Schleswig-Holsteins Digitalminister Albrecht über den Wechsel zu Open Source

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    26.10.2021 06:00 Uhr von Niklas Dierking, Christian Wölbert

    Seit einigen Jahren fördern die Bundesregierung und einige Bundesländer die Entwicklung von Open-Source-Software, um die Abhängigkeit der Verwaltung von US-Konzernen wie Microsoft zu reduzieren. Bislang hat allerdings nur ein Bundesland beschlossen, proprietäre Software komplett loszuwerden: „Eine vollständige Ablösung ist das langfristige Ziel“, heißt es im 2017 geschlossenen Koalitionsvertrag der schwarz-grün-gelben Landesregierung von Schleswig-Holstein. Durchgesetzt worden war dieser Punkt von den Grünen.

    Inzwischen hat der zuständige Digitalminister Jan Philipp Albrecht (Bündnis 90/Die Grünen) die Pläne konkretisiert. Bis Ende 2026 will er Microsoft Office durch Libre Office und später Windows durch Linux ablösen – auf den Rechnern von allen 25.000 Beamten und Angestellten des Bundeslandes inklusive Lehrkräften. Im Interview mit c’t erklärt Albrecht, was er sich vom Umstieg erhofft, welche Probleme er noch lösen muss und was sein Bundesland anders machen will als die Stadt München, wo das ähnlich ehrgeizige Open-Source-Projekt LiMux scheiterte.

    c’t: Herr Albrecht, Sie wollen die Verwaltung Ihres Bundeslandes auf Open-Source-Software umstellen, verwenden für dieses Interview aber das proprietäre Konferenzprogramm Cisco Webex. Warum?

    Jan Philipp Albrecht: Ich bin gerade im Dienstwagen unterwegs und habe mich deshalb telefonisch eingewählt. Diese Funktion ist die einzige, die auf unserem Jitsi-Konferenzsystem noch nicht aktiv ist. Das testen wir gerade erst. Generell laufen aber 90 Prozent der Videokonferenzen in unserer Landesverwaltung mit Jitsi, also mit einem Open-Source-Programm.

    Jan Philipp Albrecht (Grüne) ist seit 2018 Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Schleswig-Holstein. Zuvor trieb er als EU-Abgeordneter die Einführung der DSGVO mit voran.

    Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, das proprietäre Programme komplett durch quelloffene ersetzen will. Wie lauten Ihre Gründe?

    Mit den Verträgen für proprietäre Software stoßen wir an unsere Grenzen. Erstens finanziell, weil die Lizenzgebühren in den vergangenen Jahren immer weiter angehoben wurden. Zweitens hinsichtlich unserer Ziele für die Digitalisierung der Verwaltung. Open Source bietet uns da einfach mehr Flexibilität. Gleichzeitig gelten all die Vorteile, die Open Source immer hat: Souveränität, Datensicherheit und Datenschutz.

    Können Sie ein konkretes Beispiel für Open-Source-Software nennen, durch die sie flexibler sind?

    In der Pandemie konnten wir unsere Kapazitäten für Videokonferenzen schnell hochfahren, weil wir das Open-Source-System auf Jitsi-Basis schon vorbereitet hatten. Viele andere Länder waren in proprietären Systemen gefangen, die sie nicht schnell ausbauen konnten. Ein zweites Beispiel ist unser Schulportal: Weil wir das auf Open Source umgestellt haben, können wir die Oberfläche flexibel gestalten und Dienste so kombinieren, wie wir das wollen.

    Trotzdem hat bislang keine andere Landesregierung den Abschied von proprietärer Software beschlossen. Warum folgen die anderen Ihnen nicht?

    Wir haben andere Länder schon inspiriert. Zum Beispiel gibt es in Bremen, Hamburg und Sachsen-Anhalt inzwischen auch Open-Source-Strategien. Und unser öffentlicher IT-Dienstleister Dataport erhält immer mehr Anfragen von anderen Bundesländern, die einzelne Anwendungen übernehmen wollen.

    Sie wollen Microsoft Office bis Ende 2026 komplett durch Libre Office ersetzen. Wie weit sind Sie bei diesem Projekt?

    In unserer IT-Abteilung testen wir Libre Office nun seit zwei Jahren. Und unsere Erfahrungen sind klar: Das funktioniert. Das gilt auch, wenn man zum Beispiel Microsoft-Word-Dokumente mit Kommentaren bearbeitet. Seit einem halben Jahr läuft auch die Schnittstelle zwischen Libre Office und unserer Software für die E-Akte stabil. Das mussten wir erst vom Hersteller der E-Akte-Software entwickeln lassen. Aktuell testen bereits weitere Behörden den Libre-Office-Einsatz, es sind jedoch auch noch einige Hürden im Vorfeld eines großflächigen Rollouts in der Landesverwaltung zu überwinden. Beispielhaft ist an dieser Stelle die Erzeugung barrierefreier Dokumente zu nennen.

    Außer der E-Akte haben Sie noch viele weitere Verwaltungsanwendungen im Einsatz, sogenannte Fachverfahren. Werden Sie diese künftig alle zu Libre Office kompatibel machen? Oder werden manche Abteilungen weiter Microsoft Office nutzen?

    Wir wollen bis Ende 2026 alles umstellen. Am Ende kann es eventuell einige Bereiche geben, in denen die Software so speziell ist, dass wir das nicht umsetzen können. Aber das wird nur einen ganz kleinen Teil der Arbeitsplätze betreffen.

    Außer dem lokal installierten Libre Office wollen Sie mit Dataports Projekt Phoenix auch ein Paket aus Browseranwendungen einführen. Dazu gehört auch das quelloffene Only Office. Warum zwei Office-Suiten?

    Wir setzen zunächst auf Libre Office. Perspektivisch wird aber 80, 85 Prozent der Arbeit im Browser stattfinden.

    Heißt das, Sie werden beide Anwendungen parallel nutzen? Ist das nicht eher kompliziert? Die Bedienoberflächen unterscheiden sich, und man muss stets überlegen, was man wo öffnet.

    In manchen Bereichen wird sich eine parallele Nutzung lohnen. Aber das würde ich nicht als kompliziert bezeichnen. Die Lösungen werden interoperabel sein. Man kann zum Beispiel eine komplexe Präsentation mit Libre Office erstellen und diese dann im Browser weiter editieren und abspielen.

    Ihre Fachverfahren wie die E-Akte werden dann also auch mit dem Browser-Office zusammenspielen müssen. Ist das nicht ein riesiger Integrationsaufwand?

    Es stimmt, das sind Integrationsprobleme, die wir noch zu lösen haben.

    Außer Microsoft Office wollen Sie auch Windows ablösen und durch Linux ersetzen. Dafür haben Sie noch kein Datum bekannt gegeben. Warum nicht?

    Das ist eine Frage der Ressourcen. Libre Office und Projekt Phoenix sind die ersten wichtigen Schritte. Linux haben wir aber auch schon im Test. Und auch das wird für uns ein großer Schritt zu mehr digitaler Souveränität. Hinzu kommt: Aufgrund der hohen Hardwareanforderungen von Windows 11 hätten wir ein Problem mit älteren Rechnern. Mit Linux haben wir das nicht.

    Welche Linux-Distribution nehmen Sie?

    Wir haben in einer Studie festgestellt, dass sich fünf große Distributionen grundsätzlich für unsere Zwecke eignen. Im nächsten Schritt werden wir die Implementierung und Pflege eines Linux-Arbeitsplatzes als Dienstleistung ausschreiben. Es wird also ein transparenter Wettbewerb.

    Den Abschied von Windows und MS Office hat vor Ihnen schon die Stadt München versucht, sie ist aber nach einigen Jahren zu Microsoft zurückgekehrt. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?

    Das Hauptproblem dort war, dass die Mitarbeiter nicht ausreichend mitgenommen wurden. Das machen wir besser. Wir planen lange Übergangsphasen mit paralleler Nutzung. Und wir führen Open Source Schritt für Schritt dort ein, wo die Abteilungen dafür bereit sind. Damit schaffen wir auch den Grund für die weitere Einführung, weil die Leute sehen, dass es funktioniert.

    Wie sieht es bei den Kosten aus? Wird Open Source für den Steuerzahler billiger als proprietäre Software – oder teurer?

    Ich gehe davon aus, dass die Kosten sich ungefähr die Waage halten. Aber mit Open Source bekommen wir fürs gleiche Geld mehr Flexibilität, mehr Souveränität, mehr Sicherheit. Deswegen lohnt sich das für uns.

    Gilt das auch noch, wenn der Bund eine große Microsoft-Cloud für Behörden aufbaut? Im Moment treibt das Bundesfinanzministerium das voran. Wenn Schleswig-Holstein als einziges Bundesland dabei nicht mitmacht, könnte Open Source zu einer vergleichsweise teuren Sonderlösung werden.

    Ich glaube nicht, dass eine solche Microsoft-Cloud eine günstige Sache wäre. Außerdem ist noch lange nicht beschlossen, dass der Bund das tatsächlich macht. Wir aus Schleswig-Holstein sind nicht die einzigen, die da Bedenken anmelden. Wir arbeiten zusammen mit den anderen Ländern und dem Bund im IT-Planungsrat an einer digital souveränen deutschen Verwaltungscloud. Dabei geht es nicht nur um Kosten, sondern auch darum, die europäische Software-Industrie zu stärken. Wir müssen künftig digitale Souveränität nach vorne stellen. Und das fordere ich auch von der nächsten Bundesregierung.