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  • Abschiedsbrief von Hans Modrow - »Eine letzte Chance« 
    https://www.jungewelt.de/artikel/419210.partei-die-linke-eine-letzte-chance.html

    Der Ältestenratsvorsitzende von Die Linke warnt vor dem Scheitern der Partei

    Der Vorsitzende des Ältestenrates der Partei Die Linke, Hans Modrow, hat in der vergangenen Woche einen Brief an die Kovorsitzenden der Partei, Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler, gerichtet, jW dokumentiert im Folgenden das bislang nicht veröffentlichte Schreiben, das als Beitrag zur Diskussion vor dem Parteitag im Sommer in Erfurt gedacht ist.

    Liebe Susanne, liebe Janine,

    zum ersten Mal seit vielen Jahren blieb ich dem stillen Gedenken in Berlin-Friedrichsfelde fern, konnte nicht gemeinsam mit Euch und vielen anderen jene ehren, auf deren Schultern unsere Partei steht. Ich fehlte nicht aus politischen Gründen, wie manch anderer, sondern aus gesundheitlichen: Ich lag im Krankenhaus. Die medizinischen Diagnosen sind nicht eben freundlich, weshalb ich es für angezeigt halte, meine Angelegenheiten zu regeln. Darum auch dieser Brief. Er soll zugleich mein Beitrag sein für die Diskussion im Vorfeld des Parteitages in Erfurt.

    Die Partei Die Linke – hervorgegangen aus WASG und PDS, und diese wiederum aus der SED, welche ihre organisatorischen Wurzeln in der KPD und der SPD hatte – befindet sich in einer kritischen Situation. Diese entstand nicht erst durch das desaströse Resultat bei den Bundestagswahlen. Das Ergebnis machte die innere Verfasstheit lediglich sichtbar. Wenn die Partei sich nicht im klaren ist, wofür sie steht und was ihr Zweck ist, wissen dies auch nicht die Wähler. Warum sollen sie ihre Stimme einer Partei geben, deren vordringlichstes Interesse darin zu bestehen scheint, mit SPD und Grünen eine Regierung bilden zu wollen? Dass diese Vorstellung offenkundig in der Führung und unter den Mandatsträgern dominiert, ist weder dem Wirken einzelner Genossinnen und Genossen zuzuschreiben noch das Resultat einer einzigen falschen Entscheidung. Es ist Folge einer jahrelangen, jahrzehntelangen Entwicklung. Wann dieser Prozess einsetzte, und wer ursächlich dafür verantwortlich zeichnet, lässt sich sowenig beantworten wie die Frage, ob der Realsozialismus nach dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 oder mit dem Prager Frühling 1968 hätte gerettet werden können. Wir wissen es nicht.

    Alles auf den Prüfstand

    Wir kennen jedoch die demokratischen Spielregeln. Wir haben uns auf sie eingelassen, wie wir eben auch die gesellschaftliche Realität zur Kenntnis nehmen müssen, ob uns diese nun gefällt oder nicht. Schon Bismarck wusste und handelte entsprechend: »Wir müssen mit den Realitäten wirtschaften und nicht mit Fictionen.« Zu den demokratischen Spielregeln gehört es, dass nach einer krachenden Niederlage alles auf den Prüfstand gestellt werden muss. Die kritische Selbstbefragung schließt Personalien zwingend mit ein. Denn wenn alle Verantwortlichen im Amt bleiben, bleibt auch sonst alles beim alten. Es genügt nicht, Kreide zu fressen und Besserung zu geloben. Aus einem mit politischem Mandat ausgestatteten Saulus ist bislang noch nie ein Paulus geworden. Das war eine biblische Legende.

    Das Maß der Mitverantwortung ist bei jedem Parteimitglied unterschiedlich groß, am größten aber bei jenen, die die Partei führen. Der Bundesgeschäftsführer zum Beispiel trägt eine größere Verantwortung für Wahlstrategie und inhaltliche Ausrichtung der Partei als ein einfaches Parteimitglied – man kann sagen: eine entscheidende. Ansagen der Parteivorsitzenden finden eine höhere Verbreitung als die Meinung einer Basisgruppe; was in der Bundestagsfraktion gesagt wird, besitzt eine andere Wirkung als etwa eine Erklärung des Ältestenrates. Deshalb denke ich, dass ein Neustart nicht ohne personelle Konsequenzen erfolgen kann. Der Parteitag im Sommer in Erfurt ist nach meiner Überzeugung dafür die letzte Chance, es wird keine weitere geben.

    In der Partei, aus der ich komme, kursierte die Losung von der Einheit von Kontinuität und Erneuerung, wobei jedermann und jedefrau sah, dass die Erneuerung allenfalls Phrase war, um die Stagnation zu verdecken. Wohin dies am Ende führte, wissen wir alle. Marx irrte vielleicht doch, wenn er – Hegel zitierend – meinte, dass sich Geschichte zweimal zutrüge, »das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce«. Auch wenn sich Geschichte in Wahrheit nicht wiederholt, sind Analogien nicht völlig von der Hand zu weisen. Nach meinem Eindruck scheinen sich in unserer Partei bestimmte Prozesse zu wiederholen. Die SED ging zugrunde, weil die Führung selbstgefällig und arrogant, unbeirrt und unbeeindruckt ihren Kurs verfolgte und ignorierte, was die kritische Basis daran anstößig fand. Damit zerstörte diese Führung objektiv die Partei von oben. Das Ende ist bekannt.

    Am Ende meiner Tage fürchte ich die Wiederholung. Die politischen Folgen des Scheiterns vor mehr als 30 Jahren können wir im Osten Deutschlands besichtigen. Die Folgen des Scheiterns der Linkspartei werden ganz Deutschland und die europäische Linke insgesamt treffen. Das eine wie das andere ist irreparabel. Dessen sollten wir uns bewusst sein! Wir tragen darum eine große Verantwortung – jede Genossin, jeder Genosse und die Partei als Ganzes.

    Als Vorsitzender des Ältestenrates war ich mir immer dieser Verantwortung bewusst. Wir haben gemäß der Bundessatzung der Partei gehandelt: »Der Ältestenrat berät aus eigener Initiative oder auf Bitte des Parteivorstandes zu grundlegenden und aktuellen Problemen der Politik der Partei. Er unterbreitet Vorschläge oder Empfehlungen und beteiligt sich mit Wortmeldungen an der parteiöffentlichen Debatte.« Allerdings musste ich, mussten wir erleben, dass unsere Vorschläge und Empfehlungen ohne sichtbare Wirkung blieben, weshalb ich wiederholt auch öffentlich die Frage stellte, ob es dieses Gremiums überhaupt bedarf. Wir waren augenscheinlich überflüssig und lästig, was die Ignoranz deutlich zeigte. Unsere Erfahrungen brauchte niemand.

    In westdeutscher Hand

    Natürlich gibt es – wie in jeder Familie – auch in unserer Partei einen Generationenkonflikt. Die Neigung der Nachwachsenden, den Rat der Alten als Belehrung oder Bevormundung zu empfinden, ist mir nicht fremd: Ich war schließlich auch einmal jung. Zu diesem Konflikt kommt auch noch der der unterschiedlichen Herkunft. Wer im Osten geboren und aufgewachsen ist, hat eine andere Sozialisation erfahren als die Genossinnen und Genossen aus dem Westen. Sozialisation schließt ein: Bildung, Sprache, Umgangsformen, Mentalität, Erfahrung, Stabskultur … Das alles schwindet mit den Jahren, wie deren Träger auch verschwinden. Es wirkt jedoch nach. Über Generationen. Die Ostdeutschen, auch das muss gesagt sein, sind nicht die besseren Menschen. Sie sind anders. Das sollte sowohl in der Partei selbst als auch in ihrer politischen Arbeit bedacht werden. Geschieht das nicht, erhält man – wie jüngst geschehen – bei Wahlen die Quittung. Bundestagswahlen gewinnt man nicht im Osten, aber man verliert sie dort.

    Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass auch die Partei wie seinerzeit das östliche Land inzwischen in westdeutscher Hand ist. Ihre Vertreter und Verbündeten geben den Ton an. Wie im Staat gibt es keine Einheit, ich nenne den Zustand Zweiheit. Und das scheint nunmehr auch in der Partei der Fall zu sein. Ja, ich weiß, die Zusammensetzung der Partei hat sich geändert, viele junge Leute aus West wie Ost sind hinzugekommen. Sie kommen vornehmlich aus Städten und nicht vom Lande, haben andere Bedürfnisse und Interessen als wir damals, als wir in ihrem Alter waren. Um so wichtiger ist, dass wir ihnen bewusst machen, aus welcher traditionsreichen Bewegung ihre/unsere Partei kommt, was ihre Wurzeln sind und wofür Generationen gekämpft haben: nämlich nicht für die Stabilisierung des kapitalistischen Systems, sondern für dessen Überwindung.

    Und den Charakter des Systems erkennt man nicht mit Hilfe des Ausschnittdienstes und der sogenannten sozialen Medien, sondern aus Theorie und Praxis und deren Verbindung. Ich scheue mich deshalb nicht, eine systematische politische Bildungsarbeit in der Partei zu fordern. Natürlich ist das kein Allheilmittel, aber nützlich, um die Welt zu erkennen und zu bestimmen, was die Aufgabe der Partei ist. Auch wenn deren Zustand im steten Wandel begriffen ist, ändert sich der Charakter der Klassengesellschaft nicht. Lautmalerei, Anglizismen und Gendern oder der Kampf gegen die Klimakatastrophe überwinden die sozialen Gegensätze in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft nicht. Das vermeintliche Verschwinden des Industrieproletariats hat doch die Arbeiterklasse nicht ausgelöscht. Die Sozialforschung spricht inzwischen vom Dienstleistungsproletariat, und meint jene abhängig Beschäftigten, die für wenig Geld arbeiten müssen, um zu existieren: Krankenschwestern und Pfleger, Verkäuferinnen im Supermarkt und Außendienstmitarbeiter in Logistikunternehmen, Angestellte bei der Post, im Handel, in der Gastronomie und im Tourismus und so weiter. Sie machen laut jüngsten Untersuchungen inzwischen bis zu 60 Prozent der Beschäftigten aus und sind kaum gewerkschaftlich organisiert. Sie sind ebenso Arbeiterklasse wie die etwa 18 Prozent in Industriebetrieben Tätigen. Diese nahezu vier Fünftel der Gesellschaft kommen in der Wahrnehmung unserer Partei kaum vor. Es ist ja keine Klasse, keine Mehrheit, nur eine Randerscheinung …

    Kampf um den Frieden

    Nicht weniger gefährlich ist diese absurde Äquidistanz zur Außenwelt. Man kann nicht zu allen Bewegungen und Staaten den vermeintlich gleichen ideologischen Abstand halten. Wer in das gleiche Horn stößt wie die kapitalistischen Kritiker Russlands und Chinas, Kubas, Venezuelas usw. macht sich objektiv mit ihren erklärten wirtschaftlichen und politischen Gegnern gemein. Wollen wir ihnen im Kalten Krieg behilflich sein beim Anrichten eines Scherbenhaufens wie in den Staaten des arabischen Frühlings, in Afghanistan, in der Ukraine und in anderen Staaten, wo die Geheimdienste und die Militärmaschinerie des Westens wüteten? Natürlich sollen wir nicht alles gutheißen, was in anderen Ländern geschieht. Aber bei unserer Beurteilung ist es nicht nur nützlich, sondern auch nötig, die Perspektive der anderen einzunehmen. Im Kampf um den Frieden darf es keine Neutralität geben. Der christlich-europäische Kulturkreis, aus dem wir ebenso kommen wie Karl Marx und der ganze Kapitalismus, kann nicht die Elle sein, mit der wir die Welt vermessen. Es gibt Kulturvölker, die uns Jahrtausende voraus sind. Und es gibt Prioritäten, die auch Willy Brandt setzte: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.

    Liebe Susanne, liebe Janine, ich kann versprechen, Euch künftig mit Schreiben wie diesem zu verschonen. Meine Kraft ist aufgezehrt, ich kann nur auf die Enkel hoffen, die es besser ausfechten. Da schwingt Hoffnung mit. Und die stirbt bekanntlich zuletzt.

    Berlin, 17. Januar 2022

    In solidarischer Verbundenheit

    Hans Modrow

    Hans Modrow war von 1958 bis 1990 Abgeordneter der Volkskammer der DDR für die SED, deren Zentralkomitee er von 1967 bis 1989 angehörte. Von November 1989 bis April 1990 war er der vorletzte Ministerpräsident der DDR. Vom 3. Oktober 1990 bis 1994 war er Abgeordneter der PDS im Bundestag und von 1999 bis 2004 des Europaparlamentes. Er ist Vorsitzender des Ältestenrates der Partei Die Linke seit dessen Gründung 2007.

    Am Donnerstag, 27. Januar, feiert Hans Modrow seinen 94. Geburtstag. Er bittet statt um Blumengrüße um Spenden für die Tulpen-Aktion der Modrow-Stiftung. So sollen im kommenden Herbst 6.000 Tulpenzwiebeln auf dem OdF-Feld (Gräberfeld für Opfer des Faschismus) auf dem Zentralfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde gesteckt werden.

    Modrow-Stiftung IBAN DE 64 1009 0000 2703 3300 05, Kennwort: Tulpen-Aktion

    #Allemagne #politique #gauche #DDR

  •  »Berufliche Perspektiven wurden zerstört« 
    https://www.jungewelt.de/artikel/416344.antikommunismus-berufliche-perspektiven-wurden-zerst%C3%B6rt.html?s


    Rund 20.000 Menschen demonstrierten am 14. April 1973 in Dortmund gegen Berufsverbote

    Depuis bientôt 50 ans pour les communistes et d’autres personnes affichant des convictions de gauche les emplois dans la fonction publique allemande sont inaccessibles. Le "Berufsverbot" existe toujours dans les Länder où gouvernent le partis de droite.

    11.12.2021 von Lenny Reimann - Die »AG Berufsverbote« der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat eine Ausstellung zum Thema Berufsverbote erstellt, die bei der XXVII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 8. Januar 2022 gezeigt werden wird. Was hat es damit auf sich?

    Wir engagieren uns nunmehr seit Jahren dafür, dass Berufsverbote aufgehoben sowie deren Opfer entschädigt und rehabilitiert werden. Um den politischen Druck zu erhöhen und jüngere Generationen über dieses düstere Kapitel der deutschen Geschichte aufzuklären, haben wir eine Ausstellung mit insgesamt 18 Tafeln erstellt, die bei der RLK gezeigt werden soll.

    Am 28. Januar 1972 verabschiedeten die Ministerpräsidenten der Länder der BRD unter Vorsitz von Kanzler Willy Brandt, SPD, den sogenannten Radikalenerlass. Ziel war es, vermeintliche Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Wie viele Menschen waren davon betroffen?

    In Westdeutschland kam es bis 1986 zu etwa 3,5 Millionen politischen Überprüfungen aufgrund des »Radikalenerlasses«. Davon wurden in mehr als 10.000 Fällen Berufsverbotsverfahren eingeleitet. Rund 2.250 Bewerberinnen und Bewerber wurden daraufhin nicht eingestellt, 256 Beamtinnen und Beamte wurden entlassen. In Westberlin waren die Behörden sogar noch aktiver.

    Richtete sich die staatliche Kriminalisierung einzig gegen Kommunisten?

    Mehr als 90 Prozent der sogenannten Radikalen waren Linke. Es ging aber nicht nur um Mitglieder der DKP oder der SEW. Betroffen waren auch Gewerkschafter und Friedensbewegte sowie maoistische oder trotzkistische Gruppierungen. Auch Sozialdemokraten, die sich in der Außerparlamentarischen Opposition engagierten, und viele junge Menschen, die gegen den Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze, für Frauenrechte oder für eine demokratische Bildungsreform kämpften, standen im Visier. Es reichte damals schon, mit »Verdächtigen« in einer WG zu wohnen oder einen »Kapital«-Lesekurs besucht zu haben, um in die Fänge des sogenannten Verfassungsschutzes zu geraten.

    Welche Folgen hatte diese Kriminalisierung für die Betroffenen?

    Die berufliche Perspektive vieler junger Menschen wurde zerstört. Jahrelange Prozesse und finanzielle Nöte brachten viele nicht nur an die nervlichen Grenzen. Bekanntester Fall war in Westberlin Hans Apel, verbeamteter Lehrer mit vielen Meriten und zugleich SEW-Mitglied. Trotz großer Protestbewegung war seine Entlassung nicht zu verhindern.

    Wenn nicht die breite Solidaritätsbewegung Mut gemacht hätte, wäre der Widerstand leicht gebrochen. So aber solidarisierten und politisierten sich viele mit den Betroffenen: Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schüler, Studierende und Lehrlinge auf Demonstrationen und Kundgebungen.

    Die Verabschiedung des »Radikalenerlasses« jährt sich im Januar zum 50. Mal. Wie schätzen Sie die Chancen auf Aufarbeitung unter der neuen Bundesregierung ein?

    Es gibt schon jetzt eine Reihe von Initiativen, die darauf abzielen, dass sich die Bundesregierung und auch die Länderregierungen mit dem Thema befassen. Wir fordern, dass die Betroffenen entschädigt und das begangene Unrecht wissenschaftlich aufgearbeitet werden sollen, wie es einige Bundesländer schon im Ansatz getan haben. Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien sieht es allerdings eher so aus, als wolle man noch schneller und effektiver gegen kritische Geister jeder Art vorgehen.

    Welche Initiativen erwarten Sie von den Gewerkschaften, um den Druck auf die politischen Entscheidungsträger zu erhöhen?

    Zum 50. Jahrestag sehen wir eine erfreuliche Unterstützung durch die GEW, Verdi und die IG Metall. Auch dies hat dazu geführt, dass wir im September dieses Jahres einen Beschluss des Berliner Abgeordnetenhauses erreicht haben, in dem die Berufsverbotspraxis zumindest »bedauert« wurde.

    #Allemagne #anticommunisme

  • Rücksichtslos vernichtet - Babi Jar.
    https://www.jungewelt.de/artikel/411399.schoah-r%C3%BCcksichtslos-vernichtet.html

    Vor der Erschießung mussten die Kiewer Juden ihren Besitz abgeben und sich entkleiden. Das Mitglied einer deutschen Propagandakompanie Johannes Hähle fotografierte in der Schlucht von Babi Jar einige Tage nach dem Massaker die Bekleidung der Opfer
    ...
    Vor 80 Jahren verübten die Nazis in der Nähe von Kiew das größte Massaker des Zweiten Weltkriegs
    ...
    Über den Ablauf des Massenmordes berichteten die Täter in der »Ereignismeldung UdSSR Nr. 106« nach Berlin: »Einmal auf Grund der wirtschaftlichen Besserstellung der Juden unter bolschewistischer Herrschaft und ihrer Zuträger- und Agentendienste für das NKWD, zum anderen wegen der erfolgten Sprengungen und der daraus entstandenen Großfeuer, war die Erregung der Bevölkerung gegen die Juden außerordentlich groß. Hinzu kommt, dass Juden sich nachweislich an der Brandlegung beteiligt hatten. Die Bevölkerung erwartete deshalb von den deutschen Behörden entsprechende Vergeltungsmaßnahmen. Aus diesem Grunde wurden in Vereinbarung mit dem Stadtkommandanten sämtliche Juden Kiews aufgefordert, sich am Montag, den 29.9. bis 8.00 Uhr an einem bestimmten Platz einzufinden. Diese Aufrufe wurden durch die Angehörigen der aufgestellten ukrainischen Miliz in der ganzen Stadt angeschlagen. Gleichzeitig wurde mündlich bekanntgegeben, dass sämtliche Juden Kiews umgesiedelt würden.

    In Zusammenarbeit mit dem Gruppenstab und zwei Kommandos des Polizeiregiments Süd hat das Sonderkommando 4 a am 29. und 30.9. 33.771 Juden exekutiert. Geld, Wertsachen, Wäsche und Kleidungsstücke wurden sichergestellt und zum Teil der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, U. S.) zur Ausrüstung der Volksdeutschen, z. T. der kommissarischen Stadtverwaltung zur Überlassung an bedürftige Bevölkerung übergeben. Die Aktion selbst ist reibungslos verlaufen. Irgendwelche Zwischenfälle haben sich nicht ergeben. Die gegen die Juden durchgeführte ›Umsiedlungsmaßnahme‹ hat durchaus die Zustimmung der Bevölkerung gefunden. Dass die Juden tatsächlich liquidiert wurden, ist bisher kaum bekanntgeworden, würde auch nach den bisherigen Erfahrungen kaum auf Ablehnung stoßen. Von der Wehrmacht wurden die durchgeführten Maßnahmen ebenfalls gutgeheißen. Die noch nicht erfassten bzw. nach und nach in die Stadt zurückkehrenden geflüchteten Juden werden von Fall zu Fall entsprechend behandelt.«¹

    Der Bericht verdeutlicht, dass sich die Täter der Tragweite des Verbrechens in jeder Hinsicht bewusst waren und sie für ihre Taten Lob erwarteten, lief die Aktion aus Sicht der Nazis doch reibungslos ab.

    https://www.librarian.be/pdf/arturoui.pdf

    Epilog

    Ihr aber lernet, wie man sieht statt stiert
    Und handelt, statt zu reden noch und noch.
    So was hätt einmal fast die Welt regiert!
    Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
    Daß keiner uns zu früh da triumphiert –
    Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!

    Bert Brecht, Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui

    #génocide #nazis #shoa #histoire

  • Schule des Linksseins
    https://linkssein.de

    En voilà du dogmatisme. L’école pour être de gauche . Si toute la pensée de gauche se faisait à ce niveau...
    Travail impressionnant pour une seule personne et source pour des auteurs de droite en besoin de preuves pour la déchéance du marxisme.

    Menschenrechtsverletzungen in der BRD
    Geschrieben am 31. Dezember 2019 von Evariste

    BRD und Menschenrechte Wörter: 13460; Linkslevel: +3; Linke; Version: 0.9.3 — Menschenrechtsverletzungen beruhen auf Menschenverachtung — — Systematische Menschenrechtsverletzungen beruhen auf systematisch verbreiteter Menschenverachtung — Vorbemerkung Menschenrechte werden meist von linken Organisationen betrachtet und ihre Einhaltung von Linken angemahnt. Allerdings gibt es auch halb bürgerliche Menschenrechtsorganisationen wie Amnestie International, welche … Weiter lesen →
    Wie soll man denken?
    Geschrieben am 3. November 2017 von Evariste

    Wörter: 12604; Linkslevel: +4; Sozialisten; Version: 0.9.17-RC — — Serie zum Denken — — Version 0.9.17-RC-Vorbereitung Beitrag zur Steigerung der Intelligenz der diesbezüglich geneigten Leser Voraussetzungen Was ist schlimm an Mystifizierung? Was ist scharfes und unscharfes Denken? Was ist Demagogie? Diese Version ist noch β. Der … Weiter lesen →
    Wer arbeitet besser – Privatbetrieb oder öffentlicher Betrieb?
    Geschrieben am 5. August 2017 von Evariste

    Wörter: 2604; Linkslevel: -3 Rechte; Essentieller Artikel Einleitung Konservative verbreiten im Kapitalismus den Gedanken, daß private Unternehmen besser arbeiteten, als öffentliche Unternehmen. Dieser Gedanke spielt insbesondere als Begründung für „Privatisierungen“ eine Rolle. Der Gedanke wird oft wiederholt und findet sogar Eingang in “kulturelle Werke”. Kurz ausgedrückt gehört die Idee, Privatbetriebe … Weiter lesen →
    Linkes Lexikon E: Ebene bis Erwerbsarbeitszwang
    Geschrieben am 10. Juni 2017 von Evariste

    Linkes Lexikon E Ebene — 0. [Mathematik] zweidimensional darstellbarer Teil eines Vektorraumes mit quadratischer Metrik, so daß die Innenwinkelsumme von Dreiecken bei 180° bzw π liegt ; 1. Problemebene; 2. rhetorische Ebene; 3. intellektuelle Ebene Echte Sozialdemokraten — Einteilungsgebiet des politischen Spektrums – Lernlevel (+1) der … Weiter lesen →
    Was ist schlimm an Massentierhaltung?
    Geschrieben am 22. April 2017 von Evariste

    Wörter: 656; Linkslevel: -1 Nichtlinke Das Phänomen Die industrialisierte Landwirtschaft hat die landwirtschaftlichen Flächenerträge moderner Industriegesellschaften drastisch erhöht. Aufgrund dessen ist auch die Produktion von Fleischprodukten, die ein Resultat der hohen Flächenerträge sind, seit dem Zweiten Weltkrieg enorm angewachsen. In der Nachkriegszeit galten Fleisch- und Zucker-Waren als wünschenswerter Luxus. … Weiter lesen →
    Linkes Lexikon G: G7 bis Güte
    Geschrieben am 14. September 2016 von Evariste

    Renten, Sozialhilfe
    koppeln politisch an
    Einkommen ←←←←←←←←←←←←←←←←←←←←←←←← Löhne, Gehälter
    ∑ ↓ ↑
    Ausland = Ausland ← ← ← Gesamtkaufkraft ↑
    (konsum) (prod.) ↓ Binnen- ↑ Reproduktion
    ↓ ↓ nachfrage- ↓ der
    ↓ Außenhandel ↓ Kreislauf ↑ Arbeitskraft
    ↓ ↓ ↑
    Externe Nachfrage Binnennachfrage ↑
    ↓ ↓ ↑
    Markt →→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→→Wert→→Mehrwert=Profit
    (–)/ \(+) Absatz
    Marktschrumpfung(←) Marktwachstum(→)

    Weiter lesen →
    Was ist ein Systemverbrechen?
    Geschrieben am 2. September 2016 von Evariste

    Recht ist ein Instrument der formalen Absicherung der Privilegien der Herrschenden. Weiter lesen →
    Die Hierarchie des Rechts
    Geschrieben am 13. Juli 2016 von Evariste

    Ausgehend von der Funktionalität formalen Rechts erkennen wir eine Hierarchie des Rechts.
    Von oben nach unten
    1. Menschenrecht und Völkerrecht
    2. Verfassung
    3. Gesetze
    4. Verordnungen, adminstrative Erlässe
    5. Rechtspraxis Weiter lesen →
    Gibt es “Umvolkung”? – Was ist ein Volk? – Was ist falsch an völkischem Denken?
    Geschrieben am 6. Juli 2016 von Evariste

    Beispielsweise würde man heute die Bevölkerungen Haitis oder Südafrikas als Völker bezeichnen, obwohl sie durch Mischung entstanden sind.
    Mischung von Ethnien ist normal. Weiter lesen →
    Was ist schlecht an Ausländerfeindlichkeit? – Sozialchauvinismus als Ursache des Chauvinismus
    Geschrieben am 11. Juni 2016 von Evariste

    Wer den Sozialchauvinismus akzeptiert, kann die Ausländerfeindlichkeit erst recht nicht ablegen. Es gibt nur eine Feindlichkeit. Sie ist als Sozialchauvinismus vorgeschrieben und wird durch das Feindbild Ausländer trainiert und hat für den weiteren Umgang mit anderen Gruppen verheerende Folgen. Weiter lesen →
    « Ältere Beiträge
    Was soll das alles?

    Links-Sein lernen!: Da überall im politischen Spektrum unterschiedlich gedacht wird, wurden alle Beiträge (bis auf die, des Linken Lexikons) in Lernlevel eingeteilt. Diesen Lernleveln entsprechen derzeit die (untransformierten) Linkslevel.
    Linkslevelauswahl
    Ein Einstufungstest ist in Arbeit.
    Die Linkslevelauswahl verweist derzeit nur auf die unkommentierten Linkslevelkategorien.
    Auf den Linkslevelseiten gibt es jetzt eine Bewertung der Beiträge nach Essentialität und Werkzeugessentialität.
    Einige LL-Kategorien sind noch schlecht gefüllt. (Siehe rechts unten!)

    Fortschritt: Derzeit wird an den Linkslevelseiten, am Einstufungstest, an 4 Lexikonbuchstaben (U, E, G, K) und ca. 20 Beiträgen gearbeitet. die Theorie des politischen Spektrums ist in Arbeit. Der Buchstabe G ist in Kürze fertig.

    Was ist überhaupt der Unterschied zwischen links und rechts? (LL = ±0)

    Junge Welt in Gefahr

    Die Tageszeitung Junge Welt (jW) und die Pressefreiheit sind bedroht
    Zum Anfang dieses Jahres hat die Deutsche Post AG als quasimonoplistischer Zeitungszusteller die Preise für die Zustellung von Zeitungen um 2,8 Prozent für fast alle Zeitungen erhöht. Für die Junge Welt als einzigster Zeitung wurden diese Preise jedoch um 28,5 Prozent erhöht. Diese Diskriminierug bedroht die Pressefreiheit

    Schützt die Junge Welt!
    Dieser Angriff ist nur ein Test der Widerstandskraft des Volkes. Ein weiterer aktueller Fall ist der Fall des ‘Correktiv’-Chefredakteurs Oliver Schröm, gegen den wegen seiner Ermittlungen zu Cum-Ex-Geschäften von der Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt wird.

    Der rechte Vormarsch bringt Sozialabbau, Rechteabbau, Bildungsnotstand, Wohnungsnot, Barbarisierung, Frauenfeindlichkeit und Rassismus. In dieser Zeit wird eine radikal linke Tageszetung benötigt. Die Junge Welt kann man mit einem Abo unterstützen
    https://www.jungewelt.de/abo
    Die lange Pause

    Der Hauptautor ist seit drei Jahren mit der Theorie des Spektrums beschäftigt. Diese ist Grundlage dieser Seite und muß dargestellt werden. Daher ist die Publikationsrate vorübergehend drastisch gesunken. Die Arbeit geht aber weiter.

    Zuletzt überarbeitet

    CDU und Demokratie 15.03.2019
    Schlagwörter
    „Privatisierung“ Akkumulation Antikommunismus Asozialität Ausbeutung Ausländerfeindlichkeit BRD CDU DDR Demagogie Demokratie Eigentum Elend Faschismus Freiheit Gewalt Hetze Ideologie Imperialismus Kapitalismus Konkurrenz Krieg links Menschenrechte Nationalismus NATO neoliberal Politisches Spektrum Privateigentum an Produktionsmitteln Rassismus Recht rechts Ressentiment Ressentiments schlimm Schuld Solidarität Sozialchauvinismus Sozialismus Statusdenken Terrorismus Verachtung Verantwortung Verschleierung Waffen
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  • Die Kinder des Imperiums
    https://www.jungewelt.de/artikel/408747.usa-die-kinder-des-imperiums.html

    21.8.3021 von Pierre Deason-Tomory

    Eine kleine Militärgeschichte meiner amerikanischen Familie

    Wenn ich die Nachrichten aus Kabul höre, habe ich die Fernsehbilder mit dem Helikopter in Saigon vor Augen. Sie lösen ein dunkles Gefühl in mir aus. Ich bin das in Deutschland geborene dritte Kind aus der Ehe meiner Berliner Mutter mit U. S. Army Staff Sergeant (Oberfeldwebel) William Thomas Dea­son aus Milledgeville, Georgia, genannt Bill. Er entstammte einer armen Familie aus dem Süden, deren Söhne immer wieder in Uniformen gesteckt wurden, um dem Imperium zu dienen. Nur der erste in ihrer Ahnenreihe kämpfte gegen die USA.

    Wiley Deason war im Sezessionskrieg für die Kavallerie der Konföderierten geritten und kam einige Zeit nach Kriegsende mit einem ganzen Maultiertross, den er der Nordstaatenarmee abgenommen hatte, nach Milledgeville zurück. Er heiratete die Tochter des vermögenden Mister Parker, dessen Söhne gefallen waren, und war ein gemachter Mann. Seitdem haben die Deasons einen Familienfriedhof und eine ganze Reihe von doppelläufigen Flinten, von denen die jeweiligen Eigentümer wissen, dass nur ihr Gewehr dasjenige ist, mit dem Wiley damals die Nachschublinien der Yankees überfallen hat. Meins hängt bei meiner Mutter im Wohnzimmer.

    Wileys zahlreiche Nachkommen hatten sein Vermögen irgendwann durchgebracht. Mein Vater, seine vier Brüder und drei Schwestern sind in den 30er und 40er Jahren in bitterster Armut aufgewachsen. Die älteren Jungs – Big Charlie, Rufus, Wendell und Paul – wurden ab 1950 nacheinander einberufen und mussten nach Korea. Paul: »Ich sah eine Wand aus Chinesen auf mich zulaufen, es waren Hunderttausende, die Reihe für Reihe von unseren Waffen umgemäht wurden. Die armen Teufel. Das war die Hölle. Ich bin auf die Knie gegangen und habe mit Gott gesprochen, zum ersten Mal.«

    Mein Vater meldete sich 1952 mit 17 Jahren freiwillig. Seine Geschwister hatten ihn zum Musterungsbüro geschleift, nachdem der Vater gestorben und der Benjamin Vollwaise geworden war. »Damit der Junge versorgt ist.« Bei der Prüfung kam heraus, dass er weder schreiben noch lesen konnte, doch der Recruiter hatte Mitleid und füllte den Test für ihn aus. Als er nach der Grundausbildung im verwüsteten Korea eintraf, war der Waffenstillstand gerade in Kraft getreten.

    Sie ließen ihn Wassereimer den Berg hochschleppen, bis er einen Offizier beschwatzte, der ihn in einen Panzer setzte. Mitte der 50er wurde er in Berlin stationiert. Im August 1961 kam er am Abend nach Hause, legte sich neue Sachen heraus, putzte seine Stiefel und wartete auf den angekündigten Alarm. Das Telefon klingelte, und er verschwand für die nächsten 48 Stunden in der Kaserne. Dann führten 24 US-Panzer das Checkpoint-Ballett auf, das man von den Fernsehbildern her kennt. In einem der Tanks saß mein Vater.

    Die Panzer rochierten pausenlos hin und her, um Aktivität vorzutäuschen, während die GIs den ausdrücklichen Befehl hatten, sich sofort zurückzuziehen, sollte irgendein Idiot damit anfangen zu schießen. Checkpoint Chicken Shack (Hühnerstall) nannten sie den Checkpoint Charlie seitdem, hat Vater erzählt. Sie glaubten, dass die Sache abgesprochen war, empörten sich über die Feigheit der Zivilisten in Washington und waren insgeheim froh, dass es friedlich blieb im nervösen Berlin.

    David, der erste Mann meiner Cousine Paula K, war als junger Kerl nach Vietnam geschickt worden. Er saß eines Abends mit mir auf der Veranda der Farm, trank mein Bier und lachte. »Helden? Wir waren keine Helden, ich habe da unten nicht einen Helden kennengelernt. Wir saßen im strömenden Regen im Unterholz, es machte überall bumm, bumm, und wir haben uns eingeschissen, so war das.« Er war nur die übliche Zeit im Krieg, aber meine Cousine bekam nach seinem Tod ein Stipendium für die Tochter und wurde von der Kfz-Steuer befreit.

    Mein Cousin Mike war als Berufsoffizier länger in Vietnam, kehrte heim, heiratete eine bildhübsche Frau und wurde krank. Er hatte im Einsatz irgendwie das Zeug abgekriegt, das für die Vietcong vorgesehen war. Mehr als 20 Jahre lang lag er ohne Haare auf dem Kopf mit spastischen Lähmungen und Schmerzen im Bett in seinem wunderschönen weißen Haus am See, das ihm die dankbare Regierung bezahlt hatte. Als ich ihn im Frühjahr 1991 besuchte, erklärte er mir die Notwendigkeit des Krieges gegen den Irak, der gerade tobte. »Ich war immer ein Mann des Militärs«, murmelte er. Mike ist am 10. September 2001 (!) gestorben und wurde auf dem Militärfriedhof in Milledgeville beigesetzt.

    Mein Vater ist auf dem Familienfriedhof beerdigt worden, am 20. August 2008, ich war dort. Er hatte 21 Jahre lang gedient, war hochdekoriert und bekam das große militärische Zeremoniell mit Dudelsack, Trompete und 13 Schüssen Salut. Auf vielen Grabsteinen des Mount Nebo Cemetery sieht man Hinweise, dass der Verstorbene Veteran eines oder mehrerer Kriege gewesen ist, wie auf dem meines Vaters. Neben seinem Grab liegt das meines älteren Bruders Cliff. Ein Flugzeug ist in den Stein graviert und »R. O. T. C.«, was darauf verweist, dass er Kadett des Ausbildungsprogramms der Air Force war. Er sollte seinen Vater stolz machen. Er wollte nicht.

    #Berlin #histoire #USA #militaire #impérialisme #famille #Allemagne #Corée #Vietnam #Crise #armée

  • 10.04.2021 : Abbau Ost (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/400215.armut-und-konzernmacht-abbau-ost.html

    Les dirigeants politiques en Allemagne de l’Est font détruire les logements sociaux afin de faire place aux des investisseurs privés. L’appauvrissement de grandes parties de la population continue et prépare le terrains aux faux prophètes de l’extrême droite.

    Ostdeutschland ist das Eldorado für das deutsche Kapital. Der Staat fördert Konzernansiedlungen und schröpft die lohnabhängige Bevölkerung. So ist die Zahl der Sozialwohnungen auf dem Gebiet der DDR innerhalb von vier Jahren um knapp 43 Prozent gesunken. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Bundestagsabgeordneten Caren Lay (Die Linke) hervor, wie dpa am Freitag berichtete. Obwohl neue Sozialwohnungen gebaut wurden, schrumpfte der Bestand zwischen 2015 und 2019 von 102.116 auf nur noch 58.604 Wohnungen. Am stärksten war der Rückgang in Sachsen-Anhalt (mehr als 70 Prozent), wo Ende 2019 nur noch 3.510 Sozialwohnungen übrig waren. Auch in Brandenburg sank die Anzahl um mehr als 50 Prozent auf 24.850. Das Ganze ist ein Prozess des Verfalls: Während 2019 64.456 Wohnungen aus der Sozialbindung fielen, wurden im selben Jahr nur 25.565 neue preisgebundene Wohnungen gebaut.

    Steigende Mieten befördern das Armutsrisiko. Das verfügbare Einkommen schwindet. Die Coronakrise verschärft die Lage noch. Rund 3,6 Millionen Menschen waren – ohne statistische Tricks – im März erwerbslos gemeldet. Doch die staatlichen Lohnersatzleistung reichen nicht aus. Mehr als jeder zweite ALG-I-Bezieher erhielt weniger als 1.000 Euro im Monat. In Ostdeutschland sind es sogar zwei von drei Beziehern, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland am 25. März berichtete. Die durchschnittliche Anspruchshöhe beim Arbeitslosengeld lag im Jahr 2020 bei 1.024 Euro. Im Westen waren es im Jahresschnitt 1.047 Euro, im Osten 937 Euro. Wer hierzulande weniger als 1.040 Euro im Monat verdient, gilt als armutsgefährdet.

    Die SPD nimmt diese Entwicklung geduldig zur Kenntnis: »Die Aufstiegschancen aus den unteren sozialen Lagen sind in unserem Land in den letzten Jahrzehnten gesunken und verharren auf viel zu niedrigem Niveau«, schrieb die Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe im Parteizentralorgan Vorwärts am Donnerstag. In Ostdeutschland sei die »Dynamik« noch einmal geringer als im Westen. »Der Armuts- und Reichtumsbericht zeigt uns, dass an sehr vielen Stellen noch viel für die Sozialdemokratie zu tun ist. Wir kämpfen schon seit vielen Jahren für die richtigen Reformen«, schrieb Kolbe, deren Partei das Hartz-IV-Regime installiert hat. Für ihre Genossen ist sie voll des Lobes: »Wir haben in der Pandemie immer darauf geachtet, auch die sozialen Auswirkungen der Krise abzufedern.« Doch während Großkonzerne Dividenden an Aktionäre ausschütten und vom Staat Kurzarbeitergeld kassieren, bekommen Arme und Geringverdiener kaum etwas.

    Die Firmenchefs freuen sich über die günstigen Standortvorteile im Osten. Niedrige Löhne, geringe Tarifbindung und wenig Gewerkschaftsvertreter in den Betrieben schaffen ein prima Investitionsklima. Vorneweg die Auto­industrie. Der US-Autobauer Tesla wehrt sich in seinem Werk in Grünheide vehement gegen Gewerkschaftsvertreter. Auch der Deutschland-Chef des kanadischen Batterieproduzenten Rock Tech Lithium, Dirk Harbecke, ist euphorisch. Die Subventionen seien viel höher, frohlockte er gegenüber Business Insider am 2. April. Während in Hamburg oder Hessen nur zehn Millionen Euro einzustreichen wären, kassiere sein Konzern an der Grenze zu Polen idealerweise bis zu 45 Millionen Euro vom Staat. »Man kann in Ostdeutschland viel bewegen«, so der Manager.

    #Allemagne #logement #privatisation #capitalisme

  • Riders unite! | Lesejury
    https://www.lesejury.de/robin-de-greef/buecher/riders-unite/9783982203652

    ARBEITSKÄMPFE BEI DEN ESSENSLIEFERDIENSTEN - DAS BEISPIEL BERLIN
    Mit ihren auffälligen Rucksäcken prägen sie mittlerweile das Bild von Großstädten in ganz Europa und darüber hinaus: Rider genannte Kurierfahrer*innen, die auf Abruf Essen direkt vor die Haustür liefern. Sie sind Teil der Gig-Economy, einem Bereich des Arbeitsmarktes, der durch die Vermittlung prekärer Dienstleistungsjobs über digitale Plattformen gekennzeichnet ist.
    Die Plattform-Unternehmen wälzen dabei oft Verantwortung und Kosten auf die Beschäftftigten ab, welche im Arbeitsalltag tendenziell vereinzelt sind. Unerwartet kam darum, dass sich Rider seit dem Sommer 2016 vielerorts selbst organisieren und auch international vernetzen, um bis heute für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. In Berlin wurde die Kampagne Deliverunion gegründet, in der sich Rider der konkurrierenden Lieferdienste Deliveroo und Foodora zusammenschlossen und die durch das lokale Syndikat der Basisgewerkschaft FAU unterstützt wurde.
    Entlang dieses konkreten Beispiels gibt das Buch Einblicke in die Welt der Plattform-Unternehmen sowie den Arbeitsalltag und die Kämpfe bei den Lieferdiensten. Durch Auszüge aus Interviews kommt dabei die Perspektive der Rider selbst besonders zur Geltung.

    10,00 €
    inkl. MwSt
    VERLAG: Die Buchmacherei
    THEMENBEREICH: Gesellschaft und Sozialwissenschaften
    GENRE: keine Angabe / keine Angabe
    SEITENZAHL: 144
    ERSTERSCHEINUNG: 12.2020
    ISBN: 9783982203652

    Bestellen: https://www.buchhandel.de/buch/9783982203652?MVB-Kennnummer=5271615

    Leserbriefe (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/399848.serie-unsere-armut-ihre-profite-rider-im-gegenwind.html

    Leserbrief zum Artikel Serie »Unsere Armut – ihre Profite«: Rider im Gegenwind vom 01.04.2021:
    Gehaltvolle Untersuchung
    Zum ausgezeichnet detailreichen Bericht von Elmar Wigand über den Konzentrations-, Monopolisierungs- und Konkurrenzprozess bei den Lieferdiensten möchte ich auf ein wichtiges Büchlein zum Thema hinweisen: »›Riders unite!‹ – Arbeitskämpfe bei Essenslieferdiensten in der Gig-Economy – Das Beispiel Berlin«. Der Autor Robin de Greef ist ein Insider, der als Student – wie viele junge Leute – selbst als Rider bei Deliveroo und Foodora gearbeitet, darüber seine Bachelorarbeit geschrieben und daraus ein sehr lesbares Buch gemacht hat. Es ist im Dezember 2020 erschienen im Verlag Die Buchmacherei.

    Ein substanzreicher Untersuchungsbericht vor Ort, belegt durch viele Interviews mit Kurierfahrer/innen, mit Fotos und Schaubildern von ihren Arbeitskämpfen und Verortung der Arbeitsplattformen in der digitalen Ökonomie. Die anschauliche Schilderung der prekären Arbeitsweisen und Abhängigkeiten wird durch ein Glossar, ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis und erstmals dokumentierte Arbeitsverträge und Kündigungsschreiben ergänzt.

    Die Solidaritätserklärung von Berliner Taxi-Fahrern für die Rider in einem Gerichtsprozess gegen Deliveroo stellt die Verbindung zu ähnlich sich verschlechternden Arbeitsbedingungen her und betont die Notwendigkeit von unternehmens- und branchenübergreifendem Widerstand, solidarisch und international.
    Rainer Knirsch, Berlin
    Veröffentlicht in der jungen Welt am 02.04.2021.

    #Berlin #Taxi #Fahrradkuriere #Buch

  • 25.03.2021: Ohrfeigen zum Mittagsschlaf (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/399330.literatur-ohrfeigen-zum-mittagsschlaf.html

    25.03.2021, von Jürgen Heiser - Wie Anja Röhls »Das Elend der Verschickungskinder« mein eigenes verschüttetes Trauma ans Licht holte

    Es ist eine Binsenweisheit, dass Veränderungen nur durchsetzt, wer selbst quälende gesellschaftliche Verhältnisse erleidet. Sind die Betroffenen jedoch Kinder, kann es dauern. Oft können sie selbst erst als Erwachsene aktiv werden, wenn sie gelernt haben, wie das geht: Sich wehren, Widerstand leisten. Brennend aktuelles Beispiel ist das hundertausendfache Elend der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch kriminelle Täter der Amtskirchen und die Duldung und Vertuschung durch ihre Oberen.

    Das »Elend der Verschickungskinder« in der BRD, von dem jetzt das gleichnamige Buch von Anja Röhl berichtet, war lange Zeit als individualisiertes Leiden verschüttet. Viel zu lange, wie auch der Autor dieser Buchbesprechung bestätigen kann, der selbst im Alter von neun Jahren »Erholungskind« war, wie das im Rheinland der 1960er Jahre hieß. Der Vater, Straßenbahnfahrer bei der Düsseldorfer Rheinbahn, war glücklich, seinen Jüngsten über das Sozialprogramm seiner Firma sechs Wochen ins Allgäu schicken zu können. »Damit unser Kleiner endlich mal essen lernt und zunimmt«, hofften die Eltern. Doch nach der sechswöchigen »Erholung« fiel ihnen am Bahnhof ein schluchzendes Kind in die Arme.

    Was war nur passiert mit ihrem Kind in der Obhut der katholischen Schwestern des »Kinderkurheims Maria Theresia« in Kaufbeuren? Entsetzt erfuhren die Eltern, dass dort Essensentzug als Strafe verhängt wurde und tagtäglich ein zweistündiger Bettzwang zur Mittagszeit mit Ohrfeigen durchgesetzt wurde. Normale kindliche Regungen der Neun- bis Zwölfjährigen empfanden die Schwestern als »ungezogenes Benehmen« und ahndeten es oft mit urplötzlichen Züchtigungen. Angst war das Alltagsbrot unter der Obhut dieser sadistischen Truppe von Gottes Gnaden.

    Was die Kinder nach Hause schrieben, wurde zensiert. »Du willst doch auch, dass Mama und Papa nur Schönes zu lesen bekommen, oder?« Also wurde die Ansichtskarte unter Aufsicht neu geschrieben. Reiner Psychoterror. Für viele Kinder waren die Trennung von der Familie und das Ausgeliefertsein in fremder Umgebung der erste wirkliche Schock ihres Lebens.

    Von solchen Vorkommnissen berichtet die Sonderpädagogin und Journalistin Anja Röhl in ihrem Buch zu Hauf. Das Leiden betraf, so die Autorin, »mindestens acht bis zwölf Millionen Kinder«, die »in den 1950er bis 1990er Jahren Erholungs- und Kuraufenthalte in Kinderheimen und Kinderheilstätten« der BRD verbrachten. Seit Röhl, die selbst »Verschickungskind« war, das Problem in die Öffentlichkeit brachte, fassten viele Menschen Mut und trugen »Tausende von Erinnerungen« an »ein ganzes System von Gewalt und Erniedrigung« zusammen, wie es im Buch heißt.

    Die Autorin schildert, wie die »Verschickungskinder« erst erkennen mussten, dass sie nicht allein waren. So wie es auch dem Verfasser erging, dem die Buchbesprechung unverhofft zum Selbstzeugnis wurde. Da schrieb plötzlich das Kind aus dem Rheinland mit, das hoffte, zur »Erholung« im Allgäu auch endlich in so ein »tolles Ferienlager« zu reisen, wie es ihm seine beneidenswerten DDR-Freunde von ihren Pionier- und FDJ-Ferienlagern erzählten, wenn er jährlich einige Wochen bei der Familie seiner Mutter nahe Karl-Marx-Stadt verbrachte. Der Traum vom Abenteuer im Ferienlager verwandelte sich jedoch in den Alptraum eines Straflagers.

    So zeigte sich dem Rezensenten, dass dieses Buch ein Glück für alle ist, die noch ähnliche verschüttete Erfahrungen ans Licht zu holen haben. Röhls Grundlagenwerk steht für den Beginn einer Auseinandersetzung mit einem verschwiegenen Stück Elend der Kinder der Westrepublik. Es analysiert anhand der Betroffenenberichte den bislang von der Wissenschaft ignorierten Forschungsgegenstand, geht bis in die »Kinderheilkunde« des Nazifaschismus zurück und belegt, dass sich in den BRD-Kinderkurheimen das Unheil der »strafenden Pädagogik« der »NS-Schwesternschaft« fortsetzte. Es untersucht auch das lukra­tive Geschäftsmodell »Kinderkuren«. Aber es macht vor allem Mut, weil es davon zeugt, wie die früheren »Verschickungskinder« das individuelle Unglück heute in ein kollektives Erkenntnisprojekt verwandeln, um sich von diesem Trauma zu befreien.

    Anja Röhl: Das Elend der Verschickungskinder. Psychosozial-Verlag, Gießen 2021, 305 Seiten, 29,90 Euro

    Verein Aufarbeitung und Erforschung von Kinderverschickung e. V.: https://verschickungsheime.de/wissenschaft-und-forschung

    #Allemagne #pédagogie #nazis #colonies_de_vacances

  • Bien joué l’#Unef : maintenant, #Marine_Le_Pen donne des leçons d’#antiracisme

    Invitée de France Inter ce mardi 23 mars, la présidente du Rassemblement national, Marine Le Pen, s’est payé le luxe de rappeler à l’Unef les grands principes de l’universalisme républicain.

    Du pain béni. Invitée de France Inter ce mardi 23 mars, la présidente du Rassemblement national, Marine Le Pen, a atteint le Saint-Graal de la dédiabolisation : donner une leçon d’antiracisme à un syndicat de gauche.

    Le syndicat en question, c’est bien sûr l’Unef, au cœur d’une polémique depuis que sa présidente, Mélanie Luce, a reconnu mercredi 17 mars, au micro d’Europe 1, l’existence de réunions en #non-mixité_raciale - entendue au sens « social », et non biologique - « pour permettre aux personnes touchées par le #racisme de pouvoir exprimer ce qu’elles subissent ». Répondre au racisme par la #ségrégation, quelle bonne idée ! Sans s’engager plus avant sur le fond, force est de constater que l’Unef ne pouvait pas faire de plus beau cadeau à un parti qui, sans avoir renié sa dimension identitaire, a fait de la récupération du combat républicain l’un des gages de sa nouvelle respectabilité.

    « C’est du racisme. On nous a expliqué pendant des années que le racisme est un délit, et heureusement d’ailleurs, s’indigne ainsi Marine Le Pen. C’est profondément immoral ce qu’ils font. » Moins regardante lorsqu’il s’agit d’investir un ancien cadre de Génération identitaire, en la personne de Damien Rieu, comme candidat pour les élections départementales, la présidente du RN se paie le luxe de rappeler les principes fondamentaux de l’universalisme à l’Unef : « Ils rompent avec toute la tradition républicaine, qui consiste dans leur esprit à séparer les gens en fonction de leurs races. Je les appelle à la lecture de la Constitution française : chacun est égal devant la loi quelle que soit sa race, son origine ou sa religion. »

    « On parle ici d’organisation d’ateliers réservés aux noirs ou interdits aux blancs. Je pense que cette #pensée_racialiste est une #pensée_séparatiste, qui devrait d’ailleurs peut-être tomber sous le coup de la loi contre le #séparatisme », martèle Marine Le Pen. Rappelons que, contrairement aux réunions non mixtes réservées aux femmes pour des raisons évidentes, aucune exception légale n’autorise qu’une différence de traitement soit opérée en fonction de la « #race » sans que celle-ci ne soit considérée comme discriminatoire.

    « Il faut les poursuivre »

    La présidente du Rassemblement national a donc beau jeu d’enfoncer le clou : « C’est un syndicat qui commet des #actes_racistes, incontestablement. Alors il faut les poursuivre de ce fait, et s’ils persistent avec ce fonctionnement raciste - soutenu d’ailleurs par monsieur Hamon et par monsieur Mélenchon, ça en dit long sur la dérive de monsieur Mélenchon notamment de soutenir ces actes racistes. »

    Sur son blog, le chef de file insoumis a affirmé voir dans l’attaque contre l’UNEF « une impressionnante démonstration de l’efficacité de la nouvelle tactique de combat de l’#extrême_droite en France », évacuant la question de la non mixité raciale en quelques lignes : « Le mode d’#inclusion par une #exclusion provisoire est encore et toujours un mode ordinaire de travail. Il fonctionne comme un espace d’écoute et de réflexion dans un cadre rassurant pour ceux qui y participent. C’est le ressort simple du principe de #reconnaissance_mutuelle et d’#entraide. »

    Notons au passage que plusieurs cadres du Rassemblement national, par ailleurs grands pourfendeurs de la « #cancel_culture », ont immédiatement réclamé la dissolution de l’Unef. Marine Le Pen s’en tient, elle, à une position plus modérée, en affirmant : « Je suis plutôt contre les dissolutions de manière générale, je suis plutôt pour la préservation de la liberté d’association, sauf quand il y a des appels ou des actes de violence, comme c’est le cas pour les black blocs. » La présidente du Rassemblement national ne peut pas être sur tous les fronts...

    https://www.marianne.net/politique/le-pen/bien-joue-lunef-maintenant-marine-le-pen-donne-des-lecons-dantiracisme
    #non-mixité

    ping @isskein @cede

    • Mélanie Luce (Unef) : « Une polémique infâme et calomnieuse »

      Dans « À l’air libre » mardi, la présidente de l’Unef revient sur les accusations portées contre son syndicat. « Toute cette polémique sur les réunions en non-mixité, ça nous empêche de parler des vrais sujets », dénonce-t-elle.

      https://www.youtube.com/watch?v=etQFmZaDHTA&feature=emb_logo

      https://www.mediapart.fr/journal/france/230321/melanie-luce-unef-une-polemique-infame-et-calomnieuse

    • Quand un syndicat d’étudiants exclut les blancs de ses réunions

      Ciblage de professeurs pour « islamophobie », organisation de réunions où les blancs sont exclus, le syndicat d’étudiants UNEF subit une étrange dérive.

      C’est une interview (http://ais.cloud-services.paris/europe1/prod/audio/emissions/linterview-politique-de-8h20-1861043/IEP-de-Grenoble-C-etait-une-erreur-de-relayer-ces-photos-confe) menée comme un brutal réquisitoire, la semaine dernière sur Europe 1, qui a laissé la présidente de l’UNEF, #Mélanie_Luce, sur le flanc. Depuis ce matin-là, mercredi 17 mars, son organisation, le deuxième syndicat d’étudiants du pays, autrefois tout-puissant et pépinière à talents du PS – Jack Lang ou Lionel Jospin y ont fait leurs armes – est la cible d’attaques féroces. Certains demandent son interdiction ou le retrait de ses subventions, tandis que d’autres volent à son secours. Son crime ? Mélanie Luce a reconnu qu’il arrivait à l’UNEF d’organiser des réunions en non-mixité raciale. En clair : avec uniquement des participants « racisés », donc pas de blancs…

      Mélanie Luce a beau se débattre et multiplier les explications : « Ces groupes non mixtes, nous ne les avons pas inventés, se justifie-t-elle dans « Le Figaro » : ils sont pratiqués depuis des dizaines d’années dans les associations féministes. » De plus, ces réunions sont rares, « deux ou trois fois par an, au maximum », sans rôle décisionnel, juste pour permettre aux participants « d’exprimer les discriminations qu’ils peuvent subir ». Ce qu’on accepte chez les féministes, pourquoi le refuse-t-on aux Noirs et aux « racisés », demande-t-elle ?

      Mais exclure les Blancs, se revendiquer comme « racisée » (Mélanie Luce est née à Toulouse de mère guadeloupéenne), n’est-ce pas accréditer l’idée de race et en définitive sombrer dans une forme nouvelle de racisme ? « Dire que je suis racisée, cela signifie simplement que je ne suis pas blanche, explique-t-elle. La société me fait comprendre au quotidien que, à ma couleur de peau, on me rattache à des stéréotypes. […] S’il n’existe pas de races biologiques, il existe des races sociales. »
      Blanquer indigné

      Ces explications n’ont fait qu’attiser la polémique. « Ceux qui se prétendent progressistes et qui distinguent les gens en fonction de leur peau nous mènent vers des choses qui ressemblent au fascisme, c’est extrêmement grave », a réagi le ministre de l’Éducation Jean-Michel Blanquer sur BFM TV. « L’UNEF a fait un choix d’un clientélisme indigéniste exacerbé totalement scandaleux », ajoute pour sa part le chef du groupe parlementaire LREM, Christophe Castaner, tandis que le porte-parole du Rassemblement national, Sébastien Chenu, ou le député républicain Éric Ciotti demandent la dissolution de l’UNEF.

      Le problème, c’est que le syndicat étudiant n’en est pas à sa première dérive. Il y a trois semaines, à l’école Sciences Po de Grenoble, des affiches dénonçant deux professeurs avec les mots « l’islamophobie tue » étaient relayées sur les comptes sociaux de l’organisation. Quelques mois après l’assassinat de l’enseignant Samuel Paty, de tels propos frôlent l’incitation au meurtre. Si Mélanie Luce a dénoncé ces affiches, elle reste confuse sur le sujet. Dans l’interview d’Europe 1, à la question « En France, est-ce l’islamophobie qui tue, ou l’islamisme ? » elle a répondu : « Les deux », invoquant le cas de « Biarritz récemment ». En réalité, c’était à Bayonne, en 2019, une attaque contre une mosquée qui avait fait deux blessés. Mais pas de morts…

      https://www.tdg.ch/quand-un-syndicat-detudiants-exclut-les-blancs-de-ses-reunions-881553498749

    • Les réunions non mixtes par #Laure_Adler...

      https://twitter.com/Ccesoir/status/1375204092008620036

      Transcription :

      "Je peux vous raconter qu’effectivement le #Mouvement_de_libération_des_femmes, quand il s’est constitué, il est né sur le principe que quand on se retrouvait entre femmes uniquement quelque chose allait se produire. Une autre parole surgissait, on ne parlait pas du tout de la même manière. Moi-même j’étais très jeune et j’étais la première étonnée. Moi j’aimais bien être avec des garçons et avec tout le plaisir qui s’en suit, mais quand je me suis retrouvée avec des filles, et uniquement avec des filles, je me suis aperçue que ce qui surgissait comme type de parole étaient des paroles totalement inattendues, à la fois des camarades filles qui étaient dans les mêmes groupes de parole, mais de moi aussi. Et qu’il y avait une écoute, une bienveillance, qui n’existait pas dans les réunions festives. Quelque chose se produisait, mais nous rapportions tous les ans à la mutualité, ça se passait à Paris, devant des assemblées mixtes, le fruit de notre travail dans les groupes de parole. Je crois que c’est encore un outil de libération que de se retrouver, quand on subit une discrimination, et on subissait une discrimination sexuelle même si on est une majorité de femmes, on subit toujours une discrimination sexuelle et on est considérées comme une minorité... C’est une étape assez révolutionnaire pour se comprendre soi-même et pour pouvoir articuler des principes de combat et peut-être de compréhension avec les garçons. En fait, ils nous ont beaucoup respectées pour avoir tenu ces groupes de parole. Ils nous ont écoutées et d’autre part, conclusion, ils nous ont laissées parler plus qu’avant. Parce que le nombre de fois où quand des garçons et des filles sont ensemble et on ferme la gueule des filles parce que ce sont des filles, y compris dans les réunions de travail, là on a été considérées autrement.

      #MLF #parole #libération #considération #respect

    • Et en #Allemagne, pendant ce temps...
      Der Staat gegen junge Welt
      https://www.jungewelt.de/artikel/402007.in-eigener-sache-der-staat-gegen-junge-welt.html

      –-> « D’après le gouvernement allemand l’idée de l’existence de classes sociales constitue une violation des droits de l’homme », nous apprend @klaus :
      https://seenthis.net/messages/914586

      –—

      L’article paru dans Junge Welt dans son intégralité :
      Der Staat gegen junge Welt

      Fensterreden von Regierungspolitikern für die Pressefreiheit. Unterdessen versucht die Regierung dieser Zeitung den Garaus zu machen.

      Großer Bahnhof im Parlament: Mehr als eine Stunde widmete der Bundestag am Freitag der Debatte um die Lage der Medien und der freien Berichterstattung. Einen äußeren Anlass dafür bot der Welttag der Pressefreiheit am 3. Mai. Geht es um Beschränkungen journalistischer Arbeit in Ländern wie China, Russland oder Kuba, lässt die Regierung sich nicht lumpen, verteilt großzügig Kritik und gute Ratschläge. »Menschen brauchen freie und unabhängige Informationen – ohne sie kann Demokratie nicht funktionieren«, hatte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Montag erklärt und mit dem Finger in andere Weltgegenden gewiesen.

      Doch standen am Freitag im Plenum beim Thema Pressefreiheit und Medien ausnahmsweise die hiesigen Zustände auf der Tagesordnung, mit Anträgen der Fraktionen unter den Überschriften »Journalisten schützen – Pressefreiheit gewährleisten«, »Für einen freien und fairen Medienmarkt – Desinformation mit Qualität begegnen« (beide FDP) oder »Pressefreiheit und Journalistinnen und Journalisten besser schützen« (Die Linke). Für die SPD ergriff Martin Rabanus am Pult das Wort, verwies mit geschwellter Brust auf das von seiner Partei beschlossene »Aktionsprogramm freie und unabhängige Medien« und betonte: »Die SPD hat stets und wird stets die Presse- und Meinungsfreiheit gegen ihre Gegner verteidigen.«

      Kleiner Schönheitsfehler: Die an der Bundesregierung beteiligten Sozialdemokraten haben die Reaktion auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion mitzuverantworten, die Rabanus’ Worte ad absurdum führt. Die betreffende BT-Drucksache 19/28956 trägt die Überschrift »Presse- und wettbewerbsrechtliche Behinderung durch Nennung der Tageszeitung junge Welt im Verfassungsschutzbericht« – und die Antworten haben es in sich. So bekennt sich die Regierung freimütig zur geheimdienstlichen Überwachung dieses unabhängigen Mediums und rechtfertigt entsprechende Schritte staatlicher Cancel Culture offensiv. Der jungen Welt wird generell Verfassungsfeindlichkeit unterstellt, und mit Blick auf den von ihr vertretenen »revolutionären Marxis­mus« konstatiert, dieser richte sich »gegen Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung«: »Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde«, so die Bundesregierung unter anderem in ihrer Stellungnahme. Offen wird ausgesprochen, dass es darum geht, der jW auch ökonomisch zu schaden.

      Nicht ohne Witz: Ausgerechnet am 5. Mai, dem 203. Geburtstag von Karl Marx, war das regierungsamtliche Papier der Linksfraktion zugestellt worden. In Reaktion auf Rabanus’ Fensterrede ergriff die Linke-Abgeordnete Gesine Lötzsch im Bundestag das Wort: »Ich sage ganz deutlich: Ich bin der Auffassung, die Beobachtung einer Tageszeitung durch den Verfassungsschutz ist nicht hinnehmbar. Wir als Linke können das nicht akzeptieren. Ich hoffe, dass das andere Fraktionen in diesem Bundestag auch nicht akzeptieren können.« Bislang hat man diesbezüglich leider wenig gehört.

      In der Kriminalisierung einer wissenschaftlichen Weltanschauung sieht junge Welt einen handfesten politischen Skandal, der nicht nur diese Zeitung betrifft, sondern progressive Menschen als solche. Redaktion, Verlag und Genossenschaft haben sich daher mit einem dringenden Appell gegen diesen staatlichen Angriff auf die Pressefreiheit an die Öffentlichkeit gewandt und werden sich mit allen verfügbaren rechtlichen Mitteln dagegen zur Wehr setzen.

      Wer hat Angst vor wem?

      Diejenigen, die sich nicht scheuen, gegen Faschismus, Rassismus, Krieg und Ausbeutung einzutreten? Die dafür mit Verfolgung und Repression rechnen müssen? Oder diejenigen, die Verfassung und die herrschenden Verhältnisse »schützen«?

      Für alle, die es wissen wollen: Die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) gratis kennenlernen. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.

      https://www.jungewelt.de/artikel/402007.in-eigener-sache-der-staat-gegen-junge-welt.html

  • 06.03.2021: Digitaldroschken on Tour (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/397866.digitaldroschken-on-tour.html

    6.3.2021on Ralf Wurzbacher - Bundestag beschließt Uber-Gesetz

    Die Befürchtungen waren groß. Ganz so schlimm wie erwartet dürfte es für das hiesige Taxigewerbe indes nicht kommen. Am Freitag verabschiedete der Deutsche Bundestag das »Gesetz zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts« (PbefG). Auf den letzten Metern der parlamentarischen Beratung wurden Schranken in den neuen Rechtsrahmen eingezogen, die den Siegeszug App-gestützter Anbieter wie Uber, Moia oder Free Now vielleicht ein wenig verlangsamen könnten. So unterliegen künftig sämtliche Dienste einer Genehmigungspflicht. Alle Beschäftigten, egal ob im Taxi-, Mietwagen- oder Poolingverkehr tätig, brauchen einen einheitlichen Qualifikationsnachweis. Und die Kommunen bekommen Hebel in die Hand, um die absehbare Unterbietungsschlacht bei Löhnen und Arbeitsbedingungen wenigstens einzuhegen.

    Das alles sind nette Versuche unter dem Label Regulierung statt Liberalisierung, die aber am Durchmarsch der Gig Economy (kleine Aufträge, kurzfristig vergeben an eine Vielzahl von unabhängigen Freiberuflern) nichts ändern werden – und sollen. Michael Oppermann, Geschäftsführer beim Bundesverband Taxi und Mietwagen (BVTM), ahnt Ungemach: »Der Wettbewerb der Taxiunternehmen mit den internationalen Plattformen ist ein Kampf David gegen Goliath.« Die Bundesregierung habe entschieden, »dass die Regeln für Goliath nicht gelten«. Schon 2019 verdingten sich 90 Prozent aller vollzeitbeschäftigten Berliner Taxifahrer mit einem Verdienst unterhalb der Niedriglohnschwelle. Wenn demnächst die »Digitaldroschken« nicht länger nur per Experimentierklausel kutschieren dürfen, sondern als »gleichberechtigte Marktteilnehmer«: Wie tief soll das Taxigewerbe dann noch sinken?

    Im Gesetzestext ist von einem »fairen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Beförderungsformen« die Rede und »entsprechenden Steuerungsmöglichkeiten«. Eine solche bestand bereits in Form der sogenannten Rückkehrpflicht für Mietwagen. Danach müssen Uber und Co. ihre Chauffeure nach jeder Fahrt zum Firmensitz beordern. Allerdings ließen sich die Vorgaben bisher schon gefahrlos unterlaufen, weil es wegen kaputtgesparter öffentlicher Verwaltungen an den nötigen Kontrollen fehlt. Nun bekommt der Papiertiger sogar Nachwuchs. Die neuen Bestimmungen halten zwar an der »Rückkehrpflicht« für Mietwagen vom Grundsatz her fest. Allerdings erlauben sie diverse Ausnahmen, die sich mit ein bisschen Lobbyarbeit auf Städte- und Gemeindeebene leicht werden durchsetzen lassen.

    Die von Taxiverbänden geforderte Vorbestellfrist von mindestens einer halben Stunde für Mietwagen fand keinen Eingang ins Gesetz, ebensowenig wie eine »klare Plattformregulierung«, womit Lohn- und Sozialdumping der Regelfall bleiben werden. Die Verantwortlichen wissen das. In einer Beschlussempfehlung des Verkehrsausschusses heißt es: »In großen Städten (über 100.000 Einwohner) wird von einer erhöhten Gefahr eines ruinösen Wettbewerbs und einer daraus folgenden Beeinträchtigung der öffentlichen Verkehrsinteressen ausgegangen.«

    #Uber #Taxi #Bundestag #Recht #disruption

  • Widerstand im Nordkiez
    https://www.jungewelt.de/artikel/397911.gentrifizierung-widerstand-im-nordkiez.html

    50 ans après sa phase initiale les forces de droite préparent l’élimination des dernières bastions du mouvement de squatteurs berlinois. Il s’agit de leur sujet de prédilection qu’ils sortent du casier pour réveiller haine et convoitise chez les petits bourgeois réactionnares. Le spectacle immonde continuera jusq’aux élections municipales et nationales en septembre.

    Cette campagne de « propagande de l’action » trouve sa raison dans le refus de la majorité des berlinoises et berlinois d’accepter les lois du marché immobilier et leur soutien pour une limitation des loyers par la loi. C’est aussi la réponse de la droite au référendum pour la socialisation des immeubles en possession des grandes entreprises qui est actuellement en cours.

    https://www.openstreetmap.org/node/1309021893

    8.3.2021 von Michael Merz -Polizeiaufmarsch in Berlin-Friedrichshain. Vorwand: »Brandschutzbegehung«

    Einen Vorgeschmack darauf, was die Menschen im »Nordkiez« des Berliner Stadtteils Friedrichshain in dieser Woche erwartet, gab es bereits am Samstag abend. Behelmte, aggressive Polizeitrupps marschierten auf dem Asphalt, ein riesiger Flutlichtscheinwerfer erhellte die Rigaer Straße, Ecke Liebigstraße. Anlass ist eine verhältnismäßig kleine Solidemo. Bereits am Freitag hatten Beamte massenweise Zettel an Hauseingänge und Wände geklebt, auf denen ihr von Mittwoch bis Sonnabend beanspruchtes Manövergelände abgesteckt wird. Innerhalb dessen darf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht mehr ausgeübt, dürfen Autos, Fahrräder und Mülltonnen nicht abgestellt werden, nur Anwohner haben Zugang. Ob eine Grundschule und Kitas während dieser Zeit geschlossen werden, ist noch unklar. »Uns erinnert das sehr stark an die rote Zone, die als Polizeitaktik bei Hausräumungen gilt. Wozu dieser Aufriss, wenn es doch ›nur‹ um die Brandschutzprüfung geht?« fragte eine Nachbarschaftsinitiative am Freitag in einer Solidaritätserklärung.

    Die vermeintliche »Brandschutzbegehung« im teilbesetzten Haus Rigaer Straße 94 unter Einbeziehung eines großen Aufgebots der Bereitschaftspolizei ist möglich, nachdem das Verwaltungsgericht einen Anwalt und einen Hausverwalter als Eigentümervertreter anerkannt hat. Die beiden hatten über Jahre hinweg ausschließlich juristische Schlappen einstecken müssen. Der tatsächliche Besitzer des Gebäudes verbirgt sich hinter einer Briefkastenfirma in London und bleibt anonym. Das Landgericht Berlin wird am Dienstag erneut entscheiden, ob Anwalt und Hausverwalter befugt sind, das Haus zu betreten.

    Die Bewohner der »Rigaer 94« lehnen eine Brandschutzbegehung nicht ab, bestehen aber auf einem unabhängigen Prüfer. Unterstützung dafür erhalten sie von Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen), der angekündigt hat, am Dienstag einen eigenständigen Kontrollgang stattfinden zu lassen: »Das Rechtsamt des Bezirks geht davon aus, dass ein Betreten der Wohnungen, bei denen dies laut Mängelliste nicht notwendig ist, unzulässig ist«, heißt es in einem Schreiben des Bezirksamtes vom vergangenen Donnerstag. Innensenator Andreas Geisel (SPD) reagierte polemisch: Schmidt lasse sich »vor den Karren von gewaltbereiten Linksextremisten spannen«.

    Die neuerliche Repression gegen die »Rigaer 94« reiht sich ein in die »rot-rot-grüne« Senatpolitik, bis zur Abgeordnetenhauswahl im September so viele alternative Freiräume wie möglich zu schleifen. Geisel möchte reaktionären Hardlinern in Polizeibehörde und Parlament seine Durchsetzungsfähigkeit beweisen und macht sich zum Handlanger diverser Immobilienspekulanten. Im vorigen Sommer wurden beispielsweise die bekannte Kneipe »Syndikat« in Neukölln, im Oktober das queerfeministische Hausprojekt »Liebig 34« in Friedrichshain geräumt. Etliche weitere linke Rückzugsräume wie etwa das »Köpi« in Mitte sind bedroht, mit großem Polizeiaufgebot wurden in diesem Winter zudem Unterkunftsmöglichkeiten von Wohnungslosen zerstört. Für den Erhalt der »Rigaer 94« ist breiter Widerstand angekündigt.

    #Berlin #Friedrichshain #Liebigstraße #Rigaer_Straße #squat #politique #logement #répression

  • 23.02.2021: Kein »Freibrief für Uber« (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/397077.neoliberale-attacke-kein-freibrief-f%C3%BCr-uber.html

    Und noch so ein Artikel, der den Verlautbarungen verschiedener Kapitalfraktionen und der in ihrem Auftrag tätigen Bundesanstalt für Arbeit aufsitzt. Die hat festgestellt, dass im Jahr 2019 „90 Prozent aller vollzeitbeschäftigten Taxifahrerinnen und -fahrer ein Entgelt unterhalb der Niedriglohnschwelle“ verdienten.

    Die Wirklichkeit ist viel brutaler

    Was BA und Artikel nicht verraten ist die Tatsache, dass zumindest in Berlin 99 Prozent aller „vollzeitbeschäftigten Taxifahrerinnen“ nur einen Bruchteil des gesetzlich festgelegten stündlichen Mindestlohns erhalten. Am Ende des Jahres 2019 lag der tatsächlich im Taxi zu erzielende Stundenlohn noch bei etwa der Hälfte des MIndestlohns, um im darauf folgenden Coronajahr auf zeitweise einen Euro pro Stunde zu sinken.

    #Schwarzarbeit und #Dunkeldaten

    Wie die Mietwagenanbieter ihre Fahrern und Fahrerinnen entlohnen wird erst garnicht erwähnt, weil es darüber keine belastbaren Zahlen gibt. Diese Angestellten sind eine bundesweit zehntausende umfassende Randgruppe, für die sich niemand interessiert. Sie sind Flüchtlinge, Zuwanderer und ganz Arme, deren Führerschein ihr einziges Kapital auf dem Arbeitsmarkt ist. Viele von ihnen werden dazu angeleitet, ein Gewerbe als „selbständiger Chauffeur“ anzumelden. Damit wird ihr Arbeitgeber vollkommen von der Zahlung von Sozialbgaben „entlastet“. Es werden für diese Scheinselbständigen nicht einmal die bei Minijobs obligatorischen dreissig Prozent des Lohns an die Knappschaftskasse abgeführt. Für Selbständige gilt auch kein Mindestlohn- oder Arbeitszeitgesetz.

    Worum es wirklich geht

    Die meisten Fahrerinnen und Fahrer von Mietwagen zur Personenbeförderung sind vor kurzer Zeit aus Ländern ohne wirksame Sozialgesetzgebung eingewandert und aus diesem Grund auch in Deutschland leichte Beute für Ausbeuter, die ihnen elementare Rechte vorenthalten. Im Endergebnis schaden sie in ihrer Schwäche durch ihre Kurzsichtigkiet und Unkenntnis der deutschen Arbeitsgesetzgebung nicht nur sich selber, sondern agieren als Werkzeuge ihrer Bosse beim Niederreissen der letzten Schutzvorkehrungen im Taxigewerbe. Über die katastrophalen Auswirkungen dieser Entwicklung für die ganze Gesellschaft wird bisher nicht gesprochen.

    Rauchbomben und Nebelkerzen

    Die Diskussion um Rückkehrpflicht und Karenzzeiten ist eine Scheindiskussion. Sie dient der Verteidigung der Pfründe einer extrem aubeuterischen Fraktion der hiesigen Kapitalisten egal welchen Geschlechts, die ihre Felle davonschwimmen sieht, weil ihre Mitglieder unerwartet der Konkurrenz durch stärkere, besser organisierte und noch skrupellosere Konkurrenten ausgesetzt sind.

    Für Fahrerinnen und Fahrer ist es beinahe egal, ob sie in Autos mit oder ohne Dachzeichen unterwegs sind. Entscheidend für sie ist ein effektiv ausgezahlter armutsfester Lohn. Die Duchsetzung des Mindestlohns in Taxis und Mietwagen mit Fahrern wäre ein erster Schritt in diese Richtung. Machbar wäre das mit geringen Aufwand.

    Eine Lösung für den Gordischen Knoten

    Ein probates Werkzeug für unbestechliche und einfach zu machende Arbeitszeiterfassung stellen die in Carsharing-Fahrzeugen genutzten Systeme dar. Sie sind eine leicht für Taxis und Mietwagen anzupassende Lösung. Die so ausgestatteten Autos können nicht bewegt werden, ohne dass die Zentrale, bei Taxis und Mietwagen wären das Aufsichtsbehörde und Betrieb, genau erfährt, wer das Fahrzeug in jedem Augenblick benutzt und wo es sich gerade befindet. Wie Erfassung und Übermittlung von Daten aus dem Auto manipulationsgeschützt erfolgen kann, zeigt die INSIKA-Implementation im Taxi.

    Digitalisierung im Interesse der Arbeitenden

    Die Zeiterfassung und Nutzungsabrechnung für Kurzzeit-Mietwagen alias „Car Sharing“ entspricht technisch betrachtet genau der Arbeitszeiterfassung, die vom Europäischen Gerichtshof gefordert wird und in Taxis und Mietagen fehlt. Das System müsste noch geeicht und gegen Manipulationsversuche gehärtet werden. Gesetzlich oder per Verordnung für alle Mietwagen und Taxis vorgeschrieben würde sie der Konkurrenz per Lohndumping unmittelbar ein Ende bereiten. Die von Vielen immer wieder geforderte „faire Konkurrenzsituation“ würde sich als Nebeneffekt wie von selbst einstellen.

    Siebene auf einen Streich! ...

    ... sagte sich das tapfere Schneiderlein, und klopfte sich zufrieden auf den Bauch.

    23.02.2021, von Ralf Wurzbacher - Branche wehrt sich gegen Liberalisierung des Fahrdienstmarktes. Londoner Supreme Court verurteilt Dumpingmethoden des US-Anbieters

    Die geplante (Neo-)Liberalisierung des Taxi- und Fahrdienstmarktes war am Montag Thema einer Expertenanhörung im Bundestag. Zur Debatte stand der von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im November eingebrachte Entwurf für ein Gesetz »zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts«, das sich derzeit in der parlamentarischen Beratung befindet. Im Kern geht es dabei um Erleichterungen beim Einstieg neuer, vornehmlich App-basierter Angebote von Fahrdienstleistern wie Uber, Door-2-Door oder Clever Shuttle, die ihre Leistungen bislang nur befristet auf Basis einer Experimentierklausel offerieren dürfen. Mit der vorgesehenen Novelle will die Bundesregierung einen verbindlichen Rechtsrahmen für die Vielzahl unterschiedlicher Anbieter schaffen. Wirklich zufrieden mit den Plänen ist indes keiner der Akteure.

    Taxis vor dem Aus

    Durch das Vorhaben in seiner Existenz bedroht sieht sich bekanntlich das Taxigewerbe. Erst am Freitag waren wieder Hunderte Fahrer in der Hauptstadt in einem Autokorso vom Brandenburger Tor vor das Konrad-Adenauer-Haus am Berliner Tiergarten gezogen, um gegen einen »Freibrief für Uber« zu protestieren und »faire Regeln für alle« anzumahnen. Im Zentrum der Kritik, etwa des Bundesverbands Taxi und Mietwagen (BVTM), stehen Änderungen im Hinblick auf die sogenannte Rückkehrpflicht von Mietwagen. Bis dato müssen diese, anders als Taxen, nach jeder Fahrt an ihrem jeweiligen Firmensitz Station machen, um erst dann wieder neue Aufträge auszuführen. Zwar soll die Bestimmung vom Grundsatz her Bestand haben, allerdings sieht Scheuers Gesetzesvorlage diverse Ausnahmen zur Umgehung der Vorgaben vor.

    Außerdem forderte der gestern im Verkehrsausschuss angehörte BVTM-Vizepräsident Herwig Kollar eine Vorbestellfrist für Mietwagen von mindestens einer halben Stunde. Damit behielten die Kommunen ein »wichtiges Instrument zum Erhalt der Funktionsfähigkeit des örtlichen Taxigewerbes« in der Hand, sofern sie feststellen, »dass sie – wie in mehreren Großstädten schon zu beobachten ist – von der Plattformökonomie überrannt werden«. Nicht weit genug gehen die Pläne dem Chef von Uber Deutschland Christoph Weigler. Unter anderem stört er sich an der avisierten Einführung von Mindestbeförderungsentgelten »zur Unterbindung des Anbietens von Leistungen zu nicht marktgerechten Preisen«. Damit werde ignoriert, »dass diese bereits durch das Verbot von unlauterem Wettbewerb ausgeschlossen sind«, erklärte er im Bundestag.

    Nur was bringt ein Verbot, das offenbar systematisch umgangen wird. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) von 2019 verdienten seinerzeit 90 Prozent aller vollzeitbeschäftigten Taxifahrerinnen und -fahrer ein Entgelt unterhalb der Niedriglohnschwelle (jW berichtete am 8.6.2019). Dies ist auch dem Vormarsch von Chauffeur- und Poolingdiensten wie Berlkönig oder Moia geschuldet, die die Preise durch Missachtung von Tarif- und Sozialstandards für ihre Fahrer nach unten treiben. Entsprechend bescheinigte auch Kollar vom Taxiverband Scheuers Vorlage, ein »System organisierter Verantwortungslosigkeit zu Lasten von Verbrauchern und Fahrern« zu installieren. Es werde versäumt, »den Kommunen eine angemessene Vielzahl effektiver Instrumente gegen Dumpingverkehre an die Hand zu geben«, monierte er.

    Konzern muss zahlen

    Ein in dieser Hinsicht wegweisendes Urteil fällte am vergangenen Freitag der Oberste Gerichtshof in Großbritannien. Nach vierjährigem Rechtsstreit stellt er fest, dass der US-Marktriese Uber seine in Mietwagen verkehrenden Fahrer als reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und nicht wie Unternehmer oder Selbständige zu behandeln habe. Lord George Leggatt, einer der Höchstrichter am Supreme Court, erklärte das einstimmig ergangene Urteil: »Die Fahrer sind einer Position der Unterordnung und Abhängigkeit von Uber, so dass sie wenig oder gar keine Möglichkeit haben, ihre wirtschaftliche Position durch berufliche oder unternehmerische Fähigkeiten zu verbessern.«

    Geklagt hatten 35 Uber-Chauffeure, die nun mit Entschädigungen von bis zu 12.000 Pfund (ca. 13.870 Euro) rechnen können. Ferner könnten auf den US-Konzern erhebliche Steuernachforderungen zukommen. Derzeit sollen weitere 15.000 Betroffene eine Massenklage gegen Uber vorbereiten. Dessen Aktienkurs gab prompt deutlich nach.

    #Taxi #Uber

  • 02.02.2021: Sein zum Faschismus (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/395567.b%C3%BCrgerliche-philosophie-sein-zum-faschismus.html

    Der Philosoph Martin Heidegger ist und bleibt eine anerkannte Geistesgröße – auch wenn dank diverser Enthüllungen seine Person heute etwas kritischer gesehen wird. Mit seiner Philosophie, die im akademischen Betrieb der BRD einen Ehrenplatz einnimmt, wird immer noch ganz selbstverständlich hantiert, zur Pflege des kulturellen Erbes oder zur Erschließung neuer Perspektiven, ohne dass der persönliche Beitrag des Mannes zum Faschismus groß stören würde.

    Im Gegenteil, vom konservativen Feuilleton wird er nach wie vor als zentrale Inspirationskraft des Geisteslebens im 20. Jahrhundert gefeiert: »Als ein scharfer Windstoß brach Heidegger Anfang der zwanziger Jahre in die Philosophie ein, als einer, der sie mitten in der Windstille des Systems an das ›Sein zum Tode‹ erinnerte und an einen Ernst der Endlichkeit.« (FAZ, 24.1.2020). Gerade in der Zeit der schweren Not, in die das Coronavirus die Menschheit gebracht hat, sollen seine Überlegungen entscheidende Hilfestellung bieten: Sie offerieren – Überraschung! – die Krise als Chance, nämlich für reaktionäres philosophisches Gelaber.

    Das »Sein zum Tode«
    »Das Coronavirus fordert nicht nur viele Menschenleben, es wird auch sehr viel philosophischen Unsinn hervorbringen«, stellte das Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung erstaunlich hellsichtig und unübertrefflich zynisch bereits im Frühjahr 2020 fest (am 16. April). Der Fall ist eingetreten, philosophiert wird angesichts der schwierigen Zeit mit Hochdruck. Aber die Warnung des Feuilletonisten war gar nicht ernst gemeint, sie galt nur dem neuen philosophischen Gelaber, nicht dem altehrwürdigen, das seinen festen Platz in der deutschen bzw. abendländischen Geistesgeschichte hat.

    Der NZZ-Autor wartet sogleich mit folgendem Angebot auf: »Die grundsätzliche Kondition des Menschen ist bekanntermaßen die: Er muss sich dem Tod stellen. Das klingt nach Heidegger, aber diese Grundkonstellation ist nicht seine Erfindung, und trotzdem hat Heidegger für uns eines getan, was wir heute gut gebrauchen können: Er hat sich – irgendwie phänomenologisch – hinter den Menschen gestellt, ihn verteidigt in seiner Zeitidentität, die stets aktuell ist.« Schon gewusst, wir müssen alle mal sterben? Nur: Haben wir das auch schon »irgendwie phänomenologisch« bedacht? Oder uns bloß darüber geärgert? So wie Mitch Ryder in seinem berühmten Antikriegssong: »I don’t want to die, I’ve got plans for tonight«.

    Zum Bedenken soll uns jetzt Corona mahnen, wenn man die Zeit dafür opfern will. Doch kann sich jede und jeder am angesagten Tiefsinn beteiligen? Mit dem elitären Seinsgeschwafel aus der Heidegger-Schule ist man laut NZZ bestens bedient. Wenn man über seine »Zeitidentität« informiert ist, habe man nämlich das Wichtigste erfasst, denn, so heißt es weiter: »Das ist schon die halbe Miete, was unser Dasein angeht: Wir brauchen für unser Leben und unser Sterben sehr viel Zeit und eigentlich sehr wenig Raum.« Was die Seinsphilosophie so alles herausfindet, Raum und Zeit braucht man fürs Sterben, aber mit Mengenunterschied! Der Tod findet beispielsweise noch in der kleinsten Hütte Platz. Wer das nicht bedenkt, stirbt möglicherweise einfach so vor sich hin, ohne philosophischen Durchblick.

    Wer aber Interesse an solchem flachen Tiefsinn zu Raum und Zeit hat, kann im Züricher Weltblatt weiterlesen. Dabei muss man nur einen – irgendwie heiklen, doch im hiesigen Geistesleben obligatorischen – Punkt bedenken. Der Autor unterbricht nämlich seine Heidegger-Eloge und bringt recht unvermittelt etwas anderes zur Sprache: »Heideggers Antisemitismus ist mir natürlich unerträglich, und heute können wir über den Meisterlehrer von Hannah Arendt und Jeanne Hersch, zwei genialen Frauen jüdischer Herkunft, so unbefangen sprechen, aber eigentlich ist Heidegger unerträglich, weil er ein Antisemit war. Er hat sich nicht nur mit den Nazis arrangiert.« Nachdem diese Pflichtübung der deutschen Vergangenheitsbewältigung, die man »natürlich« auch in der Schweiz kennt, erledigt ist, kann der Autor munter fortfahren: »Und trotzdem: Ich lese sehr gerne seine ›Holzwege‹.«

    Heidegger für jedermann
    So einfach geht das also, auch noch im Jahr 2020, obwohl zahlreiche Dokumente und Selbstauskünfte zum Naziphilosophen Heidegger (1889–1976) vorliegen. Im Frühjahr 1933 trat er in die NSDAP ein, nachdem er mit der Übernahme des Rektorats der Universität Freiburg seine Treue zu deren Programm bewiesen hatte. Den Machtantritt Hitlers bezeichnete er als »Unvergleichlichkeit der Weltstunde«, die er in seinen philosophischen Entwürfen vor 1933 »irgendwie« vorausgeahnt oder herbeigesehnt hatte. Zum Jahreswechsel 1931/32 berichtete ein Student von einer Begegnung mit Heidegger, der mittlerweile, wie die Gattin, stramm rechts sei, obwohl er eigentlich »nicht viel von Politik« verstehe: »So lässt ihn wohl wesentlich sein Abscheu vor aller mittelmäßigen Halbheit von der Partei etwas erhoffen, die etwas Entschiedenes zu tun und damit vor allem dem Kommunismus wirksam entgegenzutreten verspricht.«¹

    Er blieb NSDAP-Mitglied bis 1945 und legte auch danach nie ein Schuldbekenntnis ab, rechtfertigte noch im Adenauer-Staat mit der genannten antikommunistischen Einschätzung seine Parteinahme für die NSDAP. 1947 wurde ihm zwar von den französischen Besatzungsbehörden die Lehrbefugnis entzogen, allerdings 1950 wieder erteilt, worauf er bis 1967 Seminare für einen Kreis von Hörern in Freiburg abhielt. »Mit der Emeritierung (1952) erhielt Heidegger seine Rechte als Professor zurück. Sogleich kündigte er eine Vorlesung an und las im Wintersemester erstmals wieder in der Freiburger Universität. Seine Vorlesungen hatten großen Zulauf und lösten, wie auch seine Schriften, ein breites Echo aus«, ist in der Online­enyzklopädie Wikipedia zu lesen.

    Natürlich kann man mit Heideggers Philosophie – dank ihres Abstraktionsgrades – alles Mögliche anstellen, und die Wirkungsgeschichte deckt daher auch ein breites politisches Spektrum von rechts bis links ab. Für letzteres steht als prominenter Fall der französische Philosoph Jean-Paul Sartre, der aus Heideggers Seinsphilosophie seinen eigenen Existentialismus extrahierte. Derartiges wird heutzutage unermüdlich fortgesetzt, so gibt es Philosophieren »Mit Marx für Heidegger« bzw. »Mit Heidegger für Marx«, es gibt einen russischen Heidegger-Schüler, der Putin berät, oder, auch in Kreisen der Grünen-Partei gefragt, ein Anknüpfen an »Heideggers Umweltethos«. Hier soll der schwäbische Denker in Gestalt seines Schülers Hans Jonas, Autor der biophilosophischen Tiefenbohrung »Prinzip Verantwortung«, sogar eine jüdische Philosophie des 20. Jahrhunderts auf den Weg gebracht haben.

    Ja, es wird sogar real- und machtpolitisch auf der Suche nach einer »schwarz-grünen Erzählung«, die offenbar dringend gebraucht wird, von Experten eine Affinität der Grünen zu Heideggers Existenzphilosophie ins Spiel gebracht. Dazu hielt 2013 nach der Bundestagswahl Robert Habeck, der sich schon als Student in die Werke Heideggers vergrub, interessiert und offen für Anregungen zur Neuaufstellung seiner Partei in einem Gastbeitrag fest, dass »Technikskepsis und Sorge um die Erde die Grünen mit dem Denken Heideggers (verbänden). Radikaler noch als Rousseau denkt Heidegger den Menschen als Teil einer Seinstotalität, die dem individuellen Dasein immer schon vorausgeht.« (Die Zeit, 28.11.2013) Dass man über Rousseau hinausgehen muss, meinte auch der Grünen-Hoffnungsträger; man könne nicht ewig in einer zivilisations- oder industriekritischen Ecke hockenbleiben. Den Ahnherrn Heidegger fand Habeck nicht unbedingt optimal, aber verwerfen wollte er diese Traditionslinie auch nicht, sie sei »nur ein Strang der grünen Ideengeschichte«. Ein bisschen schmücken kann man sich damit also schon, schließlich hatte man auch mal Ökofaschisten in den eigenen Reihen, und rechte Wähler wieder »heimholen« ist doch eine ehrenwerte Aufgabe. Oder nicht?

    Ein faschistisches Opus
    Im deutschen Wissenschafts- und Kulturbetrieb ist natürlich mittlerweile klar, dass Heidegger ein bekennender Faschist war, schließlich sind seit Ende des 20. Jahrhunderts einschlägige Dokumente veröffentlicht worden, die diese Haltung belegen. Dementsprechend hat sich der hiesige Modus der Reinwaschung etwas geändert. Wurde die faschistische Einstellung des Philosophen früher ignoriert, dann als biographisches Randproblem abgetan, so muss heute – siehe das pflichtgemäße Bekenntnis des NZZ-Autors – zuerst eine strikte Trennung von Person und Werk vorgenommen werden, um letzteres dann hochleben zu lassen.

    In jüngster Zeit, mit dem Erstarken der AfD, der Ausbreitung eines Rechtspopulismus, dem Aufkommen neuer Protestformen à la »Identitäre Bewegung« und der Etablierung rechter Thinktanks, kommt ein neues Moment hinzu: Heidegger wird immer deutlicher zur Berufungsinstanz der modernen extremen Rechten.² »Was macht Heideggers Denken so attraktiv für die antidemokratische Rechte?« fragt etwa der emeritierte Professor Micha Brumlik und kommt zu dem Schluss, dass Heideggers frühes Jahrhundertwerk, das 1927 erschienene, als Markstein der Existenzphilosophie hochgelobte Buch »Sein und Zeit«, auch als »Inbegriff einer völkischen Philosophie gelten« dürfte.³

    Einen solchen Angriff auf Heideggers Philosophie, also auf die Sache, für die der Mann als erstes steht und für die er sich – über die verschiedenen Regimes hinweg – ein Leben lang engagiert hat, findet man sonst kaum. Explizit vertreten und in deutschen Universitäten bekanntgemacht hat eine solche Kritik die damalige Marxistische Gruppe (MG), die 1988 »Martin Heidegger – Der konsequenteste Philosoph des 20. Jahrhunderts – Faschist« vorlegte. Diese Schrift von Peter Decker ist jetzt in einer aktualisierten Ausgabe neu aufgelegt worden.⁴ Sie bezieht sich am Rande auf die damals neueren Erkenntnisse, nach Victor Farias’ Buch »Heidegger und der Nationalsozialismus« vor allem auf die Veröffentlichung von Heideggers »Schwarzen Heften«. In diesen hat sich der »heimliche König« (Hannah Arendt) der Philosophie unmissverständlich zu seinem seinsgeschichtlichen Antisemitismus geäußert, was dann zum Skandalon geriet, denn im heutigen Deutschland wird Faschismus erst richtig zum Problem, wenn er Judenvernichtung im Programm hat.

    Auch hier gab es Versuche, Heideggers Position zu retten. So hieß es, das »Weltjudentum« sei bei ihm – parallel zum Amerikanismus oder Bolschewismus – nur eine Erscheinungsform von etwas Tieferliegendem, nämlich der »Seinsvergessenheit« des modernen Menschen, und nichts platt Politisches. Diese umstandslose Rehabilitierung von Naziphilosophie kommt heute fast nur noch aus der rechtsextremen Ecke. Doch muss man ihr zugestehen, dass sie einen entscheidenden Punkt trifft: Die Seinsphilosophie des schwäbischen Denkers bewegt sich auf einer anderen Ebene als Programm und Parolen der Nazis, sie löst sich nicht einfach in deren opportunistische Befürwortung oder Ausschmückung auf, wie es für den deutschen Wissenschaftsbetrieb nach 1933 selbstverständlich war (und was dann nach 1945 schnurstracks vom selben Personal widerrufen wurde, ohne dass man den Professoren groß mit Entnazifizierung oder Reeducation kommen musste und ohne dass die ihre alten Lehrbücher umschreiben mussten).

    Deckers fulminante Streitschrift zielt genau auf diesen ideellen Kern. Die Neuauflage wurde um einen Anhang erweitert, der exemplarisch zeigt, dass es in Westdeutschland einmal eine elaborierte marxistische Kritik der bürgerlichen Wissenschaft gegeben hat. Der Autor nimmt also nicht die persönlichen Verwicklungen ihres Urhebers in Nazimachenschaften, sein Agieren in Politik oder Hochschule, ins Visier. Heideggers Politpräferenzen und Lebensumstände sind für ihn nur ein Indiz, das nach weiterer Klärung verlangt, und nicht wie üblich der Anlass, um mehr oder weniger verständnisvoll den Kern seiner philosophischen Bemühungen von den zeitbedingten Kontaminationen zu reinigen und so letztlich den Ruf dieses Denkers zu retten.

    Du bist nichts, das Sein ist alles
    Es geht Decker um den philosophischen Gehalt des Heideggerschen Opus, um den hier vorliegenden radikalen Fall von Sinnstiftung, der die Konsequenz aus den Bemühungen der Vorläufer zieht und Philosophie als respektable Instanz von Gegenaufklärung und Antiwissenschaft etabliert. Untersucht werden daher nicht speziell – wie etwa bei Brumlik (der sich auf den berüchtigten Paragraphen 74 von »Sein und Zeit« mit seinen völkischen Ideen konzentriert) – die Kategorien einer politischen Philosophie. Heideggers Abstraktionsleistung, eine Trivialität namens »das Sein«, d. h. die Sub­stantivierung eines Verbs, in den Mittelpunkt zu stellen und damit ein unüberbietbares Universelles zu finden, lässt ja sowieso die klassische Aufteilung des Fachs in diverse Abteilungen hinter sich. Diese hielt bei den früheren Philosophen den Schein der wissenschaftlichen Bearbeitung eines Gegenstandes aufrecht, Heidegger dagegen schreitet zielstrebig zur raunenden, wissensfeindlichen Beschwörung eines philosophischen Prinzips fort.

    Sein Anliegen ist es, eine unwidersprechliche höhere oder tiefere Notwendigkeit festzuhalten, der »der Mensch« sich unterzuordnen hat. »Als Philosoph will er von nichts Bestimmtem etwas wissen und ist sich gleichwohl – und nur so! – über die letztendliche Begründbarkeit und Wohlbegründetheit von allem sicher«, resümierte Decker. Dafür untersucht er im einzelnen, wie sich Heidegger den philosophischen Bedarf nach Sinnsuche erarbeitet, nämlich als systematische Absage an wissenschaftliches Denken überhaupt, und wie seine Abstraktionen zustande kommen, die die klassische Metaphysik überbieten und das Sinnbedürfnis in Reinform kultivieren: als Behauptung der Notwendigkeit, das eigene »Geworfensein« angesichts schwerer Zeiten auszuhalten – nicht weil es dafür höhere Werte (Gott, Glückseligkeit, ewiger Frieden) gäbe, sondern weil die Bestimmung des Menschen im Aushalten der Seinsgesetzlichkeit bestehe.

    Das ist auch erkennbar der Ausgangspunkt seiner philosophischen Bemühungen, die sich oft in sprachliche Schwurbeleien verlaufen. Im ersten Paragraphen von »Sein und Zeit« heißt es: »Die Undefinierbarkeit des Seins dispensiert nicht von der Frage nach seinem Sinn, sondern fordert dazu gerade auf.« Die Kategorie Sinn ist also klar unterschieden von Bestimmungen oder Eigenschaften, die eine Sache hat und deren Herausarbeitung Aufgabe der Wissenschaften wäre – eine schnöde Aufgabe, die vom philosophischen Hinterfragen weit hinter sich gelassen wird. Beim Sinn handelt es sich um einen Wert, den der Philosoph einer Sache jenseits von ihren Eigenschaften beimisst; den er als etwas statuiert, worauf es eigentlich (laut Adornos »Jargon der Eigentlichkeit« das Zauberwort der Seinsphilosophie) ankommen soll, im Gegensatz zu allem, was an einer Sache interessieren könnte.

    Der Sinn liegt natürlich nicht in der Hand der Subjekte, er ist vorgegeben. Decker hält fest, dass so die faschistische Selbstaufopferung, der Kampf um die bloße Existenz mit soldatischem Ethos, als die Erfüllung des Daseins »entworfen« wird. Decker: »Das Aufgehen des Individuums in einer es übersteigenden Kampfgemeinschaft, die das Opfer echt lohnend macht, das ist die endgültige Lösung der Sinnfrage.« Dem »Sein zum Tode« habe der Mensch sich zu stellen, »im Vorlaufen zum unbestimmt gewissen Tode« sein Leben zu vollziehen, wie es in »Sein und Zeit« (Paragraph 53) heißt. So wird die Apotheose der Bereitschaft zum Tode aus den abstraktesten Bestimmungen herausdestilliert (und Deckers Bemerkung zum »lohnenden« Opfer ist hier natürlich ironisch gemeint). Wenn der Sinn des Daseins im entsagungsvollen Kampf der »Volksgemeinschaft« liegt, dann besteht der (ideelle) Lohn nur darin, an deren angeblich unendlicher Idee teilzuhaben. Eben das »Du bist nichts, dein Volk ist alles«, wie es immer Kern der Nazipropaganda war.

    Heidegger lässt dabei die polemische Stoßrichtung gegen Subjekte, die sich anmaßen, eigene Zwecke oder Interessen in der Welt geltend zu machen, deutlich hervortreten. Solche Wichte sind ein Fall von »Seinsvergessenheit« – und verdienen die Verachtung all derer, die sich am elitären Seinsgeschwafel zu erbauen vermögen. Insofern sind die biographischen Auskünfte zu seiner persönlichen »Kehre« von 1931/32 aufschlussreich: Im Kommunismus sieht er die Hauptgefahr, dass sich Menschen – gemäß der letzten Feuerbach-These von Marx – daranmachen könnten, statt unter philosophischer Anleitung die schwere Not der Zeit bzw. die schwere Zeit der Not sinnreich zu interpretieren, die Verhältnisse so zu verändern, dass keine religiösen oder weltanschaulichen Trostgründe mehr gebraucht würden.

    Die Analyse Deckers zielt also darauf, dass sich im Zentrum von Heideggers Philosophie durchaus Affinitäten zu einem Staatsprogramm finden, »das sich der Vorbereitung eines großen Krieges gewidmet und dafür auf Tugenden seiner Mannschaft Wert gelegt hat, die die fälligen Opfer bis hin zur Aufgabe des eigenen Lebens als sinnerfüllenden Dienst an einem übergeordneten Ganzen erscheinen lassen und nichts als diesen Lohn versprechen.« Damit – und das ist wohl das provozierendste Ergebnis der Analyse – hat man die Radikalisierung einer Idee vor sich, die zum anerkannten Besitzstand der Philosophiegeschichte gehört. Also keinen Außenseiter, der auf Abwege geraten ist, sondern den »konsequentesten Philosophen des 20. Jahrhunderts«.

    Anmerkungen

    1 Siehe »Irre, die AfD hat auch einen Thinktank«, in: Telepolis, 8.2.2020 und »Vom faschistischen Geist der Philosophie – Der Fall Heidegger«, in: Untergrund-Blättle, 4.1.2021

    2 Zit. nach Rüdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland – Heidegger und seine Zeit. Frankfurt a. M. 2006, S. 257 und 259

    3 Siehe das Projekt Gegneranalyse (gegneranalyse.de), das vom Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« gefördert wurde. Dazu gibt es jetzt auch die Publikation »Das alte Denken der Neuen Rechten« (2020), in der Brumlik den Heidegger-Beitrag übernommen hat. Sie ist in die Schriftenreihe (Nr. 10582) der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) aufgenommen worden. Die BPB soll übrigens 2021 kräftig wachsen und mehr Stellen erhalten, was letztendlich zu einer Verdopplung des Personals seit der vorletzten Legislaturperiode führen würde. Mit dem Ausbau will die Behörde den Kampf gegen rechts intensivieren und dabei speziell die Ideologien der neuen Rechten aufs Korn nehmen. Die Aufstockung folgt den Empfehlungen des Kabinettsausschusses »zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus«, der am 25.11.2020 einen umfangreichen Maßnahmenkatalog verabschiedete.

    4 Peter Decker: Martin Heidegger – Der konsequenteste Philosoph des 20. Jahrhunderts – Faschist (1988). Neuausgabe, München 2020 (daraus die folgenden Zitate: S. 56, S. 73, S. 74), https://de.gegenstandpunkt.com

    von Johannes Schillo, Autor des Buches »Die AFD und ihre alternative Nationalerziehung« (2019), veröffentlichte an dieser Stelle in der jungen Welt zuletzt am 17.12.2019 einen Beitrag über die Erasmus-Stiftung der AfD.

    #philosophie #politique

  • 30.01.2021: H & M kennt keine Gnade (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/395421.konzernmacht-h-m-kennt-keine-gnade.html

    Der schwedische Modefilialist H & M hat lange den Trend zur Digitalisierung verschlafen. Nun sollen die Beschäftigten die spät begonnene Neuausrichtung bezahlen: 800 Stellen will das Unternehmen in Deutschland streichen. Dabei verfügt der Konzern über hohe Rücklagen. Für das von Dezember 2019 bis November 2020 laufende Geschäftsjahr verfügte H & M über einen Gewinn vor Steuern von 2,05 Milliarden Schwedischen Kronen (rund 203 Millionen Euro), wie das Unternehmen am Freitag in Stockholm mitteilte – dank »guter Kostenkontrolle«, wie es hieß. Im Jahr zuvor stand sogar ein Plus von 17,4 Milliarden Schwedischen Kronen (1,72 Milliarden Euro) in der Bilanz.

    #travail #crise #licenciement #Allemagne #Suède

  • Was der Kaupert nicht weiß - Markgrafenstraße Nr. 22-61 in Berlin-Mitte
    https://berlin.kauperts.de/Strassen/Markgrafenstrasse-10117-10969-Berlin

    Geschichte von Markgrafenstraße
    Ehemaliger Bezirk Nr. 22-61 Mitte
    Alte Namen Wilhelm-Külz-Straße (1968-1991)
    Name seit um 1706
    Nach dem sich in der Straße Unter den Linden befindlichen Palais des Markgrafen zu Brandenburg-Schwedt benannt, auf dessen Garten sie zulief.

    Sie bekam ihren Namen nach dem sich in der Straße Unter den Linden befindlichen Palais des Markgrafen zu Brandenburg-Schwedt, Philipp Wilhelm (19.5.1669 Königsberg–19.12.1711 Berlin), Militär, Generalfeldzeugmeister, auf dessen Garten sie zulief.
    ...
    1968 in Mitte (zwischen Behren- und Zimmerstraße) umbenannt, heißt sie seit 1991 wie ihr Kreuzberger Teilstück wieder Markgrafenstraße.

    Was mag wohl einen Ostberliner Magistrat dazu gebracht haben, eine Straße nach dem Rechtsliberalen Külz zu benennen, der in der Weimarer Republik fortschrittliche Bücher bekämpft hatte?

    30.01.2021: Ein Leben auf der Flucht (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/395447.literatur-ein-leben-auf-der-flucht.html

    »Des Kaisers Kulis«, in der Roten Fahne vorabgedruckt und später im Malik-Verlag erschienen, war ein Riesenerfolg, Plievier wurde zu einem der bekanntesten linken deutschen Schriftsteller. Aber der Erfolg mobilisierte auch die nationalkonservative Öffentlichkeit und die Faschisten. Plievier erhielt Drohbriefe, 1932 fand sich sein Name auf der im Völkischen Beobachter veröffentlichten Liste der »Repräsentanten einer dekadenten Niedergangsepoche«. Im selben Jahr ordnete der rechtsliberale Dresdner Oberbürgermeister und vormalige Reichsinnenminister Wilhelm Külz die Entfernung von »Des Kaisers Kulis« aus den städtischen Bibliotheken an.

    Theodor Plievier – Wikipedia
    https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Plievier

    Mit der Schilderung der Kriegsumstände und seiner scharfen Anklage gegen den Krieg sprach Plievier seinen Zeitgenossen aus der Seele – ein Beispiel:

    „Die Eroberungsziele sind unser Verderben, ohne sie wäre Frieden. Wir könnten wieder arbeiten und hätten zu fressen. Und die anderen sind doch auch Menschen. Die Völker müssen zusammenkommen und sich verständigen. Das Morden ist sinnlos. (…) Der Krieg ist ein riesengroßes Geschäft. (…) Nieder mit dem Krieg!“

    Wilhelm Külz – Wikipedia
    https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_K%C3%BClz

    Politisches Wirken nach 1945

    Mitte Juni 1945 gehörte er in Berlin zum Gründerkreis der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD) und wurde im November desselben Jahres nach der Absetzung von Waldemar Koch durch die sowjetische Besatzungsmacht deren Vorsitzender. Außerdem war er ab 1945 Herausgeber der LDPD-Zeitung Der Morgen. Am 17. März 1947 wurde er in Rothenburg ob der Tauber gemeinsam mit Theodor Heuss zum Vorsitzenden der Demokratischen Partei Deutschlands (DPD) gewählt.

    Bereits nach einem Dreivierteljahr scheiterte der Versuch einer zonenübergreifenden Partei an der Teilnahme der LDPD am von der SED dominierten 1. Deutschen Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden. Külz wollte der SED auf dem Kongress das Feld nicht allein überlassen. Stattdessen wollte er als Vertreter der zweitstärksten Partei in der sowjetischen Besatzungszone eigene Akzente setzen.[9] Der LDPD-Hauptausschuss am 6. Januar 1948 in Weimar diskutierte darüber kontrovers, stellte sich aber mehrheitlich hinter seinen Vorsitzenden.[10]

    Von der DPD-Vorstandssitzung am 18. Januar 1948 in Frankfurt am Main wurde Külz ausgeladen.[11] Heuss warf der LDPD dort vor, mit der Beteiligung am Volkskongress habe sie sich „für die russische Auffassung von der Einheit Deutschlands“ entschieden.[12][13] Der Vorstand verabschiedete ein Pressekommuniqué, das der LDPD nahegelegte, personelle Folgerungen zu ziehen.[14] LDPD-Geschäftsführer Arthur Lieutenant erklärte, dass für die Ost-Liberalen unter diesen Umständen eine „Weiterarbeit … zunächst unmöglich“ sei.[15] Das war das faktische Ende der DPD. Eine formale Auflösung gab es nicht. Nach Külz’ Tod am 10. April 1948 gab es keine Nachwahl eines Vorsitzenden.

    Gemeinsam mit Otto Nuschke (CDU) und Wilhelm Pieck (SED) übernahm Külz 1948 den Vorsitz des Deutschen Volksrates, eines Vorläufers der späteren DDR-Volkskammer.

    https://www.openstreetmap.org/way/35557161

    #Kaupert #Berlin #Mitte #Markgrafenstraße #Wilhelm-Külz-Straße #Straßenumbenennung

  • 13.10.2020: Frühkapitalistische Methoden (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/388258.arbeitswelt-fr%C3%BChkapitalistische-methoden.html

    13.10.2020 von Daniel Behruzi - Von wegen modern: Bei den Arbeitsbeziehungen herrschen in der #Plattformökonomie Uraltzustände

    Sie steht für eine radikale Transformation der Arbeitswelt: die sogenannte Plattformökonomie. In ihr wird Arbeit über Apps und Websites vermittelt. Die Beschäftigten gelten in der Regel als Selbständige, sind aber oft de facto von den digital erteilten Aufträgen abhängig. Dieser Bereich – für den exemplarisch der Fahrdienstleister Uber steht – ist »hochgradig vermarktlicht«, wie Stefan Kirchner und Wenzel Matiaske in ihrer Einleitung zu einem Schwerpunktheft der Zeitschrift Industrielle Beziehungen schreiben. »Diese Unmittelbarkeit des Marktes geht einher mit einer geringen Sicherheit der Arbeitstätigkeit, einem hohen Wettbewerbsdruck und einer oftmals geringen Entlohnung.« Die »#Uberisierung« stehe für eine »radikale Entbetrieblichung«, bei der die betriebliche Organisation der Arbeit vollständig erodiert – und mit ihr die Regulation von Arbeitsbeziehungen und Rechten der Lohnabhängigen.

    Doch ist der Siegeszug der Plattformökonomie, die auch unter Begriffen wie »Cloudwork« oder »Clickwork« diskutiert wird, ausgemacht? Wie weit geht der mit ihr verbundene radikale Umbruch tatsächlich? Hier wenden sich die Herausgeber gegen einen kapital- oder technik-deterministischen Ansatz. Sie betonen, dass es sich bei der erwarteten Disruption durch die Plattformökonomie bislang eher um eine »imaginierte Zukunft« als um die Realität handelt. Die tatsächliche Verbreitung der Plattformökonomie ist nämlich bisher recht überschaubar, auch wenn die Angaben über die Zahl der so Beschäftigten recht unterschiedlich sind. Kirchner und Matiaske gehen zudem davon aus, dass die Digitalisierung eher schrittweise vonstatten geht.

    Es entstehen freilich auch neue Branchen, in denen sich alles, inklusive der konkreten Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit, neu entwickeln muss. Wie das in mikropolitischen Aushandlungsprozessen geschieht, zeichnen Heiner Heiland und Ulrich Brinkmann von der TU Darmstadt in einem Beitrag über den sogenannten Foodtech-Sektor, also plattformvermittelte Essenslieferungen, nach. Die Umsätze in diesem Segment steigen schnell und lagen 2019 bei 1,8 Milliarden Euro.

    Heiland und Brinkmann stellen dar, wie 2017 erstmals ein #Betriebsrat bei »Foodora« in Köln gegründet wurde. »Die vorausgehende Organisierung der Rider war aufgrund des Fehlens einer gemeinsamen Betriebsstätte ein schwieriges Unterfangen.« Denn, so berichtet einer der Kuriere, »eigentlich ist es im Prozess nicht vorgesehen, dass die Fahrer sich treffen oder großartig miteinander kommunizieren«. Ermöglicht wurde die Kontaktaufnahme und Organisierung unter anderem dadurch, dass sich die Kuriere in einem engen Radius um einen zentralen Platz ins System einloggen mussten, weshalb sie sich dann doch begegneten.

    Beim Konkurrenten »Deliveroo« lief die Vernetzung über das Chatprogramm des Unternehmens, das zunächst der kollegialen Selbsthilfe der Fahrer diente. Hier wurde auch deutlich, wie solche Firmen auf die Organisationsversuche reagieren: Sobald in den Chats die Frage einer Betriebsratsgründung diskutiert wurde, stellte »Deliveroo« das Programm ein bzw. zensierte es. Als dennoch ein Betriebsrat entstand, ließ das Unternehmen die Verträge der gewählten Interessenvertreter auslaufen und stellte sein Geschäftsmodell schließlich so um, dass nur noch selbständige Fahrer zum Einsatz kamen. Hier wie in anderen Aspekten ähnelt die Plattformökonomie »einer Wiederkehr der Arbeitsbeziehungen der ›Industrie 1.0‹ in den Frühzeiten des Kapitalismus«, so die Autoren. So viel zu der allzu üblichen Gleichsetzung von Digitalisierung und Modernisierung.

    Die Auseinandersetzungen um Mitbestimmung im Bereich der plattformvermittelten Essenslieferungen zeigen also einerseits die Kreativität, mit der Beschäftigte es auch unter widrigen Bedingungen schaffen, kollektiv zu handeln. Andererseits sind die Plattformbetreiber »durch die jederzeit änderbare Organisation des Arbeitsprozesses (…) in der Lage, auf die kreativen eigensinnigen Praktiken der Arbeitenden flexibel zu reagieren«. Mit dem »Marktaustritt« von »Deliveroo« und dessen Konzept der ausschließlich selbständigen Fahrer scheint sich nun das Modell »Foodoras« mit abhängiger Erwerbsarbeit und vereinzelten Betriebsratsstrukturen durchzusetzen, das, so die Interpretation der Autoren, »eher dem traditionellen Entwicklungspfad des ›deutschen Modells‹ entspricht«.

    #Arbeit

  • 03.08.2020: »Der Rechtsruck ist ein Alptraum für mich« (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/383440.antifaschistin-der-rechtsruck-ist-ein-alptraum-f%C3%BCr-mich.html

    Ihre Reportagen sind unter anderem illustre Darstellungen von Heuchelei in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Würden Sie diesen Staat als eine Anpassungsgesellschaft bezeichnen?

    Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, ihn so zu nennen. Denn um sich selbst zu schützen, war es für die Täter nicht nötig, sich anzupassen – sie wurden ja nicht verfolgt, sie wurden nicht vor Gericht gestellt. Sie konnten ihre Karrieren einfach fortsetzen. Die Täter waren in der Nachkriegsgesellschaft keine Fremdkörper, sie passten da gut rein. Es gab ein Ein- und Untertauchen in die bzw. den Massen und das falsche Bewusstsein der Täter, dass sie es ja nicht gewesen sind. Hannes Heer hat darüber ein Buch geschrieben mit dem sehr zutreffenden Titel »Hitler war’s«. Die Schuld wurde an ihn delegiert.

    Wie ist es für Sie als Überlebende der Schoah, in diesem Deutschland zu leben? Wut, Hilflosigkeit, Abscheu – was empfinden Sie?

    Das Gefühl von Ungerechtigkeit hatte ich bereits als kleines Kind. Zwangsläufig. Was mich umhaut, ist nicht ein einzelnes Verbrechen hier oder da, sondern das weltweite Ausmaß von Unrecht. Wie kann man etwas loswerden, das derart etabliert ist? Die zwölf Jahre Nazizeit waren dabei die Steigerung ins Unermessliche.

    2019 diffamierte das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten«, VVN-BdA, als »linksextremistisch beeinflusst«, woraufhin der Organisation der Opfer des Naziterrors als Ganzes die Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Anfang Juli bekräftigte das Berliner Finanzamt für Körperschaften diese Entscheidung. Warum ist die VVN wichtig in Deutschland?

    Ich finde es wichtig, dass Verfolgten des Naziterrors das Recht zugestanden wird, sich zusammenzutun, eine Organisation haben zu dürfen, um ihre Trauer und ihre Erinnerung wahren zu können – in einem Land, das Schuld an der Ermordung von 50 Millionen Menschen in Europa trägt …

    Der Entzug der Gemeinnützigkeit rückwirkend ab 2016 durch diese Berliner Behörde ist für die VVN existenzgefährdend. Es drohen hohe Steuernachzahlungen.

    Wie kann man eine Opferorganisation im Land der Täter derart sanktionieren? Und selbst wenn die VVN wirklich »linksextrem« sein sollte – mich würde das sehr freuen.

    Der VVN wird unter anderem vorgeworfen, Naziaufmärsche und Polizeieinsätze gewaltsam zu blockieren.

    Einfach lächerlich … Das ist ein internationaler Skandal! Wir, die Opfer des Naziterrors, VVN-Mitglieder und -Sympathisanten, brauchen Aufmerksamkeit für dieses unwürdige Vorgehen und Unterstützung der VVN. Aber auch internationale Solidarität mit der deutschen Linken. Man darf einer Organisation der Opfer des Naziterrors in Deutschland nicht das Existenzrecht rauben. Unvorstellbar, dass Naziopfer in Deutschland mundtot gemacht werden sollen.

    Sie selbst haben ja den Naziterror überlebt …

    Meine ganze Familie, alle Verwandten – Eltern, Großeltern, Onkel, Tanten, Vettern, Cousinen – sind in Treblinka und anderen KZ der Nazis ums Leben gekommen. Alle. Man kann Opfern nicht den Mund verbieten. Aber man sollte verbieten, wie mit Opfern umgegangen wird. Statt dessen sehen wir, wie die VVN bedrängt wird, weil die Nazis immer noch da sind. Sie organisieren sich in neuen Parteien, Terrorgruppen, sie dienen in der Polizei ...

    Das Bundesamt für Verfassungsschutz erwähnte in seinem kürzlich erschienenen Bericht für das Jahr 2019 mit keinem Wort die rechte Terrorgruppe »NSU«, die von Neonazis durchsetzte Bundeswehr-»Elitetruppe« KSK oder die Tatsache, dass Polizisten in »sozialen Netzwerken« Hitlerbilder und faschistische Sprüche austauschen.

    Die Nazis scheuen sich nicht mehr, offen auszusprechen, was sie vorhaben. Und ihre heimlichen Unterstützer schützen sie dabei. Der gegenwärtige Rechtsruck ist ein Alptraum für mich.

    Was war angesichts der politischen Verhältnisse in Westdeutschland Ihre wichtigste Erkenntnis als Publizistin?


    Lukas Schulze/dpa/picture alliance
    Peggy Parnass, aufgenommen im März 2016 in Hamburg

    In der alten Bundesrepublik war ja immer die Rede vom »Sympathisantensumpf« der RAF. Um dagegenzuhalten, machten Axel Engstfeld und ich 1982 einen Film unter dem Titel »Von Richtern und anderen Sympathisanten« – und widmeten ihn den Nazirichtern, die ja nie angeklagt wurden, eben weil sie so viele Unterstützer im Apparat hatten. Richter mit Nazivergangenheit, über die immer eine schützende Hand gehalten wurde. Der Film basierte auf Texten von mir, die zuerst als Kolumne in Konkret erschienen waren. Er war sehr erfolgreich, bekam sogar den Bundesfilmpreis. Doch geändert hat sich nichts, null … Das war wohl der Kern, die wichtigste Erkenntnis: Dass du dich hier abstrampeln kannst, um politisch etwas geradezubiegen, aber ändern tut es gar nichts.

    Hatten Sie je das Gefühl, dass Sie sich sich in Ihrer Arbeit Beschränkungen auferlegen mussten?

    Für mich gibt es kein Tabuthema. Natürlich gibt es diesen Druck gegen links. Jedes Mal, wenn ich irgendetwas veröffentlichte, wurde ich abgestraft, gab es Drohbriefe und -anrufe, Morddrohungen. Praktisch immer, wenn ich den Mund aufgemacht habe. Aber es gibt da nichts, was mich aufhalten würde: Ich sage, schreibe und denke, was ich will – wie in dem neuen biographischen Film über mich (»Überstunden an Leben«, 2018, Regie Gerhard Brockmann und Jürgen Kinter, A. D.), der gerade mit großem Erfolg läuft und der sehr politisch ist.

    Darin ist eine Aufnahme Ihrer Wohnung zu sehen – an einer gut sichtbaren Stelle hängt ein Foto von Ulrike Meinhof. Was bedeutete Ihnen die Freundschaft mit ihr?

    Immer noch viel. Sie bestand, bis ­Ulrike 1968 Hamburg verließ. Danach habe ich sie nie mehr gesehen und nichts mehr von ihr gehört. Ich bin ihr in gewisser Weise auch sehr dankbar dafür, dass sie mich nicht aufgesucht hat. Wenn sie mich gebeten hätte, sie unterzubringen, bei mir übernachten zu dürfen, wäre es mir wie so vielen ihrer Bekannten und Freunde gegangen – ich hätte nicht nein sagen können. Aber mit dem, was sie dann tat, war ich überhaupt nicht einverstanden. In unserer Freundschaft waren wir uns als Pazifistinnen einig, und Ulrike hatte ein starkes Unrechtsbewusstsein, das ich teilte. Sie war unglaublich warmherzig, mitfühlend, großzügig.

    Im Stern erschien im März 2007 ein Gastbeitrag von Ihnen zur Debatte um die Freilassung von Christian Klar, der wegen seiner RAF-Aktivitäten seit 1982 im Gefängnis saß. In dem Artikel setzen Sie die Dauer seiner Haft – damals bereits 24 Jahre – ins Verhältnis zu der in der BRD verurteilter faschistischer Massenmörder. Die Öffentlichkeit bemitleide, heißt es bei Ihnen, die »beklagenswerte, greise Witwe von Hanns Martin Schleyer! Die unglückliche Frau. Die Arme«. Dabei war der SS-Hauptsturmführer und spätere »Arbeitgeberpräsident« Schleyer, in führender Position beteiligt an Kriegsverbrechen in der besetzten Tschechoslowakei …

    Klar musste insgesamt fünfundzwanzig Jahre im Knast absitzen, das musste kein Nazi. Schleyer wurde, nach dem, was er im »Reichsprotektorat Böhmen und Mähren« verbrochen hatte, nicht bestraft. Die Nazimörder durften ruhig und unbehelligt weiterleben. Der Artikel über Christian Klar war mir sehr wichtig, keiner wollte den haben. Der Stern druckte ihn überraschenderweise ab.

    Ihre Prozessberichte sind lebhafte Zeugnisse dafür, dass sich im Westdeutschland der Nachkriegsjahre hinter der Fassade von Wohlstand und Wirtschaftswunder Abgründe auftaten.

    Es gab ja diese Wirtschaftswunderzeit – für mich selbst aber war es eine Zeit des Hungerns: Ich hatte kein Geld und nichts zu essen … Und das war die große Blütezeit hier. Die Zeit auch, in der man »Gastarbeiter«, denen wir unser Wohlleben zu verdanken haben, wie Scheiße behandelt hat. Dabei war die Bundesrepublik nach meinem Empfinden keine traumatisierte Gesellschaft, es war ja nicht so, dass man hier schreiend und weinend herumlief. Die Leute hätten, nach dem, was sie der Welt angetan hatten, das doch tun müssen. Eigentlich jeder, nicht nur die Täter, sondern alle, weil es so war, wie es war. Sie haben hier aber einfach weitergemacht, als wäre nichts gewesen.

    Welches Ihrer Bücher ist Ihnen besonders wichtig?

    »Prozesse« kostete mich neun Jahre Arbeit, sechzehn Stunden am Tag … Mein Lieblingsbuch ist aber »Unter die Haut«, ein sehr persönliches Werk. Es kam zu einer Zeit heraus, als es mir furchtbar peinlich war, dass Leute mich gelesen haben, weil alles, was ich schrieb, so intim war. Da kamen dann Menschen mit wissendem Blick auf mich zu, und ich kannte die Leute überhaupt nicht, wusste nichts über sie. Sie aber alles über mich ...

    Ein Lebensabschnitt, der mich besonders interessiert, ist Ihr Aufenthalt in Paris. Sie haben diese Zeit zwar in manchen Interviews erwähnt, aber nie ausführlicher darüber geschrieben oder berichtet.

    Aus London kommend, fuhr ich für zwei Tage mit einem schwedischen Kollegen dorthin. Er kehrte zurück – ich blieb. Weil die Stadt mir gefiel und weil ich dort neue Menschen kennenlernte. Ich war in Paris, als sie wie verrückt Algerier jagten (im Algerienkrieg, 1954–1962, gegen die Unabhängigkeit der ehemaligen französischen Kolonie, A. D.) – und war sehr enttäuscht davon und fand es schrecklich zu sehen, dass es Franzosen gab, die kaum besser waren als deutsche Nazis. Ich wohnte damals in kleinen billigen Hotels. Eines Tages haben sie meine Zimmertür aufgerissen und unterm Bett nachgesehen, ob ich einen Algerier verstecke …

    Einer Ihrer Texte ist unter dem Titel »Weihnachten« erschienen. Sie beschreiben darin Ihre Wut über Freunde, die jahraus, jahrein darüber jammerten, dass sie über die Feiertage zu ihren Eltern reisen mussten. Ihre wurden Ihnen genommen, als Sie noch ein sehr kleines Mädchen waren.

    »Mein Gott, Weihnachten …! Schon wieder zu meiner Mutter« – ich hatte Lust, sie zu verprügeln. Mir hat meine Familie zeitlebens gefehlt, mir wurde kein Lieblingsgericht von meiner Mutter zubereitet. Meine Mutter, meine Eltern haben mir die Nazis genommen. Ich habe bis heute nicht verkraftet, dass ich keine Eltern habe, sie fehlen mir ständig.

    Peggy Parnass, 1927 in Hamburg geboren, überlebte die Schoah zusammen mit ihrem Bruder in Schweden – die beiden waren 1939 mit einem Kindertransport nach Stockholm gebracht und gerettet worden. Ihre Eltern wurden im KZ Treblinka ermordet. Ihre gesamte Familie wurde von den Nazis umgebracht.

    Peggy Parnass ist Publizistin und Schauspielerin. Sie studierte in Stockholm, London, Hamburg und Paris. Als Gerichtsreporterin schrieb sie 17 Jahre lang für das Monatsmagazin Konkret; eine Auswahl ihrer Kolumnen erschien in dem preisgekrönten Buch »Prozesse« (Erstauflage 1978). Sie veröffentlichte mehrere Bestseller, darunter »Unter die Haut« (1983) und »Süchtig nach Leben« (1990). Ihre Berichte demaskieren die Lebenslügen der Bundesrepublik und kratzen am Selbstbild der angeblichen Musterdemokratie. Im vergangenen Jahr wurde Peggy Parnass mit Esther Bejarano die Ehrenbürgerschaft der Stadt Hamburg verliehen.

  • Schützenhilfe für Taxibranche (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/373429.anstelle-von-regulierung-schützenhilfe-für-taxibranche.html

    27.02.2020 von Ralf Wurzbacher - Berlins Verkehrssenatorin stellt sich gegen geplante Deregulierung der Personenbeförderung. Hausgemachte Fehler bleiben unberührt

    Die von »modernen« Fahrdienstleistern wie Uber, »We Share« oder Lyft bedrängte klassische Taxibranche erhält in ihrem Überlebenskampf ungeahnte Schützenhilfe durch die Berliner Landesregierung. Nach einem Medienbericht will sich der Hauptstadtsenat den Plänen von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) für eine Liberalisierung des Personenbeförderungsmarktes entgegenstellen. Ziel sei es, das Taxigewerbe »als Teil der Daseinsvorsorge« zu erhalten und zu schützen, heißt es in einer Besprechungsvorlage der Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, Regine Günther (Bündnis 90/Die Grünen), aus der die Berliner Zeitung (Dienstagausgabe) zitierte. Ob der Vorstoß im Senat eine Mehrheit findet und daraus eine Bundesratsinitiative erwächst, ist derweil noch nicht abzusehen.

    Am Mittwoch der Vorwoche hatten zum wiederholten Male Dutzende Taxifahrer in einem mehrstündigen Streik wichtige Verkehrsknotenpunkte in der Spreemetropole blockiert, darunter am Flughafen Tegel und vor dem Roten Rathaus. Die Betroffenen fürchten um ihre Arbeitsplätze, weil sie gegen die Dumpingkonkurrenz der sogenannten Gig Economy – sprich die kurzfristige Vergabe von kleinen Aufträgen an prekär Beschäftigte –, nicht bestehen können. Denn die jagt ihnen mit Kampfpreisen und illegalen Methoden die Kundschaft ab. Nach der noch herrschenden Rechtslage sind die von Vermittlern wie Uber und Lyft beauftragten Mietwagenfirmen verpflichtet, ihre Chauffeure nach jeder Fahrt an den Firmensitz zurückzubeordern. In Berlin ist diese Vorgabe wegen mangelnder Kontrollen praktisch wirkungslos.

    Aber das ganz dicke Ende droht erst noch, sollte auf Bundesebene Scheuers Vorhaben für weitere »regulatorische Entlastungen des Mietwagenverkehrs« umgesetzt werden. Nicht nur würde damit besagtes Rückkehrgebot entfallen. Es könnten dann auch Fahrgäste mit ähnlichen Zielen gemeinsam befördert werden (»Ride Pooling«), was bislang nicht gestattet ist. Kommt es so, wäre das der Todesstoß für das traditionelle und streng regulierte Taxigewerbe. Die Beschäftigten müssten sich künftig noch billiger verkaufen, als sie das heute schon tun. Im Sommer 2019 hatte die Bundesagentur für Arbeit (BA) Zahlen dazu vorgelegt: Demnach erzielen 90 Prozent aller in Berlin vollzeitbeschäftigten Taxifahrerinnen und -fahrer ein Entgelt unterhalb der Niedriglohnschwelle.

    Durch das Streben nach weiterer Deregulierung werde der ruinöse Wettbewerb weiter verschärft, warnt Senatorin Günther in ihrem Diskussionspapier. Eine Neuregelung dürfe »aus Sicht Berlins nicht dazu führen, dass künftig undifferenziert neue Angebote zuzulassen sind, die der Erreichung der Ziele des Berliner Mobilitätsgesetzes entgegenstehen: der Stärkung des Umweltverbunds und der Minimierung des Verkehrsaufwands«. Sogenanntes Ride Pooling und andere flexible Bedarfsverkehre wären danach nur genehmigungsfähig, sofern sie einen »integralen Bestandteil des Nahverkehrsangebots« darstellen. Das müsse auch für »plattformbasierte Mietwagenverkehre« wie Uber oder Free Now gelten. Diese sollten nur dann erlaubt sein, »wenn nachteilige Auswirkungen auf öffentliche Interessen effektiv verhindert« oder reduziert werden könnten.

    Eine schriftliche Anfrage von junge Welt bei Günthers Pressestelle blieb bis Mittwoch unbeantwortet. Detlev Freutel, Vorsitzender des Taxiverbands Berlin-Brandenburg e. V., begrüßt zwar die Initiative der Senatorin, für ihn kommt sie aber »extrem spät«. Mit »langem, langem Nichtstun hat man einer Schwemme an Mietwägen und Anbietern Vorschub geleistet«, beklagte er am Dienstag im Gespräch mit jW. Hauptursachen wären ein ausgeprägter »Kontrollmangel« infolge des Personalnotstands in der Verwaltung und ein »Verantwortungswirrwarr«, bei dem sich drei Senatsstellen gegenseitig in die Quere kämen. In Hamburg mit seiner »einsträngigen Zuständigkeit« hat man laut Freutel frühzeitig auf den Aufgalopp von Uber und Co. reagiert und »mit Vorkehrungen dafür gesorgt, dass heute bloß 300 Mietwägen unterwegs sind«. In Berlin verstopften dagegen inzwischen über 3.000 buchbare Fahrzeuge von mehr als 500 Anbietern die Straßen. »Dieser Verkehrskollaps ist hausgemacht«, bekräftigte der Verbandschef.

    Zur Misere beigetragen hat auch der im September 2018 an den Start gegangene Dienst »Berlkönig« – ein Taxikonkurrent mit freundlicher Unterstützung des Senats. Keine zwei Jahre später steht das Gemeinschaftsprojekt der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und des Startups Viavan vor dem Aus. Eigentlich sollte die Fahrzeugflotte im schrillen BVG-Look bis mindestens 2022 durch eine Sondergenehmigung des Senats auf Kundenfang gehen. Weil der Vertrag mit dem US-Unternehmen Ende April ausläuft, wäre ein Weiterbetrieb jedoch nur mit einer öffentlichen Finanzspritze möglich. In der Vorwoche beschlossen die Koalitionsfraktionen, die nötigen 43 Millionen Euro nicht zuzuschießen. In der Presse äußerte sich SPD-Verkehrsexperte Tino Schopf: »Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber den Taxifahrern – sollen wir sie mit Steuergeld kannibalisieren?«

    #Berlin #Taxi #Politik #SenUVK

  • 08.02.2020: »Es ist ein Tag der Erinnerung, kein Grund zum Feiern«
    https://www.jungewelt.de/artikel/372217.gründung-des-mfs-vor-70-jahren-es-ist-ein-tag-der-erinnerung-kein-g

    Vor 70 Jahren, am 8. Februar 1950, wurde das Ministerium für Staatssicherheit, kurz MfS, gegründet. Werden Sie den Tag so begehen, wie am 7. Oktober 2019 der 70. Geburtstag der DDR gefeiert wurde?

    Wolfgang Schmidt: Eine große Feier wird es nicht geben, aber ein Kolloquium. Wir werden gemeinsam unter anderem daran erinnern, dass an jenem Tag der DDR-Innenminister Carl Steinhoff – bis zur Gründung der DDR demokratisch gewählter Ministerpräsident des Landes Brandenburg – im Parlament das Gesetz begründete. Es war kurz und hatte nur zwei Paragraphen: »1. Die bisher dem Ministerium des Innern unterstellte Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft wird zu einem selbständigen Ministerium für Staatssicherheit umgebildet. Das Gesetz vom 7. Oktober 1949 über die Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik wird entsprechend geändert. 2. Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.« Mehr nicht.

    Reinhard Grimmer: Wilhelm Zaisser, Spanienkämpfer mit dem Decknamen »General Gómez«, wurde Minister, Erich Mielke sein Stellvertreter im Range eines Staatssekretärs. Der ehemalige Spanienkämpfer Mielke – Deckname »Fritz Leissner« – war bis dahin Generalinspekteur der Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft.

    Karl Rehbaum: Die Hauptverwaltung Aufklärung, kurz »HVA«, wurde erst später als Außenpolitischer Nachrichtendienst gebildet, erster Chef war Anton Ackermann. Im Dezember 1952 übernahm Markus Wolf die Leitung.

    Wie begründete Innenminister Steinhoff, ein ehemaliger Sozialdemokrat, die Bildung dieses Ministeriums?

    R. G.: Es gab eine Vielzahl von Terroranschlägen, militante Angriffe auf staatliche Einrichtungen, Spionage und Sabotage in der Wirtschaft. Vergessen wir nicht: Weltkrieg und Nazidiktatur waren keine fünf Jahre vorüber, Deutschland geteilt und Schlachtfeld des Kalten Krieges. Steinhoff sagte: »Die hauptsächlichsten Aufgaben dieses Ministeriums werden sein, die volkseigenen Betriebe und Werke, das Verkehrswesen und die volkseigenen Güter vor Anschlägen verbrecherischer Elemente sowie gegen alle Angriffe zu schützen, einen entschiedenen Kampf gegen die Tätigkeit feindlicher Agenturen, Diversanten, Saboteure und Spione zu führen, unsere demokratische Entwicklung zu schützen und unserer demokratischen Friedenswirtschaft eine ungestörte Erfüllung der Wirtschaftspläne zu sichern. Zur Durchführung dieser Aufgaben bildet das Ministerium in den Ländern Verwaltungen für Staatssicherheit, die dem Ministerium unmittelbar unterstellt sein werden.« Und so ist es dann auch geschehen.

    K. R.: Das Gesetz wurde einstimmig angenommen.

    W. S.: Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Es ist ein Tag der Erinnerung, kein Grund zum Feiern.

    Und wer erinnert sich da?

    W. S.: Es gibt in der GRH – das ist die »Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung e. V.« – zwei Arbeitsgruppen: die AG Sicherheit und die AG Kundschafter. In diesem Kreis kommen regelmäßig ehemalige Mitarbeiter zusammen. Wir tauschen uns zu bestimmten aktuellen Ereignissen aus, bereiten Publikationen vor, organisieren Buchvorstellungen und andere Veranstaltungen. Es gibt vielleicht ein halbes hundert Aktivisten. Dann engagieren sich ehemalige Angehörige des MfS auch bei der »Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR«, kurz ISOR e. V., und ähnlichen Organisationen und Gruppen.

    R. G.: Aber wie überall lichten sich auch unsere Reihen. Von den zwanzig Autoren zum Beispiel, die um die Jahrtausendwende den Zweibänder »Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS« erarbeiteten, haben wir bereits mehr als die Hälfte verloren.

    Ist das eine Erklärung dafür, dass es vergleichsweise ruhig um das MfS geworden ist?

    K. R.: Wenn ich ins Fernsehen und in die Programmillustrierten schaue, habe ich diesen Eindruck ganz und gar nicht. Selbst in Gegenwartsfilmen findet man oft einen konstruierten, abstrusen Stasi-Bezug. Vornehmlich in den dritten Programmen wiederholen sie immer wieder Dokumentar- und Spielfilme mit MfS-Themen.

    W. S.: Die »Aufreger« nehmen in der Tat ab. Das Thema »Stasi« ist ziemlich ausgelutscht. Der letzte »Skandal« war die Enttarnung des neuen Eigentümers der Berliner Zeitung. Wobei wohl weniger dessen kurzzeitige IM-Tätigkeit in der NVA für die gewohnt hysterische Schnappatmung sorgte, als vielmehr die Tatsache, dass er für Egon Krenz freundliche Worte fand und ihm dafür dankte, im Herbst 1989 für Gewaltlosigkeit in der DDR gesorgt zu haben. Die »Aufarbeiter« müssen sich zunehmend selbst die Anlässe schaffen, mit denen sie sich ins Gespräch bringen. Wie etwa der jüngste Vorschlag von Roland Jahn, dem Chef der BStU (»Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik«, jW), eine Kennzeichnung der Doktortitel vorzunehmen.

    R. G.: Weil sie uns den Doktortitel nicht aberkennen können, sollten wir als »Doktor der Stasi« gekennzeichnet werden. »Das wäre dann echte Transparenz«, begründete Jahn seinen Vorschlag gegenüber der dpa. An der Juristischen Hochschule in Potsdam-Eiche seien 174 Promotionen erfolgt, an denen 485 Autoren beteiligt waren.

    Und wie sieht es beim Thema Datenschutz aus? Wie zu hören war, waren Sie drei sowie der Vorsitzende der »Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung«, Hans Bauer, bei Jahn zum Gespräch in der Bundesbehörde.

    W. S.: Aber nicht wegen der Titelei. Diesen Vorschlag platzierte Jahn geschickt in die nachrichtenarme Zeit zwischen Weihnachten und Silvester 2019. Da lag allerdings, was sich der Medienprofi eigentlich hätte denken können, der Kalauer auf der Zunge: eine Schnapsidee. Aber immerhin: Jahn hatte mal wieder Presse.

    R. G.: Wir vier hatten ihm bereits im Juni 2018 geschrieben und 21 Fragen zur Arbeit der BStU gestellt. Diese Fragen schickten wir auch an über zweihundert Personen, darunter an Staatsministerin Monika Grütters, an Ausschussvorsitzende im Bundestag und Chefs von Institutionen der Aufarbeitungs- und Erinnerungsindustrie sowie Zeitungsredaktionen. Die Reaktion war gleich null. Lediglich die junge Welt griff die Fragen auf. Die anderen hatten inzwischen die Ignoranz als schärfste Waffe in der Auseinandersetzung mit uns erkannt.

    Was waren das für Fragen?

    R. G.: Wir wollten Auskünfte zum Selbstverständnis der Behörde. Zum Beispiel erhielt die Ludwigsburger »Zentralstelle für die Aufklärung der NS-Verbrechen« in den 31 Jahren ihrer Existenz soviel Geld, wie die BStU in nur vier Monaten ausgibt. Wie man dieses merkwürdige Ungleichgewicht beurteile und erkläre, fragten wir. Oder warum nie Richtigstellungen erfolgten, wenn öffentlich erhobene Anschuldigungen gegen ehemalige Mitarbeiter des MfS oder krude Behauptungen sich als nachweislich falsch herausstellten.

    Wir stellten auch rhetorische Fragen, wie die nach der Öffnung der Archive westdeutscher Geheimdienste, was wir mit Hinweis auf Hans Modrow und dessen erfolgreiche Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht begründeten. Modrow war seit den fünfziger Jahren bis 2012 von BND und Verfassungsschutz ununterbrochen bespitzelt worden. In der Verhandlung in Leipzig hatten die BND-Vertreter zum Beispiel den Namen eines in den frühen sechziger Jahren verstorbenen V-Mannes mit Hinweis auf den Datenschutz verschwiegen. Der auf Modrow angesetzte Mann habe schließlich Kinder und Kindeskinder, die geschützt werden müssten, hieß es damals. Bei Namen und Biographien von Ostdeutschen, die auf die eine oder andere Art mit dem MfS zu tun hatten, übt man solche Zurückhaltung nicht. Diese Personen stellt man nach wie vor ungeschützt an den Pranger. Haben die etwa keine Angehörigen? Solche Fragen stellten wir. Die Antwort: Schweigen im Walde.

    W. S.: Dann kam die telefonische Einladung aus der BstU. Damit wurde uns signalisiert, dass man unsere Fragen nicht zu beantworten gedachte und das Thema mit einem Kaffeeplausch aus der Welt schaffen wollte.

    K. R.: Mir stieß besonders übel auf, dass sich Jahn geradezu anbiederte. In seiner Jugend sei er ja auch mal links gewesen. Er sei mit Hans Modrow im Gespräch wegen dessen Akten. Und er sei immer für ein Gespräch offen, weil er lieber miteinander statt übereinander rede.

    Worüber wurde im einzelnen mit Jahn gesprochen?

    K. R.: Im wesentlichen sprach nur einer. Wir hörten zunächst einen etwa einstündigen Vortrag über die Vorzüge der Demokratie und Menschenrechte. Wenn wir unsere Situation verbessern wollten, dann müssten wir eben um demokratische Mehrheiten kämpfen, um dies zu ändern.

    W. S.: Wir wurden von Jahn belehrt, mit dem erkennbaren Ziel, Antworten auszuweichen. Ich habe daher explizit nachgefragt, ob wir mit einer schriftlichen Antwort auf unsere 21 Fragen rechnen könnten. Das sei nicht üblich, sagte er.

    R. G.: Er hat uns empfangen und unbefriedigt entlassen. Erwähnenswert war allenfalls die Atmosphäre: Sie war keineswegs giftig oder aggressiv.

    W. S.: Nein, sogar ungewohnt sachlich. Betont höflich. Das kann man in einem solch unverbindlichen Gespräch auch sein – es hat ja keine Konsequenzen.

    Ist Jahn jemals öffentlich auf dieses Treffen zu sprechen gekommen?

    W. S.: Nach unserer Kenntnis nicht. Das ist aber auch nicht verwunderlich: Die Antworten auf unsere Fragen wären eine Selbstentlarvung, deshalb müssen sie totgeschwiegen werden. Es geht doch im gleichen Stil weiter. Sie stellen den bisherigen Umgang mit dem MfS nicht in Frage und werden es trotz Eingliederung der »Stasi-Unterlagen« ins Bundesarchiv auch künftig nicht tun. Ähnlich verhält es sich mit der Verlängerung der Überprüfung auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für das MfS bis Ende der dreißiger Jahre bei Bewerbern im öffentlichen Dienst und Mandatsträgern. Das stärke, so Staatsministerin Grütters, »das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in öffentliche Institutionen und in die Integrität von Personen, die in politisch oder gesellschaftlich herausgehobenen Positionen tätig sind«. Das nennt man wohl Realitätsverlust.

    R. G.: Oder nehmen wir den aktuellen Koalitionsvertrag in Thüringen, da gehen Linke, Sozialdemokraten und Grüne sogar noch weiter. Es heißt da: »Die Parteien verständigen sich darauf, nicht mit Organisationen, die das DDR-Unrecht relativieren, zusammenzuarbeiten. Die Koalition wird keine Personen, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet haben, in Positionen dieser Regierung entsenden.« Als ließe sich durch ein solches Geschwurbel die verlorene Glaubwürdigkeit der Parteien wiederherstellen.

    K. R.: Das Ärgerliche dabei ist, dass die Rechten davon profitieren.

    Ihre Arbeitsgruppen versuchen, die Ignoranz bürgerlicher Medien zu unterlaufen, indem Sie selbst publizieren, Bücher schreiben und verbreiten. Dazu betreiben Sie auch Internetseiten wie mfs-insider.de oder kundschafter-ddr.de. Wie fällt Ihre Bilanz diesbezüglich aus?

    R. G.: Also in aller Bescheidenheit: Wir haben in den dreißig Jahren fast eine ganze Bibliothek publiziert. Das wohl wichtigste Werk waren die beiden 2002 verlegten und bereits erwähnten Bände »Die Sicherheit«. Das Buch erlebte mehrere Auflagen und ist auch elektronisch auf unserer Seite abrufbar. Allein von 2017 bis 2019 gab es dort 19.365 Zugriffe. Gefolgt von den beiden Bänden »Unbequeme Zeitzeugen« mit jeweils über 18.000.

    Die größte Resonanz gibt es weiterhin bei dem von Werner Großmann und Wolfgang Schwanitz herausgegebenen Buch »Fragen an das MfS. Auskünfte über eine Behörde«, das 2010 erstmals erschien. Und ich erinnere an die vielen Bücher und Videos, die Herbert Kierstein (1938–2017, jW) hinterlassen hat.

    K. R.: Nicht zu vergessen Gotthold Schramm (1932–2018, jW) und Klaus Eichner, die nicht nur selber publizierten und Sammelbände herausgaben, sondern ganze Reihen entwickelten, so etwa die acht Bände zur Geschichte der »HVA« und die Porträtserie über einzelne Kundschafter. Und ich verweise auf die internationalen Konferenzen in Berlin 1994 (»Duell im Dunkeln«, jW) und 2004 (»Spionage für den Frieden«, jW) sowie im dänischen Odense 2007 (»Hauptverwaltung A. Geschichte, Aufgaben, Einsichten«, jW), die ebenfalls publizistisch von uns begleitet wurden. Im Durchschnitt besuchen täglich 144 Interessenten unsere seit 2013 geführte Seite. Die Besucher leben überall auf der Erde. Aus Israel meldeten sich über tausend, aus Indien fast dreitausend, aus den USA an die zwanzigtausend Nutzer.

    Wie viele Veranstaltungen haben Sie mit den Büchern gehabt?

    K. R.: Im Unterschied zu Reinhard habe ich keine Statistik geführt. Es waren aber einige Lesungen.

    R. G.: Allein mit Titeln aus dem Abwehrbereich bestritten wir bundesweit etwa nahezu vierhundert Veranstaltungen, darunter ziemlich große in Bochum und Dortmund. Die Besucherzahlen variierten. Aber insgesamt haben wir einige zehntausend Menschen erreicht.

    W. S.: Unter den Besuchern waren am Anfang auch reichlich Provokateure oder selbsternannte Opfer. Ich erinnere mich an einige lautstarke Buchpremieren in der jW-Ladengalerie. Aber die Brüller, die uns Geschichtsklitterung und -revisionismus vorwarfen – ausgerechnet die! –, wurden irgendwann ihres eigenen Geschreis müde und erschienen bald nicht mehr.

    K. R.: Das Kuriose war: Sie störten nur, wenn ein Buch von der Abwehr vorgestellt wurde. Bei »HVA«-Themen blieben sie fern.

    R. G.: In der letzten Zeit waren wir mit dem Band von Dieter Skiba und Reiner Stenzel »In Namen des Volkes. Ermittlungs- und Gerichtsverfahren in der DDR gegen Nazi- und Kriegsverbrecher« unterwegs. Der Kampf gegen Faschismus, Antisemitismus, Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit war ein wesentliches Element der Tätigkeit des MfS. Mit diesem Buch und zu diesem Thema hatten wir bisher vierzig Veranstaltungen.

    W. S.: Nicht zu vergessen der im Vorjahr erschienene Gesprächsband mit Heinz Engelhardt »Der letzte Mann«. Der Generalmajor wickelte bekanntlich im Frühjahr 1990 das vormalige MfS ab.

    Engelhardt beendete quasi die Geschichte des MfS, die am 8. Februar 1950 ihren Anfang genommen hatte.

    R. G.: In diesem Kontext sehe ich auch das Buch von Peter-Michael Diestel. Der Expolitiker der CDU behandelt das MfS darin wohltuend sachlich. Das passt natürlich nicht in den Mainstream. Dieser Tage besprach in seiner ARD-Sendung »Druckfrisch« der Literaturkritiker Denis Scheck den Titel pflichtschuldig, weil Diestels Buch auf Platz 10 der Spiegel-Bestsellerliste stand. »Der letzte Innenminister der DDR ist heute als Anwalt tätig. Ich vertraue Historikern mehr als Zeitzeugen, aber bereichernd und horizonterweiternd sind Diestels Schilderungen der Jahre der Wiedervereinigung aus ostdeutscher Sicht allemal – auch wenn man manche kalkulierende Provokation auszuhalten hat, zum Beispiel in Sätzen wie: ›Auf der anderen Seite werden, angeblich um der historischen Gerechtigkeit willen, Jahr um Jahr Millionen ausgegeben, um die Schnipsel in der Stasi-Unterlagenbehörde zusammenzuleimen, nur um in Erfahrung zu bringen, wie der Speiseplan in der Betriebskantine in der Berliner Normannenstraße oder die Anweisung zum Entfernen von Hundescheiße an der Protokollstrecke ausschaute.‹ Ich glaube, die vielen tausend Stasi-Opfer werden die Arbeit der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR anders bewerten.«

    Aber immerhin: Im Unterschied zu anderen rezensierten Büchern, die er mit spitzen Fingern in die Tonne warf, legte Scheck Diestels Buch respektvoll wieder ins Regal.

    K. R.: Diestel hat doch recht: In den Säcken ist wirklich nur Müll. Die »heißen Dokumente« und sensationellen IM-Berichte, die man unter diesen Schnipseln zu finden hofft, gibt es dort gewiss nicht.

    W. S.: Ich glaube, dass der Unterhalt der Behörde und die Aufwendungen für die anderen Einrichtungen der Aufarbeitungsindustrie inzwischen mehr Steuergeld verbraucht haben, als das ganze MfS in den vierzig Jahren seiner Existenz kostete. Möglicherweise sehen das »die vielen tausend Stasi-Opfer« vielleicht inzwischen auch so.

    Karl Rehbaum (l.) ist Oberst a. D., war von 1955 bis 1990 beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bzw. Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) und leitet die »AG Aufklärer« in der »Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung« (GRH). Wolfgang Schmidt (M.) ist Oberstleutnant a. D., war von 1957 bis 1990 beim MfS/AfNS und ist Betreiber der Internetplattform »mfs-insider.de«. Dr. Reinhard Grimmer (r.) ist Oberst a. D., war von 1960 bis 1990 beim MfS/AfNS und leitet die »AG Sicherheit«. Alle drei Offiziere gehören zu den Zeitzeugen aus der Führungsebene des Ministeriums

    Ausführliche Informationen auf der Internetseite des »Insiderkomitees zur Förderung der kritischen Aneignung der Geschichte des MfS«: www.mfs-insider.de

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    Beitrag von Hans S. aus . ( 9. Februar 2020 um 11:38 Uhr)
    Der 70. Jahrestag des MfS ist für mich ein Tag zum Erinnern, an 23 Jahre meiner Tätigkeit im MfS. Mein Erinnern ist hellwach. Dank der DDR und des MfS waren dem deutschen Großmachtstreben 40 Jahre Grenzen gesetzt. Das rechtfertigte allemal die Bildung des MfS vor 70 Jahren. Heute erfolgt der Aufmarsch von NATO- und Bundeswehrtruppen an Russlands Grenzen über das Gebiet der ehemaligen DDR. Die Kriegsgefahr ist real. 20 Jahre meiner Dienstzeit gehörte ich zur Hauptabteilung Personenschutz des MfS. Ich habe mit dafür gesorgt, dass Politiker aus aller Welt und Parteien der BRD, die um die Gunst von Honecker buhlten, einen angenehmen und sicheren Aufenthalt hatten. Wir sorgten für sichere Fahrstrecken (ohne Gullydeckelzuschweißen und Scharfschützen auf Dächern), für gute Speisen und Radeberger Bier, damit sich unsere „Gäste“ aus der BRD wohl fühlten konnten. Es stimmt schon, dass die sogenannte Protokollstrecke, von Hundescheiße zu befreien war. Es gehörte aber mehr dazu. Bei heißem Wetter wässerten wir die Bäume am Straßenrand, sorgten dafür das Rettungsfahrzeuge und Schwerlasttransporte eine schnelle Durchfahrt hatten und Verkehrserziehung stattfand. Es ist schwer zu erklären, was das mit Geheimdiensttättigkeit zu tun hat und warum dafür die Rente zu kürzen ist. An einem solchen Tag erinnere ich mich an die von mir verehrte Traude Hahn, eine überzeugte Antifaschistin. Im damaligen Westberlin als Taxiunternehmerin lebend, unterstützte sie die Sicherheitsorgane der DDR, um Altnazis und Kriegsverbrecher in Westberlin aufzuspüren und wertvolle Hinweise über deren Tätigkeit in den Westberliner Verwaltungen des Senats, den Geheimdiensten und den von dort operierenden Menschenhändler- und Terrorbanden zu liefern. Diese und andere Aufgaben erfüllte sie bis 1989. Erst Jahre später wurde sie enttarnt und durch die Klassebnjustiz wegen geheimdienstlicher Tätigkeit verfolgt und angeklagt. Traude erhielt eine Hauftstraafe von 2 Jahren und 6 Monaten, welche aus gesundheitlichen Gründen nicht Vollstreckt werden konnte. Durch Gerichtsentscheid wurde ihr persönliches Hab und Gut und die Vorsorge fürs Alter eingezogen. Bis zu ihrem Tod lebte sie von Sozialhilfe. Sie und viele andere Verfolgte, wurden mit Rat und Tat durch die „Gesellschaft für Humanitäre und Rechtliche Hilfe“ unterstützt. Erinnern wird nicht ausreichend sein, so auf dem Kolloquium der GRH. Es kommt auf die Aktivität im Sinne von Frieden , Wahrheit und Gerechtigkeit an.

    Hans Sauer , 12679 Berlin

    #histoire #DDR #Stasi