Wenn Professoren mundtot gemacht werden

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    Vom Ende der Meinungsfreiheit in Österreich heute

    Was ich hier als „anwaltliches Drohschreiben“ bezeichne, war ein Brief einer Kanzlei, der mich im Jänner erreichte, weil ich ein paar Tage zuvor bestimmte „Geschäfte“ der Österreichischen Post im Ö1-"Morgenjournal" kritisch kommentiert hatte. Der Anwalt der Österreichischen Post forderte mich darin auf, eine sogenannte Unterlassungserklärung zu unterschreiben, in der ich mich rechtlich dazu verpflichte, für eine unbestimmt Zukunft keine Äußerungen mehr über bestimmte Geschäftspraktiken der Post zu tätigen; Geschäftspraktiken übrigens, die im Februar dieses Jahres von den entsprechenden Aufsichtsbehörden verboten worden sind. Allen Interessierten muss ich zumuten, nachzuschlagen oder zu spekulieren, um welche heute verbotenen Geschäfte es sich bei der Österreichischen Post im Jänner 2019 gehandelt hat.

    Ich darf über diese nicht mehr reden. Denn im selbigen Schreiben wird mir angedroht, ich hätte die Ehre und Kreditwürdigkeit der Post beleidigt et cetera. Das Wort „Schadenersatz“ fällt. Wenn ich nicht unterschriebe, müsste ich davon ausgehen, dass die Österreichische Post mich verklagt. Als einfache Professorin musste ich mir also die Frage stellen: Beharre ich auf meinem Recht auf freier Meinungsäußerung und treibe mich privat in den finanziellen Ruin und verbringe viele Monate (wenn nicht Jahre) in einem Prozess gegen eine Firma dieser Größenordnung? Oder unterzeichne ich?
    Wie soll man sich verhalten, wenn die eigene Meinungsfreiheit eingeschränkt wird?

    Ich war feige. Ich habe unterschrieben

    Alle meine Studenten und Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, waren empört über dieses „Mundtotmachen“. Und auch ich bin immer noch tief empört, weshalb ich mich nach langem Zögern dazu durchgerungen habe, diesen Beitrag hier zu schreiben. Denn wer sich die Mühe macht und die öffentlichen Transkripte vom ORF anfordert und nachliest, was ich genau gesagt habe, wird feststellen, dass ich überhaupt nichts Schlimmes oder irgendwie Aggressives oder Unrechtmäßiges über die Österreichische Post gesagt habe. Als Expertin im Bereich der Digitalen Ethik habe ich mir lediglich erlaubt, eine informierte Meinung zum Thema „Ethical Computing“ kundzutun.

    Meinungsfreiheit ist uns gegeben in einer Demokratie, um einen offenen Diskurs über die Regeln und Formen des Zusammenlebens zu führen. Dieses Zusammenleben ist in der Regel friedlich; vor allem im deutschsprachigen Raum. Diskutiert werden muss hingegen über Grenzfälle. Genau dort, wo Recht, Moral, Geschäftsmodelle und Erwartungen von Menschen aufeinanderprallen, gilt es, offen zu reden und Lösungen zu finden. Dies ist besonders in einer Zeit wie dieser wichtig, in der durch die digitale Transformation jeden Tag neue Herausforderungen vor der Tür stehen. Firmen wissen oft nicht mehr, wie sie dem harten internationalen Wettbewerb noch standhalten, sich digital transformieren sollen, ohne dabei von Zeit zu Zeit gelernte Rechte und Erwartungen von Menschen zu überschreiten, die diese aus einer analogen Zeit mitbringen. Dasselbe Problem stellt sich in der Bioethik.

    Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass unsere Meinungsfreiheit ausgehöhlt wird; dass die ehrlichen und kritischen Expertenmeinungen von Professorinnen und Professoren von Anwälten unterdrückt werden. Meine eigene finanzielle Sicherheit war bedroht, und so musste ich meine Redefreiheit aufgeben. Aber das will ich nicht! Das darf ich nicht! Das werde ich nicht!
    Universitäten müssen ihre Professoren und Professorinnen verteidigen

    Was für mich in diesem Fall fast noch überraschender war als das Anwaltsschreiben, ist die Reaktion meiner Universität. Unsere Rechtsabteilung meinte, solch ein Schreiben sei „nicht unüblich“. Solche Drohbriefe kommen öfters? Und dann?

    Ich ging fest davon aus, dass es an jeder Universität einen Prozess für solche Fälle gibt. Ich dachte, die hausinterne Rechtsabteilung würde mich unterstützen. Aber diese ist auf solche Fälle nicht eingestellt und verwies mich an einen Medienanwalt, der mir für knapp 30 Minuten Telefonat 300 Euro in Rechnung stellte. Er riet mir aus seiner Erfahrung, zu unterschreiben. Dürfte ich wenigstens die Ausgaben aus meinem Drittmittelbudget oder Institutsbudget begleichen? Nein, auch dies erlaubt die Finanzordnung der Universitäten offensichtlich nicht.

    Was lernen wir aus diesem Fall, und wie muss es weitergehen?

    Mein Fall, der offensichtlich kein Einzelfall ist, muss Konsequenzen haben. Wir müssen sicherstellen, dass Professorinnen und Professoren sich öffentlich kritisch gegenüber Firmen und dem Staat äußern dürfen. Dabei bezweifle ich nicht, dass es die Pflicht unserer Disziplin verlangt, dass man sich maßvoll ausdrückt. Aber mit aller Klarheit muss es uns erlaubt sein, offensichtliche Missstände kritisch zu kommentieren. Und wenn eine Firma sich dann so angegriffen fühlt, dass sie zum Anwalt greift, muss es einen Rechtsschutz der Professorinnen und Professoren durch die Universität geben. Dann muss der Fall, der hier inhaltlich diskutiert wird, vor die Gerichte gehen. Und die Kosten dafür darf man nicht den Professorinnen und Professoren zumuten, die keine Gehälter dieser Größenordnung beziehen. Professorinnen und Professoren sprechen für und aus dem institutionellen Rahmen heraus, der sie berufen hat. Sie sind als Experten keine Privatpersonen oder freischaffenden Künstler. Universitäten haben die Verantwortung, gute Leute zu berufen, und dann müssen sie für diese auch geradestehen.

    Ich würde mir daher wünschen, dass auf die Agenda der nächsten Rektorenkonferenz dieses Thema hier ganz oben steht. Wir brauchen einen offiziellen Rechtsschutz für die Kollegenschaft. Universitäten sollten ihre Professorenschaft für solche Fälle rechtschutzversichern und ihnen die Angst davor nehmen, sich öffentlich zu äußern. Firmen müssen wissen, dass wir als Demokratie die Meinungsfreiheit verteidigen. (Sarah Spiekermann, 28.8.2019)

    Sarah Spiekermann ist Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien, wo sie dem Institut für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft vorsteht. Seit mehr als zehn Jahren lehrt und forscht sie zu sozialen Fragen der Internetökonomie und Technikgestaltung.

    #Autriche #censure