Potsdamer Taxinotstand – warum aus Berlin keiner hilft

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    https://www.taxi-times.com/potsdamer-taxinotstand-warum-aus-berlin-keiner-hilft
    Um Taxigeschichte und Hörensagen mäandert der Gedankenstrom der Taxi-Times und kommt zu keinem stimmigen Ergebnis. Der Autor unterstellt, dass Berliner Taxiunternehmen die wunderbaren Potsdamer Verdienstmöglichkeiten links liegen lassen, weil sie sich im osteutschen Milieu nicht wohlfühlen, liefert dafür jedoch keinen Beleg.

    Die einzig nahe liegende plausible Erklärung für den anhaltenden Potsdamer Taxinotstand ist einfach zu bitter: Für flächendeckenden Lohnraub ist Potsdam zu klein, 20 Mal kleiner als Berlin. Die viel zu vielen Taxis auf Berliner Straßen mit ihren viel zu vielen viel zu schlecht bezahlten Kutschern gibt es in Potsdam nicht, weil sich das winzige Potsdam für die immer größer werdenden Taxibetriebe Berlins nicht lohnt.

    Es ist ganz einfach: Wenn in Berlin der Umsatz pro Stunde und Taxi sinkt, wird einfach ein weiteres Auto mit ein oder zwei Fahrern auf die Straße gebracht. Die neuen Fahrer verdienen noch weniger, weil sie sich die verbleibenden Aufträge mit ihren älteren Kollegen teilen müssen, für den Unternehmer hingegen rechnet es sich. Durch die Anschaffung der zusätzlichen Autos entstehen keine Kosten, denn der Preis eines Autokredits ist sich zur Zeit gleich Null . Ein neues Auto wird beschafft, der Umsatzverlust wird ausgeglichen, und der Gewinn bleibt, zumindest solange kein Uber in das Geschäft hineinregiert.

    In Potsdam kann diese Rechnung nicht aufgehen, dazu ist die Stadt zu klein und die Anzahl der Taxis zu gering.

    Die Ausbeutung des Fahrpersonal läßt sich in einer überschaubaren Gemeinde wie Potsdam anders als im riesigen Berlin nicht unendlich verschärfen. Dazu fehlt die erforderliche Anonymität. Skandalösen Zustände wie in Berlin werden sofort für alle sichtbar. Potsdam verfügt über eine funktionierende Stadtverwaltumg und eine rot-rote Landesregierung, die systematische Gesetzesverstöße der Taxiunternehmen und extreme Ausbeutung nicht tolerieren sondern wirksam bekämpfen würden.

    Dem Taxi-Times-Autor erschließt sich das nicht, und so bleibt er die Antwort auf seine Titelfrage schuldig. Aufschlußreich ist der Artikel dessen ungeachtet, denn er verrät viel über seinen Autor und die über Haltung seiner Auftraggber.

    Natürlich ist der Mindestlohn ein Fremdköper in einem Gewerbe, das ausschließlich mit einem Anteil am Umsatz entlohnt.

    Bis heute sind die Taxiunternehmen nicht bereit zu akzeptieren, dass es den gesetzlichen Mindestlohn gibt und er ausgezahlt werden muß. Dazu kommt strafverschärfend hinzu, dass eine Entlohnung ausschließlich auf Grundlage einer Umsatzprovision schon immer illegal und ausdrücklich verboten war. In guten Zeiten fiel das nur nicht auf. Heute werden im Taxigewerbe Verstöße gegen das Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetz computergestützt verschleiert. Das ist so normal wie strafbar.

    Über die Lippen kommt diesen Ausbeutern die Wahrheit nur aus Versehen. Durch lange Übung sind ihnen Lügen und Betrügen zur zweiten Natur geworden.

    Man glaube ihnen nichts.

    13. August 2019 - Man stelle sich vor, man braucht ein Taxi und keines kommt. Die Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN) berichten in dieser Woche abermals von einer Taxikrise. Die Zahl der Konzessionen sei mittlerweile unter die von der Stadt empfohlene Obergrenze von 183 gesunken. Doch warum helfen die benachbarten Berliner Taxibetriebe nicht aus?

    Dieser Frage ist die Redaktion der Regionalausgabe Taxi Times Berlin bereits zu Jahresbeginn nachgegangen. Der im Februar erschienene Beitrag macht deutlich, warum die mentale Hürde zwischen Taxi in Berlin und Taxi im nur 35 Kilometer entfernten Potsdam (von Ortsmitte zu Ortsmitte) so hoch ist. Hier ein Auszug aus dem Beitrag.

    „Potsdam hat rund 175.000 Einwohner und knapp 170 Taxis. Auf ein Taxi kommen also rund 1.030 Einwohner, keine schlechte Quote aus Sicht des Taxigewerbes, in Berlin sind es nur gut 450. Wenn man bedenkt, dass nicht ständig alle 170 unterwegs sind, und vermutlich einige Konzessionen „ruhen“, also mit gar keinem Auto dabei sind, spricht das für eine gute Auslastung für die, die gerade fahren – und für Taxiknappheit aus Sicht der Kunden. […]
    Leere Menge: Halteplatz in Potsdam-Babelsberg Foto: Sebastian Stahl

    Parallel könnte die Genehmigungsbehörde zusätzliche Taxikonzessionen ausgeben. Das würde sie auch gerne tun. Es finden sich jedoch keine Abnehmer. Hier wird das eigentliche Problem deutlich. Der Taxinotstand entwickelt sich schleichend und ist struktureller Natur.

    Fast alle Potsdamer Taxibetriebe wurden Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts gegründet, als das nach dem Ende der DDR möglich wurde. Das heißt, die Unternehmer sind in etwa alle gleich alt und denken jetzt, nach knapp 30 Jahren, langsam ans Aufhören. Genauso wenig, wie sich Abnehmer für neue Konzessionen melden, finden die Altunternehmer Nachfolger für ihre Betriebe.

    Ein ähnliches Schicksal droht der Genossenschaft, die sich alle Mühe gibt, durch ihre Vermittlungstätigkeit das Potsdamer Taxigewerbe am Leben zu halten. Wenn das so weiter geht, gehen ihr über kurz oder lang die Genossen aus.
    (vlnr.) Karl-Heinz Kirle, Gewerbevertretung Brandenburg und Detlef Baatz Geschäftsführer Taxi-Genossenschaft Potsdam e.G. Foto Wilfried Hochfeld

    Woran liegt das? Taxifahren ist offenbar nicht mehr besonders attraktiv. Anscheinend kann man in anderen Branchen mit weniger Anstrengung mehr Geld verdienen. Das taxigewerbsmäßige Jammern über den Mindestlohn tut ein Übriges. Da entsteht bei Arbeitnehmern leicht der Eindruck, im Taxigewerbe kann man nicht mehr als den Mindestlohn verdienen.

    Natürlich ist der Mindestlohn ein Fremdköper in einem Gewerbe, das ausschließlich mit einem Anteil am Umsatz entlohnt. Dass man dadurch mit ein wenig Umsicht weit mehr als den Mindestlohn verdienen kann, gerät leicht aus dem Blick.

    Warum gehen keine Berliner Unternehmer mit einem Betriebssitz nach Potsdam? Berlin hat zu viele Taxis. Hier ist es wirklich schwer, ein vernünftiges Einkommen zu erzielen. Nach Schönefeld, einer anderen Umlandgemeinde (mit dem Flughafen BER), sind schließlich auch viele Berliner gegangen.

    Wenn man ein wenig zurückblickt in die Entwicklung des Berliner Taxigewerbes, findet man die Erklärung. Der traditionelle Berliner Nachkriegskraftdroschkenfahrer mit schwarzer Lederjacke (passend zum Auto), Kapitänsmütze und ausgeprägter Berufsehre ist spätestens in den 70er Jahren von Bord gegangen.

    In dieser Zeit brachten die studentischen Gründer frisches Blut ins Taxigewerbe. Mit ihren frisch anstudierten betriebswirtschaftlichen Methoden brachten sie die vorwiegend allein fahrenden älteren Kollegen in Bedrängnis. Mit Betriebsgrößen von dutzenden Taxis und Fahrpersonal, für das keine Sozialversicherung abzuführen war, konnten sie kaum mithalten. Für sie erschwerend hinzu kam die kreative Buchführung, die von vielen studentischen Taxifirmen betrieben wurde.

    Ein weiterer Schub neuer Unternehmer kam Ende der 80er Jahre hinzu. Als der Konzessionsstopp wegen des Beobachtungszeitraums aufgehoben wurde, machten sich ganze Belegschaften der Studentenbetriebe selbstständig, was denen nun wieder große Schwierigkeiten bereitete.

    Sie alle gehen jetzt nach und nach in den Ruhestand. Den vorwiegend deutschen Unternehmern folgen seit geraumer Zeit Emigranten (und deren Nachkommen) aus aller Herren Länder mit mehr oder weniger desolaten Volkswirtschaften, in denen Unternehmertum sehr geachtet wurde, sei das Unternehmen auch noch so klein. Inzwischen sind viele dieser Betriebe sehr erfolgreich und gar nicht mehr so klein. Man kann sagen, das aktuelle Berliner Taxigewerbe wird beherrscht von Unternehmern türkischer, arabischer oder russischer Abstammung.

    Das wäre also die Klientel, die sich zur Verstärkung des Potsdamer Gewerbes nach dort aufmachen müsste – und wenig Ambition zeigt, dies zu tun. Das Potsdamer Taxigewerbe ist fest in deutscher Hand. Ein einziger Unternehmer dort ist nichtdeutscher Abstammung. Das Gewerbe ist dort, anders als in Berlin, klein und überschaubar. Jeder kennt jeden. Selbst ein Neuunternehmer alt-deutscher Abstammung wäre dort erst einmal der „Fremde“.

    So bedauerlich das sein mag, hier stoßen Vorbehalte „gelernter DDR-Bürger“ gegen „Ausländer“ auf Vorbehalte von „ Ausländern“ gegen „gelernte DDR-Bürger“. Interessant wäre, wie die Fahrgäste das sehen, die jetzt zum Teil ungebührlich lange auf ein Taxi warten müssen. Denen soll die ganze Veranstaltung schließlich dienen. Werden die in Potsdam lieber von Bio-Deutschen kutschiert oder ist es ihnen wurscht, solange überhaupt einer kommt?

    Eines ist sicher: Die Personenbeförderung mit Taxis wird auch in Potsdam nicht aussterben. Die Zeit wird’s richten. Einstweilen werden Berliner Kollegen einspringen und den Gewöhnungsprozess an fremd aussehende Deutsche voran bringen. Die Berliner Taxizentrale TZB in der Persiusstraße hat damit kein Problem. Sie wäre auch bereit zu einer vertraglich geregelten engeren Zusammenarbeit mit der Potsdamer Genossenschaft. Aber auch dieser Weg ist noch weit.“

    Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag ist in der Printausgabe Taxi Times Berlin Januar/ Februar 2019 erschienen. Der Autor ist Wilfried Hochfeld.

    #Taxi #Potsdam #Geschichte