Unter Druck gesetzt (Tageszeitung junge Welt)

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  • Unter Druck gesetzt
    Bei Amnesty International herrschen, wie ein Bericht zeigt, miserable Arbeitsbedingungen
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    Mobbing, Beleidigungen, Diskriminierung und Machtmissbrauch – das Betriebsklima in der Londoner Zentrale und einigen Regionalbüros der Organisation Amnesty International (AI) ist miserabel. Das geht aus einer Untersuchung hervor, die AI im vorigen Jahr selbst in Auftrag gegeben hat, nachdem sich zwei Mitarbeiter das Leben genommen hatten.

    Die Berater der beauftragten Konterra Group führten zahlreiche Gespräche mit Mitarbeitern, beobachteten den Umgang der Kollegen untereinander. Ihr Fazit ist vernichtend, erst recht für eine Organisation, die vorgibt, sich für Menschenrechte einzusetzen: Die Führung hat das Vertrauen der Belegschaft verloren. Die Atmosphäre sei »vergiftet«. »Amnesty International hat den Ruf, großartige Arbeit zu machen, aber ein harter Arbeitsplatz zu sein«, heißt es in dem Report. Die Supervisoren warnen, kritisierte Regierungen und andere Gegner könnten die Zustände nutzen, um AI zu diskreditieren.

    »Zu hören, dass unsere Angestellten von einer Kultur der Heimlichtuerei und des Misstrauens sprechen, in der Diskriminierung, Mobbing und Machtmissbrauch stillschweigend geduldet wurden, ist zutiefst beunruhigend«, schrieb AI-Generalsekretär Kumi Naidoo am 31. Januar in einem Brief an die Mitarbeiter, der auf der AI-Homepage nachzulesen ist.

    Naidoo ist erst seit vorigem August im Amt. In den ersten Monaten seien zahlreiche Mitarbeiter zu ihm gekommen, um sich über das Betriebsklima zu beklagen, berichtet er. »Es ist völlig offensichtlich, dass es ein großes Defizit bei der Sorge und Unterstützung der Belegschaft gibt.«

    Die deutsche Sektion von Amnesty in Berlin wollte sich auf Nachfrage von junge Welt nicht zum Konterra-Bericht äußern. Auch nicht dazu, ob im deutschen Hauptquartier ein ähnliches Arbeitsklima herrscht. Pressesprecher Hyun-Ho Cha verwies für eine Stellungnahme auf die Zentrale in London.

    Die AI-Abteilung in den Niederlanden hält sich weniger bedeckt. »Wir sind ernsthaft erschrocken«, heißt es in einem Statement vom Mittwoch. Das Betriebsklima in London müsse unbedingt wieder mit den Werten der Organisation in Einklang gebracht werden. In den Niederlanden sei aber alles in Ordnung. »Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass bei Amnesty Nederland von einem problematischen Arbeitsklima gesprochen wird.«

    Generalsekretär Naidoo deutet in seinem offenen Brief vom 31. Januar an, dass die internen Probleme bereits länger existierten, vielleicht schon Jahre. Andere sprechen sogar von Jahrzehnten, wie die Irish Times am Mittwoch berichtete. Doch niemand habe sich wirklich dafür interessiert. Erst zwei Selbstmorde hätten vielen die Augen geöffnet.

    Am 26. Mai 2018 war der 65jährige Gaëtan Mootoo tot im AI-Büro in Paris aufgefunden worden. Er hatte seit seit mehr als 30 Jahren für die Organisation gearbeitet und gehörte damit zu den dienstältesten Mitarbeitern. Sein Spezialgebiet war Westafrika. In seinem Abschiedsbrief teilte er mit, er habe die Unterstützung der Organisation vermisst. Im Büro in Paris sei er seit einiger Zeit praktisch isoliert gewesen, ergab die polizeiliche Untersuchung. »Er beklagte sich niemals über seine Arbeit. Niemals! Sondern immer über die fehlende Unterstützung«, sagte ein Kollege in dem Abschlussbericht, aus dem Guardian im Oktober zitierte.

    Nur einen Monat später nahm sich eine 28jährige Frau in Großbritannien das Leben. Sie war bis eine Woche vor ihrem Tod im Genfer AI-Büro als Praktikantin beschäftigt. Auch dieser Fall wurde von unabhängiger Seite untersucht. Die Expertise spricht AI in diesem Fall von einer Mitschuld frei.

    »Niemand in der Organisation sollte sich isoliert, unterbewertet oder missachtet fühlen«, schrieb Naidoo bereits im November 2018, als er die Hintergründe der Suizide auf dem Tisch liegen hatte. Der Generalsekretär hatte damals angekündigt, Konterra mit der Evaluierung zu beauftragen.