• 18.06.2019: Zwei Kugeln für General Lukow (Tageszeitung junge Welt)
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    »Ein Mensch von unvergleichlicher Kühnheit« – Violeta Jakova

    Seit 2003 rufen europäische Neonazis zu jährlichen Gedenkmärschen in Sofia für den bulgarischen General und zeitweiligen Kriegsminister Christo Lukow auf, der 1943 einem kommunistischen Anschlag erlag. Über den historischen Vorgang ist hierzulande nur wenig bekannt, und über die Täterin gibt es nicht einmal einen Eintrag in der deutschen Wikipedia – wohl aber über das Opfer. Doch die Frau, die dazu beitrug, den General ins Jenseits zu befördern, galt nicht nur jahrzehntelang als bulgarische Nationalheldin, sondern wird seit einigen Jahren im englischsprachigen Raum als Protagonistin des jüdischen Widerstands wiederentdeckt.

    Violeta Jakova kam am 2. Juni 1923 in der westbulgarischen Stadt Dupniza in einer sephardisch-jüdischen Familie zur Welt. Ihr Vater, ein Kleinhändler, war vor ihrer Geburt verstorben; über ihre Mutter ist nichts bekannt. Sie soll von ihrer Großmutter erzogen worden sein. Die Quellenlage ist schwierig; die meisten Informationen über sie entstammen Zeitzeugenberichten, manche sind wohl nur Gerüchte. Eigene Aussagen von ihr, etwa aus Briefen oder Akten, wurden bisher nicht öffentlich bekannt.

    Bereits mit 14 Jahren begann Jakova, in einer Tabakfabrik zu arbeiten. Dort machte sie die Bekanntschaft von Funktionären des bulgarischen kommunistischen Jugendverbands RMS, dessen Mitglied sie 1939 wurde. Nach kurzer Zeit siedelte sie in die Hauptstadt Sofia über, wo sie eine Lehre als Schneiderin absolvierte. Daneben engagierte sie sich im RMS und avancierte schließlich zur Bezirkssekretärin. »Unter ihrer Führung leistete die Organisation eine große Arbeit«, berichtete ihre Freundin Mitka Grabtschewa. »Als der Krieg gegen die Sowjetunion begann, war sie bereits eine angesehene Persönlichkeit mit großer organisatorischer Erfahrung.«

    Das zaristische Bulgarien war damals mit Deutschland verbündet. Die illegale Kommunistische Partei hatte sich auf die Seite der Sowjetunion gestellt und den Beschluss gefasst, das deutsche Militär mit allen Mitteln zu schwächen. So übernahm Jakova die Aufgabe, mit den Mitgliedern ihres Jugendverbandes Sabotageakte auszuführen.

    Zunächst setzten sie einen Heuschober in Brand, in dem Heu für die Wehrmacht gelagert wurde. Da die meisten Beteiligten verhaftet und Jakova als Verantwortliche in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde, ging sie in die Illegalität. Sie nahm den Decknamen Iwanka an, und es gelang ihr, Arbeit in einer Kürschnerei zu finden. Dort schmiedete sie mit einem befreundeten Genossen, Slawtscho Radomirski, einen neuen Anschlagsplan. Diesmal wurde das Lager der Kürschnerei angezündet, in dem Lederwaren und Pelze für die Wehrmacht bereitgehalten wurden.

    Danach schloss sie sich der von der Kommunistischen Partei organisierten »Kampfgruppe für besondere Aufgaben« in Sofia an, die von Radomirski geleitet wurde. Sie lernte schießen und wurde bald eine sehr gute Schützin. »Sie war ein Mensch von unvergleichlicher Kühnheit«, bezeugte Mitka Grab­tschewa. Die Gruppe tötete zunächst einen Verräter, der dem ZK der BKP angehört und zahlreiche Genossen der Polizei ausgeliefert hatte. Dabei versagte jedoch Jakovas Pistole, sodass ihr Begleiter einspringen musste.

    Der erfolgreiche Überfall auf General Christo Lukow, den sie am 13. Februar 1943 mit zwei Kugeln tötete, machte sie zur Legende. Als potentieller faschistischer Diktator Bulgariens schien er besonders gefährlich, hatte auch bereits eine paramilitärische Organisation (Bund der Bulgarischen Nationalen Legionen) aufgebaut. Bei der am 3. Mai 1943 erfolgten »Hinrichtung« von Polizeichef Oberst Atanas Pantew, bei dem ihre Freundin Mitka Grabtschewa schoss, sicherte Jakova den Rückzug.

    Nach Auflösung der Kampfgruppe wurde sie der Partisanenabteilung »Tschawdar« zugeteilt, die sie jedoch – angeblich wegen einer Erkrankung – wieder verlassen musste. Anfang 1944 gründete sie mit Slawtscho Rado­­mir­ s­­ ki eine neue Partisaneneinheit. Sie agitierte in den Dörfern, organisierte Versammlungen und Konferenzen der Jungkommunisten. Als sie am 17. Juni 1944 von einer solchen Zusammenkunft aus dem Dorf Kondofrej zurückkehrte, geriet sie in einen Hinterhalt der Polizei. Sie soll noch drei Polizisten erschossen haben, bevor sie, selbst durch Schüsse schwer verletzt, gefangengenommen wurde.

    Über Violeta Jakovas letzte Stunden gibt es eine Schilderung von Mitka Grabtschewa, die zwar nicht dabei war, aber als spätere Mitarbeiterin des bulgarischen Ministeriums für Staatssicherheit Einblick in Polizeiakten hatte. Jakova sei gefoltert worden, um den Standort ihrer Partisanenabteilung preiszugeben, habe jedoch nichts ausgesagt, sondern sogar noch politisch agitiert. Ob das stimmt, bleibt unklar.

    Am 18. Juni 1944 wurde sie in Radomir erschossen. Dort wurde nach dem Krieg ein Denkmal für diese tapfere Frau errichtet. Es steht noch heute.