• jungle.world - Eine göttliche Irrfahrt
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    Der evangelische Theologe und ehemalige Bischof Wolfgang Huber wollte mit dem Taxi von Berlin nach Potsdam fahren. Doch schon nach kurzer Zeit setzte der Fahrer ihn wieder vor die Tür. Eine Posse aus dem Berlin-Brandenburgischen Taximilieu.

    Von Holger Hegmanns

    Es gibt viele gute Gründe, Potsdam zu meiden. Die brandenburgische Landeshauptstadt klebt wie ein nekrotisches Furunkel an Berlins Südwesten. Durch unselige Ereignisse in der Vergangenheit teilen beide Städte auf einer stattlichen Länge sogar ihre Stadtgrenzen. Kein Sperrkreis, kein effektiver Schutzwall hindert die Potsdamer und Brandenburger daran, in aller Regelmäßigkeit die Vorstellung einer sogenannten Länderehe mit Berlin als das zu beschwören, was sie wäre: die Wiederauferstehung Preußens.
    Während Berlin sich gerade eben einen Fingerbreit aus dem zähen Schleim der preußischen Ursuppe erhoben hat, möchte man in Potsdam die Geschichte als preußische Metropole mit Tschingderassabum fortschreiben. Derzeit zieht der Brandenburger Landtag in das rekonstruierte barocke Stadtschloss. Und der Wiederaufbau der Garnisonkirche, vor der im März 1933 die Nationalsozialisten die Kontinuität der preußisch-deutschen Geschichte beschworen, stockt zwar ein wenig, ist aber längst nicht aufgegeben.

    Die Deutsche Bahn hat Potsdam trotz des Preußentrubels vom Fernverkehr abgehängt. Doch was die Bahn, purer ökonomischer Vernunft folgend, verweigert, halst sie anderen Beschäftigten im öffentlichen Personenverkehr auf: den Taxifahrerinnen und -fahrern. Taxifahrten von Berlin nach Potsdam sind wie ein klebriges Zuckerstück, als süße Freude bessern sie zwar kurzfristig die klammen Kassen gebeutelter Berliner Kutscher auf, aber ihre Folgeerscheinungen sind schlimmer als Karies. Nicht nur dass Kunden, die von Berlin nach Potsdam befördert werden wollen, häufig zu der anstrengenden Sorte von Personen gehören, die glauben, dem Fahrer einen besonders großen Dienst zu erweisen. Darüber hinaus erwarten sie von ihm auch noch exzellente Ortskenntnis in ihrem Städtchen. Die zwangsläufige Rückfahrt nach Berlin honorieren sie dann mit durchschnittlich 40 Cent Trinkgeld. Falls der Berliner Kutscher den Mut aufbringt, einen Rest von Souveränität zu beweisen, und vor Fahrtantritt einen moderaten Aufschlag zum Taxameterpreis ankündigt, kann er sich wüste Beschimpfungen anhören und in der Regel die Tour völlig abschreiben.

    Dabei ist die Dienstleistung streng kommunal geregelt. Wenn es keine Sondervereinbarungen zwischen benachbarten Landkreisen oder freien Städten gibt, markiert die Grenze der Kommune auch das Ende der Beförderungspflicht zum örtlich gültigen Taxitarif. Über sie hinaus ist der Fahrer weder beförderungs- noch tarifpflichtig, denn schließlich darf er die Infrastruktur wie Taxistandplätze fremder Kommunen gar nicht benutzen. Dieser regionale Bezug gewährleistet eine gute Ortskenntnis im Dienst der Kunden, den Fahrern wird wirtschaftliches Arbeiten ermöglicht. Bevor also ein Taxikunde in Berlin Reiseziele wie Kleinmachnow im Landkreis Potsdam-Mittelmark, Großbeeren im Landkreis Teltow-Fläming oder Potsdam-Stadt nennt, ist er gut beraten, erst einmal herauszufinden, ob der Fahrer überhaupt gewillt ist, auch dorthin zu fahren. Wolfgang Huber, ehemaliger Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, war dies möglicherweise nicht bekannt. Im Gespräch mit der Jungle World sagte Farshid Navid*, Huber sei an einem Montagabend Ende November am Mexikoplatz im Berliner Ortsteil Zehlendorf in sein Taxi gestiegen und habe das Fahrtziel »Neuer Markt« in Potsdam genannt. Navid habe den Auftrag angenommen, aber auf seine nur rudimentäre Ortskenntnis in Potsdam hingewiesen.

    Sofort loszufahren, ist eine gängige Praxis, zumal der Anfang der kürzesten Route von Berlin nach Potsdam sowieso alternativlos ist. Während der Fahrt, so Navid, habe er die genannte Adresse in sein Navigationssystem eingegeben, das mit dieser Information aber nicht viel anfangen konnte. Er habe Huber schnell auf die offensichtlich unstimmige Adresse hingewiesen und ihn gebeten, sein Fahrtziel noch einmal zu überprüfen. Doch der Theologe habe ihn zur Eile getrieben und ihm vorgeworfen, er könne sein Navigationssystem nicht bedienen. Und der Bischof habe ausdrücklich noch einmal wiederholt, er wolle zum »Neuen Markt«. Mit dem Hinweis, dass er nur Taxifahrer und ihm der Heilige Geist noch nicht erschienen sei, komplimentierte Navid nach eigenen Angaben den Bischof daraufhin nur wenige hundert Meter nach Fahrtantritt kurzerhand wieder aus dem Auto, nicht ohne ihm anzubieten, ihn unentgeltlich zum Halteplatz zurückzufahren, damit ein anderer Kollege sein Glück mit ihm ver­suchen könne.

    Wenige Tage später sprach Huber auf Einladung des Vereins »Perspektive Berlin-Brandenburg« und der Initiative »Aktive Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg« im Rahmen der zweiten »Potsdamer Rede zu Berlin-Brandenburg« zum Thema »Eine gemeinsame Region – auch für Kirche und Kultur«. Da das Auditorium wohl Gefahr lief, von solchen Wortmonstern gelähmt schon vor Beginn des Vortrags einzuschlafen, griff er in die Mottenkiste des erfahrenen Redners und gab das ihm Widerfahrene als köstliche Anekdote und bizarren Schenkelklopfer zum Besten. Dabei entblödete er sich nicht, die Ordnungsnummer des Taxis mehrfach zu nennen, das Ganze als unwiderlegbaren Beweis für das Fremdeln der beiden Bundesländer zu präsentieren und selbstverständlich ganz schneidig-preußisch zu verkünden, dass eine »Anzeige« gegen den Fahrer eingereicht sei.

    Das tatsächliche Fahrtziel Hubers an diesem Abend wird wohl immer ein Rätsel bleiben, denn in Potsdam gibt es keine Straße mit dem Namen »Neuer Markt«. Ob Huber vielleicht »Am Neuen Markt« meinte, ist unklar. Das Taxigeschäft jedenfalls ist ein Präzisionsgewerbe, das keine Nachlässigkeit duldet. Schließlich liegt ja auch weder das Kaufhaus des Westens noch das Hotel Waldorf Astoria am Kurfürstendamm. Hubers Beschwerde über seinen Rauswurf hat inzwischen den Weg zu einer Instanz diesseits der letzten gefunden. Der zuständige Leiter des Referats Personenbeförderung des Berliner Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten, Christoph Krause, bestätigte gegenüber Jungle World den Eingang.

    Selbst eine »Länderehe« zwischen Berlin und Brandenburg hätte dem ehemaligen Bischof in diesem Fall nichts genützt. Es hätte schon der Auflösung der Stadt Potsdam und ihrer Herabstufung zu einem Stadtbezirk des Sündenbabels Berlin bedurft. Und das ist unwahrscheinlicher als die Einführung von Beichte und Vergebung in der Evangelischen Kirche per Dekret durch die Ökumene.

    *Name von der Redaktion geändert

    #Kirche #Taxi #Berlin #Potsdam