Die Linke und Afghanistan : Friedenspolitik am Pissoir

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    Vergangene Zeiten? Linken-Fraktion bei Protest nach Bombenangriff in Kundus. Bild: dielinke_sachsen, CC BY 2.0

    24. August 2021, von Harald Neuber -
    Bundestag soll bewaffnete Evakuierung in Kabul nachträglich bewilligen. Linke könnten erstmals nicht geschlossen dagegen stimmen. Das sorgt für Debatten

    Kurz vor einer Abstimmung im Bundestag über ein nachträgliches Bundeswehrmandat für die bereits angelaufene Evakuierung sogenannter Ortskräfte aus Afghanistan ist in der Linkspartei ein Streit um die Abstimmungsempfehlung der Parteiführung an die Fraktion entbrannt.

    Denn während die Partei auf zwei Plakaten mit dem Schlagwort „Frieden“ um die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger am 26. September wirbt, sollen die 69 Abgeordneten am Mittwoch erstmals nicht gegen einen robusten, also bewaffneten Einsatz der Bundeswehr stimmen, bei dem auch das von Rechtsradikalen infiltrierte Kommando Spezialkräfte entsandt werden soll.

    Die Empfehlung geht auf eine mehrstündige Videokonferenz des Parteivorstandes der Sozialisten am Sonntag zurück. Dabei hatten sich Realos wie der Abrüstungsexperte und ehemalige Bundestagsabgeordnete Jan van Aken durchgesetzt und mit dem bisherigen Konsens, Auslandseinsätze der Bundeswehr abzulehnen, gebrochen. In der Fraktion sorgt das nun für erhebliche Unruhe. Am heutigen Dienstagnachmittag soll es bei einer Fraktionssitzung zur Aussprache kommen.

    Bei der wöchentlichen Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Linken in Berlin, hatte Parteivorsitzende Janine Wisseler die Beschlussempfehlung am Montag verteidigt. Die bisherigen Evakuierungsmaßnahmen würden katastrophal umgesetzt, so Wisseler: „Deshalb halten wir eine Enthaltung für einen gangbaren Weg.“

    Zuvor hatten Realos in verschiedenen Alternativ- und Änderungsanträgen für den Parteivorstand die Option, gegen das Mandat zustimmen, unterlaufen. In einem ausführlichen Papier plädierte etwa der Bundesgeschäftsführer der Linken, Jörg Schindler, ausdrücklich für den „militärischen Schutz der Evakuierung“.

    Man stehe für die Rettung der Ortskräfte und ihrer Familien vor Ort ein, argumentierte Schindler, beanstande aber, „wie spät sie erfolgt und dass sie höchstwahrscheinlich zu wenige erreichen könnte“. Die Vermeidung einer Ablehnung war Schindler wichtig. Er insistierte: „Damit stimmen wir nicht gegen das Mandat für den militärischen Schutz der Evakuierung.“
    Von Enthaltung zu „Zustimmung unter Bedingung“
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    In einer weiteren Vorlage nahm van Aken den Ball auf und kritisierte Schindler in der Form seines Antrags, nicht aber in der Sache.

    Seine Empfehlung geht sogar einen Schritt weiter und fordert von den Abgeordneten eine „Zustimmung unter der Bedingung, dass die Evakuierung ausschließlich in Absprache mit den Taliban erfolgt und wenn alle Ortskräfte und alle Menschenrechtsaktivist:innen gleichberechtigt mit gerettet werden sollen“. Sollte nur eine Evakuierung „fast nur für Deutsche“ angestrebt bleiben, „empfehlen wir Enthaltung“.

    Mitunter nahm die Debatte skurrile Züge an. Ein Parteivorstandsmitglied schlug vor, die Abgeordneten sollten sich einer Positionierung gänzlich entziehen und den Plenarsaal verlassen. Man könne ja vorgeben, auf Toilette zu gehen, um dort Parolen an den Wänden zu hinterlassen, habe der Politiker nach Informationen aus Parteikreisen in einem internen Verteiler geschrieben.

    Antimilitarismus am Pissoir: Einige Linke werden einen Monat vor der Bundestagswahl auf bizarre Weise kreativ.

    Vor der Fraktionssitzung am heutigen Dienstag werben Befürworter der antimilitaristischen Position in einem eigenen Beschlussantrag unter dem Titel „Evakuierung jetzt – NATO-Intervention in Afghanistan konsequent beenden“ für die Beibehaltung der bisherigen Linie.

    Darin verweisen mehr als ein Dutzend Abgeordnete der Linken auf die negativen Folgen westlicher Militäreinsätze in Afghanistan. Auch die Bundeswehr habe viele zivile Tote zu verantworten, heißt es in einem Entwurf.

    So seien am 4. September 2009 im nordafghanischen Kundus bei einem Luftangriff, der von einem deutschen Oberst ausgelöst worden war, 142 Menschen ums Leben gekommen, mehrheitlich Zivilisten.

    „Die zentrale Lehre aus dieser Entwicklung muss darin bestehen, künftig nicht mehr die Bundeswehr in solche Einsätze zu schicken, sondern sie allein auf die Landesverteidigung auszurichten. Die Bundeswehr muss aus allen Auslandseinsätzen zurückgezogen werden“, heißt es in dem Antrag.
    Politischer Druck durch angestrebte Regierungsbeteiligung

    Die Debatte in der Linken ist ein Ausdruck des Anpassungsdruckes, unter den einige Akteure Partei und Fraktion setzen. Denn vor allem von sozialdemokratischer Seite wird die bedingungslose Ablehnung von Bundeswehreinsätzen immer wieder als Hindernis für ein gemeinsames Regierungsprojekt auf Bundesebene angeführt.