Die unangenehmen Wahrheiten des Bundespräsidenten

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  • Steinmeiers Rede an die Nation : Die unangenehmen Wahrheiten des Bundespräsidenten
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    28.10.2022 von Georg Ismar - Am Ende kommt Frank-Walter Steinmeier auf eine Enttäuschung zu sprechen. Verhallen seine Worte? Was kann er anstoßen in diesen Zeiten, die er als einen Epochenbruch bezeichnet?

    Der Saal in Schloss Bellevue ist bis auf den letzten Platz gefüllt, viele junge Leute sind dabei, um der vielleicht bisher wichtigsten Rede des Bundespräsidenten zu lauschen. Sie haben nicht die Erfahrung von Wehr- oder Zivildienst gemacht, den Kalten Krieg kaum noch erlebt. Wer dagegen fehlt, ist die komplette Bundesregierung bis hin zum Bundeskanzler, darauf wird noch zurückzukommen sein.

    „Reich und Arm, Jung und Alt, Stadt und Land: Verbindungen stärken, über Generationen und Lebenswelten hinweg – darum geht es mir jetzt“, sagt Steinmeier, es ist eine Rede, die die Tiefe der Krise nicht leugnet, es ist ein Versuch, den Laden zusammenzuhalten.

    Fakt sei aber, dass das klassische Ehrenamt altere, Verantwortung verteile sich auf immer weniger Schultern. „Dabei ist Einsatz für andere – gerade in der Zeit des Gegenwinds – unverzichtbar, systemrelevant“, appelliert Steinmeier.

    Daher habe er den Vorschlag einer sozialen Pflichtzeit gemacht. Aber viele haben das gar nicht mitbekommen. „Was ich will, ist eine ehrliche Debatte über unser Engagement für das gemeinsame Ganze. Eine Debatte, die hoffentlich nicht wieder im Nichts enden wird“, macht er aus der Enttäuschung keinen Hehl. Aber Demokratie gehe nicht ohne Zusammenhalt.

    Damit das ewige Plädoyer für Zusammenhalt nicht folgenlos bleibe, müssten mehr Menschen mindestens einmal in ihrem Leben sich für gewisse Zeit den Sorgen ganz anderer, zuvor fremder Menschen widmen, für sie da sein. „So stärken wir, was uns verbindet, und darauf kommt es jetzt an - mehr als je zuvor.“ An dieser Stelle gibt es mit den größten Applaus.

    Die CDU hat sich sogar für ein soziales Pflichtjahr ausgesprochen, aber die Ampel-Koalition blockt die Debatte bisher ab. Und Steinmeier mahnt die Ampel indirekt, nicht zu viel Selbstbespiegelung zu betreiben, er ist viel im Land unterwegs, verlegt für seine „Ortszeiten“ den Regierungssitz immer wieder in kleinere Städte, zuletzt nach Neustrelitz: „Viele Menschen, die in ländlichen Regionen leben – und das ist die Mehrheit in unserem Land – finden sich nicht wieder in Debatten, die wir in der Hauptstadt führen und die häufig noch viel weiter von ihren tatsächlichen Problemen entfernt sind als der nächste Facharzt oder die Poststelle“, betont Steinmeier. Ohnehin liest sich die Rede immer wieder ein Pflichtenheft, um das Land außen wie innen zu stärken.
    Steinmeier sah jetzt den Zeitpunkt für die Rede gekommen

    Der Bundespräsident hat lange überlegt, wann er diese Rede an die Nation, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Nationalstiftung, halten soll. Aber erst wollte er die Regelungen der Koalition zu Entlastungen gegen die hohen Energiepreise abwarten, dann war noch die Niedersachsenwahl. Für ihn persönlich war es wichtig, auch um seine eigene Glaubwürdigkeit zu erhöhen, vor der Rede endlich das erste Mal seit Kriegsbeginn in die Ukraine zu reisen.

    Doch die eigenen Fehler als Kanzleramtschef und Außenminister in der Russlandpolitik thematisiert er nicht, sagt lediglich, der 24. Februar markiere „das endgültige, bittere Scheitern jahrelanger politischer Bemühungen, auch meiner Bemühungen, genau diesen schrecklichen Moment zu verhindern“.

    Aber einige im Saal fragen sich, ob der Epochenbruch nicht spätestens schon 2014 losgegangen sei, mit der Annexion der Krim, dem Krieg in der Ostukraine, warum dann noch das Milliardenprojekt der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 gestartet worden ist?

    Der Schatten der Vergangenheit liegt über dieser zweiten Amtszeit, während dieser Tage sein Vorgänger Joachim Gauck glasklar Putins Denken analysiert, mit einer Perspektive, die in Putin schon früher den gesehen hat, der er heute ist: streng leninistisches Denken mit national-imperialem Gestus, das gezielte Einsetzen eines Angst-Apparats, das Vermischen der KGB-Schule mit einer neo-imperialen Ideologie eines neuen Russentums.

    Steinmeiers gut strukturierte Rede, der vielleicht der eine hängenbleibende Satz fehlt, spart aber nicht mit klaren Schlussfolgerungen aus dem Epochenbruch. An diejenigen gerichtet, die mehr Willen zu Verhandlungen mit Russland fordern sagt er: „Im Angesicht des Bösen reicht guter Wille nicht aus.“

    Ein vermeintlicher Friede, der Putins Landraub besiegele, sei kein Friede. Das würde Putins Hunger nur vergrößern. „Moldawien und Georgien, auch unsere NATO-Partner im Baltikum leben in Angst.“ Für alle, die die westlichen Sanktionen wegen der hohen Energiekosten kritisieren, hat der Bundespräsident ein Zitat der estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas parat: „Energie mag teurer werden, aber Freiheit ist unbezahlbar.“

    Steinmeier betont schonungslos: „Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu. Die Friedensdividende ist aufgezehrt. Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind.“ Er macht sich bei Russland keine Illusionen mehr: „Unsere Länder stehen heute gegeneinander.“
    Die Deutschen und die Widerstandskraft nach außen

    Deutschland sieht er nicht in der Rolle einer globalen Führungsmacht, aber es müsse mehr Verantwortung übernehmen und er wünscht sich mehr innenpolitische Gemeinsamkeit. „Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen. Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und auch die Kraft zur Selbstbeschränkung. Wir brauchen keine Kriegsmentalität – aber was wir brauchen, ist Widerstandsgeist und Widerstandskraft“, betont Steinmeier.

    „In dem Maße, in dem die Erwartungen an uns wachsen, wird auch die Kritik an uns zunehmen. Damit müssen wir erwachsen umgehen und nicht jede Kritik von außen umgehend als Munition in der innenpolitischen Auseinandersetzung missbrauchen“, betont der Bundespräsident.

    „Dass ein Land wie unseres in der Kritik steht, daran werden wir uns gewöhnen müssen“, sagt Steinmeier. Die USA hätten viel Übung darin. „Die USA sind eine globale Führungsmacht. Sie werden kritisiert für das, was sie tun, und für das, was sie nicht tun. Sie können nicht auf andere zeigen oder höhere Instanzen anrufen. Sie müssen wissen, was sie tun und warum.“
    Die Bringschuld der Bürger

    Immer wieder benutzt er zudem den Begriff der widerstandskräftigen Bürger. Er sieht da bei den Bürgern eine gewisse Bringschuld, im Übrigen gelte es, ein Appell an die Ampel, die Krisenkosten gerecht zu verteilen, von den Reichen im Land fordert er, mehr für Ihr Land zu tun, es liest sich wie der Appell für eine Vermögenssteuer: „Sie müssen jetzt helfen, um die immensen Kosten der notwendigen Entlastungen überhaupt stemmen zu können. Sie müssen jetzt beitragen, um neue Ungerechtigkeiten zu vermeiden.“

    Zugleich mahnt er, bei allen Problemen die Herausforderung des Klimawandels nicht zu vergessen: „Der Klimawandel macht keine Ukraine-Pause.“ Wenn alle mitanpackten und dran glaubten, könnten Freiheit, Demokratie und Wohlstand gewahrt bleiben: „Wir machen Deutschland zu einer neuen Industrienation - technologisch führend, klimaverantwortlich, in der Mitte Europas.“ Vernetzt, aber weniger verwundbar, sagt Steinmeier – noch seine eigene Lehre aus der einseitigen Abhängigkeit von Russlands Gaslieferungen. Das sei die tiefste Krise, die das wiedervereinigte Deutschland erlebe, für viele Bürger seien die Belastungen und auch die Schäden durch eigene Sanktionen eine Zerreißprobe.

    Aber er betont auch: „Unser Land hat die Kraft, Krisen zu überwinden. Es hat die Menschen, die immer wieder dafür arbeiten, die Unternehmerinnen, die Forscher, die Ingenieure, die Facharbeiterinnen. Unser Land hat das Wissen und die Ideen, die Erfahrung von Generationen und den Ehrgeiz der Jugend.“ Es gelte nun „alles zu stärken, was uns verbindet. Das ist die Aufgabe. Tun wir’s.“ Danach gibt es langen Applaus, das Auditorium erhebt sich, klatscht stehend weiter.

    Vorne in der ersten Reihe klatschen die Altbundespräsidenten Gauck und Christian Wulff, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke), CDU-Chef Friedrich Merz, FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Aber kein Spitzenpolitiker von Grünen und SPD, kein Kanzler, kein Bundesminister. Dabei war die Rede geplant als gemeinsames Signal des Zusammenhalts in schwerer Zeit.

    In Schloss Bellevue löst das Fehlen großes Befremden aus, die Regierung verweist auf wichtige Energieberatungen. Ein anwesender Oppositionspolitiker zeigt sich fassungslos, das sei „ungeheuerlich“, ein Affront gegen den Bundespräsidenten.

    Regierungssprecher Steffen Hebestreit betont, er wisse „nichts über das Einladungsmanagement oder -wesen“. Er wisse aber, „dass der Bundespräsident den Bundeskanzler im Vorfeld intensiv über diese Rede informiert hat, sie haben darüber gesprochen, und der Bundeskanzler hat sie natürlich auch verfolgt.“

    Der Bundespräsident lässt sich derweil nichts anmerken, sagt nach der Rede, er wolle jetzt gern mit der vielen jungen Gästen ins Gespräch kommen, was zu tun ist. Er will, dass diese Rede nicht im Tagesgeschäft der sich überlappenden Krisen verpufft.

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