Kapitel 8 des Buches : Ein Mann will nach oben von Hans Fallada

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  • Ein Mann will nach oben von Hans Fallada - 6. Ankunft in der Wiesenstraße
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    Es war schon dunkle Nacht gewesen, als der Zug im Stettiner Bahnhof einlief. Mit unglaublicher Zungenfertigkeit hatte Rieke Busch einem Dienstmann, der Feierabend machen wollte, seine Karre abgeschwatzt. Das alte Gesicht unter der roten Mütze wurde immer verwirrter, dann stets vergnügter. »Na, Männecken, Sie sind doch ooch müde?« hatte Rieke gefragt und ihre Hand ganz sachte neben die altersfleckige, ausgemergelte Hand auf den einen Holm des Handwagens gelegt. »Wat wollen Se da mit de Karre nach Haus zuckeln? Alleene jeht sich det doch ville besser?«

    »Du bringst mir die Karre ja nich wieda, du freche Kröte, du!« jammerte der alte Mann.

    »Wo wohnen Se denn? In de Müllerstraße? Ooch ’ne feine Jejend! Und ick wohne in de Wiesenstraße – kennste de Wiesenstraße, Opa?«

    »Det hab ick doch jleich jemorken, det du vom Wedding bist, du Aas du!« strahlte der Alte.

    »Na, siehste«, lachte Rieke, »da weeßte schon, wie ick heiße! Aas heiße ick! Und wie heißt du, Opa?«

    »Küraß heiß ich. Nummer siebenundachtzig. Müllerstraße, vergiß nicht!«

    »Küraß –?« Rieke sprach den Namen wie Kieraß. »Kieraß, ick hab jedacht, so heeßen nur die Hunde. Na jut, Opa, det wer’ ick schon nich verjessen, siebenundachtzig, Müllerstraße, Kieraß. – Schieb ab, Opa! Huste dir man sachte in den Schlaf!«

    »So ein frechet Aas!« hatte der Alte wieder gesagt und war ganz gehorsam abgeschoben, ohne Rieke auch nur nach ihrem richtigen Namen zu fragen. Aas aus der Wiesenstraße schien ihm als Pfand für seinen Handwagen völlig zu genügen.

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