat sich ihre Kindheit erfüllt. Sie nehmen keine Restbestände mit, die später eine unsentimentale Aktivität durch larmoyante Kindheitserinnerungen hemmen. Dieses Theater ist zugleich für den kindlichen Zuschauer das einzig brauchbare. Wenn Erwachsene für Kinder spielen, kommt Lafferei heraus.

    In diesem Kindertheater liegt eine Kraft, welche das pseudorevolutionäre Gebaren des jüngsten Theaters der Bourgeoisie vernichten wird. Denn wahrhaft revolutionär wirkt nicht die Propaganda der Ideen, die hier und da zu unvollziehbaren Aktionen anreizt und vor der ersten nüchternen Besinnung am Theaterausgang sich erledigt. Wahrhaft revolutionär wirkt das geheime Signal des Kommenden, das aus der kindlichen Geste spricht.

    Asja Lācis — Wikipédia
    https://fr.wikipedia.org/wiki/Asja_L%C4%81cis

    Bolchévique dans les années 1920, Asja Lācis est devenue célèbre avec ses troupes de théâtre prolétariennes pour les enfants et ses spectacles d’agitprop dans la Russie soviétique et la Lettonie.

    En 1922, elle se rend en Allemagne, où elle fait la connaissance de Bertolt Brecht et Erwin Piscator, qu’elle initie aux idées de Vsevolod Meyerhold et Vladimir Maïakovski.

    En 1924, elle rencontre le philosophe et critique allemand Walter Benjamin, lors d’un séjour à Capri, où celui-ci séjournait en même temps qu’Ernst Bloch. Elle entretient pendant plusieurs années une relation intermittente, à la fois intellectuelle et sentimentale, avec lui. Celui-ci lui rend visite à Moscou et à Riga. Ils se retrouvent encore à Francfort ou à Naples. Benjamin dira qu’Asja Lācis est l’une des trois femmes qui, intellectuellement et sentimentalement, comptèrent le plus dans sa vie : « Chaque fois que j’ai connu un grand amour, j’ai constaté dans ma vie un changement aussi fondamental que je me suis étonné » écrit-il plus tard à propos de cette rencontre, et il ajoute « Un véritable amour me fait ressembler à la femme que je l’aime. » Dans ce cas, la transformation a entraîné un changement de direction politique, puisque Asja Lācis est considérée comme celle qui a initié Benjamin au marxisme et qui est responsable de l’attrait du philosophe pour le « communisme radical 1. »

    Après avoir été emprisonnée pendant plusieurs années dans la Russie stalinienne, elle s’installe dans la Lettonie soviétique en 1948 et y reste avec son mari, le critique de théâtre allemand Bernhard Reich, jusqu’à sa mort. C’est seulement à ce moment, qu’elle apprend, par l’intermédiaire de Bertolt Brecht, le suicide de Walter Benjamin.

    De 1950 à 1957, elle est directrice du Valmiera Drama Theatre, où elle monte des spectacles d’avant-garde, marqués par l’idéologie de gauche. Sa fille, Dagmara Ķimele, la dépeint dans ses mémoires parus en 1996, comme une mère égoïste et sans amour.

    La petite-fille d’Asja Lācis est la célèbre directrice de théâtre lettonne Māra Ķimele.

    #théâtre #politique #histoire