• Transformieren, aber fair – Peter Nowak
    https://peter-nowak-journalist.de/2023/09/18/transformieren-aber-fair

    Quelques jours avant le congrès national du syndicat ver.di le parti de gauche Die Linke organise une rencontre de membres de comités d’entreprise et syndicalistes militants. Comme d’habitude les grands médias ont préféré ignorer cette rencontre. Le journal ND-online, l’ancien Neues Deutschland a ouvert ses colonnes à l’infatigable Peter Nowak. Voici son compte rendu de la rencontre sous le titre Berlin, Hauptstadt der Guten Arbeit ?! .

    Introduction

    «Klassenkampfstimmung brachten Kolleg*innen des Lieferdienstes Lieferando in die Konferenz, die mit ihren Streikwesten auftraten. »Wir haben keine Orte im Betrieb, wo wir uns treffen können, was die Atomisierung vorantreibt«, so Lieferando-Betriebsrat Leonard Müller. Damiano Valgolio nannte die Unterstützung der kämpferischen Rider*innen eine wichtige Aufgabe seiner Partei.

    https://www.nd-aktuell.de/artikel/1176357.konferenz-linke-und-gewerkschaften-transformieren-aber-fair.html
    On trouve des liens et infos supplémentaires dans la version de l’article sur le site web du journal ND-Aktuell.

    #Allemagne #Berlin #syndicalisme #gauche

  • Kürzen bei der Kurzarbeit – Peter Nowak
    https://peter-nowak-journalist.de/2021/05/19/kuerzen-bei-der-kurzarbeit

    12.5.2021 von Peter Nowak - »Das Taxigewerbe könnte dabei die Spitze des Eisberges sein«, warnt der Landesbezirk Berlin-Brandenburg der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in einer Pressemitteilung. Aufgrund des ruinösen Preiskampfs, ausgelöst von Uber und anderen internetvermittelten Fahrdienste, seien die Gewinnmargen bei gesetzeskonformem Wirtschaften sehr gering. In einem offenen Brief fordert die AG Taxi nun ein staatlich garantiertes Mindestkurzarbeitergeld inklusive der kompletten Sozialversicherungsabgaben mindestens bis zum Ende der Pandemie.

    Seit die Covid-19-Pandemie vor über einem Jahr Deutschland erreichte, haben etliche Unternehmen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihre Beschäftigten mit staatlicher Unterstützung auf Kurzarbeit zu setzen. Je nach Monat waren das im vergangenen Jahr bundesweit zwischen zwei und sechs Millionen Arbeitnehmer. »Mit dem Einsatz des Kurzarbeitergeldes in einem bisher nie gesehenen Umfang ist es uns gelungen, den Folgen am Arbeitsmarkt entgegenzuwirken und Massenarbeits­losigkeit zu verhindern«, schreibt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Vorwort der von seinem Ministerium herausgegebenen Broschüre »Kurzarbeit und Corona 2021«, die am 31. März erschienen ist. Dabei fällt auf, dass der Minister lediglich …

    … von den Arbeitgebern und nicht von den Arbeitnehmern spricht, wenn er schreibt: »Auch im Jahr 2021 werden viele ­Unternehmen den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld weiter brauchen.«ANZEIGE

    Zum 1. Juli läuft allerdings die bisherige Regelung aus, nach der die Sozial­abgaben auf das Kurzarbeitergeld, die sogenannten Lohnnebenkosten, vollständig von der Bundesagentur für Arbeit beglichen werden. Ab diesem Tag müssten die Unternehmen 50 Prozent dieser Abgaben übernehmen. »Im Dienstleistungsgewerbe droht nun eine Kündigungswelle«, heißt es in einer Pressemitteilung der Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht (Baga). In dem Bündnis haben sich Beschäftigte, Gewerkschafter, Anwältinnen und Journalisten zusammengeschlossen, die kämpferische Interessenvertretung an die Stelle der Sozialpartnerschaft setzen wollen.

    Nachdem der DGB in Berlin wegen der Pandemie auf Demonstrationen am 1. Mai verzichtet hatte, organisierte Baga mit anderen Gruppen eine Demonstration unter dem Motto »Nicht auf unseren Rücken«, an der sich etwa 200 Gewerkschafter beteiligten. Auch die AG Taxi bei der Dienstleistungs­gewerkschaft Verdi war dabei, deren Redner Andreas Komrowski die Zukunft der Branche düster zeichnete: »Es gibt kaum noch Aufträge, nur Fahrten zu den Impfzentren stellen einen kleinen Lichtblick dar. Viele Betriebe haben ihre Angestellten in Kurzarbeit geschickt. Es droht eine Entlassungswelle, weil die Bundesanstalt für Arbeit für sie ab Juni nur noch die Hälfte der Sozialabgaben übernimmt.«

    Darauf sei er von seiner Chefin aufmerksam gemacht worden, die betont habe, dass sie die für sie dann entstehenden Mehrkosten von mehreren Tausend Euro für alle Mitarbeiter nicht aufbringen könne, sagt Komrowski im Gespräch mit der Jungle World. »Solche betriebsbedingten Kündigungen drohen in allen Branchen, in denen die pandemiebedingte Kurzarbeit gilt. Nur wenn eine betriebliche Weiterbildung angeboten wird, übernimmt der Staat nach der derzeitigen Kurzarbeiter­regelung weiterhin die vollen Sozialabgaben.« In großen Teilen des Dienstleistungssektors wie der Gastronomie oder der Veranstaltungswirtschaft seien Weiterbildungsmaßnahmen aber kaum möglich oder passten nicht in die Geschäftskonzepte der Unternehmen.

    »Das Taxigewerbe könnte dabei die Spitze des Eisberges sein«, warnt der Landesbezirk Berlin-Brandenburg der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in einer Pressemitteilung. Aufgrund des ruinösen Preiskampfs, ausgelöst von Uber und anderen internetvermittelten Fahrdienste, seien die Gewinnmargen bei gesetzeskonformem Wirtschaften sehr gering. In einem offenen Brief fordert die AG Taxi nun ein staatlich garantiertes Mindestkurzarbeitergeld inklusive der kompletten Sozialversicherungsabgaben mindestens bis zum Ende der Pandemie.

    Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Partei »Die Linke«, Pascal Meiser, teilt die Befürchtung, dass sich nach dem Auslaufen der bisherigen Kurzarbeitergeld­regelung vor allen Kleinbetriebe ihrer Beteiligung an den Kosten für die Sozialversicherungsbeiträge zu entledigen versuchen werden, indem sie Beschäftigte entlassen. Meiser verweist auf den Antrag »Kurzarbeitergeld erhöhen – Kosten der Krise nicht einseitig Beschäftigten zumuten«, für den »Die Linke« im April 2020 im Bundestag keine Mehrheit gefunden hat. Darin wurde vorgeschlagen, Kündigungen von in Kurzarbeit stehenden Beschäftigten zu verbieten. »Ohne einen solchen Kündigungsschutz ist aus meiner Sicht eine weitere vollständige Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit coronabedingter Einschränkungen sinnvoll. Parallel dazu muss aber sichergestellt werden, dass die Kosten für das Kurzarbeitergeld nicht von der Allgemeinheit getragen werden. Hier wäre eine arbeitgeberfinanzierte Umlage analog zur Finanzierung des Mutterschutzes ein Ansatz«, erklärt Meiser im Gespräch mit der Jungle World.

    Der für sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn, will mit seinem ebenfalls im April 2020 vorgestellten Vorschlag eines Programms »Kurzarbeitergeld plus« vor allem Betroffene im Niedriglohnsektor unterstützen. Es müsse verhindert werden, dass sie beim Jobcenter landen. Zur Zeit schränkten sich, so Strengmann-Kuhn, viele eher noch weiter ein, als ALG II zu beantragen, weil sie nicht in die Mühlen des gefürchteten Hartz-IV-Regimes geraten wollen. Die Furcht vor einer Entlassungswelle sei vor allem bei prekär Beschäftigten groß.

    #Taxi #Berlin #Kurzarbeitergeld

  • Urbane Kämpfe - Peter Nowak
    https://peter-nowak-journalist.de/2019/10/02/urbane-kaempfe

    Google, Facebook, Uber: Das Buch von Katja Schwaller nimmt die Aus­beu­tungs­ver­hält­nisse der Kon­zerne unter die Lupe, die das neue kapi­ta­lis­tische Akku­mu­la­ti­ons­modell prägen und beschreibt Wider­stands­formen. Die Autorin lebte in Zürich und so ist auch der Euro­p­allee ein Kapitel gewidmet.

    Kürzlich hat das Par­lament des US-Bun­des­staat Kali­fornien ein Gesetz beschlossen, das den Beschäf­tigten der Fahr­dienst­leister Uber und Lyft ein Recht auf Min­destlohn und weitere Sozi­al­leis­tungen garan­tiert. Es ist auch ein Erfolg einer wach­senden Pro­test­be­wegung in den USA, die sich gegen Kon­zerne wie Google, Facebook und Uber richtet. Die Jour­na­listin Katja Schwaller hat ein Buch her­aus­geben, das über diese .…

    .…. «urbanen Kämpfe in der San Fran­cisco Bay Area» infor­miert.

    Die Welt der Armut

    In 15 Bei­trägen und Inter­views wird sehr anschaulich beschrieben, welche gra­vie­renden Umwäl­zungen der Arbeits- und Lebens­be­din­gungen vieler Men­schen mit dem Auf­stieg der Gig-Öko­nomie ver­bunden sind. Der Soziologe Chris Herring beschreibt die Kri­mi­na­li­sierung von Obdach­losen durch eine mit­tel­stän­dische Bevöl­kerung, die sofort die Polizei alar­miert, wenn sie einen ver­meintlich Woh­nungs­losen sehen. «Obdach­lo­sigkeit ist in der San Fran­cisco Bay all­ge­gen­wärtig. Rund 20000 Men­schen schlafen in der Metro­po­len­region jede Nacht unter Brücken, in Haus­ein­gängen in Autos oder Not­über­nach­tungen», wird die Welt der Armut und Not beschrieben, die oft und gerne über­sehen wird, wenn über das Silicon- Valley berichtet wird. Diese Obdach­lo­sigkeit in den Städten ist ein neueres Phä­nomen.« Erst in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren traten erstmals Szenen auf, wie wir sie in San Fran­cisco nur zu gut kennen: riesige Zelt­städte unter Auto­bahn­brücken und in Wohn­vierteln, lange Schlangen vor Sup­pen­küchen und Tau­sende, die von Sup­pen­küchen und von Essen­s­tafeln abhängig sind», beschreibt Chris Herring eine Ent­wicklung im glo­balen Kapi­ta­lismus. Die Armut ist wieder Teil des Alltags und auch längst in fast allen euro­päi­schen Metro­polen ein­ge­zogen.

    Der Berg gewöhn­licher Arbeit

    Der Wirt­schafts­geo­graph Richard Walker widerlegt den Silicon-Valley-Mythos von den saube- ren, gut bezahlten Arbeits­plätzen. Das treffe nur für einen kleinen Teil der Tech­niker zu. Walker richtet seinen Blick auf die vielen «ungla­muo­rösen Jobs in den Maschi­nen­hallen, Lager­hallen, Küchen und Last­wagen», ohne die die Tech-Industrie nicht funk- tio­nieren würde. «Die Tech-Industrie ist viel­leicht die Spitze der modernen indus­tri­ellen Ent­wicklung, Inno­vation und Pro­fi­ta­bi­lität. Doch sie beruht immer noch auf einen ganzen Berg weniger qua­li­fi­zierter, gewöhn­licher Arbeit», schreibt Walker am Schluss eines auf­schluss­reichen Auf­satzes. Damit wider­spricht er auch Uber-Pro­pa­ganda, wie sie der süd­afri­ka­nische Poli­tik­wis­sen­schaftler und asso­zi­iertes Mit­glied des Ein­stein-Zen­trums in Digitale Zukunft in Berlin Ayad al-Ani in einem Interview mit der links­li­be­ralen Wochen­zeitung Jungle World ver­breitet. Dort sti­li­siert er die Crowdworker*innen als Gruppe von Individualist*innen, die Gewerk­schaften zur juris­ti­schen Beratung akzep­tieren, aber auf Kon­zepte gewerk­schaft­licher Gegen­macht nicht ansprechbar sind. Dabei müsste es gerade darum gehen, aus den vielen indi­vi­duell aus­ge­beu­teten Beschäf­tigten durch kon­krete Kämpfe und Bil­dungs­arbeit eine neue Klas- se mit gemein­samen Inter­essen und Kampf­ak­tionen zu formen. Dafür gibt es genügend Anre­gungen.

    Von San Fran­cisco in Euro­pa­allee

    In meh­reren Kapiteln werden unter­schied­liche Pro­test­formen gegen Google, Uber und Co. vor­ge­stellt. Dazu gehört die Blo­ckade von Google-Bussen, in denen die gut­be­zahlte Schicht der Beschäf­tigten von ihren Lofts zu ihren Arbeits­plätzen trans­por­tiert werden. Die Her­aus­ge­berin des Buches Katja Schwaller hat lange in der Schweiz gelebt, das Buch wurde auch von der Schweizer Kul­tur­stiftung Pro Hel­vetia finan­ziell gefördert. Wich­tiger ist, dass Schwaller in der Ein­leitung Bezüge zur Schweiz herstellt:«DieBayAreamag in gewisser Weise das Labo­ra­torium der High-Tech- Industrie aus dem Silicon Valley sein. Doch Letztere ist eine globale Ope­ration: Von den iphone-Fabriken im chi­ne­si­schen Shenzhen zu den Berg­bau­minen im Kongo, von den Ama­zon­ver­ar­bei­tungs­zentren in Vir­ginia zum gigan­ti­schen Google-Campus in San Jose, von der geplanten Smart City in Toronto bis zur Startup-Szene in Berlin oder der Euro­pa­allee in Zürich».

    Über die schreibt die Schweizer Künst­lerin Romy Rüegger einen kurzen Beitrag im Buch. Dort ist sie auf die Ver­än­de­rungen ein­ge­gangen, die der Züricher Bou­levard durch den Zuzug von Google erfahren hat. «Die feh­lenden Bäume in der Euro­pa­allee sind ersetzt durch unter­ir­dische Stränge, Strom­kabel und Daten­lei­tungen». Vor allem aber sind die Grund­stücks­preise rund um den Züricher Haupt­bahnhof nach Angaben des Vereins Neugass um 89 Prozent gestiegen. Ruegger erwähnt aber auch, dass das zivil­ge­sell­schaft­liche Enga­gement Spuren hin­ter­lassen hat. «Unter Druck der Öffent­lichkeit und mit Verweis auf die 30-Prozent- Klausel für genos­sen­schaft­liches Wohnen, welche die Stadt Zürich erreichen soll, wurde von Initia­tiven aus der Bevöl­kerung ein Teil der noch unbe­bauten Bahn­hofs­ein­falls­schneisen mitt­ler­weile für genossen- schaft­liches Bauen ein­ge­fordert». Es wird zu beobach- ten sein, ob solche Pro­jekte mehr sind als ein ökolo- gisches Män­telchen, dass sich Kon­zerne wie Google gerne umhängen, um sich als die freund­li­chere, öko- logi­schere Variante des Kapi­ta­lismus anzu­preisen.

    Erfolg ist möglich

    Die im Buch vor­ge­stellten Wider­stands­formen gegen Uber, Google und Co. zeigen, dass man auch Er- folg haben kann, wenn man sich auf die Koope­ra­tions- und Dia­log­an­gebote dieser Kon­zerne nicht ein­lässt.

    Eryn McElroy stellt ein Map­ping­projekt vor, auf denen Orte der Ver­drängung auf­ge­führt sind. Darüber berichtete McElroy 2017 in Berlin auf einer Ver­an­staltung Ber­liner Anti-Google-Kam­pagne. Mitt­ler­weile ist der geplante Google-Campus in Berlin-Kreuzberg für einige Jahre ver­schoben worden. Davon handelt der letzte Beitrag des Buches. Die Ber­liner Anti-Google- Aktivist*nnen haben von ihren Freund*nnen in den USA gelernt, dass nicht Ver­hand­lungen mit den Konzern sondern Wider­stand Erfolge bringen. McElory beschreibt, wie sich in den urbanen Kämpfen ver­schiedene Wider­stands­formen zusam­men­ge­funden haben. Betrieb­liche Kämpfe gegen eine Kün­digung mit Stadt­teil­in­itia­tiven, die sich gegen die Gen­tri­fi­zierung wehrten.

    Das Buch ist aber vor allem deshalb so wichtig, weil die Aus­beu­tungs­ver­hält­nisse der Kon­zerne unter die Lupe nimmt, die das neue kapi­ta­lis­tische Akku­mu­la­ti­ons­modell prägen werden. Auch die durchaus begrüs­sens­werte Bewegung gegen die alte for­dis­tische Auto­mo­bil­in­dustrie läuft Gefahr, am Ende Uber, Google und Co. in die Hände zu spielen, wenn sie keine klar anti­ka­pi­ta­lis­tische Per­spektive ent­wi­ckelt. Konzernsprecher*innen von Uber reden in höchsten Tönen von der Ver­schrottung der alten Auto­mo­bil­in­dustrie und bieten ihre Pro­dukte als Alter­native an. Aber die gesamte app-basierte Öko­nomie ist weder öko­lo­gisch noch frei von Aus­beutung. Es wäre über­haupt nichts gewonnen, wenn auf den For­dismus der Ube­rismus folgt. Daher wird im Buch der Wider­stand des 21. Jahr­hun­derts beschrieben.

    #mondialisation #uberisation #lutte_des_classes #capitalisme #syndicalisme #logement #travail #USA #San_Francisco

  • Die Hobos von heute - Peter Nowak
    https://peter-nowak-journalist.de/2019/08/24/die-hobos-von-heut

    Gabriel Kuhn: Wob­blies. Politik und Geschichte der IWW, Unrast-Verlag, 152 S., 13 €. Torsten Bewernitz: Syn­di­ka­lismus und neue Klas­sen­po­litik. Eine Streit­schrift. Die Buch­ma­cherei, 70 Seiten, 7 €.

    Vor allem die Hippie-Bardin Joan Baez hat mit ihrem vor 50 Jahren auf dem Wood­stock-Fes­tival vor­ge­tra­genen Song »Joe Hill« dazu bei­getragen, dass der Name des 1915 hin­ge­rich­teten Sängers noch heute bekannt ist. Hill war für den Mord an einem Laden­be­sitzer hin­ge­richtet worden, den er wohl nicht begangen hatte. Doch Polizei und Justiz war er als Künstler, der der Gewerk­schaft »Indus­trial Workers of the World« (IWW) nahe stand, ein Dorn im Auge. Schließlich unter­stützte er…

    .…die Streiks und Aktionen dieser 1905 in den USA gegrün­deten Gewerk­schaft – die mehr als zwei Jahr­zehnte für eine heute fast ver­gessene Geschichte von oft mili­tanten ame­ri­ka­ni­schen Arbeits­kämpfen stand.

    Kürzlich hat Gabriel Kuhn eine kleine Geschichte der IWW her­aus­ge­geben. Das 152-seitige Buch trägt den Titel »Wob­blies«. Unter diesem Namen wurde die IWW vor einem Jahr­hundert weltweit bekannt und in gewisser Weise zum Schrecken der Kapi­ta­listen. Den Ursprung des Namens »Wob­blies« kann zwar auch Kuhn nicht klären, doch zeigt er in seinem gut les­baren Buch, dass es sich lohnt, sich mit der IWW zu befassen – und nicht nur zu geschicht­lichen Zwecken. Denn was sich diese Gewerk­schaft damals zur Aufgabe machte, klingt in vie­lerlei Hin­sicht sehr aktuell: Eine »Kon­zen­tration auf die Orga­ni­sierung der Unor­ga­ni­sier­baren: Arbeitslose, Teilzeitarbeiter*innen und Wanderarbeiter*innen« arbeitet Kuhn als den poli­ti­schen Fokus IWW heraus.

    Dies war eine Reaktion auf neue Tech­no­logien, die zu dieser Zeit Arbeits­ver­hält­nisse umwälzten – Par­al­lelen zur Gegenwart liegen auf der Hand: War es damals die Ein­führung der Fließ­bänder, für die der Auto­konzern Ford zum Sinnbild wurde, ist heute eine grund­le­gende Umwälzung der Arbeits­ver­hält­nisse mit der Digi­ta­li­sierung ver­bunden. Wie vor einem Jahr­hundert stellt sich aktuell wieder die Frage, wie sich Men­schen orga­ni­sieren können, die in pre­kären Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nissen indi­vi­dua­li­siert und fle­xi­bi­li­siert leben und arbeiten – etwa jene Heer­scharen an Lie­fer­per­sonal, das neu­er­dings durch die Städte fährt und radelt.

    Die Basis der IWW waren die Hobos – aus­sor­tierte Beschäf­tigte, die auf der Suche nach Arbeit und Aus­kommen kreuz und quer durch die Ver­ei­nigten Staaten irrten. Von der bür­ger­lichen Gesell­schaft wurden diese Wan­der­ar­beiter ver­achtet und ver­leumdet. Doch ent­wi­ckelten sie auch eine Art Hobo-Stolz, der sie auf Distanz zu allen Obrig­keiten hielt: »Ein Hobo war weder ein Land­streicher, ein Tramp, noch ein Penner, ein Bum«, defi­niert Kuhn die feinen Unter­schiede. »Der Hobo zieht umher und arbeitet, der Tramp zieht umher und träumt und der Bum zieht umher und säuft«, zitiert er den damals als »Hobo-Doktor« bekannt gewor­denen Arzt Ben Reitmann, der in Chicago Tau­sende Wan­der­ar­beiter kos­tenlos behan­delte.

    Die Polizei sowie private Sicher­heits­dienste mochten zwar Jagd auf die Hobos machen – zumal dann, wenn sie sich bei den Wob­blies orga­ni­sieren wollten, doch die Repression führte nicht zur Ein­schüch­terung, sondern zu Ent­schlos­senheit, der Her­aus­bildung eines kol­lek­tiven Bewusst­seins dieser Klas­sen­fraktion. Eine wichtige Rolle dabei spielten die Treff­punkte, die von der IWW überall dort ein­ge­richtet wurden, wo viele Hobos vor­bei­kamen: Zuerst fanden diese Treffen in den »Hobo-Dschungeln« entlang der Eisen­bahn­linien statt. Zum Inventar gehörten Koch­ge­schirr, Feu­er­stellen und Decken für eine bessere Über­nachtung. Hier konnten sich die ver­streuten Hobos ken­nen­lernen, hier wurden Streiks beschlossen und auch Kampf­erfolge gefeiert. Später errichtete man regel­rechte IWW-Häuser, vor 100 Jahren gab es sie in allen Indus­trie­städten der USA: »Das typische IWW-Haus war Büroraum, Bibliothek, Ver­samm­lungsort und Her­berge zugleich«, fasst Kuhn zusammen. Dort ent­stand eine Wobblie-Kultur, getragen von Sängern wie eben Joe Hill – ein gesel­liges Leben jen­seits von Kirche, Spiel­hölle und auch Bor­dellen. Die IWW-Häuser wurden auf diese Weise zu förm­lichen Schulen des Klas­sen­kampfs.

    Die Wob­blies sind, obwohl die Orga­ni­sation mit heute weltweit etwa 3000 Mit­gliedern weiter besteht, in ihrer Wirk­macht weit­gehend Geschichte. In Deutschland ist die bedeu­tendste IWW-Grup­pierung – die »Inter­na­tionale See­manns-Union«, die in den 1920er Jahren schwer­punkt­mäßig in den Häfen von Danzig und Stettin ver­ankert war und Berufs­gruppen wie Schau­er­leute und Maschi­nisten zu einigen Aktionen orga­ni­sierte – heute ein Fall für die Geschichts­ex­perten. In den USA aber scheinen die Orga­ni­sa­ti­ons­formen der Wob­blies mit ihren Treffs und Häusern als »Working-Center« eine gewisse Renais­sance zu erleben. Denn durch die Digi­ta­li­sierung sind indi­vi­dua­li­sierte Arbeits­ver­hält­nisse abermals auf der Tages­ordnung, so dass mit­unter schon von »modernen Hobos« gesprochen wird.

    Was vor 100 Jahren die Hobo-Dschungel an den Bahn­linien waren, könnten heute die Treff­punkte in Parks sein, wo das Per­sonal von Fahr­rad­ku­rier­diensten und ähn­lichen Dienst­leistern auf Auf­träge wartet. Dort tau­schen sie ihre Erfah­rungen mit ihrer Arbeit aus. Dort können sie Pläne schmieden – auch für einen Kampf für mehr Lohn und bessere Arbeits­be­din­gungen, wie das Bei­spiel der »Deli­ver­union« zeigt, einer basis­ge­werk­schaft­lichen Orga­ni­sierung bei den Lie­fer­diensten.

    Auch in Deutschland sind in der letzten Zeit in meh­reren Städten der­artige Zentren ent­standen, in denen sich Beschäf­tigte teils auch mit Stadt­teil­gruppen koor­di­nieren. So wurde im Sommer 2018 im Ber­liner Stadtteil Wedding das »Kiezhaus Agnes Reinhold« eröffnet. In dem nach einer Ber­liner Anar­chistin benannten Treff­punkt begegnen sich Beschäf­tigte des hin­sichtlich der Arbeits­be­din­gungen umkämpften Hostels »Wombats« aus Berlin-Mitte sowie zum Bei­spiel auch Mit­glieder der »AG Taxi« des Ber­liner Lan­des­ver­bands der Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft ver.di. Der Poli­tologe und Gewerk­schafts­for­scher Torsten Bewernitz bezeichnet in seiner kürzlich im Verlag »Die Buch­ma­cherei« her­aus­ge­ge­benen Streit­schrift »Syn­di­ka­lismus und neue Klas­sen­po­litik« die Gründung von Working-Centern in Deutschland nicht zuletzt als »bit­ter­nö­tiges Gegen­ge­wicht zu AfD, Pegida und Co.«

    Und ob an solchen Orten auch Joan Baez’ Song über Joe Hill gespielt wird – oder gar die Musik des Pro­test­sängers selbst ange­stimmt –, müsste man konkret vor Ort ermitteln.

    #Solidarität #Gewerkschaft #Geschichte #USA #IWW #AG-Taxi