Udetzeile in Tempelhof: Von einer Berliner Straße, die nach einem NS-Kriegsverbrecher benannt ist
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Tja, Mohr oder nicht Mohr ist hier mal wieder die Frage. In Berlin werden Straßen aus schlechteren Gründen umbenannt, also warum nicht weg mit Udet.
Vielleicht sollte man die Sache besser gleich richtig machen und das Fliegerviertel baldigst in Mörderviertel umbenennen, denn fast alle Straßen heißen dort nach Mördern wie Udet. Dann könnte in einer großen Aufräumaktion alles Kriegerische durch die Namen von Friedenspionieren ersetzt werden, allen Pistoriopossen zum Trotz.
So könnten in eimhundert Jahren die Kinder im Heimatkundeunterricht erfahren, dass ihre Urgroßeltern ein Zeichen gegen alle kommenden Kriege gesetzt haben. Wäre doch mal was.
5.12.2024 von Martin Verges - In Berlin-Tempelhof gibt es eine Gasse namens Udetzeile. Unser Autor will sich nicht damit abfinden. Denn Kampfpilot Ernst Udet zählte zu Hitlers Schergen.
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Im Sommer 2022 bin ich in Berlin-Tempelhof durchs „Fliegerviertel“ geradelt. Dort bin ich auf den Straßennamen „Udetzeile“ gestoßen. Ich wäre beinahe vom Rad gefallen, denn ich wusste, wer Udet war. Und auf dem Zusatzschildchen stand, dass genau dieser Udet gemeint war: „Ernst Udet, deutscher Generalluftzeugmeister, 1896 bis 1941“.
Zu Hause habe ich noch mal nachgelesen. Im Ersten Weltkrieg war Udet ein Kampfpilot – wie Herrmann Göring. 1933 ist Udet der NSDAP beigetreten. Danach hat er unter Förderung seines Fliegerkumpels Göring im Reichsluftfahrtministerium Karriere gemacht. Am 1. Februar 1939, also deutlich vor Kriegsbeginn, wurde Udet von Adolf Hitler zum Generalluftzeugmeister ernannt. Udets Aufgabe als Generalluftzeugmeister war die Organisation der Waffen: Produktion und Beschaffung der Bombenflugzeuge, Bomben, Jagdflugzeuge, Munition, Treibstoff, dazu das Einrichten von Flugplätzen, die Ausbildung der Piloten und natürlich die Ausarbeitung der strategischen und taktischen Angriffspläne, also das Zusammenwirken all dieser Luftkriegswaffen.
Der Generalluftzeugmeister Udet hat also keine Flugzeugbildchen in ein Sammelalbum geklebt, sondern er hat maßgeblich an der Vorbereitung und Durchführung der deutschen Angriffskriege mitgewirkt, durch die Millionen Menschen ermordet worden sind: in Polen, Dänemark, Norwegen, Belgien, Holland, Luxemburg, Frankreich, Großbritannien, Serbien, Griechenland und natürlich in der Sowjetunion. Kurzum: Ernst Udet war ein faschistischer Kriegsverbrecher – ein Schreibtischtäter, ein „Eichmann des Bombenterrors“. Und wenn man es genau betrachtet, wurden durch die Luftangriffe der von Udet organisierten Luftwaffe die Türen für die Besetzung des Landes durch die faschistische Wehrmacht aufgebrochen, der dann die Ausplünderung und Ermordung der Bevölkerung folgten.
Giffey antwortet, sie wäre nicht zuständig
Dass dieser faschistische Kriegsverbrecher mit einer Straße geehrt wird – und das auch noch in Berlin, der „Stadt der Täter“ – das ist nicht hinnehmbar. Also bin ich aktiv geworden. Zuerst habe ich Franziska Giffey, damals noch Berlins Regierende Bürgermeisterin, einen Brief geschrieben. Die Stadt Berlin sollte keinen faschistischen Kriegsverbrecher mit einem Straßennamen ehren. Doch Frau Giffey hat mir geantwortet, sie wäre nicht zuständig.
Dann habe ich Herrn Jörn Oltmann, dem Bezirksbürgermeister von Tempelhof-Schöneberg, einen Brief geschrieben. Herr Oltmann (Die Grünen) hat mir geantwortet, Udet wäre ein Sport- und Kunstflieger gewesen. Die Vorbereitung und Durchführung der Angriffskriege, also die Kriegsverbrechen Udets, hat Herr Oltmann komplett ausgeblendet, mit keinem Wort erwähnt. In dieser Logik wäre Joseph Goebbels ein Romanautor und Hitler ein Kunstmaler gewesen.
Dann bekam Berlin mit Kai Wegner (CDU) einen neuen Regierenden Bürgermeister. Doch auch Herr Wegner hat mir nur mitgeteilt, dass er nicht zuständig wäre. Ein einziges Telefonat hätte genügt, die Umbenennung der Udetzeile anzustoßen. Doch Herr Wegner wollte nicht.
Parallel dazu habe ich mich an die Fraktionen der BVV Tempelhof-Schöneberg gewandt. Die haben entweder gar nicht geantwortet oder nur ausweichend. Einzig Frau Elisabeth Wissel (Linke) hat sich für eine Umbenennung der Udetzeile ausgesprochen und diese dann auch im Kulturausschuss der BVV beantragt. Doch die 15 Abgeordneten dieses Kulturausschusses (CDU, SPD, Grünen, AfD) haben am 5. Oktober 2023 den Antrag auf Umbenennung abgelehnt. Begründung: Udet wäre kein Förderer des Nationalsozialismus gewesen. Dass Udet der Förderer von Angriffskrieg und Massenmord war, und also ein Kriegsverbrecher, wurde komplett ignoriert.
Daraufhin habe ich diesen 15 Abgeordneten Einzelbriefe geschrieben, in denen ich erneut die Taten Udets geschildert und darauf hingewiesen habe, dass nach Paragraf 130 StGB die Billigung, Leugnung und Verharmlosung faschistischer Kriegsverbrechen eine Straftat darstellt. Doch auch das führte zu keiner Änderung in der Haltung dieser 15 Abgeordneten. Nur der Vollständigkeit halber seien hier die Namen genannt: Tobias Dollase, Bertram von Boxberg, Stefan Böltes, Klaus Hackenschmied, Uwe Kasper, Ronja Losert, Dennis Mateškovic, Johannes Rudschies, Heinrich Schupelius, Philipp Seehofer, Corinna Volkmann, Kubilay Yalcin, Andreas Bräutigam, Notker Schweikhardt und Marianne Rosenthal.
Groteske Verkürzung des Sachverhalts
Am 8. Mai 2024 habe ich schließlich – wie angekündigt – Strafanzeige erstattet: wegen Verstoßes gegen Paragraf 130 StGB, der die Billigung, Leugnung oder Verharmlosung von Kriegsverbrechen (wie Völkermord und Angriffskrieg) unter Strafe stellt. Und hier lag ja nicht nur eine Verharmlosung, sondern sogar eine Verherrlichung eines faschistischen Kriegsverbrechers vor. Meine Strafanzeige richtete sich gegen: a) Herrn Wegner und Frau Giffey, die beide nicht willens waren, eine Beendigung der Verhöhnung der Tausenden Opfer Udets auch nur anzustoßen, b) Herrn Oltmann, für den Udet nur ein Sport- und Kunstflieger war und c) die 15 Abgeordneten des Kulturausschusses der BVV Tempelhof, die Kriegsverbrechen offenbar nur dann anerkennen, wenn der Täter schon vor 1933 ein aktiver Nazi war.
Auf diese Strafanzeige hat mir im Sommer 2024 eine Staatsanwältin Starke geantwortet (Geschäftszeichen: 237 Js 2289/24): Das „Unterlassen der Umbenennung einer Straße“ wäre „nicht geeignet, den Straftatbestand des Paragraf 130 StGB zu erfüllen“.
Ich finde das eine groteske Verkürzung des Sachverhalts. Denn die Straftat besteht ja nicht im Unterlassen der Umbenennung irgendeiner Straße, sondern in der fortgesetzten öffentlichen Verherrlichung eines faschistischen Kriegsverbrechers. Und für solche Fälle ist der Paragraf 130 StGB durchaus geeignet.
Frau Staatsanwältin Starke hat dann mehrere Ausschlussgründe angeführt: Der Paragraf 130 StGB wäre nicht anzuwenden, wenn die Handlung a) der staatsbürgerlichen Aufklärung, b) der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, c) der Kunst oder der Wissenschaft, d) der Forschung oder der Lehre, e) der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder f) ähnlichen Zwecken dient. Welchen dieser Ausschlussgründe sie für zutreffend gehalten hat, hat Frau Staatsanwältin Starke allerdings nicht mitgeteilt.
Benennen wir unsere Straßen jetzt nach Massenmördern?
Aufklärerische oder wissenschaftliche Absichten können es nicht sein, denn mit dem Straßennamen „Udetzeile“ sollen der Bevölkerung ja nicht die Kriegsverbrechen Udets vor Augen geführt werden. Der Name „Udetzeile“ ist auch kein Kunstprojekt oder Geschichtsbericht. Benennen wir unsere Straßen jetzt nach Massenmördern, um die Bevölkerung über diese Verbrecher zu informieren oder aufzuklären? Eine Straße nach einer Person zu benennen, ist eine Form der Ehrung – ein Bekenntnis des Staates oder der Stadt zu der Lebensleistung dieser historischen Person. Und die Lebensleistung von Udet bestand in der Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen und also in der Ermordung Hunderttausender Menschen.
Am 30. Oktober 2024 habe ich die Staatsanwältin Starke in einem Brief darauf hingewiesen, dass sie nicht die Anwältin von 18 faschismusverharmlosenden Politikern ist, sondern die Anwältin des Staates Bundesrepublik Deutschland, der als demokratisches und also antifaschistisches Gemeinwesen verfasst ist. Und dass ihr offenbar die öffentliche Wahrnehmung von 18 Politikern mehr gilt als das Leben von Tausenden Menschen in Polen, Holland, Großbritannien und der Sowjetunion (usw.), die zwischen 1939 und 1941 Opfer der von Udet organisierten Luftwaffe geworden sind.
Mein Fazit: Ich habe 18 Politikern (und einer Staatsanwältin) immer wieder die Gelegenheit gegeben, einen krassen Missstand zu beenden. Im Grunde habe ich diese Politiker geprüft. Wie würden sie sich verhalten? Wie würden sie auf eine öffentliche Faschismusverherrlichung reagieren? Ich denke, das Ergebnis der Prüfung ist eindeutig: Diese 18 Politiker (plus Staatsanwältin) haben die Prüfung nicht bestanden. Sie sind allesamt durchgefallen.
Ich denke, man kann hier gut erkennen, wie weit die Faschismus-Verharmlosung und Rechtfertigungslyrik in die sogenannte bürgerliche Mitte vorgedrungen ist. Ich bin sicher, diese 18 Politiker (zuzüglich Staatsanwältin) wären erbost, wenn man sie als Faschisten bezeichnen würde – doch ihre Taten sind eindeutig darauf gerichtet, an der Ehrung für den Kriegsverbrecher Udet festzuhalten und damit die öffentliche Verhöhnung der Opfer Udets fortzusetzen.
Mittlerweile bleibt mir nur noch der Sarkasmus, dass die Udetzeile doch ganz hervorragend zu diesem Berlin passt. Berlin ist die „Stadt der Täter“ – und das offenbar auch heute noch. Vielleicht wird hier bald eine Straße nach Hitler benannt. Und dann steht auf dem Schildchen darüber: „Adolf Hitler, deutscher Kunstmaler, 1889 bis 1945, bekannt für seine zeitgeschichtlich bedeutsamen Miniatur-Ansichten vom Wien der Jahrhundertwende“. Ende Sarkasmus.
Etwas mehr als 70 Familien wären betroffen
Hinzuzufügen wäre noch, dass die Udetzeile keine Magistrale ist, sondern nur eine kurze Sackgasse mit neun Hausnummern zu je acht Mietparteien. Etwas mehr als 70 Familien wären von einer Umbenennung betroffen – und ein Zahnarzt. Da war bei der Umbenennung der Wilhelm-Pieck-Straße oder der Dimitroffstraße eine ganz andere Dimension.
Die Umbenennung der Udetzeile wäre mit geradezu lächerlich geringem Aufwand verbunden. Und sie wäre dringend geboten. Denn die Bombardierungen von Warschau, Rotterdam, London, Coventry, Liverpool, Belgrad, Minsk, Kiew, Leningrad und Moskau (um nur einige Städte zu nennen) waren Kriegsverbrechen, die Tausende Menschen das Leben gekostet haben.
Ich habe keinerlei persönlichen Vorteil von einer Umbenennung der Udetzeile. Ich möchte nur, dass in Berlin keine Kriegsverbrecher geehrt werden und keine Opfer verhöhnt werden. Aus meiner Sicht ist der Straßenname „Udetzeile“ ein Schlag ins Gesicht von Tausenden, Hunderttausenden oder sogar Millionen Menschen, für deren Tod der Faschist Ernst Udet mitverantwortlich ist.
Martin Verges, geboren in Eisenach, studierte Opern-Regie an der Berliner Musikhochschule. Er arbeitet als freier Regisseur und Autor.