Die Sinnfrage einer Berliner Taxidemo

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    3. März 2020 von Jürgen Hartmann - Am heutigen Dienstag wollen in Berlin zahlreiche Taxifahrer demonstrieren. Über den Sinn und Unsinn wurde bereits im Vorfeld heftig diskutiert. Nur bei einer besonnenen Durchführung wird diese Demo ihren Zweck erreichen.

    Aktualisierung am Tag nach der Demo: 1.500 Taxiunternehmer und -fahrer haben friedlich demonstriert, der Autokorso verlief geordnet und auch die weiter unten im Kommentar geäußerte Befürchtung, dass man keine Kernbotschaft setze, hat sich nicht erfüllt. Für den Tag der Demo haben die Veranstalter mit Unterstützung eines Berliner Taxiverbands drei Presse-Ansprechpartner benannt.

    Bereits vor zwei Wochen hatten sich rund 600 Taxiunternehmer und Taxifahrer vor dem Berliner Rathaus versammelt und protestiert. Anschließend wurde aus der legalen Demonstration ein illegaler Protest, als man spontan zum Flughafen Tegel fuhr und dort die Zufahrten lahmlegte – was in Berlin aufgrund der geographischen Begebenheiten ziemlich leicht ist.

    Ermutigt vom Zuspruch dieser Aktion haben die Veranstalter für heute nun eine „City-Crash-Demo“ angemeldet und es werden wohl deutlich mehr Teilnehmer sein als noch vor zwei Wochen.

    Keine Frage: Das Motiv, das aktuell die Berliner Taxiunternehmer und Fahrer auf die Straße treibt, ist pure Existenzangst. Gerade die mangelnden Kontrollen haben zu einer Mietwagenschwemme geführt. Der Großteil dieser Mietwagen ist für Uber und Free Now unterwegs. Beide Apps haben einen enormen Zuspruch in der Bevölkerung. Sie haben ihn unter anderem zum einen, weil ein kleiner Teil der Berliner Taxibranche eine zu schlechte Servicequalität abliefert. Sie haben diesen Zuspruch aber auch deshalb, weil die Fahrgäste über diese Dienste ein Fahrzeug bestellen können, das innerhalb weniger Minuten an der Abholadresse ankommt. Und das wiederum ist nur möglich, weil sich Uber- und Free-Now-Partner größtenteils nicht an die Rückkehrpflicht halten und so gegen geltendes Recht verstoßen. Wären die durchschnittlichen Abholzeiten aber 30 Minuten und länger, würden ganz schnell ganz viele Kunden diese Apps von ihren Smartphones löschen.

    Beide Faktoren haben aktuell verheerende Folgen für die Berliner Taxifahrer. Sie fahren trotz verlängerter Arbeitszeit seit Monaten rund 30 Prozent weniger Umsatz ein. Der milde Winter und aktuell die durch den Coronavirus bedingten Absagen vieler umsatzstarker Großveranstaltungen lassen die Einnahmen um 50 Prozent zurückgehen. Das ist für eine Branche, die schon bei normalen Geschäftsverlauf gerade so über die Runden kommt, verheerend. Wer heute mit seinem Taxi hupend durch Berlin fährt, setzt damit ein lautes Signal, weil man nicht mehr weiß, wie man am Ende des Monats noch die Miete bzw. von welchem Geld man die Schulhefte für die Kinder bezahlen soll.

    20.000 Berliner Taxiunternehmer und Fahrer fühlen sich aktuell politisch im Stich gelassen. Die Verantwortung für die heutigen Proteste tragen daher namentlich zwei Personen. Frau Günther, die zuständige Senatorin und der Regierende Bürgermeister Michael Müller, der als deren Chef längst gegen die Tatenlosigkeit und Ignoranz von Frau Günther hätte eingreifen müssen.

    Das sollte die eigentliche Kernbotschaft der heutigen Proteste sein. Aber wird sie auch ankommen? Es steht zu befürchten, dass die Veranstalter, Mitglieder einer Berliner Facebook-Gruppe, heute die gleichen Fehler wiederholen, die schon vor zwei Wochen für internen Unmut gesorgt haben. Dazu zählt in erster Linie, dass jene Veranstalter keine klare Botschaft aussenden, gegen was und wen man eigentlich demonstriert.

    Geht es immer noch gegen die Pläne von Verkehrsminister Andreas Scheuer, die Rückkehrpflicht abzuschaffen? Oder ist es der Hinweis auf einen gescheiterten Rechtsstaat, weil speziell Uber trotz Verboten durch zwei Landgerichte seinen Dienst immer noch betreibt und Free Now aus demselben Grund eigentlich auch verboten werden müsste? Oder ist es ein Protest gegen die Berliner Verwaltung, weil diese wie oben beschreiben nichts gegen die täglichen Gesetzesverstöße der taxiähnlich agierenden Mietwagenpartner unternimmt?

    Es ist von allen etwas, sagen die Demo-Verantwortlichen, aber genau diese Vermischung ist fatal. Gegen Scheuers Eckpunkte und der darin geplanten Aufhebung der Rückkehrpflicht für Mietwagen hat die Taxibranche nahezu das ganze Jahr 2019 protestiert und demonstriert. Unter anderem mit einem bundesweiten Protesttag am 10. April, an dem insgesamt 15.000 Taxiunternehmer und -Fahrer auf die Straße gegangen sind. Diese Bilder wurden von den heutigen Veranstaltern für die Demo-Ankündigung genutzt, obwohl die letztjährigen Proteste mit ihrer klaren Kernbotschaft „Scheuerwehr“ nicht von ihnen, sondern vom Bundesverband Taxi organsiert worden waren.

    Alle Aktionen 2019 hatten ein klares Ergebnis: Aus den Plänen wurde auch zwölf Monate später immer noch keine Beschlussvorlage. Stattdessen tagt am 13. März abermals eine Findungskommission und dort wird man mit sehr großer Wahrscheinlichkeit beschließen, die Rückkehrpflicht nicht abzuschaffen. Wenn man heute also gegen die Scheuer-Pläne demonstriert, ist das die unnötigste Demo, die Deutschland je erlebt hat.

    Da mag der Hinweis auf den zweiten Punkt noch eher gerechtfertigt sein. Die Tatsache, dass ein Fahrtenvermittler nachweislich von zwei Landgerichten (Frankfurt und München) zur Unterlassung seiner Auftragsvermittlung verurteilt wurde und trotzdem weitermacht, zerstört das Rechtsempfinden dermaßen, dass hier ein politisches Eingreifen dringend nötig wäre.

    Doch genau dies wird von den Administratoren der Berliner Taxi-Facebook-Gruppe gar nicht eingefordert. Es fehlt auch jegliche Aufklärung innerhalb der Gruppe darüber, dass dieses Urteil innerhalb des Wettbewerbsrechts gesprochen wurde und man deshalb von keiner Behörde die Umsetzung fordern kann, weil diese gegenüber Uber nicht als Wettbewerber auftreten und somit juristisch gesehen nur auf Basis des Verwaltungsrechts agieren können. Die Vollstreckung der Urteile aus Frankfurt und München kann nur durch das Taxigewerbe selbst vorgenommen werden – gelenkt und finanziert durch die Taxizentralen und damit indirekt durch die Mitgliedsbeiträge der Teilnehmer.

    Damit bleibt als einzig gerechtfertigter Protestgrund nur das Versagen der Berliner Behörde in Bezug auf die mangelhafte Durchsetzung des bestehenden Rechts zum Schutze von 20.000 Berliner Taxifahrern und Unternehmern (siehe oben). Der Erfolg der heutigen Taxidemo wird sich daran messen lassen müssen, ob diese Botschaft ankommt. Falls nicht, werden am Ende des Tages weder die Kunden noch die Politiker verstehen, warum tausende Taxifahrer die Hauptstadt am dritten März 2020 verkehrsmäßig lahmgelegt haben. Und im schlimmsten Fall, wenn die Proteste ähnlich eskalieren wie vor zwei Wochen am Flughafen Tegel, werden die Taxifahrer und Unternehmer nicht mehr als diejenigen wahrgenommen werden, denen man täglich Unrecht tut, sondern als diejenigen, die selber unrechtmäßig agieren. Und dann hätte diese Demo genau das Gegenteil dessen erreicht, was sie eigentlich erreichen wollte. Hoffentlich wird das nicht eintreten. jh

    Update 3.3.2020, 11.09 Uhr: Uns erreichen erste Bilder von der Demo. Ganz vorne wurde ein „Pressetaxi“ gekennzeichnet. Als Presssprecher gegenüber den Medien fungieren Heso Welat (hat die Demo angemeldet) und Carsten Reichert von der Innung des Berliner Taxigewerbes e.V. .

    Anbei zwei Statements, die Welat und Reichert gegenüber den anwesenden Reportern eben abgegeben haben.

    https://www.taxi-times.com/wp-content/uploads/2020/03/Audio-Heso-Welat.mp3

    https://www.taxi-times.com/wp-content/uploads/2020/03/Audio-Carsten-Reichert.mp3

    #Uber #Berlin #taxi #Demonstration