»Frankreich liebt uns doch« (Tageszeitung junge Welt)

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  • »Frankreich liebt uns doch«
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    Ein neoliberaler Staatspräsident agiert als Wasserträger eines US-Konzerns. Wen wundert’s? Was seit Jahrzehnten offensichtlich stattfindet ist eine völlige Abkehr vom Unabhängigkeitskurs des Charles de Gaulle. Ein Président de la République française ist heute auch nicht mehr besser als das Gespenst des Washington-hörigen Bundeskanzlers Adenauer und sei es seine weibliche Inkarnation.

    12.07.2022 von Hansgeorg Hermann - Ein Minister als Lobbyist: Macrons geheime Geschäfte mit dem Fahrdienstvermittler Uber

    »Meeting mega top mit Emmanuel Macron heute morgen; Frankreich liebt uns doch!« – Die Uber-Bosse sind zufrieden

    Die Nachricht sorgt für viel Wirbel: Der französische Staatschef Emmanuel Macron hat sich in den Jahren 2014 bis 2016 als Wirtschaftsminister des damaligen Präsidenten François Hollande offenbar regelmäßig als Lobbyist für internationale Großkonzerne einspannen lassen. Das Internationale Konsortium für investigativen Journalismus (ICIJ), dem unter anderen die britische Tageszeitung The Guardian und die französische Le Monde angehören, veröffentlichte am Wochenende Auszüge aus rund 124.000 Dokumenten, die beweisen, wie Macron dem kalifornischen Fahrdienstvermittler Uber im Winter 2014/2015 dabei half, sein Geschäftsmodell in Frankreich zu installieren – offenbar gegen den ausdrücklichen Willen Hollandes und von dessen Premierminister Manuel Valls.

    Bereits im vergangenen März hatten die Journalisten Gérard Davet und Fabrice Lhomme, beide Chefreporter bei Le Monde, in ihrem Buch »Le Traître et le Néant« (Der Verräter und das Nichts) Macrons zwielichtige Rolle beim Verkauf eines Teils des Staatsunternehmens Alstom an den US-Multi General Electric im November 2014 angeprangert. Auch bei der Veräußerung anderer »strategisch wichtiger« Konzerne an ausländische Käufer habe sich der damalige Minister Macron gegen die Interessen des Landes als geheimer Vermittler profiliert. Die Autoren, die sich in ihrer 600 Seiten langen Analyse des politischen Aufstiegs Macrons der Aussagen von mehr als hundert Zeugen bedienten, lassen dort immer wieder anklingen, wie der heutige Staatschef sich auf diese Weise wohl die Unterstützung mächtiger Industriekapitäne für seine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl im Mai 2017 sicherte.

    Die höchst aufschlussreiche Kommunikation zwischen Hollandes Wirtschaftsminister Macron und den Anführern des Transportpiraten Uber zeigt nun, wie aus der gegenseitigen Sympathie am Ende ein »geheimer Deal« zugunsten des kalifornischen Unternehmens entstand. Ein Handel, wie Le Monde einen »Repräsentanten« Ubers zitiert, »der gewissermaßen garantiert, dass Frankreich für Uber arbeitet und dass Uber in und für Frankreich arbeiten kann«. Eine Formel, die Macron in »vielen geheimen Treffen, keines war in seinem Terminkalender verzeichnet«, mit Ubers Europachefs und dem Gründer des Unternehmens, Travis Kalanick, gefunden habe.

    Die Chefs der ausgebeuteten Fahrer, denen Hollande, Valls und Macrons Vorgänger Arnaud Montebourg mit äußerstem Misstrauen begegnet waren, konnten ihr Glück offensichtlich kaum fassen: »In einem Wort – spektakulär«, jubelte Ubers Gesandter Mark MacGann nach dem Termin beim Minister, »Meeting mega top mit Emmanuel Macron heute morgen; Frankreich liebt uns doch!« Die Ergebnisse der Geheimgespräche konnten sich in der Tat sehen lassen. Dem jungen Wirtschaftsminister gelang es, die im kurz zuvor verabschiedeten »Gesetz Thévenoud« (Name des parlamentarischen Berichterstatters) beschlossene harte Regelung des Taxibetriebs per Dekret weitgehend zu verwässern. So blieben etwa von den verlangten 250 Stunden Ausbildung für einen Fahrer am Ende nur sieben Stunden übrig – ein Affront gegen die professionellen Taxichauffeure, die draußen vor Macrons Ministerium protestierten.

    Dass man in Kalifornien zufrieden war mit Macrons »Intervention« gegen die eigene Regierung mochte MacGann seinem wichtigen Verbündeten freilich nicht vorenthalten: »Travis ist sehr dankbar für die Fortschritte(…) Sie müssen wissen, dass Travis Ihr Vertrauensverhältnis sehr ernst nimmt.« Nicht nur die »Verhöhnung der Regierung« (Le Monde) dürfte Travis und seinem Cheflobbyisten in Paris gefallen haben: Im Oktober 2015 wagte es der Präfekt der Region Bouche-du-Rhône, Laurent Nunez, den Uber-Limousinen nicht nur den Bahnhof und den Flugplatz von Marseille, sondern gleich das gesamte Zentrum der Hafenstadt zu verbieten. Ein Anruf der Kalifornier bei Macron – und drei Tage später hob Nunez seine Anordnung wieder auf. Geschadet hat ihm sein verspätetes Verständnis für den Fall Uber nicht. Macron, inzwischen Präsident, holte ihn im Juli 2020 als Chefkoordinator der Geheimdienste nach Paris.

    Juristisch angreifbar ist Macron derzeit nicht. Als Staatspräsident genießt er volle straf- und zivilrechtliche Immunität.

    #Frankreich #Taxi #Uber #Korruption