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  • „Die Deutschen sind arm und wütend“ : Mittlere Haushalte haben jetzt kaum mehr als die Griechen
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/die-deutschen-sind-arm-und-wuetend-mittlere-haushalte-haben-jetzt-k

    L’Allemagn est riche, les Allemands sont pauvres. Dans l’EU la situation n’est pire qu’aux pays baltes et en Hongrie. A Berlin un quart des enfants sont pauvres. La situation s’est encore aggravé depuis les lockdowns contre le covid et le début du régime de sanctions contre la Russie.

    17.1.2024 von Liudmila Kotlyarova - Von Spanien und Italien abgehängt: In Deutschland herrscht extreme Ungleichheit, kaum besser als Griechenland, zeigt ein EZB-Vergleich. Wie ist das möglich?

    Deutschland war lange Zeit ein Leuchtturm des Wohlstands und der politischen Stabilität. Jetzt stagniert seine Wirtschaft, und es drohen die Verbitterung und Spaltung der Gesellschaft. Die Stimmung kippt.

    Die extrem ungleiche Verteilung des Wohlstands ist dabei eines der ältesten Probleme in Deutschland und der Grund, warum so viele Menschen sich hierzulande zunehmend verarmt fühlen. Oder, wie der Bloomberg-Kolumnist Chris Bryant neulich in einem Artikel resümiert: „Deutschland ist reich, aber die Deutschen sind arm und wütend.“
    Der Medianhaushalt in Deutschland hat ein Nettovermögen von 106.600 Euro – was bedeutet das?

    Zahlen bestätigen dieses Gefühl: Die obersten zehn Prozent der Haushalte verfügen laut der letzten Erhebung der Bundesbank aus dem Jahr 2021 über ein Nettovermögen von mindestens 725.000 Euro und kontrollieren mehr als die Hälfte des Vermögens des Landes, während die untersten 40 Prozent der Haushalte ein Nettovermögen von höchstens 44.000 Euro haben. Der mediane, also der mittlere Haushalt, hat dabei ein Vermögen von lediglich 106.600 Euro aufgebaut.

    Der Median zeigt das Vermögen der Mitte einer Gesellschaft. Er halbiert die Datenreihe, sodass eine Hälfte der Daten unterhalb und die andere Hälfte oberhalb des Medians liegt, und bietet in dem Fall ein klares Bild der Vermögensverteilung in Deutschland. Der Durchschnittswert dagegen erzeugt den Eindruck, dass es allen Menschen in Deutschland finanziell relativ gut geht. So verfügte ein Durchschnittshaushalt in Deutschland 2021 über ein Nettovermögen von rund 320.000 Euro, doch das bedeutet noch lange nicht, dass die meisten dieses Geld auch haben.
    Die traurige Wahrheit: Deutschland bei der Vermögensverteilung deutlich unter dem Medianwert der Eurozone

    Düsterer wird das Bild, wenn man die Zentralwerte in Deutschland mit denen in anderen EU-Ländern vergleicht. Plötzlich stellt sich heraus, dass der deutsche Medianhaushalt nur über ein wenig mehr Nettovermögen verfügt als der griechische Haushalt aus der Mitte: 106.206 Euro in Deutschland im zweiten Quartal 2023 gegen 97.749 Euro in Griechenland.

    Nur noch die mittleren Haushalte in Estland, Ungarn, Litauen und Lettland sind nach Angaben der Europäischen Zentralbank (EZB) schlechter aufgestellt – alle anderen ost- und südeuropäischen Länder dagegen viel besser als Deutschland. Zum Beispiel: In der Slowakei verfügt ein mittlerer Haushalt über ein Nettovermögen von 116.244, in Portugal über 126.605, in Slowenien über 154.025, in Italien über 161.062 und in Spanien über 197.236 Euro. Am reichsten sind die mittleren Haushalte in Luxemburg mit 734.745 Euro Nettovermögen. Deutschland liegt damit deutlich unter dem Median der Eurozone (etwa 150.000 Euro).

    Kein Wunder, dass wütende Landwirte in den vergangenen Tagen landesweit Straßen blockierten, aus Protest gegen Kürzungen der Agrarsubventionen. Aber viele wissen: Es ist nur der Anlass, denn es geht ihnen um das große Ganze. Die rechtspopulistische AfD versucht, diese Stimmungen für sich zu nutzen.
    Fakt ist: Die Inflation frisst die Reallöhne auf, die Armut steigt

    Auf der einen Seite bräuchten die Deutschen aufgrund hochwertiger öffentlicher Dienstleistungen nicht viel Geld, um komfortabel zu leben, argumentiert der Bloomberg-Autor. Kindertagesstätten seien in einigen Bundesländern kostenlos, ebenso wie staatliche Studiengebühren. In letzter Zeit hätten die Gewerkschaften Gehaltserhöhungen durchgesetzt, während Sparer höhere Zinsen auf Bankeinlagen erhielten; auch die Landwirte hätten höhere Gewinne erzielt.

    Auf der anderen Seite investiere nur noch etwa jeder sechste Deutsche an der Börse, und weniger als die Hälfte der Haushalte besitze ein Eigenheim und profitiere daher nicht von den steigenden Immobilienpreisen, schreibt Chris Bryant. Dazu kommt: Das mittlere Vermögen deutscher Mieterhaushalte beträgt laut der Bundesbank nur 16.000 Euro, und die steigenden Mieten tragen lediglich zur Verarmung der Mieterhaushalte bei.

    Die Zahlen der Bundesbank aus dem Jahr 2021 beinhalten zudem noch nicht die Entwicklung seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. Die Inflation hat die Reallöhne und die Kaufkraft der Haushalte aufgefressen, und die Einkommensarmut hat in Deutschland deutlich zugenommen. Im Jahr 2022 lebten nach Angaben des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fast 17 Prozent der Menschen in Deutschland in Armut, rund zehn Prozent sogar in ernster Armut. Die Zahl der sehr armen Menschen, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, ist demnach zwischen 2010 und 2019 um gut 40 Prozent gestiegen. Ein Viertel der Kinder in Berlin lebt in Armut.
    Bloomberg-Autor macht Vorschläge, wie man die AfD neutralisieren könnte

    Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und führende deutsche Ökonomen kritisieren seit langem das Steuersystem Deutschlands, weil die Belastung zu sehr auf die Löhne ausgerichtet sei und die Vermögens- und Erbschaftssteuern dagegen niedrig seien. So gibt es beispielsweise für Unternehmer pauschale Befreiungen von der Erbschaftssteuer, da sonst Arbeitsplätze und Investitionen gefährdet werden könnten.

    Diese Regeln seien viel zu bequem, und das Ergebnis ist, dass die Steuern auf große Erbschaften oft niedriger seien als auf kleinere Vermächtnisse, kritisiert der Bloomberg-Autor. Er schlägt vor: Langfristig müsste Europas größte Volkswirtschaft ihr Steuersystem, das gerade die Arbeit benachteiligt, reformieren und eine breitere Kapitalverteilung fördern. Er zeigt sich jedoch skeptisch, was weitere Reformen zur Verringerung der Ungleichheit in Deutschland angeht, auch wenn es an guten Ideen nicht mangelt.

    Die Ironie der zunehmenden Unterstützung der AfD besteht auch darin, dass viele ihrer einkommensschwachen Anhänger wenig von ihrem Programm profitieren würden, weil die Partei Vermögens- und Erbschaftssteuern ablehnt. Mehr Menschen an den Vorteilen des wirtschaftlichen Wohlstands teilhaben zu lassen, würde einen großen Beitrag dazu leisten, die Unterstützung für radikale politische Parteien zu mindern und die Wut abzumildern, die derzeit in Deutschland überkocht, schließt der Bloomberg-Autor.

    #Allemagne #pauvreté #patrimoine #économie

  • Finanzexpertin verrät, wie Unternehmen US-Sanktionen umgehen: So funktioniert die Schattenwelt von Offshore-Fi
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/unternehmen-koennen-dort-us-sanktionen-umgehen-so-funktioniert-die-

    Steuerparadiese sind ein ganz normaler Teil der Weltwirtschaft. Nur die Armen und ein paar Gerechtigkeitsfanatiker sehen das anders.

    9.11.2023 von Simon Zeise - Intransparenz und Steuerdumping sind Markenzeichen von globalen Finanzzentren. Warum westliche Regierungen davon profitieren, erklärt die Politik-Ökonomin Andrea Binder.

    Über die Praxis von Offshore-Finanzplätzen gelangen nur selten Informationen an die Öffentlichkeit. Anonyme Informanten wie der Whistleblower, der die sogenannten Panama Papers aufgedeckt hat, sind selten. Sie vermitteln nur eine Ahnung davon, wie es in der Schattenwelt zugeht, in der Manager von Großkonzernen, Banker und Anwälte Finanzströme in Milliardenhöhe an offiziellen Behörden vorbeischleusen. Die Berliner Zeitung sprach hierüber mit der sachkundigen Finanzexpertin Andrea Binder.

    Frau Binder, multinationale Unternehmen und Superreiche parken ihr Geld in Finanzzentren wie den Cayman Islands, Luxemburg oder der City of London. Was ist der entscheidende Vorteil für die Investoren?

    Das Entscheidende ist, die Währung eines Landes mit dem Rechtsrahmen eines anderen Landes zu vereinen. In der Regel handelt es sich um den US-Dollar und um britisches Recht. Durch dieses „Mismatch“ können sehr viele Regeln umgangen werden, inklusive Steuern. Für Staaten und Unternehmen sind Offshore-Finanzzentren aber auch deshalb sehr wichtig, weil sie Zugang zu US-Dollar und dadurch Zugang zum internationalen Wirtschaftssystem bekommen können.

    Die mit Abstand meisten Transaktionen weltweit werden in US-Dollar getätigt – je nach Land sind es zwischen 80 und 95 Prozent. Finanzakteure aus dem Globalen Süden haben es aber schwer, Zugang zu US-Dollar zu bekommen, da die Regularien der amerikanischen Börsenaufsicht SEC sehr strikt sind. Deshalb sind sie auf Offshore-Finanzzentren angewiesen.

    Staaten gehen hohe Steuereinnahmen verloren, wenn Unternehmen ihr Geld in Finanzzentren parken. Warum wird dem kein Riegel vorgeschoben?

    In Offshore-Finanzzentren gibt es fast keine Regulierung, Unternehmen müssen kaum Nachweise erbringen. Meistens muss noch nicht mal die eigene Identität bestätigt werden. Es gibt kaum offizielle Statistiken, da Unternehmen keinen Jahresbericht schreiben müssen. Dieses Agieren im statistisch Unsichtbaren macht es Regierungen möglich, bestimmte politische Konflikte auszulagern.

    Große Unternehmen üben Druck auf Regierungen aus, indem sie damit drohen, ihren Firmensitz in Länder mit niedrigeren Steuersätzen zu verlagern. Selbst in Zeiten steigender Ungleichheit lassen sich im eigenen Land schlecht Wahlen gewinnen, wenn man verspricht, Unternehmenssteuern zu senken. Deshalb spielen westliche Staaten ein doppeltes Spiel. Die heimischen Unternehmen dürfen über Offshore-Finanzzentren ihre Steuerlast senken, die Steuersätze im Inland bleiben dafür nominell relativ hoch.

    Im Bankensektor ist das augenscheinlich. Für den heimischen Finanzplatz, der die nationale Ökonomie versorgen soll, gelten relative strikte Vorgaben. Aber weil die westlichen Staaten global agierende Investmentbanken haben wollen, wird es den großen Finanzinstituten ermöglicht, über Offshore-Finanzzentren viele der nationalen Regulierungen einfach wieder zu umgehen. Somit bietet sich den Regierungen eine Möglichkeit, dem demokratischen Konflikt auszuweichen.

    Durch die von den USA verhängten Sanktionen werden mehrere Staaten vom Zugang zum US-Dollar abgeschnitten. Bieten Offshore-Finanzzentren den sanktionierten Staaten eine Möglichkeit, um an US-Dollar zu kommen?

    Das ist eine wichtige Frage. In einer zugespitzten politischen Situation, wie dem russischen Angriff auf die Ukraine, gibt es durchaus Möglichkeiten, die Finanzzentren auf die Linie des westlichen Sanktionsregimes zu bringen. Das Gewicht verschiebt sich aber. Es kommen zunehmend asiatische Offshore-Finanzzentren hinzu. Hongkong und Singapur existieren schon lange. Seit 2004 ist aber Dubai dazugekommen. Das Emirat hat mit seiner „Special Economic Zone“ im Prinzip die City of London institutionell und rechtlich nachgebaut. Es ist quasi eine Kopie des britischen Finanzsystems, mit dem besonderen Unterschied, dass sie explizit nicht die westlichen Sanktionen unterstützen.

    Das hat Folgen. Man kann beobachten, dass sehr große Finanzströme aus der Schweiz nach Dubai geflossen sind. Weil diese aber immer über Briefkastenfirmen getätigt werden, ist es sehr schwer nachzuvollziehen, wer der Eigentümer ist. Deshalb kann man auch nicht beweisen, dass es mit den Russland-Sanktionen zusammenhängt, die zeitliche Nähe deutet aber auf einen Zusammenhang hin.

    Und die westlichen Unternehmen müssen alle die Sanktionen befolgen?

    Es gibt Ausweichmöglichkeiten. Wenn ein Unternehmen Geld mobilisieren will, begibt es in der Regel eine Anleihe. Mit diesem Schuldtitel geht das global agierende Unternehmen zu einer Bank, meistens handelt es sich um ein ganzes Banken-Syndikat, das für das Unternehmen auf Investorensuche geht. Offshore Finanzzentren machen es möglich, die Anleihe so über mehrere Rechtsräume zu strukturieren, dass das Unternehmen auswählen kann, welche Währung die Anleihe haben, in welchem Recht sie ausgegeben und welcher Steuersatz zugrunde gelegt werden soll.

    Außerdem – das hat mir ein Banker in meinen Forschungsinterviews erklärt – kann das Unternehmen so auch auswählen, ob Sanktionen befolgt werden sollen oder nicht. Es ist also nicht so, dass die traditionellen westlichen Finanzzentren hinter den politischen Entscheidungen der USA stehen und die aufstrebenden asiatischen Finanzzentren die schwarzen Schafe sind. Es kommt immer darauf an, welche politischen Interessen verfolgt werden. Zum Beispiel waren europäische Unternehmen wenig begeistert von den US-Sanktionen gegen den Iran. Die Art, wie die Anleihen strukturiert werden, geben Investoren eine Wahl: Wollt ihr euch an die Regeln halten oder nicht?

    Das heißt, Offshore-Finanzzentren helfen mit, westliche Sanktionen umgehen?

    Ja. Wobei ich es bei den Russland-Sanktionen für weniger wahrscheinlich halte, weil es so ein großer Konflikt ist. Man kann sagen, je größer ein Finanzzentrum ist, desto eher beteiligt es sich an diplomatischen Entscheidungen. Die Schweiz zum Beispiel sucht in so einem Konflikt ein Gespräch mit den USA und den Europäern. Ein kleines, obskures Finanzzentrum hat hingegen weniger Hemmungen, Regeln zu umgehen.

    Die Brics-Gruppe, Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, will eine Alternative zum vom US-Dollar dominierten Finanzsystem aufbauen. Wäre das das Ende der Offshore-Finanzwelt?

    Die Brics-Staaten sind stark auf den US-Dollar und deshalb auch auf Offshore-Finanzzentren angewiesen. Solange sie kein paralleles Geldsystem entwickelt haben, wird das auch weiterhin so sein. Das brasilianische Bankensystem ist zum Beispiel über Offshore-Finanzzentren sehr eng verbunden mit dem amerikanischen Bankensystem. Das heißt, wirtschaftlich ist ein Systemwechsel nicht von heute auf morgen machbar. Man könnte ein alternatives Währungssystem aufbauen, wenn ein Wille vorhanden ist. Aber es ist mit sehr hohen ökonomischen und politischen Kosten verbunden.

    Indien, Brasilien und Südafrika haben aber eher ein Interesse, sich nach allen Seiten die Türen offen zu halten. Hinzu kommt, dass in fast allen Staaten, und das gilt auch für die meisten Mitglieder der Brics, die ökonomischen und die politischen Eliten sehr eng verflochten sind. Einflussreiche Personen nutzen Offshore-Finanzzentren, um ihr Vermögen außer Landes zu bringen. Je mehr die Eliten eines Landes vom US-Dollar-System profitieren, desto weniger sind sie gewillt, es abzuschaffen.

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    In Offshore-Finanzzentren wird Geld auf intransparente Weise, am Fiskus vorbei, außer Landes gebracht. Wie groß ist der Schaden, der dadurch entsteht?

    Ich betrachte Offshore-Finanzzentren als eine Bedrohung für die Demokratie, weil für große Unternehmen und reiche Personen andere Regeln als für die Mehrheit der Bevölkerung gelten. Für Demokratien ist es aber wichtig, dass sich Vermögen nicht zementieren. Es muss ein Aufstiegsversprechen gelten: Wer einmal zu den Verlierern gehört, muss die Möglichkeit haben, in Zukunft zu den Gewinnern zu gehören. Außerdem gefährden sie die Finanzstabilität. Um ein stabiles Finanzsystem zu gewährleisten, ist es wichtig, dass die Regulierungen befolgt werden. Wenn man Ausweichmöglichkeiten für Banken und Unternehmen schafft, schafft man Risiken. Der Großteil des Geldes in Finanzzentren ist im Handel von Finanzprodukten konzentriert und nicht im Handel mit Produkten der Realwirtschaft. Das wirkt wie ein Katalysator für Finanzblasen und Krisenzyklen.

    Das Problem ist: Alle Finanzzentren zu schließen, ist nicht so einfach. Dadurch würde das internationale Wirtschaftssystem zum Erliegen kommen, weil über Finanzzentren auch die Realwirtschaft mitfinanziert wird. Und das würde zu großen ökonomischen Kosten führen. Und zwar nicht nur für diejenigen, die viel Geld haben, sondern auch für die breite Masse der Bevölkerung. Der einzige Weg daraus sind mehr Regulierung und eine politische Auseinandersetzung darüber, wie viel Entflechtung und wie viel Globalisierung wir haben möchten.

    Zur Person

    Dr. Andrea Binder ist Forschungsgruppenleiterin am Otto-Suhr-Institut an der FU Berlin. Als Expertin für globale Finanzen ist sie spezialisiert auf Offshore-Finanzzentren. Für ihr 2023 veröffentlichtes Buch „Offshore-Finance and State Power“ führte sie zahlreiche Experten-Gespräche mit Bankern, Anwälten, Steuer- und Regierungsbeamten. Für ihre Forschung wurde sie mit dem Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichnet.

    #banques #paradis-fiscaux #économie #démocratie

  • « Qui a dit que l’électrification ne pouvait pas vous surprendre ? »

    Les SUV électriques menacent la transition énergétique, alerte le WWF
    https://www.ouest-france.fr/environnement/ecologie/transition-ecologique/les-suv-electriques-menacent-la-transition-energetique-alerte-le-wwf-31

    Les SUV électriques menacent la transition énergétique, alerte le WWF

    Il faut réduire de toute urgence la taille des voitures électriques sans quoi la France pourrait se retrouver en pénurie de métaux « critiques », alerte une étude de l’ONG World Wild Fund (WWF), qui réclame l’instauration d’un malus lié au poids, à l’instar d’autres associations écologistes.

    https://justpaste.it/6yq91

    #bagnole #SUV #trahison_énergétique #décarbonation

    Tous les bourges du bled se sont « reconvertis » aux SUV hybrides ou électriques. Je les soupçonne en outre de prendre toujours l’avion. Mangez bien vos grands morts, les gros blaireaux ...

    • Tesla augmentera sa production à Grünheide près der Berlin à un million de voitures par an. Une partie de cette production énorme seront des modèles de bas de gamme pour 25 mille Euros seulement - promis.
      https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/tesla-chef-musk-kundigt-25-000-euro-auto-in-grunheide-an-li.2156814

      Tesla hat sein Werk in Grünheide im vergangenen Jahr eröffnet. Dort sind nach jüngsten Angaben des Unternehmens rund 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Das angepeilte Ziel von 500.000 Autos pro Jahr ist noch nicht erreicht, es gibt aber bereits Pläne zum Ausbau der Fabrik auf eine Kapazität von eine Million Autos im Jahr. Das Land Brandenburg prüft noch den umweltrechtlichen Antrag für den ersten Teil des Ausbaus. Umweltverbände und Anwohner haben Bedenken, ein Teil des Geländes liegt in einem Wasserschutzgebiet.

      Musk hatte bei seinem Besuch in Grünheide auch höhere Löhne für seine Beschäftigten angekündigt. Nach einem Plus der Entgelte um bis zu 6 Prozent im vergangenen Jahr sollen sie dieses Jahr nochmals um 4 Prozent steigen. Die Jahresgehälter der Produktionsmitarbeiter werden zudem ab Februar 2024 um 2500 Euro erhöht. Die IG Metall hatte die geplante Lohnerhöhung begrüßt. Nach ihren Angaben bleibt die Bezahlung bei Tesla allerdings auch danach deutlich hinter dem branchenüblichen Niveau in der Autoindustrie in Deutschland zurück.

      Voilà le conseil de Jean de la Fontaine pour les industriels de l’automobile allemand.

      Le Lion

      Sultan Léopard autrefois
      Eut, ce dit-on, par mainte aubaine,
      Force bœufs dans ses prés, force Cerfs dans ses bois,
      Force moutons parmi la plaine.
      Il naquit un Lion dans la forêt prochaine.

      Apres les compliments et d’une et d’autre part,
      Comme entre grands il se pratique,
      Le Sultan fit venir son Vizir le Renard,
      Vieux routier et bon politique.
      Tu crains, ce lui dit-il, Lionceau mon voisin :
      Son père est mort, que peut-il faire ?
      Plains plutôt le pauvre orphelin.
      Il a chez lui plus d’une affaire ;
      Et devra beaucoup au destin
      S’il garde ce qu’il a sans tenter de conquête.

      Le Renard dit branlant la tête :
      Tels orphelins, Seigneur, ne me font point pitié :
      Il faut de celui-ci conserver l’amitié,
      Ou s’efforcer de le détruire,
      Avant que la griffe et la dent
      Lui soit crue, et qu’il soit en état de nous nuire :
      N’y perdez pas un seul moment.

      J’ai fait son horoscope : il croîtra par la guerre.
      Ce sera le meilleur Lion
      Pour ses amis qui soit sur terre,
      Tâchez donc d’en être, sinon
      Tâchez de l’affaiblir. La harangue fut vaine.
      Le Sultan dormait lors ; et dedans son domaine
      Chacun dormait aussi, bêtes, gens ; tant qu’enfin
      Le Lionceau devient vrai Lion. Le tocsin
      Sonne aussitôt sur lui ; l’alarme se promène
      De toutes parts ; et le Vizir,
      Consulté là-dessus dit avec un soupir :
      Pourquoi l’irritez-vous ? La chose est sans remède.
      En vain nous appelons mille gens à notre aide.
      Plus ils sont, plus il coûte ; et je ne les tiens bons
      Qu’à manger leur part des moutons.

      Apaisez le Lion : seul il passe en puissance
      Ce monde d’alliés vivant sur notre bien :
      Le Lion en a trois qui ne lui coûtent rien,
      Son courage, sa force, avec sa vigilance.
      Jetez-lui promptement sous la griffe un mouton :
      S’il n’en est pas content jetez-en davantage.
      Joignez-y quelque bœuf : choisissez pour ce don
      Tout le plus gras du pâturage.
      Sauvez le reste ainsi. Ce conseil ne plut pas,
      Il en prit mal, et force états
      Voisins du Sultan en pâtirent :
      Nul n’y gagna ; tous y perdirent.

      Quoi que fît ce monde ennemi,
      Celui qu’ils craignaient fut le maître.
      Proposez-vous d’avoir le Lion pour ami
      Si vous voulez le laisser craître.

      -- Jean de La Fontaine, Fables de La Fontaine, Le Lion, texte établi par Jean-Pierre Collinet, Fables, contes et nouvelles, Gallimard, « Bibliothèque de la Pléiade », 1991, p. 425

      Nous autres suivons plutôt l’exemple du renard.

      De par le Roi des Animaux,
      Qui dans son antre était malade,
      Fut fait savoir à ses Vassaux
      Que chaque espèce en ambassade
      Envoyât gens le visiter :
      Sous promesse de bien traiter
      Les Députés, eux et leur suite,
      Foi de Lion, très bien écrite,
      Bon passeport contre la dent ;
      Contre la griffe tout autant.
      L’édit du Prince s’exécute :
      De chaque espèce on lui députe.
      Les Renards gardant la maison,
      Un d’eux en dit cette raison :
      Les pas empreints sur la poussière
      Par ceux qui s’en vont faire au malade leur cour,
      Tous, sans exception, regardent sa tanière ;
      Pas un ne marque de retour.
      Cela nous met en méfiance.
      Que Sa Majesté nous dispense :
      Grand merci de son passeport .
      Je le crois bon ; mais dans cet antre
      Je vois fort bien comme l’on entre,
      Et ne vois pas comme on en sort.

  • Fabio De Masi: Verschwörungs-Ökonomie, oder warum es Deutschland schlecht geht
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/fabio-de-masi-verschwoerungs-oekonomie-warum-es-deutschland-schlech

    14.10.2023 von -Fabio De Masi -Unter dem Vorwand, die Inflation zu bekämpfen, nimmt die Bundesregierung eine schwere Wirtschaftskrise in Kauf. Dahinter stecken knallharte Interessen, meint unser Autor.

    Bundeskanzler Olaf Scholz hatte ein Wirtschaftswunder versprochen. Was für eine Blamage: Denn die Ampel-Koalition jagt die Wirtschaft in den Keller, um dann Maßnahmen gegen Wachstumsbremsen zu fordern. Dieser Wahnsinn hat Methode. Dabei sitzen die Wachstumsbremsen auf der Regierungsbank. Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner sind eine in Zahlen gegossene wirtschaftliche Trümmertruppe.

    So meint Finanzminister Christian Lindner, es brauche eine Bürokratie-Pause, als gäbe es Bürokratie nur in Deutschland. Wie soll zu viel Bürokratie erklären, warum Deutschland von der internationalen Wirtschaftsentwicklung abgehängt wird? Man darf schon glücklich sein, dass Lindner die verheerende wirtschaftliche Bilanz seiner Regierung nicht mit kosmischen Schwingungen erklärt.

    Deutschland ist die einzige große Volkswirtschaft, die schrumpft

    Lindner kritisiert zwar die Abschaffung von Leistungstests bei den Bundesjugendspielen, aber würde ökonomisch schon am Binden der Turnschuhe in der Umkleidekabine scheitern. Spanien hat etwa mit gezielten Eingriffen in den Markt, wie einer Besteuerung von Extragewinnen, Preisbremsen sowie Subventionen des öffentlichen Nahverkehrs die Wirtschaft angekurbelt und die Inflation viel erfolgreicher bekämpft als Deutschland.

    Auch China, die USA und Japan nehmen staatliche Defizite in Kauf, um in Zukunftstechnologien zu investieren. Die Inflationsraten gehen dabei international zurück. Deutschland ist die einzige größere Volkswirtschaft, die nominale Staatsausgaben senkt (mit Ausnahme der wachsenden Rüstungsausgaben), und die einzige größere Volkswirtschaft, die schrumpft.

    Lindner behauptet mit seiner Verschwörungsökonomie gegen jede Evidenz, es brauche eine Absenkung der Staatsausgaben, um die Inflation zu bekämpfen. Dabei haben wir es mit einer Angebots- oder Gewinninflation zu tun, die nicht durch zu hohe Nachfrage ausgelöst wurde. Zudem stellte der Internationale Währungsfonds bereits 2009 in einer groß angelegten Länderstudie unter dem Titel „Public Debt, Money Supply and Inflation“ fest, dass für Industrienationen kein Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Inflation bestünde. Und es ist noch nicht einmal gesichert, dass eine Kürzung der Staatsausgaben die Staatsverschuldung senkt. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die negativen Effekte auf das Bruttoinlandsprodukt auch zu Erhöhung der Arbeitslosigkeit, höheren Sozialtransfers und Verringerung der Steuereinnahmen führen werden.

    Laut der Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute brechen die Investitionen in Forschung und Entwicklung in Deutschland durch die Kürzungsorgie und den wirtschaftspolitischen Salafismus der Ampel-Regierung massiv ein.

    Lindner verkündet, man müsse die Wachstumsbremsen lösen, aber er entzieht der Bevölkerung über Steuererhöhungen auf Gas, Fernwärme und Speisen in der Gastronomie zehn Milliarden Euro an Kaufkraft und kürzt alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Die Verringerung von Staatsausgaben in einer schwächelnden Wirtschaft, bedeutet immer auch, dem Privatsektor die Einnahmen zu entziehen. Angesichts des Staatsversagens von Deutscher Bahn, bis zur Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, fragt man sich, ob es das Ziel der Ampel ist, der Trümmertruppe von der Alternative für Deutschland (AfD) noch ein paar Prozentpunkte bei den Wahlen obendrauf zu packen.

    Die Lobbyisten der Arbeitslosigkeit

    Es ist davon auszugehen, dass die Ampel-Regierung genau weiß, was sie tut. Der australische Investor Tim Gurner, Gründer der Gurner Group, die Luxus-Immobilien entwickelt, hat kürzlich in schonungsloser Offenheit auf den Punkt gebracht, weshalb Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) versuchen, den Energie-Preisschock und die Profit-Inflation, mit fragwürdigen Zinserhöhungen zu bekämpfen und weshalb die Ampel-Koalition die Staatsausgaben kürzt, bis es kracht.

    Es geht darum, die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, um die Profite der oberen ein Prozent abzusichern. Diese Rentiers, die über große Aktienpakte verfügen, aber nur selten selbst etwas Unternehmerisches schaffen, erwarten ihre Renditen wie ein Zeitungsabo im Briefkasten. Und zwar nicht durch sinnvolle Prozess- und Produktinnovationen oder „schöpferische Zerstörung“, wie es der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter nannte, sondern durch Eigentum und Wirtschaftsmacht.

    Gurner behauptete auf dem „Property Summit“ der australischen Financial Review, die Beschäftigten seien durch die Corona-Krise zu arrogant geworden und würden für ihr Geld zu wenig leisten. Dies habe die Produktivität negativ beeinträchtigt. Um dies zu ändern, forderte Gurner, dass die Arbeitslosigkeit „um 40 oder 50 Prozent steigen“ müsse. Der Wirtschaft müssten Schmerzen zugefügt werden.

    Es sei zu einem systematischen Wandel gekommen, wonach die Beschäftigten denken würden, die „Arbeitgeber“ (ein fragwürdiger Begriff, schließlich stellen die Beschäftigten ja ihre Arbeitskraft zur Verfügung) würden für sie arbeiten und nicht umgekehrt. Sie würden in dem Irrglauben leben, dass die Unternehmer ihnen dankbar sein müssten, dass sie für sie arbeiten, und nicht umgekehrt.

    Gurner fuhr fort, man müsse „diese Attitüde töten“. Und dies könne nur gelingen, indem man der Wirtschaft weh tue. Dies sei, was die Regierungen weltweit derzeit durch Verringerung von Staatsausgaben versuchen würden. Erste Erfolge seinen sichtbar. Entlassungen würden zunehmen und es gäbe nun „weniger Arroganz auf dem Arbeitsmarkt“. Was nach einer durchgeknallten Verschwörungstheorie klingt, ist der Kern wirtschaftsliberaler Ideologie, die versucht, zu vernebeln, dass es in der Wirtschaftstheorie und in der Wirtschaftspolitik immer auch um Interessen geht.
    Das Gespenst der Inflation

    Laut den Theorien der marktradikalen Ökonomen, die in den vergangenen Jahrzehnten den Ton angaben, ist Inflation vor allem das Ergebnis von zu viel Geld oder zu viel Nachfrage im System. Wenn also zu viel Geld zu wenige Waren jagt, erhöhen die Unternehmer die Preise. Daher müssten bei Inflation die Zinsen und die Arbeitslosigkeit erhöht werden. Doch zum Beispiel in den USA steigt die Beschäftigung seit einem Jahr, während die Inflation zurückgeht. Für keynesianische Ökonomen, die auf staatliche Eingriffe zur Stützung der Nachfrage setzen, ist eine Nachfrage-Inflation zwar denkbar, wenn Vollbeschäftigung herrscht und die Ökonomie überhitzt. Doch meistens herrscht Unterbeschäftigung. Daher führen Keynesianer Inflation vor allem auf gestiegene Kosten oder Konflikte zurück.

    So nutzten bestimmte Sektoren etwa den Energiepreisschock, um Extra-Profite durchzusetzen. Dies gelingt einzelnen Unternehmen nur, wenn sie entweder über eine außergewöhnliche Marktmacht verfügen oder sie wissen, dass andere Unternehmen wegen eines externen Schocks (Energiepreise) ebenso die Preise erhöhen. Wenn sie nämlich als Einzige die Preise erhöhen würden, verlören sie Marktanteile an Wettbewerber. Bei Kostenschocks, die viele Unternehmen betreffen, werden die Unternehmen hingegen versuchen, die Preise stärker zu erhöhen als ihre Kosten gestiegen sind. Wenn nun wiederum die Gewerkschaften stark genug sind, um die Löhne zu erhöhen und ihren Kaufkraftverlust auszugleichen, werden die Unternehmen wieder mit Preiserhöhungen auf die höheren Lohnkosten reagieren. So die Theorie. Es droht dann eine Lohn-Preis-Spirale.

    Nun ist die aktuelle Inflation aber nicht durch zu viel Nachfrage zu erklären und die Gewerkschaften sind nach Jahren der „Arbeitsmarktreformen“ zu schwach, um selbst bei hoher Beschäftigung eine eskalierende Lohn-Preis-Spirale auszulösen. Japan pumpte in den vergangenen Jahrzehnten viel billiges Geld der Zentralbank in die Banken, aber die Inflation war dort niedriger als in Europa. Denn das Geld der Banken zirkuliert zwischen den Banken oder befeuert zuweilen die Preise von Immobilien oder Aktien. Es treibt aber nicht auf breiter Front die Inflation auf den Gütermärkten.

    Die USA investieren als Reaktion auf die Inflation sogar vermehrt in Zukunftstechnologien (Inflation Reduction Act), um Engpässe zu überwinden. Spanien gelang es mit einer Mitte-links-Regierung, die Inflation erfolgreicher als das durch die Ampel angerichtete Chaos zu dämpfen: durch Energiepreis- und Mietendeckel, Steuersenkungen auf Nahrungsmittel sowie Subventionen für den öffentlichen Nahverkehr – also durch mehr Staatsausgaben.
    Operation gelungen, Patient tot

    Der Preisschock des Ukraine-Kriegs wurde eher durch eine Profit- oder Angebotsinflation ausgelöst. Die Corona-Krise hat Wertschöpfungsketten zerrüttet, der Wirtschaftskrieg hat Kostenschocks verursacht und unsere Energiekapazitäten sind zu knapp. Daher müsste mehr und nicht weniger investiert werden. Die Ampel will aber in der Krise kürzen und schickt die Wirtschaft ins Koma. Die Zinserhöhungen der EZB bremsen die Wirtschaft zusätzlich, da sie Investitionen verteuern und Zinskosten erhöhen. Es ist derzeit umstritten, wie groß der Einfluss der Zinsen auf die vorübergehende Schwächung des Wohnungsbaus war. Theoretisch können höhere Zinskosten sogar die Preise kurzfristig in die Höhe treiben.

    Doch langfristig führt eine Krise zu sinkender Inflation – aber eben zum Preis einer stagnierenden Wirtschaft und zunehmender Arbeitslosigkeit. Es ist, wie einen Krebspatienten mit dem Hammer zu erschlagen. Operation gelungen, Patient tot. Sinnvoller wäre es, etwa Extragewinne abzuschöpfen, Marktmacht zu bekämpfen und wie in Spanien durch Preisdeckel und Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel die Preise zu dämpfen.

    Zurück zu Investor Gurner. Was er beschreibt, ist also seit Jahrzehnten Teil der ökonomischen Theorie und Praxis. Krisen – ob Finanzkrisen oder Preisschocks – lösen Verteilungskonflikte aus. In den Jahrzehnten bis zur Finanzkrise hat der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen zulasten der Löhne immer weiter zugenommen. Die höheren Profite führten aber nicht zu höheren, sondern niedrigeren Investitionen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Seit der Finanzkrise wurde diese Entwicklung leicht korrigiert, auch wenn die Lohnspreizung durch Niedriglöhne zunahm. Die Corona-Krise und der Wirtschaftskrieg läuteten eine neue Phase des modernen Klassenkampfes ein. Die Zentralbanken traten nach den Corona-Milliarden auf die Bremse und die Ampel-Koalition will in der Krise kürzen.

    Die Rentiers fordern ihren ökonomischen Tribut. So wie früher Priester Opfergaben forderten, um die Götter zu besänftigen (und dann das Lamm heimlich selbst verspeisten), fordern die Rentiers Opfer, um „die Märkte“ zu befriedigen.

    Was dahinter steckt, hat niemand besser auf den Punkt gebracht als der konservative britische Zentralbanker Sir Alan Budd, als er über die konservative Revolution unter Margaret Thatcher sprach: „Es mag Leute gegeben haben, die die eigentlichen politischen Entscheidungen getroffen haben, die nicht einen Moment lang geglaubt haben, dass dies der korrekte Weg ist, um die Inflation zu senken. Sie sahen jedoch, dass dies ein sehr, sehr guter Weg wäre, um die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, und die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war ein äußerst wünschenswerter Weg, um die Stärke der Arbeiterklasse zu verringern – wenn man so will. Es wurde eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, um in marxistischer Terminologie eine Reservearmee von Arbeitskräften zu schaffen, die es den Kapitalisten seitdem ermöglicht, hohe Gewinne zu erzielen.“

    Genau darum geht es: Nicht um bessere wirtschaftliche Performance, sondern um schlechtere wirtschaftliche Performance, um die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, die Löhne zu drücken und höhere Profite für Wenige durchzusetzen. Im modernen Finanzkapitalismus bedeutet dies: Shareholder-Value für die Finanzinvestoren (Rentiers). Und zwar auch dann, wenn der Unternehmenssektor insgesamt unter der Krise leidet. Gurner spricht also offen aus, was die Geschäftsgrundlage im Finanzkapitalismus ist.

    Der brillante polnische Ökonom Michael Kalecki hat über dieses systemische Interesse der Wirtschaftsmächtigen an Arbeitslosigkeit einst in Cambridge eine berühmte Vorlesung unter dem Titel „Politische Aspekte der Vollbeschäftigung“ gehalten. Und der US-Investor Warren Buffett wusste: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“

    ZUM AUTOR
    Fabio De Masi war Mitglied des Deutschen Bundestages für Die Linke sowie des Europäischen Parlaments und machte sich dort bei der Aufklärung von Finanzskandalen – etwa um den Zahlungsdienstleister Wirecard – einen Namen. Er ist Kolumnist bei der Berliner Zeitung.

    #Aliemagne #économie #crise #chomage

  • Tesla-Fabrik in Grünheide : Offenbar dreimal so viele Arbeitsunfälle wie bei Audi
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/tesla-fabrik-in-gruenheide-offenbar-dreimal-so-viele-arbeitsunfaell

    La région au portes de Berlin s’est battue pour acceuillir l’usine Tesla, le Land Brandebourg a subventionné et autorisé l’usine tout en obligeant les riverains à accepter le risque de ne pouvoir plus prendre de douche qu’avec de l’eau embouteillé à cause de la surconsommation d’eau par l’usine. Cet article nous informe que l’hyper rentabilité de Tesla est accompagnée d’un nombre d’accidents de travail grave trois fois plus élevé que dans les usines Audi.

    La règle du jeu se confirme : le taux de rentabilité est en relation évidente avec le taux des accidents du travail
    cf. https://seenthis.net/messages/1018902

    Les accidents entrainant une pollution importante sont également courants dans l’usine de Mister Musk. On s’en doutait. Bonjour la douche à l’eau minérale.

    28.9.2023 von Jens Blankennagel - Teslas erste Fabrik in Europa sorgt weiter für Schlagzeilen und erheblichen Wirbel. In der sogenannten Gigafactory bei Grünheide in Ostbrandenburg haben sich offenbar ungewöhnlich viele Arbeitsunfälle ereignet. Das berichtet das Magazin Stern in seiner aktuellen Ausgabe. Das Magazin konnte bislang unbekannte Unterlagen der Behörden einsehen.

    Dort heißt es, dass 247 Mal Rettungswagen oder Hubschrauber angefordert worden seien. „Auf die Mitarbeiter-Zahl umgerechnet, seien dies – in ähnlichem Zeitraum – dreimal so viele Notfälle wie beispielsweise in Audis Werk in Ingolstadt“, teilt der Stern mit.

    Auch habe es 23 Umweltunfälle auf dem Tesla-Gelände gegeben. Immer wieder seien Schadstoffe ausgelaufen, schreibt der Stern. Schon geringe Mengen könnten das Grundwasser von 170.000 Einwohnern direkt an der Grenze zu Berlin gefährden. Denn die Fabrik steht zu großen Teilen auf einem Trinkwasserschutzgebiet.

    Zudem ist am Mittwochabend eine seit Wochen geplante politische Intrige zur Entmachtung im Umfeld der Fabrik gescheitert. Dabei geht es um die Wasserversorgung der Fabrik des Multimilliardärs Elon Musk. Das Wasser ist der wichtigste Kritikpunkt der Gegner dieser mit geschätzt fast sechs Milliarden Euro Baukosten größten industriellen Investition in Ostdeutschland. Die Kritiker bemängeln, dass das Land den Bau aus Prestigegründen ausgerechnet in einem Wasserschutzgebiet erlaubt hat.

    Am Mittwochabend sollte eigentlich der Chef des Wasserverbands Strausberg-Erkner (WSE), André Bähler, abgewählt werden. Der WSE versorgt die Region mit Trinkwasser, leidet aber seit vielen Jahren unter erheblichem Wassermangel. Es durften nicht mal mehr neue Kleinbetriebe eröffnet werden, um die Versorgung nicht zu gefährden – doch dann wurde die Tesla-Fabrik genehmigt, mit mehr als 10.000 Mitarbeitern, die jedes Jahr wahrscheinlich mehr als 250.000 Autos herstellen.

    Bähler hatte immer wieder kritisiert, dass das Wasser nicht reiche und die Versorgung der Bevölkerung östlich von Berlin potenziell gefährdet sei. Auch deshalb wollten einige Bürgermeister ihn ablösen. Das können sie im Namen ihrer 16 Gemeinden. Sieben Bürgermeister hatten im Vorfeld einen Abwahlantrag unterzeichnet. Doch der scheiterte am Mittwochabend, weil sie keine Zwei-Drittel-Mehrheit erreichten. Nur vier waren dafür und sogar zehn Bürgermeister stimmten gegen die Abwahl. Einige sogar gegen den eigenen Willen. Sie waren zuvor von ihren Gemeindevertretungen dazu aufgefordert worden.

    „Das unwürdige Schauspiel, den Vorstand des Wasserverbandes Strausberg-Erkner aus dem Weg räumen zu wollen, wurde heute vorerst beendet“, sagte Heidemarie Schroeder von der Wassertafel Berlin-Brandenburg der Berliner Zeitung. „Dies ist ein erster Etappensieg für die Vernunft in der Demokratie.“ Der Konflikt um das Wasser habe sich durch Tesla zugespitzt. Die Regierung habe vom ungebremsten Wirtschaftswachstum geträumt. „In Zeiten des Klimawandels müssen Träume offen und transparent mit den Realitäten fehlender Wasservorräte in der Region abgeglichen werden.“ Und diese Anpassung an die Realität müsse zuerst bei Tesla erfolgen.

    Schon vor dem Abwahltermin hatte der Vorsitzende des Naturschutzbundes Brandenburg, Björn Ellner, einen offenen Brief an die Mitglieder des Wasserverbandes geschrieben. Er schrieb von einer „richtungsweisenden Entscheidung“. Die Argumentation des Nabu-Chefs: „Wir sehen, dass sich Brandenburg in einer besorgniserregenden Wasserkrise befindet.“ Besonders dramatisch sei es im Umfeld der Tesla-Fabrik. „Das fehlende Wasser hat hier, aber auch andernorts, bereits einen massiven negativen Einfluss auf unsere Ökosysteme. Schon jetzt fallen zum Beispiel Kleingewässer und Fließe trocken; schon jetzt haben wir ein massives Amphibiensterben.“ In der Wasserfrage gehe es nicht darum, Personen auszutauschen, sondern um eine zeitgemäße Wasserwirtschaft.
    Sogar amputierte Gliedmaßen

    Die monatelangen Recherchen des Stern ergaben zudem eine Vielzahl an schweren und schwersten Arbeitsunfällen. Das Magazin zitiert aus einer Notiz des Landesamtes für Arbeitsschutz, aus der hervorgehen soll, dass auf dem Werksgelände über einen längeren Zeitraum fast täglich Unfälle passiert seien. „Allein zwischen Juni und November 2022 gab Tesla selbst demnach mindestens 190 meldepflichtige Unfälle an“, heißt es. Einem Mitarbeiter sei aus mehreren Metern Höhe eine 50 Kilogramm schwere Holzkiste auf den Kopf gefallen, ein Mitarbeiter verletzte sich an einem Ofen mit glühend heißen Aluminium. Es gab wohl auch Verletzungen durch Verbrennungen und Salzsäure und auch amputierte Gliedmaßen.

    Der Bezirksleiter der IG-Metall, Dirk Schulze, sagte dem Stern: „Diese Häufigkeit an Arbeitsunfällen ist nicht normal.“ Es handele sich um ein Mehrfaches dessen, was in anderen Automobilfirmen üblich sei. „Ich habe die größte Sorge, dass irgendwann jemand zu Tode kommt.“ Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) habe bestätigt, dass die Zahl der Unfälle „nicht unbekannt“ sei, heißt es beim Stern. Er könne sich dazu aber nicht äußern, er sei „nicht der Sprecher von Tesla“.

    Zu den Umweltunfällen heißt es im Stern, dass schon geringe Mengen von Schadstoffen im Boden ausreichen, um potenziell das Trinkwasser von 170.000 Menschen zu gefährden. Dazu zitiert das Magazin Martin Pusch vom Leibnitz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin: „Eine Havarie im Wasserschutzgebiet kann die Trinkwasserversorgung der ganzen Region gefährden, da dort bereits jetzt kaum Reserven vorhanden sind.“

    #Allemagne #Brandebourg #industrie #travail #voitures #accidents_du_travail

  • Neue Daten zu Immobilienpreisen in Deutschland: Absturz um 9,9 Prozent
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/minus-99-prozent-absturz-bei-immobilien-preisen-li.434190

    Tja, da habta et. Kürzlich jekooft? Dumm jeloofen. Jetz wirds teua, nix mehr mit Betonjold. Mieten sinken trotzdem nich. Wär ja noch scheena wennde Prolls wat vom „Marktjeschehn“ ham würn. So isset ehm.

    22.9.2023 - Noch nie seit Beginn des Index haben Immobilien-Preise einen derartigen Absturz erlebt.

    Die Preise für Wohnimmobilien (Häuserpreisindex) in Deutschland sind im 2. Quartal 2023 um durchschnittlich 9,9 % gegenüber dem 2. Quartal 2022 gesunken. Das teilte das Statistische Bundesamt (Destatis) am Freitag mit. Es war der stärkste Rückgang der Wohnimmobilienpreise gegenüber einem Vorjahresquartal seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000. Im 2. Quartal 2022 hatte der Häuserpreisindex seinen bisherigen Höchststand erreicht, seitdem sind die Preise für Wohnimmobilien gegenüber dem jeweiligen Vorquartal rückläufig. Mit -1,5 % zum 1. Quartal 2023 fiel der Rückgang im 2. Quartal 2023 allerdings geringer aus als in den beiden Vorquartalen (1. Quartal 2023: -2,9 % zum Vorquartal, 4. Quartal 2022: -5,1 % zum Vorquartal).

    Der Rückgang der Immobilienpreise für Wohnimmobilien ist der stärkste Rückgang gegenüber einem Vorjahresquartal seit Beginn der Berechnungen im Jahr 2000.

    Im Vergleich zum Vorjahresquartal sind die Wohnimmobilienpreise sowohl in den ländlichen als auch in den städtischen Regionen im Durchschnitt weiter gesunken. Am geringsten waren die Rückgänge in den dünn besiedelten, ländlichen Kreisen. Hier waren Eigentumswohnungen 7,0 % günstiger als im 2. Quartal 2022, Ein- und Zweifamilienhäuser kosteten 8,1 % weniger. Im Vergleich zum 1. Quartal 2023 fielen die Preise in den dünn besiedelten Kreisen für Eigentumswohnungen um 2,1 %, während die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser leicht um 0,7 % stiegen.

    In den Top-7-Metropolen (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf) gingen die Preise für Eigentumswohnungen gegenüber dem Vorjahresquartal um 9,8 % zurück, für Ein- und Zweifamilienhäuser musste 12,6 % weniger gezahlt werden. Im Vergleich zum 1. Quartal 2023 fielen in den Metropolen die Preise für Eigentumswohnungen um 2,1 % und für Ein- und Zweifamilienhäuser um 2,4 %.

    Mit der aktuellen Veröffentlichung wurden die Häuserpreisindizes für das Jahr 2022 sowie für das 1. Quartal 2023 revidiert. Die Veränderungsrate des 1. Quartals 2023 zum 1. Quartal 2022 liegt für den bundesweiten Häuserpreisindex sowohl vor als auch nach Revision bei -6,8 %. Die Veränderungsrate des 1. Quartals 2023 gegenüber dem 4. Quartal 2022 wurde um 0,2 Prozentpunkte nach oben korrigiert (vorläufiger Wert: -3,1 %, revidierter Wert: -2,9 %). Revisionen werden regelmäßig durchgeführt, um nachträgliche Meldungen zu berücksichtigen.

    #Deutschland #Berlin #Immobilien #Spekulation #Wirtschaft

  • Unruhe bei Gewerkschaft Verdi : Geld für Soziales, nicht Rüstung
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/unruhe-bei-gewerkschaft-verdi-geld-fuer-soziales-nicht-ruestung-li.

    Le comité directeur du syndicat des employés du secteur tertiaire ver.di soutient la ligne de guerre du gouvernement allemand. Au congrès général de ver.di à Berlin un groupe lance une pétition auprès des délégués qui rappelle que le ralliement au gouvernement et le soutien de sa guerre anti-russe en 1914 ont menè à la catastrophe. Pour eux une guerre n’a jamais lieu pour la démocratie ou la liberté du peuple mais toujours pour les intérêts du pouvoir. Le groupe ne pense pas pouvoir obtenir le soutien de la majorité des élus pour cause de la peur des russes hériditaire très répandue en Allemagne.

    18.9.2023 von Michael Maier - Auf dem Bundeskongress der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) wird lebhaft über die Haltung der Gewerkschaft zu Waffenlieferungen sowie die Erhöhung der Rüstungsausgaben und deren Auswirkungen auf die Sozialpolitik in Deutschland gestritten. Holger Griebner, Mitglied im Arbeitskreis Frieden von Verdi, sagte der Berliner Zeitung, es gäbe viele Wortmeldungen zu dem Thema und eine insgesamt neue Bewertung etwa von Waffenlieferungen an die Ukraine. Griebner sagte: „Viele Delegierte, die zu Beginn des Krieges noch für eine massive Unterstützung der Selbstverteidigung der Ukrainer gestimmt haben, sehen die aktuelle Entwicklung kritisch.“ Der Konflikt werde immer stärker zu „einer geopolitischen Auseinandersetzung und Deutschland zur Kriegspartei“. Viele Mitglieder wollten dies nicht – auch, weil die „Sozialkürzungen natürlich eine Folge der gestiegenen Rüstungsausgaben“ seien. Griebner: „Es gilt immer noch: Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen.“ Obwohl es viele Delegierte mit einer „friedenspolitischen“ Ausrichtung gäbe, sei es unwahrscheinlich, dass sich auch bei den einschlägigen Abstimmungen Mehrheiten gegen den Vorstand ergeben könnten. Dieser will sich im wesentlichen dem Kurs der Bundesregierung anschließen. Der als Antrag „E 096“ den Delegierten des Verdi-Bundeskongresses vorgelegte Antrag hält fest, dass der „völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die ­Ukraine (…) die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung nach dem Ende des Kalten Krieges massiv beschädigt“ habe. Indem Antrag heißt es, dass „gewaltsame Grenzverschiebungen nicht toleriert werden dürfen“. Es wird gefordert, dass „die finanzielle Ausstattung der Bundeswehr an dem zu bemessen, was zur Erfüllung ihrer Aufgaben in der Landes- und Bündnisverteidigung erforderlich ist“. Die Aufrüstung der Nato und der Bundeswehr dürfe allerdings nicht „grenzenlos“ erfolgen.

    Gegen diese Positionierung regt sich nun an der Basis Widerstand. Die Münchner Gewerkschafterin Hedwig Krimmer sagte der Jungen Welt: „Von unten, von Bezirks- und Landesbezirkskonferenzen, von Bezirksfachbereichskonferenzen bis hin zu Bundeskonferenzen liegen lauter Anträge vor, die sich klar gegen Aufrüstung positionieren.“ Ein Teil der Anträge richte sich „ganz klar gegen Waffenlieferungen“. Anstatt diese Anträge zusammenzufassen, habe der Bundesvorstand einen eignen Antrag mit völlig anderem Inhalt vorgeschlagen. Dieser sei „der finale Kniefall vor militaristischer Logik und das genaue Gegenteil von unserer elementaren gewerkschaftlichen Grundüberzeugung: Uns eint die Ablehnung eines Denkens in militärischen Kategorien“. Diese werde jedoch durch semantische Tricks in ihr Gegenteil verkehrt, in dem es nun plötzlich heiße, es gehe um die Ablehnung eines Denkens in „rein“ militärischen Kategorien.

    Krimmer will nun mit einer eigenen Petition einen Kontrapunkt setzen. Unter dem Titel „Sagt Nein!“ werden die Delegierten aufgefordert, den Antrag des Bundesvorstands abzulehnen. Hier heißt es: „Sagt Nein! Hebt Eure Hand nicht für einen erneuten Schulterschluss der Gewerkschaften mit dem deutschen Kriegskurs!“

    Und weiter: „Wir haben nicht vergessen, was 1914 geschah: Die Gewerkschaftsführungen in ganz Europa schickten unter Bruch aller vorherigen Beschlüsse ihre Mitglieder in den Krieg – angeblich gegen den russischen Despoten-Zaren, tatsächlich aber für den Profit von Krupp, Thyssen und Co.“ Und weiter: „Wer meint, es gehe bei den aktuellen Kriegen weltweit um Freiheit oder Diktatur, Aggression oder Selbstverteidigung oder gar um Völker- und Menschenrecht, ist der beiderseitigen Kriegspropaganda bereits auf den Leim gegangen.“ Um all das sei „es in der Geschichte noch nie“ gegangen. Daher möge Verdi fordern: Keine Waffenlieferungen, keine Aufrüstung, sofortige Abrüstung! Die Zukunft der Gewerkschaft solle „nicht an der Seite der deutschen Regierung oder irgend einer anderen Kriegspartei“ sein. Die Zukunft sei „an der Seite der Arbeiterinnen und Arbeiter, die in Italien und Griechenland gegen Waffenlieferungen kämpfen“, sowie an der Seite der Kollegen „in Frankreich, Großbritannien und weltweit, die immer wieder gegen den Krieg und die Abwälzung der Krisen- und Kriegskosten auf uns alle streiken“.

    Dass die Petition eine Mehrheit erhält, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Holger Griebner: „Leider hat bei vielen Delegierten die Regierungspropaganda verfangen – es herrscht die in Deutschland sozial vererbte Angst vor dem Russen. In diesem Sinne habe die Bundesregierung einen „Informationskrieg“ geführt, nach Griebners Einschätzung mit Erfolg.

    Am Montag kündigte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ein neues deutsches Rüstungspaket in Höhe von 400 Millionen Euro für die Ukraine an.

    „Wir liefern zusätzliche Munition: Sprengmunition, Mörsermunition, Minenraketen. Denn Munition ist das, was die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den brutalen Angriffskrieg am dringendsten braucht“, sagte Pistorius der Bild-Zeitung. „Darüber hinaus werden wir mit geschützten Fahrzeugen und Minenräumsystemen helfen. Wir haben aber auch den nahenden Winter im Blick: Wir werden Kleidung schicken, aber auch Strom- und Wärmeerzeuger.“

    Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz beraten am Dienstag ranghohe Militärs und Verteidigungsminister aus zahlreichen Ländern über die weitere Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland. „In Ramstein prüfen wir zum Beispiel, ob wir bei der Ausbildung noch mehr unterstützen können“, sagte Pistorius. Pistorius musste seine Teilnahme an dem Treffen am Montagabend wegen einer Corona-Erkrankung absagen.

    Für die vornehmlich militärische Unterstützung der Ukraine hat Deutschland laut einer Übersicht der Bundesregierung in diesem Jahr insgesamt rund 5,4 Milliarden Euro vorgesehen, nach zwei Milliarden Euro im Vorjahr. Für die Folgejahre gibt es Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von rund 10,5 Milliarden Euro.

    Unklar blieb, ob es sich bei der von Pistorius genannten Ausrüstung komplett um neue Ankündigungen handelt - das Verteidigungsministerium äußerte sich dazu am Montagabend auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht. Die online veröffentlichte Liste geplanter deutscher Unterstützungsleistungen umfasst neben Munition bereits etwa 17 Feldheizgeräte und mobile Minenräumsysteme.

    Zur ukrainischen Forderung nach einer Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper äußerte Pistorius sich erneut zurückhaltend. „Die Pflicht der gesamten Bundesregierung ist es, jede Waffenlieferung sehr sorgfältig abzuwägen“, sagte er. Dabei seien eine Vielzahl von politischen, rechtlichen, militärischen und technischen Aspekten zu klären. „Das ist nicht einfach. Ob die Bundesregierung Taurus-Marschflugkörper schickt, hat sie noch nicht entschieden.“ Zur Frage, ob Taurus ohne Hilfe von Bundeswehrsoldaten eingesetzt werden könne, sagte Pistorius: „Auch dies gehört zu den Fragen, die wir klären.“

    #Allemagne #syndicalisme #politique #guerre #Russie #Ukraine

  • Fabio de Masi zum Wirecard-Skandal : Der Schatten des Jan Marsalek (Teil 1)
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/fabio-de-masi-zum-wirecard-skandal-der-schatten-des-jan-marsalek-te

    Dans l’affaire Wirecard rien n’est comme on nous le fait croire et on ne sait pas grand chose finalement. Fabio di Masi est l’homme qui en sait tout ce qu’on peut savoir si on me fait pas partie des acteurs et intéressés. Voici son compte rendu.

    20.7.2023 von Fabio De Masi - Vor drei Jahren entpuppte sich der deutsche Zahlungsdienstleister Wirecard AG als großes Geldwäsche- und Betrugssystem. Der Wirecard-Manager Jan Marsalek, der sich mit Geheimdiensten umgab, ist seither untergetaucht.

    Doch es drängt sich der Eindruck auf, dass deutsche Behörden kein Interesse an seiner Auslieferung haben, meint unser Kolumnist Fabio De Masi, der sich als erster Bundestagsabgeordneter bereits vor der Insolvenz kritisch mit Wirecard befasste.

    Er steht auf der Fahndungsliste von Interpol und war bei „Aktenzeichen XY... Ungelöst“ im ZDF zu sehen. Am Münchener Flughafen hing sein Fahndungsplakat gleich an der Passkontrolle. Politik und Sicherheitsbehörden vollziehen das Kunststück, fieberhafte Suche nach einem Mann vorzutäuschen, den sie auf gar keinen Fall in Deutschland wiederhaben wollen: Jan Marsalek, den früheren Chief Operating Officer und Asien-Vorstand des Zahlungsdienstleisters Wirecard AG, der im Zuge der Wirecard-Milliardenpleite vor drei Jahren am 19. Juni 2020 unbehelligt Deutschland verließ.

    Jan Marsalek ist eine schillernde Figur: Er ist ein Enkel von Hans Marsalek, eines antifaschistischen Widerstandskämpfers und KZ-Überlebenden, der nach dem Krieg in Österreich Polizist wurde. Jan Marsalek brach hingegen die Schule ab, lernte Programmieren, stieg früh zum Vorstand eines späteren DAX-Konzerns auf und umgab sich mit Geheimdiensten aus Ost und West.

    Marsalek – ein Strohmann der Nachrichtendienste?

    Ich bin mittlerweile überzeugt: Jan Marsalek war ein Strohmann – auch unserer Sicherheitsbehörden. Er bahnte Zahlungsprojekte im Umfeld von Staaten an, die als geopolitische Rivalen des Westens galten, wie Russland, oder von enormer sicherheitspolitischer Bedeutung waren, wie Saudi-Arabien. Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel lobbyierte gar für Wirecard persönlich bei Staatspräsident Xi Jinping, dem mächtigsten Mann der Weltmacht China, obwohl sie zuvor wegen der kritischen Medienberichte über Wirecard einen Termin mit dem CEO Markus Braun absagen ließ. Der jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuvor im Rahmen des deutsch-chinesischen Finanzdialogs erreicht, dass Wirecard der erste ausländische Zahlungsanbieter werden sollte, der über eine grenzüberschreitende Zahlungslizenz für China verfügte.

    Das Interesse von Politik und Sicherheitsbehörden an Wirecard war die Lebensversicherung von Jan Marsalek auf diesem kriminellen Pulverfass. Ich habe gemeinsam mit Journalisten aus Deutschland und Österreich auch noch nach meinem Ausscheiden aus der Politik zahlreiche Verbindungen des Marsalek-Netzwerkes in die kritische Sicherheitsinfrastruktur der Bundesrepublik Deutschland offengelegt. Aber im Bundestag und auch in weiten Teilen der Medien wurde darüber der Mantel des Schweigens gelegt. Vorbei die Zeiten, als man es mit nahezu jeder Schlagzeile über Wirecard in die Abendnachrichten schaffte und sich als knallharter Aufklärer feiern lassen konnte. Im Ukraine-Krieg vergeht kein Tag, an dem sich die Politik nicht für Härte gegen Russland brüstet. Aber ausgerechnet die zahlreichen Verbindungen von Netzwerken um Jan Marsalek mit Russland-Bezug, die etwa für die deutsche Cybersicherheit zuständig waren oder Millionen-Aufträge von der Bundeswehr erhalten, scheinen niemanden zu stören.

    Bis heute behaupten deutsche Sicherheitsbehörden gar, sie hätten nicht gewusst, wer Jan Marsalek war. Dies ist eine schlechte Lüge. Die Nachrichtendienste bedienen sich dabei eines Taschenspielertricks. Ihre Kontaktpersonen zu Marsalek waren unter anderem ehemalige Offizielle aus den Sicherheitsbehörden. Da diese keine offizielle Rolle in den Nachrichtendiensten spielen, aber sowohl mit der Arbeitsweise vertraut als auch loyal sind, behaupten unsere Geheimdienste, es habe keine offiziellen Kontakte gegeben.
    Wirecards trüber Teich und die Geheimdienste

    Dass Marsalek und Wirecard zahlreiche Verbindungen zu Personen aus der Welt der Nachrichtendienste unterhielten, ist belegt. Ein paar Beispiele:

    Der Bundesnachrichtendienst (BND) nutzte Kreditkarten von Wirecard. Einmal forderte Marsalek die gesamten Kundendaten von Wirecard mit der Begründung an, der BND wolle diese nutzen. Der BND dementiert jedoch, dass es eine solche Anforderung gegeben habe.

    Der ehemalige deutsche Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, Klaus-Dieter Fritsche (CSU), beriet mit Zustimmung des Bundeskanzleramtes Wirecard sowie den früheren österreichischen Verfassungsschutz (BVT) während des BVT-Skandals rund um russische Einflussnahme auf den österreichischen Geheimdienst. Zwei Schlüsselfiguren in diesem Skandal, die österreichischen Agenten Martin W. und Egisto O., waren eng mit Marsalek verbunden. W. hatte gar ein Büro in Marsaleks Villa, beiden wurde von Staatsanwälten vorgeworfen, bei der Flucht von Marsalek geholfen zu haben.

    Wirecard: Ließ Marsalek deutsche Politiker ausspionieren?

    Der frühere deutsche Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer (CDU) sprang beiden Agenten immer wieder öffentlich zur Seite. Er suchte Marsalek auch auf, nachdem dieser 2018, nach dem Anschlag auf den ehemaligen russischen Geheimagenten Sergei Skripal, mit streng vertraulichen Unterlagen der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen vor britischen Investoren herumgewedelt haben soll. In dem Dokument sei eine Verbindung Russlands zu dem Anschlag bestritten worden und es soll die Formel für das Nervengift Nowitschok enthalten gewesen sein. Dies rief vermutlich die britischen Dienste auf den Plan. Schmidbauer diskutierte mit Marsalek die Reform der Nachrichtendienste. Ein ungewöhnliches Interessengebiet für einen DAX-Vorstand und einen Pensionär. Schmidbauer behauptet auch, sich mit einem „Ehemaligen“ aus den Sicherheitsbehörden ausgetauscht zu haben und öfter heikle Missionen zu übernehmen.

    Marsalek interessierte sich für Cyberspionage und Überwachungstechnologie. Er tummelte sich im Umfeld der Münchner Sicherheitskonferenz auf einem „Policy Innovation Forum“ des deutschen Tech-Milliardärs Christian Angermayer, bei dem Jens Spahn (CDU) und Donald Trumps Ex-Botschafter Richard Grenell auftraten. Auf der Sicherheitskonferenz muss man eine Sicherheitsprüfung durchlaufen.

    Marsalek war zudem mit einem früheren CDU-Politiker und Auto-Manager verabredet, dem Vorsitzenden des Supervisory Boards der Beratungsfirma Agora Strategy, die vom ehemaligen Präsidenten der Münchner Sicherheitskonferenz, dem Ex-Staatssekretär und Diplomaten Wolfgang Ischinger, gegründet wurde. Denn Marsalek strebte auch nach dem Mord am saudischen Oppositionellen Jamal Kashoggi Geschäfte zur Zahlungsabwicklung in Saudi-Arabien an und brauchte dazu Kontakte, etwa zum saudischen Blutprinzen. Über Agora Strategy sollen im Umfeld der Münchner Sicherheitskonferenz etwa Rüstungsunternehmen und Diktaturen mit Geldzahlungen zusammengebracht werden, wie der Spiegel berichtete. So konnten diskret Deals eingefädelt werden. Später sollte etwa ebenfalls der Spiegel berichten, dass die bayerische Rüstungsfirma Hensoldt AG, trotz Waffenembargos und Beteiligung des Bundes an dem Rüstungskonzern, den saudischen Geheimdienst belieferte. Marsalek soll Interesse gehabt haben, für die futuristische Megacity Neom, die das saudische Königshaus mit seinen Petrodollars in der Wüste errichten will, die Zahlungsinfrastruktur aufzusetzen. Deutsche Sicherheitsbehörden hätten sicher keine Einwände gehabt, über Marsalek trotz des Embargos einen Fuß in der Tür zu Saudi-Arabien zu behalten und Einblick in die Finanzflüsse zu bekommen. Die Bundesregierung verfolgt seit dem Ukraine-Krieg wieder eine Annäherung an das Regime. Scholz besuchte kürzlich Saudi-Arabien. Mit dabei im Regierungsflieger: eine Firma, die sich um Zahlungstechnologie kümmert und mit Wirecard eine sogenannte Flüchtlingskarte aufsetzen wollte.

    Der frühere Wirecard-Manager Burkard Ley, der bis heute nicht strafrechtlich belangt wird, obwohl er eine zentrale Figur im Betrugssystem von Wirecard war, half dem Ex-Geheimdienstkoordinator Fritsche wiederum, einem französischen Investor den Einstieg bei der deutschen Waffenschmiede Heckler & Koch zu ermöglichen. Dies erforderte, eine komplizierte Struktur aus Briefkastenfirmen aufzusetzen, da das Unternehmen zur kritischen Infrastruktur zählte und die Genehmigung unter Vorbehalt der Bundesregierung stand.. Die Bundesregierung winkte den Deal durch.

    Marsalek soll auch für hochrangige konservative Beamte aus dem österreichischen Verteidigungs- und Innenministerium Pläne zum Aufbau einer Miliz zur Flüchtlingsabwehr mit der russischen Söldnertruppe Wagner in Libyen verfolgt haben. Die westliche Militärintervention hatte das Land endgültig ins Chaos gestürzt, und der innenpolitische Streit um die Flüchtlingskrise tobte, was Sebastian Kurz (ÖVP) in Österreich an die Macht brachte. Marsalek und der österreichische Vizekanzler der ÖVP verfolgten das Projekt eben jener zuvor erwähnten digitalen Flüchtlingskarte, die es in den bayerischen Koalitionsvertrag schaffte. Marsalek wurde direkt über diese Beratungen informiert. Die Liste ließe sich fortsetzen.
    Die Rolle des Online-Glückspiels

    Wirecard entstand aus der Verschmelzung von EBS und Wire Card. Das Unternehmen wurde mit der Abwicklung von Zahlungen für Online-Glücksspiel und -Pornos zur Jahrtausendwende groß. Das Bezahlen im Internet steckte noch in den Kinderschuhen. Internet war Neuland, es war langsam und hing an der Telefonbuchse. Es gab noch kein Amazon und keine Smartphones.

    Doch das Internet war auch Wilder Westen. Das Unternehmen lenkte Nutzer ohne ihr Wissen beim Aufruf von pornografischen Inhalten über sogenannte Dialer auf 0190-Nummern um. Diese schnellere Überholspur auf der Datenautobahn mündete in horrenden Telefonrechnungen, die neugierige Teenager oder beschämte Ehepartner häufig zahlten, bis Verbraucherschützer einschritten. Die Zahlungsabwicklung war jedoch mit hohen Rechtsrisiken verbunden, da wohl auch Zahlungen für Inhalte aus dem Bereich des Kindesmissbrauchs abgewickelt wurden.

    Online-Glücksspiel wurde in den USA gegen Ende der Amtszeit von George W. Bush mit dem „Unlawful Internet Gambling Online Act“ scharf sanktioniert. Es galt als Geldwäschemagnet für organisierte Kriminalität und Terrorfinanzierung, da sich Umsätze leicht manipulieren lassen, aber auch als Spielwiese für Geheimdienste, die hierüber schmutzige Zahlungsflüsse verfolgten und dubiose Geschäftsleute anwarben.

    Wirecard: Weiß Olaf Scholz etwa, wo Jan Marsalek steckt?

    So tummelten sich etwa der frühere Chef des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen sowie Ex-BND-Chef August Hanning im Umfeld einer Schweizer Firmengruppe, Pluteos AG bzw. der dazugehörigen System 360 Deutschland, wie Hans-Martin Tillack einst im Stern berichtete. Pluteos bezeichnet sich als „private intelligence agency“ und System 360 als „Unternehmensberatung im Bereich wirtschaftskrimineller Handlungen“. Der Gründer des Sportwettenanbieters Tipico, gegen dessen Franchisenehmer immer wieder wegen Geldwäsche der organisierten Kriminalität ermittelt wurde, soll wiederum über eine Firma erhebliche Anteile an System 360 halten. Hanning gehörte zudem mit dem ehemaligen Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen dem Aufsichtsrat einer lettischen Bank an, die sich zunächst im Eigentum eines russischen Tycoons befand. Ein Whistleblower soll gegenüber der lettischen Staatspolizei vor kriminellen Netzwerken innerhalb der Bank gewarnt haben. Später schritten die Europäische Zentralbank (EZB) und die lettische Bankenaufsicht ein und der Geschäftsbetrieb der Bank wurde untersagt. Hanning drohte die Pfändung einer Immobilie, von Firmenanteilen und von Teilen seiner Pension. Er überschrieb dann Firmenanteile seiner Familie und auch Grundvermögen an seine Ehefrau, um die Pfändung abzuwenden, wie zumindest die Zeitung Welt mutmaßte.

    Wirecard unter Druck

    Dem Management des britischen Zahlungsabwicklers Neteller drohten wegen der Verschärfung der Gesetze gegen Zahlungsabwicklung für Online-Glücksspiel in den USA etliche Jahre Haft, und das Unternehmen zog sich letztlich aus dem amerikanischen Markt zurück. Zudem gab es immer mehr Gratis-Pornos im Netz. Wirecards Geschäftsmodell kam so unter Druck, da die USA ein wichtiger Markt des Unternehmens waren. Teilweise soll sich der Wirecard-Vorstand aus Furcht vor Strafverfolgung nicht getraut haben, in die USA einzureisen.

    Wirecard verkaufte sich fortan als ein Unternehmen, das vom Schmuddelkind der New Economy zum Tech-Wunder gereift sei und sich neu erfunden habe. Die Umsätze und Gewinne des Unternehmens wuchsen unbeeindruckt jedes Jahr, wie mit dem Lineal gezogen. Doch 2015 stellten die USA ein Rechtshilfeersuchen gegen die Wirecard-Tochter Click2Pay, die Zahlungen für Online-Poker in den USA abwickelte, und es kam zu einer Razzia der Staatsanwaltschaft München. Jan Marsalek wurde als Beschuldigter geführt.

    Nationale Sicherheit: Eine unbequeme Wahrheit kommt ans Licht

    Dann kam Donald Trump an die Macht. Jan Marsalek suchte Hilfe bei einem ehemaligen CIA-Beamten, der Trump nahestand. Die Ermittlungen gegen Wirecard wurden im intensiven Dialog mit US-Behörden eingestellt, und Wirecard bekam kurze Zeit später sogar den Zuschlag für das Prepaidkarten-Geschäft der CitiGo der USA und ermöglichte die Aufladung der Karten mit hohen Summen. Prepaidkarten gelten als zentrales Werkzeug der organisierten Kriminalität zur Verschleierung von Geldflüssen. Die Kommunikation mit dem CIA-Beamten deutet auf einen Deal mit den US-Behörden hin. Ließ man Wirecard gewähren und konnte im Gegenzug die Geldflüsse von Kriminellen und Terroristen verfolgen?

    Später haben sich dann zwei frühere CDU-Ministerpräsidenten, Ole von Beust und Peter Harry Carstensen, für Wirecard und die Liberalisierung des Online-Glücksspiels in Deutschland engagiert. Wirecard sollte zentraler Zahlungsabwickler nach der Liberalisierung des Glücksspiels in Deutschland werden. Es kam zu Treffen mit dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier und dem EU-Kommissar Guenther Oettinger, der eine mutmaßliche Schlüsselfigur der italienischen Mafia einst als Freund bezeichnete. Auch der Kontakt zum Ministerpräsidenten Baden-Württembergs Winfried Kretschmann war angestrebt. Es war eine schwarz-grüne Achse, die sich letztlich für die Liberalisierung des Online-Glückspiels engagierte.

    Fabio De Masi zum Wirecard-Skandal : Der Schatten des Jan Marsalek (Teil 2)
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/wirecard/fabio-de-masi-zum-wirecard-skandal-der-schatten-des-jan-marsalek-te

    19.6.2023 von Fabio De Masi - Vor drei Jahren entpuppte sich der deutsche Zahlungsdienstleister Wirecard AG als großes Geldwäsche- und Betrugssystem. Der Wirecard-Manager Jan Marsalek, der sich mit Geheimdiensten umgab, ist seither untergetaucht. Doch es drängt sich der Eindruck auf, dass deutsche Behörden kein Interesse an seiner Auslieferung haben, meint unser Kolumnist Fabio De Masi, der sich als erster Bundestagsabgeordneter bereits vor der Insolvenz kritisch mit Wirecard befasste. Den ersten Teil des Artikels können Sie hier lesen.

    Marsalek und die Staatsanwaltschaft

    Die Staatsanwaltschaft München und Jan Marsalek sind ein eigenes Kapitel. So leitete die Staatsanwaltschaft ein sogenanntes Leerverkaufsverbot (Leerverkäufe sind Wetten auf sinkende Aktienkurse) für Aktien der Wirecard AG bei der Finanzaufsicht BaFin ein, um angebliche Marktmanipulation durch angelsächsische Spekulanten abzuwehren. Es war das erste Leerverkaufsverbot zugunsten eines einzelnen Unternehmens in der Geschichte der Bundesrepublik. Grundlage war eine wilde Story, wonach die Nachrichtenagentur Bloomberg Wirecard um sechs Millionen Euro erpressen wolle und sonst angeblich drohte mit der Financial Times in die kritische Berichterstattung einzusteigen. Kronzeuge für dieses Märchen war ein britischer Drogendealer. Präsentiert hat die Geschichte jener Jan Marsalek, der zuvor Beschuldigter im Rechthilfeersuchen der USA war. Gleichzeitig erstattete die Finanzaufsicht bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen den Journalisten der Financial Times Dan McCrum, der frühzeitig auf Ungereimtheiten von Wirecard in Singapur hingewiesen hatte. Ihm wurde vorgeworfen mit Leerverkäufern unter einer Decke zu stecken. Erst 2020 wurden die Ermittlungen eingestellt, nachdem der damalige Präsident der Finanzaufsicht Felix Hufeld diese auf dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung noch gegenüber mir verteidigt hatte, und damit für einen Eklat sorgte.

    Im Frühjahr 2020 war auch eine Razzia in der Wohnung von Marsalek erfolgt. Da angeblich zu wenig Polizeikräfte verfügbar waren, konnte man nicht alle wichtigen Beweismittel sichern. Am 16. Juni 2020 informierte die Finanzaufsicht die Staatsanwaltschaft, dass vermeintliche Bankbelege über die Existenz von 1,9 Milliarden Euro Guthaben auf Treuhandkonten in den Philippinen gefälscht waren, nachdem bereits die Sonderprüfer von KPMG bemängelt hatten, dass die Existenz der Guthaben und somit ein Drittel der Bilanzsumme des Dax-Konzerns nicht nachgewiesen werden konnten.

    Dies war der unmittelbare Verantwortungsbereich von Asien-Vorstand und Chief Operating Officer Jan Marsalek. Die Staatsanwaltschaft ließ jedoch Jan Marsalek in aller Ruhe mit Unterstützung der ehemaligen österreichischen BVT-Agenten und eines FPÖ-Abgeordneten ausreisen. Die Staatsanwaltschaft wartete sogar mit einem internationalen Haftbefehl, bis Marsalek zu einem mit seinem Anwalt vereinbarten Termin in München nicht erschien, da dieser versicherte, Marsalek wolle das Geld auf den Philippinen „suchen“.

    Auf meine Frage, warum die Staatsanwaltschaft Marsalek nicht sofort nach der Information der BaFin über die nicht vorhandenen Treuhandguthaben einbestellte (wohlgemerkt nach einer bereits erfolgten Razzia), entgegnete die Staatsanwältin im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, das hätte ja ohnehin nichts gebracht, da die Postzustellung in München so langsam sei und Marsalek wäre ja dann eh schon weg gewesen.

    Abgesehen davon, dass die Staatsanwältin gar nicht gewusst haben konnte, dass Marsalek vorhatte, drei Tage später zu fliehen, und es daher keinen Sinn macht, mit dieser Begründung auf eine Vorladung oder Verhaftung zu verzichten, reichte es wenige Tage später offenbar für eine Red-Notice-Fahndung bei Interpol. Ausgerechnet die Tonbandaufzeichnung der denkwürdigen Vernehmung der Staatsanwältin im Deutschen Bundestag sollte später aufgrund eines technischen Fehlers nicht funktioniert haben. Die Untätigkeit der Staatsanwaltschaft war aber eine der vielen „Zufälle“ und „glücklichen Fügungen“, die es ermöglichten, die Ermittlungen gegen die Fluchthelfer von Marsalek vom österreichischen Verfassungsschutz einzustellen, da zum Zeitpunkt der Ausreise des Österreichers noch kein Haftbefehl bestand.

    Die rechte Hand von Marsalek, Henry O’Sullivan, wurde derweil in Singapur verhaftet. Bis heute hat die Staatsanwaltschaft laut der Behörden in Singapur keinen Antrag auf Rechtshilfe gestellt, um O’Sullivan vernehmen zu dürfen. Auch gegen weitere Beschuldigte wie den früheren Geschäftspartner von Marsalek, bei dessen privatem Beteiligungsfonds IMS Capital, den früheren Tui-Manager Aleksandr Vucak, oder den früheren Finanzvorstand Burkhard Ley, der für den Wahlkampf von Christian Lindner spendete und eine Schlüsselfigur war, wurde bis heute nach meiner Kenntnis keine Anklage erhoben.

    Nach meinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag musste ich auf eigene Rechnung weiter von der Seitenlinie ermitteln. Eine kleine Auswahl der Dinge, die ich insbesondere mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, Thomas Steinmann von Capital sowie Ben Weiser von Österreichs Online-Magazin ZackZack durch Detailarbeit und Quellen erhärten konnte:

    Marsalek und die Cybersecurity Deutschlands

    Die österreichischen Agenten und Fluchthelfer von Marsalek tauschten sich laut einem Vernehmungsprotokoll der Wiener Staatsanwaltschaft und beschlagnahmter Kommunikation auch mit dem ehemaligen Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, Bernd Schmidbauer, über mich aus. Dies wurde mir bereits während des Untersuchungsausschusses im Bundestag bekannt. Schmidbauer tauchte sowohl im BVT-Skandal als Fürsprecher von Marsaleks Agenten, bei einer Geiselbefreiung des BVT in Libyen sowie im Umfeld von einer Firma auf, die Überwachsungssoftware vertreibt, die laut Europäischem Parlament auch gegen Oppositionspolitiker in der EU eingesetzt wurde.

    In dem Vernehmungsprotokoll taucht auch ein Mann auf, der dort vom Fluchthelfer als Geschäftspartner von Jan Marsalek bezeichnet wurde. Es ist Nicolaus von Rintelen, der damalige Gesellschafter der Cybersecurity-Firma Virtual Solution, die sich früher damit brüstete, das Kanzlerhandy sowie die E-Mails der Bundesregierung und wichtiger Bundesbehörden (darunter die Finanzaufsicht und zeitweilig auch das Bundeskriminalamt) auf mobilen Geräten abzusichern.

    Von Rintelen, ein Nachfahre des russischen Nationaldichters Alexander Puschkin und des Zaren Alexander II., verdiente sein Vermögen mit dem russischen Gas-Oligarchen Leonid Michelson. Als ich Olaf Scholz und Angela Merkel im Untersuchungsausschuss persönlich darauf hinwies, dass ihre E-Mails durch einen Mann gesichert werden, der offenbar Kontakt mit Jan Marsalek unterhielt, meldete sich Scholz’ Staatssekretär, der heutige Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, bei mir. Er bat um Belege für meine Informationen und behauptete, „Olaf ist sehr besorgt!“.

    Später kam heraus, dass Schmidt den intensivsten Kontakt mit von Rintelen innerhalb der Bundesregierung pflegte, obwohl er für IT-Fragen nicht zuständig war. Die Kommunikation von Schmidt und von Rintelen wurde nach parlamentarischen Anfragen zwar mit exakten Daten benannt, aber offenbar rechtswidrig gelöscht. Ebenso konnten wir Kommunikation nachweisen, aus der hervorging, dass von Rintelen Verbindungen zum Fluchthelfer von Marsalek sowie einem FPÖ-Abgeordneten unterhielt, der im BVT-Skandal eine Rolle spielte. Er war in Marsaleks Villa und hat sich nach unseren Recherchen von seinen Anteilen an Virtual Solutions getrennt. Ebenso engagierte sich von Rintelen für eine Firma, die während der Corona-Krise Schnelltests herstellen wollte und in die IMS Capital investiert war. Dies ist eine Firma, über die Marsalek private Investments getätigt haben soll.

    Marsalek und der General

    Der ehemalige militärpolitische Berater der Bundeskanzlerin, Brigadegeneral a.D. Erich Vad, hat an einem Essen mit Jan Marsalek, dem ehemaligen österreichischen Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), dem ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und Frankreichs Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy teilgenommen. Das Thema war unter anderem Libyen. Das Land spielte damals eine Schlüsselrolle in der Flüchtlingskrise und war von großer wirtschaftlicher Bedeutung für Österreich, deren Mineralölkonzern OMV mit Libyens Ex-Präsidenten Gaddafi stabile Geschäfte machte. Wie Schmidbauer und Teile des österreichischen Verfassungsschutzes war auch Vad gegenüber den Regime-Change-Interventionen des Westens in Libyen (zu Recht) kritisch eingestellt und strebte mehr strategische Autonomie von den USA an. Die Flüchtlingskrise sorgte das konservative Establishment, da Kräfte wie die AfD und die FPÖ profitierten. Auch Vad war ein Kritiker der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel.

    Vad hat mich kontaktiert und mir das dubiose Angebot unterbreitet, in den Beirat eines österreichischen Milliardärs und Immobilienunternehmers zu gehen. Es handelte sich um Cevdet Caner. Er gilt als graue Eminenz hinter der Adler-Gruppe. Wollte Vad mich einkaufen oder diskreditieren? Natürlich lehnte ich ab. Später erfuhr ich: Gegen exakt dieses Unternehmen wettete der britische Leerverkäufer, der zuvor gegen Wirecard gewettet hatte. Es wäre daher denkbar, dass hinter dem Konflikt um Wirecard auch ein Wirtschaftskrieg von Nachrichtendiensten stand, die immer wieder über Informationshändler Informationen an Medien oder Spekulanten ausspielen. Denn genau diese Erzählung – Wirecard sei ein unbescholtenes deutsches Unternehmen und Opfer angelsächsischer Spekulanten – ließ das Unternehmen und die deutsche Finanzaufsicht beim Leerverkaufsverbot verbreiten. Natürlich war Wirecard eine kriminelle Bude, aber wahrscheinlich auch Teil eines Informationskrieges. Immer wieder fällt in meinen Gesprächen mit deutschen Führungskräften aus Banken der Vorwurf, es handle sich etwa bei Ermittlungen der US-Börsenaufsicht gegen Deutsche Bank und Co wegen Russlandgeschäften um einen Wirtschaftskrieg.

    Mit einer einfachen Internetrecherche fand ich innerhalb von einer Minute heraus, dass der russische Konsul in München, mit dem Marsalek verkehrte, vor seiner Abordnung nach Deutschland vom österreichischen Innenministerium der Spionage bezichtigt wurde. Gegenüber Die Welt, die darüber berichtete, entgegneten Sicherheitsbehörden, sie hätten davon keine Kenntnisse gehabt. Das ist unglaubwürdig.
    Marsalek und die Bundeswehr

    Kürzlich enthüllte Thomas Steinmann von Capital in Zusammenarbeit mit mir, wie die Bundeswehr einen Millionenauftrag an eine Firma vergab, die einem österreichischen IT-Unternehmer und früheren Geschäftspartner von Marsalek gehörte. Dieser hatte mit Marsalek etwa in Russland Projekte verfolgt und sich mit ihm zur elektronischen Überwachung von Flüchtlingsströmen in Libyen ausgetauscht. Die Auftragsvergabe – offiziell für die Analyse von Krisenszenarien für die Bundeswehr – erfolgte nicht unter Einhaltung der vorgeschriebenen Bekanntmachung in der EU-Datenbank. Aufträge des österreichischen Staatsschutzes (der Nachfolgebehörde des BVT) für diese Firmen beziehungsweise den Personenkreis führten zu empörten Reaktionen des deutschen Geheimdienstkontrolleurs Konstantin von Notz und einer großen Veröffentlichung des Bayerischen Rundfunks. Im Falle des Bundeswehr-Auftrages für die Firma eines Marsalek-Geschäftspartners schweigt der Bundestag jedoch. Auch in den Medien gab es keine größere Resonanz.

    Der Wirecard-Skandal und die Figur Jan Marsalek mögen ein komplizierter Kriminalfall sein. Aber im Kern ist es recht einfach: Die Behauptung, die deutschen Sicherheitsbehörden hätten gar nicht gewusst, wer Marsalek war, muss als Lüge verbucht werden. Und wenn Sicherheitsbehörden den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages anlogen, muss es dafür wichtige Gründe geben. Eines ist dabei sicher: Es gibt offenbar kein Interesse, dass Jan Marsalek nach Deutschland zurückkehrt und aussagt. Denn er hütet viele dunkle Geheimnisse.

    #Allemagne #Russie #Chine #Libye #finance #banques #service_de_paiement #services_secrets #terrorisme #espionnage #fraude #Wirecard

  • „Die Arbeitgeber schießen sich selbst ins Knie“ – Mindestlohn soll um 41 Cent steigen
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/beschaemend-wahnwitzig-nicht-armutsfest-mindestlohn-soll-um-34-cent

    26.6.2023 von Simon Zeise - Gewerkschaft und Ökonomen sind empört über den Alleingang der Mindestlohnkommission: „Beschämend, wahnwitzig, nicht armutsfest“ nennen sie die Erhöhung. Das sind die Reaktionen.

    Es knirschte gehörig in der Mindestlohnkommission. Erst durch das Machtwort der Vorsitzenden, des langjährigen Vorstandsmitglieds der Bundesagentur für Arbeit Christiane Schönefeld, wurde am Montag eine Empfehlung für die staatlich festgesetzte Lohnuntergrenze ausgesprochen. Demnach soll der Mindestlohn zum 1. Januar 2024 von zwölf auf 12,41 Euro und ein Jahr später auf 12,82 Euro steigen.

    Die Arbeitnehmervertreter in dem Gremium tragen den Entschluss nicht mit. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell, der auch Mitglied der Mindestlohnkommission ist, sagte am Montag in Berlin: „Für eine Anpassung lediglich im Cent-Bereich konnten wir auf keinen Fall unsere Hand reichen.“ Mit dem Beschluss erlitten die fast sechs Millionen Mindestlohnbeschäftigten einen enormen Reallohnverlust. „Um einen Mindestschutz und einen Ausgleich der Inflation zu gewährleisten, hätte der Mindestlohn zumindest auf 13,50 Euro steigen müssen. Die Arbeitgeber und die Vorsitzende der Kommission haben sich dem verweigert“, sagte Körzell.
    DGB: Berechnung der Arbeitgeber ist „Missachtung des Gesetzgebers“

    Die Kommission hält die Entscheidung hingegen für ausgewogen: „Die Beschlussfassung fällt in eine Zeit schwachen Wirtschaftswachstums und anhaltend hoher Inflation in Deutschland, die für Betriebe und Beschäftigte gleichermaßen große Herausforderungen darstellen.“ Die Mehrheit der Kommission halte es im Rahmen einer Gesamtabwägung für vertretbar, den Mindestlohn in diesem Umfang zu erhöhen.

    Bis Ende 2024 muss die EU-Mindestlohnrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden, wonach die Mindestlöhne in der Europäischen Union mindestens 60 Prozent des Medianlohns von Vollzeitbeschäftigten erreichen sollen. Dies würde einem Mindestlohn in Höhe von mindestens 14 Euro entsprechen.
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    Der DGB bezeichnete es als „vollkommen aberwitzig“, dass die Arbeitgeber als Basis für die nächste Erhöhung nicht den aktuell vom Gesetzgeber festgelegten Mindestlohn von zwölf Euro angesetzt haben. Mit dem neu gefassten Beschluss gehen die Arbeitgeber stattdessen vom alten Mindestlohn in Höhe von 10,45 Euro aus. „Das kommt einer Missachtung des Gesetzgebers gleich, der vor dem sprunghaften Anstieg der Inflation die zwölf Euro festgelegt hatte, um den Mindestlohn armutsfest zu gestalten“, teilte der DGB mit. Die Ampel-Regierung hatte den Mindestlohn zuletzt außer der Reihe, ohne Konsultation der Mindestlohnkommission, auf zwölf Euro angehoben.

    Für Thorsten Schulten, dem Leiter des Bereichs Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI), ist die Entscheidung ein „Skandal“. Die Kommission sei von ihrer bisherigen Praxis abgewichen, einen Kompromiss zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu finden. Schulten erläuterte im Gespräch mit der Berliner Zeitung: „Die Arbeitgeber schießen sich mit der Entscheidung selbst ins Knie.“ Denn in einigen Branchen dürfte es bei der geringen Lohnerhöhung schwierig werden, Fachpersonal zu finden. Auch gesamtwirtschaftlich gesehen werde weiterer Kaufkraftverlust fortgeschrieben, und das, obwohl sich Deutschland in der Rezession befände und der Konsum deshalb besonders unter Druck stehe. Das bisherige Verfahren scheint an Grenzen zu stoßen. Man werde darüber nachdenken müssen, das Anpassungsverfahren zu reformieren, sagte Schulten, denn strukturelle Erhöhungen des Mindestlohns seien im Rahmen der Kommission offensichtlich nicht möglich.

    Für mehr als elf Millionen Beschäftigte in Deutschland, die im Niedriglohnsektor tätig sind, sei dies „eine bittere Entscheidung“, hob der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hervor. Mit gerade einmal 41 Cent, also 3,4 Prozent mehr, gleiche die Erhöhung nicht einmal die durchschnittliche Inflation von sieben Prozent im Jahr 2022, voraussichtlich sechs Prozent 2023 und wahrscheinlich drei Prozent 2024 aus. Geringverdiener müssten einen größeren Anteil ihres Einkommens für die Dinge ausgeben, die sehr viel teurer geworden sind, allen voran Lebensmittel, die sich in den vergangenen 15 Monaten um weit mehr als 20 Prozent verteuert haben, beklagte Fratzscher.

    Trotz des Konflikts in der Mindestlohnkommission will die Regierung an dem bisherigen Prozedere festhalten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) teilte mit, den Beschluss der Mindestlohnkommission umzusetzen. Die Alternative wäre keine Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar, „was angesichts der Inflationsentwicklung nicht verantwortbar ist“, sagte Heil.

    Die Co-Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, erklärte, die Anhebung des Mindestlohns trage der Inflation nicht ausreichend Rechnung. Jetzt komme es darauf an, die Tarifbindung auszuweiten, um attraktive Arbeitsbedingungen zu erhalten, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels – dieser sei die Achillesferse der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, sagte Esken. „Der Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte“, sagte die Co-Vorsitzende der SPD. „Dafür braucht es aber auch konsensuale Entscheidungen.“

    Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, äußerte sein Bedauern, dass zum ersten Mal in der Kommission ein Beschluss nicht im Konsens gefallen sei. „Wir waren kompromissbereit.“ Die Entscheidung orientiere sich an der tarifpolitischen Entwicklung seit der letzten Entscheidung der Mindestlohnkommission. Die Arbeitgeberseite in der Mindestlohnkommission habe „Zugeständnisse gemacht“.

    #Arbeit #Mindestlohn #Deutschland

  • „Blackrock-Ausnahme“: Warum Deutschland Finanzkonzerne vor dem Lieferkettengesetz schützt
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/greenwashing-warum-deutschland-blackrock-und-andere-starke-finanzko

    5.6.2023 von Simon Zeise - Eigentlich soll das EU-Lieferkettengesetz Arbeitnehmer und die Umwelt schützen. Doch die Bundesregierung verhindert Auflagen für starke Finanzkonzerne. Was steckt dahinter?

    Vor einem Jahr begrub eine Fabrik in Bangladesch mehr als 1100 Näherinnen. In der Textilfabrik Rana Plaza in der Stadt Savar wurden T-Shirts für deutsche Unternehmen gefertigt. Seither sind viele Initiativen gestartet worden, die europäische Firmen dazu verpflichten wollen, Arbeitsbedingungen und Umweltstandards von Zulieferfirmen im Ausland strenger zu kontrollieren. Tatsächlich umgesetzt ist bis dato aber nur wenig.

    Nun hat das EU-Parlament einen Entwurf für ein Lieferkettengesetz verabschiedet. Die Sozialdemokraten begrüßten das Votum in der letzten Woche als „Meilenstein für Menschenrechte und Umweltschutz“. Der SPD-Abgeordnete René Repasi erklärte, das EU-Parlament habe das Gesetz gegen den massiven Einfluss von Bankern und Lobbyisten verteidigt.
    Bundesregierung will Ausnahmen für Waffenindustrie und Finanzinvestoren

    Vor dem Beschluss des EU-Parlaments hatte der Europäische Rat Ausnahmen für große Finanzinstitute durchgesetzt. Deutschland hatte sich in dem Gremium für die „Blackrock-Ausnahme“ starkgemacht, die es großen Playern ermöglicht, sich dem Lieferkettengesetz zu entziehen. „Die Bundesregierung hatte sich im Vorfeld dafür eingesetzt, dass Waffenexporte und Finanzinvestitionen von dem Gesetz ausgenommen werden und Unternehmen, die ihre Klimapläne nicht umsetzen, nicht sanktioniert werden. Diese Positionen finden sich nun auch im EU-Ratsbeschluss wieder“, kritisiert das Verbändebündnis Initiative Lieferkettengesetz.

    Blackrock ist der weltgrößte Vermögensverwalter und hält mehr als zehn Billionen US-Dollar in seinen Büchern. Der Finanzkonzern wehrt sich gegen zusätzliche Regulierung, denn die Vorschriften ignorierten die „fundamentalen Unterschiede bei der Kontrolle von Investoren und Unternehmen“, wie es in einer Einschätzung des Unternehmens heißt. Eine Anfrage der Berliner Zeitung ließ Blackrock unbeantwortet. Der deutsche Fondsverband BVI unterstreicht, dass Vermögensverwalter anders als ihre Vertragspartner kaum Einfluss auf Investitionsentscheidungen hätten.
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    „Gefährliches Placebo“: Früherer Blackrock-Manager kritisiert Greenwashing

    Dabei wirbt Blackrock wie kaum ein anderes Unternehmen für soziale und ökologische Investments. „Künftig werden wir Nachhaltigkeit zu einem wesentlichen Bestandteil unserer Portfoliokonstruktion und unseres Risikomanagements machen“, erklärte CEO Larry Fink bereits 2020 in einem offenen Brief an die Manager der Unternehmen, an denen Blackrock beteiligt ist. Seither hat der Finanzriese seine Geschäfte, die nachhaltige Investitionen in sogenannte ESG-Finanzprodukte empfehlen, stark ausgebaut. Unter ESG versteht man bei Finanzprodukten die Berücksichtigung von Kriterien aus den Segmenten Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (verantwortungsvolle Unternehmensführung).

    Für einen früheren Manager von Blackrock sind die Geschäfte jedoch kein geeignetes Mittel im Kampf gegen den Klimawandel. „Die Produkte suggerieren, dass sie reale Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft haben, obwohl das nicht der Fall ist“, sagte Tariq Fancy, der frühere Chef der Nachhaltigkeitsabteilung bei Blackrock, kürzlich im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung. Vielmehr gehe von den vermeintlich grünen Produkten sogar eine Gefahr aus: „In den Monaten nach meinem Abgang bei Blackrock realisierte ich erst, dass ESG keineswegs harmlos ist, sondern aktiv schadet“, sagt Fancy. „Ich halte es für ein gefährliches Placebo, mit dem die Menschheit ihre Zeit im Kampf gegen den Klimawandel verschwendet.“ Auch die Führungsverantwortlichen der großen Finanzinstitute wüssten, dass ESG wirkungslos sei. Allerdings seien die Geschäfte äußerst lukrativ: „Doch weil man auf nachhaltige Anlagen höhere Gebühren verlangen kann, machen sie weiter“, sagt der ehemalige Blackrock-Manager.

    Warum aber hat die Bundesregierung kein Interesse daran, großen Fonds Vorschriften zum Schutz von Mensch und Umwelt zu machen? Die SPD betont den Schutz von Arbeitnehmerrechten, bei den Grünen gehörte das ökologische Gewissen zum Gründungskonsens.

    Doch mittlerweile vertrauen die Politiker anderen Experten. Jörg Kukies, der früher den Markt für Deutschland und Österreich bei der amerikanischen Großbank Goldman Sachs verantwortete, wurde von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Chefstrategen für die G7- und G20-Gipfel ernannt. Robert Habeck holte die frühere Blackrock-Ökonomin Elga Bartsch ins Wirtschaftsministerium, wo sie für die Analyse wirtschaftlicher Risiken durch den Klimawandel zuständig ist.

    Die Initiative Lieferkettengesetz erwartet von der Bundesregierung nun, dass sie ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag wahr macht und sich für ein „wirksames EU-Lieferkettengesetz“ einsetzt. Ob die Regierung der Forderung nachkommen wird, werden die meisten Menschen nie erfahren. Denn kommt es auf EU-Ebene zwischen Europäischem Rat, Kommission und Parlament zu keiner Einigung, wird über das Gesetz im sogenannten Trilog entschieden. Diese Verhandlungen finden hinter verschlossen Türen statt und werden von Juristen als intransparentes Verfahren kritisiert, das auch in den EU-Verträgen nicht vorgesehen ist. In vertraulicher Atmosphäre gedeihen die Pläne von Lobbyisten bekanntlich am besten.

  • Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot : Warum die hohen Zinsen die Krise verschärfen
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/ezb-arbeitslosigkeit-wohnungsnot-warum-die-hohen-zinsen-die-krise-v

    La politique monétaire du moment ne cherche pas à réduire l’inflation. Sa véritable raison d’être est l’augmentation du chômage afin de diminuer encore la force des syndicats dans le but de réduire la part des salaires dans les coûts de production.

    Ce n’est pas toute la vérité qui est plus compliquée, mais c’est ce que disent ouvertement quelques économistes et investisseurs décomplexés. Dans cet article Fabio De Masi explique pourquoi dans la situation actuelle augmenter les intérêts ne contribue pas à une réduction de l’inflation.

    8.4.2023 von Fabio De Masi - Die EZB hat den Preisschock bei Energie und Lebensmitteln mit dem Hammer der Zinspolitik bekämpft. Das ist unverantwortlich.

    Stellen Sie sich vor, Sie wären Arzt und sollen beim Patienten Krebs bekämpfen. Stattdessen nehmen sie den Vorschlaghammer und erschlagen ihn. Sie würden wohl als gefährlicher Scharlatan und obendrein als Mörder gelten.

    Oder Sie wären Mitglied einer durchgedrehten Spezialeinheit, die einen Terroristen in Paris verhaften soll. Ohne lange zu fackeln, werfen Sie so ähnlich wie in der Puppen-Action-Komödie „Team America“ Bomben über dem Eiffelturm ab.

    Leider wird nach einem ähnlichen Drehbuch Geldpolitik in Frankfurt gemacht: Denn auf den einmaligen Preisschock hoher Energie- und Lebensmittelpreise, die sich bei den Erzeugerpreisen bereits wieder zurückbilden, wurde mit drastischen Zinserhöhungen reagiert. Dies, obwohl wir es nicht mit einer überhitzten Wirtschaft oder einer klassischen Nachfrageinflation sowie Lohn-Preis-Spiralen zu tun haben.

    Eine solche Situation läge dann vor, wenn Gewerkschaften bei hoher Beschäftigung und Streikmacht etwa auf einen externen Preisschock (zum Beispiel durch Opec-Staaten, die aus politischen Gründen das Öl verknappen) mit hohen Lohnforderungen reagierten, die dann von den Unternehmen auf die Preise gewälzt würden. Die Gewerkschaften würden sodann in der nächsten Runde wieder mit höheren Lohnforderungen auf die Preiserhöhungen reagieren. Im Ergebnis würde die Inflation zulegen, und die Reallöhne (die Löhne gemessen am Preisniveau) würden trotz steigender nominaler Löhne stagnieren. Die Reallöhne sind jedoch eingebrochen.

    Keine Lohn-Preis-Spirale, sondern Profitinflation

    Wir haben es in Europa vielmehr mit einer Profit- und Angebotsinflation aufgrund von unzureichenden Kapazitäten (etwa in der Energieversorgung), hoher Marktmacht von oligopolistischen Konzernen und fundamentaler Unsicherheit wegen des Kriegsverlaufs in der Ukraine zu tun. Dies kam zu den ohnehin schon gestörten Liefer- und Wertschöpfungsketten im Zuge der Corona-Pandemie hinzu. Deswegen empfahlen die klügeren Ökonominnen, wie die von Bloomberg als eine der 50 einflussreichsten Persönlichkeiten des letzten Jahres ausgezeichnete Isabella M. Weber, selektive Preisdeckel statt des Hammers der Zinspolitik.

    Viele Jahre haben Zentralbanken mit billigem Geld das Gaspedal durchgedrückt. Die Geldpolitik wurde dabei zuweilen überfordert. Denn wenn Staaten gleichzeitig wie in der Euro-Zone zu wenig investieren oder gar wie in der Euro-Krise Löhne und Renten gekürzt werden, wird der Patient durch die Währungshüter künstlich beatmet, während man ihm laufend Blut abzapft. Nun wird bei Tempo 180 die Handbremse angezogen und die Zinsen werden nach oben gejagt.
    Ökonomisches Schleudertrauma: Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit

    Kein Wunder, dass dies nicht gutgeht und ein ökonomisches Schleudertrauma verursacht: Die Baubranche ächzt unter steigenden Zinsen und somit höheren Baukosten. Die Aufträge sind laut Statistischem Bundesamt im Januar um 21 Prozent gegenüber dem Januar 2022 eingebrochen. Besonders hart traf es den Wohnungsbau. Hier sind die Aufträge gar um ein Drittel abgesackt. Der Rückgang ist sogar noch stärker als vor der Finanz- und Immobilienkrise 2008. Dies wird die Wohnungsnot und den sozialen Sprengstoff steigender Mieten dramatisch verschärfen.

    Auch der Frühjahrsboom auf dem Arbeitsmarkt bleibt aus. Laut der Chefin der Bundesagentur für Arbeit ist die Arbeitslosigkeit selbst ohne Berücksichtigung der Geflüchteten aus der Ukraine im Jahresvergleich gestiegen. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im März trotz der Jahreszeit, die üblicherweise zur konjunkturellen Belebung führt, nur leicht um 26.000 auf 2,594 Millionen Menschen gesunken. Verglichen mit März 2022 liegt die registrierte Zahl der Arbeitslosen aktuell um 232.000 höher. Mancher Zentralbanker müsste sich jetzt eigentlich freuen. So hatte der belgische Notenbankchef Pierre Wunsch im letzten Sommer bemerkt: Eine technische Rezession sei „kein Drama“ und müsse in Kauf genommen werden. Kein Drama für wen?, fragt sich da.
    Die Hardliner crashen die Wirtschaft

    Das Mitglied des EZB-Direktoriums, Fabio Panetta, hat nun in einem Interview mit der New York Times eingeräumt, dass die Profitmargen der Konzerne und nicht etwa die über Jahre durch „Arbeitsmarktreformen“ systematisch geschwächten Gewerkschaften für den Anstieg der Preise verantwortlich sind. Der EZB-Chefvolkswirt Phillip Lane hatte vor einigen Monaten immerhin noch eine maßvolle Zinserhöhung angemahnt, um die Wirtschaft zu schonen. Und der Weltbankpräsident David Malpass hatte gegenüber der Financial Times erklärt, dass Zinserhöhungen „wenig geeignet“ seien, um dem „angebotsseitigen Inflationsdruck zu begegnen“. Malpass weiter: „Man erhöht die Zinsen in der Hoffnung, die Inflation zu senken.“

    Hingegen waren etwa der deutsche Bundesbankpräsident mit SPD-Parteibuch, Joachim Nagel, sowie Finanzminister Christian Lindner (FDP) vorgeprescht und hatten scharfe Zinserhöhungen gefordert. Lindner dient die Zinserhöhung, die er selbst gefordert hatte, nun als willkommene Ausrede, um die staatlichen Investitionen weiter zu drosseln. Damit wird dann die nächste Runde der Privatisierungen vorbereitet. Dabei ist es sonst ein Mantra der Wirtschaftsliberalen, bei jeder Kritik an der Notenbank aus der Politik einen Angriff auf die vermeintliche Unabhängigkeit der Zentralbank zu beklagen. Nicht so, wenn es den eigenen Interessen dient.

    Die Zentralbanken folgten den Hardlinern und erhöhten dies- und jenseits des Atlantiks unkoordiniert die Zinsen. Begründet wird dies mit den sogenannten Inflationserwartungen, die man stabilisieren müsse. Seien diese Inflationserwartungen „entankert“, würde dies zu negativen Auswirkungen auf die Preispolitik der Unternehmen und die Lohnpolitik der Gewerkschaften führen. So lässt sich jede Zinsentscheidung immer mit Erwartungen rechtfertigen, die niemand so genau beobachten kann. Das grenzt schon fast an Leute, die nachts im Wald versuchen, in flatternden Gewändern kosmische Schwingungen einzufangen.

    Theorie der Inflationserwartungen ist Wirtschaftsesoterik

    Dabei ist die Theorie der Inflationserwartungen wenig fundiert: So zeigte eine Studie des Internationalen Währungsfonds im letzten Jahr, dass eine Mehrheit der Menschen sogar glaubt, höhere Zinsen würden zu höherer Inflation führen. Dies ist durchaus denkbar: Etwa wenn die steigenden Zinsen höhere Kosten verursachen und erst mit Verzögerung die Wirtschaft ausbremsen. Es ist aber zumindest sonderbar, dass Zentralbanken meinen, mit Zinserhöhungen die Inflationserwartungen zu stabilisieren, wenn die Bevölkerung – deren Erwartungen ja angeblich entscheidend sind – offenbar glaubt, dass höhere Zinsen die Inflation erhöhen, statt zu senken. Auch der amerikanische Zentralbanker Jeremy Rudd ist skeptisch gegenüber der ökonomischen Küchenpsychologie. Er kommt zum Schluss, dass Unternehmen ihre Preise nicht wegen der Erwartungen höhere Inflation erhöhen, sondern weil die Preise (etwa von Vorprodukten, die Unternehmen bei der Produktion nutzen) tatsächlich steigen.

    Tatsächlich dürfte hinter der Politik der EZB etwas anderes stehen als ein Glaube an die Theorie der Inflationserwartungen. So bemerkte der einflussreiche britische Zentralbanker Sir Alan Budd einmal im Rückblick auf die Jahre der Geldverknappung und der Angriffe auf das Streikrecht der Gewerkschaften unter der eisernen Lady Margaret Thatcher im Vereinigten Königreich: „Meine Sorge ist, (…) dass es Leute gegeben haben könnte, die die tatsächlichen politischen Entscheidungen getroffen haben, (...) die nicht einen Moment lang geglaubt haben, dass dies der richtige Weg ist, um die Inflation zu senken. Sie sahen jedoch, dass dies ein sehr, sehr guter Weg war, um die Arbeitslosigkeit zu erhöhen, und die Erhöhung der Arbeitslosigkeit war ein äußerst wünschenswerter Weg, um die Stärke der Arbeiterklasse zu verringern (…). In marxistischer Terminologie wurde eine Krise des Kapitalismus herbeigeführt, die eine Reservearmee von Arbeitskräften schuf und es den Kapitalisten seither ermöglicht, hohe Gewinne zu erzielen.“

    Man stelle sich vor, solche offenen Worte eines Zentralbankers würden nicht auf einer Luxemburg-Liebknecht-Demo, sondern auf einer Pressekonferenz der EZB verlesen. Dann würde wohl selbst in Deutschland eine lebhafte Debatte über den Kollateralschaden der Geldpolitik und die Gewinner der Inflation einsetzen. Und das wäre angesichts der Aussicht auf eine weitere soziale Spaltung des Landes auch bitter nötig.

    Zum Autor

    Fabio De Masi war Mitglied des Deutschen Bundestages für die Linke sowie des Europäischen Parlaments und machte sich dort bei der Aufklärung von Finanzskandalen – etwa um den Zahlungsdienstleister Wirecard – einen Namen.

  • Nord Stream : Anschlag „geschah am schlimmsten Ort, den man sich vorstellen kann“
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/nord-stream-anschlag-geschah-am-schlimmsten-ort-den-man-sich-vorste

    L’attentat contre Nordstream II a provoqué une contamination énorme de la mer baltique avec des armes chimiques immergées après 1945. Dans un périmètre de plusieurs dizaines de kilomètres les marsouins ont péri ou perdu louïe par les explosions.

    02.03.2023 vo Michael Maier - Die Explosionen von Nord Stream haben die Ostsee verseucht. Der Grund: In der Nähe lagerten die Überreste chemischer Kampfstoffe aus deutschen Beständen.

    Die Explosionen von Nord Stream 1 und 2 in der Nähe von Bornholm im vergangenen September haben laut einer neuen Studie massive Schäden am Meeresboden in einem besonders gefährdeten Gebiet der Ostsee verursacht. Die vier Explosionen haben demnach 250.000 Tonnen kontaminierten Meeresboden aufgewühlt – eine Fläche, die doppelt so groß ist wie Bornholm. Ein Problem für das Ökosystem dürfte am Standort liegen, wo es zu den Explosionen kam: Diese ereigneten sich nämlich in der Nähe von Bereichen, in denen zu früheren Zeiten toxische Abfälle im Meer deponiert worden waren.

    Die Explosionen ereigneten sich in der Nähe einer bekannten Deponie für chemische Waffen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, wo im Jahr 1947 etwa 11.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe (Chemical Warfare Agents, CWA) im Meer versenkt wurden, was zu Umweltbedenken hinsichtlich der Freisetzung von CWA geführt hat, so die Studie. Es gäbe verschiedene CWA-Rückstandsverbindungen, die entweder von Senfgas oder von auf Arsen basierenden CWAs herrühren.

    Die CWAs stammten aus den Beständen der deutschen Wehrmacht, wie der Leiter der Forschungsgruppe, Hans Sanderson vom Institut für Umweltwissenschaften der Universität Aarhus der Berliner Zeitung sagte: „Die Deutschen haben ihre Chemiewaffen aus dem Ersten Weltkrieg nicht vernichtet, sondern gelagert. Sie sollten im Zweiten Weltkrieg in Leningrad eingesetzt werden. Doch dazu kam es nicht mehr.“ 1947 oblag es der sowjetischen Armee, die Chemiewaffen zu entsorgen. Sie holten sich dazu arbeitslose Wehrmachtsoldaten und fuhren mit drei Schiffen aufs Meer. Eigentlich sollte die giftige Fracht in der Nordsee in der Nähe der Färöer-Inseln entsorgt werden. Doch als die Sowjets sahen, dass die Fracht zu schwer war, wurden die CMAs nahe Bornholm ins Meer gekippt.

    Die Explosionen setzten nun laut der Studie Sedimente im Meeresboden frei, die diese giftigen Substanzen enthalten haben könnten. Dies könnte dazu geführt haben, dass möglicherweise mehrere Meerespopulationen vom Aussterben bedroht sind, darunter der Ostseekabeljau und Schweinswale, die beide Brutgebiete in der Nähe der Explosionszonen hatten.

    Bo Øksnebjerg, der Generalsekretär des World Wide Fund for Nature (WWF), forderte die dänische und die schwedische Regierung auf, einen „Meeresplan“ auszuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Ostsee vor künftigen Vorfällen dieser Größenordnung geschützt ist. Der Anschlag habe sich „wirklich am schlimmsten Ort“ ereignet, den man sich vorstellen könne: „Es ist eine Tragödie, dass dies genau hier passiert ist, wo die Natur bereits vollständig auf den Knien ist. Das ist ein weiterer Nagel am Sarg der Ostsee.“

    Der Bericht ist die Arbeit von Forschern aus Dänemark, Deutschland und Polen. Sanderson sagte laut Copenhagen Post, der Anschlag könnte dazu führen, „dass Fische, die Substanzen wie Blei und TBT ausgesetzt waren, krank werden“. Einige würden sterben, andere würden Schwierigkeiten haben, sich fortzupflanzen, so Sanderson. Er stellt fest, dass der Schaden noch nicht endgültig abgeschätzt werden könne. Immerhin sei festzustellen, dass sich der Meeresboden etwa einen Monat nach den Explosionen beruhigt habe.

    Forscher schätzen, dass wahrscheinlich alle Schweinswale in einem Umkreis von vier Kilometern um die Explosionen durch die Druckwellen getötet wurden und dass alle Schweinswale in einem Umkreis von 50 Kilometern durch die Explosion taub geworden sein könnten. Wie viele Tiere von dem Anschlag betroffen sein könnte, könne man erst im kommenden Jahr sagen, sagte Sanderson der Berliner Zeitung. Für Menschen, die die betroffenen Fische essen, bestehe jedoch keine Gefahr, weil die Verseuchung für Menschen keine Lebensgefahr bedeute.

    Als Reaktion auf den Bericht versprach der dänische Umweltminister, Magnus Heunicke, dass die Regierung „die Informationen kontinuierlich überwachen und mit unseren Nachbarländern rund um die Ostsee teilen wird, damit wir ein Gesamtbild der Folgen haben und diese im relevanten Umfang nachverfolgen können“.

    „Es ist zutiefst besorgniserregend für die Ostsee, denn der Bericht zeigt, dass die Explosion den Zustand eines Meeresgebiets verschlechtert, das sich bereits in einem zutiefst ernsten und kritischen Zustand befindet“, sagte Maria Reumert Gjerding, die Leiterin von Dänemarks Naturschutzverband (Naturfredningsforening), dem dänischen Radiosender DR.

    Hans Sanderson sieht die Verschmutzung der Ostsee mit alter Munition als ein Problem für die Zukunft an: „Wir beobachten die Kontamination seit Jahrzehnten, und wir müssen überlegen, was wir in Zukunft tun. Die Frage der Munition – konventionell oder chemisch – stellt sich bei jeder neuen Aktivität, bei der der Meeresboden in Unruhe versetzt wird. Das gilt für Pipelines, Windturbinen und Unterseekabel.“ Sanderson erzählt, dass das Problem bei chemischen Kampfstoffen darin bestehe, dass der Eisenmantel dünner sei. Daher seien die meisten CWAs bereits durchgerostet, die Schadstoffe befänden sich bereits auf dem Meeresboden. Ob der ganze Abfall geborgen und irgendwo sicher gelagert werden kann, sei eine Frage des Geldes. „In den 1980er-Jahren hat die deutsche Bundesregierung gesagt, dass sie die Finanzierung übernehmen wolle – schließlich war es ja deutsche Munition. Aber dann sind sie gekommen und haben einige Teile geborgen. Die mussten jedoch auf Bornholm zwischengelagert werden. Als die Bewohner sahen, dass da Soldaten mit Gasmasken kamen, gab es massiven Widerstand. Dann sind die Deutschen wieder abgezogen. Und seither liegt das Zeug in der Ostsee“, erzählt Sanderson: „Vielleicht wäre es am besten, man lässt es dort und wirbelt einfach nicht zu viel von der Oberfläche des Meeresbodens auf.“

  • Sargnägel für die DDR : Die Preispolitik trieb skurrile Blüten, Reform unmöglich
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/sargnaegel-fuer-die-ddr-die-preispolitik-trieb-skurrile-blueten-ref
    Un peu d’histoire : comment les dirigeants à Pankow et Moscou conduisirent la RDA vers la faillite en ignorant les statistiques et revendications de leurs économistes.


    Mit Unterhaltungselektronik teuer bestückt: die Museumswohnung der Wohnungsgesellschaft Stadt und Land Berlin Marzahn-Hellersdorf mit original DDR-Einrichtung. Ja, so sah es aus unter ostdeutschen Dächern.

    19.02.2023 von Maritta Adam-Tkalec - Zu den wunderlichen Winkeln der DDR-Wirklichkeit gehörte die Preislandschaft. Ein Quadratmeter Wohnung kostete zwischen 40 Pfennige bis maximal 1,20 Mark Miete. Das deckte die wahren Kosten zu einem Drittel. Für die Kilowattstunde Strom zahlte man acht Pfennige bei realen Kosten von 28 Pfennigen. Die Subventionen für Grundnahrungsmittel waren gigantisch: In einem Einkaufswert 100 Mark waren 85 Mark Stützung enthalten. Schrippen und Brot gab es fast geschenkt. Dass so auf Dauer keine Wirtschaft funktionieren konnte, dass man im schönen Schein eines Selbstbetrugs lebte, ahnten wohl die meisten.

    Die Folgen waren langfristig dramatisch, kurzfristig teilweise absurd.

    Warum wohl verbrauchten Berliner pro Kopf und Jahr im Durchschnitt 250 Gramm Haferflocken, Umlandbewohner hingegen mit 2,5 Kilogramm das Zehnfache? Simple Antwort: weil der Berliner keine Hühner hielt. Haferflocken als Grundnahrungsmittel waren derart stark heruntersubventioniert, dass sie weniger kosteten als zum Beispiel normales Hühner- oder Karnickelfutter. Ganz ähnlich verhielt es sich mit Brot und anderen Teigwaren. Die hochwertigen Produkte fraßen die vielen auf dem Land privat gehaltenen Nutztiere. Zehn Prozent aller Nahrungsmittel wurden auf diese Weise verfüttert. Die Verschwendung von Wasser und Energie kannte keine Preis-Grenzen.

    Was für Marktwirtschafts-Sozialisierte absurd klingt, erklärt sich aus dem Verständnis der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Den Grundbedarf sollten alle preiswert decken können. Preisstabilität gehörte für jede Staats- und Parteiführung – anfangs unter Walter Ulbricht, noch stärker unter Erich Honecker – zu den Grundfesten des Sozialismus.

    Schon der nationalsozialistische Staat hatte seit 1933 mit Preisstopps und Mietpreisbremsen gewirtschaftet. Die sowjetische Administration verordnete 1945 einen Preisstopp: Mieten blieben auf dem Stand von 1936, alle anderen Preise auf dem Niveau von 1944 eingefroren. Daran war nicht zu rütteln. Da mochten die Fachleute noch so warnen.

    Die für die DDR genannten Zahlen und Fakten stammen aus einem Vortrag von Dr. Manfred Domagk, einem, der es wissen muss, denn er war jahrelang Staatssekretär im 1965 gegründeten Amt für Preise beim Ministerrat der DDR. Im Erzählsalon der Verlegerin Katrin Rohnstock hatten sich ehemalige Spitzenkräfte der DDR-Wirtschaft zu einer ihrer schon traditionellen Runden getroffen. Angesichts der akuten Inflation und der Flut von Preisbremsen, -deckeln und -stoppwünschen sprachen sie über Sinn und Unsinn, über Maß und Übertreibung von Preisregulierungen. Auf diesem komplexen Gebiet verfügen sie über einige Erfahrungen.


    Fleisch- und Wurstwarenstand einer Kaufhalle im Jahr 1972. Das war billig, Kritik gab es, weil abends, wenn die Werktätigen einkauften, das Angebot an Frischwaren ausgedünnt war.Dieter Opitz/imago

    Ende der 1980er-Jahre war das Subventionsvolumen in der DDR, einschließlich Kultur, Personenverkehr und Wohnungswesen, schließlich so aufgebläht, dass Löhne, Gehälter und Renten der DDR-Bürger nur 57 Prozent ihrer eigentlichen, direkten Einkommen ausmachten. Der erhebliche andere Teil wanderte in die „zweite Lohntüte“. Das Problem dabei: Den Leuten war immer weniger bewusst, dass dieses System der Umverteilung über Niedrigpreise ihren Verdienst indirekt stark erhöhte. Man verglich ja sein eigenes, auf dem Lohnstreifen ausgewiesenes niedriges Einkommen mit dem viel höheren im Westen. Wer wäre auf den Gedanken gekommen, den nicht bezahlten Wertanteil der Waren auf Gehalt oder Rente aufzuaddieren?

    „Das war ein krasser Fehler“, urteilt Manfred Domagk im Rückblick, „zumal in der Auseinandersetzung mit dem kapitalistischen Konsumverhalten, insbesondere aber dem Lohnniveau.“ Das Volk, der undankbare Lümmel, nahm die Milliardengeschenke an, aber nicht als solche wahr. Die DDR-Propaganda berichtete ausführlich, wie die kapitalistische Marktwirtschaft in der BRD unter einer Lohn-Preis-Spirale und Inflation leide. Na und? Der Westverwandtschaft ging es doch anscheinend gold.

    Mondpreise vergrätzen DDR-Bürger

    Umso vergrätzter nahm die DDR-Bevölkerung die andere, die teure Seite der Preispolitik wahr: Ein Farbfernseher kostete mit 4000 Mark etwa vier Monatsgehälter. Haushaltsgeräte, Kassettenrekorder, Uhren sollten über hoch angesetzte Preise dem Staat Einnahmen bringen, ebenso die im Edeltextilhandel Exquisit oder in Delikat-Läden angebotenen gehobenen Waren. Den Preis bestimmte der Staat.

    Das Volk zerriss sich das Maul über die Mondpreise für technische Güter und über Exquisit-Kleider, die mehr als 700 Mark kosteten. Der politische Schaden war unübersehbar, der ökonomische Nutzen gering: Volkswirtschaftlich betrachtet fiel das Edelsegment kaum ins Gewicht, sagt Domagk – neun Milliarden Mark bei einem gesamten Einzelhandelsumsatz von 125 Milliarden Mark. Trotz aller Bemühungen, Kaufkraft abzuschöpfen, blieb ein Überhang von 12,5 Milliarden Mark.

    Reiseweltmeister DDR: Von wegen Urlaub im Zwangskollektiv

    Das war schon paradox: Weil das Leben so billig war, blieb trotz niedriger, nur leicht nach Wirtschaftsbranchen differenzierter Löhne und Gehälter bei vielen etwas übrig. Die Metallurgie zahlte mehr als die Textilfabrik. Die Sache mit dem Kaufkraftüberhang konnte angesichts genereller Warenknappheit auf Dauer nicht gut gehen, und den DDR-Preisgestaltern war das durchaus bewusst. Sie konnten ja rechnen, waren weder blind noch taub, sondern fachlich hoch qualifiziert. „Die Eingaben (Vorschläge, Hinweise, Beschwerden der Bürger an Staatsorgane, d.R.) wurden aggressiver“, erinnert sich Domagk.
    Honecker stoppt Wirtschaftsreform

    Was konnte man tun? Ein Versuch, die Fehlentwicklungen zu korrigieren, startete 1967 mit dem sogenannten Ökonomischen System des Sozialismus (ÖSS). Der in den letzten Jahren der Ulbricht-Ära gesetzte Impuls sollte Effizienz und Wachstum heben, Zentralisierung abbauen, Planung flexibilisieren, Innovation beflügeln. Die Preiskomponente zielte darauf, den realen Aufwand für ein Produkt im Preis widerzuspiegeln. Moderne Waren sollten zum Beispiel mehr kosten dürfen als veraltete. Auch der Abschied von den Subventionen gehörte dazu.

    Industrie- und Verbraucherpreise waren neu zu kalkulieren. Überall wurde gerechnet. Tatsächlich gelangen eine wesentliche Qualifizierung des Industriepreissystems sowie eine Agrarpreisreform. Diese bewirkte, dass 99 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe rentabel wirtschaften konnten.

    Die Idee des Ökonomischen Systems als Ganzes fand sein Ende am Unwillen der sowjetischen Genossen. Bei einem Gespräch mit dem aufsteigenden Erich Honecker beklagte Leonid Breschnew die Überheblichkeit der DDR-Genossen, die glaubten, das beste Modell des Sozialismus entwickelt zu haben. Wörtlich überliefert ist: „Diese Überheblichkeit der DDR muss man ändern, das musst du ändern.“

    Wann gab die Sowjetunion die DDR frei?

    Auf Ulbricht, der sich aktiv für eine effektivere Volkswirtschaft eingesetzt hatte, folgte 1971 Honecker. Der bekam zwar vom Preisminister jährlich eine Analyse der negativen Auswirkungen der massiven Subventionspolitik vorgelegt, aber er „negierte die Fakten der Analysen und wies jegliche Änderungsvorschläge zurück“, berichtet Domagk. Im Kern lauteten die durchgerechneten Vorschläge der Fachleute: Subventionen zurückfahren, Preise entsprechend anpassen, zum Ausgleich Einkommen, einschließlich Renten und Stipendien, erhöhen. So hätte zum Beispiel der sparsamere Verbrauch von teurerem Strom die Investition in ein komplettes Kraftwerk erübrigt. Honecker habe jedoch die Tragweite der Reformideen nie verstanden.
    „Ein schwerer Fehler“

    Domagks Fazit: „Die Rücknahme des ÖSS war ein schwerer Fehler.“ Die Subventionierungen trugen entscheidend dazu bei, dass „wir über unsere Verhältnisse lebten“.

    Entsprechend stiegen die Auslands- wie die Inlandsschulden. Vor allem sank die Akkumulationsrate (also der Anteil der Investitionen im produktiven Bereich) von gesunden 25,1 Prozent im Jahr 1971 auf neun Prozent 1988, dem letzten vollständigen DDR-Jahr. Das war zum Überleben der Wirtschaft klar zu wenig. Man lernte im Marxismus-Leninismus-Unterricht, dass die Arbeitsproduktivität das entscheidende Kriterium für den Sieg über den Kapitalismus sei – doch im Vergleich zu Westdeutschland lag sie um 40 Prozent niedriger.

    Was wäre daraus zu lernen? Derzeit kommen Preisbremsen, Preisdeckel, Energiepauschalen und Subventionen ohne soziale Differenzierung über das Land, wie zum Beispiel das 9-Euro-Ticket für alle im vergangenen Sommer oder die Sprit- oder Gaspreisbremsen für alle, ­statt Wohlhabende den vollen Preis für ihren Konsum zahlen zu lassen und dafür Bedürftige umso stärker zu entlasten.

    Solche Fehler nicht wiederholen

    DDR-Fehler wie einen Mietpreisstopp und die daraus folgende Bau- und Sanierungsblockade muss man wirklich nicht wiederholen. Auch nicht das Experiment „Vergesellschaftung“. Diese Erfahrung, wie niedrige Preise zu Verschwendungsexzessen (von Strom, Benzin, Wasser, Lebensmitteln etc.) führen, braucht kein Mensch noch einmal.

    Für die im Rohnstock-Salon versammelten Wirtschaftsexperten ist klar, welches Prinzip bei der Preisgestaltung angeraten ist: Nicht Waren soll man subventionieren, sondern Personen. Wer bedürftig ist, der bekommt. Und: Preise sollen steigen dürfen, aber in regulierten, nicht in wilden Verfahren. Man erkennt derzeit im deutschen Politikdiskurs Ansätze, die Bereiche der Daseinsvorsorge wie Gesundheit nicht länger so hemmungsarm wie bisher dem Markt, also der Gewinnorientierung, zu überlassen.

    Natürlich, da widerspricht keiner, habe die DDR mit ihrer zwanghaften Regulierung, überzentralisierten Planung, ihrer an Dogmen orientierten Preispolitik überzogen. Das politische System habe sich letztlich als unfähig zur Anpassung erwiesen.
    Und dann die Anekdötchen

    So schwierig und technisch die Begriffe und Debatten im Expertensalon sein mögen: Die Freude an der Anekdote lebt wie zu DDR-Zeiten. Zum Beispiel: Was passierte, als die Fachleute im Amt für Preise versuchten, die Miete für die stark begehrten Wohnungen in den neuen Hochhäusern auf der Fischerinsel von 1,20 Mark pro Quadratmeter auf 2,40 Mark anzuheben? Der Preis hätte niemandem der dort lebenden DDR-Elite aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und auch Medien wehgetan.

    Kaum aber war die Änderung in Kraft, so erinnert sich Domagk, kam ein Anruf von „oben“, meist aus der vierten Etage des Gebäudes des Zentralkomitees der SED am Werderschen Markt. Dort saßen die Abteilung Planung und Finanzen des ZK der SED sowie der Sekretär für Wirtschaft Günther Mittag. „Wenn den hohen Herren etwas nicht passte, wurde das sofort vom Tisch gewischt“, erinnert sich Domagk. So auch in diesem Fall.

    Einmal kam ein Anruf vom Berliner SED-Bezirkschef Günter Schabowski, dem das Radeberger Bier im für gehobene Wünsche und ausländische Touristen eröffneten Chinarestaurant in der Friedrichstraße mit fünf Mark zu teuer war. Winzige Beispiele für das Scheitern von Reformversuchen. Letztendlich, so Domagk, lauter Sargnägel für den Untergang der DDR.

    #Allemagne #DDR #histoire #économie #socialisme #économie_planifiée

  • Erbschaftssteuer : Das sind Deutschlands wahre Verfassungsfeinde
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/erbschaftssteuer-das-sind-deutschlands-wahre-verfassungsfeinde-li.3

    « Tu es riche et t’as des enfants à qui tu veux léguer ta fortune ? Enfin, riche, cad très riche, milliardaire quoi ... Viens chez nous, nous t’invitons à profiter gratuitement de toute notre infrastructure, à ne payer quasiment pas d’impôts, à profiter de notre secret d’affaire et de fortune, et finalement on te propose un tas de plans pour passer la totalité de ta fortune à tes rejetons sans devoir un rond au commun des mortels. On te promet que c’est mieux chez nous qu’en God’s Own Country capitaliste où le fisc est ton ennemi juré. Ici les fonctionnaires des impôts trop engagés finissent en asile psychiatrique afin que tu puisse être tranquille. »

    Vouci ce que décrit et critique Fabio De Masi, ancien député de gauche et détective spécialiste de la fraude fiscale.

    27.12.2022 von Fabio De Masi - Die unzureichende Besteuerung von Multimillionen-Vermögen und Erbschaften ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Das gefährdet die Demokratie. Ein Kommentar.

    Die Top 0,1 Prozent der Vermögenden in Deutschland verfügen über rund 22 Prozent des Nettovermögens der gesamten Bevölkerung.

    Seit Jahrzehnten nimmt in Deutschland die Vermögenskonzentration zu. Die 45 reichsten Familien verfügen über so viel Vermögen wie die Hälfte der Bevölkerung oder rund 40 Millionen Menschen. Man würde sich wünschen, der Verfassungsschutz würde hier einmal aktiv und die Unterwanderung des deutschen Staates durch die Macht der Milliardäre stoppen.

    Der Artikel 14 (2) des Grundgesetzes lautet: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Damit ist etwa gemeint, dass wer über Fabriken verfügt, die durch die Arbeit der Beschäftigten Gewinne abwirft, darauf auch Steuern entrichten muss. Auch im Ahlener Programm der CDU von 1947 heißt es: „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. (…) Unternehmungen monopolartigen Charakters, Unternehmungen, die einen bestimmte Größe überschreiten müssen, verleihen eine wirtschaftliche und damit eine politische Macht, die die Freiheit im Staate gefährden kann.“

    Auch Vermögenskonzentration schafft politische und wirtschaftliche Macht und gefährdet die Demokratie. Es ist kein Zufall, dass die reichsten deutschen Oligarchen Parteien finanzieren, die sie seit Jahrzehnten vor dem Fiskus schützen und ihren Reichtum mehren. Wer sich zu Recht um die Macht des Tech-Milliardärs Elon Musk sorgt, darf nicht zu den Quandts und Klattens in Deutschland schweigen.

    Vermögenskonzentration wächst

    Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist die Vermögenskonzentration in Deutschland erheblich größer als bisher angenommen. Das DIW hat Stichproben von Personen mit Wohnsitz in Deutschland ausgewertet, die an mindestens einem Unternehmen weltweit erhebliche Anteile halten, um Datenlücken zu schließen, die bisher nur sehr grob geschätzt werden konnten.

    Laut DIW verfügen die Top 0,1 Prozent der Vermögenden in Deutschland über rund 22 Prozent des Nettovermögens (abzüglich Schulden) der gesamten Bevölkerung. Dies sind etwa 100.000 Personen bzw. 40.000 Haushalte. Die Top 1 Prozent der Vermögenden, dies sind in etwa Deutschlands Millionäre, kommen allein auf 35 Prozent des Nettovermögens und die Top 10 Prozent kommt auf rund zwei Drittel des gesamten Nettovermögens an Betrieben, Geld, Aktien, Immobilien oder teuren Kunstwerken. Rund 40 Prozent der Bevölkerung verfügt über überhaupt kein Nettovermögen oder Schulden. Diese Menschen werden ihren Kindern nichts hinterlassen können. Für sie gilt das Versprechen nicht, dass es den Kindern einmal besser gehen soll. Im Gegenteil.

    Eine zunehmende Vermögenskonzentration lässt sich nur damit erklären, dass die auf die Vermögen erzielten Renditen bzw. Einkommen (Gewinn-Ausschüttungen auf Aktienpakete, Mieteinnahmen aus Immobilien etc.) stärker wachsen, als sie durch die Besteuerung von Einkommen abgeschöpft werden.

    Deutschlands Erben-Dynastien

    Jedes Jahr werden im Sperma-Lotto etwa 400 Milliarden Euro oder ein kompletter Bundeshaushalt vererbt. Die Erben haben aber für ihr geerbtes Vermögen nichts geleistet. Daher forderten liberale amerikanische Sozialreformer wie Orestes Brownson oder Ordo-Liberale wie Walter Eucken und Alexander Rüstow scharfe staatliche Eingriffe in Erbschaften, um jüngeren Menschen gleichere Startbedingungen zu verschaffen und Leistungsgerechtigkeit zu gewährleisten.

    Die wirtschaftlichen Dynastien in Deutschland reichen häufig bis in die Nazi-Eliten oder zuweilen ins Kaiserreich zurück. Der Anteil des ausschließlich geerbten Vermögens am Gesamtvermögen in Deutschland ist seit den 1970er-Jahren von einst 20 Prozent auf gut 50 Prozent angestiegen.

    Derzeit gilt bei der Erbschaftsteuer für Ehepartnerinnen und -partner ein Freibetrag von 500.000 Euro, für Kinder von 400.000 Euro und für Enkel von 200.000 Euro. Zudem wird für sie keine Steuer fällig, wenn sie etwa eine geerbte Immobilie selbst nutzen. Die Ampel will die Freibeträge nun noch einmal deutlich anheben, um den gestiegenen Immobilienpreisen Rechnung zu tragen. Dies ist aber nur vertretbar, wenn auch die Steuersätze für sehr hohe Erbschaften deutlich steigen.

    Fakt ist aber: Es gibt bisher keinen einzigen dokumentierten Fall, wo jemand eine Immobilie aufgrund der Erbschaftssteuer veräußern musste. Eine Krankenschwester, die eine Villa erbt, ist eher selten. Und selbst wenn es solche absurden Fälle gäbe, hätte die fiktive Krankenschwester mehr davon, wenn aus der Villa ein Hotel wird, statt selbst dort einzuziehen und mit den Stromkosten zu kämpfen.

    Ein erheblicher Teil des Vermögens in Deutschland ist zudem Betriebsvermögen. Auch Betriebsvermögen muss bei hohen Freibeträgen angemessen besteuert werden, sonst hängt man den Picasso einfach in die Firmenzentrale und entzieht sich der Besteuerung.

    Die Besteuerung von Betriebsvermögen führt nicht grundsätzlich zur Vernichtung von Jobs oder Verlagerung von Fabriken ins Ausland. Denn wenn offenbar Vermögenszuwächse durch Gewinne über viele Jahrzehnte nicht besteuert werden, dient Vermögens- oder Erbschaftsbesteuerung nur der Abschöpfung eines Teils dieser Zuwächse. Unternehmen verlegen ihre Produktion auch nicht allein aufgrund steuerlicher Effekte ins Ausland. Viel entscheidender sind Absatzmärkte, Infrastruktur oder Produktivität der Beschäftigten. In Ländern wie den USA trägt die Erbschaftsbesteuerung mehr zum Steueraufkommen bei als in Deutschland.

    Das Bundesverfassungsgericht hat 2006 und 2014 die unzureichende Besteuerung von Betriebsvermögen wiederholt als verfassungswidrig verworfen. Die größten Vermögen sind in Betriebsvermögen gebunden und dies führt zu großer Ungleichheit. So wurden 2019 die 127 größten Schenkungen mit einem Volumen von insgesamt 12 Milliarden Euro mit weniger als einem Prozent besteuert, während bei kleineren Erbschaften ein Steuersatz von 30 Prozent anfiel.

    Betriebsvermögen wurde bis 2008 steuerlich „unter Wert“ behandelt. Dies wurde zwar korrigiert, zugleich wurde Betriebsvermögen aber komplett steuerfrei gestellt, wenn die Summe der Löhne in den folgenden sieben Jahren etwa konstant gehalten wurde (Verschonungsabschlag). 2016 wurde nach erneuter Rüge durch das Verfassungsgericht eine Obergrenze von 90 Millionen Euro für die steuerliche Begünstigung eingeführt, es gab aber neue Schlupflöcher bis hin zur kompletten Ausnahme von dieser Obergrenze unter speziellen Voraussetzungen.

    Der Bundesfinanzhof wollte 2017 die Praxis der Finanzämter beenden, Wohnimmobilien ab einem Bestand von 300 Wohnungen pauschal als Betriebsvermögen zu erfassen. Wer ein kleines Mietshaus mit ein paar Wohnungen erbte, muss daher Steuern zahlen. Wer tausende Wohnungen erbt, wird jedoch als Wohnungsunternehmer geschont. Das Bundesfinanzministerium unter Olaf Scholz wies die Finanzämter an, das Urteil zu ignorieren und die Privilegien für Milliardäre beizubehalten.

    Die verfassungswidrige Situation in Deutschland ist aber nicht allein der Stiftung Familienunternehmen geschuldet, hinter deren Romantik sich in Wahrheit BMW, Bertelsmann und Co. verbergen. Es gab Komplizen in der Politik: und zwar nicht nur die üblichen Verdächtigen in CDU und FDP.

    Im Jahr 2016 titelte die Tageszeitung Die Welt: „Kretschmann ist die Hoffnung der Firmenerben“. Denn der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, pflegt enge Kontakte zu den Milliardären im Verband der „Familienunternehmer“, die im „Ländle“ fest verankert sind. Er wurde der Rolle als Hoffnungsträger gerecht. Er gab ohne Not das Veto der grün mitregierten Bundesländer im Vermittlungsausschuss des Bundesrates auf und bezeichnete das verfassungswidrige Gesetz als „guten Kompromiss für unsere Familienunternehmen“.

    Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hingegen ließ es sich nicht nehmen, kurz vor der letzten Bundestagswahl gegen eine moderate Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre mit einem Gastbeitrag in der FAZ ins Feld zu ziehen, wie ich sie mit Freibeträgen von 5 Millionen Euro auf Betriebs- und 2 Millionen Euro auf Privatvermögen vorgeschlagen hatte. Eine seltsame Priorität für eine grüne Kanzler-Hoffnung.

    Der legendäre US-Präsident Franklin Delano Roosevelt sagte am 31. Oktober 1931 im Madison Square Garden in New York: „Vom organisierten Geld regiert zu werden ist genauso gefährlich wie von der organisierten Kriminalität regiert zu werden!“ Auf der deutschen Regierungsbank würde er wohl fündig werden.

    Zum Autor

    Fabio De Masi war Mitglied des Deutschen Bundestages für die Linke sowie des Europäischen Parlaments und machte sich dort bei der Aufklärung von Finanzskandalen – etwa um den Zahlungsdienstleister Wirecard – einen Namen. Er ist Kolumnist bei der Berliner Zeitung.

    #Allemagne #nantis #capitalisme #héritage #inégalité #impôts

  • Bundesregierung will nicht sagen, ob Irak-Krieg ein Angriffskrieg war
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/bundesregierung-will-nicht-sagen-ob-irak-krieg-ein-angriffskrieg-wa

    18.12.2022 von Michael Maier - Eine parlamentarische Anfrage zeigt: Die Lüge von den Massenvernichtungswaffen lebt in den Akten weiter.

    Knapp 20 Jahre nach dem Irak-Krieg will die Bundesregierung noch keine rechtliche Bewertung vornehmen, ob der Einsatz der „Koalition der Willigen“ zum Sturz von Saddam Hussein einen „Bruch des Völkerrechts“ darstellt oder als ein „völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ anzusehen ist. Das geht aus einem Schreiben des Auswärtigen Amts hervor, welches der Berliner Zeitung vorliegt. Die Bundesregierung wiederholt in der Beantwortung einer schriftlichen Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen lediglich die damalige Begründung der US-Regierung, wonach der Angriff erst erfolgte, nachdem dem Irak zuvor „eine letzte Gelegenheit“ gegebenen worden war, „seinen Verpflichtungen bezüglich der Kontrolle und Vernichtung seiner Massenvernichtungswaffen nachzukommen“.

    Demnach habe der Irak den Inspekteuren der Überprüfungsmission der Vereinten Nationen sowie jenen der Internationalen Atomenergie-Organisation Zutritt zu allen Anlagen gewähren müssen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen habe in seiner Resolution 1441 (2002) erneut betont, „dass alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen durch seine Resolution vom 29. November 1990 ermächtigt wurden, alle erforderlichen Mittel einzusetzen, um der Resolution 2. August 1990 und allen danach verabschiedeten einschlägigen Resolutionen Geltung zu verschaffen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit in dem Gebiet wiederherzustellen“.

    Der Sicherheitsrat habe außerdem darauf hingewiesen, „dass die Beschlüsse nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen gefasst wurden“ und habe den Irak wiederholt vor „ernsthaften Konsequenzen bei weiteren Verstößen gegen die Verpflichtungen der Resolutionen gewarnt“.

    Der Irak verfügte jedoch, wie sich wenig später herausstellte, zu keinem Zeitpunkt über keine Massenvernichtungswaffen. Die US-Regierung hatte die Weltöffentlichkeit gezielt belogen: Die „Beweise“ für die Existenz von Massenvernichtungswaffen, die US-Außenminister Colin Powell an 5. Februar 2003 in einer Sitzung des Sicherheitsrats vorlegt hatte, „bestanden aus Material, dass vom amerikanischen Geheimdienst manipuliert worden war“, so der Deutschlandfunk zehn Jahre später.

    Sevim Dagdelen, Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, sagte der Berliner Zeitung: „Die Weigerung der Bundesregierung, den Irak-Krieg der USA als Völkerrechtsbruch auch noch 19 Jahre nach dem Angriffskrieg zu verurteilen, ist selbst himmelschreiendes Unrecht.

    Die Bundesregierung versucht, die US-Kriegslüge auch noch zu rechtfertigen, indem sie nachlegt, der Irak habe Massenvernichtungswaffen besessen, die lediglich auf wundersame Weise bis heute nicht gefunden wurden. Wer wie die Bundesregierung Angriffskriege und Völkerrechtsbrüche von Nato-Partnern prinzipiell nicht verurteilt, verliert jede Glaubwürdigkeit für die Einhaltung des Völkerrechts.“

    #USA #Iraq #guerre #impérialisme #monsonges

  • Flucht aus Togo : „Wir kriegen ein größeres Boot“
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/flucht-aus-togo-wir-kriegen-ein-groesseres-boot-li.293476

    La règle d’or de l’individualiste : "Quand tu vois une file d’attente, passe par la porte arrière sinon tu n’obtiendras rien." Sous-entendu "Les autres n’auront qu’à attendre." Comment faire ni l’un ni l’autre sans couler ?

    „Das Kapital ist schlauer/Geld ist die Mauer“, schrieb der Dramatiker Heiner Müller im Januar 1990
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    Diese These lässt sich dreieinhalb Jahrzehnte später in der einstigen deutschen Kolonie Togo täglich überprüfen.
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    Disco-Bar Famous Place in Lome, Hauptstadt der westafrikanischen Republik Togo, ... der kahl rasierte DJ, der vom Laptop Afro-Pop auflegt ... trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: „We gonna get a bigger boat“ – wir werden ein größeres Boot kriegen.

    #mur #frontières #Togo #capitalisme #Oskar_Schindler #John_Rabe #Richard_Sorge

  • Inflation: Dieser Bioladen in Berlin-Wedding hat ein Rezept gegen Geschäftssterben
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/nach-corona-rekordgeschaeft-berliner-bioladen-schreckt-nicht-vor-de

    25.11.2022 von Silvia Benetti - Anders als viele Geschäfte ihrer Branche hat Martina Marggraf mit ihrem Bioladen im Weddinger Sprengelkiez keine Umsatzeinbußen wegen der Inflation. Langfristig ist sie jedoch misstrauisch. 

    Pralle Tomaten, leuchtend gelbe Paprika und riesige Salatköpfe prunken auf dem Tisch im Eingangsbereich, es duftet nach Kaffee und frischen Brötchen. Martina Marggraf, 37 Jahre alt und Mutter von drei Kindern, führt seit 2011 den Bioladen in der Tegeler Straße unweit des Leopoldplatzes.

    Neben frischen Lebensmitteln verkauft Martina auch Bio-Hygieneartikel sowie ökologische Kinderkleidung. Dazu betreibt sie in den Räumlichkeiten ein Café. In der Sitzecke mit einladenden Holztischen können Kunden ein Franzbrötchen oder ein Stück Quiche essen und bei einem Cappuccino oder Tee entspannen. Die Backwaren stammen aus der Bäckerei eines befreundeten Konditors in Kreuzberg.

    „Du hast hier eine Familie, du bist bekannt“

    „Viele Kunden haben hier einen Anlaufpunkt im Kiez“, sagt Marggraf der Berliner Zeitung. Das erklärte offenbar auch, warum der aktuelle Umsatz zwar unter den Rekorden der Corona-Zeit liege, dennoch im Vergleich zu 2019 nicht zurückgegangen sei. Während der Lockdowns 2020 und 2021 sei der Bioladen für viele ein Zufluchtsort gewesen, behauptet die Geschäftsfrau; einer der wenigen Orte, in dem sie Kaffee zum Mitnehmen bekommen und ein paar freundliche Worte hätten mit anderen Menschen wechseln können. Damals habe sie angefangen, das Café auch am Sonntag zu öffnen, was für einen hohen Zulauf gesorgt habe. Zwar durften die Kunden die Backwaren und den Kaffee nur mitnehmen, trotzdem sei der Zulauf außerordentlich gewesen.

    Auch nach dem Ende der Pandemie, so Marggraf, hielten die Kunden dem Kiezladen die Treue. Zwar hamstere jetzt niemand mehr Mehl, Hefe und Toilettenpapier, dennoch könne von Umsatzeinbrüchen nicht die Rede sein. Ohnehin sei in den Jahren eine vielfältige Stammkundschaft entstanden, die sowohl Fernsehstars und Spitzenpolitiker als auch Normalverdiener und Hartz-IV-Empfänger umfasst. „Wir haben Leute, die täglich kommen und frisch einkaufen. Gerade bei Obst und Gemüse haben wir viel Durchlauf, weil man bei uns auch drei Champignons mitnehmen kann. Wir haben also Großfamilien, aber auch Singles. Und alle schätzen das.“ Das würden zwar auch Bioketten versuchen, doch so gemütlich und persönlich sei es dort nicht. „Du hast hier eine Familie, du bist bekannt“, sagt die Unternehmerin.
    Energiekosten hat Marggraf noch nicht weitergegeben

    Ein weiterer Pluspunkt für ihren Bioladen sei aus ihrer Sicht die Preispolitik. „Was mir wichtig war, als ich eröffnet habe, und was ich auch geschafft habe, ist, dass jeder sich das leisten kann.“ Aus diesem Grund liegt der Preis für einen normalen Kaffee unverändert bei 2,20 Euro, ein Cappuccino kostet 2,60 Euro. Da die Gewinnmarge beim Kaffee höher sei, so Marggraf, mache sie trotzdem keinen Verlust. Bei anderen Produkten habe sie dagegen die Preise anpassen müssen. Backwaren etwa seien wegen der stark gestiegenen Energiekosten 20 bis 25 Prozent teurer geworden. Anders als die Ketten, die oft bestimmte Produkte unter dem Einkaufspreis verkaufen, um Kundschaft zu locken, hielte sie sich immer an die unverbindliche Preisempfehlung.

    Auch ihr deutscher Bekleidungslieferant habe die Preise erhöht, da die Rohstoffe Wolle und Seide sich verteuert haben. Kostete ein Schlafsack letztes Jahr 90 Euro, seien es jetzt 115 Euro. Die Textilunternehmen aus Skandinavien verzichteten dagegen auf die Preiserhöhungen. Bei den Hygieneartikeln seien Preisveränderungen mit der Ausnahme von Toilettenpapier ebenfalls ausgeblieben.

    Unwesentlich teurer als 2021 gibt es im Bioladen auch Obst und Gemüse, das Martina Marggraf von Bauern aus der Region bezieht und günstiger als die Bioketten wie etwa Bio Company und Denns anbietet. „Wir haben zum Beispiel eine 50-Prozent-Kiste für Obst und Gemüse, das auch am nächsten Tag noch in Ordnung ist“, sagt Martina. Ihr Fokus liege dabei auf frischer und hochwertiger Ware, mehr als auf Gewinn. Auch sei es ihr wichtig, ihre wenigen Mitarbeiter fair zu bezahlen. Die gestiegenen Energiekosten für das Geschäft – der Stromabschlag habe sich beispielsweise im Vergleich zu den letzten Jahren verdoppelt – habe sie noch nicht an die Kunden weitergegeben. Möglicherweise sei das aber demnächst notwendig. Die Frage, ob Bioläden die hohe Inflation überleben werden, bejaht sie. „Die Leute werden weiter auf Qualität achten. Sie sind bereit, weniger zu kaufen, dafür hochwertiger.“

    „Der Kiezladen wird aussterben“

    Hört man Martina Marggraf zu, möchte man meinen, dass sie ein wirksames Rezept gegen das Geschäftesterben in den Innenstädten gefunden hat: eine familiäre Atmosphäre, hohe Qualität und faire Preise. Sie habe es geschafft, sich mit dem Bioladen, dem Café und der Kinderkleidung gleich drei Standbeine aufzubauen, und mache alles auch elf Jahre nach der Eröffnung des Ladens sehr gerne, bestätigt die 37-Jährige.

    Jedoch machen die bisher guten Umsätze keinen wirtschaftlichen Erfolg aus. Ein solches Geschäft lohne sich schon jetzt kaum, sagt Martina, obwohl sie 80 Stunden pro Woche arbeite. Rote Zahlen schreibe sie zwar nicht, dennoch sei der Gewinn nach Abzug von Betriebskosten, Steuern und Abgaben im Verhältnis zu den Arbeitszeiten nicht der Rede wert. Denn zu den hohen Gewerbemieten kämen immer höhere private Lebenshaltungskosten und die Konkurrenz aus dem Internet. „Es werden sich immer weniger Leute finden, die bereit sind, für einen geringen Verdienst solche Arbeit zu machen. Du musst auch deine Miete zahlen können“, argumentiert die Gründerin.

    Aus diesen Gründen werden ihrer Meinung nach Geschäfte wie ihres langfristig nicht überleben. Dafür sei der Trend, online einzukaufen, viel zu ausgeprägt, und die Corona-Zeit habe ihn noch verstärkt, gibt die Geschäftsfrau zu. Sie stellt fest: „Jeder mag die Kiezläden, jeder geht gerne sonntags hier bummeln und kauft ein Brot oder einen Apfel. Aber das Meiste bestellen sie doch im Internet. Da klickt man zweimal, und der Lieferdienst kommt innerhalb von zehn Minuten. Alle sind auf Schnelligkeit.“

    Vorerst macht Martina Marggraf jedoch weiter. Eine Mutter mit ihrem Kleinkind betritt in der Zeit den Laden und grüßt freundlich, so wie jemand, der alte Bekannte trifft. Auch das Kleine lächelt. „Manchmal glaube ich, dass wir es schaffen“, sagt Marggraf zum Schluss etwas aufgemuntert. „Dass wir es schaffen, den Leuten zu vermitteln, nicht alles im Internet zu kaufen.“

    #Berlin #Wedding #Tegeler_Straße #Handel #Stadtentwicklung

  • Gorillas-Kuriere vor Gericht: „Was hätten wir anderes tun sollen als streiken?“
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/kuriere-gorillas-klage-kuendigungen-wilder-streik-arbeitsgericht-be

    Arbeitsgericht Berlin urteilt: Kündigung von drei Fahrern wegen Teilnahme an einem Streik war rechtmäßig. Der Anwalt will in Berufung gehen.

    6.4.2022 VON Antonia Groß - Einen Befangenheitsantrag gegen den Richter auszusprechen, dazu kam Rechtsanwalt Benedikt Hopmann gar nicht mehr. Nur einen Augenblick zuvor schloss Richter Thomas Kühn die Verhandlung, zog sich zur Urteilsfindung zurück. In den Gesichtern vieler Anwesender spiegelt sich Frust, auch sie verließen den Saal 334, den größten Raum am Berliner Arbeitsgericht. „Ich brauche jetzt erst mal Luft“, sagte eine.

    Sie waren in das Gericht am Magdeburger Platz gekommen, um zwei ehemalige Kurierfahrer und eine -fahrerin des Lieferdienstes Gorillas zu unterstützen. Die drei hatten gegen ihre fristlosen Kündigungen im Oktober geklagt. Sie waren zusammen mit Dutzenden anderen Angestellten schlagartig von dem Berliner Start-up entlassen worden, nachdem sie an Streiks teilgenommen hatten. Die meisten fristlos, viele waren noch in der Probezeit.

    Kündigungen wegen wilder Streiks

    Das Urteil am Nachmittag wurde der Laune der Zuschauenden gerecht: Die Kündigungen der drei Kuriere wurden für wirksam erklärt. Die Teilnahme an einem Streik sei nur dann rechtmäßig, wenn dieser von einer Gewerkschaft getragen werde, so die Begründung.

    Ein Urteil im Sinne der Kuriere hätte aus Sicht von Anwalt Hopmann das Streikrecht grundlegend verändern können. Denn die „außerordentlichen“ Kündigungen im Oktober, so hieß es damals in einer Presseerklärung des Unternehmens, gingen auf die Teilnahme der Kuriere an verbandsfreien Streiks zurück. Sogenannte „wilde“ Streiks, spontane Arbeitsniederlegungen ohne den Aufruf einer Gewerkschaft, gelten in Deutschland bislang nicht als legal.

    Anwalt Hopmann sieht das anders. Er argumentiert völkerrechtlich, mit Artikel sechs der Europäischen Sozialcharta, die Deutschland 2007 ratifizierte. Entscheidend ist aus seiner Sicht die Formulierung, dass kollektive Handlungen, auch Streiks, „das Recht der Arbeitnehmer“ seien. Damit sei das deutsche Recht nicht vereinbar, sagte Hopmann.

    Auf diese Argumentation ließ sich Richter Kühn am Mittwoch nicht ein. Auch von den Arbeitsbedingungen im Unternehmen wollte er nichts hören. „Das ist hier keine politische Bühne“, sagte er. Zweck des Prozesses sei, die Rechtmäßigkeit der Kündigungen zu beurteilen.

    Duygu Kaya, 33, Lehrerin aus Istanbul und eine der gekündigten Kuriere, hätte gern eine Erklärung im Gericht vorgelesen. Weil sich der Richter weigerte, Kaya sprechen zu lassen, wollte Anwalt Hopmann ihn für befangen erklären lassen. „Das entspricht nicht der Bedeutung dieses Rechtsstreits“, sagte der Anwalt.

    „Unsere Löhne wurden gestohlen“

    Kaya hätte gern vorgetragen, was sie im Oktober zur Teilnahme an den Streiks bewegt hatte. „Was hätten wir anderes tun sollen, als zu streiken?“ schreibt sie in dem Text, der der Berliner Zeitung vorliegt. „Unsere Löhne wurden gestohlen. Wir waren ständig unterbesetzt. Wir wurden zu irrsinnigen und illegalen Schichten eingeteilt, die gegen die Arbeitszeit-Regelung verstoßen“. Gern hätte Kaya auch die schwierigen Bedingungen ausgeführt, die für Menschen mit Migrationsgeschichte auf dem Arbeitsmarkt bestehen.

    Viele Beschäftigte von Gorillas sind migrantisch. Ihre Proteste und Streiks waren im vergangenen Sommer immer wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit geraten. Die Kritik: Das Geschäftsmodell würde auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Das Berliner Start-up liefert seit Frühjahr 2020 Supermarktware durch Fahrradkuriere aus. Durch die Pandemie hat das Geschäft geboomt.

    Für Anwalt Hopmann bleibt der Prozess politisch. Er verkündete noch in der Verhandlung, dass er Berufung einlegen werde.

    #Berlin #Arbeit #Justiz #Streik #Fahrradkurier

  • Hilfe bei Stromschulden: Gebührenfreies Darlehen beantragen
    https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/hilfe-bei-stromschulden-gebuehrenfreies-darlehen-beantragen-li.1985

    Die Energiepreise steigen. Bei drohender Abschaltung von Strom und Gas berät die Energieschuldenberatung Berlin.

    6.12.2021 von Theresa Dräbing - Strom und Gas werden teurer, für viele zu teuer. Vergangenes Jahr sind laut Energieschuldenberatung Berlin in der Hauptstadt rund 13.000 Haushalten der Strom und rund 20.000 Haushalten das Gas abgestellt worden, weil Rechnungen nicht beglichen worden sind.

    . Für die nächsten Monate erwartet Elisabeth Grauel, Projektleiterin bei der Energieschuldenberatung, deshalb eine regelrechte Welle an Menschen, die in die Beratungsstellen kommen, weil sie nicht mehr wissen, wie sie die höheren Rechnungen der Strom- und Gasanbieter begleichen sollen.

    Eine aktuelle Untersuchung der Energieschuldenberatung der Verbraucherzentralen Berlin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat ergeben, dass viele ihren Anspruch auf Zuschüsse oder Hilfen der Sozialbehörde gar nicht kennen. Die Energieschuldenberatung berät kostenfrei. „Wir prüfen erst einmal, welche Ansprüche möglicherweise gegenüber dem Sozialleistungsträger bestehen oder treten bei Bedarf auch mit den Grundversorgern in Kontakt“, sagt Grauel. Wer Sozialleistungen erhält, kann beispielsweise ein gebührenfreies Darlehen beim Jobcenter beantragen. Eine weitere Möglichkeit ist, den Anspruch auf Wohngeld zu prüfen, um so die finanziellen Mittel zu erhöhen.

    Ratenzahlungen mit dem Grundversorger vereinbaren

    Seit Dezember gelten für Grundversorgungsverträge außerdem neue Regelungen. „Bevor ein Grundversorger – in Berlin Vattenfall und Gasag – eine Sperre durchführt, muss er dem Verbraucher ein Ratenzahlungsangebot machen“, erklärt Grauel. Wenn auch diese Raten zu hoch sind, könne die Energieschuldenberatung noch einmal versuchen, nachzuverhandeln.
    Beratung & Hilfe

    Die Energieschuldenberatung ist kostenlos. Ein persönlicher Termin kann unter der Telefonnummer 030/214 85 202 vereinbart werden. Öffnungszeiten: montags bis donnerstags von 10 bis 16 Uhr und freitags von 10 bis 14 Uhr.

    Auch ohne Termin sind Sprechstunden an folgenden Standorten möglich: Mehrgenerationenhaus Orangerie-Kiezspinne, Schulze-Boysen-Str. 38, Berlin-Lichtenberg; Quartiers-Büro der Verbraucherzentrale Berlin e. V., Lübecker Str. 49, Berlin-Mitte und Gesobau-Nachbarschaftsetage, Wilhelmsruher Damm 124, Berlin-Reinickendorf. Sprechstundenzeiten unter

    „Für Verbraucherinnen und Verbraucher mit geringem Einkommen sind die steigenden Kosten eine große Belastung“, so Grauel. Viele dieser Haushalte müssten mit Strom heizen und ihr Warmwasser elektrisch erzeugen. „In Berlin gibt es viele Wohnungen, die schlecht saniert sind. Das bedeutet zusätzlich wesentlich höhere Kosten.“

    Stromkosten müssen bei Sozialhilfe- und Arbeitslosengeld-II-Empfängern vom Regelsatz beglichen werden. Zum 1. Januar 2022 steigt der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen um drei Euro auf 449 Euro pro Monat. Die Strompreiserhöhungen fallen in den allermeisten Fällen ungleich höher aus. Sozialverbände und Verbraucherschützer kritisieren seit langem, dass in den Hartz-IV-Sätzen der Anteil für Strom nicht ausreiche.
    Häufig keine vollständige Übernahme bei elektrischen Heizkosten

    Bei den Heizkosten läuft die Kostenübernahme für Arbeitslosengeld-II-Empfänger anders. Diese fallen nicht unter den Regelsatz, sondern werden in „angemessener Form“ übernommen. Die Stichprobe der Verbraucherzentralen hat allerdings ergeben, dass eine vollständige Übernahme bei elektrischen Heizkosten nur bei 41 Prozent erfolge. „Das Problem ist, dass die elektrischen Heizkosten nur übernommen werden, wenn nachgewiesen werden kann, was vom Stromverbrauch tatsächlich in das Heizen geflossen ist“, sagt Grauel. Bei ein und demselben Zähler sei das allerdings schwierig festzustellen.

    Und so geraten viele Verbraucherinnen und Verbraucher mit niedrigen Einkommen in Zahlungsschwierigkeiten. Ein Irrglaube sei zudem, dass es erst drei, vier Mahnungen geben müsse, bis tatsächlich der Strom abgestellt werde, so Grauel von der Energieschuldenberatung. Bei Zahlungsrückstand wird dem betroffenen Haushalt zunächst eine sogenannte Sperrandrohung schriftlich zugestellt, der zu entnehmen ist, dass der Strom- oder Gasanschluss abgestellt wird, wenn der Rückstand nicht ausgeglichen wird. Passiert das nicht, folgt ein zweites Schreiben, die sogenannte Sperrankündigung, und zwar lediglich acht Tage bevor Strom oder Gas tatsächlich abgestellt wird. Um die Energiesperre aufheben zu lassen, müssen die Schulden erst vollständig beglichen sein.

    #Berlin #Energie #Schulden #Soziales

  • „Es ist absurd, dass Herr #Scholz am zweistufigen Bilanzkontrollver...
    https://diasp.eu/p/12449135

    „Es ist absurd, dass Herr #Scholz am zweistufigen Bilanzkontrollverfahren festhält. Deutschland ist eine absolute Ausnahme in der EU. Überall sonst ist Bilanzkontrolle eine hoheitliche Aufgabe. Aber Herr Scholz verhält sich wie ein Verkehrspolizist, der den ADAC bittet die Alkoholkontrolle bei einem Raser zu übernehmen!“ #Wirecard https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/wirecard/wirecard-bgh-befreit-ey-von-verschwiegenheitspflicht-li.139300