Etappensieg für das digitale Proletariat in Kalifornien
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Ein neues Gesetz stuft scheinselbstständige Gig-Worker als Angestellte ein - das bedeutet Anspruch auf Sozialleistungen und gewerkschaftliche Organisierung
11.09.2019 - von Christopher Wimmer - Die Fahrdienstleister Uber und Lyft haben ein Problem an der
Heimatfront, in Kalifornien. Das nun beschlossene Gesetz ??Assembly Bill
5??, das aktuell unter dem Hashtag #AB5 in den sozialen Medien fu??r Furore
sorgt, hat es in sich. Laut dem Gesetz sind die ??Gig-Arbeiter*innen?? der
Digitalwirtschaft, die etwa als Fahrer fu??r Uber oder als Kuriere fu??r
Lieferdienste arbeiten, in Zukunft wie regula??re Bescha??ftigte zu
behandeln. Sie ha??tten dann Anspruch auf Mindestlohn und
Sozialleistungen, die normalen Arbeitsschutzvorschriften wu??rden auch fu??r
sie gelten. In der Nacht zum Mittwoch stimmte der Senat des
Bundesstaates mit 29 zu 11 Stimmen zu. In der ??State Assembly??, dem
kalifornische Unterhaus, war das Gesetz zuvor mit einer deutlichen
Mehrheit von 59 zu 15 Stimmen verabschiedet worden.
Das Gesetz sei ??ein Sieg fu??r alle Arbeiter??, jubelte die California
Labour Foundation, ein Dachverband von 1200 Gewerkschaften in
Kalifornien, auf Twitter. Man werde es nicht la??nger zulassen, dass
Digitalunternehmen ??ein Freifahrtschein ausgestellt wird?? und diese ihre
??Gescha??ftskosten auf dem Ru??cken von Steuerzahlern und Arbeitern
abladen??, erkla??rte die Demokratin Lorena Gonzalez. Sie hatte das Gesetz
2018 eingebracht.
??Assembly Bill 5?? schlie??t eine gro??e Lu??cke im US-amerikanischen
Arbeitsrecht - zumindest in Kalifornien. Derzeit werden die Fahrer*innen
von Uber und Lyft als ??unabha??ngige Auftragnehmer?? bezeichnet, sie sind
damit Schein-Selbststa??ndige. Fu??r die Unternehmen bringt dies gro??e
Vorteile, da sie weder Mindestlohn noch Sozialabgaben zahlen mu??ssen.
Ebenso werden die Fahrer*innen pro Fahrt und nicht pro Stunde bezahlt,
gewerkschaftliche Beta??tigung ist ihnen untersagt.
Das Gesetz erkla??rt, dass die Selbststa??ndigkeit nicht gegeben sei. Die
Fahrer*innen seien als Quasi-Angestellte abha??ngig von den Unternehmen:
Fahrten laufen nur u??ber die Firmen-App, es gibt keine direkte
Verhandlung mit den Kund*innen. Ebenso setzen die Unternehmen die Tarife
fest und ko??nnen kontrollieren, wer Fahrer*in wird. Bei kleinsten
Versto????en ko??nnen diese von der App gesperrt ??? de facto geku??ndigt ???
werden. Die Abha??ngigkeit geht soweit, dass viele Fahrer*innen Kredite
aufnehmen, um sich u??berhaupt Autos leisten zu ko??nnen ??? manchmal sogar
u??ber die hauseigenen Autokredite von Uber und Lyft selbst.
Die Gruppe ??Rideshare Drivers United??, eine Basisorganisation der
Fahrer*innen in Los Angeles berichtet davon, dass die Situation fu??r die
Fahrer*innen immer schlimmer und preka??rer wird. Mit der Einstufung als
regula??re Bescha??ftigte wu??rden sie nach kalifornischen Arbeitsrecht
umfassende Rechte erhalten: neben dem Mindestlohn ist das die Bezahlung
von U??berstunden, Arbeitsschutz, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und
das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten. Dabei wu??rde das Gesetz nicht
nur Fahrer*innen betreffen, sondern weitere Bescha??ftigte wie
Hausmeister, selbststa??ndige Handwerker oder sonstige Dienstleister.
Jubelnde Gig-Worker in Los Angeles - auch der Stadtrat der
Millionemetropole unterstu??tzte in einer Resolution
Kaliforniens Gouverneur, der Demokrat Gavin Newsom, hatte bereits
angeku??ndigt, er wu??rde das Gesetz unterschreiben. Das Unterhaus muss nun
noch einmal u??ber im Senat verabschiedete Anha??nge zum Gesetz abstimmen.
Wenn Newssom wie erwartet zustimmt, ko??nnte das Gesetz zum 1. Januar 2020
in Kraft treten.
Den Unternehmen gefa??llt diese Entwicklung so gar nicht. Mit den Debatten
um #AB5 fiel die Uber- Aktie seit Anfang Juni um ein Drittel, Lyft gar
um ein Viertel. Daher versucht man bei den Unternehmen nun nach einer
gescheiterten Lobbykampagne, alle Register zu ziehen, um das Gesetz zu
verhindern. Das kalifornische Recht sieht die Mo??glichkeit eines
verbindlichen Volksbegehrens vor. In ein solches wollen die beiden
Unternehmen laut ??New York Times?? nun jeweils 30 Millionen US-Dollar
investieren. Ebenso viel wu??rde der Essen-Bringdienst Doordash besteuern,
weitere Unternehmen ko??nnten sich anschlie??en.
Um das Gesetz zu verhindern, waren Uber und Lyft auch zu weitreichenden
Zugesta??ndnissen bereit: bezahlte Auszeiten, mehr Mitsprache, ein ho??herer
Stundenlohn ??? alles unter der Bedingung, die eigenen Fahrer*innen nicht
als Angestellte behandeln zu mu??ssen. Doch scheint die Gewerkschaftsseite
und die politische Linke darauf nicht einzugehen. Elizabeth Warren,
Kamala Harris, Pete Buttigieg und Bernie Sanders (allesamt
Kandidat*innen der Demokraten fu??r die Pra??sidentschaft) haben
angeku??ndigt, das Gesetz in zu unterstu??tzen. Sanders plant im Falle
seiner Pra??sidentschaft gar ein US-Bundesgesetz nach dem Vorbild von AB5.
Bisher hatten Gewerkschaften und Politik relativ wenig Erfolg dabei,
Arbeitsrechte und Standards in der Digitalwirtschaft und in der
Plattformo??konomie durchzusetzen. In Deutschland versucht gerade die IG
Metall gemeinsam mit der Bewegung ??Youtubers Union?? bessere
Arbeitsbedingungen fu??r Videoblogger und transparentere Vergu??tungsregeln
auf der Videoplattform Youtube zu erstreiten. Die Gewerkschaft setzt
sich seit einigen Jahren fu??r bessere Arbeitsbedingungen sogenannter
Crowdworker ein.
Auch wenn sich durch die zunehmende Digitalisierung Arbeitsformen und
–verha??ltnisse rapide wandeln, zeigt die Verabschiedung von Assembly Bill
5 das die Formen der ??traditionellen?? Gewerkschaftsarbeit auch in der
Gig-O??konomie funktionieren ko??nnen. Die Fahrer*innen hatten den
Gesetzgebungsprozess bereits mit Streiks, Protesten und Boykotten
begleitet ??? und selbiges angeku??ndigt, sollte das von Uber und Lyft
bezahlte Volksbegehren tatsa??chlich Realita??t werden.
#USA #Arbeitsrecht #Uber