Ich habe Julian Assange im Gefängnis besucht, was kannst Du tun ?

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  • Ich habe Julian Assange im Gefängnis besucht, was kannst Du tun?
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    Wir verlieren dadurch schließlich alle Fähigkeit, uns und diejenigen, die wir lieben, zu verteidigen."
    – Julian Assange

    DiEMer,

    Als ich Julian Assange das letzte Mal, genau vor einem Jahr, in der ecuadorianischen Botschaft in London traf, wusste ich noch nicht, dass er das nächste Mal in einem Hochsicherheitsgefängnis sein würde.

    Ich war weder als Journalist, noch als Anwalt, noch als Familienmitglied zu Besuch. Ich kam als Freund.

    Ich habe Julian nicht nur als Freund, sondern auch als Mitglied und Mitgründer von DiEM25 besucht - der Bewegung, die immer wieder betont, dass die Freiheit von Julian Assange eine europäische Angelegenheit ist. Sie ist ein Präzedenzfall, der schreckliche Folgen für Demokratie und Pressefreiheit in Europa haben könnte. Und natürlich sein Leben.

    Um ganz ehrlich zu sein, war ich nicht auf einen Gefängnisbesuch vorbereitet. Ich war nicht vorbereitet, da ich bis zum letzten Moment nicht wusste, ob der Besuch überhaupt stattfinden wird. Ein noch wichtigerer Grund aber: ich konnte es einfach nicht. Denn wie soll man sich darauf vorbereiten, einen Freund im Gefängnis zu besuchen?

    Es ist nicht so, dass diejenigen von uns, die Julian zuvor in der ecuadorianischen Botschaft in London besucht hatten, nicht auf eine solche Situation vorbereitet waren. Aber niemand konnte sich die jetzige Brutalität vorstellen. Nach Entzug seines Asyls wurde er aus der Botschaft herausgezogen, als wäre er ein Kriegsverbrecher und nicht bloß ein willkürlich inhaftierter Verleger – so wie es die UNO 2015 entschieden hat und UN-Beamte mehrfach wiederholten. Dann übergab Ecuador all sein Hab und Gut an die USA, einschließlich rechtlicher Notizen und zweier Manuskripte. Julian landete im Belmarsh-Gefängnis, wo er seine Kaution bis zum 22. September absaß. Danach wurde er nur noch für die Auslieferung an die USA festgehalten. Seine Haftbedingungen haben sich seitdem nicht geändert. Er befindet sich immer noch in Einzelhaft und verbringt 23 Stunden in seiner Zelle, während er der Auslieferung an die USA ins Auge sieht, wo wegen Spionagevorwürfen 175 Jahre Gefängnis auf ihn warten.

    Ich traf ihn das letzte Mal im November 2018 (die CIA wird wahrscheinlich das genaue Datum kennen). Das Einzige, woran ich mich jetzt noch erinnern kann, ist, dass es wohl November gewesen sein muss, denn es gab zum ersten Mal in London eine Ausstellung von Antonio Gramscis Gefängnisheften (Prison Notebooks) - nur ein paar Ecken von Knightsbridge entfernt.

    Es war eine seltsame Synchronizität. Eine Art zeitliche und räumliche "Rückkehr des Verdrängten“ - eine Erinnerung daran, dass Julian auch im Gefängnis landen könnte. Gramsci, einer der größten politischen Köpfe des 20. Jahrhunderts, wurde 1926 von Benito Mussolinis faschistischem Regime inhaftiert und stellte die Gefängnishefte während seines Aufenthalts in 33 Bänden zwischen 1929 und 1935 zusammen. Diese sind ein wichtiger Beitrag zur politischen Theorie und Philosophie des 20. Jahrhunderts, einschließlich relevanter Einblicke in die Architekturen von Macht, Hegemonie, Institutionen, Staat und Organisation.

    Als ich Julian im vergangenen November in der Botschaft besuchte, konnte ich den Gedanken nicht loswerden, dass er wie Gramsci ein politischer Gefangener ist. Seine Gedanken über die komplexen Themen und Herausforderungen des frühen 21. Jahrhunderts waren von großem Wert für die kognitive Darstellung unserer verrückten Welt. Julian war immer nicht nur der am besten informierte, sondern auch jeman mit der Fähigkeit, „rauszuzoomen“ und das „große Ganze“ zu erfassen und alle Punkte (und Fakten) zu verbinden. Ganz gleich, ob er nun über die Rolle der Institutionen und die Bedeutung von Transparenz, über Technologie oder Geopolitik sprach, seine Fähigkeiten haben sicherlich zu einem besseren Verständnis der heutigen Welt geführt. Dies reicht von verschiedenen Militärinterventionen bis hin zu Militärputschen, und von Kriegsverbrechen bis hin zu Menschenrechtsverletzungen.

    Offensichtlich hat Assange von Anfang seiner Gefangenschaft an, genau wie Gramsci, entschieden, dass sein Kampf nicht dort enden wird. Aber im Gegensatz zu Gramsci ist Julian immer noch nicht in der Lage, Texte zu schreiben, und wir hoffen, dass dies nicht im Gefängnis passieren muss. Aber das hängt auch von dir ab.

    Als ich im Wartezimmer des Gefängnisses stand, sah ich mir die versammelten Familien an. Alle warteten darauf, aufgerufen zu werden, um endlich die Liebsten zu treffen.

    Ich kenne sie nicht, aber ich konnte ihre besorgten Gesichter sehen. Sogar Gesichter von kleinen Kindern, die zwischen Wartezimmer und Besprechungsraum an den Wachen und Hunden vorbeikamen - wahrscheinlich mit ähnlichen Ängsten und Gefühlen wie ich selbst.

    Dennoch besuchte ich keinen Kriminellen. Da war ich mir sicher. Die wahren Kriminellen waren diejenigen, deren Kriegsverbrechen Julian Assange aufgedeckt hat. Nämlich diejenigen die ihn in ein noch schlimmeres Hochsicherheitsgefängnis in den Vereinigten Staaten von Donald Trump verfrachten wollen. Es genügt, sich noch einmal „Collateral Murder“ anzuschauen, um zu verstehen, warum sie ihn ausgeliefert haben wollen. Oder warum sie (einige bekannte Gesichter) daran dachten, Assange zu ermorden:

    Ich habe das Belmarsh-Gefängnis mit Julians Vater John Shipton besucht. Die anmutigen Gesten und ausgeglichene Stimme dieses bescheidenen, engagierten und entschlossenen Mannes, führten mich auf schützende Weise durch das Gefängnis so als ob er es nicht wäre, der sich in einer schwierigeren Situation befindet. Mit seiner Rücksichtnahme und Nachdenklichkeit erinnert er mich an Julian. Es muss schwer für einen Vater sein, der extra nach England gezogen ist, um seinem Sohn nahe zu sein und der durch Europa reist, um sich mit Anwälten und Unterstützern zu treffen. Aber er war stark. Und als wir dort standen, kam die Frau eines Inhaftierten zu John, um ihm zu sagen, dass ihr Mann Julian unterstützt und dass die Isolation, die sie ihn durchmachen lassen, da sie ihn von anderen Gefangenen fernhalten, unmenschlich ist.

    Als wir schließlich den Raum betraten und ich näher an Julians Tisch kam, stand er auf und wir umarmten uns spontan. Es war die stärkste Umarmung, die wir je hatten - aus offensichtlichen Gründen. Als wir uns das letzte Mal sahen, war er in der ecuadorianischen Botschaft. Jetzt war er in einem Hochsicherheitsgefängnis. Das letzte Mal als wir sprachen hatte er noch eine ungewisse Zukunft, diesmal war es ganz offensichtlich. Wenn er nicht freigelassen wird, könnte er im Gefängnis sterben, so die Worte seines Vaters John Shipton und des UN-Sonderberichterstatters für Folter Nils Melzner. Letzterer warnte kürzlich davor, dass Julians Leben jetzt in Gefahr ist. Jeder sollte lesen, worüber Craig Murray in „Assange vor Gericht“ (Assange in Court) geschrieben hat. Deshalb bezog sich der größte Teil unseres Gesprächs – selbstverständlich unter Überwachung – auf seine Situation und die ihn bedrohende Gefahr.

    Obwohl er sichtlich gelitten hat seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben, obwohl er 15 Kilo Gewicht abgenommen hat und obwohl sein Leben in Gefahr sein könnte, war Julian voll konzentriert. Vielleicht hielt er mehr als sonst inne und nahm sich mehr Zeit, um seine Gedanken zu sortieren. Manchmal mühte er sich, sichtlich erschüttert von schwierigen Gefängnisbedingungen. Gleichzeitig aber benutzte er seinen typischen dunklen Humor, unerwartete Analogien und abstraktes Denken. Wir haben darüber gesprochen, dass es bei seinem Fall nicht nur um ihn geht – und dies obwohl es sich eindeutig um sein Leben handelt - sondern auch um Menschenrechte, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und nicht zuletzt um Demokratie.

    Er war sehr froh, von all den Aktionen und Veranstaltungen zu hören, die von seinen Unterstützern auf der ganzen Welt organisiert wurden. Von den WE ARE MILLIONS-Ausstellungen in ganz Europa bis hin zu den australischen Bemühungen Julian nach Hause zu bringen. Erst später am Tag nahmen John und ich an einem Protest teil, welcher vor dem britischen Innenministerium stattfand, und wo sich Hunderte von Menschen zum Konzert der Rapper M.I.A. und Lowkey versammelten.

    Ich weiß wie sehr Julian M.I.A.s Song „Paper Planes“ liebte, und ich wünschte, er hätte dabei sein können. Obwohl die Situation in der Botschaft bei weitem nicht ideal war - vergessen wir nicht, dass er sich in „willkürlicher Haft“ befand - konnten wir zumindest von Zeit zu Zeit Musik hören. Da wir neben M.I.A. auch Rage Against the Machine hörten, erwähnte ich die Wiedervereinigung von RATM. Er lächelte.

    Als ich zum Belmarsh-Gefängnis ging, dachte ich darüber nach, ob diese Informationen überhaupt relevant sind? Sollte ich sie überhaupt erwähnen? Es schien vollkommen irrelevant, wenn man die kurze Zeit bedenkt, die wir während des Besuchs zusammen verbringen würden. Gleichzeitig aber sind dies die Nachrichten, die einen zum Lachen bringen. Sei es auch nur für einen kurzen Moment.

    Wenn man das Hochsicherheitsgefängnis verlässt, wenn man plötzlich wieder „draußen“ ist, zurück zu „seinem normalen Leben“, während er noch „drinnen“ ist und auf einen Brief oder einen weiteren Kurzbesuch wartet, meistens ganz allein in seiner Zelle. Genau dann, trifft einen das, was man gerade durchgemacht hat, verspätet ins Mark: Warum kann Julian diese Mauern nicht verlassen? Warum kann er keine Zeit mit seiner Familie und seinen Freunden verbringen und sich von den 10 Jahren Verfolgung erholen? Warum steht es ihm nicht zu, auf ein Konzert von Rage Against the Machine zu gehen? Warum unterrichtet er nicht an einer britischen Universität? Wäre dies nicht eine bessere Art, seine Talente einzusetzen, anstatt sie im Gefängnis verkommen zu lassen? Und so viele andere Fragen.

    Dieser kurze Moment des Glücks war vielleicht eine Flaschenpost aus einer besseren - und noch möglichen – Zukunft. Aber was ist mit dem Rest der 23 Stunden in seiner Einzelzelle? Er sagte, ich solle Euch sagen, dass er die Zeit in der Zelle nutzt, um jeden Tag etwa 10-15 Kilometer zu gehen und nachzudenken, während er sich vorstellt, durch Europa zu gehen. Er liest die Briefe, obwohl sie immer noch mit großer Verzögerung eintreffen. Und er ist allen dankbar. Und selbst in dieser schwierigen Situation sagte er, es gehe nicht nur um ihn, sondern um das Wesen der Demokratie.

    Aber es geht auch um ihn. Es geht um sein Leben.

    Was kannst Du also tun?

    Warte nicht, sondern tu was immer Du kannst. Und zwar sofort. Schreib Ihm einen Brief über die „Außenwelt“ (mit Fakten über relevante Ereignisse und wie konkret Du ihm hilfst), zwinge deine Abgeordneten zum Handeln und frag deine politischen Parteien, was sie tun, um die Pressefreiheit zu schützen und die Auslieferung von Julian Assange zu verhindern. Organisiere Proteste oder schließe dich solchen an; schreibe an NGOs und Einzelpersonen, die sich mit Menschenrechten und Pressefreiheit befassen, und frage diese was sie tun um Julian zu befreien. Spende für seinen Verteidigungsfonds und vergewissere dich, DiEM25 beizutreten. Denn wir stehen weiterhin mit unserem Mitglied Julian Assange zusammen und kämpfen bis zu seiner Freilassung.

    Gemeinsam können wir gewinnen!

    Srećko Horvat
    Mitbegründer von >>DiEM25