Interview : Verena Bahlsen - die nächste Generation

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  • 15.05.2019: Bahlsen-Erbin relativiert Nazizeit (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/354798.bahlsen-erbin-relativiert-nazizeit.html


    Elle est jeune, riche et se présente comme une personne qui sait commet créer un monde meilleur. Elle ne comprend rien à l’histoire. Elle est quand même la patronne.

    Hannover. Die Erbin des Hannoveraner Bahlsen-Konzerns hat erneut die Verantwortung des Unternehmens für die Ausbeutung von Zwangsarbeitern während der Nazizeit relativiert. Bild (Onlineausgabe) zitierte Verena Bahlsen am Montag, dass man »Zwangsarbeiter genauso bezahlt« habe »wie die Deutschen«. Auch seien Zwangsarbeiter »gut behandelt« worden, wie die 26jährige dem Blatt sagte. Zu noch ausstehenden Entschädigungen erklärte die Konzernerbin: »Das Gericht hat die Klagen abgewiesen. Heute liegen keine Forderungen mehr gegen Bahlsen vor. Bahlsen hat sich nichts zuschulden kommen lassen.«

    In einer Mitteilung vom Montag erklärte die Firma, dass zwischen 1943 und 1945 rund 200 Zwangsarbeiter, »vorwiegend Frauen«, in der »Produktion bei Bahlsen eingesetzt« worden seien. Entschädigungsklagen wurden demnach durch das Landgericht Hannover aufgrund von Verjährung abgewiesen. Bahlsen habe sich im Dezember 1999 für den Eintritt in die »Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter in Deutschland« entschieden. An sie seien im Jahr 2000 mehr als eine Million und im Folgejahr mehr als 500.000 D-Mark gezahlt worden.

    Bio - Verena Bahlsen — House of Beautiful Business
    https://houseofbeautifulbusiness.com/bio-verena-bahlsen

    Verena is the fourth generation of German biscuit manufacturer Bahlsen. She firmly believes that business can be a realistic, long-term vehicle to effect positive change. She also believes that our food system will have to reinvent itself to feed the generations after us, that many such solutions already exist, and that industry’s task is not to invent, but to find and utilize them.

    Verena continues the tradition of her grandfather Hermann Bahlsen who found gems in places where others wouldn’t think to look, and built a business out of them that endured beyond his generation. After concluding her studies in media communications and management in the U.S. and the U.K., Verena returned to Germany in 2015 to honor the legacy of her grandfather with her own venture. Together with her partner Laura Jaspers, she founded HERMANN’S, a restaurant, film studio, and co-working and event space that serves as thought for food and food for thought.

    We help brands design their future. – HERMANN’S Innovation Strategy
    https://www.hermanns.com/strategy

    We believe that food businesses need constant innovation to ensure a successful future.

    We observe that most established companies struggle to generate it on their own.

    We propose a new approach: leave your world and find innovation in new ones in the places where it forms and grows today.

    We help you seek, find, and strategically use the innovation that is relevant to you.

    Verena Bahlsen: Fragwürdiger Umgang mit der Firmenvergangenheit - SPIEGEL ONLINE
    https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/verena-bahlsen-fragwuerdiger-umgang-mit-der-firmenvergangenheit-a-1267253.ht

    Das Unternehmen machte in Nazideutschland glänzende Geschäfte, galt als kriegswichtiger Betrieb. Zwischen 1941 und 1945 mussten bis zu 250 zum Teil gewaltsam von den Nazis ins Deutsche Reich verschleppte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus insgesamt sieben europäischen Nationen im hannoverschen Bahlsen-Werk ihren Dienst verrichten.

    Historische Verantwortung des Unternehmens

    Manche der Betroffenen berichteten nach dem Krieg, sie seien von den Firmeninhabern vergleichsweise gut behandelt worden. Doch wöchentlich hatten sie bis zu 48 Stunden an den Öfen oder Sortierbändern schuften müssen, vom ausgezahlten Lohn war ein großer Teil für Verpflegung und Unterbringung eingezogen worden. In den Barackenlagern sahen sich die Arbeiterinnen der Willkür der Wachmannschaften schutzlos ausgeliefert.

    Die Firma Bahlsen hat zweifelsohne Schuld auf sich geladen - und hatte dafür jahrzehntelang nicht zu büßen. Während Opfer des Nationalsozialismus nach 1945 um gesellschaftliche Anerkennung und vielfach um Entschädigung kämpfen mussten, konnte die Unternehmerfamilie im Wirtschaftswunder schnell an ihre alten Erfolge anknüpfen: 1959 beschäftigte sie wieder 1500 Mitarbeiter.

    Für die mit braunen Flecken behaftete NS-Vergangenheit ihres Unternehmens kann die 25-jährige Verena Bahlsen selbstverständlich nichts. Der historischen Verantwortung muss sich die Keks-Erbin aber stellen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie mit ihrer Geschichtsvergessenheit im Trend liegt.

    Denn dass es am Ende niemand gewesen sein will, gilt offenbar auch für die Nachfahren der Tätergeneration. 2018 fragte die Universität Bielefeld in einer deutschlandweiten repräsentativen Umfrage: „Waren Vorfahren von Ihnen unter den Tätern des Zweiten Weltkriegs?“ 69 Prozent der Teilnehmenden antworteten mit „Nein“.

    Verena Bahlsen: Äußerungen zu NS-Zwangsarbeit lösen Empörung aus
    https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/keks-dynastie-erbin-verena-bahlsen-sorgt-mit-aeusserung-ueber-zwangsarbeit-in-ns-zeit-fuer-empoerung/24335912.html?ticket=ST-646919-S9CQpQghDc5GQnW1AWWt-ap1

    Tatsächlich arbeiteten 200 Zwangsarbeiter während des Krieges für Bahlsen, um unter anderem Proviant für die Wehrmacht zu produzieren. In der Regel handelte es sich um Arbeitskräfte aus besetzen Ländern, die unter Zwang im Reich bei vielen Unternehmen eingesetzt wurden.

    Das Urteil aus dem Jahr 2000, das Verjährung von Ansprüchen feststellte, war eine Grundlage für die Rechtssicherheit der Stiftung der deutschen Wirtschaft, über die viele Unternehmen anschließend Entschädigungen an Zwangsarbeiter zahlten. Auch Bahlsen beteiligte sich an dem Fonds. Allerdings galt die Aktion damals eher als Sühne denn als Zeichen, man habe sich „nichts zuschulden kommen lassen“.

    In den sozialen Medien wird daher derzeit diskutiert, ob Bahlsen mit ihrer Äußerung die Zwangsarbeit willentlich verharmlose oder nur die Leichtfertigkeit einer weit nach dem Weltkrieg geborenen Generation widerspiegle.

    Verena Bahlsen | Wie eine 24-Jährige den Keks neu erfinden will
    https://orange.handelsblatt.com/artikel/32379

    Die 24-jährige Verena Bahlsen hatte bis vor fünf Jahren kaum mit dem Familienunternehmen zu tun. Sie studierte Kommunikation und Management und gründete vor wenigen Wochen mit zwei Mitgründern ein Plattform-Netzwerk für gesunde Ernährung.

    Frau Bahlsen, wann haben Sie zum ersten Mal mit Ihrem Vater beim Abendbrottisch über das Unternehmen diskutiert?
    Verena Bahlsen: Wir haben nie über die Firma geredet, bis ich 18 oder 19 Jahre alt war. Wir haben angefangen zu diskutieren, als es zum ersten Mal um unsere Familienstrategie ging, vor zweieinhalb Jahren. Da hat mein Vater gesagt: „Verena, wir müssen üben, miteinander zu sprechen.“ Und das machen wir seitdem.

    Wie funktioniert das?
    Werner Bahlsen: Wir haben uns vor zwei Jahren, beim 125-Jahr-Jubiläum, eine Verfassung gegeben – mit klaren Regeln. Darin steht auch, wie die Kinder als Gesellschafter ihre Meinung einbringen können.

    Verena Bahlsen: Wir haben das in einer Reihe von Wochenenden auf dem Lande mit Coaches entwickelt. Beim ersten Treffen haben wir völlig unterschiedliche Sichtweisen gehabt. Zum Beispiel wusste mein Vater nicht, was ein Hashtag ist, und ich kannte den Unterschied zwischen Deckungsbeitrag eins und zwei nicht. Das ist heute anders. Was wir nicht wollen, ist, dass eine Generation abdankt und die andere alles anders machen will.

    Frau Bahlsen, Sie sind jetzt für einen ganz eigenen Bereich zuständig. Sie haben ein Netzwerk für die Zukunft der Ernährung gegründet.
    Verena Bahlsen: Hermann Bahlsen, der Firmengründer, hat Ende des 19. Jahrhunderts die Ernährung neu gedacht. Genau dasselbe wollen wir mit der frisch gegründeten Plattform Hermann’s machen. Wir wollen Handel, Konsumenten, Produzenten und Food-Innovatoren zusammenbringen. Es gibt Menschen da draußen, die Produkte, Landwirtschaft und Produktion neu denken – aber nichts mit der Industrie zu tun haben.

    Und die wollen Sie auch ganz wörtlich an einen Tisch bringen?
    Wir müssen die Themen greifbar machen – etwa indem wir bei uns in unserem Hermann’s-Restaurant in Berlin bei einem Event ein Abendessen mit Insektenmehl auftischen. Dabei können wir diskutieren: Finden wir das eklig oder superspannend? So können wir theoretische Fragen in den Mainstream bringen.

    Verdienen Sie dann an solchen Events?
    Nein, da kommen wir bestenfalls bei null raus. So etwas wollen wir nutzen, um unser Netzwerk aufzubauen aus Start-ups, Wissenschaftlern, Köchen, Bloggern. Wir verdienen anschließend Geld damit, dass wir der Industrie das Netzwerk anbieten – bei Innovationen, bei Produktentwicklung, in der Strategieberatung.

    Glauben Sie wirklich, dass sich Blogger und Industrie an einen Tisch setzen?
    Ich liebe diese Frage. Sie wird mir gerade häufig gestellt. Es gibt eine ganze Armada von Bloggern, denen die Industrie Geld gibt, damit sie für Produkte Werbung machen. Einige aber sind schon seit vielen Jahren dabei, neue Rohstoffe, Rezepte und Innovationen zu entwickeln. Keiner aus der Industrie arbeitet mit denen zusammen, um sie auch für strategische Ziele zu nutzen. Dabei denken Blogger ganz anders als die Industrie.

    Das heißt, man kann Hermann’s wie eine Beratung buchen?
    Genau. Wir stecken unsere Kraft da hinein, solche Innovatoren zu finden. Aber wir googeln sie nicht, sondern wir überlegen, in welcher Nische entstehen interessante Neuentwicklungen, Technologien. Dann versuchen wir, diese Nische zu verstehen. Danach treffen wir die wichtigen Player und bieten denen auch Hilfe an.

    Dafür muss die Muttergesellschaft Bahlsen mit dem Keksgeschäft aber das Geld geben.
    Hermann’s ist ein Geschäftsmodell. Wäre es nur eine Kostenstelle für Bahlsen, würden wir das langfristig nicht durchhalten.

    Trotzdem investiert Bahlsen weiterhin in herkömmliche Produkte wie den Butterkeks. Ist das in Ihrem Sinne?
    Als Bahlsen-Gesellschafterin trage ich das mit. Aber ich habe schon Lust, den Keks neu zu denken. Wie wird der Keks nachhaltiger, gesünder – für neue Konsumenten? In diese Richtung geht ja auch der jüngste Bahlsen-Zukauf von Raw Bite, einem kleinen dänischen Hersteller von Riegeln aus gepressten Nüssen und Datteln.

    Was machen Sie bei Ihrer Ernährung anders?
    Verena Bahlsen: Ich esse kein Mehl mehr – einfach, um das mal zu testen.

    Was nehmen Sie statt Mehl?
    Wir testen in Berlin in unserem Restaurant Einkorn. Und Kokosmehl. Da werden die Reste aus der Kokosmilch-Produktion gemahlen und genutzt. Es schmeckt toll, man könnte ganz viele Sachen daraus machen. Wir müssen nur überlegen, wie dafür die Logistik funktionieren kann. Vor zwei Jahren habe ich Kokosmehl bei einer Bloggerin aus Amsterdam entdeckt. Die Entwickler bei Bahlsen haben gesagt, das wird schwierig. Die Einkäufer haben gesagt, das bietet noch keiner an in industriellem Maßstab. Wir können in diesem System derzeit noch keine Kekse mit Kokosmehl backen.

    Können Sie sich vorstellen, in die Geschäftsführung von Bahlsen zu gehen?
    Ich bin 24. Ich weiß nicht mal, wie meine nächsten drei Monate aussehen werden.

    Und was können Sie sich vorstellen, Herr Bahlsen?
    Werner Bahlsen: Wir reden da sehr offen drüber. Wir haben vier Kinder. Es gibt da klare Regeln, welche Kompetenzen man haben muss.

    Gibt es Family Days, bei denen Ihre Kinder das Unternehmen besser kennenlernen?

    Werner Bahlsen: Die Kinder sind Gesellschafter, sind zum Teil auch bei den Beiratssitzungen dabei, und wir haben auch ein Gesellschafter-Meeting gehabt, bei dem wir uns ein Werk angeguckt haben. Das ist alles wichtig, aber wir wollen das Thema Führung sehr klar davon trennen. Wir haben eine sehr gute und junge Geschäftsführung. Wir können nicht warten, bis ich tot vom Stuhl falle. Das Unternehmen ist kein Spielfeld für Unternehmerkinder, so unter dem Motto: Da probiere ich mich mal aus. Wir haben Verantwortung für 2.500 Mitarbeiter. Mit Familien sind das 10.000 Leute, das muss man ernst nehmen.

    Frau Bahlsen, Herr Bahlsen, vielen Dank für das Interview.

    Interview: Verena Bahlsen - die nächste Generation
    https://www.capital.de/wirtschaft-politik/interview-verena-bahlsen-mehr-als-nur-kekse?article_onepage=true

    Capital: Frau Bahlsen, Sie haben 2017 in Berlin das Restaurant Hermann’s eröffnet, der Name erinnert an Ihren Urgroßvater, der 1889 Bahlsen gegründet hat. Von hier aus wollen Sie die Lebensmittelbranche aufmischen. Wie kamen Sie darauf?

    VERENA BAHLSEN: Als ich 20 war, war ich in London am King’s College und ehrlich gesagt total gelangweilt. Ich hatte zuvor nichts mit dem Unternehmen meiner Familie zu tun, mein Vater hat das von uns ferngehalten – weil es bei ihm anders war und es dadurch viele Konflikte gab. Als wir Kinder Gesellschafter wurden, hat sich das geändert. In London habe ich dann meine Mitgründerin Laura Jaspers kennengelernt. Sie war zuvor Assistentin meines Vater und dann eine Art Ziehkind und arbeitete in Großbritannien im Marketing.

    Was haben Sie gemacht?

    Wir sind eines Tages durch Supermärkte gelaufen, haben Produkte angeschaut und diskutiert, dass ein völliger neuer Markt für Lebensmittel entsteht. Und wir merkten, dass wir das nicht mit dem zusammenbringen können, was wir von Bahlsen in Hannover kennen. Das sind zwei Welten und Systeme. Das war der Beginn unserer Freundschaft.

    Das Unternehmen Ihrer Familie ist Teil des alten Systems, Bahlsen prägt seit 125 Jahren den Markt für Süßgebäck, hat 5000 Produkte auf den Markt gebracht …

    Gerade diese Ambivalenz finde ich reizvoll. Mein Urgroßvater hat die Industrialisierung in der Lebensmittelindustrie maßgeblich geformt. Was er und seine Nachkommen erreicht haben, ist wertvoll. Der Leibniz-Keks bleibt großartig. Unsere Generation aber hat eine neue Aufgabe: Wir müssen uns ändern und sind als Industrie dafür nicht gewappnet. Ich sitze noch zu oft in Räumen und Meetings, in denen alle wie bisher reden und planen, und ich denke dann immer an diesen Cartoon mit dem Hund, der in dem brennenden Haus sitzt und sagt: „This is fine!“ – So verhalten wir uns gerade.

    Werden diese Veränderungen in der Branche nicht diskutiert?

    Nicht genug. Aber nicht, weil die zu blöd dafür sind. Die Industrie lebt momentan noch in einer anderen Welt. Alle Innovationen kommen von außen, von Forschern, Restaurants, Bloggern. Dieser Markt ist für die Industrie völlig unsichtbar.

    So bringt Verena Bahlsen Twitter-Nutzer gegen sich auf - Wirtschaft - Süddeutsche.de
    https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verena-bahlsen-twitter-1.4444053

    - Start-up-Gründerin Verena Bahlsen hält ein Viertel des Keks-Unternehmens. Sie gibt sich als stolze Kapitalistin, sagt, sie wolle eine Yacht kaufen.
    – Twitter-Nutzer haben sie daraufhin daran erinnert, dass ihr geerbter Reichtum auf Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus gründet.
    – Man habe die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen, sagt Bahlsen und sorgt damit bei den Twitter-Nutzern für noch mehr Empörung.

    Von Katharina Kutsche

    Kapitalist oder Sozialist? Welcher Wirtschaftsordnung man anhängt, wird schon seit rund zwei Wochen heiß diskutiert. Und das Thema spielte auch vergangene Woche bei der Digital-Konferenz Online Marketing Rockstars (OMR) in Hamburg eine Rolle, wo sich auf der Bühne „internationale Stars des digitalen Marketings“ trafen, so formulierten es die Veranstalter. Darunter waren passenderweise Kevin Kühnert in seiner Funktion als Juso-Vorsitzender, der die Diskussion überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte, und die Start-up-Gründerin Verena Bahlsen. Und während der eine seine Kritik am Kapitalismus wiederholte, erklärte die andere: „Ich bin Kapitalistin. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen und da freue ich mich auch drüber. Es soll mir auch weiterhin gehören. Ich will Geld verdienen und mir Segelyachten kaufen von meiner Dividende und so was.“

    Eine Yacht hätte Bahlsen in der digitalen Schlechtwetterfront, die folgte, sicherlich gut brauchen können. Denn zahlreiche Kritiker kommentierten etwa beim Kurznachrichtendienst Twitter, dass die Gesellschafterin des Keks-Unternehmens wohl vergessen habe, worauf ihr ererbter Reichtum gründet: nämlich unter anderem auf Zwangsarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus. Außerdem habe die 25-Jährige sich ihr Kapital nicht erarbeitet, sondern sei reich geboren worden. Bahlsens Vater Werner Michael führte das hannoversche Familienunternehmen in dritter Generation, bis er sich 2018 aus dem operativen Geschäft zurückzog. Er sitzt dem Aufsichtsrat vor. Seine vier Kinder, darunter Verena, sollen noch Zeit haben, sich zu entwickeln, bis sie die Nachfolge antreten - auch wenn sie schon jetzt Gesellschafter sind.

    Man hätte an der Stelle sicherlich einwenden können, dass Verena Bahlsen nicht für die Unternehmensgeschichte von vor 70 Jahren verantwortlich ist. Doch leider verschlimmerte die Gründerin selbst die Lage. In der Bild-Zeitung wies sie die Kritik zurück. Es sei nicht in Ordnung, ihren Vortrag mit der Zwangsarbeit in Verbindung zu bringen. „Das war vor meiner Zeit und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.“ Das Unternehmen habe sich nichts zuschulden kommen lassen.

    Nun gärt es auf Twitter weiter. Und sicher, die Aussagen Bahlsens waren maximal unglücklich. Doch es lohnt sich durchaus, sich ihren Auftritt, einen Vortrag in freier Rede genauer anzuschauen. Denn nach ihrem Segelyachten-Beispiel sagt sie etwa: „Ich glaube nur wirklich, dass ich langfristig mit dem Weltverbessern mehr Geld verdienen kann.“

    Bahlsen gründete vor zwei Jahren das Berliner Start-up Hermann’s, benannt nach ihrem Urgroßvater, dem Unternehmer Hermann Bahlsen. Mit ihrem Team spürt sie Lebensmittel-Trends hinterher, lässt innovative Zutaten in einer offenen Restaurantküche testen. Dahinter steht für sie der Gedanke, dass die Welt von heute nicht nachhaltig ist. Hermann’s baut ein Netzwerk auf, das Industrie, Handel und Food-Innovatoren zusammenbringt. Beim OMR-Festival sagt Bahlsen dazu, die Zukunft für ihre und kommende Generationen sei unsicher genug. Und ergänzt kraftvoll: „Ich scheiß’ auf Wirtschaft, wenn Wirtschaft nicht ein Vehikel ist, um uns als Gesellschaft nach vorn zu bringen.“ Das klingt drastisch, aber nicht nach Brachial-Kapitalismus. Zumal die Gründerin betont, dass ihr Urgroßvater vor 130 Jahren begonnen habe, Kekse zu produzieren und sie dadurch profitierte, indem sie eine tolle Bildung bekommen habe, viel reisen und erleben konnte.

    Verena Bahlsen wird dem hohen Anspruch noch gerecht werden müssen. Und darf bei dem Blick in die Zukunft die Vergangenheit nicht verzerren. Eigentum verpflichtet.

    Kommentar Bahlsen-Erbin: Eine Frage wie eine Provokation - taz.de
    https://www.taz.de/Kommentar-Bahlsen-Erbin/!5592143

    Eine merkwürdige Frage geht um in Debatten-Deutschland: Es geht um das Schicksal von Zwangsarbeitern zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Eine traurige Frage. Es ist die Frage danach, wie es Zwangsarbeitern auf dem Gebiet des Deutschen Reichs zwischen 1939 und 1945 wirklich gegangen ist. Eine Frage, die in den Ländern, aus denen Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt worden sind, wie eine Provokation wirken muss.

    Was sollen sich die Nachfahren von Zwangsarbeitern in Polen, der Ukraine, Belarus oder Russland denken? Hat da das neue, freshe Deutschland gesprochen?

    Die Erbin eines Lebensmittelkonzerns, der vor allem für seine Butterkekse bekannt ist, hatte in einem Interview mit der Bild-Zeitung gesagt hat, das Unternehmen Bahlsen habe seine Zwangsarbeiter genauso entlohnt wie die deutschen Mitarbeiter. Zudem seien sie gut behandelt worden.

    Auf eine Frage, von der man glauben sollte, sie müsse gar nicht erst gestellt werden, gibt es in diesen Tagen also eine neue Antwort. Übersetzt ins Hipster-Business-Deutsch, das die junge Verena Bahlsen (25) normalerweise spricht, wenn sie über die Food-Branche redet, lautet sie: Voll okay sei es den Zwangsarbeitern gegangen.

    Schon gibt es die ersten Faktenchecks. Bild fragt: „Wie ging es den Bahlsen-Zwangsarbeitern?“. Andere Medien schauen noch einmal in die Geschichte des Entschädigungsprozesses für Zwangsarbeiter, der im Jahr 2000 in einen Fonds mündete, der mit Zahlungen der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Wirtschaft ausgestattet wurde. Mit Geld aus dem Fonds wurden Zwangsarbeiter, die einen entsprechenden Antrag gestellt hatten, individuell entschädigt, man könnte auch sagen: abgespeist.

    Menschen, die in Haft, unter haftähnlichen oder vergleichbar schlechten Lebensbedingungen Zwangsarbeit leisten mussten, bekamen bis zu 2.560 Euro. Im Monat? Im Jahr? Nein, ein Mal. Und da stellt sich die sogenannte Keks-Erbin doch tatsächlich hin und sagt, alles sei gut!
    Eine beschämende Diskussion

    Bei den frischen Berichten über den Bahlsen-Bullshit taucht auch die Frage auf, wie die Betroffenen damals von ihren Sklavenhaltern behandelt worden sind. Mal besser, mal schlechter? Als ob es darum ginge! Als sei nicht längst bekannt, dass das System der Zwangsarbeit, mit dem die deutsche Industrie, die Landwirtschaft und auch das Handwerk zu Zeiten des deutschen Vernichtungskriegs am Leben gehalten wurde, ein elementarer Baustein im verbrecherischen System des Nationalsozialismus gewesen ist.

    Die Verwüstung des europäischen Kontinents, der Genozid an den europäischen Juden, die Kriegsverbrechen der Wehrmacht basieren auch auf dem System der Zwangsarbeit. Und doch wird mit einem Mal über Zwangsarbeit wie über etwas gesprochen, von dem man noch nicht so genau weiß, was es war und was es zu bedeuten hat. Da fehlt fast nur noch der allseits beliebte Faktencheck: Was wir wissen und was nicht.

    Angefangen hat das alles mit dem Auftritt von Verena Bahlsen auf der Digital-Konferenz Online Marketing Rockstars. Gut gelaunt hat sie dargelegt, dass sie gar nichts daran findet, reich zu sein. Dass sie sich von ihrer Dividende (!) gerne Yachten kaufen würde, hat sie auch gesagt. Der Vorwurf, ihr Reichtum sei auch auf Zwangsarbeit aufgebaut, hat die junge Frau dann zum Social-Media-Antistar gemacht. Und jetzt diskutiert Deutschland tatsächlich darüber, wie schlimm Zwangsarbeit war.

    Es ist eine beschämende Diskussion, die von einer Frau losgetreten worden ist, die sich selbst in der Rolle einer Zukunftsgestalterin sieht. Sie soll Foodtrends für ihr Unternehmen aufspüren, beschäftigt sich sorgenvoll mit der Zukunft („Total viel waste und so weiter!“) und sagt Sätze wie: „Ich scheiß’ auf Wirtschaft, wenn Wirtschaft nicht ein Vehikel ist, um uns als Gesellschaft nach vorn zu bringen.“ Sie bezeichnet sich in ihrem Vortrag sogar als Weltverbesserin, als verantwortungsvolle Vertreterin der Generation Y.

    So gut gelaunt und geschichtsvergessen kann man also in die Zukunft marschieren. Mülltrennung auf der Yacht, Superfood zum Frühstück und ein gutes Gewissen. Verena Bahlsen hat davon gesprochen, dass sie dankbar ist, eine tolle Bildung genossen zu haben. Sagen wir’s ihr!

    #Berlin #Mitte #Torstraße #capitalisme #nazis #exploitation #jeunesse_dorée

    • Wer ist Verena Bahlsen und warum verharmlost sie NS-Zwangsarbeit?
      https://www.stern.de/wirtschaft/news/verena-bahlsen--wer-ist-die-frau-und-warum-spricht-sie-so-ueber-ns-zwangsarbei

      15.5.2019 von Daniel Bakir - Verena Bahlsen, millionenschwere Erbin des Keksimperiums, hat mit einem Satz über Zwangsarbeiter während der NS-Zeit verstört. Wer ist die junge Frau und warum sagt sie solche Sachen?

      Mit 26 Jahren steht Verena Bahlsen, Erbin des familieneigenen Keksimperiums, auf einmal im Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. Der Grund: In der „Bild“ sagte sie über Zwangsarbeiter bei Bahlsen in der NS-Zeit den Satz: „Das war vor meiner Zeit und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.“ Der Bahlsen-Konzern habe sich „nichts zuschulden kommen lassen“. Eine Aussage, die für große Empörung sorgt.

      In den Kommentarspalten wird Verena Bahlsen, der ein Viertel des Keksimperiums ihrer Familie gehört, nun als geschichtsvergessen gegeißelt, in den sozialen Netzwerken als zynische Kapitalistin angefeindet. Der deutsch-amerikanische Historiker Guy Stern hält die Aussagen für geschichts- und geschäftsmoralisch unerträglich „und eines bundesdeutschen Unternehmens unwürdig“, wie er der DPA erklärt.

      Der Bahlsen-Konzern, der während der NS-Zeit rund 200 Zwangsarbeiter beschäftigte, reagierte mit einer distanzierenden Stellungnahme. „Das Unternehmen ist sich bewusst, welch großes Leid und Unrecht den Zwangsarbeitern sowie vielen anderen Menschen damals widerfahren ist und erkennt hierin seine historische und moralische Verantwortung.“ Der Verantwortung hat sich das Unternehmen, wenn auch spät, bereits gestellt. Nachdem Bahlsen gerichtlichen Entschädigungsforderungen zunächst erfolgreich wegen Verjährung entgehen konnte, zahlte der Konzern im Jahr 2000 insgesamt 1,5 Millionen DM in eine Stiftung für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter ein.

      Aber wie kam Verena Bahlsen überhaupt zu ihrer Zwangsarbeiter-Aussage? Was hat die Tochter des Firmenpatriarchen Werner Bahlsen geritten, derart über dieses Kapitel ihres Familienunternehmens zu sprechen? Was will die Frau überhaupt?

      Im Video: Ruth Meros war 11 Jahre alt, als die Nazis an die Macht kamen. Auf ihrer Schule war sie damals das letzte jüdische Kind. Im Interview mit stern-Autor David Baum schildert sie ihre Erlebnisse.

      Verena Bahlsen und die Jacht-Aussage

      Die Aussagen von Verena Bahlsen in der „Bild“ vom Montag waren eine Reaktion auf ihren Auftritt auf der Onlinemarketing-Konferenz OMR in Hamburg vorige Woche. Bei dem hippen Branchenevent hatte Bahlsen auf dem Podium mit kessen Sprüchen provoziert: „Ich bin Kapitalistin. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen, das ist toll. Ich will mir ’ne Segel-Jacht kaufen und solche Sachen.“ Handelsblatt-Reporter Christoph Kapalschinski berichtete, der kecke Auftritt sei beim Publikum gut angekommen und mit viel Applaus bedacht worden. Bahlsens Auftritt als selbstbewusste Kapitalistin bildete den Gegenpol zu Juso-Chef Kevin Kühnert, der kurz zuvor auf der gleichen Veranstaltung mit seinen Sozialismus-Ideen aufgetreten war.

      Doch als sich Bahlsens Aussagen im Netz verbreiteten, gab es auch ganz andere Reaktionen. Insbesondere den lässigen Segel-Jacht-Spruch nahmen ihr viele krumm. Wie kann die Erbin eines Unternehmens, das unter den Nazis von Zwangsarbeit profitierte, sich derart ungeniert über die schönen Seiten des Kapitalismus auslassen?

      Die Bild fragte nach und Verena Bahlsen redete sich um Kopf und Kragen. Immerhin: Auf einer Segel-Jacht sei sie noch nie gewesen und habe auch gar nicht vor, eine zu kaufen, erklärte Bahlsen noch. Sie könne „den Ärger der Menschen auf die Wirtschaft verstehen. Deshalb möchte ich beweisen, dass Wirtschaft nicht für Ausbeutung steht, sondern etwas für die ganze Gesellschaft leisten muss“.

      Denn das ist es, wofür die junge Unternehmerin eigentlich stehen möchte. Nach ihrer Studienzeit in London stieg das zweitjüngste von vier Kindern von Werner Bahlsen nicht etwa im Management des Hannoveraner Familienkonzerns ein, sondern gründete 2017 eine Tochterfirma, die für das komplette Gegenteil dessen steht, was Bahlsen groß gemacht hat. Das „Herrmann’s“ in Berlin (in Anspielung an Firmen-Gründer Herrmann Bahlsen) ist ein gesundes Restaurant mit angeschlossenem Öko-Shop und Unternehmensberatung für Firmen, die nachhaltige Konzepte in der Lebensmittelbranche umsetzen wollen. Statt über ungesunde Süßwaren aus der Familien-Fabrik denkt die Erbin lieber über zukunftsfähige Ernährungs-Alternativen nach.

      In einem Interview mit der Zeitschrift „Capital“ sagte Verena Bahlsen kürzlich: „Mein Urgroßvater hat die Industrialisierung in der Lebensmittelindustrie maßgeblich geformt. Was er und seine Nachkommen erreicht haben, ist wertvoll. Der Leibniz-Keks bleibt großartig. Unsere Generation aber hat eine neue Aufgabe: Wir müssen uns ändern und sind als Industrie dafür nicht gewappnet.“

      Verena Bahlsen glaubt, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Thema für Berlin-Mitte ist, sondern der kommende Megatrend in der Lebensmittelindustrie. Und sie will als eine Art gute Kapitalistin dabei sein. „Ich glaube, jetzt ist die spannendste Zeit, um mit Weltverbessern Geld zu verdienen“, sagte sie im Capital-Interview. Der Blick in die Zukunft scheint ihr jedenfalls besser zu gelingen, als der in der Geschichte zurück.