SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch „Das digitale Debakel“ greifen sie einige der Leitfiguren des Valley auf sehr aggressive Weise an. Thiel und Kalanick haben Sie schon erwähnt, Mark Zuckerberg nennen Sie autistisch… Sind Sie wirklich so wütend?
Keen: Ich bin tatsächlich wütend darüber, welche Welt da gerade entsteht. Ich glaube, immer mehr Menschen sind zornig über eine Welt mit immer schärferer Ungleichheit. Ich habe gelesen, dass 0,1 Prozent der Bevölkerung in den USA jetzt mehr Reichtum besitzt als 90 Prozent der übrigen Amerikaner. Das ist natürlich nicht nur das Silicon Valley, aber es hat einen bedeutsamen Anteil daran. Zuckerberg, Larry Page, Sergey Brin, Jeff Bezos, die haben alle um die 30 Milliarden Dollar, sie alle gehören zu den 20, 30 oder 40 reichsten Menschen der Welt. Ich bin nicht neidisch auf diese Art von Reichtum, weil er mir abstrakt erscheint. Ich greife Kalanick an, weil er ein wirklich übler Kerl ist. Er verkörpert die schlimmste Sorte Hybris und Arroganz des libertären Unternehmers, und seine Firma Uber ist wirklich übel. Er ist ein fieser, furchteinflößender Kapitalist, der Verbraucher übers Ohr haut, seine Partner irreführt und so weiter.
SPIEGEL ONLINE: Und der deutschstämmige Paypal-Mitgründer Peter Thiel?
Keen: Thiel ist ein anderer Typ. Ich respektiere ihn sehr, er ist die klügste Person im Silicon Valley. Sein neues Buch „Zero to One“ ist hervorragend, stimulierend, gut geschrieben. Aber ich bin grundlegend anderer Ansicht, was den Markt und den Kapitalismus angeht. Ich mache mir Sorgen um die Verlierer dieser Welt, von denen es immer mehr gibt. Ihm scheint das egal zu sein, er ist kalt bis ins Herz. Er hat den Start-up-Unternehmer als eine Art Übermensch entworfen, einen Nietzsche’schen Supermann, der uns irgendwie in eine Welt voller Verheißung führen wird. Ich kann das nicht sehen. Ich fürchte, die Silicon-Valley-Übermenschen sind Leute wie Kalanick, die eher wie Raubritter sind wie die skrupellosen Kapitalisten des 19. Jahrhunderts.
SPIEGEL ONLINE: Was stört sie an Mark Zuckerberg?
Keen: Lassen Sie mich zunächst sagen, was an Mark Zuckerberg gut ist: sehr schlau, bemerkenswerter Charakter, offenkundig ein brillanter Anführer, sehr entschlossen. Er hat Dinge erreicht, von denen andere Unternehmer nur träumen können, kontrolliert weite Teile seines Unternehmens, ist viele Milliarden Dollar wert. Mein Problem mit Zuckerberg ist, dass er sich die Geschichte zurechtgelegt hat, dass das Social Web gut für die Menschheit ist. Ich bin da ganz anderer Meinung. Social Media erzeugen Zersplitterung, eine Echokammer, Isolation. Ich glaube nicht, dass Zuckerberg lügt, sich die Hände reibt und sagt: „Ich weiß, dass Social Media schlecht sind, aber ich werde behaupten, sie seien gut, weil es mir Geld bringt.“ Aber er glaubt, dass das, was er tut, der Menschheit nutzt und er ganz nebenbei Milliarden von Dollar verdienen kann. Er ist sicher nicht so schleimig wie Kalanick oder so ideologisch gefährlich wie Thiel, aber er steht für einen fatalen Widerspruch.
SPIEGEL ONLINE: Und der wäre?
Keen: Er hat im Laufe der Jahre alles Mögliche über Privatsphäre gesagt, eine Ideologie der Transparenz geschaffen, als ob wir alle fast eine moralische Verpflichtung hätten, der Welt alles über uns mitzuteilen. Aber in seinem Alltag ist er besessen von seiner eigenen Privatsphäre. Er hat sich in Palo Alto ein Haus gekauft und die drei Häuser drumherum gleich mit, als Pufferzone, als eine Art Maginot-Linie gegen die Außenwelt. Das zeigt die nie hinterfragte Heuchelei des Silicon Valley, dass wir reich werden und gleichzeitig die Welt verbessern können. Das stimmt einfach nicht.