Führer hört mit | Telepolis
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14. Juni 2013 - von Markus Kompa
Die NSA des Dritten Reichs
Hitler verdankte seinen Machterhalt nicht zuletzt seinem Abhörgeheimdienst „Forschungsamt“, der Freund und Feind gleichermaßen belauschte
Zu den größten Staatsgeheimnissen des Dritten Reichs gehörte Hitlers Abhörgeheimdienst. Unter der Tarnung als „Forschungsamt (FA) des Reichsluftfahrtministeriums“ waren bis zu 6.000 Personen damit beschäftigt, vor allem das eigene Volk abzuhören. Die gigantische Organisation verfügte in jeder deutschen Großstadt über eine Niederlassung und war in der Lage, jedes deutsche Telefon abzuhören. Die damals für das Fernmeldewesen zuständige Post war ohnehin in Staatshand.
Ersonnen hatte das Unternehmen der Funkaufklärer Gottfried Schapper, NSDAP-Mitglied seit 1920. Bereits 1927 hatte er versucht, die verstreuten Abhör- und Entschlüsselungsabteilungen des Reichswehrministeriums zu zentralisieren. Schappers Vision vom Überwachungsstaat stieß jedoch bei Hitler im März 1933 auf Interesse. Zuvor waren Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis aufgehoben worden. Die Realisierung oblag Hermann Göring, der die Geheime Staatspolizei (Gestapo) aufzog und für das Reichsluftfahrtministerium zuständig war.
Gottfried Schapper
Die Behörde, die selbst in keinem Telefonbuch stand, wurde in der Schillerstraße in Berlin-Charlottenburg untergebracht und brachte es auf sagenhafte 1.900 Büros, übertraf damit also die anderen Geheimdienste Abwehr und Gestapo. An diese durften Informationen nur mit Görings Einwilligung weitergegeben werden.
In Berlin lasen die Abhörer täglich bis zu 34.000 inländische und 9.000 Auslands-Telegramme und Fernschreiben mit, was dadurch erleichtert wurde, dass das europäische Kabelnetz durch Berlin und Wien verlief. Als ertragreich erwies sich das Abhören von Diplomaten, was nicht nur Hitler taktische Vorteile verschaffte, sondern auch ermöglichte, belauschte despektierliche Äußerungen zu streuen und dadurch Zwietracht zu sähen.
Hitlers Lauschgeheimdienst erklärt nicht nur dessen Gabe zur „Vorsehung“, sondern spielte auch eine wesentliche Rolle für seinen innerparteilichen Machterhalt. So war der argwöhnische Diktator nicht nur über Kritiker informiert, sondern kontrollierte auch seine eigenen Leute. Propagandaminister Joseph Goebbels befahl er etwa, sich von seiner Geliebten Lida Baarova zu trennen. Ab dem Zweiten Weltkrieg wurden abgehörte NS-Kritiker von der Gestapo in Konzentrationslager gesteckt.
Die Lauscher begnügten sich nicht nur mit dem Anzapfen von Telefonen, sondern verwanzten auch Gebäude mit versteckten Mikrofonen. Legendär ist der „Salon Kitty“, ein Berliner Bordell, in dem 1939 bis 1942 die deutschen Geheimdienste die mitunter illustren Gäste abhörten und Kompromat sammelten.
Neben der Überwachung des eigenen Landes spielte das militärische Abhören eine wesentliche Rolle. Bereits die „Schlacht bei Tannenberg“ (1914) war deshalb gegen eine Übermacht gewonnen worden, weil die Funkaufklärung die Pläne des russischen Generalstabs abgehört hatte.
Auch Rommels strategische Erfolge und seine sprichwörtliche Hellsichtigkeit (etwa in Nordafrika) hatte dieser seiner fähigen Horchkompanie und ihren Codeknackern zu verdanken. Funktäuschungen wurden ein fester Bestandteil der Kriegsführung. Die US-Strategen maßen dem Aufbau ihres 1944 gegründeten Abhörgeheimdienstes „Target Intelligence Committee (TICOM)“ höchste Priorität bei, während umgekehrt die deutschen Generäle vor Angriffen gesteigerten Wert auf die strikte Wahrung von Funkstille legten.
Nach den Bombenangriffen Ende 1943 war die Berliner Lauschzentrale kaum noch einsatzfähig. Ab Januar 1945 vernichteten die Abhörer fast alle ihre Akten, damit diese nicht dem Feind in die Hände fielen. Ende April 1945 versenkten Soldaten die letzten Kisten mit wichtigem geheimen Material in einem See an der tiefsten Stelle. Die Alliierten suchten bis in die 50er Jahre vergeblich nach den Geheimnissen der Deutschen, einige FA-Dokumente fand man in einer Außenstelle in Flensburg. Die GRU verhörte in Moskau ca. 50 FA-Leute, um Hitlers Geheimwissen zu rekonstruieren.
Der gigantische Abhördienst der Nazis geriet zum Vorbild für die Geheimdienste des Kalten Kriegs. So hat die aus dem TICOM hervorgegangene „National Security Agency (NSA)“ an die 40.000 Mitarbeiter, also etwa doppelt so viele wie der Auslandsgeheimdienst „Central Intelligence Agency (CIA)“, der zudem ebenfalls über eine hauseigene Abhörabteilung verfügte. In der Geheimdienstwelt gelten die Abhörer stets als die wertvollsten Abteilungen, weil die beschafften Informationen meistens zuverlässig sind. Während angeworbene Agenten zum Aufschneiden und Lügen neigen, pflegen belauschte Personen ihr Wissen zuverlässig und ohne taktische Auswahl preisgeben.
Ausgerechnet Überwachungseiferer Schapper wurde selbst ein Sicherheitsrisiko. So schüttete der immer mehr dem Alkohol zusprechende Schapper häufig sein Herz einem Freund aus, dessen Bruder für den sowjetischen Geheimdienst GRU spionierte, wo man Schappers Informationen zu schätzen wusste.
(Der Autor bedankt sich beim Geheimdiensthistoriker Peter-Ferdinand Koch für die freundliche Überlassung eines Manuskripts über die Geschichte geheimdienstlichen Abhörens.)
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