• 01.03.2019: Freie Fahrt für Uber (Tageszeitung junge Welt)
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    UNGLEICHER KONKURRENZKAMPF 1.3.2019 Von Peter Schaber

    Minister Scheuer plant »Liberalisierung« des Fahrdienstmarktes. Für die Taxibranche ist das existenzbedrohend

    Gegenwehr trotz erdrückender Übermacht des Angreifers: Taxifahrerproteste am 21. Februar in Berlin

    Jörg M. hat es satt: »Ich bin selbständig, mit eigenem Wagen«, sagt er im Gespräch mit jW. »Und da kann ich direkt sehen, wenn der Umsatz zurückgeht. In den vergangenen Monaten waren es 15 bis 20 Prozent weniger.« M. fährt Taxi in Berlin. 1984 kam er aus dem Osten in den Westen, 1988 wurde er selbständiger Taxifahrer, zuerst als Nebenverdienst während des Studiums. Über dreißig Jahre hat er Kunden in der Hauptstadt von A nach B befördert, manchmal zehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Jetzt aber, weil der US-Großkonzern Uber auf den Markt drängt, sieht er das Gewerbe in seiner Existenz gefährdet.

    Uber ist ein Spekulantenprojekt in Multimilliardendimension. 2009 in San Francisco gegründet zur Onlinevermittlung von Fahrdiensten, breitete es sich – trotz Rückschlägen – im vergangenen Jahrzehnt über fast den gesamten Globus aus. Beteiligungen von berühmt-berüchtigten Investoren wie Goldman Sachs, Google Ventures und Benchmark Capital sorgten für die nötige Finanzkraft; willfährige Politiker für die Umgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Das Geschäftsmodell ist klar: Man pumpt Geld in einen ohnehin umkämpften Markt, ruiniert die Konkurrenz oder unterwirft sie dem eigenen Imperium.

    Dass das überhaupt funktioniert, liege daran, dass gesetzliche Standards und Kontrollen vernachlässigt werden, meint Jörg M. Uber dürfe nicht an den Taxistellplätzen auftauchen. »Aber ich sehe sie am Flughafen, ich sehe sie am Bahnhof«, so M. »Es gibt das sogenannte Rückkehrgebot. Der Gesetzgeber hat das Taxi- und Mietwagengewerbe gesetzlich getrennt, damit man sich nicht ins Gehege kommt«, sagt der 61jährige. Im Unterschied zu Taxis müssen Uber-Fahrer nach einer absolvierten Tour eigentlich an den Betriebssitz zurückkehren. Eigentlich. Denn die Regel wird nicht eingehalten und noch weniger kontrolliert. Auch die Voraussetzungen, um für Uber arbeiten zu können, sind geringer als die im Taxigewerbe. »Der Vermittlungsdienst hätte nicht so viele Fahrer gefunden, hätte der Senat nicht die Tür geöffnet und den sogenannten kleinen P-Schein erfunden, bei dem die gesamte Ortskunde wegfällt«, beklagt M.

    Wieviel Uber-Fahrer dabei tatsächlich verdienen, ist schwer herauszufinden. Eine Provision von bis zu 20 Prozent müssen die Fahrer an das Unternehmen abdrücken, alle Risiken tragen sie selbst. Studien aus anderen Ländern legen nahe, dass dabei selten der Mindestlohn erreicht wird. Strittig ist zudem, ob Uber Sozialabgaben zahlen muss.

    Indirekt hat die Konkurrenz auch Auswirkungen auf die Löhne im Taxigewerbe. Dort wurde ohnehin seit Einführung des Fiskaltaxameters ein Weg gefunden, den Mindestlohn zu umgehen. Fahrer von Unternehmen werden angehalten, während sie eigentlich in Bereitschaft sind – und bezahlt werden müssten – das Taxameter auf »Pause« zu stellen. Damit werden nur noch die reinen Fahrzeiten gerechnet, damit es so aussieht, als würde der Mindestlohn erreicht. Die Umsatzeinbußen durch die digitale Konkurrenz könnte diese Praxis noch verschärfen.

    Geht es nach einem Entwurf von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), soll die Laissez-faire-Politik den »neuen«, digitalbasierten Beförderungsunternehmen gegenüber nun enden. Der Minister präsentiert eine eigene »Lösung« für die illegale Missachtung des Rückkehrgebots und den Mangel an Kontrollen: Die Liberalisierung des Fahrdienstmarktes soll die Verstöße mit einem Streich legal machen. »Herr Scheuer sagt, mit der Öffnung für Uber und Co. würde die Mobilität auf dem Lande verbessert. Er spricht von den älteren Herrschaften. Wie kann man sich sowas vormachen?« regt sich Jörg M. auf. »Die Uber-Fahrer lauern ganz gezielt auf die Flughafenfahrten, auf die lukrativen Fahrten. Ältere Menschen über kurze Strecken zu transportieren, bei denen kaum etwas rausspringt, das machen ohnehin wir Taxler, nicht die Uber-Fahrer.«

    Die vom Verkehrsministerium nun geplante Marktöffnung stößt der gesamten Branche auf. Mehrere hundert Fahrer versammelten sich am 21. Februar in Berlin, forderten die Rücknahme von Scheuers Eckpunktepapier. Auch für Jörg M. ist es nun an der Zeit, aktiv zu werden. »Ich versuche, das Positive zu sehen. Im Moment würde ich darauf bauen, mich zusammen mit den Kollegen zu wehren.«

    Hintergrund: Uber – Konkurrenz wird plattgemacht

    Die Uber Technologies Inc. wurde 2009 in San Francisco gegründet. Das zunächst als Limousinenservice auftretende Unternehmen fand schnell Geldgeber, die das aggressive und marktzerstörerische Potential der Geschäftsidee erkannt hatten. Weltweit führende Finanzdealer und »Risikokapitalgeber« wie Goldman Sachs, Google Ventures und Benchmark Capital standen praktisch an der Wiege des Konzerns. Als Jahresumsatz gibt Wikipedia 6,5 Milliarden US-Dollar für 2016 an.

    Mit enormem Finanzaufwand weitete die Firmenleitung ihre Geschäfte seit Gründung zunächst in den USA, dann weltweit aus. Geschäftsidee ist weiterhin die Vermittlung von Fahrdienstleistungen, bei denen Uber sogenannte Freelancer auf eigenes Risiko und im eigenen Pkw chauffieren lässt, aber einen bestimmten Teil des Fahrtpreises als Provision verlangt.

    Uber zielte von Beginn an auf die globalen Taximärkte. Die waren und sind zwar unterschiedlich reguliert, aber zumeist kleinteilig strukturiert. Gegen die geballte Macht eines milliardenschweren US-Konzerns hatten diese wirtschaftlich kaum eine Chance.

    Dennoch traf der Feldzug zur Markteroberung auf erheblichen Widerstand. So musste sich Uber aus Südostasien zurückziehen (jW vom 11. April 2018), denn dort hatten unter Regie des japanischen Geldgebers Softbank Konkurrenzunternehmen mit gleicher Geschäftsidee Uber stark zugesetzt. Auch in Indien mussten die US-Amerikaner Rückschläge hinnehmen.

    Zur Zeit schwelen in Spanien, Frankreich und zuletzt auch in Berlin Konflikte zwischen »Taxistas« und »Uberisten« (jW berichtete). Allerdings scheint in der EU der Widerstand zahlreicher Staaten inzwischen gebrochen. (jW)

    #Berlin #Taxi #Uber #disruption #Kleinunternehmer