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    De la continuité du régime nazi après 1945

    Alte und neue Nazis nach 1945 in Westdeutschland

    Dass es über den 8. Mai 1945 hinaus eine faschistische Kontinuität in Westdeutschland gab, ist hinreichend bekannt. Spätestens seit der Ohrfeige, die Beate Klarsfeld 1968 dem damals amtierenden Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) verpasste, wurde öffentlich, dass eine NSDAP-Mitgliedschaft und auch Funktionen im NS-Staat kein Hindernis für eine politische Karriere und das Bekleiden hoher politischer Ämter in der Bundesrepublik waren.

    Die Publizistin Peggy Parnass hat mit ihren Kolumnen in der Zeitschrift Konkret und in ihrem Buch „Prozesse 1970 bis 1978“ diese Kontinuität in der Justiz sichtbar gemacht und auch die 68er mit ihrem Slogan „Unter den Talaren - Muff von 1000 Jahren“ (Aufschrift auf einem Transparent, das am 9. November 1967 in der Universität Hamburg aufgehängt wurde) brachten das Wirken von Altnazis in Justiz und Politik sowie in der Wissenschaft an die Öffentlichkeit.

    Aber wer weiß schon, dass es diese faschistische Kontinuität auch in der DDR gegeben hat? Wenn auch nicht so ausgeprägt wie im Westen, aber auch in der DDR konnten Altnazis politische Karrieren machen, erhielten z. B. für medizinische Leistungen hohe Auszeichnungen und auch dort konnte eine Ideologie am Leben erhalten werden und rechtsextreme Gruppierungen nahezu unbehelligt agieren. Beides begünstigte nach der Wende, dass sich alte und neue Nazis in den ostdeutschen Bundesländern dauerhaft niederlassen konnten.

    Wer weiß schon, dass es Franz-Josef Strauß war, der den türkischen Faschisten, den Grauen Wölfen, die Tür öffnete und den Grundstein legte für die mittlerweile zahlenmäßig stärkste rechtsextreme Gruppierung in Deutschland?

    Wer weiß schon, dass die Ansiedlung fundamental-islamischer Gruppierungen auf eine Waffenbruderschaft antikommunistischer Muslime mit Nazis zurückgeht? Deren Kenntnisse über die Sowjetunion sich die Politik, sowohl von deutscher als auch von US-amerikanischer Seite, in den 1960er Jahren gern zunutze machen wollte?

    Völkisch-rassistisch basierter Totalitarismus hat unterdessen hierzulande vielfältige Gesichter, von den klassischen Neonazis über türkische Faschisten bis hin zu fundamental-islamischen Gruppierungen, die in Hitler einen großen Politiker sehen und deren „Volkskörper“ die „Umma“, die Weltgemeinschaft der Muslime, ist.

    Einzelne Gruppierungen kommen und gehen, die jeweiligen Feindbilder werden mitunter modifiziert, seit einigen Jahrzehnten sind es in der deutschen Neonazis-Szene vornehmlich „Fremde“, der Antiziganismus wurde quasi nahtlos nach 1945 fortgesetzt, hat sich - wenn auch in abgeschwächter Form - bis heute gehalten und reicht bis in alle Schichten der Gesellschaft, unabhängig von sozialem Status oder Weltanschauung.

    Türkische Rechtsextreme nehmen primär Minderheiten, u.a. Kurden, Alevitinnen, Ezidinnen oder türkische Linke ins Visier und fundamental-islamische Gruppierungen die „Kuffar“, Ungläubigen, Frauen, Homosexuelle, Anders- oder Nichtgläubige oder ethnische Minderheiten und somit auch die Mehrheitsgesellschaft zum Feindbild stilisieren. Antisemitismus ist allen drei Szenen immanent. Der reicht allerdings bis in alle Schichten und in alle politischen Lager, egal, ob rechts, links oder liberal, er ist urdeutsch und hat gleichermaßen einen Migrationshintergrund.
    Die Tausend Jahre sind nicht um

    1000 Jahre „Drittes Reich“ sind es nicht geworden, aber knapp 100 Jahre NS-Ideologie sind fast schon rum: Der erste Band von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ erschien am 18. Juli 1925. Wenn auch nicht das „Dritte Reich“ und auch nicht die NSDAP, so hat dennoch die völkisch-rassistische Ideologie bis heute überlebt. Sie tritt mal mehr, mal weniger offen und mal mehr und mal weniger gewalttätig zutage.

    Die Kernideologie des deutschen Faschismus existiert seit knapp 100 Jahren und hat wiederum Vorläufer: „In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war es in Europa nun verbreitete Ansicht, dass man es mit höher- oder minderwertigen menschlichen Rassen zu tun habe, aber die Krone der Schöpfung eben die weiße, die kaukasische Rasse sei“, schreibt Peter Meier-Hüsing in dem Buch Nazis in Tibet - Das Rätsel um die SS-Expedition Ernst Schäfer.

    Es erschienen diverse Publikationen und Pamphlete zu diesem anthropologischen Rassismus, von Naturwissenschaftlern oder Philosophen, und das gleichermaßen in Frankreich wie in England oder Deutschland. Der nächste logische Schritt war nun, aus der biologisch gegebenen Ungleichheit der Menschen auch politische Konzepte abzuleiten, sei es das Verbot der „Vermischung des Blutes“, um rassische Degeneration zu verhindern, bis hin zur radikalsten Form des Rassismus im NS-Staat: der physischen Vernichtung „minderwertiger Rassenelemente“.

    Einer der wichtigen ideologischen Stichwortgeber war der französische Adlige Arthur de Gobineau (1816-1882), der seinen „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“ veröffentlichte, … Seine Warnungen vor der Vermischung der Rassen bzw. des Blutes beeinflussten direkt die Rassenlehre der Nationalsozialisten.

    Allerdings war Gobineau noch ein expliziter Antisemitismus völlig fremd. Das ergänzte dann der gebürtige Engländer, aber in Deutsch schreibende Houston Stewart Chamberlain, den Gobineau sehr inspiriert hatte. Dessen Werk „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ (1899) wurde zum Klassiker des radikalen antisemitischen Rassismus, vor allem in Deutschland. Der spätere Schwiegersohn Richard Wagners wurde zum direkten ideologischen Wegbereiter des nationalsozialistischen völkischen Rassismus und lernte den von ihm bewunderten NSDAP-Chef Adolf Hitler noch persönlich kennen, bevor er 1927 starb.
    Peter Meier-Hüsing, Nazis in Tibet - Das Rätsel um die SS-Expedition Ernst Schäfer

    In diesen Reigen reiht sich auch Hans Friedrich Karl Günther ein, der neben dem Wagner-Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain als Urheber der nationalsozialistischen Rassenideologie gilt. Obwohl Hans Friedrich Karl Günther eigentlich Schriftsteller war, erhielt er 1930 einen eigens für ihn eingerichteten Lehrstuhl für Sozialanthropologie an der Universität Jena. Diese sollte zur SS-Elite-Uni werden.

    Seine Antrittsvorlesung adelten Adolf Hitler und Hermann Göring durch ihre Anwesenheit. Er machte durch zahlreiche Schriften, die das Wort „Rasse“ im Titel trugen, auf sich aufmerksam. Sein Denken war beeinflusst von den völkisch-rassistischen Vorstellungen Houston Stewart Chamberlains.

    Er „erhielt in der Zeit des Nationalsozialismus zahlreiche Ehrungen. So war er 1935 der erste Preisträger des Preises der NSDAP für Wissenschaften, 1937 erhielt er die Rudolf-Virchow-Plakette der Deutschen Philosophischen Gesellschaft. 1941 erhielt er von Hitler die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft“.

    Wikipedia zufolge wurde Günther „1932 Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 1185391).“ 1935 wurde er Professor an der Universität in Berlin, von „1940 bis 1945 war er Professor und Institutsdirektor an der Universität Freiburg“.

    Laut Wikipedia verbrachte Hans Friedrich Karl Günther „nach Kriegsende … drei Jahre in Internierungslagern. Sein Entnazifizierungsverfahren endete damit, dass er als ’Mitläufer’ eingestuft wurde. Vertreter der Universität Freiburg hatten in diesem Verfahren vorgetragen, Günther habe sich in seiner Rassenkunde an Grenzen gehalten, die auch von Gelehrten dieses Zweiges moderner Wissenschaft in anderen Staaten eingehalten würden“.

    Wenig später veröffentlichte er wieder, u.a. 1969 ein Buch mit dem Titel „Mein Eindruck von Adolf Hitler“, in dem er beklagte, dass über das Konzentrationslager Buchenwald so viele „Gräuel zusammengelogen“ worden seien. Bereits 1951 publizierte er sein erstes Nachkriegswerk „Gattenwahl“, in dem er vor der Heirat mit „Zuckerkranken, Frauenrechtlerinnen und Gewohnheitstrinkern“ warnte.

    Der Begriff „Neonazi“ impliziert, diese seien irgendwie neu. Die Wahrheit jedoch ist: Die Nazis waren nie weg - vor allem nicht die faschistische Ideologie. Die Akteure, die Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre als Neonazis berühmt-berüchtigt wurden, haben den NS-Faschismus nicht selbst erlebt. Aber sie knüpften (und knüpfen) an dessen Ideologie an.

    Im Umgang mit diesen Neonazis wurden damals seitens Politik und Justiz und Geheimdiensten in Westdeutschland - und auch von der Stasi - entscheidende Fehler gemacht, die uns bis heute auf die Füße fallen. Es ist bekannt, dass Organe des Staatsschutzes bereits Kontakte zur Wehrsportgruppe Hoffmann hatten. Ferner, dass es solche Kontakte zu Michael Kühnen gab.

    Inwiefern schon damals Neonazi-Kader im Auftrag des Staates und von ihm finanziert die Szene aufbauten, strukturierten und radikalisierten, ist nicht bekannt. Fest steht aber, dass der Staat z. B. beim Kühnen-Gruß, einem leicht abgewandelten Hitler-Gruß, nicht eingriff. Weil es eben nicht der Hitler-Gruß und somit nicht verboten war. Die Folge davon sind diverse Verbote, die nicht ausgesprochen wurden, weil es immer ein bisschen irgendwie anders war als das Original, so dass Neonazis heute z. B. unbehelligt mit T-Shirts mit der Aufschrift „HKNKRZ“ provokant lustwandeln können - auch vor den Augen der Polizei.
    Von wegen neue Zeit

    Am 2. Oktober 1949 wurde die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP) gegründet. Der Krieg war gerade mal 3 Jahre vorbei, die Tinte auf dem Gründungsdokument der Bundesrepublik Deutschland noch nicht ganz trocken, da gründeten Hitler-Getreue eine Partei, die sich in der Tradition der NSDAP sah. Gründer waren u.a. von Otto Ernst Remer, ein ehemaliger Major der Wehrmacht, und der Bundestagsabgeordnete Fritz Dorls.

    Remer leitete "als Kommandeur die nach dem Aufstand vom 20. Juli 1944 neu aufgestellte Führer-Begleit-Brigade (später zur Division erweitert), die er in die Ardennenoffensive führte. Im Januar 1945 erhielt er im Alter von 32 Jahren seine Beförderung zum Generalmajor. Remer war damit einer der jüngsten Generäle der Wehrmacht. Anfang März war die Führer-Begleit-Division an der Rückeroberung Laubans beteiligt, „einem der letzten Gegenstöße, die das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg zu führen im Stande war“.

    Dorls war Mitglied der NSDAP wie der SA. Trotzdessen gelang es ihm, nach dem Krieg in die CDU einzutreten und „1947 Schriftleiter des Parteiblattes Niedersächsische Rundschau“ zu werden. Die beiden stehen stellvertretend für viele, denen nach ’45 der nahtlose Übergang in die „neue“ Republik gelang. Dorls zog für ein konservativ-monarchistisches Bündnis in den Bundestag als Abgeordneter ein, und war dann Mitbegründer der SRP.

    Laut Wikipedia rekrutierte „die SRP ihre Mitglieder und Wähler vor allem unter ehemaligen NSDAP-Angehörigen. Sie zählte zeitweise annähernd 40.000 Mitglieder, etwa halb so viele wie die FDP zu dieser Zeit, von denen jeder zweite die nationalsozialistische Diktatur als Jugendlicher erlebt hatte. Das Parteiprogramm der SRP basierte in wesentlichen Teilen auf dem der NSDAP. Die SRP lehnte eine Rechtsidentität des Deutschen Reiches mit der Bundesrepublik Deutschland ab und beanspruchte ein Widerstandsrecht zum Schutz des Reiches.
    Forderungen waren unter anderem:
    ’Treue zum Reich’, ’Schutz und Ehre des deutschen Soldaten’ und ’Anspruch auf die Gesamtheit des Reichsraumes’, sowie unter anderem die ’Notwendigkeit’ einer ’Lösung der Judenfrage’, allerdings mit anderen Mitteln als zur Zeit des Nationalsozialismus, kritisiert wurde nicht die ’Notwendigkeit’ einer ’Lösung der Judenfrage’, sondern nur die Methoden. Durch eine offene Glorifizierung der nationalsozialistischen Ideologie isolierte sich die SRP schnell vom übrigen Parteienspektrum“.

    1950, also gerade mal 5 Jahre nach Kriegsende und 2 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland, wurde die Jugendorganisation der SRP, „Reichsjugend“, gegründet. SRP und „Reichsjugend“ wurden am 23. Oktober 1952 verboten. Aus der „Reichsjugend“ ging am 2. Dezember 1952 die „Wiking-Jugend“ hervor, die „zur mitgliederstärksten und hegemonialen Jugendorganisation des Neonazismus“ avancierte. Sie näherte sich im Laufe der Zeit immer mehr der „Freiheitlichen Arbeiterpartei“ (FAP) an. Auch der heute noch aktive Neonazi Christian Worch war dort zwischenzeitig Mitglied.

    Obwohl Wikipedia schreibt, sie habe dem Kreis um Michael Kühnen ablehnend gegenübergestanden, konnten dieser und die „Kameraden“ um ihn herum z. B. auf den Fahrdienst der „Wiking-Jugend“ zurückgreifen. Die Organisation wurde am 13. April 1999 auf höchst richterlicher Ebene verboten. Laut Wikipedia war sie da „mit 400 bis 500 Mitgliedern die größte neonazistische Jugendorganisation“.

    Nach dem Verbot folgte die „Heimattreue Deutsche Jugend“, die 2009 verboten wurde. Ehemalige Mitglieder der „Wiking-Jugend“ gründeten 1997 die Neonazi-Kameradschaft „Skins Sächsische Schweiz“ (SSS).

    Am 28. November 1964 wurde die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gegründet, die bereits 1966 in die Landesparlamente in Hessen und Bayern einziehen konnte, 1967 folgten Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In den 1990er Jahren, nachdem die „Freien Kameradschaften“ (dazu später mehr) gegründet wurden, war u.a. Christian Worch das Bindeglied zwischen der NPD und den Kameradschaften.

    Hier kommt auch Thomas Wulff ins Spiel, der 2004 in die NPD eingetreten war, der es bis zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der NPD in Hamburg und ab 2014 zum Landesvorsitzenden brachte. Aufgrund seines offenen Bekenntnisses zum Nationalsozialismus kam es zum Zerwürfnis, die Partei versuchte, ihn auszuschließen, unterlag aber vor Gericht. Thomas Wulff ließ daraufhin jedoch alle Ämter ruhen, wurde auf Veranstaltungen der Friedensbewegung 2.0 im Friedenswinter 2014/15 gesehen und outete sich als Fan der Rap-Formation „die Bandbreite“.

    1973 gründete Karl-Heinz Hoffmann die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG Hoffmann), eine paramilitärische Organisation, die 1980 verboten wurde. Ein Teil der Aktiven setzten sich in den Libanon ab, Karl-Heinz Hoffmann unterhielt gute Kontakte zur PLO. Dem Internetportal HaGalil.com zufolge sollen „um die 500 Männer und auch einige Frauen … der ’konspirativ’ agierenden WSG angehört haben. In Hoffmanns ’Stützpunkten’, Schloss Almoshof bei Nürnberg, ab 1978 das Schloss Ermreuth bei Erlangen und auf seinem Privatgrundstück in Heroldsberg sammelte sich allerlei Kriegsgerät einschließlich eines Panzerspähwagens an“.

    Bereits Ende der 1960er Jahre sei Karl-Heinz Hoffmann öffentlich in Erscheinung getreten: „1968 veranstaltete der Patriot sein erstes öffentlich bekannt gewordenes Spektakel. Zu Fasching tummelten sich in einem Nürnberger Café Männer in SS-Uniformen und Frauen in BDM-Kleidern vor einer Tonband-Geräuschkulisse aus Granatengeheul und MG-Geknatter“.
    Die Neuen Alten

    Nach 1945 war die Bevölkerung keine andere als vor 1945, nur um eine einschneidende Erfahrung reicher, die den Menschen Leid, Not und Entbehrung einbrachte. Verantwortlich für die Situation fühlten sich die wenigsten, im Gegenteil, „der 8. Mai 1945, die Befreiung der Menschheit von der Geißel des deutschen Faschismus“, wie es der Frankfurter jüdische Widerstandskämpfer Peter Gingold nannte, galt der Mehrheit der Bevölkerung als bittere Niederlage. Es sollten vier Jahrzehnte vergehen, bis der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Ansprache zum 8. Mai 1985 nicht mehr von „Kapitulation“, sondern von „Befreiung“ sprach.

    Eine ganze Generation war in den von den Nazis und ihrer Herrenmenschen-Ideologie geprägten Schulen und Universitäten ge- und ausgebildet worden, diese waren die Lehrerinnen, Professoren und Juristen, die nicht nur die Jugend, sondern die Gesellschaft nach 1945 prägten. Es dauerte 20 Jahre, bis die 68er sich gegen diese faschistische Kontinuität, gegen das Herrenmenschen-Denken und die bürgerliche Spießigkeit wehrten.

    Auch auf der politischen Bühne tummelte sich so mancher, der einst ein NSDAP-Parteibuch in der Tasche oder gar Funktionen in den Strukturen des NS-Regimes innehatte. Zu nennen wären hier stellvertretend Hans Globke, Kanzleramtschef unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), der ehemalige Bundespräsident Heinrich Lübke (CDU), der bereits erwähnte ehemalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) sowie der CDU-Politiker Hans Karl Filbinger (CDU), ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

    Hans Globke war ab Oktober 1953 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, zuständig u.a. für Personalpolitik sowie die Einrichtung und Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes (BND) und der Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). 1963 schied er altersbedingt aus der Politik aus. Der Verwaltungsjurist war seit 1933, direkt nach der Machtübertragung an Hitler, an der Ausarbeitung von Gesetzen und Verordnungen beteiligt oder erarbeitete Vorlagen und Entwürfe dafür.

    Er befasste sich u.a. mit gesetzlichen Grundlagen der „Erbgesundheit des deutschen Volkes“, 1936 gab er gemeinsam mit seinem Vorgesetzen Wilhelm Stuckart den ersten Kommentar zu den Nürnberger Gesetzen heraus. Von Stuckart stammt allerdings nur das Vorwort, er erkrankte dann, so dass Hans Globke den Rest allein verfassen musste.

    Schon vor 1933 war er mit Personen- und Namensfragen befasst. Er erstellte 1938 eine Liste mit jüdischen Vornamen. Alle jüdischen Frauen, die keinen dort verzeichneten Namen trugen, mussten als zweiten Vornamen „Sara“ führen, alle jüdischen Männer „Israel“. Das „J“, das Jüdinnen und Juden in den Pass eingetragen wurde, war u.a. seine Idee.

    Laut CIA-Dokumenten war Hans Globke unter Umständen für die Deportation von 20.000 Jüdinnen und Juden aus Nordgriechenland in vom NS-Regime in Polen errichteten Vernichtungslager mit verantwortlich. Der von ihm eingerichtete BND wurde folgerichtig von dem ehemaligen Generalmajor der Wehrmacht, Reinhard Gehlen, geleitet.

    Ebenfalls 1953 wurde Heinrich Lübke Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, von 1959 - 1969 war er der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. 1914 hatte er sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet, zu Kriegsende war er Leutnant der Reserve. Später, von 1939 bis 1945, arbeitete er als Vermessungsingenieur und Bauleiter beim Architektur- und Ingenieurbüro Walter Schlempp, „das der Verfügung des ’Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt’, Albert Speer, unterstand“ (Die Welt).

    Aus dieser Zeit stammen Bauzeichnungen, die unbestritten seine Unterschrift tragen. Diese Zeichnungen sollen die Baupläne für KZ-Baracken gewesen sein. Laut Welt ist unterdessen bekannt, dass „die entsprechenden Pausen für jede Art von Baracke geeignet gewesen wären, sie also nicht eindeutig einem KZ zuzuordnen sind“ Was allerdings nicht heißt, dass es keine Baupläne für KZ-Baracken waren. Sondern lediglich, dass es etwas anderes gewesen sein könnte.

    Hans Filbinger begann 1933 sein Jura-Studium. Laut Wikipedia war er „von 1933 bis 1936 Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) und des Wehrsportverbands der Freiburger Universität, der 1934 in die SA überführt wurde. Dort zahlte er bis 1937 seine Beiträge, ließ sich aber von aktiven Diensten freistellen. Mit der allmählichen Lockerung der Aufnahmesperre für Neumitglieder wurde er im Mai 1937 in die NSDAP aufgenommen (Mitgliedsnummer 4.026.789) und bis 1945 als Mitglied geführt. 1937 bis 1945 war er zudem im NS-Rechtswahrerbund. In allen Mitgliedschaften blieb er ohne Rang und Funktion“.

    Als Marinerichter war er war „nach den erhaltenen Strafverfahrenslisten an mindestens 234 Marinestrafverfahren beteiligt, 169-mal als Vorsitzender Richter, 63-mal als Ankläger. In vier Fällen ging es um Todesstrafen, die Filbinger je zweimal beantragt oder gefällt hatte. Diese Fälle wurden erst 1978 aufgedeckt und im Zuge der Filbinger-Affäre öffentlich diskutiert“.

    „Kein Richter hat je in der BRD auch nur eine Stunde in Strafhaft sitzen müssen, weil er für Hitler Deutsche umgebracht hat“, schrieb Rolf Hochhuth damals im Spiegel. Und über Hans Filbinger:

    Nur wenn der Soldat Schwejk auch noch ein Schwabe gewesen wäre, hätte er so listig-lustig mit einem Stuttgarter Gericht Blindekuh spielen können wie 1972 der Ministerpräsident Filbinger. Der hatte dem SPIEGEL verbieten lassen, die Aussage eines Obergefreiten zu verbreiten, Filbinger habe noch drei Wochen nach der Kapitulation, als er in britischer Gefangenschaft diesen Obergefreiten zu sechs Monaten Gefängnis verurteilte, hitlerfreundlich herumgeschrien.
    Rolf Hochhuth

    Vor Hans Filbinger war Kurt Georg Kiesinger Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Ersterer konnte ihn beerben, weil er dann der 3. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde. Schon 1933 war er NSDAP-Mitglied geworden, Mitgliedsnummer 2.663.930. 1940 nahm er eine Stellung im Reichsaußenministerium unter Joachim von Ribbentrop an. Vermutlich, um sich dem Dienst in der Wehrmacht zu entziehen. Laut Wikipedia stieg er „dort bis zum stellvertretenden Leiter der Rundfunkpolitischen Abteilung auf, die für die Überwachung und Beeinflussung des ausländischen Rundfunks zuständig war. Unter anderem war er für die Verbindung zum Reichspropagandaministerium von Joseph Goebbels zuständig, mit dem seine Abteilung Kompetenzstreitigkeiten hatte“.

    Allerdings verlief dessen Laufbahn nicht ganz so glatt, wie es jetzt den Anschein hat. Es gibt zwei dokumentierte Fälle, in denen er als Anwalt Personen half, die von der Gestapo verfolgt wurden. Der Eintritt in die NSDAP sei nicht aus Überzeugung erfolgt, sondern „sondern weil ihm die wichtigsten Ziele der braunen ’Revolutionäre’ damals nicht verwerflich schienen: eine sozial gerechte ’Volksgemeinschaft’, das Ende wirtschaftlicher Not. ’Judenhass’ war Kiesinger fremd, aber er habe ihn 1933 ’nicht als ernsthafte Gefahr’ betrachten können“, schreibt die Zeit unter Bezugnahme auf den Kiesinger-Biographen Philipp Gassert.

    Kiesinger habe „ein deutliches Maß an Illoyalität und Resistenz gegenüber dem NS-Staat an den Tag“ gelegt. Nach dem 20. Juli 1944 referiert er in seinem Juristenkreis über Widerstandsrecht und Thomas von Aquin. Hörer wie Axel von dem Bussche verstanden die Botschaft, für sie war Kiesinger „eindeutig Anti-Nazi“. Im Amt wird er von Mitarbeitern als „Defaitist“ denunziert, der die antijüdische Auslandspropaganda behindere. Den Beleg für diese Denunziation wird Conrad Ahlers, sehr zum Ärger von Rudolf Augstein, Kiesinger 1966 zuspielen, nachdem ihn Heinz Höhne bei seinen Recherchen über die SS entdeckte. Er wird allen CDU/CSU-Abgeordneten am Tag der Fraktionsabstimmung über die Kanzlernominierung in Kopie vorgelegt werden und den Weg ins Kanzleramt ebnen helfen.
    Die Zeit

    Für einen „Anti-Nazi“ hat Kurt Georg Kiesinger es indes weit gebracht. Er übte nicht nur Tätigkeiten im NS-Staatsapparat aus, er übte sie an verantwortlicher Stelle aus. Das brachte ihm wie eingangs geschildert am 7. November 1968 besagte Ohrfeige von Beate Klarsfeld ein. Buchstäblich mit einem Schlag wurde die Nazi-Vergangenheit führender Persönlichkeiten in Politik, der Justiz und der Wissenschaft zum öffentlichen Thema.
    Die Neonazi-Szene formiert sich

    Das war die politische Situation in Deutschland, als sich 10. November 1974 im Hamburger Haus des Sports alte und neue Faschisten trafen, um die „NSDAP/AO“ zu gründen. AO steht für Aufbauorganisation. Darunter u.a. der US-Amerikaner Gary Lauck, der später im Zusammenhang mit dem Bückeburger Prozess gegen Michael Kühnen und andere eine Rolle spielte. Er soll auch ein Gebäude in Nürnberg finanziert haben, das als „Glatzentreff“ bekannt war und in dem sich später auch das NSU-Trio aufhielt.

    Bei dem damaligen Treffen im Hamburg Haus war auch Thies Christophersen zugegen, der „Erfinder“ der Holocaust-Leugnung. Dessen Schrift „Die Auschwitz-Lüge“ wurde von Manfred Roeder herausgebracht. Dieser avancierte später zum Chef der „Deutschen Aktionsgruppe“ (DA), die für den Anschlag auf eine Asylunterkunft in Hamburg am 22. September 1980 verantwortlich ist, bei der die beiden Vietnamesen, der 22-jährige Ngoc Nguyen und der 18-jährige Anh Lan Do, ums Leben kamen.

    Bereits zuvor wurde ein Anschlag auf eine Asylunterkunft in Lörrach verübt, bei dem 3 Asylsuchende verletzt wurden. Hamburg war das erste rassistische Attentat mit Todesfolge in der alten Bundesrepublik, in der DDR gab es schon früher sowohl Pogrome gegen die Vertragsarbeiter als auch mindestens einen Übergriff mit Todesfolge.

    Auch im Falle von Manfred Roeder gibt es Verbindungen zum NSU: Als er wegen eines Farbanschlags auf die Wehrmachts-Ausstellung in Jena angeklagt war, waren die drei als NSU-Trio bekannt gewordenen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe unter den Prozessbeobachtenden im Gerichtssaal. Dem Historiker Harry Waibel zufolge waren die drei auch an der Protestaktion beteiligt, bei dem Manfred Roeder die Ausstellung mit dem Farbbeutel attackierte. Zum 80. Geburtstag von Rudolf Hess organisierte er die erste öffentliche Solidaritätsaktion. Auch er hatte Kontakte zur PLO und versuchte sogar im Iran sein Glück, nachdem er sich durch Flucht einer Haftstrafe entzog. Als Referenz gab er Antisemitismus an.
    Michael Kühnen tritt auf den Plan

    Im September 1977 nahm die Polizei in der Hamburger Innenstadt 3 Personen wegen Nazi-Schmierereien fest, darunter den Leutnant der Bundeswehr, Michael Kühnen. Dieser gründete die „Hansa Bande“, die erste öffentlich agierende Neonazi-Gruppe. Deren „Merkmal war nicht Terror, sondern der provokativ in die Öffentlichkeit getragene NS-Faschismus“.

    Das erinnert an die frühen Auftritte von Karl-Heinz Hoffmann, wenngleich diese weitaus martialischer waren. Ab September 1977 traten Michael Kühnen und seine Kumpane als „Aktionsfront Nationale Sozialisten“ (ANS) auf. Chefideologe der Truppe war Christian Worch, der nach Michael Kühnens Tod u.a. das Konzept Anti-Antifa entwickelte und Todeslisten mit Namen von Antifaschisten, Gewerkschafterinnen, Jüdinnen und Juden erstellte.

    Christian Worch war durch eine Erbschaft zu Geld gekommen und konnte die Aktivitäten finanzieren - und bis zu dessen Tod 1991 auch Michael Kühnen. Worch arbeitete intensiv mit dem Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger zusammen. Dieser war ursprünglich der Cheforganisator des „Rudolf-Hess-Gedenkmarsches“ in Wunsiedel. Er gehörte zu den Unterstützern der „Wiking-Jugend“, war Funktionär der NPD.

    Wie wir inzwischen wissen, wurde der Rudolf-Hess-Gedenkmarsch später von Tino Brandt vom Thüringer Heimatschutz (THS) organisiert - finanziert vom Verfassungsschutz, auf dessen Gehaltsliste Brandt stand. In der Dokumentation „Der NSU-Komplex“ von Stefan Aust gab er freimütig zu, dass die jährliche Wallfahrt der Nazis aus Ost und West im bayrischen Passau nicht durchführbar gewesen wäre, hätte der Verfassungsschutz ihm nicht finanziell unter die Arme gegriffen.

    Im Mai 1978 zogen u.a. Michael Kühnen und Christian Worch verkleidet mit Eselsmasken und mit Pappschildern, auf denen stand „Ich Esel glaube noch, daß in Auschwitz Juden vergast wurden“ durch Hamburg. Noch vor seinem Tod entwickelte Michael Kühnen das Konzept des „Aufbauplan Ost“. Dieses wurde später von Christan Worch umgesetzt. So zogen am 20. Oktober 1990 etwa 500 Neonazis durch Dresden. Dafür war auch Gary Lauck eingeflogen worden.

    Michael Kühnen wurde 1979 im Bückeburger Prozess zu einer Haftstrafe verurteilt. Das war das erste Mal, dass Neonazis als Terroristen eingestuft und verurteilt wurden. Zu dem Prozess wurde Gary Lauck als Zeuge aus den USA eingeflogen. Obwohl ein Haftbefehl gegen ihn existierte, wurde ihm sicheres Geleit garantiert.

    Er wurde von einer Polizei-Eskorte vom Flughafen Hannover abgeholt und nach seiner Aussage wieder zurückgefahren und konnte unbehelligt ausreisen. Der Gerichtssaal war an diesem Tag überfüllt: Alte und neue Nazis aus fern und nah hatten sich die Reise ins beschauliche Schaumburgische nicht nehmen lassen, um gleich zwei ihrer Idole, Michael Kühnen und Gary Lauck, leibhaftig sehen zu können.

    Als Michael Kühnen 1982 aus der Haft entlassen wurde, soll er von einem Fahrzeug des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz abgeholt worden sein. Das geht aus Berichten der Stasi hervor. Anfang der 1980er Jahre gesellte sich dann auch Thomas Wulff zu dem Kreis um Michael Kühnen.

    Kurz vor Weihnachten 1985 wurde in Hamburg der türkisch-stämmige Ramazan Avci von Neonazis ermordet. Unter den Tätern war René Wulff, Bruder von Thomas. Christian Worch und Thomas Wulff entwickelten gemeinsam mit anderen das Konzept „Freie Nationalisten“, das als "Freie Kameradschaften, nach dem Vorbild der autonomen Strukturen Furore machte.

    Bei dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen wurde Christian Worchs Auto gesehen, mit Gary Lauck ging er 1990 auf Ostdeutschland-Tour, 1991 reist er zur Maifeier nach Cottbus, am 31.8.1991 nahm er an der Gründung der „Sächsischen Nationalen Liste“ teil, am 9. November organisierte er einen Neonazi-Aufmarsch in Halle an der Saale.
    Auch die sozialen Bewegungen hatten ein Nazi-Problem

    Wie Andreas Lichte auf dem Internetportal Ruhrbarone schreibt, strebte „das ’Dritte Reich’ … völlige Unabhängigkeit vom Ausland an, sowohl auf ideologischer, als auch auf wirtschaftlicher Ebene. Begründet auch durch die Erfahrung der britischen Seeblockade während des Ersten Weltkrieges, war die wirtschaftliche Unabhängigkeit - ’Autarkie’ - Deutschlands ein übergeordnetes Ziel der Politik Adolf Hitlers: Produkte, die aufgrund der in Deutschland knappen Rohstoffe nicht, oder nur unter großen Kosten hergestellt werden konnten, sollten ersetzt werden, eine Unabhängigkeit von Importen erreicht werden. Die Autarkie sollte einen hohen Lebensstandard, den sozialen Ausgleich, aber auch die militärische Schlagkraft sichern“.

    Hier bot die anthroposophische, „biologisch-dynamische“ Landwirtschaft eine Lösung an: sie verzichtet auf industriell hergestellten Kunstdünger und Pestizide und setzt stattdessen verstärkt auf menschliche Arbeitskraft. „Demeter“, die „Monatsschrift für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise“, stellte die NS-Bemühungen um Autarkie in der Landwirtschaft heraus, Artikel hießen beispielsweise: „Zurück zum Agrarstaat“, September 1933, „Beitrag zum Autarkieproblem“, August 1933. Ein Bericht der „Demeter“-Ausgabe vom Februar 1939 schloss: "So scheint mir denn die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise dafür vorbestimmt zu sein, die Forderung unserer Regierung zu erfüllen: „Ernährungsfreiheit des Deutschen Volkes auf Deutscher Scholle!“

    Die biologisch-dynamische Landwirtschaft hatte für ihre Bejahung des deutschen Angriffskrieges neben der weit verbreiteten, anthroposophischen Kriegsbegeisterung … wohl auch pragmatische Gründe: Mit dem Wachsen des unter deutschem Einfluss stehenden Gebiets wuchs auch die potentielle Anbaufläche für die biologisch-dynamische Landwirtschaft: „Seit Anfang des Krieges waren Anthroposophen an der Gestaltung und Durchführung von Siedlungsplänen im besetzten Osten unter Leitung der SS beteiligt. Schon im Oktober 1939 kooperierten Anthroposophen und SS an der Errichtung eines biologisch-dynamisch geführten Lehrguts auf einem enteigneten Hof in Posen, und auch nach 1941 wurde die Mitarbeit an verschiedenen Projekten weitergeführt, mit der Genehmigung Himmlers und unter Förderung von zwei hohen SS-Führern, Günther Pancke und Oswald Pohl. Pancke, Chef des Rasse- und Siedlungshauptamts, hielt den biologisch-dynamischen Landbau für die einzig geeignete Wirtschaftsweise »für die zukünftigen Wehrbauern und Bauern im Osten.“ … Die SS-eigenen biologisch-dynamischen Betriebe bestanden bis zum Kriegsende." Der SS-Offizier und ehemalige Obergärtner der Firma Weleda, Franz Lippert, ließ in Dachau Menschenversuche durchführen.
    Andreas Lichte, Ruhrbarone

    Neben der Utopie von „Autarkie“ kamen in Bezug auf den biologisch-dynamischen Anbau auch die zu erhaltende „Volksgesundheit“ und der Erhalt der „heimischen Scholle“ ins Spiel. Diese Begeisterung der Anhänger völkisch-rassistischer Ideologien für den bio-dynamischen Anbau, bzw. Konzepten, die heute als „Öko“ bezeichnet würden, hielt auch nach 1945 an.

    Am 24. September 1958 gründete das ehemalige NSDAP- und SA-Mitglied Günther Schwab in Österreich den „Weltbund zur Rettung des Lebens“ (WRL), der 1963 in „Weltbund zum Schutze des Lebens“ (WSL) umbenannt wurde. In seinen Publikationen beschäftigte sich Günther Schwab mit Natur- und Umweltverschmutzung und warnte vor der zivilen Nutzung der Atomenergie.

    1960 wurde eine deutsche Sektion gegründet, dieser saß der ehemalige NS-Arzt Walter Gmelin vor. Zu den Mitgliedern des deutschen WSL gehörte u.a. auch Werner Georg Haverbeck, ebenfalls ehemaliges Mitglied der NSDAP und der SS.

    Im Juni 1933 wurde er von Rudolf Heß mit der Volkstumsarbeit der nationalsozialistischen Bewegung für das ganze Reichsgebiet beauftragt. Bevollmächtigt durch Heß, gründete er im August 1933 den Reichsbund Volkstum und Heimat (RVH) als Unterorganisation von Robert Leys Deutscher Arbeitsfront und fungierte fortan als Leiter der Reichsmittelstelle für Volkstumsarbeit der NSDAP, dem auch das Reichsamt Volkstum und Heimat in der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude untergeordnet war.
    (…)
    Von Heinrich Himmler erhielt er ab Oktober 1935 ein Promotionsstipendium. Himmler nahm ihn am 20. November 1936 auch in die SS auf und beförderte ihn zum SS-Untersturmführer.
    (…)
    Ab dem 10. Dezember 1942 nahm Haverbeck aktiv am Zweiten Weltkrieg teil. Laut Peter Bierl kämpfte er als Leutnant in der Panzergrenadier-Division Feldherrenhalle, unter anderem an der Ostfront.
    Wikipedia

    Werner Georg Haverbeck war christlich orientiert, sah im Gegensatz zu anderen Nazis in den slawischen Völkern nicht „Untermenschen“, sondern im schwebte eine Synthese des christlichen Abendlandes mit dem sozialistischen Osten vor. So ist es wenig verwunderlich, dass er sich für die sich neu formierende Friedensbewegung interessierte.

    Verwunderlich ist allerdings, dass diese ein ehemaliges NSDAP- und SA-Mitglied in ihren Reihen duldete. Verbindungsglied zwischen ihm und der Friedensbewegung war Renate Riemeck, die Lebensgefährtin von Ingeborg Meinhof, Mutter von Ulrike Meinhof. Renate Riemeck kam aus einem bürgerlichen Elternhaus in Jena und war wie Werner Georg Haverbeck mit der anthroposophisch orientierten „Christengemeinschaft“ verbunden.

    In München und Jena studierte und promovierte sie: „Sie studierte sieben Semester Geschichte, Germanistik und Kunstgeschichte in München und vor allem in Jena; im März 1943 promovierte sie zum Dr. phil. über Spätmittelalterliche Ketzerbewegungen. Darin stellte sie, wie später Kritiker befanden, die Pogrome gegen Juden im 14. Jahrhundert als ’gerechtfertigten Protest’ dar. Trotz dieses Studienabschlusses soll sie danach Mitte 1943 noch der Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen beigetreten sein.“

    Demnach gehörten „zu ihren akademischen Lehrern“ neben dem NS-Rassepropagandisten Karl Astel auch der bereits erwähnte Hans F. K. Günther. In ihrem Buch „Ulrike Meinhof. Die Biographie“ deckte die Publizistin Jutta Ditfurth auf, dass Renate Riemeck NSDAP-Mitglied war, Mitgliedsnummer 8915151. Das war bis dahin nicht bekannt.

    Dabei war Renate Riemeck nach 1945 SPD-Mitglied, sie gab die ersten Schulbücher nach dem Krieg heraus, engagierte sich in der „Kampf dem Atomtod“-Bewegung und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der „Deutschen Friedensunion“ (DFU). Renate Riemeck und Ingeborg Meinhof waren "Assistentinnen bei Johann von Leers, Inhaber des Lehrstuhls für „Deutsche Rechts-, Wirtschafts- und politische Geschichte auf rassischer Grundlage“ der Universität Jena, einem SS-Obersturmbannführer, der den Antisemitismus „wissenschaftlich“ zu begründen versuchte (Wikipedia).

    Renate Riemeck mit ihren guten Kontakten zur Friedensbewegung brachte vermutlich auch Werner Georg Haverbeck in diese politischen Zirkel. Der gründete 1963 mit seiner späteren Ehefrau Ursula - der unermüdlichen, derzeit inhaftierten Holocaustleugnerin - das „Collegium Humanum“, „Heimvolkshochschule für Umwelt und Lebensschutz“, im ostwestfälischen Vlotho.

    In dem Haus mit 50 Betten und Seminarräumen für 150 Personen gaben sich zunächst Aktive aus der Friedens- und Umweltbewegung ein Stelldichein, später neben esoterischen Feministinnen, die sich dort u.a. als Märchenerzählerinnen ausbilden ließen, mehr und mehr Neonazis und Holocaustleugner, die dann zur Sommersonnenwendfeier beim Hexentanz bei den Externsteinen gemeinsam mit den Märchentanten die Mondin anbeteten.

    Ab 1972 war das Collegium Mitglied der deutschen Sektion des Weltbundes zum Schutz des Lebens (WSL-D). Im Vorfeld der Europawahlen 1979 fanden im Collegium Humanum vorbereitende Gespräche zur Gründung der Sonstigen Politischen Vereinigung Die Grünen (SPV) statt, in der konservative und bürgerliche Umweltinitiativen organisiert waren. Zur selben Zeit wurde dort das „Ökologische Manifest“ der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands erarbeitet. Daneben stellte Haverbeck sein Bildungswerk folgenden Organisationen zur Verfügung: der Deutschen Hochschulgilde, der Freisozialen Union, der Deutschen Unitarier Religionsgemeinschaft sowie später auch zahlreichen rechtsextremen Gruppen wie etwa dem Bund Heimattreuer Jugend, dem neuheidnischen „Bund der Goden“, der Wiking-Jugend und der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei. Ab 1981 bzw. Haverbecks Unterzeichnung des Heidelberger Manifests entwickelte sich der Verein zu einem Zentrum für völkischen Nationalismus, Antisemitismus und Holocaustleugnung. Er diente als Anlaufpunkt für Rechtsextremisten von der Neuen Rechten bis hin zu Freien Kameradschaften. So tagte 1984 das „Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers“ dort. Musikveranstaltungen mit folkloristischen Gruppen, nationalistischen Liedermachern bis hin zur schottischen Blood-and-Honour-Band Nemesis fanden ebenfalls statt. Ab Mitte der 1990er Jahre waren Holocaustleugner wie der Schweizer Bernhard Schaub und der NPD-Anwalt und ehemalige APO-Aktivist Horst Mahler zu Gast.
    Wikipedia, Collegium Humanum

    Nach dem Tod von Werner Georg Haverbeck nahm seine ihm unterdessen angetraute Ursula das Zepter, die bis heute unverdrossen sein, bzw. das gemeinsame Werk fortsetzt. Sie wird nicht müde, den Holocaust zu relativieren, in Frage zu stellen oder zu leugnen, was ihr diverse Gerichtsverfahren und eine Haftstrafe einbrachte, die sie aktuell in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld verbüßt.

    Nicht nur die Friedensbewegung zog Leute wie Renate Riemeck und Werner Georg Haverbeck an, auch die Grünen hatten ein Nazi-Problem, bekanntestes Beispiel ist der Öko-Bauer Baldur Springmann, der sowohl zu den Gründungsmitgliedern der Grünen gehörte als auch Mitglied im WSL war. Sowohl bei der Öko- als auch der Anti-AKW- als auch der Friedensbewegung spielte der Schutz der „heimischen Scholle“ bisweilen eine Rolle.
    Es gab wieder offen sichtbar Jüdinnen und Juden

    Laut einer Volkszählung vom Juni 1933 gab es in Deutschland etwa eine halbe Million Jüdinnen und Juden, von etwa 65 Mio. Menschen insgesamt, also nicht einmal 1% der Bevölkerung.

    Nach dem Krieg waren es etwa noch 5 Prozent dieser halben Million:

    In den 1950er- und 60er-Jahren lebten etwa 20.000 bis 30.000 Menschen jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik Deutschland, zum großen Teil waren das Ältere und Kranke, die nicht in die USA oder nach Palästina emigrieren konnten. Vor diesem Hintergrund konstituierte sich aber langsam ein neues jüdisches Gemeindeleben, wobei die Juden osteuropäischer Herkunft in der Mehrzahl waren und die Repräsentanz überwiegend von Juden deutscher Herkunft besetzt war.
    Archiv Kinofenster

    Zu diesem neu erwachenden jüdischen Leben gehörte auch, dass in den 1970/80ern Künstlerinnen und Künstler auftauchten, die aus ihrer jüdischen Identität keinen Hehl machten, z. B. Esther und Abi Ofarim, der Showmaster Hans Rosenthal, Ilja Richter, der Bluessänger Abi Wallenstein und der Schauspieler Michael Degen, der bis in die 1970er Jahre hinein vor allem an Theatern auftrat.

    Daliah Lavi, eine jüdisch-israelische Künstlerin mit deutschen Wurzeln, machte in Deutschland Karriere. Die einer Sinti-Familie entstammende Sängerin Marianne Rosenberg hat erst sehr spät dieses „Geheimnis“ gelüftet.

    Während sowohl Öko- als auch Friedensbewegung ein Problem mit rechten Weggenossen hatten, tauchten auf den Demos Teilnehmer auf, die KZ-Häftlingskleidung trugen. Holocaust-Überlebende begannen, öffentlich ihre Geschichte zu erzählen und auch in Schulen als Zeitzeuginnen und Mahner aufzutreten. Einer davon war der bereits erwähnte Peter Gingold, eine andere die Künstlerin Esther Bejarano. Deren Tochter Edna hatte Anfang der 1970er mit „The Which“ von den „Rattles“ Weltkarriere gemacht.

    In den 1980er Jahren wurde der Grundstein gelegt für das, was wir heute als „Erinnerungskultur“ kennen: Die Geschichte von Jüdinnen und Juden, lokalem jüdischen Leben und Einrichtungen wurde erforscht, die Grundlagen zur Errichtung von Gedenkstätten wurden geschaffen, die ersten waren schon eingerichtet, z. B. in Dachau. Das ganze Ausmaß der Gräueltaten kam nach und nach ans Licht, die Namen der Verantwortlichen wurden publik.

    Die Grundlage dafür wiederum hatten bereits die Nürnberger Prozesse von 1946-49 sowie Persönlichkeiten wie der Frankfurter Staatsanwalt Fritz Bauer und die von ihm angestrengte Auschwitz-Prozesse, die im Zeitraum von 1963-81 geführt wurden, gelegt.

    Das jüdische Leben hat sich indes bis heute nicht normalisiert. Im Gegenteil, antisemitische Übergriffe und Anschläge erreichen aktuell ein bislang in der Zeit nach 1945 hierzulande nicht gekanntes Ausmaß.

    Aber Jüdinnen und Juden sind wieder da, sie nehmen wahrnehmbar einen Platz ein in unserer Gesellschaft. In Hamburg z. B. entwickelte sich im Grindelviertel wieder jüdisches Leben, vor 1933 lebten in der Umgebung etwa 70% aller Jüdinnen und Juden Hamburgs. Die dort beheimatete Talmud Tora Schule, heute Joseph-Carlebbach-Schule, wird von einem Polizeiposten bewacht, schon lange, nicht erst, seitdem die Übergriffe wieder zunehmen.

    Alle jüdischen Einrichtungen in Deutschland, alle jüdischen Schulen, Kindergärten, Museen, etc. stehen in Deutschland unter Polizeischutz. Jüdische Cafés und Restaurants, für die dieser Schutz nicht gilt, wie z. B. das „Feinbein“ in Berlin oder das „Shalom“ in Chemnitz, werden immer wieder zur Zielscheibe antisemitischer Übergriffe. Dabei ist häufig nicht klar, von welcher Seite diese Angriffe kommen: Neonazis, türkische Faschisten, religiöse Extremisten oder Linksradikale.
    Das Oktoberfest-Attentat

    Abschließen möchte ich dieses erste Kapitel mit der Erinnerung an das Oktoberfest-Attentat 1980, dem „blutigste(n) Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik“, wie Wolfgang Schorlau, auf dem Cover des Buches „Oktoberfest - Das Attentat - Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann“ des Journalisten Ulrich Chaussy schreibt.

    Am 26. September 1980 wurden bei einem Attentat auf das Münchner Oktoberfest 13 Menschen getötet und 211 Personen zum Teil schwer verletzt. Als Alleintäter galt - und gilt bis heute - Gundolf Köhler, ein ehemaliges Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann.

    Dieser „dürfte als Alleintäter gehandelt haben. Für eine Mittäterschaft oder auch nur Mitwisserschaft anderer an dem Sprengstoffanschlag auf das Münchner Oktoberfest ließen sich keine konkreten Anhaltspunkte erkennen. Zu diesem abschließenden Ergebnis kam jetzt die ’Sonderkommission Theresienwiese’, acht Monate nach dem Bombenattentat, (…)“, so stand es laut Ulrich Chaussy „am 2. Juni 1981 im Münchner Merkur und ähnlich in anderen Zeitungen“.

    Gegen diese Darstellung regte sich bald Protest, von Opfern, aber auch von Menschen, die sich meldeten, weil sie Beobachtungen gemacht hatten, die der Einzeltäter-These wiedersprachen. Ulrich Chaussy sprach darüber mit einem Anwalt, der zwei der Opfer vertrat. Ein kleiner Beitrag darüber wurde im Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt. Daraufhin schickte ihm jemand per Post anonym das Gerichtsmaterial zu. Und der Journalist begann zu ermitteln.

    Er fand „Hinweise auf Komplizen“, „Spuren nach rechts“, stieß auf „Hauptzeugen“, die unerwartet aus dem Leben geschieden waren, und spürte „Köhlers Kontakte(n) ins rechtsextreme Netz“ nach. Er fand heraus, dass er an Veranstaltungen des rechtsextremen „Hochschulrings Tübinger Studenten“ teilnahm. Auch diese Recherchen widersprachen der offiziellen Darstellung. Aber Beweise hatte er keine.

    „Eine schlüssige Gegentheorie zum Ermittlungsergebnis der Behörden hätte ich nur mit den Methoden anbieten können, die ich an Polizei und Justiz in meiner Reportage kritisiere: mit Spekulationen erwünschte Zusammenhänge herzustellen, mit Auslassungen unerwünschte Zusammenhänge zu ignorieren. Festmachen ließen sich für mich nur sehr ernste Zweifel. Sie gelten auf Seiten der Ermittler der fahrlässigen Behandlung zahlreicher Spuren, die auf einen weiteren Täterkreis hinweisen, der halbherzig und plump-naiven Überprüfung des rechtsradikalen Umfeldes, in dem sich der mutmaßliche Täter Gundolf Köhler zeitweise bewegt hatte,, und dem dilettantischen Charakterentwurf des gemutmaßten Alleintäters“, resümierte Ulrich Chaussy schließlich.

    Im Februar 2015 fragte die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke in einer Schriftlichen Kleinen Anfrage, ob die Bundesregierung ausschließen könne, dass Mitglieder der Wehrsportgruppe Hoffmann vor oder nach dem Anschlag als verdeckte Ermittler für deutsche Geheimdienste tätig gewesen seien.

    Die Bundesregierung verweigerte zwar die Antwort auf diese Fragen, aus der Antwort auf andere Fragen wurde jedoch deutlich, dass sowohl im Bundesnachrichtendienst als auch im Bundesamt für Verfassungsschutz sogenannte Quellenmeldungen, also Berichte von verdeckt ermittelnden Personen, mit Bezug zum Oktoberfestattentat vorliegen:

    Der Informationsanspruch des Parlaments findet eine Grenze bei geheimhaltungsbedürftigen Informationen, deren Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden kann. Die Nachrichtendienste sammeln im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags die erforderlichen Informationen und werten diese aus. Die Führung von Quellen gehört zu den wichtigsten nachrichtendienstlichen Mitteln, die den Nachrichtendiensten bei der Informationsbeschaffung zur Verfügung stehen. Würden Einzelheiten hierzu, auch welche die quellenführende Stelle betreffend oder Namen einzelner Quellen bekannt, könnten dadurch Rückschlüsse auf den Einsatz von Quellen und die Arbeitsweise der Nachrichtendienste gezogen werden. Es entstünde die Gefahr, dass Fähigkeiten, Methoden und Informationsquellen der Nachrichtendienste bekannt würden und damit ihre Funktionsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigt wäre.

    Zudem ist zu beachten, dass sich Quellen hier in einem extremistischen und gewaltbereiten Umfeld bewegen. Die Aufdeckung ihrer Identität könnte dazu führen, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der jeweiligen betroffenen Personen gefährdet wäre. Aufgrund der Hochrangigkeit dieser Rechtsgüter, der möglichen Irreversibilität und der erhöhten Wahrscheinlichkeit ihrer Beeinträchtigung muss jede noch so geringe Möglichkeit des Bekanntwerdens zu Fragen des Einsatzes von Quellen ausgeschlossen werden. Die Auskunft muss auch dann verweigert werden, wenn kein Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann eine Quelle ist oder war oder der Vorgang zeitlich weit zurückliegt, da ansonsten in allen übrigen Fällen aus der Antwortverweigerung auf das Vorliegen eines Einsatzes von Quellen geschlossen werden könnte.
    Antwort der Bundesregierung

    Allerdings konnte nicht verneint werden, dass es „Quellen“ gab:

    Der Bundesregierung liegen insgesamt fünf Quellenmeldungen für den Zeitraum von 1980 bis 1985 vor. Eine nähere Aufgliederung scheidet aus den in Nummer 1 der Vorbemerkung der Bundesregierung genannten Gründen aus.
    Antwort der Bundesregierung

    Hier gibt es eine Parallele zur Gegenwart: Wie auch im Zusammenhang mit dem NSU bastelte die Staatsanwaltschaft sich eine Theorie, von der sie bis heute nicht abzubringen ist. Im Falle Gundolf Köhler ist es die Theorie des Einzeltäter, beim NSU soll es immerhin ein Trio gewesen sein. Legenden, an denen Politik und Justiz strickten, und die allen Widersprüchen zum Trotz aufrecht erhalten werden - u.a., weil Quellenschutz über Ausklärung gestellt wird.

    Im Dezember 1980 wurden in Nürnberg der Vorsitzende der Verleger und ehemaliger Vorsitzender der dortigen israelitischen Kultusgemeinde Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frieda Poeschke erschossen. Als Täter gilt Uwe Behrendt, Mitglied des „Hochschulrings Tübinger Studenten“, der ebenfalls an den Übungen der Wehrsportgruppe Hoffmann teilnahm.

    Spuren, die zu Hoffmann, bzw. seinem direkten Umfeld, führten, wurden nicht intensiv verfolgt: Am Tatort wurde eine Brille gefunden, die Hoffmanns Freundin Franziska Birkmann gehörte. Zwar wurde Hoffmann am 30. Juni 1986 zu 9 ½ Jahren Haft verurteilt, wegen Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung, unerlaubtem Waffen- und Sprengstoffbesitzes sowie der Herstellung und Verbreitung von Falschgeld, vom Vorwurf den Mord an Shlomo Lewin und Franziska Poerschke in Auftrag gegeben zu haben, wurde er freigesprochen.

    Uwe Behrendt kam unter ungeklärten Umständen im Libanon zu Tode. Dahin hatte es Karl-Heinz Hoffmann und seine Getreuen gezogen, nachdem die Wehrsportgruppe 1980 verboten worden war. So konnte Hoffmann unwidersprochen behaupten, Behrendt habe die Sonnenbrille und auch eine Perücke, die der Täter getragen haben soll und die bei einer Durchsuchung im Hause Hoffmanns gefunden wurde, sowie die Tatwaffe entwendet und aus eigenem Antrieb den Doppelmord ausgeführt.

    Behrendt sei von „Aktionsgeilheit“ getrieben gewesen, schilderte Karl-Heinz Hoffmann laut Ulrich Chaussy seinen Eindruck. Allerdings, so schreibt der Autor: „Behrendt, der tote und von seinem Chef posthum als durchgeknallter Einzeltäter verhöhnte Mordschütze, tat aber nichts anderes, als auf die von Karl-Heinz Hoffmann sofort nach dem Anschlag von München beständig unter seiner Anhängerschaft verbreitete Verschwörungstheorie zu reagieren. Hoffmann hat diese Theorie schriftlich mehrfach fixiert (über Shlomo Lewin war schon zu dessen Lebzeiten von Medien das Gerücht verbreitet worden, im Dienst des Mossads gestanden zu haben, Anm. d. Verf.). Ohne irgendwelchen konkreten Nachweise aufzuführen, beschuldigte er wahlweise ’die Israeliten’, ’die Juden’, beziehungsweise den israelischen Geheimdienst Mossad, das Attentat von München so inszeniert zu haben, dass es ihm, Hoffmann, in die Schuhe geschoben werden könnte. In dieser Logik, die sich Behrendt zu eigen gemacht habe, ohne sich darüber mit seinem Chef Hoffmann je auszusprechen, ist der Mord an dem Juden Shlomo Lewin also eine Rache für München.“

    Literatur:

    Chaussy, Ulrich, Oktoberfest Das Attentat - Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann, Ch. Links Verlag, Berlin, 2014

    Ditfurth, Jutta, Ulrike Meinhof - Die Biographie, Ullstein Verlag, Berlin, 2007

    Meier-Hüsing, Peter, Nazis in Tibet - Das Rätsel um die SS-Expedition Ernst Schäfer, THEISS Verlag, Stuttgart, 2017

    Parnass, Peggy, Prozesse 1970-78, Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg, 1992

    #Allemagne #nazis #histoire #BRD