Kein »Freibrief für Uber« (Tageszeitung junge Welt)

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  • 23.02.2021: Kein »Freibrief für Uber« (Tageszeitung junge Welt)
    https://www.jungewelt.de/artikel/397077.neoliberale-attacke-kein-freibrief-f%C3%BCr-uber.html

    Und noch so ein Artikel, der den Verlautbarungen verschiedener Kapitalfraktionen und der in ihrem Auftrag tätigen Bundesanstalt für Arbeit aufsitzt. Die hat festgestellt, dass im Jahr 2019 „90 Prozent aller vollzeitbeschäftigten Taxifahrerinnen und -fahrer ein Entgelt unterhalb der Niedriglohnschwelle“ verdienten.

    Die Wirklichkeit ist viel brutaler

    Was BA und Artikel nicht verraten ist die Tatsache, dass zumindest in Berlin 99 Prozent aller „vollzeitbeschäftigten Taxifahrerinnen“ nur einen Bruchteil des gesetzlich festgelegten stündlichen Mindestlohns erhalten. Am Ende des Jahres 2019 lag der tatsächlich im Taxi zu erzielende Stundenlohn noch bei etwa der Hälfte des MIndestlohns, um im darauf folgenden Coronajahr auf zeitweise einen Euro pro Stunde zu sinken.

    #Schwarzarbeit und #Dunkeldaten

    Wie die Mietwagenanbieter ihre Fahrern und Fahrerinnen entlohnen wird erst garnicht erwähnt, weil es darüber keine belastbaren Zahlen gibt. Diese Angestellten sind eine bundesweit zehntausende umfassende Randgruppe, für die sich niemand interessiert. Sie sind Flüchtlinge, Zuwanderer und ganz Arme, deren Führerschein ihr einziges Kapital auf dem Arbeitsmarkt ist. Viele von ihnen werden dazu angeleitet, ein Gewerbe als „selbständiger Chauffeur“ anzumelden. Damit wird ihr Arbeitgeber vollkommen von der Zahlung von Sozialbgaben „entlastet“. Es werden für diese Scheinselbständigen nicht einmal die bei Minijobs obligatorischen dreissig Prozent des Lohns an die Knappschaftskasse abgeführt. Für Selbständige gilt auch kein Mindestlohn- oder Arbeitszeitgesetz.

    Worum es wirklich geht

    Die meisten Fahrerinnen und Fahrer von Mietwagen zur Personenbeförderung sind vor kurzer Zeit aus Ländern ohne wirksame Sozialgesetzgebung eingewandert und aus diesem Grund auch in Deutschland leichte Beute für Ausbeuter, die ihnen elementare Rechte vorenthalten. Im Endergebnis schaden sie in ihrer Schwäche durch ihre Kurzsichtigkiet und Unkenntnis der deutschen Arbeitsgesetzgebung nicht nur sich selber, sondern agieren als Werkzeuge ihrer Bosse beim Niederreissen der letzten Schutzvorkehrungen im Taxigewerbe. Über die katastrophalen Auswirkungen dieser Entwicklung für die ganze Gesellschaft wird bisher nicht gesprochen.

    Rauchbomben und Nebelkerzen

    Die Diskussion um Rückkehrpflicht und Karenzzeiten ist eine Scheindiskussion. Sie dient der Verteidigung der Pfründe einer extrem aubeuterischen Fraktion der hiesigen Kapitalisten egal welchen Geschlechts, die ihre Felle davonschwimmen sieht, weil ihre Mitglieder unerwartet der Konkurrenz durch stärkere, besser organisierte und noch skrupellosere Konkurrenten ausgesetzt sind.

    Für Fahrerinnen und Fahrer ist es beinahe egal, ob sie in Autos mit oder ohne Dachzeichen unterwegs sind. Entscheidend für sie ist ein effektiv ausgezahlter armutsfester Lohn. Die Duchsetzung des Mindestlohns in Taxis und Mietwagen mit Fahrern wäre ein erster Schritt in diese Richtung. Machbar wäre das mit geringen Aufwand.

    Eine Lösung für den Gordischen Knoten

    Ein probates Werkzeug für unbestechliche und einfach zu machende Arbeitszeiterfassung stellen die in Carsharing-Fahrzeugen genutzten Systeme dar. Sie sind eine leicht für Taxis und Mietwagen anzupassende Lösung. Die so ausgestatteten Autos können nicht bewegt werden, ohne dass die Zentrale, bei Taxis und Mietwagen wären das Aufsichtsbehörde und Betrieb, genau erfährt, wer das Fahrzeug in jedem Augenblick benutzt und wo es sich gerade befindet. Wie Erfassung und Übermittlung von Daten aus dem Auto manipulationsgeschützt erfolgen kann, zeigt die INSIKA-Implementation im Taxi.

    Digitalisierung im Interesse der Arbeitenden

    Die Zeiterfassung und Nutzungsabrechnung für Kurzzeit-Mietwagen alias „Car Sharing“ entspricht technisch betrachtet genau der Arbeitszeiterfassung, die vom Europäischen Gerichtshof gefordert wird und in Taxis und Mietagen fehlt. Das System müsste noch geeicht und gegen Manipulationsversuche gehärtet werden. Gesetzlich oder per Verordnung für alle Mietwagen und Taxis vorgeschrieben würde sie der Konkurrenz per Lohndumping unmittelbar ein Ende bereiten. Die von Vielen immer wieder geforderte „faire Konkurrenzsituation“ würde sich als Nebeneffekt wie von selbst einstellen.

    Siebene auf einen Streich! ...

    ... sagte sich das tapfere Schneiderlein, und klopfte sich zufrieden auf den Bauch.

    23.02.2021, von Ralf Wurzbacher - Branche wehrt sich gegen Liberalisierung des Fahrdienstmarktes. Londoner Supreme Court verurteilt Dumpingmethoden des US-Anbieters

    Die geplante (Neo-)Liberalisierung des Taxi- und Fahrdienstmarktes war am Montag Thema einer Expertenanhörung im Bundestag. Zur Debatte stand der von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im November eingebrachte Entwurf für ein Gesetz »zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts«, das sich derzeit in der parlamentarischen Beratung befindet. Im Kern geht es dabei um Erleichterungen beim Einstieg neuer, vornehmlich App-basierter Angebote von Fahrdienstleistern wie Uber, Door-2-Door oder Clever Shuttle, die ihre Leistungen bislang nur befristet auf Basis einer Experimentierklausel offerieren dürfen. Mit der vorgesehenen Novelle will die Bundesregierung einen verbindlichen Rechtsrahmen für die Vielzahl unterschiedlicher Anbieter schaffen. Wirklich zufrieden mit den Plänen ist indes keiner der Akteure.

    Taxis vor dem Aus

    Durch das Vorhaben in seiner Existenz bedroht sieht sich bekanntlich das Taxigewerbe. Erst am Freitag waren wieder Hunderte Fahrer in der Hauptstadt in einem Autokorso vom Brandenburger Tor vor das Konrad-Adenauer-Haus am Berliner Tiergarten gezogen, um gegen einen »Freibrief für Uber« zu protestieren und »faire Regeln für alle« anzumahnen. Im Zentrum der Kritik, etwa des Bundesverbands Taxi und Mietwagen (BVTM), stehen Änderungen im Hinblick auf die sogenannte Rückkehrpflicht von Mietwagen. Bis dato müssen diese, anders als Taxen, nach jeder Fahrt an ihrem jeweiligen Firmensitz Station machen, um erst dann wieder neue Aufträge auszuführen. Zwar soll die Bestimmung vom Grundsatz her Bestand haben, allerdings sieht Scheuers Gesetzesvorlage diverse Ausnahmen zur Umgehung der Vorgaben vor.

    Außerdem forderte der gestern im Verkehrsausschuss angehörte BVTM-Vizepräsident Herwig Kollar eine Vorbestellfrist für Mietwagen von mindestens einer halben Stunde. Damit behielten die Kommunen ein »wichtiges Instrument zum Erhalt der Funktionsfähigkeit des örtlichen Taxigewerbes« in der Hand, sofern sie feststellen, »dass sie – wie in mehreren Großstädten schon zu beobachten ist – von der Plattformökonomie überrannt werden«. Nicht weit genug gehen die Pläne dem Chef von Uber Deutschland Christoph Weigler. Unter anderem stört er sich an der avisierten Einführung von Mindestbeförderungsentgelten »zur Unterbindung des Anbietens von Leistungen zu nicht marktgerechten Preisen«. Damit werde ignoriert, »dass diese bereits durch das Verbot von unlauterem Wettbewerb ausgeschlossen sind«, erklärte er im Bundestag.

    Nur was bringt ein Verbot, das offenbar systematisch umgangen wird. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) von 2019 verdienten seinerzeit 90 Prozent aller vollzeitbeschäftigten Taxifahrerinnen und -fahrer ein Entgelt unterhalb der Niedriglohnschwelle (jW berichtete am 8.6.2019). Dies ist auch dem Vormarsch von Chauffeur- und Poolingdiensten wie Berlkönig oder Moia geschuldet, die die Preise durch Missachtung von Tarif- und Sozialstandards für ihre Fahrer nach unten treiben. Entsprechend bescheinigte auch Kollar vom Taxiverband Scheuers Vorlage, ein »System organisierter Verantwortungslosigkeit zu Lasten von Verbrauchern und Fahrern« zu installieren. Es werde versäumt, »den Kommunen eine angemessene Vielzahl effektiver Instrumente gegen Dumpingverkehre an die Hand zu geben«, monierte er.

    Konzern muss zahlen

    Ein in dieser Hinsicht wegweisendes Urteil fällte am vergangenen Freitag der Oberste Gerichtshof in Großbritannien. Nach vierjährigem Rechtsstreit stellt er fest, dass der US-Marktriese Uber seine in Mietwagen verkehrenden Fahrer als reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und nicht wie Unternehmer oder Selbständige zu behandeln habe. Lord George Leggatt, einer der Höchstrichter am Supreme Court, erklärte das einstimmig ergangene Urteil: »Die Fahrer sind einer Position der Unterordnung und Abhängigkeit von Uber, so dass sie wenig oder gar keine Möglichkeit haben, ihre wirtschaftliche Position durch berufliche oder unternehmerische Fähigkeiten zu verbessern.«

    Geklagt hatten 35 Uber-Chauffeure, die nun mit Entschädigungen von bis zu 12.000 Pfund (ca. 13.870 Euro) rechnen können. Ferner könnten auf den US-Konzern erhebliche Steuernachforderungen zukommen. Derzeit sollen weitere 15.000 Betroffene eine Massenklage gegen Uber vorbereiten. Dessen Aktienkurs gab prompt deutlich nach.

    #Taxi #Uber