Comme d’habitude Thomas Fischer développe une idée sur plusieurs pages et traite les arguments les plus courants et les plus pertinents. Il est juge au plus haut tribunal d’Allemagne juste en dessous de la cour constitutionnelle. Dans ses articles il se permet des pointes polémiques qui ne sont certainement pas du goût de tout le monde, mais c’est une autre histoire. Ses points de vue sont toujours intéressants. Ici il parle de la répression de la prostitution.
Amnesty International fordert die weltweite Legalisierung der Prostitution. Die deutsche Moralgemeinde ist verwirrt – sie war gerade auf dem Weg in die Gegenrichtung.
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Für das Jahr 2014 weist die Polizeiliche Kriminalstatistik gerade einmal 500 Verdachts(!)-Fälle von Menschenhandel in Deutschland aus. Das „Dunkelfeld“ wird von sogenannten Fachleuten oft als gigantisch bezeichnet. Wenn das stimmte, wäre es freilich ein echtes Wunder, dass die Population der Zwangsprostituierten den unermüdlichen Befreiungsangeboten von Polizei und Beratungsstellen beinahe unerkannt zu entkommen scheint. Das könnte allerlei Gründe haben, dass auch hier ein Zwang wirkt, ist nicht ganz unplausibel, aber zirkelschlüssig (je weniger man sieht, desto mehr ist da). Tatsächlich wird die Dramatik aufgebauscht.
Das gilt auch für Behauptungen wie die, in Deutschland arbeiteten 400.000 Prostituierte, oder 1,2 Millionen Männer täglich (!) suchten Prostituierte auf. Diese Zahlen werden von Medium zu Medium weitergereicht und dabei jedes Mal ein bisschen nach oben abgerundet. Wer sie ermittelt hat, ist kaum festzustellen – geprüft sind sie nicht. Das gilt übrigens auch für die Zahl der männlichen Prostituierten. Die Bundesregierung erklärte im Jahr 2014 zu alldem zutreffend, verlässliche Zahlen lägen nicht vor.
Legendär ist die Prophezeiung der versammelten deutschen Medienlandschaft im Jahr 2006, an den Grenzen Deutschlands stünden 40.000 Zwangsprostituierte (!) bereit, um illegal nach Deutschland gebracht und hier von ausländischen (was sonst?) Zuhälterbanden in zwangskasernierter Form den Besuchern der Fußballweltmeisterschaft zugeführt zu werden. Tatsächlich registrierte die Polizei dann einen leichten Anstieg von Prostituierten – wie auch zu Messezeiten üblich. Von Zwangsprostituierten auch diesmal keine Spur.
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Seit 2002 gilt in Deutschland das Prostitutionsgesetz (ProstG).
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Das Gesetz regelte nicht, wie viele meinen, die grundsätzliche Erlaubtheit von Prostitution; die war auch zuvor schon gegeben. Es regelt vielmehr zunächst eine „Normalität“ von Prostitution in dem Sinn, dass sie anderen höchstpersönlichen Dienstleistungen rechtlich gleichgestellt oder angenähert wird: Der Vertrag, den eine Prostituierte mit einem Freier schließt, ist rechtlich wirksam, wenn die Dienstleistung tatsächlich erbracht wird. Das heißt: Der Freier kann die Erfüllung der Dienstleistung nicht einklagen. Die Prostituierte aber kann das Entgelt einklagen, wenn sie die Leistung erbracht hat.
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Die Polizei hat schon immer ein hohes Interesse an allem, was mit dem sogenannten „Rotlicht“ zusammenhängt. Das hat viele Gründe, unter denen historisch auch solche der sozialen Nähe waren, wie zwischen den „Schließern“ alter Art und den Gefangenen. In der Prostitutionsszene laufen viele Ströme der klassischen „Unterschichtskriminalität“ zusammen und produzieren Informationen, Zugriffsmöglichkeiten und Abhängigkeiten. „Sitten“-Dezernate der Polizei funktionieren daher oft ähnlich wie Rauschgift-Dezernate; und gelegentlich verschwimmen die Grenzen.
Die Verbitterung der Polizei wird unterstützt von einer breiten konservativen Stimmung, der „die ganze Richtung“ seit jeher nicht passt und die seit Langem die Regelungen des ProstG möglichst weit zurücknehmen will.
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Die weitaus meisten osteuropäischen, afrikanischen und asiatischen Prostituierten, die in Deutschland arbeiten, tun dies nicht aufgrund eines strafrechtlich erfassbaren Zwangs, sondern in der Absicht, durch vorübergehende (Saison-)Arbeit relativ viel Geld zu verdienen. Das kann man verwerflich finden oder auch nicht. Wären sie reich wie wir, würden sie es nicht tun. Wir sagen ihnen, dass sie ihre Würde nicht verkaufen, sondern lieber arm bleiben sollen. Denn wir sind gute Menschen, die sich um das Wohlergehen der Armen sorgen.
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Der Bundesjustizminister hat die explizite Regelung einer Freier-Strafbarkeit im Strafgesetzbuch angekündigt. Ähnlich wie in Schweden sollen solche Freier bestraft werden, die mit Prostituierten verkehren, die sie als Opfer von Menschenhandel erkennen. Die zahlreichen Einwände, die gerade auch aufgrund der schwedischen Erfahrungen mit der um sich greifenden Kriminalisierung des Prostitutionsgewerbes erhoben werden, werden durch die Entschlossenheit zu strafrechtlicher Sozialhygiene zum Schweigen gebracht.
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Bei dieser Gelegenheit: Ich habe noch nichts gehört über die angemessenen Strafen für die 50.000 geschiedenen Lehrerinnen und Journalistinnen, Bibliothekarinnen und Hautärztinnen jenseits der 49, die auch in diesem Sommer wieder an den Stränden und in den Lounges der Dritten Welt schöne junge Männer mit muskulösen Körpern und süß duftender Haut kaufen (Filmtipp: In den Süden von Laurent Cantet, mit Charlotte Rampling, 2005). Es sind nicht wenige, wenn wir den Magazinen und der Lebenserfahrung glauben dürfen, und sie handeln aus genau denselben Motiven wie die Tiere in den Bumsbombern nach Bangkok und Phuket.
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Kann das sein: Amnesty International entlarvt als Helfershelfer der Menschenhändlerbanden und Großverbrecher?
Die eifernden Tiraden sind moralisierender Unsinn. Sie gehen von einem Leitgedanken aus, der in Stein gemeißelt über allem schwebt und lautet: Prostitution ist schlecht, denn sie ist der Ausdruck gewaltdefinierter Ungleichheit und fremdbestimmter Entmenschlichung.
Dieselben gutmeinenden Menschen, die dieses Bild in Sauberkeitskampagnen verkünden und sich angeekelt abwenden von der Vermarktung höchstpersönlicher Intimität, verkaufen freilich nicht selten auf den Werbeseiten der Zeitungen ihr Lächeln an einen Zahnpasta-Produzenten, ihre Menstruation an einen Tampon-Hersteller, ihre innersten Gefühle an jede dahergelaufene Illustrierte und die Angst ihrer Mutter vor Demenz an die Pharmaindustrie. Wir müssen also fragen:
Was meinen die Bekämpfer der „Elendsprostitution“ eigentlich? Was ist das Substanzielle, Bedeutende am „Elend“, über das wir sprechen? Ich kenne Menschen, die sind „Elendszeitungsausträger“ oder „Elendstiefbauarbeiter“. Es soll schon „Elendsbergleute“ und „Elendsautomobilarbeiter“ gegeben haben – falls man damit meint, dass jemand durch Armut dazu gezwungen wird, fremdbestimmte, unangenehme Arbeit zu verrichten. An den Kassen von 10.000 Supermärkten sitzen „Elendskassiererinnen“, und gefühlte zweihunderttausend „Elendsfriseurinnen“ föhnen und färben täglich die erschreckenden Outfits von Menschen zusammen
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Wo auf der Welt Prostitution illegal oder gar strafbar ist, führt dies zur beinahe völligen Auslieferung der Prostituierten an Polizei- und Justizgewalt, an kriminelle Gewaltstrukturen und zu ihrer sozialen Randständigkeit mit gravierenden Folgen für Gesundheit und Lebenschancen. Wo eine (technische) Förderung der Prostitution auch dann strafbar ist, wenn sie weder ausbeuterisch noch nötigend auftritt, führt dies zur Stärkung gewalttätiger Ausbeutungssysteme.
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In vielen Ländern der Welt führt eine „moralisch“ legitimierte Verfolgung der Prostitution zur Rechtlosigkeit der Betroffenen und zur Zerstörung jener Strukturen, die ihnen ein halbwegs sicheres Leben ermöglichen könnten. Legalisierung bedeutet hier: Zurückdrängung von Polizeigewalt, von Korruption und von Auslieferung an die Gewaltstrukturen rechtsfreier Räume. In vielen, gerade auch islamisch geprägten Ländern, bedeutet Legalisierung (erstmalige) Anerkennung und minimale Sicherung der Existenzvon sexuellen Minderheiten, also vor allem von Homosexuellen und Transsexuellen.
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Wir vermarkten Sexualität heute in einem Maße, das historisch einmalig ist. Gleichzeitig übernehmen wir – auch hier wieder auf den Schweißspuren unseres großen Bruders jenseits des Atlantiks – ein Regiment des moralischen Rigorismus und der Frömmelei, das sich skurril ausnimmt vor der Kulisse des Silikon-Fetischismus und des allgegenwärtigen Wettlaufs um Virilität und Sex-Appeal bis ins Greisenalter. Der Fetischismus um sekundäre und tertiäre Geschlechtsmerkmale treibt Millionen von Menschen in wahnhafte „Therapien“ jeder Art. Von Plakatwänden und aus Videoclips springen uns 24 Stunden am Tag die Bilder junger oder sehr junger Menschen an, die uns mit nichts anderem als dem Versprechen von Geilheit auffordern, in unserem Leben einen Sinn zu sehen. Darf man Sie, verehrte Model-Contest-Veranstalter, liebe Misswahl-Organisatoren, fragen, warum ausgerechnet freiwillige Prostitution das untere Ende dieser Zivilisation darstellen soll?