Elektromobilität ǀ Das weiße Gold der Verkehrswende — der Freitag

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  • Das weiße Gold der Verkehrswende - Elektromobilität Wie Konzerne weltweit um Lithium konkurrieren und welche Rolle Tesla dabei spielt
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    Der Argentinier Clemente Flores hat nichts persönlich gegen Elon Musk. Aber er hält ihn für einen weißen Geschäftemacher, der keine Lösung, sondern ein Problem für die Menschheit darstellt. Auch mit der Energiewende kann Flores nicht viel anfangen. Er hat noch nie ein Elektroauto gesehen, fährt auch keinen Diesel oder Benziner, sondern lässt sich von seinen Besuchern in der andischen Hochwüste Puna am Wegesrand einsammeln. Der kleine grauhaarige Mann trägt eine rote Outdoorjacke und Turnschuhe. Wie ein Lokalpolitiker von über 30 Gemeinden sieht er nicht aus.

    Die argentinische Regierung hat, ebenso wie die chilenische, die Lithiumvorkommen in der Salzwüste des Dreiländerecks in Südamerika für Bergbauunternehmen geöffnet, die es ihrerseits etwa an Tesla, BMW oder Toyota verkaufen. Die Autokonzerne bauen daraus Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos. Bolivien war bis 2019 das einzige Land in der Region, das US-Unternehmen den Zugang zu Lithium verwehrte. Bis zum Sturz von Evo Morales im November 2019. Wenige Monate zuvor hatte ein Tesla-Sprecher moniert, die Rohstoffe für den Bau der Batterien würden langsam knapp.

    Die Gerüchteküche rund um den Putsch brodelte, angeheizt nicht zuletzt von Elon Musk selbst, der in einer Twitterdebatte zu Evo Morales erklärte: „We will coup whoever we want! Deal with it.“ („Wir putschen, wen wir wollen, find dich damit ab“).
    Clemente Flores ist misstrauisch geworden. Gegen Fremde, die Presse und schlipstragende Männer: „Ihr glaubt, damit könnt ihr die Menschheit retten, aber ihr werdet uns alle umbringen.“ Flores vertritt die Dörfer am 200 Quadratkilometer großen Salzsee „Salinas Grandes del Noroeste“, auf knapp 4.000 Metern in den Anden: Nackte Gebirgshänge, aus denen meterhohe Kakteen wachsen, farbig schimmernde Felsenformationen. Es ist die Heimat der Kolla, eines der wenigen indigenen Völker, die es in Südamerika noch gibt.
    Kontaminiertes Grundwasser

    Seit Jahrhunderten wird hier Salz abgebaut. Aber das Millionengeschäft liegt nicht auf, sondern unter der Salzwüste. Hier lagern hunderttausende Tonnen Lithium im Untergrund – gelöst in Salzschlacke. Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe liegen dort bis zu 70 Prozent der weltweiten Lithiumvorkommen.

    Das Geschäft lohnt sich. Seit dem Jahr 2000 ist der Lithiumpreis um 350 Prozent gestiegen. Die heute in Südamerika, China und Australien rund 70.000 geförderten Tonnen Lithium sollen bis 2030 auf jährlich 240.000 Tonnen ansteigen – bis zur Mitte des Jahrhunderts sogar auf über eine Million. Der Rohstoff hat wichtige Eigenschaften: Er besitzt eine hohe Wärmekapazität, geringe Dichte und eignet sich ausgezeichnet, um Energie zu speichern. Für Batterien eines Elektroautos müssen bis zu zehn Kilogramm verbaut werden.

    In Südamerika hat die Lithiumförderung dramatische Folgen. Salinas Grandes ist eine aride Region, Tiere und Pflanzen überleben allein dank unterirdischer Wasserreserven, die sich über Jahrtausende hinweg gebildet haben. Die Lithiumproduktion bringt das natürliche Gleichgewicht durcheinander: Das lithiumhaltige Wasser wird aus dem Boden gepumpt. Der argentinische Produzent Sales Jujuy gibt an, dass er 80.000 Liter pro Stunde an Frischwasser verbraucht. Insgesamt rechnen Experten mit einem Wasserverbrauch von zwei Millionen Liter pro Tonne Lithium.

    Anschließend wird die Salzlake in Fußballfelder-große Becken gepumpt, wo sie verdunstet. Dadurch sinkt der natürliche Wasserspiegel ab, es mischen sich Salzwasser- mit Süßwasseradern. Hydrologen sprechen von irreversibler Kontamination des Grundwassers. Anwohner wie Clemente Flores befürchten, dass das Leben in der Region bald unmöglich wird. Ohne Wasser können sie nichts anbauen, ihre Lamas haben kein Gras. Es droht der Exodus.

    In Chile sind bereits ganze Regionen verwüstet. Bergbauunternehmen haben dort seit Jahrzehnten einen zweifelhaften Ruf: Nicht nur im Lithium-, sondern auch im Kupferabbau hätten sie durch lasche Umweltauflagen enorme Profite eingefahren, so der Vorwurf. Seit der damalige Präsident Mauricio Macri 2015 die Pforten Argentiniens für ausländische Lithiumförderer öffnete, geht ein großer Teil des Rohstoffs ins Ausland. Die Puna-Region erlangte durch einen Besuch Ivanka Trumps 2019 besondere Aufmerksamkeit. Zwar ging es offiziell um Frauenrechte und Straßenbau, aber kritische Journalisten vermuten, dass sich Donald Trumps Tochter aus anderen Gründen für eine Visite gerade in dieser abgelegenen Gegend entschieden hatte. Die neuen Straßen sollen angeblich für eine „Lithiumroute“ zwischen Chile, Bolivien und Argentinien gebaut werden.

    Auch in Bolivien sind die geostrategischen Interessen am Lithiumdreieck zu spüren. Nach dem Militärputsch sprach der abgesetzte bolivianische Präsident Morales gegenüber dem Journalisten Glenn Greenwald – bekannt durch die Veröffentlichungen der Dokumente von Edward Snowden – darüber, dass er sich beim Verkauf des Lithiums für strategische Allianzen mit China und Russland und gegen die USA entschieden habe: „Im Gegensatz zu den US-Amerikanern wollten wir die Lithiumproduktion in öffentlicher Hand behalten, damit auch das Volk etwas von den Gewinnen hat. Wir haben nichts gegen private Partner – aber die Herstellung muss unter staatlicher Kontrolle stehen.“
    Boliviens Reichtum

    Elon Musk seinerseits wird nicht müde zu betonen, dass Tesla sein Lithium aus Australien beziehe und kein Interesse an Südamerika habe. Tesla hat tatsächlich mehrere australische Lieferanten, darunter auch den australischen Bergbaukonzern Orocobre. Doch fördert Orocobre auch im Norden von Argentinien – eben in jener Hochwüste, wo die indigenen Kolla leben. Zudem ist der chinesische Lithiumkonzern Ganfeng in Nordargentinien als Lithiumförderer aktiv und investierte schon 2018 fast 700 Millionen Euro in die Region. Ganfeng ist als einer der Hauptlieferanten von Tesla gelistet. 2018 schlossen beide Unternehmen einen Vertrag über drei Jahre.

    Die Aussagen von Musk sind deshalb zumindest irreführend. Zwar versucht Tesla, Lithium nahe seiner Fabrik in Nevada auch selbst zu fördern. Die Mengen reichen aber längst nicht aus. Der Konzern braucht je nach Schätzung bis zu 28.000 Tonnen pro Jahr. Das sind rund 40 Prozent der Weltproduktion.

    Ob die US-Regierung oder gar Elon Musk daran beteiligt waren, den bolivianischen Präsidenten aus dem Land zu jagen, um sich die Lithiumvorkommen zu sichern, ist reine Spekulation. Aber dass US-Thinktanks oder die CIA seit den 1970er-Jahren in Lateinamerika mitmischen, ist belegt, man denke an den Sturz von Salvador Allende im Jahr 1973 und die von den USA unterstützte Diktatur Pinochets. Dabei ging es auch immer um Ressourcen. In der Vergangenheit waren das Öl, Gas oder Metalle wie Kupfer oder Erze – nun ist es auch Lithium.

    Die Energiewende tickt im globalen Kapitalismus nicht anders als das Geschäft mit fossilen Rohstoffen. Zugleich sind Lithium-Ionen-Batterien für eine Fortbewegung ohne Öl und Gas notwendig. Die Frage ist deshalb nicht, ob der Wandel passiert, sondern wie.

    Von Susanne Götze und Annika Joeres ist im April das Buch Die Klimaschmutzlobby: Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen erschienen