Das Andenken der jüdischen Verlegerfamilie schwindet weiter. An ihr riesiges Verlagsgebäude zwischen Koch- Charlotten- Markgrafen und Mettestraße erinnert seit dem Luftangriff auf die südliche Friedrichstadt nichts mehr, nun ist auch ihre Villa am Dianasee endgültig verschwunden.
Bis vor einigen Jahren diente die Familienvilla der Allgemeinheit. In der wunderschön gelegenen Landschaftlich am Dianasee konnten Suchtkranke den Weg zu einem neuen Leben vorbereiten. Jetzt werden hier zu Preisen von 7K€ pro Quadratmeterchen aufwärts wohlhabende Neuberliner aus dem Land des Vodkas entspannen.
Na denn Tschüß. Ob das Gedenkschild an den Neubauten wieder angebracht wird ?
Bettinastraße Nr. 4
1898 benannt nach der Schriftstellerin Bettina von Arnim (1785–1859).
Villa Ullstein, heute: Gemeindepsychiatrische Klinik Eibenhof des DRK.
Gedenktafel
Hier lebte von 1903 bis 1935
HANS ULLSTEIN
18.1.1859 – 14.5.1935
Verleger, leitete mit seinen Brüdern
Hermann, Louis, Franz und Rudolf den vom
Vater Leopold gegründeten Ullstein-Verlag.
Nach 1933 vertrieben die Nationalsozialisten die
Verlegerfamilie aus Deutschland und beraubten
sie ihres Vermögens.
Die Gedenktafel wurde 1991 enthüllt. Leider sind die Angaben über die Aufenthaltsdauer von Hans Ullstein nicht ganz korrekt. Richtig müsste es heißen: „Hier lebte Hans Ullstein von 1913 bis 1935“. Darauf hat uns Sten Nadolny aufmerksam gemacht, der Berliner Schriftsteller, dessen Ullsteinroman vor wenigen Wochen erschienen ist. Er erzählt darin die Geschichte des aus Fürth stammenden Papierhändlers Leopold Ullstein, der 1877 mit 51 Jahren in Berlin ein neues Unternehmen gründete: den Ullstein-Verlag. Der Handel mit Papier, mit dem er ein Vermögen gemacht hatte, war ihm zu langweilig geworden. Mit großem Erfolg machte er bald den großen Berliner Zeitungshäusern Mosse und Scherl Konkurrenz. Die „BZ am Mittag“, „Berliner Illustrierte Zeitung“ und „Berliner Morgenpost“ wurden erfolgreiche Massenblätter. Die Vossische Zeitung machte zwar nur Verluste, aber sie war das liberale Aushängeschild für das Bildungsbürgertum, eine Art FAZ der Kaiserzeit und der Weimarer Republik. Ullstein stand insgesamt für Liberalität und Internationalität, Scherl für Konservatismus und Provinzialität.
Nadolny schreibt: „Alle Ullstein-Zeitungen entsprangen einer bestimmten Mentalität, die beim Leser den Hunger nach mehr erzeugte, mehr von dieser Mischung aus Ernst und Unernst, fortschrittsgläubig und optimistisch, selbstsicher und locker, ausgesprochen menschenfreundlich, ja auf schnodderige Art zärtlich, so nah wie möglich am Geschehen.“
Großen Erfolg hatten auch die Ullstein-Schnittmuster, eine Art Vorläufer dessen, was Frauenzeitschriften wie Brigitte später anboten. Sie wurden ergänzt durch „Ullsteins Blatt der Hausfrau“. Auch der Ullstein-Buchverlag produzierte Qualität und Bestseller. Viele Bücher erschienen parallel als Fortsetzungsromane in einer der Zeitungen. Einer der großen Bucherfolge wurde nach dem Ersten Weltkrieg der pazifistische Roman „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque.
Gemeinsam mit seinen Ehefrauen Matilda und später Elise hatte er 5 Söhne und 5 Töchter. Die Söhne führten den Konzern erfolgreich weiter, jeder spezialisierte sich auf ein Teilgebiet: Louis das Finanzielle, Hermann die politischen Leitlinien, Rudolf die Drucktechnik. Er sorgt dafür, dass Text und Fotografie in ein und demselben Rotationsvorgang kombiniert werden konnten, eine wichtige Voraussetzung für die massenhafte Herstellung von Illustrierten und den Abdruck von Fotos in Zeitungen. Rudolf Ullstein setzte auch den Bau des Druckhauses Tempelhof durch, und er sorgte dafür, dass die Sportberichterstattung immer mehr ausgebaut wurde. Bei vielen weltbewegenden Sportereignissen trat Ullstein als Sponsor auf, etwa bei der umjubelten Fahrt des „Eisernen Gustav“, eines Droschkenkutschers von Berlin nach Paris und zurück. So entstand ein Ullstein-Fieber. Ullstein wurde zur Legende, verbunden mit dem Mythos von Sportsgeist und Höchstleistung.
Hans Ullstein war der erstgeborene Sohn. Er studiert Jura und wird Rechtsanwalt, bis er als Justitiar in die Firma seines Vaters eintritt. Mit seiner Bescheidenheit wurde er zum ausgleichenden Faktor, der viele wichtige Entscheidungen vorbereitete und den Konzern unauffällig im Hintergrund steuerte. Zu vielen brisanten Themen schrieb er ausgewogene Leitartikel. Wie sein Vater engagierte er sich als einziger der 5 Söhne auch politisch: in der Berliner Stadtpolitik und in der Sozialpolitik. Er kaufte 1912 dieses Grundstück am Dianasee, das seine Frau Antonie ausgesucht hatte. Als die Familie ein Jahr später einzog, war er 54 Jahre alt. Er lebte mit seiner Frau hier bis zu seinem Tod 1935. Wegen einer immer ärgeren Schüttellähmung war er seit den 1920er Jahren an den Rollstuhl gefesselt und musste sich aus der Verlagsleitung zurückziehen.
Er fehlte als ausgleichender Faktor, und es mag auch daran gelegen haben, dass die vier anderen Brüder sich heillos zerstritten und schließlich Anfang der 30er Jahre gegeneinander prozessierten. Um Franz aus dem Verlag zu drängen, intrigierten die anderen gegen dessen Frau Rosie und konstruierten völlig aus der Luft gegriffene Spionagevorwürfe gegen sie. Als es schließlich zur Versöhnung kam, hatte Hitler die Macht in Deutschland übernommen, und es half den Ullsteins nichts, dass sie allesamt evangelisch waren. Ihre jüdische Herkunft reichte, um sie aus dem Konzern zu drängen. Im Zuge der sogenannten „Arisierung“ erhielten sie nur Bruchteile des Werts ihres Verlags, und selbst diese Bruchteile wurden ihnen noch abgenommen, bevor sie schließlich in letzter Minute emigrieren konnten. Aus dem Ullstein-Verlag wurde der „Deutsche Verlag“. Die Nazi-Nachfolger versuchten, den Namen Ullstein auszulöschen und dennoch an die Ullstein-Legende anzuknüpfen: Die Ullstein-Schnittmuster hießen jetzt Ultra-Schnitte, und die Ullsteinbücher hießen jetzt Uhlenbücher.
Der Sohn von Louis Ullstein, Heinz Ullstein, blieb in Deutschland. Seine Ehe mit seiner nichtjüdischen Frau Änne schützte ihn zunächst vor der Verfolgung. Aber Anfang 1943 wurde er verhaftet und in ein Sammellager an der Rosenstraße in Berlin-Mitte gebracht. Änne war eine der mutigen Frauen, die in der Rosenstraße gegen die Verhaftung ihrer jüdischen Männer protestierten. Änne hatte zwar bereits die Scheidung eingereicht, weil die beiden sich auseinander gelebt hatten, aber als er in Lebensgefahr geriet, stand sie zu ihm und leugnete gegenüber der Gestapo ihre Scheidungsabsicht. Er kam frei und überlebte. Auch er wurde Verleger und arbeitete in der Nachkriegszeit mit Helmut Kindler zusammen.
Der 1893 geborene Sohn von Hans Ullstein, Karl Ullstein, kam in den 50er Jahren nach Berlin zurück und kämpfte um die Lizenzen für die „Morgenpost“ und die „B.Z.“ Aber schließlich verkaufte er 1962 an Axel Cäsar Springer, der auch den Ullstein-Buchverlag übernahm. All das und viel mehr können Sie nachlesen in dem neuen dokumentarischen Roman von Sten Nadolny.
Tja, auch bei privaten Bauherren wird gerne mal aus 2011 2014 oder 2015 ...