Verschwörungstheorien als Krankheit | Telepolis

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  • Verschwörungstheorien als Krankheit
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    20.10.2021 von Andreas Anto und, Alan Schink - Sars-CoV-2, Biosicherheit und Paranoia (Teil 2)

    Die metaphorische Gleichsetzung von Krankheitserregern und Verschwörungstheorien ist nicht neu. Schon vor Covid-19 galten Verschwörungstheorien als „toxisch“.1 Sie konnten als Internet-Phänomene viral gehen und man konnte, wie für Krankheiten, "anfällig"2 für Verschwörungstheorien sein. Auch im politischen Bildungsdiskurs ist etwa die Rede von sozialen Medien als „Nährboden“ für Verschwörungstheorien oder von Verschwörungstheorien als „toxischen Narrativen“.3 Seit Covid-19 ist es gängiger denn je, vom „Virus Verschwörungstheorie“ zu sprechen.

    In der Corona-Krise hat aber nicht nur die Sprache über Verschwörungstheorien einen zunehmend medizinisch-pathologischen Charakter angenommen. Nach dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben ist die Medizin in der Corona-Krise zu einer Art Religion aufgestiegen. Gesundheit ist in der „neuen Normalität“, welche die Pandemie mit sich gebracht hat, nicht mehr nur ein Recht, sondern sie wird "zu einer Pflicht […], die alle um jeden Preis zu erfüllen haben."4

    Im Paradigma der Biosicherheit werde das Worst-Case-Szenario, also „die Logik des schlimmsten anzunehmenden Falls“, zum „Leitprinzip der politischen Rationalität“.5 Wer in dieser Logik denkt und handelt, tut dies notwendig im Modus von Angst und Sorge. Die Virusangst bestimmt die sozialen Beziehungen, wobei die gegenseitige Verdächtigung aus Angst, der andere könnte ein Infizierter sein, omnipräsent ist.

    Der sogenannte „Masken“- oder „Quarantäneverweigerer“ ist im Paradigma der Biosicherheit daher doppelt gefährlich. Zum einen medizinisch, zum anderen symbolisch – als potenzieller Verbreiter von Viren oder von Verschwörungstheorien, die diese Viren verharmlosen. Die normative Kraft des Infektionsschutzes macht dabei jeden Unmaskierten zum potenziellen „Ausscheider“, was bedeutet, dass er „eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein“.

    Er könnte zum sogenannten „Superspreader“ werden und viele andere anstecken. Diese Angst wird immer auch symbolisch vermittelt. Die Mund-Nasen-Bedeckung gilt einerseits als Symbol der Solidarität und Fürsorge in der Krise. Zugleich symbolisiert die Maske aber auch die Angst vor dem Virus. Sie hält die drohende Gefahr der Ausbreitung eines unsichtbaren, gefährlichen Feindes ständig in der Öffentlichkeit präsent – sei es in Form eines Virus oder einer Verschwörungstheorie. Durch die Maske, meint der Anthropologe Matthias Burchardt, verändert sich das öffentliche Verhalten so, dass „Maskenverweigerung als potenzielle Körperverletzung“ wahrgenommen wird.6

    Die „moralische Aufladung der Maske“, vor der die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot warnt, ist im Paradigma der Biosicherheit eine kalkulierte Realität. In der Konsequenz dieser Logik geben etwa Apotheken-Portale Tipps, wie mit „Masken-Verweigerern“ und „Verschwörungsanhängern“ umzugehen sei; der SWR greift in der Fernsehserie mit dem Titel „Vorsicht Verbrechen“ das Thema auf und stellt Maskenverweigerer in der Einkaufspassage oder am Busbahnhof zur Rede.

    Der Maskenverweigerer ist im vorherrschenden Covid-19-Diskurs eine Manifestation des „Corona-Leugners“. Dieser ist – wie der „Verschwörungstheoretiker“ – in erster Linie eine diskursive Figur und wird mit jenen Personen assoziiert, die die Gefahr des Virus relativieren oder die Maßnahmen kritisieren.

    Rein zeitlich gesehen geht die Angstkommunikation und die Antizipation des Worst Case dem Pandemiemanagement der WHO und einiger Regierungen voraus. Das sogenannte „Panikpapier“ des Bundesinnenministeriums, das zwischen Anfang und Mitte März 2020 konzipiert wurde, setzt auf die Strategie, in der Bevölkerung eine Schockwirkung zu erzeugen, indem man Urängste adressiert. Wörtlich heißt es in dem Papier:

    Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden: […] Viele Schwerkranke werden von ihren Angehörigen ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen, und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls. Die Bilder aus Italien sind verstörend.

    Das Papier sorgte im Internet für viel Wirbel, Irritation und Unverständnis. Verstärkt wurde dies noch durch den Umstand, dass im Februar 2021 bekannt wurde, dass Otto Kölbl, Germanist, Prüfer für Deutschtests und Doktorand an der Universität Lausanne in der Schweiz, einer der Autoren des Papiers war. Kölbl hatte zuvor gemeinsam mit einem Politikwissenschaftler einen Text mit dem Titel „Von Wuhan lernen – es gibt keine Alternative zur Eindämmung von Covid-19“ im Internet veröffentlicht.7

    Die Autoren loben darin die chinesische Strategie im Umgang mit der Pandemie und werfen westlichen Politikern, Experten und Medien vor, aus „gewohnheitsmäßiger Arroganz gegenüber China“ nicht rechtzeitig die richtigen Maßnahmen ergriffen zu haben.8 Zuvor hatte Kölbl auf seinem Blog und in sozialen Medien Mao Zedong und die chinesische Tibet-Politik verteidigt.

    Nach Recherchen der Welt am Sonntag verfasste Kölbl u. a. den oben zitierten Abschnitt über die „gewünschte Schockwirkung“.9 Die Aargauer Zeitung aus der Schweiz hält dazu fest10:

    Was genau Otto Kölbl, Teilzeit-Verantwortlicher für Deutschprüfungen an der Universität Lausanne, als Corona-Berater für das deutsche Innenministerium qualifiziert, bleibt ein Rätsel. Trotz mehrerer Anfragen der Welt am Sonntag gab die Regierung dazu keine Auskunft.

    Es ist nicht klar, wie viel Beachtung das Dokument in Regierungskreisen fand. In der Krisenkommunikation von Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn fanden sich die Argumente aus dem „Panikpapier“ jedenfalls nicht.11 Der Faktor Angst spielt in der politischen und medialen Krisenkommunikation zum Corona-Virus allerdings unbestreitbar eine zentrale Rolle.
    Protest als „Widerstand“ und „Querdenken“

    Es ist unter anderem diese Virusangst, gegen die sich im Netz und auf der Straße Protest breit macht. In der ersten Ausgabe der Zeitschrift Demokratischer Widerstand vom 17. April 2020 heißt es auf der Titelseite: „Gegen die Angst!“. Die Verfasser stellen klar:

    Zum Virus gibt es mindestens zwei stark voneinander abweichende Meinungen" und behaupten, die „Parlamente und Parteien“ hätten „sich dem Regierungskurs unterworfen“, die „großen Medienhäuser (…) gleichgeschaltet“ und „sämtliche Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt“. Die Regierung versetze die Menschen „in Todesangst“ und nutze die Corona-Krise, um vom „Zusammensturz des Finanzmarktkapitalismus“ abzulenken. Im Hintergrund, so die verschwörungstheoretische Behauptung, dränge ein "dystopisches Digital- und Pharmakonzern-Kartell zur Macht.

    Herausgeber der Zeitung ist das politische Künstler-Kollektiv Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand rund um die Journalisten und Verleger Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp. Diese hatten am 28. März 2020 auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin eine sogenannte „Hygiene-Demonstration“ gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung initiiert, die in den Folgewochen fortgesetzt wurde und jeweils mehrere hundert Teilnehmer zählte.

    Bekannt gemacht wurden die auch als „Hygiene-Spaziergang“ betitelten Proteste unter anderem über die alternativen Medienkanäle und die Webseiten von KenFM und Rubikon. Im Laufe der Sommermonate 2020 etablierte sich im Rahmen von Medien der Gegenöffentlichkeit und den Demonstrierenden auf der Straße eine Protestbewegung, die in vielen deutschen Städten jeweils hunderte bis tausende Menschen auf die Straßen brachte.

    In den Leitmedien wurde über diese zumeist dezentral organisierte und heterogene Protestbewegung in der Regel abschätzig und verallgemeinernd unter Verwendung der Bezeichnung „Querdenker“ berichtet.

    Die Selbstbezeichnung „Querdenken“ geht auf eine Initiative des Unternehmers Michael Ballweg zurück, der, in Anlehnung an die Berliner Demonstrationen im Frühjahr 2020, von Stuttgart ausgehend weitere Proteste für das Grundgesetz und gegen die Anti-Corona-Maßnahmen organisierte. Ballweg gilt als Kopf von „Querdenken“ und spricht vom „Freiheitsvirus“, das bei den Menschen ausgebrochen sei, die auf die Straße gehen, um das Grundgesetz zu verteidigen.

    Während die Berliner Proteste und Forderungen um den Demokratischen Widerstand von vornherein eine links- bis sozialliberale politische Schlagseite hatten, mobilisierten die „Querdenken“-Proteste vor allem unpolitische bis politisch-enttäuschte Bürger.

    Für den Soziologen Oliver Nachtwey, der eine Untersuchung zu den Anti-Maßnahmen-Protesten geleitet hat, stellen die „Querdenken“-Proteste die vielleicht „erste wirklich postmoderne Bewegung“ dar. Laut Nachtwey bedeutet das, dass im Vordergrund der Kritik dieser Bewegung nicht bestimmte Argumente oder klare politische Forderungen stünden, sondern der Widerstand „gegen die Herrschaft, die Regierung, das System“.

    Diese dissidente Haltung vereint die Protestbewegung, für die ansonsten ihre politische und weltanschauliche Heterogenität kennzeichnend ist. Während ein großer Teil der Protestierenden politisch grün-links und antiautoritär eingestellt ist, finden in der „Querdenken“-Bewegung gleichzeitig rechte Positionen zunehmend Anklang und mobilisieren rechte bis rechtsextreme Gruppierungen und Parteien, wie etwa Teile der AfD oder der sogenannten Reichsbürger-Szene.

    Ein zentraler Faktor in der Bewegung ist der Verlust des Vertrauens in etablierte gesellschaftliche Institutionen wie Medien, politische Parteien oder Verbände. Das Themenspektrum auf den Protest-Bühnen, in Vor-Ort-Gesprächen oder in dissidenten Chatgruppen reicht von der Bill-Gates-Verschwörung über 5G bis hin zu alternativen Heilmethoden oder marginalisierten wissenschaftlichen Expertisen hinsichtlich Covid-19. In den Gegendiskursen der Maßnahmen-Proteste erfüllen Verschwörungstheorien die Funktion der Gemeinschaftsstiftung.

    Die Virusangst wird gleichsam durch die Angst vor Verschwörungen oder vor einer angeblich drohenden Gesundheitsdiktatur ersetzt. Bestimmte (mächtige) Akteure oder Gruppierungen gelten als Drahtzieher, Profiteure oder Erfüllungsgehilfen der Krise, über die es nicht nur aufzuklären gelte, sondern gegen die auch Widerstand zu leisten sei. So bildet sich eine Gruppenidentität der „Widerständigen“ gegenüber den vermeintlichen mächtigen Verschwörern einerseits und der noch nicht aufgeklärten Bevölkerung andererseits.12

    Auch hierbei spielt unter anderem die Maske als Symbol eine zentrale Rolle: Die Maske gilt bei den Protesten als Zeichen der Herrschaft und der Unterdrückung. Die Maskenverweigerung ist zugleich Ausdruck von Widerstand und Quer-Denken gegenüber einer als autoritär und einseitig wahrgenommenen Corona-Politik.

    Die Dialektik des Verschwörungsdenkens äußert sich in der Pandemie einerseits darin, dass Protagonisten von Corona-Verschwörungstheorien als „Covidioten“ oder „Maskenverweigerer“ geächtet werden. Andererseits ergeben sich durch genau diese Art von sozialer und politischer Exklusion neue Allianzen, Koalitionen und Netzwerke, die sich durch den Ausschluss definieren und damit neuartige dissidente Gemeinschaften bilden.

    Verschwörungstheorien können diese Gemeinschaftsbildung verstärken, während sie die Vertrauens- und damit auch die Gemeinschaftsbildung in anderen Kontexten gleichzeitig verhindern.
    Ein Virus aus dem Labor?

    Am 19. Februar 2020 veröffentlichte eine Gruppe von 27 international tätigen Wissenschaftlern, unter ihnen auch der deutsche Virologe Christian Drosten, in der renommierten Medizinzeitschrift The Lancet eine Erklärung. Es geht den Unterzeichnern darum, klarzustellen, dass das neuartige Corona-Virus natürlichen Ursprungs ist. Mehrere Studien, die dies gezeigt hätten, werden in dem kurzen Text angeführt. Die Autoren schreiben:

    Wir stehen zusammen, um Verschwörungstheorien, die nahelegen, dass COVID-19 keinen natürlichen Ursprung hat, scharf zu verurteilen.

    Verschwörungstheorien würden nichts als Angst, Gerüchte und Vorurteile erzeugen, heißt es weiter, und die „die globale Zusammenarbeit im Kampf gegen das Virus“ gefährden.

    Der Inhalt des Lancet-Statements wurde am 9. Juni 2020 nochmals in der Zeitschrift The Guardian unter dem Titel „Ignorieren Sie die Verschwörungstheorien: Wissenschaftler wissen, dass Covid-19 nicht im Labor erzeugt wurde“ von Peter Daszak, dem Initiator der Erklärung, veröffentlicht.

    Daszak ist Virologe und Vorsitzender der EcoHealth Alliance. Er arbeitet seit 2003 eng mit dem virologischen Institut in Wuhan an der Erforschung neuartiger Coronaviren, die von Fledermäusen stammen und auf Menschen übertragen werden könnten.

    Die Virusübertragung von Tieren auf Menschen wird Zoonose genannt. Am virologischen Institut in Wuhan, in dessen Nähe der Huanan-Fischmarkt liegt, wird auch die sogenannte Gain-of-Function-Forschung betrieben.

    Dabei werden Viren und Bakterien künstlich modifiziert und dadurch entstehende neue Eigenschaften untersucht, etwa, um auf künftige Pandemien vorbereitet zu sein oder im Hinblick auf die Entwicklung neuer Impfstoffe. Gain-of-Function-Experimente wurden in der Vergangenheit auch im Rahmen der Erforschung und Entwicklung biologischer Kampfstoffe eingesetzt.

    Bei der Modifizierung von Erregern besteht immer die Gefahr, dass Varianten des Erregers erzeugt und absichtlich freigesetzt werden oder versehentlich entweichen, die hochgradig ansteckend und gefährlich sind und auf natürliche Weise niemals entstanden wären.

    Daszak war Mitglied der offiziellen Untersuchungs-Gruppe der WHO, die in China dem Ursprung von Sars-CoV-2 auf die Spur kommen sollte. Die These, dass das Virus unbeabsichtigt aus dem virologischen Labor in Wuhan entwichen sein könnte, wurde von dem WHO-Team von Anfang an praktisch ausgeschlossen. Es wurde vor allem der Zoonose-These, also der Übertragung des Virus von einem Tier auf den Menschen, nachgegangen.

    Einige Beobachter unterstellen Daszak einen Interessenkonflikt, da er über Jahre eng mit dem virologischen Labor in Wuhan kooperiert hat. Mit der chinesischen Virologin Shi Zhengli, der Leiterin des Zentrums für neu auftretende Infektionskrankheiten am Institut für Virologie in Wuhan, hat Daszak 18 gemeinsame wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Shi Zhengli gilt als Expertin auf dem Gebiet Sars-CoV-ähnlicher Corona-Viren aus Fledermäusen und wird in der Presse gelegentlich als „Bat Woman“ bezeichnet.

    Sie forscht an Fledermaus-Coronaviren und berichtete u. a. in einem 2018 gemeinsam mit Peter Daszak und anderen Wissenschaftlern in der Zeitschrift Nature veröffentlichten Aufsatz von auf Schweinen übergegangene Coronaviren.

    Die Autoren der Studie schreiben: "Diese Studie unterstreicht die Bedeutung der Identifizierung der Coronavirus-Diversität und -Verbreitung in Fledermäusen, um zukünftige Ausbrüche, die den Viehbestand, die öffentliche Gesundheit und das Wirtschaftswachstum bedrohen könnten, einzudämmen."13

    Shi Zhengli wurde laut chinesischen Medien nach dem Ausbruch von Sars-CoV-2 zum Ziel von Angriffen in chinesischen sozialen Medien, in denen behauptet wurde, sie sei die Schöpferin des neuen Virus, das durch einen Unfall aus dem virologischen Labor in Wuhan entwichen oder gar absichtlich freigesetzt worden sei. Die Angriffe veranlassten die Wissenschaftlerin dazu, sich öffentlich zu äußern. Sie wird mit folgenden Worten zitiert14:

    Das neuartige Coronavirus 2019 ist die Natur, die die Menschheit dafür bestraft, unzivilisierte Lebensgewohnheiten beizubehalten. Ich, Shi Zhengli, schwöre bei meinem Leben, dass es nichts mit unserem Labor zu tun hat.

    Die Angriffe auf seine chinesische Kollegin waren wohl der Hauptgrund dafür, warum Peter Daszak die öffentliche Erklärung in The Lancet veranlasste. Seine Mitarbeit in dem WHO-Team zur Untersuchung des Ursprungs der Pandemie wurde aufgrund seiner Nähe zum virologischen Labor in Wuhan und zu Shi Zhengli in mehreren internationalen Medien kritisiert.

    So fordert das Wall Street Journal am 15. Januar 2021 unter Berufung auf skeptische Stimmen aus der Fachwelt: „Die Welt braucht eine richtige Untersuchung zu den Ursprüngen von Covid-19.“ Weder das WHO-Team noch die chinesische Regierung hätten ein Interesse daran, die These von der Zoonose infrage zu stellen, vermuten die Autoren des Artikels.

    Ende März 2021 erschien der Bericht der WHO-Experten zum Ursprung der Pandemie. Sars-CoV-2 sei „wahrscheinlich bis sehr wahrscheinlich“ von Fledermäusen auf ein anderes Tier und schließlich auf den Menschen übergegangen, heißt es in dem Bericht

    Dass das Virus aus einem Labor entwichen sein könnte, wurde dagegen als „extrem unwahrscheinlich“ eingeschätzt. WHO-Chef Adhanom schien allerdings mit den Schlussfolgerungen der Untersuchung nicht ganz einverstanden zu sein.

    Kurze Zeit nach Erscheinen des Berichts forderte er, die These eines Laborunfalls in Wuhan weiter zu untersuchen.

    Am 18. Februar 2021 war einer Pressemitteilung der Universität Hamburg zu entnehmen, dass der deutsche Physiker Roland Wiesendanger einen Laborunfall als Ursache für die Corona-Pandemie für wahrscheinlich hält.

    Wiesendanger hatte in einem über 100 Seiten langen Dokument Indizien und Belege aus verschiedenen Quellen ausgewertet und war zu dem Schluss gekommen, „dass sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursache der gegenwärtigen Pandemie sprechen.“

    Als Motivation für die Veröffentlichung der „Studie“ wird angeführt, dass "eine breit angelegte Diskussion angeregt werden [soll], insbesondere im Hinblick auf die ethischen Aspekte der „Gain-of-function“-Forschung, welche Krankheitserreger für Menschen ansteckender, gefährlicher und tödlicher macht."

    Die Veröffentlichung Wiesendangers sorgte in öffentlich-rechtlichen und sozialen Medien für teils heftige Kritik. Teile der Universität distanzierten sich von Wiesendangers Publikation. Dem Nanowissenschaftler wird vorgeworfen, ein „Fachfremder“ zu sein, vor allem aber, dass seine „Studie“ nicht den üblichen wissenschaftlichen Standards entspreche.

    Es handle sich, so ein im ZDF-Faktencheck zitierter Sachverständiger, vielmehr um „eine Kompilation altbekannter Dokumente und Theorien zu einem möglichen Laborunfall“.

    Der Faktencheck rückt Wiesendanger in die Nähe von Verschwörungstheorien. Wiesendanger dagegen wirft dem ZDF-Faktenchecker vor, ihm falsche Zitate in den Mund gelegt zu haben und erläutert gegenüber dem Blog Achse des Guten:

    Es ist frustrierend, dass sich die Medien darauf eingeschossen haben, die These eines Laborunfalls zu verunglimpfen und mit Verschwörungstheorien in Verbindung zu bringen, und dass bei diesem extrem wichtigen Thema, das die Bevölkerung wirklich bewegt - wie mir tausende von Zuschriften zeigen, von journalistischer Seite keine kritischen Fragen gestellt werden. Das wäre die Aufgabe von Journalisten gewesen, das aufzugreifen. Doch scheinbar scheuen sich viele Journalisten, dieses heikle Thema anzufassen und begnügen sich damit, diejenigen zu diffamieren, die das diskutieren wollen. Aber immer mehr Wissenschaftler wagen sich an die Öffentlichkeit. Auch an den Leserbriefspalten der Zeitungen erkennt man, dass die Bevölkerung Aufklärung will.

    Es ist verständlich, dass sich Wiesendanger dagegen verwehrt, mit Verschwörungstheorien in Verbindung gebracht zu werden, die im allgemeinen Sprachgebrauch für abwegige, unsinnige Behauptungen stehen.

    Hier wird wieder einmal deutlich, dass der Begriff inzwischen vor allem ein Kampfbegriff ist, der immer dann Anwendung findet, wenn jemand ein bestimmtes Feld verlassen hat, innerhalb dessen ein Diskurs erlaubt ist.

    Allerdings ist die These von einem Laborunfall in der Tat eine Verschwörungstheorie. Die Verschwörung bestünde in der Vertuschung des Unfalls. Anfang März 2021 verteidigte Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, Wiesendanger. Es sei besser, "eine unsichere Hypothese zur Diskussion zu bringen, als eine am Ende richtige verschwiegen zu haben."15

    Im Mai 2021 bekam die These von einem Laborunfall Unterstützung von höchster Stelle: US-Präsident Joe Biden ordnete eine Untersuchung des Ursprungs der Pandemie durch US-Geheimdienste an.

    Er bezog sich dabei auch auf Geheimdienst-Informationen, nach denen drei Forscher des virologischen Labors in Wuhan vor dem offiziellen Ausbruch der Pandemie möglicherweise mit Covid-19 infiziert worden seien – was wiederum von chinesischen Behörden bestritten wird. In der Zwischenzeit forderten auch immer mehr Wissenschaftler eine unabhängige Untersuchung der These von einem Laborunfall.

    Einer davon ist der Virologe Charles Calisher, einer der Unterzeichner des Lancet-Statements, in dem derartige Überlegungen rund ein Jahr zuvor als „Verschwörungstheorien“ bezeichnet wurden. Es gebe, sagte Calisher gegenüber ABC News, „zu viele Zufälle“, um die These vom Laborunfall zu ignorieren.

    Man darf gespannt darauf sein, wie sich die Faktenlage in dieser Sache entwickeln wird, an die sich die Faktenchecks dann gegebenenfalls anzupassen haben.