ak 650 : Da hilft nur Enteignung

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  • ak 650 : Da hilft nur Enteignung
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    Das Management des Berliner Wombat’s Hostels will lieber das profitable Haus schließen, als Mitarbeitervertretung und Tarifvertrag zu akzeptieren

    Von Elmar Wigand

    Hostels sind privatkapitalistische Jugendherbergen, cool designt und auf alternativ gestylt. Sie lösen seit einiger Zeit die verstaubten, bürokratisch erstarrten Jugendherbergen und Naturfreundehäuser der Arbeiterbewegung und Wandervögel ab, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet hatten.

    Die ersten Backpacker-Hostels entstanden mit der Hippie-Bewegung der 1960er Jahre in Indien und Südostasien. In Europa breiteten sich Hostels seit Anfang der 1990er Jahre im Kontext der Ballermannisierung früherer Szenestadtteile aus. Ihr Aufstieg ist untrennbar verbunden mit der Liberalisierung des EU-Flugverkehrs ab 1997, die einen Markt für Billigairlines nach US-amerikanischem Vorbild schuf, sowie der Durchsetzung des »besten Niedriglohnsektors Europas« (Gerhard Schröder) durch die Hartz-Gesetze der rot-grünen Bundesregierung ab 2003. Die wachsende Masse sowohl an Tourist*innen als auch Niedriglöhner*innen bereiteten den Boden für Profite, die smarte Jung-Unternehmer und Investoren auf den Plan riefen.

    Das Wombat’s City Hostel in Berlin-Mitte schreibt seit vier Jahren Geschichte. Es ist das erste Hostel in Deutschland, dessen Belegschaft im Jahr 2015 einen Betriebsrat gründen und 2018 mit mehreren fantasievollen Streikaktionen einen Tarifvertrag der Gewerkschaft NGG erkämpfen konnte. Die Inhaber inszenierten und eskalierten dagegen einen kostspieligen, nervenaufreibenden Kleinkrieg in Gerichtssälen, Hotelfluren und auf der Straße. Das Management setzte spezialisierte Fertigmacher ein, zuletzt den Rechtsanwalt Tobias Grambow von der Hamburger Kanzlei Buse Heberer Fromm, um diese Organisierung zu brechen. Zu den Methoden gehörten die Anfechtung der Betriebsratswahl, Kündigungsversuche gegen Gewerkschafter*innen und Betriebsratsmitglieder, Austausch der Belegschaft durch Nichtverlängerung sachgrundlos befristeter Verträge, Auslagerung des Putzteams, Drohungen gegen Streikende und sexuelle Belästigungen.

    Anfang März 2019 sprühten Personalverantwortliche - vermutlich zugedröhnt nach einer eskalierten Party im Hostel - obszöne Penis-Bilder und Anti-Betriebsratsparolen auf die Straße vor dem Wombat’s. Bild Berlin berichtete darüber und blamierte damit öffentlich das Management. Widerstand, Geschlossenheit und Beliebtheit der Wombat’s-Gewerkschafter*innen wuchsen in den vergangenen Monaten beständig. So versammeln sich bei Protesten regelmäßig Beschäftigte aus verschiedenen Berliner Betrieben, die gegen Lohndumping und Auslagerungen sowie für die Wiedereingliederung ihrer Arbeitsplätze kämpfen, etwa von der Charité, dem Botanischen Garten, den Berliner Verkehrsbetrieben, den Taxi-Fahrer*innen gegen Uber und Co. oder dem Anne-Frank-Zentrum.
    Verfassungsrechtliche Dimension

    Der Fall ragt zudem inzwischen weit über Berlin hinaus und hat verfassungsrechtliche Dimensionen. Als letztes Mittel will das Management nämlich das wirtschaftlich kerngesunde Hostel zum 31. August 2019 schließen. Seit dieser Entscheidung ist das Wombat’s Berlin zu einem Präzedenzfall geworden. Hier verstoßen skrupellose Unternehmer ganz unverhohlen gegen das in Artikel 14 des Grundgesetzes festgeschriebene Gebot »Eigentum verpflichtet«. Die Aktion gegen Arbeitsunrecht, in der mehrere Wombats-Aktivist*innen organisiert sind, fordert daher ein Gesetz, das die Sozialisierung von Unternehmen regelt, die von ihren Besitzern wider betriebswirtschaftliche Vernunft mutwillig zerstört werden sollen, um demokratische Grundrechte und Tarifverträge zu schleifen. Die Initiative fordert auch ein Vorkaufsrecht für Belegschaften, denen ihr Betrieb unter dem Hintern weg verkauft werden soll.

    Dieses Modell eines Workers Buy-out (WBO) existiert seit 1985 beispielsweise in Italien mit dem Macorca-Gesetz: Dort können Belegschaften, die durch aggressive Verkaufsmanöver oder herbeigeführte Pleiten von Arbeitslosigkeit bedroht sind, ihren Betrieb mit vergünstigten staatlichen Krediten kaufen und als Kooperative betreiben. Die Idee des Workers Buy-out erfreut sich derzeit auch in den USA wachsender Beliebtheit. Zu prüfen wären darüber hinaus Steuervergünstigungen für Genossenschaften und sozialverträgliche, tarifgebundene Unternehmen.
    Übernahme in Eigenregie

    Wer glaubt, es handele sich bei Wombat’s um einen krassen Einzelfall, der irrt. Die Liste der Firmen, die sich ähnlicher Methoden bedienen, ist lang: Burger King, OBI, die Reha-Kette Median, XxxLutz, Zara, der Betonteile-Hersteller KMB aus Marsberg oder der Düsseldorfer Bauunternehmer Otto Bach, der zur Kliemt Gruppe gehört. Sie alle haben Unternehmensteile zwecks Union Busting geschlossen oder komplette Belegschaften entlassen. Die Dunkelziffer ist in der zersplitterten Auslagerungs- und Subunternehmer-Ökonomie, in der Pleiten zum Alltag gehören und leicht herbeigeführt werden können, vermutlich riesig.

    Es wird Zeit, dass wir Strategien entwickeln, um sozialschädliche, kriminelle Unternehmer effektiv in die Schranken zu weisen. Dazu gehört sicher die konkrete Utopie der Übernahme in Eigenregie, wie sie nun auch unter den Kolleg*innen von Wombat’s diskutiert wird.

    Elmar Wigand ist Publizist und lebt in Köln. Er ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht.

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