Haus der Halbwahrheiten (Tageszeitung junge Welt)

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  • Haus der Halbwahrheiten
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    L’auteur de cet article s’rendu dans l’exposition du nouveau musée berlinois sur les persécutions et dêplacements de populations. Il ne parle pas du centre de rencotres mais il explique comment l’exposition abuse de ses objets et les fait dire des mensonges.

    29.6.2021 von Reinhard Lauterbach - »Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung« macht aus deutschen Vertriebenen von 1945 Flüchtlinge wie alle anderen

    Geschichte relativiert: Deutsche Kinder waren nicht die »Zielgruppe« der Vertreibungen

    Das in der vergangenen Woche in Anwesenheit der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) feierlich eröffnete Berliner »Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung« ist im Vorfeld mit jeder Menge Vorschusslorbeeren bedacht worden. Es sei gelungen, das letzte große Trauma der deutschen Nachkriegsgeschichte würdig aufzuarbeiten, war der Tenor der Berichterstattung in den bürgerlichen Medien. Mit dem Zentrum sei das 1999 von der inzwischen zur AfD gewechselten jahrelangen CDU-Politikerin und Vertriebenenchefin Erika Steinbach angestoßene Projekt aus dem Dunstkreis des Revanchismus herausgeholt worden – also für eine breitere innerdeutsche und europäische Öffentlichkeit so akzeptabel geworden, wie es die Initiatorin selbst nicht habe erreichen können. Wie ist das gegangen?

    Man kann dem Berliner Haus nicht vorwerfen, direkte Lügen zu verbreiten. Die Ausstellung ist auf zwei Etagen untergebracht. Die größere Fläche im ersten Stock zeichnet ein Panorama der Zwangsmigrationen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Man kann sich konzentriert über die diversen ethnischen Säuberungen im Zuge der Nationalstaatsbildung auf dem Balkan, den Genozid an den Armeniern, den Völkermord in Ruanda und die Fluchtbewegungen aus dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Jugoslawien, aus Syrien und anderen Ländern informieren. Die flächenmäßig kleinere zweite Etage behandelt die »Zwangsmigration«, der die Deutschen Ost- und Südosteuropas ab 1944 unterworfen wurden.

    Das ist alles im einzelnen nicht falsch und hat doch einen falschen Ton. Richtig ist die Feststellung, dass ethnische Säuberungen, die politische Zielvorstellung ethnisch homogener Nationalstaaten ursprünglich keine deutsche Spezialität war. Hitler hat bei der Konzeption des »Freiräumens« ganzer Landstriche Osteuropas zugunsten deutschen »Lebensraums« ausdrücklich auf die Vertreibung der Armenier aus ihren Siedlungsgebieten im osmanischen Reich Bezug genommen (was allerdings in der Ausstellung nicht erwähnt wird). Man kann diesem Teil der Ausstellung eher zum Vorwurf machen, dass er keiner erkennbaren Gliederung folgt – obwohl das natürlich nicht stimmt, genau das Impressionistische ist das Konzept der Darstellung. Ebenso wie die museumspädagogisch beliebte Hervorhebung »konkreter Einzelschicksale«. Auf einer Videowand erzählen acht jüngere und ältere Menschen, die in ihrem Leben aus Ostpreußen, Südvietnam und Bosnien haben fliehen müssen, von ihrem Schicksal und dem Ankommen im neuen Land.

    Das ist alles nachvollziehbar, aber es verfälscht die Perspektive mit Blick auf die deutschen Vertriebenen. Denn die deutschen Zeitzeugen, die das Museum präsentiert, waren zum Zeitpunkt ihrer Flucht Kinder, keines älter als zehn Jahre. Das ist zwangsläufig, weil aus der »Erlebnisgeneration« ja sonst niemand mehr lebt. Aber es lügt, auch ohne dass die Schilderungen im Detail falsch sein müssen. Denn deutsche Kinder waren beileibe nicht die »Zielgruppe« der Vertreibungen, sie waren tatsächlich Betroffene nach dem Prinzip »mitgefangen, mitgehangen«. Und das soll der Betrachter auf alle Vertriebenen übertragen, auch auf die eigentliche Zielgruppe: die Generation ihrer Eltern, die Alterskohorte der Täter, Mitmacher und Sympathisanten der deutschen Gewaltpolitik. Und sei es nur jene im übrigen nirgends aufgefallene deutschstämmige Lehrerin in der kleinen polnischen Ortschaft Nekla, die einer polnischen Nachbarin, deren Mann im Herbst 1939 zur Erschießung festgenommen worden war, jede Hilfe und sogar jedes Mitgefühl verweigerte, weil »nun die Zeit der Vergeltung für den polnischen Hochmut gekommen« sei, und die der Frau den zynischen Rat gab, sie möge »zu ihrem Gott beten«. Über solche Leute erfährt man in der Ausstellung kein Wort.

    Diese Entkontextualisierung der deutschen Vertreibungsgeschichte kann auch die ganze zweite Etage nicht wettmachen. Sie stellt politisch korrekt die deutsche Aggressions- und Vernichtungspolitik in Osteuropa zwischen 1938 und 1945 dar und hat sich auf den ersten Blick nichts vorzuwerfen. Es kommt alles vor, der »Generalplan Ost« und Lidice, die deutschen Vertreibungen im besetzten Polen, der Holocaust und die Verbrechen an den sowjetischen Kriegsgefangenen. Allerdings meist in kaum mehr als jeweils zwei Sätzen Text erläutert und mit ein paar kleinen, schlecht leserlichen und oft viel zu dunkel ausgeleuchteten Objekten illustriert. Das ist mehr als ein Detail. Es soll nicht die Aussage der Quellen zählen, sondern ihre Aura. Hier soll nicht Bewusstsein produziert werden, sondern Gefühl.

    #Allemagne #revanchisme #Berlin #musée