Warum Fahrradfahrer viel aggressiver sind als Autofahrer

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    2.7.2022 von Marcus Weingärtner - Vor ein paar Wochen schrieb ich an dieser Stelle eine – nicht zu hundert Prozent ernst gemeinte – Kolumne über Berliner Eltern und Lastenräder. Die Folge war ein immenser Shitstorm. Unverständnis war noch die harmloseste Reaktion, es gab auch ernsthafte Beleidigungen. Eine Yvonne aus Recklinghausen beispielsweise, nach Eigenaussage Mitglied bei den Grünen, bezeichnete mich via Twitter als „ekligen Schreiberling“, ein Harald R. wünschte mir per Mail, ihm nicht im Straßenverkehr zu begegnen. Das wünsche ich mir auch, denn ehrlich gesagt, sind viele Radfahrer in Berlin eine Zumutung für alle Beteiligten auf den Straßen.

    Sonnenbrille, Kopfhörer und schwindendes Tageslicht

    Ich bin selbst Radfahrer und beobachte schon seit ein paar Monaten, wie sich Radfahrer und Autofahrer im Straßenverkehr zueinander verhalten. Ich würde jetzt hier kein endgültiges Ergebnis meiner Beobachtung abgeben, aber was mir klar geworden ist, ist, dass Menschen auf dem Rad ein oft verkehrswidrigeres, gefährlicheres und einfach auch unbesorgteres Fahrverhalten an den Tag legen als Menschen, die im Auto sitzen.

    Natürlich kann man argumentieren, dass ein Auto immer mehr Schaden anrichten kann als jemand, der ein Rad fährt. Das ist richtig. Aber gerade deswegen finde ich es bemerkenswert, wie krass falsch und sorglos Menschen auf dem Rad durch den an vielen Stellen der Stadt nicht gerade gemächlichen Berliner Verkehr brettern. Und damit meine ich nicht nicht nur Eltern mit Lastenrädern.

    Vergangene Woche stand ich beispielsweise nach 22.00 Uhr an der Friedrichstraße Ecke Unter den Linden. Vor mir saß eine Frau auf dem Rad. Sie fuhr los, obwohl die Ampel noch Rot zeigte. Die Frau trug Kopfhörer und eine verspiegelte Sonnenbrille. Sie entging nur haarscharf einem zu Recht wild hupenden Audi, drehte sich um, zeigte dem Fahrer den Mittelfinger und fuhr weiter. Wie gesagt: Der Audi hatte Grün, mittlerweile war es fast dunkel. Sonnenbrille, Kopfhörer.

    In derselben Woche sah ich, wie ein Mann auf der Oranienstraße in Kreuzberg mit seinem Rennrad über zwei rote Ampeln fuhr und sicherlich nur deshalb einem schweren Unfall entging, weil der Pkw, der Vorfahrt hatte, eine filmreife Vollbremsung hinlegte. Kurz danach beobachtete ich noch mehrere Rollerfahrer, die abbogen, ohne dass es für irgendeinen Verkehrsteilnehmer vorher ersichtlich gewesen wäre. Einer stürzte und schlug sich das Knie auf, ein anderer verpasste nur um Zentimeter die Motorhaube eines BMW.
    Fahren mit einem Kaffee und dabei aufs Handy schauen

    Ich wurde Zeuge, wie Leute auf dem Fahrrad auf ihr Handy blickten, während sie sich durch den Berliner Straßenverkehr bewegten, als ob sie absolut unverletzbar wären. Einer trank Kaffee auf seinem Rennrad, während er die viel befahrene Heinrich-Heine-Straße in Richtung Moritzplatz fuhr. Im Kreisverkehr am Moritzplatz dann hielt vor mir eine Frau an, stellte ihr Rad ab und zündete sich eine Zigarette an, während sie telefonierte. Immerhin stoppte sie auf dem Fahrradweg und nicht auf der Straße.

    Das alles sind die Beispiele aus nur einer Woche. Und ohne jemanden zu verurteilen, frage ich mich, warum viele Menschen auf dem Rad offenbar das Gefühl haben, sie wären quasi unverletzlich, in einem Zweikampf mit einem Auto automatisch der Stärkere. Ebenfalls aus Stahl und Kunststoff und nicht aus Fleisch, Blut und Knochen. Ich muss gestehen, ich fahre oft ohne Helm, aber ich versuche meist, defensiv und vorausschauend zu fahren, auch wenn ich mich jetzt vielleicht anhöre wie von der Verkehrspolizei. Es ist doch aber einfach so: Bei einem Unfall zwischen einem Auto und einem Radfahrer zieht letzterer meist den Kürzeren.

    Die Verkehrswende in dieser Stadt wird kommen, das steht ja ziemlich außer Frage. Aber so, wie Radfahrer und Autofahrer im Moment zueinander stehen, wie sie sich den öffentlichen Straßenraum teilen in einer Art Nahkampf auf Rädern, werden die kommenden Jahre sicherlich kein Spaß im Auto oder auf dem Rad. Im Moment sehe ich ein wesentlich uneinsichtigeres und oft auch gefährlicheres Verhalten auf der Seite der Zweiradfahrer. Das sollte sich bald ändern für ein friedlicheres Miteinander.

    #Berlin #Verkehr #Fahrrad