• ver.di Publik 08/2009: Das Gesetz der Straße
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    Zwar sind die Yellow Cabs, die New Yorker Taxis, ein Wahrzeichen der Stadt, aber als Fahrer kann man von seinem Gehalt kaum leben. Das will die New York Taxi Workers Alliance, eine junge, kleine Gewerkschaft, nun ändern

    Von Eva C. Schweitzer (Text) und Andrea Artz (Fotos)

    „Sie wollen uns Big-Brother-Technologie aufzwingen, obwohl hunderte von Taxifahrern, die seit zwanzig, dreißig Jahren in New York arbeiten, dagegen demonstriert haben!“ ruft Bhairavi Desai den unwilligen Taxi Commissioners zu. „Aber ohne die Taxifahrer gäbe es gar keine Taxi-Industrie! Sie müssen uns zuhören!“ Desai, eine zierliche dunkelhaarige Frau in einem blaugrünen seidenen Kleid steht im Sitzungssaal der Taxi and Limousine Commission in Manhattan, der städtischen Behörde, die die Taxis reguliert. Die 32-jährige Inderin, deren Mutter als Gewerkschafterin aktiv ist und deren Vater Rechtsanwalt war, ist die Direktorin der New York Taxi Workers Alliance, der gewerkschaftlichen Vertretung der New Yorker Taxifahrer.

    Die Taxi Workers Alliance kämpft in diesen Tagen gegen das Global Positioning System, das GPS. Das ist ein Monitor, auf dem der Passagier einen digitalen Stadtplan sowie Werbung sieht, ein Gerät, das Kreditkarten liest, außerdem werden alle Fahrten aufgezeichnet und gespeichert. Das GPS kostet über 7000 Dollar und soll, so will es die New Yorker Stadtverwaltung, ab Oktober in alle Taxis, die Yellow Cabs, eingebaut werden. Aber die meisten Taxifahrer finden das unnütz, teuer - und gefährlich. Deshalb sind die Vertreter der Taxi Workers Alliance hier. Sie werden von ihrem Dachverband Central Labor Council unterstützt, der 400 Gewerkschaften in New York vertritt. Dessen Direktor Ed Ott meint: „Das GPS ist eine Lohnkürzung durch die Hintertür.“

    Die Yellow Cabs sind ein Wahrzeichen von New York, in Filmen wie Taxi Driver oder Night on Earth wurden sie gefeiert. Und die Menschen hinter dem Steuer sind Immigranten aus hundert Ländern, zumeist aus Indien, Pakistan, Sri Lanka, Haiti, Senegal, Bangladesh, Marokko oder Tunesien. Sie müssen in einer der teuersten Städte der Welt überleben, und oft noch die Familien in ihren Herkunftsländern ernähren. Ein Gutteil sind Moslems, die nach dem 11. September 2001 Anfeindungen ausgesetzt waren. „Nach dem Anschlag auf das World Trade Center, als die Downtown gesperrt war, gingen die Aufträge um mehr als die Hälfte zurück“, sagt Desai. „Aber die Taxifahrer waren die einzigen, die keine finanzielle Unterstützung von der Stadt bekommen haben.“


    Javaid Tariq, Mitbegründer der Alliance, vor seinem Taxi
    Protest gegen einen überteuerten Monitor

    Vor dem Haus der Taxi Commission, auf der Rector Street, warten schon TV-Teams und Presse, eingeladen von der Taxi Workers Alliance. Vor den Mikrofonen steht Bill Lindauer, ein 63-jähriger blonder Fahrer aus Astoria, Queens, einer der wenigen weißen Fahrer der Stadt. „Wir haben Stadtpläne, wir hören Verkehrsfunk, und einen Kreditkartenleser gibt es für sechzig Dollar“, sagt Lindauer, hörbar aufgebracht. „Das GPS ist wieder so ein teurer Unfug, den sich die Taxi Commission ausgedacht hat. Die hatten auch schon die Idee, Prominente auf Band aufzunehmen, die Fahrgäste ermahnen sollten, sich anzuschnallen und ihre Sachen nicht zu vergessen. Das hat die bloß genervt.“ Zwar sind auf dem Papier die Taxiflottenbesitzer verpflichtet, das GPS zu bezahlen. „Aber die finden immer Mittel und Wege, das auf die Fahrer abzuwälzen“, sagt Lin-dauer. Notfalls werde man eben streiken. „Die Kollegen aus Philadelphia, denen das auch aufgedrückt wurde, überlegen sich das ebenfalls.“


    Biju Mathew, Alliance-Gründer und Dozent für Wirtschaft

    „Ich glaube, ich gehe nach Ghana zurück“, stöhnt Thomas und lässt sich auf das Sofa im Büro der Taxi Workers Alliance fallen. Der kleine Raum liegt in einem Bürohaus an der East 28th Street, zwischen dem Empire State Building und dem Stadtteil Little India, Straßenzügen, in denen Chicken Curry aus den Imbissen dampft. Der Raum ist vollgestellt mit vier Schreibtischen, auf denen sich Papier türmt, einem Kopierer, ein paar Stahlschränken, Flugblätter liegen aus. An der Wand hängen ein paar Zeitungsartikel über die Erfolge der Alliance. „Von meiner Rente kann ich mir ‘ne Pizza kaufen“, fährt der Taxifahrer fort. „In Amerika muss du jung sein und arbeiten, sonst überlebst du nicht.“

    Ein Taxifahrer auf der Suche nach Rechtsbeistand

    Thomas braucht die Rechtshilfe der Alliance. Er hat schon vier Punkte wegen kleinerer Verkehrsverstöße, nun hat ihm die Polizei noch zwei Punkte aufgebrummt, wegen einer gelben Ampel. Und bei sechs Punkten wird die Hack License, die Fahrerlizenz, einen Monat gesperrt. Er wollte eigentlich mit Bhairavi Desai sprechen, aber sie bringt gerade einen kranken Kollegen in die Notaufnahme. So kümmert sich Javaid Tariq um ihn. „Beruhige dich“, sagt Tariq, ein Taxifahrer, der aus Pakistan kommt. Der frühere Reggae-Musiker wirkt mit seinen langen grauen Haaren ein wenig wie ein Hippie. „Wir legen Widerspruch ein, das schiebt die Sperre auf.“ Bill Lindauer fügt hinzu: „Dafür ist unser Rechtsschutz ja da, dass du nicht den ganzen Tag vor Gericht verlierst.“


    Bill Lindauer, einer der wenigen weißen Fahrer, protestiert gegen das GPS

    Javaid Tariq, Bhairavi Desai und Biju Mathew aus dem indischen Hyderabad haben 1996 die Taxi Workers Alliance gegründet, Lindauer, der in der Bronx geboren ist, kam ein wenig später dazu. Heute hat die Alliance 7000 Mitglieder unter den insgesamt 43000 New Yorker Taxifahrern. Ihr wichtigstes Ziel ist, Sozialleistungen für Fahrer durchzusetzen, die jenen für Angestellte gleichkommen. Denn rechtlich sind Taxifahrer selbstständig, tatsächlich aber sind sie von den Flottenbetreibern, den Garagenbesitzern und den Brokern abhängig. „Um ein Taxi betreiben zu dürfen, braucht man ein Medaillon“, erklärt Tariq. Das muss gekauft werden, von der Stadt oder von einem Medaillonbesitzer.

    Die Fahrer müssen ihr Taxi zumeist teuer leasen

    13000 gelbe Medaillon-Taxis gibt es in New York, und die Medaillons kosten inzwischen einige hunderttausend Dollar, dazu kommen die eigentlichen Kosten für das Auto. Das ist für Immigranten oft zu teuer. Und so befinden sich die Medaillons mittlerweile in der Hand von Flottenbesitzern oder Brokern, die Medaillon-Taxis vermakeln, häufig im Auftrag selbstständiger Fahrer, die sich zur Ruhe gesetzt haben.

    Die Fahrer müssen das Medaillon-Taxi für 100 bis 130 Dollar am Tag leasen; und dazu noch das Benzin bezahlen - 15 bis 20 Dollar am Tag. Eine Fahrt kostet den Kunden 2,50 Dollar, plus 40 Cents pro 400 Meter, 40 Cents für zwei Minuten Warten und 50 Cents Nachtzuschlag. Eine Durchschnittsfuhre kommt so auf sechs bis acht Dollar, plus ein Dollar Trinkgeld. Um 60 Dollar in einer Zwölf-Stunden-Schicht zu verdienen - was dem Durchschnitt entspricht -, braucht der Taxifahrer also 20 bis 25 Fahrgäste. Damit bringt es ein Taxifahrer nicht einmal auf den offiziellen New Yorker Mindestlohn, der bei 7,15 Dollar pro Stunde liegt. „Das heißt, wenn wir im Stau stecken bleiben oder in die Bronx müssen, wo wir keine Fahrt zurück bekommen, müssen wir noch Geld mitbringen“, sagt Lindauer.


    Der Jamaicaner Beresford spricht für die Rechte der Fahrer

    Die Medaillons wurden 1937 von Bürgermeister Fiorello La Guardia eingeführt, um die Kontrolle der Mafia über das Taxigewerbe zu brechen. Doch ganz ist das Gewerbe den Stallgeruch der Mafia nie losgeworden. 1971 schuf die Stadt die Taxi and Limousine Commission (TLC), und die erlaubte das Leasing auf Tages- oder Wochenbasis. Die Commissioners kümmerten sich vor allem um ihr eigenes Fortkommen, und da war die Nähe zu den Taxibesitzern dienlicher als die zu den Fahrern. So gab die Stadt einmal hundert Medaillons für „experimentelle Dieseltaxis“ aus, die für 80000 Dollar verkauft werden sollten. TLC-Chef Jay Turoff, ein Günstling von Bürgermeister Ed Koch, verschenkte die Medaillons an einen befreundeten Flottenbesitzer, zudem schanzte er der Firma eines Bekannten, an der er selber Anteile hielt, einen Vertrag für Taximeter zu - bis er wegen Betrugs verurteilt wurde.

    „Solchen Filz gibt es noch heute“, sagt Biju Mathew, Mitbegründer der Taxi Workers Alliance und Dozent für Wirtschaft. So ist Ronald Sherman der Präsident des Metropolitan Taxi Board of Trade, die Vertretung der Taxibesitzer. Er besitzt mit der Midtown Operating Corporation auch eine der größten Flotten. Seine Firma Creative Mobile Technologies ist eine von vier Herstellern, die das teure GPS verkaufen dürfen. „Deshalb gibt es von den Taxibesitzern auch keinen Widerstand dagegen.“

    Oft wird der Fahrer nur als Teil des Taxis gesehen

    Auf Schicht mit Gewerkschafter Javaid Tariq. „Halten Sie an der Ecke“, sagt sein Fahrgast, ein junger Puerto-Ricaner, ungeduldig und reißt dabei die Tür auf. „Nein! Ich hab doch gesagt, an dieser Ecke!“ Dann steigen seine Frau und fünf Kinder ins Taxi, die Kinder fangen sofort an zu streiten. „Ich will ans Fenster“, brüllt eines. „Nein, ich!“ "33rd Street, Second Avenue", sagt der Mann barsch. „Wollen Sie in das Kino an der Second Avenue?“ fragt Tariq höflich zurück. „Einfach in die 33rd Street, Second Avenue“, knurrt der Puerto-Ricaner. Tariq, der vom Süden kommt, will über die breite 34th Street fahren - knapp davor befiehlt der Mann: „Fahren Sie 32nd Street.“ Das kürzt hundert Meter ab und spart ungefähr 20 Cent.


    Bhairavi Desai, Gründerin und Direktorin der Taxi Workers Alliance

    „Das ist noch gar nichts“, sagt Tariq, als die Familie ausgestiegen ist. „Spät nachts die Betrunkenen, die sehen einen überhaupt nicht als Menschen. Nur als Teil des Taxis.“ Die nächsten Fahrgäste sind netter: Ein älteres Ehepaar, das in die First Avenue will. Sie geben drei Dollar Trinkgeld. Auf Höhe der Queensboro Bridge steigt eine Engländerin zu. „Samstagnacht ist eine gute Zeit, vor allem, wenn es nieselt, so wie heute“, meint Tariq. Er hat den Wagen, einen achtsitzigen Toyota, gegen acht Uhr aus der Garage in Astoria geholt. Nun ist es zehn Uhr abends, aber der Verkehr ist immer noch mörderisch. Radler fahren ohne Licht, und Horden von Touristen aus New Jersey kreuzen die Straßen.

    Die Taxifahrer müssen höllisch aufpassen, denn Strafzettel zahlen sie selber. „Und wer jeden Tag zwölf Stunden fährt, bekommt leicht mal ein Ticket“, meint Tariq. „Die Polizei kann uns nicht leiden. Ich war mal dabei, wie Taxis nachts um drei vor einem Nachtclub an der Eleventh Avenue gewartet haben, ganz im Westen, wo um die Zeit nichts los ist. Die kriegten Tickets, weil sie kurz in zweiter Reihe gestanden sind.“

    New Yorks Bürgermeister Rudy Giuliani hatte 1998 den Strafkatalog noch verschärft. So war ein Ticket angedroht, wenn ein Fahrgast ein Kaugummipapier auf dem Sitz liegen lässt oder an einer roten Ampel aus dem Auto springt. Der Kampf dagegen war der erste große Auftritt der Taxi Workers Alliance. Die Gewerkschaft, die damals erst 500 Mitglieder hatte, organisierte eine Rebellion gegen Giuliani, die im Mai 1998 in einem eintägigen Streik gipfelte. Die Flottenbesitzer konterten, indem sie eine eigene „Gewerkschaft“ aufmachten, die United Yellow Cab Association, deren Mitglieder Sikhs mit eigenen Taxis waren. Auch Giuliani versuchte mit Hilfe eines politischen Freundes, dem ein Limousinenservice gehörte, den Streik zu brechen. Aber als die Emotionen hoch kochten und die Polizei mit Panzerfahrzeugen die Brücken von Brooklyn und Queens nach Manhattan blockierten, streikten auch die Sikhs mit.


    Auf dem Weg zur Presse: Gewerkschafter nach der Sitzung der Taxi and Limousine Commission

    Trotzdem: Giuliani setzte seinen Strafkatalog durch. „Aber die Alliance konnte dadurch viele neue Mitglieder werben“, sagt Tariq. 2004 hatte die Alliance ihren ersten großen Erfolg: Sie handelte mit Bürgermeister Michael Bloomberg aus, dass das Gros einer Fahrpreiserhöhung an die Fahrer ging. „Wir wollen einen Lohn durchsetzen, von dem man auch wirklich leben kann“, meint Tariq. Rund zwanzig Dollar mehr verdienen sie nun am Tag. Aber der Kampf hört nicht auf. Denn gierige Flottenbesitzer, steigende Kosten und das GPS fressen das Erreichte wieder auf.
    Nächstes Ziel: eine Krankenversicherung

    Heute hat die Taxi Workers Alliance Partner in 19 Städten, darunter Los Angeles, San Antonio und Philadelphia. Sie gehört auch der International Taxi Alliance an, einem weltweiten Verbund. Das nächste Ziel ist eine bezahlbare Krankenversicherung für alle Taxifahrer. „Wir reden gerade mit mehreren Kassen und prüfen deren Angebote“, sagt Tariq. „Fast alle Fahrer sind nicht versichert.“

    Kurz vor Mitternacht steigt ein schwules Paar bei Javaid Tariq ein, die beiden wollen in ein Theater an der West 42nd Street. Genau hier spielte vor 31 Jahren der Film Taxi Driver. Seitdem hat sich für die Taxifahrer schon viel verändert - und wenn es nach der Taxi Workers Alliance geht, war das erst der Anfang.

    Für Anfang September - nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe - hatte die Taxi Workers Alliance Warnstreiks angekündigt. Damit protestiert sie gegen die Einführung von GPS.

    Wie mobilisiert die Taxi Workers Alliance?

    Mitgliederwerbung für die Taxi-Gewerkschaft New York ist nicht einfach: Die Taxifahrer der Stadt kommen aus mehr als hundert Ländern, sprechen viele Sprachen, sind de facto selbstständig und haben wenig Geld für Mitgliedsbeiträge. Die Gewerkschafter konzentrieren sich daher auf das so genannte Organizing, also Basisarbeit, nah an den Betroffenen. Diese Form von Mobilisierung kommt aus den USA und wird auch von ver.di, unter anderem im Hamburger Wachschutz und im Einzelhandel, angewendet.

    Der Durchbruch für die Taxi Workers Alliance war der Streik vom Mai 1998. Damals hatte die Alliance erst 500 Mitglieder, aber es gelang ihr, 24000 Fahrer zum Streiken zu bewegen. Mobilisiert wurde dort, wo sich Taxifahrer treffen: An den Flughäfen JFK und La Guardia, an der Taxisammelstelle. Dort verteilten Alliance-Aktivisten Flugblätter und sprachen Taxifahrer an. Über den Taxifunk, muttersprachliche FM-Sender wie das Bengalische Radio oder Vereine wie das „Forum of Indian Leftist“ und sogar ethnische Restaurants verbreitete sich die Kunde weiter. Der Streik brachte der Alliance Tausende neue Mitglieder.

    An den Flughäfen werben die Aktivisten von der Alliance noch heute, meist am Wochenende, denn dort sind viele Taxifahrer, die warten. Die Alliance macht aber auch Medienarbeit, spricht mit Stadtverordneten, die Gesetze beschließen, und macht ihre Stimme auf Sitzungen hörbar, die Taxifahrer betreffen. Finanzielle Unterstützung bekommt die Alliance auch aus gemeinnützigen Quellen; erst im Mai bekam sie 15000 Dollar von der Chase Foundation, der Stiftung eines Finanzdienstleisters. Wichtige Angebote für Mitglieder sind vor allem Rechtsschutz und Krankenversicherung.

    #Taxi #USA #New_York #Gewerkschaft