Warum das Humboldt-Forum ein steingewordener Schlussstrich ist

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    Das neu eröffnete Humboldt-Forum, so unser Autor, bedeutet das Ende deutscher Demut: In ihm spiegeln sich die erinnerungspolitischen Debatten unserer Zeit.

    Jürgen Zimmerer, 24.7.2021 - Das Humboldt-Forum im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss ist eröffnet: mit prächtiger Barockfassade und Kuppel nebst Kuppelkreuz. Viel war in den letzten Monaten zu lesen über ein angebliches Museum neuen Typs. Doch bereits jetzt hat dieses preußische Disneyland erinnerungspolitische Konsequenzen: Es ist in sich ein riesiges Werbebanner für die Berliner Republik. Eine Reklametafel für ein neues altes Deutschland, die zeigt, dass sich der historische Identitätskern verschiebt, von der Bonner hin zur Berliner Republik.

    Die Schlossattrappe steht symbolisch für eine neue Meistererzählung, die eigentlich eine rückwärtsgewandte und alte ist: Deutschland als Volk der Dichter und Denker, mit Berlin als borussisch-deutscher Kultur- und Wissenschaftsmetropole von Weltgeltung. Es ist die Umkehrung der hart erkämpften Perspektive, die deutsche(n) Nachkriegsidentität(en) von den Verbrechen des 20. Jahrhunderts aus zu betrachten. Radikaler könnte der erinnerungspolitische Schnitt kaum sein.

    Seinen ursprünglichen Zweck hat das Humboldt-Forum damit bereits erfüllt: Der Ost-Berliner Palast der Republik ist verschwunden, die Brache in der Mitte der Stadt, die auch ein Mahnmal für die deutsche Teilung und den sie verursachenden Weltkrieg war, ist gefüllt. Die Fassade glänzt – ganz so, als hätte es Weltkrieg, Holocaust und Teilung nie gegeben.
    Die irrlichternde Megalomanie des Humboldt-Forums

    Wo man in Bonn dezidiert auf Demutsarchitektur setzte, die jeden Anklang an die megalomanischen Züge des Zweiten und Dritten Reiches bewusst verneinte, so ist in der Berliner Republik jener Prunk nun zurück. Es ist eine bleibende Hypothek, dass man für den realen Machtzuwachs Deutschlands innerhalb Europas und darüber hinaus keinen anderen Ausdruck fand als ein rekonstruiertes Symbol der Ungleichheit und des Antidemokratischen – ja, auch der irrlichternden Megalomanie: Man denke nur an den letzten dort residierenden deutschen Kaiser, Wilhelm II.

    Hat die deutsche Demokratie, mittlerweile bekanntlich eine Erfolgsgeschichte, wirklich keine andere Erzählung zu bieten? Muss man sich etwa nicht mehr in Demut üben, nur weil man sich selbst Läuterung attestierte, sich vom Virus der Großmannssucht und Weltpolitik geheilt erklärte – oder zumindest nicht mehr so von ihm befallen scheint wie die Altvorderen mit Pickelhaube? Deutschland ist eine Führungsmacht in Europa, das wissen alle Nachbarn. Dies auch demonstrativ herauszustellen, war schon in der Vergangenheit nicht klug und ist es auch heute nicht.

    Die deutsche Geschichte ist komplex und widersprüchlich. Wie kann man ins Zentrum seiner unverdient wiedergewonnenen staatlichen Einheit ein Monument der herrenmenschlichen Eindeutigkeit setzen – des personifizierten Machtanspruchs im Inneren wie Äußeren, nur Gott verantwortlich, nicht aber den Menschen, weder in Deutschland noch anderswo? Es sei denn, gerade dies ist die intendierte Botschaft: Deutschland ist wieder wer, die selbst auferlegte Zurückhaltung ist vorbei. Damit wäre das Stadtschloss ein Stein gewordener Schlussstrich.

    Selbst der borussischen Pressure Group für das Stadtschloss war klar, dass ein ungetarntes Zurück zur preußischen Monarchie auch im wiedervereinigungstrunkenen Deutschland nicht zu vermitteln wäre. Kultur sollte die kalte Umschreibung der Geschichte abfedern und verdecken. Ein Humboldt-Forum als Welt-Agora sollte die hässliche Fassade von innen stützen. Und zugleich sie um die Meistererzählung erweitern, der Berliner Republik ein neues Identifikationsangebot machen: Nicht Pickelhauben wollte man als Assoziationen, sondern Sammlungen, Kompendien, Weltabhandlungen. Das Image vom Land der Richter und Henker sollte zu dem der Dichter und Denker umgedeutet werden: Nationen-Marketing vom Feinsten!
    Das Ausblenden des kolonialen Erbes hat Folgen

    An diesem Punkt geriet die Debatte über Deutschlands koloniales Erbe in Konflikt mit dem neuen Narrativ, der über die Frage des Umgangs mit kolonialen Sammlungsgütern weit hinausgeht. Es ist bezeichnend, dass keiner der Verantwortlichen an das koloniale Erbe auch nur ansatzweise gedacht hat, als beschlossen wurde, das rekonstruierte Stadtschloss mit den Objekten des ehemaligen Ethnologischen Museums zu füllen. Nach all der Mühe, ein weltoffenes Berlin und Deutschland zu zeichnen – ein Zentrum der Wissenschaft und der Weltaneignung –, schuf man in Berlin ein Denkmal der Engstirnigkeit.

    Deutschland sah plötzlich gar nicht mehr modern aus, sondern ziemlich altbacken, wenn nicht gar reaktionär. Während überall über den Abbau und die Umwidmung kolonialer Denkmäler diskutiert wird, errang Deutschland den zweifelhaften Ruhm, ein gigantisches Kolonialdenkmal in die Mitte seiner neuen alten Hauptstadt zu setzen. Anders kann man den Ort der Raubgut-Sammlungen des ehemaligen ethnologischen Museums nicht nennen. Er ist immerhin zugleich die rekonstruierte Residenz des letzten deutschen Kaisers, in dessen Namen der erste Völkermord der deutschen Geschichte verübt wurde: gegen die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika.

    Auch das vor wenigen Wochen mit großen Aplomb angekündigte Versöhnungsabkommen mit Namibia verblasst, wenn man bedenkt, dass die angekündigten Aufbauhilfen für Herero und Nama, aufs Jahr gerechnet, nur etwas mehr als die Hälfte der jährlichen Betriebskosten des Preußenschlosses ausmachen. Es sind nicht nur Nachkommen der Überlebenden des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts, die sich wundern, warum für den Wiederaufbau von Preußens Glorie Unsummen an Geld vorhanden sind, das an anderer Stelle für die Wiedergutmachung von Deutschlands Schande fehlt.
    Das Humboldt-Forum wird die Last seiner Fassade nicht los

    In der Diskussion um das Humboldt-Forum gipfelte eine seit Jahren in unterschiedlichen Kontexten geführte Debatte über das koloniale Erbe. Es mag dabei auch dem Zufall der verschobenen Eröffnung geschuldet sein, dass nun innerhalb weniger Wochen verschiedene Debatten wie die um den Genozid an den Herero und Nama, um die Benin Bronzen, das Luf-Boot und ganz generell auch die Bedeutung des Kolonialismus für die deutsche Geschichte in einem erinnerungspolitischen Kulminationspunkt zusammenlaufen. Aber zu keiner dieser Debatten hat das Humboldt-Forum überzeugende Antworten. Wie auch? Die Last der Fassade wird es nicht los. Die bedingungslose Aufarbeitung ist innerhalb des neuen Nationalnarrativs schlicht nicht möglich.

    Die Politik, kalt erwischt von der Debatte um Deutschlands koloniales Erbe, reklamiert diesen intensivierten Diskurs mittlerweile für sich. Wenn man jedoch, wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters anlässlich der Eröffnung sagte, in Anspruch nimmt, das Humboldt-Forum habe „schon vor seiner Eröffnung ganz wichtige Debatten über den Umgang zum Beispiel mit Kulturgütern aus kolonialen Kontexten angestoßen“, dann ist das ungefähr so, wie wenn man darauf hinwiese, Tschernobyl hätte die Debatte um Reaktorsicherheit vorangebracht. Es stimmt, war aber keineswegs beabsichtigt. Die Opfer und Kollateralschäden waren in beiden Fällen enorm.

    Wie viel hätte man erreichen können, hätte man das tatsächlich von Anfang an gewollt! In Wahrheit waren es Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen, die über Jahre nicht lockergelassen und auf den kolonialen Kern des Humboldt-Forums hingewiesen haben. Die die Politik zum Jagen tragen mussten und als Dank bei der Eröffnung vor der Tür blieben, wo sie ihren Protest fortsetzten. So gesehen ist die Geschichte des Humboldt-Forums auch eine Geschichte der kolonialen Amnesie und Arroganz sowie eines Diskurses eurozentrischer Beharrung angesichts der Kritik von außen, von unten und insbesondere auch von Menschen, die nicht weiß, mittelalt und männlich sind.
    Die koloniale Amnesie wird an allen Stellen deutlich

    Es passt zu dieser Amnesie, dass die Eröffnung des Forums ausgerechnet auf den 20. Juli gelegt wurde, jenen Tag, an dem 116 Jahre vorher im ebenfalls deutsch beherrschten Ostafrika, dem heutigen Tansania (und Ruanda und Burundi), der Maji-Maji-Krieg begann – der wohl opferreichste Kolonialkrieg des deutschen Reiches. Im Umfeld der Eröffnung wurde von den Verantwortlichen in Politik und Museen immer wieder betont, wie sehr das Humboldt-Forum die koloniale Aufarbeitung voranbringen würde. Erstaunlich, dass der Kriegsausbruch vor 116 Jahren mit keiner einzigen Silbe Erwähnung fand.

    Sicher, die Politik hat auf den letzten Metern der Legislaturperiode die Rückgabe eines „substantiellen Teils“ der Benin Bronzen angekündigt und nun den Entwurf eines Abkommens mit Namibia über eine Anerkennung und eine Entschuldigung für den ersten Völkermord der deutschen Geschichte vorgelegt. Ist kleinlich, wer darauf hinweist, dass es keinen exakten und verbindlichen Zeitplan für die Rückgaben nach Nigeria gibt? Und übrigens auch keine Klarheit darüber, was ein „substantieller Teil“ ist oder wer ihn definiert. Ist missgünstig und undankbar, wer darauf verweist, dass Herero und Nama das Abkommen mehrheitlich zurückweisen, weil sie sich in dessen Zustandekommen nicht angemessen beteiligt fühlen?

    All dies ist aus der Not geboren, durch öffentlichen, auch internationalen Druck erzwungen. Denn eigentlich steht die koloniale Debatte der großen Botschaft des Humboldt-Forums ja entgegen: einer positiven Besinnung auf die nicht kontaminierten Seiten deutscher Geschichte. Das koloniale Erbe führt sehr deutlich vor Augen, dass deutsche Verbrechen wie Genozid und Rassenstaat nicht auf den Zeitraum 1933–1945 beschränkt waren, sondern weit in die deutsche Geschichte zurückreichen. Es zeigt, dass Wissenschaft, Kunst und Kultur eben nicht Gegenpole jener Gewaltgeschichte waren, sondern oftmals von ihr profitierten, sie zum Teil sogar ermöglichten. Eine unkritisch positive deutsche Geschichte gibt es nicht. Es kann sie auch gar nicht geben.

    Das bedroht natürlich die Botschaft der geschichtspolitischen Wende, die durch das Humboldt Forum, aber auch durch die Sanierung der gesamten Museumsinsel forciert wurde. Die Reaktion der Verfechter war entsprechend: Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen, die für einen dekolonialen Zugang eintraten, wurden und werden pauschal diskreditiert. Es geht eben um viel mehr als um Objekte.
    Auch der „Zweite Historikerstreit“ spiegelt sich im Humboldt-Forum

    Aus dieser Perspektive erscheint auch das, was gerade als „Zweiter Historikerstreit“ diskutiert wird, in neuem Licht. Im ersten verteidigten linksliberale Historiker und Denker die Bundesrepublik gegen eine konservative geschichtspolitische Wende mit einer deutlichen Relativierung des Holocaust im Dienst einer neo-nationalen Erzählung. Nun aber werden diejenigen diffamiert, die die deutsche Verantwortung auf koloniale Verbrechen ausweiten wollen.

    Es gibt einem zu denken: Je mehr das nationale Geschichtsnarrativ weg von den Verbrechen des 20. Jahrhunderts auf eine vermeintliche Normalgeschichte davor gelenkt wird, desto stärker wird das Jahrhundertverbrechen des Holocaust herausgestellt. Dazu wird eine Singularität beschworen, die das Menschheitsverbrechen Holocaust de facto aus der deutschen Geschichte herausnimmt. Es ist die Vereinnahmung des Holocaust in nationaler Absicht, die sprachlos macht – der Missbrauch der unbestreitbaren Singularität, um die Verbindungen des Holocaust in die deutsche Geschichte zu kappen. Was jedem Vergleich entzogen ist, wird enthistorisiert. So wird zugleich die deutsche Schuld und eine positivere Nationalgeschichte beschworen. Die Aufarbeitung des kolonialen Erbes würde das Gegenteil dessen bedeuten: Sie würde aufzeigen, wie tief verwurzelt in der deutschen Geschichte der Rassenstaat und das genozidale Denken waren.

    Diese Geschichtskämpfe zeigen sich auch im neuen Streit um das Kaiserreich, das moderner war, so heißt es, als das Zerrbild von Pickelhaube und Untertanentum vermuten lasse. Allerdings bedeutet „modern“ noch nicht gleich „positiv“. Was nicht vergessen werden darf: Es waren moderne Elemente, die Deutschland auf den Weg nach Auschwitz führten. Auch der Rassenstaat und Genozid in Deutsch-Südwestafrika waren in diesem Sinn modern.

    Antisemitismus, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit treten in der deutschen Gesellschaft heute (wieder) offen zutage. Aufklärung über die Geschichte und Kritik wohlfeiler Narrative ist das Gebot der Stunde. Es gilt, die Vergangenheitspolitik und ihre Errungenschaften, die von der Nachkriegsgeneration gegen große Widerstände erkämpft werden mussten, zu verteidigen. Gerade das Humboldt-Forum sollte dazu mahnen.

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