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  • Verlieren wir durch KI die unabhängige Presse?
    https://www.telepolis.de/features/Verlieren-wir-durch-KI-die-unabhaengige-Presse-10777722.html

    17.10.2025 von Andrej Simon - Studien zeigen Traffic-Verluste bis zu 50 Prozent für Medien. Ohne Klicks droht der stille Tod der Meinungsvielfalt im Netz. Eine Analyse.

    Die Integration von Künstlicher Intelligenz in Suchmaschinen stellt eine der größten Herausforderungen für die Meinungsvielfalt und journalistische Geschäftsmodelle dar.

    Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen erhebliche Auswirkungen auf die Informationslandschaft. Ein von den deutschen Medienanstalten beauftragtes Gutachten von Professor Dirk Lewandowski (Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg) dokumentiert fundamentale Veränderungen durch KI-gestützte Suchdienste.

    Die Studie analysierte systematisch führende Suchmaschinen wie Google und Bing sowie KI-zentrierte Dienste wie Perplexity.ai und ChatGPT. Die Datenerhebung erfolgte im Mai 2025 und ist unter Medienanstalten.de verfügbar.

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    KI-Antworten ersetzen traditionelle Suchergebnisse

    Traditionelle Suchmaschinen agierten bisher primär als Vermittler von Links zu externen Webinhalten. Mit generativer Künstlicher Intelligenz verschiebt sich der Fokus zu direkten, vom System generierten Antworten in Fließtextform.

    Diese sogenannten „KI-Antworten“ führen zu drei wesentlichen Veränderungen: Dialog auf neuer Stufe durch komplexere Suchanfragen in natürlicher Sprache, Zusammenwachsen von Informationssuche und -nutzung sowie die Erstellung völlig neuer Informationsobjekte.

    Google hat seinen „KI-Modus“ ("A1 Mode") kürzlich in Deutschland eingeführt, nachdem er monatelang in den USA und anderen Ländern getestet wurde. Diese Entwicklung wirft Fragen nach Transparenz und Verlässlichkeit auf, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet.
    Drastische Traffic-Verluste bedrohen Medienfinanzierung

    Die Auswirkungen auf journalistische Inhalteanbieter werden als gravierend herausgestellt. Laut dem Gutachten von Dirk Lewandowski, der Studien zitiert, zeigen sich Traffic-Verluste zwischen 18 Prozent und über 50 Prozent für Medienunternehmen. Dies bedroht die Refinanzierung der Inhaltsproduktion, die für eine vielfältige Informationslandschaft notwendig ist.

    Eine Analyse des Reuters Institute for the Study of Journalism dokumentiert bereits massive Veränderungen im Referral-Traffic.

    Die Studie zitiert Daten des Analytics-Unternehmens Chartbeat von fast 2.000 Nachrichtenwebsites. Sie zeigen: Facebook-Traffic zu Nachrichtenwebsites ist in zwei Jahren um 67 Prozent gesunken, X-Traffic um 50 Prozent. Google-Search-Traffic blieb bisher stabil, doch Verleger fürchten die Ausweitung von KI-generierten Zusammenfassungen auf wichtige Nachrichtenstories.
    Nutzer vertrauen KI-Antworten nur bedingt

    Eine qualitative Studie der britischen Medienaufsicht Ofcom mit 24 UK-Internetnutzern offenbart differenziertes Nutzerverhalten. Nutzer wählen demnach verschiedene Sucherfahrungen basierend auf Komplexität und Bedeutung der Anfrage.

    Generative KI-Tools werden für einfachere Anfragen (i.O. „low-stakes queries“) bevorzugt, wo Ungenauigkeiten weniger schwerwiegende Folgen haben. Bei Anfragen zu komplexeren Feldern ( „high-stakes queries“), wie Gesundheit und Finanzen, greifen Nutzer weiterhin auf traditionelle Suchmaschinen zurück.

    Die Befragten des Reuters-Berichts, 326 Führungskräfte aus der Medienbranche, geben zu rund drei Viertel (74 Prozent) an, dass „sie sich Sorgen über einen möglichen Rückgang des Suchmaschinenverkehrs in diesem Jahr machen“.
    Verschiedene KI-Ansätze mit unterschiedlichen Risiken

    Die Funktionsanalyse von Dirk Lewandowski zeigt deutliche Unterschiede zwischen etablierten Suchmaschinen und KI-zentrierten Tools. Google und Bing integrieren KI-Antworten direkt in ihre Ergebnisse und beeinflussen damit die Sichtbarkeit anderer Treffer. Perplexity.ai und ChatGPT präsentieren ausschließlich KI-Antworten, wobei ChatGPT oft ganz auf Quellenangaben verzichtet.

    Diese Entwicklungen verdeutlichen vielfältige KI-Integrationsansätze und werfen Fragen zur Transparenz und Verlässlichkeit der Suchergebnisse auf. Nutzer zeigten sich besonders vorsichtig bei KI-generierten Inhalten und berichteten, diese häufig über traditionelle Suchtools zu verifizieren.
    Sicherheits- und Datenschutzbedenken wachsen

    Die Ofcom-Studie dokumentiert erhebliche Bedenken bezüglich Datenschutz und Sicherheit. Nutzer befürchteten, dass eingegebene Informationen öffentlich verfügbar werden und von verschiedenen Parteien genutzt werden könnten. Weitere Sorgen betrafen die Transparenz der Antwortgenerierung und die Verwendung von Nutzerdaten durch Künstliche Intelligenz.

    Teilnehmer berichteten von negativen Erfahrungen mit KI-Suchbots, hauptsächlich aufgrund ungenauer Antworten und defekter Hyperlinks. Diese Probleme untergruben das Vertrauen und führten zu häufigerem Fact-Checking, besonders in wichtigen Situationen.
    Regulierung und Gesetzgeber gefordert

    Eva Flecken, Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, betont: „KI-Antworten dürfen nicht vielfaltsverengend wirken, und die Anbieter tragen die Verantwortung für ihre Antworten.“

    Das deutsche Medienrecht und die Durchsetzung des Digital Service Acts der EU würden eine entscheidende Rolle spielen.

    Die Medienanstalten fordern, Medienintermediäre – soziale Netzwerke (wie Instagram oder TikTok), sogenannte Video-Sharing-Dienste (wie YouTube) und Suchmaschinen (wie Google) – stärker in die Pflicht zu nehmen. Sie müssten einen aktiven Beitrag zur Vielfaltsförderung leisten.

    Konkrete Maßnahmen könnten die Verpflichtung zu funktionierenden Outlinks und Verweisen auf Public-Value-Inhalte sowie klare Regelungen über Verantwortlichkeiten für KI-generierte Inhalte umfassen.
    Langfristige Gefahr für Informationsvielfalt

    Langfristig kann ein Traffic-Verlust für Inhalteanbieter dazu führen, dass die Produktion hochwertiger, vielfältiger Inhalte im Internet wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist. Dies hätte negative Auswirkungen auf die Meinungsvielfalt.

    Eine weitere Verschiebung ergibt sich durch Inhalteanbieter, die nicht auf direkte Refinanzierung angewiesen sind, wie das Gutachten von Lewandowski herausstellt: Parteien, PR-Agenturen, Nichtregierungsorganisationen und Verbände stellen ihre Inhalte kostenlos zur Verfügung.

    Das Reuters Institute warnt vor einer „existenziellen Herausforderung“ für den Journalismus. Die Disruption der Suche stelle eine der größten Bedrohungen für Nachrichtenorganisationen dar, die bereits Social-Media-Traffic verloren haben und nun weitere Sichtbarkeitsverluste befürchten.

    Die Ergebnisse stellen eine Momentaufnahme in einem sich schnell entwickelnden Feld dar. Zukünftige Forschung ist insbesondere im Hinblick auf das Nutzerverhalten und die langfristigen Traffic-Auswirkungen von KI-Antworten auf die Refinanzierung von Web-Inhalten notwendig.

    Ohne regulatorische Eingriffe droht, wie es aussieht, eine Verarmung der Meinungsvielfalt in der digitalen Informationslandschaft.

  • Erkenntnisgewinn: Warum geografisches Wissen im Zeitalter von Google Maps unverzichtbar bleibt
    https://www.telepolis.de/features/Erkenntnisgewinn-Warum-geografisches-Wissen-im-Zeitalter-von-Google-Maps-u

    KI-generierte Illustration

    17.10.2025 von Christoph Jehle - Wer sich nur navigieren lässt, begreift die Welt nicht mehr und verliert das Gespür für Raum und Wirklichkeit. Kartenlesen bleibt eine Kulturtechnik der Erkenntnis.

    Geografie beschäftigt sich sowohl mit den natürlichen Grundlagen, als auch mit dem, was der Mensch daraus gemacht hat.

    Dabei kann man grundsätzlich Alles betrachten, was in der Fläche größer als ein Einzelgrab ist. Google Maps ist hingegen ein mehr oder weniger sinnvolles Navigationssystem, das weniger auf Erfahrung als auf online erreichbaren Daten aufbaut.

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    Anders als das auf Mobilität hin optimierte Navigationssystem kann die Geografie einen kritischen Blick auf die dargestellten Realitäten bieten und ermöglicht die Kartierung von Themen, die in kommerziellen Diensten unterrepräsentiert sind, wie soziale Ungerechtigkeiten oder lokale Unsicherheiten.
    Der größere Reichtum

    Während Google Maps auf der globalen, oft anonymisierten Darstellung von Daten basiert, nutzt geografische Kartografie die Fähigkeit des Menschen, den Raum durch direkte Erfahrung, Wahrnehmung und kritische Analyse zu erschließen und so ein tieferes Verständnis für den lokalen Kontext zu entwickeln.

    Wo Google Maps die Erde nur zweidimensional mit dem Ziel abbildet, den Betrachter möglichst schnell von A nach B zu bringen, enthalten Karten deutlich mehr Informationen, die heute jedoch immer weniger Menschen lesen können, da sie ihre Informationen lieber aus Wikipedia und YouTube beziehen.

    Google entscheidet für den Betrachter anhand seiner Such-Historie, was ihm dargestellt wird und was nicht. Dabei ist den meisten Nutzern wohl gar nicht klar, was sie übersehen und was ihnen gar nicht angeboten wird.

    Somit können sich die von Google gewählten Darstellungen entsprechend den Nutzern unterscheiden und stellen keine Voraussetzung für eine Sachdiskussion zwischen zwei Nutzern dar.
    Karten zeigen für jeden Betrachter das Gleiche

    Die Darstellung in Karten werden vom Ersteller der Karten bestimmt und bieten für jeden Betrachter die gleichen Voraussetzungen dafür, was er auf der Karte sehen kann. Er muss es dann nur interpretieren.

    Bis vor wenigen Jahrzehnten konnte man Karteninterpretation noch studieren und anhand von Messtischblättern das Staatsexamen in Geographie erfolgreich meistern.

    Messtischblätter sind die allgemein bekannten Topographischen Karten im Maßstab 1:25.000, die auf Grundlage einer unmittelbaren Aufnahme im Gelände mittels Messtisch und Kippregel erstellt wurden. Messtischblätter im Maßstab 1:25.000 werden auch als 4-cm-Karten bezeichnet, weil vier Zentimeter auf der Karte einem Kilometer in der Realität entsprechen.

    Mittels Isohypsen – Linien, die Punkte mit gleicher Höhe verbinden und so als Höhenlinien auf topografischen Karten verwendet werden – wird auf topografischen Karten das Relief dargestellt, wobei der Abstand der Linien die Steilheit des Geländes anzeigt. Enge Linien bedeuten steiles Gelände, weite Linien flaches Gelände.
    In Google Maps fehlen die Perspektiven und die geschichtlichen Zusammenhänge

    Google Maps stellt als Instrument der aktuellen Navigation ein gutes Navigationsinstrument dar, was den Kompass weitgehend ersetzt hat. Es besitzt jedoch oft eine hegemoniale, konsumorientierte Sicht auf die Welt und blendet dabei soziale, wirtschaftliche und kulturelle Nischen und Fragestellungen aus, die dann aufwendig aus anderen Quellen beschafft werden müssen.

    Google basiert stark auf durch Nutzer und andere Quellen generierten Daten, die zwar für die Navigation nützlich sind, aber soziale Realitäten wie Diskriminierung, Gentrifizierung oder Überwachung nicht abbilden. Da sich Google meist an der Suchhistorie des Nutzers orientiert, besteht das Risiko einer Blasenbildung.
    Auch Karten zeigen nur einen Ausschnitt der Realität

    Anhand von Karten und den darin dargestellten Höhenlinien lassen sich noch heute frühere Nutzungen darstellen, ohne dass dafür ein Begleittext benötigt würde. Ehemalige Bahntrassen und aufgelassene Fabriken, welche man noch anhand damit verbundener Schornsteine leicht identifizieren kann, erzählen viel mehr über die betrachtete Landschaft, als es Google je darstellen könnte.

    In ihrer Generalisierung geben Karten oft nur einen bestimmten Ausschnitt der Realität wieder. So werden christliche Kirchen üblicherweise mit einem Kreuz-Symbol markiert, Moscheen oder Gebäude anderer Glaubenseinrichtungen jedoch häufig nicht, was als kartografisches Schweigen bezeichnet wird.

    In der Auswahl der Symbole zeigt sich oftmals der kulturelle Hintergrund des Erstellers. Geographen können ein tieferes, kontextualisiertes Verständnis von Orten entwickeln, das über die bloße Navigation hinausgeht. Die Geographie kann in der Folge auch kritische Fragen stellen und verborgene Aspekte des Raumes beleuchten, die in einer standardisierten Karte nicht sichtbar sind.
    Historische Karten haben bis heute Bedeutung

    Welche Bedeutung auch historische Karten bis heute haben können, lässt sich beispielhaft am Beispiel von Amerika zeigen. Zu einem Zeitpunkt, als der Kontinent von den Europäern nur ansatzweise bekannt war, hat der Kartograf Martin Waldseemüller aus dem heute zu Schallstadt zählenden Ort Wolfenweiler während seiner Anstellung als Kartograph im Gymnasium Vosagense in St. Dié in Lothringen auf einer Karte den neuen Kontinent nach Amerigo Vespucci mit dem Namen „America“ bezeichnete.

    Wie auf dieser Karte die Westküste Amerikas weitgehend korrekt wiedergegeben werden konnte, obwohl kein Europäer soweit vorgestoßen war, ist bis heute unbekannt.

    Das letzte erhaltene Original der Waldseemüllerkarte wurde 2001 für zehn Millionen US-Dollar mit einer Sondergenehmigung der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Baden-Württemberg in die USA verkauft.

    #cartographie

  • Zieldaten für Kiew : Die unsichtbare Hand hinter den Angriffen
    https://www.telepolis.de/features/Zieldaten-fuer-Kiew-Die-unsichtbare-Hand-hinter-den-Angriffen-10771268.htm

    Suivant l’auteur Lars Lange le conflit armé en Ukraine est ressenti par Moscou comme une guerre d’annilihation menée par l’OTAN contre la Russie. Le but serait non pas l’extermination du peuple slave mais la déstruction de son état autonome. Si c’est vrai on n’est pas près de la fin des hostilités. Quoi qu’il en soit des millions d’Ukrainiens et de Russes en paient le prix avec.leur vies et leurs blessures.

    16.10.2025 von Lars Lange - US-Geheimdienste planen jedes Detail mit: Von Flugrouten über Timing bis zur Höhe – damit ukrainische Drohnen Russlands Abwehr umgehen. Analyse.

    Die Vereinigten Staaten unterstützen die Ukraine seit Monaten bei Langstreckenangriffen auf russische Energieanlagen. Das enthüllte die Financial Times. Nach Angaben der Zeitung, die sich auf mehrere ukrainische und amerikanische Beamte beruft, stellen US-Geheimdienste Informationen bereit, die Kiew ermöglichen, wichtige russische Energieanlagen anzugreifen, darunter Ölraffinerien weit hinter der Frontlinie.

    Die Unterstützung habe sich seit Mitte des Sommers intensiviert und sei entscheidend gewesen, um Angriffe durchzuführen, die das Weiße Haus unter Joe Biden noch abgelehnt hatte.

    Amerikanische Geheimdienstinformationen helfen der Ukraine bei der Routenplanung, der Festlegung der Flughöhe, des Timings und bei Entscheidungen über Missionsdetails. Dies ermögliche es den ukrainischen Langstrecken-Kampfdrohnen, der russischen Luftabwehr auszuweichen.

    Die Nachrichtenagentur Reuters bestätigte die Berichterstattung der Financial Times und fügte hinzu, dass bereits Anfang Oktober zwei US-Beamte gegenüber Reuters erklärt hatten, Washington werde der Ukraine Geheimdienstinformationen über Langstrecken-Energieinfrastrukturziele in Russland zur Verfügung stellen. Die USA hätten zudem Nato-Verbündete gebeten, ähnliche Unterstützung zu leisten.

    Als möglicher Wendepunkt gilt ein Telefonat zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj im Juli. Die Financial Times berichtete damals, der US-Präsident habe gefragt, ob die Ukraine Moskau angreifen könne, falls Washington Langstreckenwaffen liefere.

    Trump habe seine Unterstützung für eine Strategie signalisiert, die Russen „den Schmerz spüren“ zu lassen und den Kreml zu Verhandlungen zu zwingen, so zwei mit dem Gespräch vertraute Personen. Das Weiße Haus erklärte später, Trump habe „lediglich eine Frage gestellt, nicht zu weiteren Tötungen ermutigt“.

    Umfang und Details der US-Beteiligung

    Drei Personen, die mit den Operationen vertraut sind, erklärten gegenüber der Financial Times, Washington sei in allen Phasen der Planung eng involviert. Während ein US-Beamter der Zeitung sagte, die Ukraine wähle die Ziele für Langstreckenangriffe selbst aus und Washington liefere dann Informationen über die Verwundbarkeit dieser Standorte, zeichneten andere Beteiligte ein anderes Bild.

    Nach deren Darstellung habe die USA auch Zielprioritäten für die Ukrainer festgelegt. Eine dieser Personen beschrieb die ukrainische Drohnenstreitmacht als „Instrument“ für Washington, um Russlands Wirtschaft zu untergraben und Putin in Richtung einer Einigung zu drängen, wie die Financial Times berichtet.

    Auf der Social-Media-Plattform X behauptete die brasilianische Militäranalystin Patricia Marins, diese Unterstützung bestehe bereits seit 2022 und habe sich nie geändert. Von der Auswahl der Ziele für Himars-Systeme einschließlich der Lieferung von Koordinaten hin zum Betrieb von Storm Shadow und SCALP durch europäische Kräfte vor Ort müssten die Ukrainer nur noch „den Knopf drücken“. Die Russen wüssten dies und seien sich bewusst, dass sie gegen die Ukraine und über vierzig Länder kämpften, so Marins.

    Die Ziele: Russische Energieinfrastruktur unter Beschuss

    Die ukrainischen Angriffe richteten sich gezielt gegen die russische Energieinfrastruktur. Nach Angaben der Financial Times wurden mindestens sechzehn der achtunddreißig russischen Ölraffinerien getroffen, einige davon mehrfach. Die Angriffe hätten mehr als eine Million Barrel Raffineriekapazität pro Tag außer Betrieb gesetzt. Die Schäden zwangen Moskau, Dieselexporte zu kürzen und verstärkt auf importierten Kraftstoff zurückzugreifen.

    Für die Angriffe setzt die Ukraine Langstreckendrohnen wie Fire Point und Liutyi ein, manchmal bis zu dreihundert in einer Operation, sowie in der Ukraine produzierte Neptune- und Flamingo-Raketen.

    Die Unterstützung zielt darauf ab, Russlands Wirtschaft zu schwächen und Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen, wie die Financial Times unter Berufung auf Beamte berichtet.

    Der ehemalige CIA-Direktor David Petraeus erklärte in einem Interview mit der Welt, es gebe eine echte Gelegenheit, die russische Kriegswirtschaft zu zerschlagen. Er forderte, diejenigen zu bestrafen, die Komponenten, Chips und Teile an den russischen militärisch-industriellen Komplex verkauften, sowie Käufer von russischem Öl und Gas.

    Wenn man diese Maßnahmen mit der Zerschlagung der russischen Kriegswirtschaft und verstärkter Unterstützung für die Ukraine kombiniere, ändere man die Dynamik auf dem Schlachtfeld. Putin werde dann erkennen, dass dies ein Krieg sei, den er fortzusetzen sich nicht leisten könne, so Petraeus.
    Die Realität an der Front: Russlands militärische Erfolge

    Während die ukrainischen Angriffe auf russische Energieanlagen andauern, zeigt die militärische Lage an der Front ein anderes Bild. Nach Angaben des russlandfreundlichen Substack-Blogs Simplicius eroberte Russland seit dem Sommer über eintausendfünfhundert Quadratkilometer ukrainisches Territorium.

    Besonders dramatisch ist die Lage in Kupyansk, wo russische Kräfte bis zu siebzig Prozent der Stadt unter Kontrolle gebracht haben und die Stadt vom Ostufer abgeschnitten sein soll. Ukrainische Soldaten würden ohne Befehl aus dem eingekesselten Stadtzentrum fliehen. Kupyansk hatte vor dem Krieg etwa achtundzwanzigtausend Einwohner und könnte die erste größere Stadt seit Avdeevka Anfang 2024 sein, die fällt.

    Auch in der Region Pokrovsk-Mirnograd-Rodynske drohte eine Einkreisung ukrainischer Einheiten. Der ukrainische Analyst Myroshnykov erklärte nach Angaben von Simplicius, die russische Führung versuche, die Städte zu isolieren und Verbindungen abzuschneiden. In Konstantinovka und Slavyansk bereiteten sich Behörden auf russische Vorstöße vor, Evakuierungen wurden angeordnet.
    Fazit: Eskalation, Fehlkalkulation und existenzielle Blindheit

    Die amerikanische Strategie, durch Angriffe auf russische Energieanlagen wirtschaftlichen Druck aufzubauen und Putin zu Verhandlungen zu zwingen, verkennt allerdings die Natur dieses Konflikts fundamental.

    Zum einen ist weder die Treibstoffversorgung der russischen Armee gefährdet, noch stehen Rüstungsprojekte ernsthaft infrage. Die Angriffe schmerzen, beeinflussen jedoch den Kriegsverlauf nicht – die russischen Geländegewinne sprechen eine deutliche Sprache.

    Doch der entscheidende Denkfehler westlicher Strategen liegt in der Annahme, Russland werde aus Kostengründen kapitulieren. Für Moskau ist dieser Krieg dagegen existenziell, keine rationale Kosten-Nutzen-Rechnung.

    Die Kalkulation, wirtschaftlicher Druck würde Moskau zum Einlenken zwingen, ignoriert die fundamentale Tatsache, dass Russland diesen Konflikt als Frage seines Überlebens begreift. Washington mag dies offiziell verkennen – möglicherweise weiß man und eskaliert bewusst.

    Die Diskussion um Tomahawk-Lieferungen verschärft die Lage. Trump drohte, solche Raketen zu liefern, falls Putin nicht einlenke, wie The War Zone berichtete. Russische Stimmen schlugen als Gegenmaßnahme vor, Iskander- und Oreshnik-Systeme nach Kuba zu schicken, nachdem Moskau und Havanna einen Militärkooperationsvertrag ratifiziert hatten.

    Die völkerrechtliche Dimension ist brisant. Ist die Lieferung von Zieldaten Kriegsbeteiligung? Dies ist wohl keine Frage objektiven Völkerrechts, sondern mehr eine Interpretation durch die russische Führung.

    Kremlsprecher Peskow erklärte nach Angaben von Reuters, die Lieferung und Nutzung der gesamten NATO- und US-Infrastruktur zur Sammlung und Übertragung von Geheimdienstinformationen an die Ukrainer sei „offensichtlich“.

    Ein Gedankenexperiment verdeutlicht die Doppelstandards: Angenommen, Russland hätte 2014 einen Staatsstreich in Mexiko finanziert und initiiert, danach Militärberater entsandt und ab 2022 Zieldaten der mexikanischen Armee zur Verfügung gestellt, um tief ins amerikanische Gebiet zu wirken – welche Reaktion hätte Washington gezeigt?

    Die gesamte Debatte um Tomahawks und Zieldaten offenbart letztlich vor allem eines: Es geht der Ukraine auf dem Schlachtfeld schlecht. Die Eskalation dient nicht einer durchdachten Strategie, sondern entspringt der Verzweiflung. Während Washington glaubt, Russland durch wirtschaftlichen Druck bezwingen zu können, ignoriert es die existenzielle Dimension dieses Krieges für Moskau.

    #guerre #Russie #Ukraine #USA #OTAN

  • Ann-Kathrin Kaufhold : Eine Verfassungsrichterin für den politischen Aktivismus
    https://www.telepolis.de/features/Ann-Kathrin-Kaufhold-Eine-Verfassungsrichterin-fuer-den-politischen-Aktivi

    Nous assistons au remplacement d’une partie du pouvoir parlementaire par les cours de justice et d’autres institutions comme la banque centrale européenne.Une fois l’influence de l’extrême droite bien ancrée on verra une réduction massive de nos droits démocratiques et sociaux. La transformation socialiste de la société déjà une illusion réformiste sera désormais impossible.

    4.10.2025 von Alexander Horn - Gewaltenteilung-Tortendiagramm mit übergriffiger Hand aus dem Judikative-Sektor und von Außen mit EZB-Logo

    Mit Ann-Katrin Kaufhold hat der Bundestag eine Verfassungsrichterin gewählt, die politische Ziele mit Hilfe von Gerichten und Zentralbanken durchsetzen will. Gastbeitrag.

    Die Wahl von Verfassungsrichtern ist ein politischer Vorgang mit großer Tragweite. Im Grundgesetz ist verankert, dass die insgesamt 16 Bundesverfassungsrichter von den gesetzgebenden Organen, also Bundestag beziehungsweise Bundesrat, mit Zwei-Drittel-Mehrheiten zu wählen sind.

    Die Tragweite dieser Entscheidung erschließt sich daraus, dass die gewählten Verfassungsrichter dann Teil einer von der Politik unabhängigen Institution werden, deren Rechtsprechung für die anderen Verfassungsorgane – darunter Bundestag und Bundesrat – wiederum bindend ist.

    Die Trennung zwischen Politik und Gerichten ist ein konstituierendes Prinzip liberaler Demokratie. Dementsprechend gibt es eine Gewaltenteilung zwischen den Gerichten und Rechtsprechung (Judikative) einerseits und der Politik mit gesetzgebender Funktion (Legislative) sowie ausführenden Organen, darunter die Bundesministerien, Bundesverfassungsschutz und Staatsanwaltschaften (Exekutive) andererseits. Die Gewaltenteilung soll Machtmissbrauch verhindern, indem sich die drei Gewalten gegenseitig kontrollieren und begrenzen.

    Durch die nun vom Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken vollzogene Wahl von Ann-Kathrin Kaufhold zur Bundesverfassungsrichterin und deren anschließende Wahl zur Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts durch den Bundesrat, ist diese Gewaltenteilung jedoch infrage gestellt.

    Denn, wie sich durch die öffentliche Diskussion um ihre Person im Vorfeld der Wahl gezeigt hatte, ist die von der SPD vorgeschlagene Bundesverfassungsrichterin hinsichtlich der Nutzung des Verfassungsgerichts zur Erreichung politischer Ziele nicht nur aufgeschlossen, vielmehr beansprucht sie sogar eine aktivistische Rolle des Bundesverfassungsgerichts bei der Politikgestaltung.

    Auf die Frage, wie die Klimazukunft aktiv zu gestalten sei, erklärte Kaufhold 2023 in einem Interview zu ihrem Forschungsprojekt „The Institutional Architecture for a 1.5 °C World“ an der LMU München:

    Natürlich denkt man in solchen Fragen zunächst an Parlament und Regierung. Wir stellen aber leider fest, dass sie das Thema nicht schnell genug voranbringen. Deswegen muss man überlegen, wie man das Tableau der Institutionen erweitert.

    In den vergangenen Jahren seien die Gerichte auf den Plan getreten, „die deutlich machen, dass Klimaschutz auch eine menschenrechtliche Dimension hat“, und zum anderen die Zentralbanken. Hinzu komme eine Reihe anderer Institutionen, die man in Deutschland und auf europäischer Ebene für den Klimaschutz geschaffen habe.

    Explizit erwähnt sie den Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung, auf europäischer Ebene die Platform on Sustainable Finance und international das Network for Greening the Financial System, allesamt Institutionen ernannter und selbsternannter Experten, die über keine demokratische Legitimation verfügen und gegenüber dem Wahlvolk nicht rechenschaftspflichtig sind.

    Bei so vielen Akteuren könne man sich fragen, so Kaufhold weiter:

    Wer macht es am besten, am effizientesten, am effektivsten? Und wie sollte das Zusammenspiel der Institutionen aussehen, damit sie sich möglichst gegenseitig stärken und nicht behindern?

    Kaufhold hegt offenbar nicht nur erhebliche Zweifel am politischen Prozess in einer Demokratie, vielmehr sieht sie dessen Dysfunktionalität sogar als erwiesen an, was sie dazu bewegt, Gerichte, Zentralbanken und nicht gewählten Expertengremien unter Umgehung der Demokratie zur Durchsetzung politischer Ziele in Anspruch nehmen zu wollen.

    Unumwunden erklärt sie, dass sie mit ihrem Forschungsprojekt die Frage beantworten wolle, wie man Institutionen schaffen könne, „die einerseits gesellschaftlichen Rückhalt haben und andererseits effektiven Klimaschutz ermöglichen“.

    Zwar könnten weder Parlamente, Gerichte, Zentralbanken noch andere Institution „auf Dauer gegen eine Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung agieren“ und Parlamente hätten den Vorteil, dass sie „politisch stark legitimiert“ seien, wohl aber sei es ein „Defizit von Parlamenten mit Blick auf den Klimaschutz […], dass sie auf Wiederwahl angewiesen sind“.

    In der Folge tendierten sie wohl dazu, so Kaufhold weiter, „unpopuläre Maßnahmen nicht zu unterstützen“, während Gerichte und Zentralbanken unabhängig seien und sich daher „besser [eignen], unpopuläre Maßnahmen anzuordnen“.
    EZB macht Politik

    Die von Kaufhold propagierte Übertragung politischer Verantwortung an demokratieferne Institutionen, deren Personal nicht vom Volk gewählt wird und somit den Bürgern gegenüber daher nicht rechenschaftspflichtig und abwählbar ist, ist keine Fiktion, sondern wird immer mehr zur gängigen Praxis. Sehr deutlich zeigt sich dies anhand der von ihr angesprochenen Zentralbanken.

    Um Wähler und Politik aus der Geldpolitik herauszuhalten, wurden die institutionellen Strukturen der Deutschen Bundesbank mit der Gründung der EZB auf diese übertragen. Dabei hat man – um die Macht nicht gewählter Zentralbanker zumindest einzuschränken – dieses Mandat strikt auf die Gewährung der Geldwertstabilität beschränkt.

    Gemäß Artikel 127 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU ist die Preisstabilität daher als das „vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken“ festgelegt. „Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist“, darf die EZB die allgemeine Wirtschaftspolitik unterstützen.

    Mit dem Amtsantritt von Christine Lagarde als EZB-Präsidentin änderte sich dies. Sie kündigte sofort an, dass sie den Klimaschutz zur Aufgabe der EZB machen werde. Diese Ausweitung des EZB-Mandats begründete sie damit, dass der Klimawandel ihrer Auffassung nach die Stabilität des Finanzsystems bedrohe.

    Bei einer Anhörung im EU-Parlament im September 2019 hatte sie als oberstes Ziel der EZB die Preisstabilität genannt. Es sei aber dennoch legitim, weitere Ziele zu verfolgen. Und sie ließ nicht den geringsten Zweifel an ihrer Überzeugung, dass es ihr als EZB-Chefin obliegt, ihr Mandat selbst zu definieren:

    Es gibt sekundäre Ziele, die nach meiner Überzeugung nicht sekundär sind. Und wenn Preisstabilität vorliegt, dann kann man sich auch weitere Ziele […] anschauen. Zum Beispiel kann die EZB gewiss das Ziel Umweltschutz mit aufgreifen.

    Mit dieser Selbstermächtigung zog die EZB ein politisches Mandat an sich, was ihr seitdem erlaubt, unbehelligt vom Wählerwillen Klimapolitik zu betreiben.

    Die Instrumentalisierung der EZB für politische Zwecke ist jedoch keineswegs die Erfindung von Lagarde. Als es den Regierungen der Euroländer Anfang der 2010er Jahre nicht gelungen war, das aufgrund steigender Schulden zunehmende Risiko eines Zusammenbruchs der Eurozone zu verhindern, sprang die EZB in die Bresche.

    Auf dem Höhepunkt der Eurokrise 2012 erklärte der damalige EZB-Präsident Mario Draghi die Vergemeinschaftung der Schulden der Euroländer, indem er sagte, die EZB werde „alles tun“, um die Eurozone zu retten. Da nun klar war, dass die „Länder zusammen [einstehen] für die Schulden der Angeschlagenen“, wie seinerzeit der Präsident der Schweizerischen Nationalbank kommentierte, beendete dies schlagartig die eskalierende Eurokrise.1 Gegen die Interpretation von Draghis Handeln setzte sich keine Regierung der Eurozone zur Wehr.

    Die EZB lässt sich jedoch auch durch die Übernahme einer immer wichtigeren wirtschaftspolitischen Rolle instrumentalisieren. Seit langem beflügeln die Zentralbanken die Finanzmärkte und halten die wertschöpfende Wirtschaft durch das viele billige Geld zumindest am Ticken. Zudem verschaffen sie den Staaten durch niedrige Zinsen und den Kauf ihrer Staatsanleihen zusätzliche fiskalische Spielräume.

    Im Gegenzug halten die Regierungen der Euroländer und die Gerichte der EZB den Rücken frei, indem sie die politische Unabhängigkeit der EZB verteidigen und den Vorwurf von Mandatsüberschreitungen unter anderem durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs kontinuierlich zurückweisen.

    Jürgen Stark, ehemaliger EZB-Chefökonom, kritisierte bereits vor vielen Jahren, dass die EZB unter Draghi „zu einer mächtigen, hochpolitisierten und damit auch angreifbaren Institution“ geworden sei.
    Politische Inanspruchnahme der Gerichte

    Die politische Inanspruchnahme von Institutionen, die im demokratischen Gefüge keinen politischen Auftrag haben, da sie nicht dem Votum der Wähler als Souverän der Demokratie unterliegen, lässt sich inzwischen auch bei den Gerichten und speziell beim Bundesverfassungsgericht erkennen.

    Dass das Bundesverfassungsgericht mittlerweile zu tiefen Eingriffen in politische Zuständigkeiten bereit ist, zeigte sich am Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, in dem die Richter die politische Verantwortung zur Klimaneutralität allein aus dem Grundgesetz ableiteten.

    Damit engen sie den zukünftigen Gestaltungsspielraum der Politik massiv ein, denn mit ihrem Urteil hoben sie die mit einfacher Mehrheit im Bundestag getroffene Verpflichtung zur Klimaneutralität Deutschlands in den Verfassungsrang, sodass sie ohne verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit schwerlich korrigierbar ist.

    Dieser richterliche politische Aktivismus wird dadurch verstärkt, dass das Grundgesetz und die Verfassungen der Bundesländer politisch aufgeladen werden. Dies geschieht auf Grundlage der seit 1949 sukzessiv hinzugefügten politischen Staatsziele, die den Staat verpflichten, diese nach seinen Kräften anzustreben und sein Handeln danach auszurichten. Hierzu gehören etwa die Verwirklichung eines vereinten Europas (Art. 23 Abs. 1 GG) oder der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sowie Tierschutz in Verantwortung für die künftigen Generationen (Art. 20a GG).

    Staatsziele beinhalten politische Zielsetzungen, die über die reinen Strukturprinzipien des Grundgesetzes, also die Festlegung auf eine Republik sowie das Demokratie-, Sozialstaats-, Bundesstaats- und Rechtsstaatsprinzip hinausgehen.

    Sie sind handlungsleitend und können über die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte ausgedehnt werden, was mit dem eben erwähnten Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 geschah.

    In der vergangenen Legislaturperiode wollten SPD, Grüne und FDP gemäß ihrem Koalitionsvertrag „Kultur in ihrer Vielfalt als Staatsziel“ im Grundgesetz verankern, wozu es nicht mehr kam. Nun hat der Bundesrat – als Versuch der Politisierung abseits der Staatsziele – eine Grundgesetzänderung initiiert, um die „sexuelle Identität“ in den Katalog der Diskriminierungsverbote des Artikels 3 des Grundgesetzes aufzunehmen.

    Gerichte als politische Waffe

    Diese sowohl von der Politik als auch von Gerichten und der EZB gleichermaßen vorangetriebene Politisierung führt zu einer Aushöhlung der Demokratie und im Fall der Gerichte zudem zur Demontage der Gewaltenteilung.

    Denn die Politisierung der Gerichte bedeutet, dass gegenüber den Wählern nicht rechenschaftspflichtige Zirkel politische Entscheidungen treffen und politisch agieren, obwohl sie kein politisches Mandat haben, während die Möglichkeiten der Bürger zur politischen Einflussnahme im gleichen Umfang beschnitten werden.

    Die Kehrseite der Politisierung der Gerichte ist die Verrechtlichung der Politik, da der dem Wahlvolk und den Parlamenten überlassene Entscheidungsraum durch Vorgaben von Richtern immer weiter eingeengt wird.

    Kaufhold hat mit ihren öffentlichen Stellungnahmen sehr deutlich gemacht, dass sie der Politisierung des Bundesverfassungsgerichts keineswegs ablehnend gegenübersteht, sondern dass sie vielmehr eine Umgehung der politischen Prozesse sogar fordert.

    Es sei – wie oben zur Klimapolitik zitiert – ein „Defizit von Parlamenten […], dass sie auf Wiederwahl angewiesen sind“, weswegen sie überzeugt sei, dass „Parlament und Regierung […] das Thema nicht schnell genug voranbringen“ und man deshalb überlegen müsse „wie man das Tableau der Institutionen erweitert“.

    Es ist ihr ein Dorn im Auge, dass demokratisch fundierte politische Prozesse unterschiedliche Interessen berücksichtigen müssen und die ihrer Auffassung nach zu geringe Umsetzungsgeschwindigkeit der Klimapolitik nicht zuletzt politische Widerstände bei den Wählern zurückzuführen ist, die wegen der immer erkennbareren und einschneidenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieses Elitenprojekts entstehen.

    Kaufhold personifiziert richterlichen politischen Aktivismus und macht keinen Hehl daraus, dass sie die Instrumentalisierung des Bundesverfassungsgerichts für politische Zwecke sogar für notwendig hält.

    Nicht etwa trotz, sondern offenbar wegen dieser exponierten Auffassungen hält die übergroße Mehrheit der Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU bis zur Linken und derer Parteiführungen sie für eine Idealbesetzung als Bundesverfassungsrichterin, wie die innerhalb dieser Fraktionen völlig unumstrittene Richterwahl gezeigt hat.

    Die Unterhöhlung der Gewaltenteilung hat durch diese Entscheidung eine neue Qualität erreicht, denn was bisher eher schleichend und hinter vorgehaltener Hand geschah, erfolgt nun im grellen Licht der Öffentlichkeit.

    Dass die Instrumentalisierung der Gerichte für politische Ziele inzwischen offenbar legitim erscheint und dass Bundesverfassungsrichter danach streben, politische Verantwortung zu übernehmen, öffnet der Nutzung der Gerichte als politische Waffe Tür und Tor. Um dem aufkommenden Populismus Paroli zu bieten, wurden kurz vor der diesjährigen Bundestagswahl institutionelle Vorkehrungen beim Bundesverfassungsgericht getroffen.

    Bisher einfachgesetzlich Geregeltes hat durch eine Grundgesetzesnovellierung jetzt Verfassungsrang und kann nur per Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden, was den Spielraum einfacher Mehrheiten weiter begrenzt. Umgekehrt wurde zugleich ermöglicht, politische Minderheiten, die mehr als ein Drittel der Wählerstimmen auf sich vereinigen, bei der Wahl der Bundesverfassungsrichter zu übergehen. Dies zeigt sich aber auch daran, dass Gerichte zur Bekämpfung politischer Gegner in Stellung gebracht werden und sich dafür instrumentalisieren lassen.

    Mit dem in diesem Jahr von der SPD gefassten Parteitagsbeschluss sowie der Bundestagsinitiative der Grünen, ein Verbot der AfD durch das Bundesverfassungsgericht zu erwirken, setzen diese Parteien explizit auf die Roten Roben, um es als Waffe gegen den politischen Gegner einzusetzen.

    Anstatt den politischen Weg zu beschreiten, indem sie dem Wahlvolk – dem Souverän der Demokratie – höchstselbst die vermeintlich gegen das Grundgesetz und die Demokratie gerichteten Ziele der AfD im politischen Diskurs vermitteln, um es für sich zu gewinnen, wollen sie den politischen Gegner unter Nutzung der Gerichte behindern oder sogar ganz ausschalten. Sie wollen politische Verantwortung an die Gerichte abgeben, in der Erwartung, dass sie sich dafür instrumentalisieren lassen, entsprechend den politischen Zielvorgaben der Parteien zu entscheiden.

    Indem jedoch Verbote eingesetzt werden sollen, um der politischen Auseinandersetzung und dem öffentlichen Meinungsstreit aus dem Weg gehen zu können, erhalten die Gerichte ein immer größeres Gewicht im Verhältnis zu dem, was politisch ausgefochten wird.

    Es ist also kein Zufall, dass die SPD mit Kaufhold eine aktivistische Richterin als Bundesverfassungsrichterin ausgerechnet für die Kammer vorgeschlagen hat, die für ein potenzielles AfD-Verbotsverfahren zuständig wäre – und dass sie nun mit breiter Mehrheit der Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken gewählt wurde.

    Alexander Horn ist Mitglied des Medienkomitees des frisch gegründeten „Bündnis Redefreiheit“, das die Freiheit des Wortes als „Urprinzip jeder anderen Freiheit und als Grundpfeiler der Demokratie“ verteidigt und Menschen beisteht, um deren Recht auf freie Meinungsäußerung in der Öffentlichkeit, am Arbeitsplatz oder im digitalen Raum zu verteidigen. Mehr von Alexander Horn lesen Sie in den Büchern, „Experimente statt Experten – Plädoyer für eine Wiederbelebung der Demokratie“ und „Sag, was Du denkst!: Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“.

    #Europe #Allemagne #démocratie #jurisdiction #pouvoir #capitalisme

  • Generationsbruch : Wie junge Mediennutzer Nachrichten neu definieren
    https://www.telepolis.de/features/Generationsbruch-Wie-junge-Mediennutzer-Nachrichten-neu-definieren-1066913

    Pour nous qui apprécions de long textes analytiques il est de plus en plus difficile de communiquer nos idées aux moins de trente ans.

    Le texte suivant décrit le phénomène d’une manière plus détallée.

    24.9.2025 von Andrej Simon - Studie über Mediennutzung verdeutlicht eine Kluft: Die junge Generation zerlegt die Nachrichtenwelt im gewohnten Format. Analyse.

    Die Mediennutzung junger Menschen verändert sich fundamental – und sie markiert einen klaren Generationsbruch. Während frühere Generationen auf Zeitung, Radio oder TV vertrauten, informieren sich junge Mediennutzer heute fast ausschließlich digital.

    Das wird für viele Leser nichts wirklich bahnbrechend Neues sein, doch unterfüttert Konrad Scherfer, Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Hochschule Köln, die Trends in der Mediennutzung mit Einsichten, die an Fundamenten und bisherigen Selbstverständlichkeiten auf eine Weise rühren, die noch nicht wirklich realisiert worden sind.

    Der Wandel hat demnach ein Gesicht, das man sich erst noch genau vergegenwärtigen muss, um mit den Folgen zurechtzukommen. Das gilt nicht nur für Medienredaktionen, sondern für die ganze Gesellschacht und die Öffentlichkeit. Konrad Scherfer zeigt es in einem Artikel, der aktuell im Medienfachdienst epd unter dem Titel: "Schnelle Informationshäppchen. Wie junge Menschen sich informieren“ erscheint.
    Klassische Nachrichtennutzung spielt kaum noch eine Rolle

    In sieben Fokusgruppeninterviews, also in vertieften Interviews, wurden 36 Studierende des Studiengangs Online-Redaktion der Technischen Hochschule in Köln im April und Mai 2025 zu ihrer Nachrichtenrezeption befragt. Das Alter der Teilnehmer kleinen, aber ausführlich interviewten Untersuchungsgruppe wird mit 19 bis 28 Jahren angegeben. Zwei Drittel waren unter 23 Jahre alt.

    Deutlich wurde: Trotz medienaffiner Ausbildung spielt die klassische Nachrichtennutzung bei diesen jungen Mediennutzern kaum noch eine Rolle – sie konsumieren „Nachrichten“, wie sie die älteren Mediennutzer in konventioneller, tradierter Form kennen, vor allem zufällig und beiläufig.
    Mediennutzung heute: Instagram, TikTok, WhatsApp

    Die Untersuchung verdeutlicht, dass Instagram, TikTok und in Teilen WhatsApp zu den zentralen Kanälen der Mediennutzung geworden sind. YouTube und Podcasts dienen zwar ebenfalls als Informationsquellen, aber eher für vertiefte Inhalte.

    News-Apps und Website-Angebote klassischer Medienmarken spielen dagegen nur noch eine Nebenrolle – ihnen attestieren die Befragten weder Mehrwert noch Alltagsnähe. Häufig wirken sie auf sie mühsam und redundant. Stattdessen bevorzugten die jungen Mediennutzer kurze, visuell aufbereitete Infohäppchen, die in den Social-Media-Feed eingebettet sind.

    Sich bewusst Onlineangeboten zuzuwenden, um ausschließlich Nachrichten zu konsumieren, sei selten geworden und wirke im Vergleich veraltet.
    Schnelle Informationshäppchen

    Neue Erwartungen an Nachrichteninhalte

    Die Mediennutzung dieser Generation ist von „Snackable Content“ geprägt: Informationen tauchen nebenbei auf. Politische Inhalte werden nicht grundsätzlich gemieden, rücken aber in den Hintergrund, solange sie nicht direkt Anknüpfung zum Alltag bieten.

    Gefragt sind Formate, die Interaktivität ermöglichen, Multitasking zulassen und Diskussionen öffnen. Sich bewusst Onlineangeboten zuzuwenden, um ausschließlich Nachrichten zu konsumieren, sei selten geworden und wirke im Vergleich veraltet, lautet eine zentrale Einschätzung.
    Kurzvideo, Bewegtbild und Podcasts

    Junge Mediennutzer bewegen sich klar in Richtung Bewegtbild. TikTok bietet ihnen Nachrichten in Kurzvideoformaten – schnell, unterhaltend und interaktiv. Als großer Vorteil wird die Möglichkeit angegeben, Videos zu kommentieren, Reaktionen zu lesen und parallel weiterzuschauen.

    Auch Podcasts gewinnen stark: Sie gelten als das Medium für Hintergrundwissen, inhaltliche Tiefe und thematische Vielfalt – von Politik über Mental Health bis hin zu Finanz- oder Gesellschaftsfragen.
    Problemfall Algorithmus: Die Reichweite

    Doch die Mediennutzung der jungen Generation ist abhängig von Plattformlogiken. Wie der Begriff „Reichweitenlüge“, mit dem ein kritischer Artikel auf Digitalcourage überschrieben ist, knallig andeutet, erreichen Inhalte auf Plattformen nicht alle Follower, sondern nur einen Bruchteil – ausgewählt durch Algorithmen.

    Junge Mediennutzer bewegen sich also in Informationsräumen, in denen nicht Neutralität, sondern Selektion, Gewinner-Bias und Aufmerksamkeitsspiralen entscheiden. Damit verschwindet ein Großteil journalistischer Inhalte aus ihrem Blickfeld, während populäre „Infotainment“-Formate dominieren.
    Folgen für Gesellschaft und Journalismus

    Diese Verschiebung der Mediennutzung hat tiefgreifende Konsequenzen. Für klassische Medien ist das Geschäftsmodell fragil, wie in der Untersuchung von Konrad Scherfer deutlich wird: News-Apps werden kaum genutzt, Erlösquellen sind schwer zu identifizieren. Medientheoretisch verliert der Agenda-Setting-Effekt: Schlagzeilen erreichen junge Mediennutzer nicht mehr umfassend, öffentliche Debatten fragmentieren. Demokratietheoretisch birgt das Risiko:

    Die Online-Angebote großer Medienhäuser erreichen viele junge Menschen nicht mehr.

    Journalismus im Zugzwang

    Die Mediennutzung der jungen Generation bricht mit klassischen Mustern. Sie definiert Informationen über Algorithmen, Influencer und Podcaster neu. Infotainment verdrängt den linearen Nachrichtenjournalismus.

    Für klassische Anbieter heißt dies: Ohne interaktive, alltagsnahe und unterhaltende Formate verlieren sie den Anschluss – und riskieren eine ganze Generation als aktive Teilnehmer am demokratischen Diskurs.

    Langfristige, zukunftsfähige Erlösquellen sind schwer zu identifizieren, und die Entwicklungen bei KI bieten bislang keine Lösung.

    Schnelle Informationshäppchen - epd medien
    https://medien.epd.de/article/3654

    23.9.2025 von Konrad Scherfer - Der Medienwissenschaftler Konrad Scherfer hat Studentinnen und Studenten des Studiengangs Online-Redaktion an der Technischen Hochschule Köln zu ihrer Nachrichtenrezeption befragt und herausgefunden, dass diese sich fast ausschließlich online informieren, vor allem über Instagram und Tiktok. Klassische News-Websites und -Apps spielen nur für einen kleinen Teil der Befragten eine ergänzende Rolle. Scherfer fasst die Erkenntnisse seiner Fokus-Interviews hier zusammen.

    Wie junge Menschen sich informieren

    News-Apps wie die „Tagesschau“-App haben es bei jungen Menschen schwer

    epd Es gibt gesicherte quantitative empirische Erkenntnisse, dass junge Erwachsene sich zunehmend von klassischen Medien wie Zeitungen und linearem Fernsehen abwenden und stattdessen viel häufiger digitale Quellen zur Nachrichtenbeschaffung nutzen. Der aktuelle Reuters Institute Digital News Report zeigt, dass das World Wide Web für 65 Prozent der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland die wichtigste Nachrichtenquelle ist, danach folgen abgeschlagen das Fernsehen mit 22 Prozent, Radio mit 7 Prozent und die Printmedien mit 6 Prozent. Ein Drittel der Jungen nennen soziale Medien wie Instagram, Tiktok oder Youtube als wichtigste Nachrichtenquelle, 17 Prozent beziehen ihre News sogar ausschließlich über diese Plattformen.

    Das Leibniz-Institut für Medienforschung - Hans-Bredow-Institut und die dpa-Initiative #UseTheNews veröffentlichen regelmäßig Studien zur Nachrichtennutzung junger Menschen. Sie zeigen, dass Hochgebildete Online-Nachrichten intensiver nutzen als Gleichaltrige mit niedrigerem Bildungsniveau. Sie suchen häufiger aktiv nach Informationen und nutzen gezielter Social-Media-Angebote, News-Websites, News-Apps und Podcasts.
    Fokus-Interviews mit 36 Studierenden

    Im Folgenden geht es um die Nachrichtenrezeption von Studierenden des Studiengangs Online-Redaktion an der Technischen Hochschule Köln. Mit ihrem medienfachlichen Hintergrund und der Fähigkeit, Nachrichtenangebote zu analysieren, geben sie wertvolle Impulse für die Gestaltung moderner News-Formate. Neben journalistischem Handwerkszeug erwerben sie Kompetenzen in multimedialer Produktion, Content Marketing, Social Media und Webtechnologien und gelten damit als potenzielle Gestalter und Multiplikatoren künftiger Nachrichtenangebote.

    Zur Untersuchung ihrer Nachrichtennutzung wurden zwischen April und Mai 2025 sieben qualitative Fokusgruppeninterviews mit 36 Studierenden im Alter von 19 bis 28 Jahren durchgeführt, zwei Drittel waren unter 23 Jahre alt.

    Die Teilnehmer der Fokusgruppen informieren sich fast ausschließlich online - vor allem über Instagram und Tiktok, seltener über Youtube. Viele greifen zudem auf den Whatsapp-Bereich „Aktuelles“ zurück, da sie hier schnell und unkompliziert News-Updates direkt neben den Chats erhalten. Klassische News-Websites und -Apps spielen zwar eine ergänzende Rolle, allerdings nur für einen kleinen Teil der Befragten.
    Eine kleine Gruppe sucht aktiv nach Informationen

    Im Gegensatz zu älteren Nutzergruppen wenden sich die Teilnehmer klar von Fernsehen, Radio und Print ab. Diese Medien und ihre Angebote verlieren insgesamt an Bedeutung. Während der Digital News Report klassischen Angeboten bei jungen Menschen noch einen gewissen Stellenwert zuschreibt, zeigt diese Studie, dass sie im Alltag der Befragten kaum eine Rolle spielen. Nur vereinzelt werden noch Politik-Talkshows genannt; klassische Nachrichten erreichen die Studierenden meist zufällig - etwa über das Schauen der „Tagesschau“ bei den Eltern oder das Lokalradio beim Studentenjob. Trotz der Medienaffinität ihres Studiums überrascht es, wie selten traditionelle Medien bei der Nachrichtenrezeption tatsächlich eine Rolle spielen.

    Die Online-Nachrichtennutzung der Befragten weist große Unterschiede auf: Eine kleinere Gruppe sucht aktiv nach aktuellen, nachrichtlichen Informationen im Web. Genannt werden „Mr. Wissen2Go“ und das Nachrichtenportal „Watson“ sowie die Onlineangebote von „Die Zeit“, „FAZ“, „Die Welt“, „taz“, „ZDFheute“, „New York Times“, „Bonner Generalanzeiger“ und „Süddeutsche Zeitung“. Die „Tagesschau“-App wird von allen Gruppen erwähnt, das überrascht nicht, da sie im Seminar gezielt untersucht wurde und somit in der Auswertung eine Sonderrolle einnimmt.
    News werden selten aktiv gesucht

    Die Mehrheit der jungen Studierenden stößt aber vor allem beiläufig auf Nachrichten, während sie durch ihre Social-Media-Feeds scrollt. News werden von ihnen selten aktiv gesucht und stammen unter anderem von Influencern. Der Begriff „News“ ist dabei weit gefasst. Meist sind journalistische Informationen gemeint, politischer Journalismus rückt jedoch eher in den Hintergrund. In ihren Feeds begegnen die Teilnehmer einer Vielzahl unterschiedlicher Medienmarken, besonders häufig dem Instagram-Auftritt der „Tagesschau“.

    Auf Tiktok werden oft Content-Gestalter geschaut, die News-Zusammenfassungen unter Schlagworten wie „news summary“, „daily news“ oder „breaking news“ anbieten. Diese kurzen, visuell aufbereiteten Videos sind auf schnellen Konsum ausgelegt und erfreuen sich in der Nutzergruppe besonderer Beliebtheit. Die verstärkte Nutzung sozialer Medien führt dazu, dass Nachrichteninhalte auf Drittplattformen wie Tiktok oder Instagram besonders hohe Akzeptanz bei jungen Nutzern erzielen. Dies geschieht nicht nur zulasten klassischer Medien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen, sondern auch zulasten eigenständiger News-Apps wie von „Der Spiegel“, NTV Nachrichten oder der „Tagesschau“-App.

    infobox: Für seine Studie hat Konrad Scherfer junge, formal hoch gebildete Mediennutzer befragt. Fokusgruppeninterviews eignen sich insbesondere, um Einblicke in Motive, Wahrnehmungen und fragmentierte Nutzungspraktiken zu erlangen, die über die rein quantitativen Ergebnisse kommunikationswissenschaftlicher Studien hinausgehen. Der Gesprächsleitfaden umfasste Themen wie Nachrichtennutzung, allgemeines Medienverhalten, die Bedeutung sozialer Netzwerke, thematische Interessen sowie die Rolle von Podcasts. Ziel war es, ein differenziertes Bild der Nachrichtennutzung und der Erwartungen dieser Nutzergruppe an zeitgemäße News-Angebote zu gewinnen. Die Auswertung erfolgte mittels einer Inhaltsanalyse, um Muster und Themen systematisch zu identifizieren. Scherfer weist darauf hin, dass es sich nicht um eine repräsentative Studie handelt.

    Dabei bieten Apps den publizistischen Anbietern grundsätzlich die Chance, Reichweite und Markenbindung unabhängig von Social-Media-Plattformen aufzubauen und direkt mit ihrer Community in Kontakt zu treten. Dass sie von den befragten jungen Menschen dennoch kaum genutzt und nur am Rande erwähnt wurden, hat einen Grund: Offenbar vermitteln die Apps keinen klaren Mehrwert, der den Aufwand rechtfertigt, sie herunterzuladen. Nach Ansicht der Teilnehmer liegt dies vor allem an der fehlenden jugend- oder altersgerechten Aufbereitung der Inhalte.

    Dazu zählt die Feststellung, dass man sich in News-Apps gezielt Zeit zum Lesen nehmen müsse und sich Inhalte oft in leicht veränderter Form wiederholten, was schnell ermüde. Plattformen wie Tiktok oder Instagram böten dagegen viele Informationen in kurzer Zeit - visuell aufbereitet und mit Unterhaltung verbunden. Sich bewusst Onlineangeboten zuzuwenden, um ausschließlich Nachrichten zu konsumieren, sei selten geworden und wirke im Vergleich veraltet.

    Wir denken nicht mehr darüber nach, wenn wir uns informieren.

    Gruppenübergreifend haben die Studierenden klare Vorstellungen davon, welche Formate für sie geeigneter wären als die derzeitigen Angebote. Einige schätzen besonders Tiktok, weil sie dort während des Videoguckens parallel Kommentare lesen können, ohne etwas zu verpassen. Das Video läuft verkleinert weiter, der Ton bleibt hörbar - ein Multitasking-Erlebnis, das die Nutzergruppe spannend findet. Hinzu kommt der niedrigschwellige Zugang zu Diskussionsräumen und Erklärvideos. Nutzer können gezielt nach kurzen, anschaulichen Clips suchen, die komplexe Fragen einfach und oft mit Beispielen beantworten.

    Tiktok kombiniert so schnelle Informationsvermittlung, persönliche Erfahrungsberichte und interaktive Diskussionen in einem nebenbei konsumierbaren Format. Dieses parallele Schauen und Interagieren spiegelt die gelebten Mediengewohnheiten vieler Studierender wider. Ein Teilnehmer fasst es so zusammen: „Wir denken ja gar nicht mehr darüber nach, wenn wir uns informieren. Wir wissen einfach, ich kann auf Tiktok gehen, ich kann auf Instagram gehen. Wir sind selbstständig bei unserer Informationssuche. Und ’Nachrichten’ ist halt dann nicht mehr die erste Quelle.“

    In den Fokusgruppen zeigt sich darüber hinaus, dass die Suchfunktion von Tiktok von jungen Menschen als besonders nützlich empfunden wird: Über eingeblendete, blau markierte Schlagworte in den Kommentaren erhalten Nutzer mit einem Klick Zugang zu einer Vielzahl thematisch passender Videos und können so gezielt und umfangreich Informationen recherchieren. Diese Funktion erleichtert die spontane und breite Informationsbeschaffung innerhalb der Plattform erheblich.
    Wenig Bezug zum Alltag

    Dass sich viele in der Nutzergruppe von News-Apps und -Websites nicht angesprochen fühlen, hat nicht nur mit der äußeren Form der Angebote zu tun, sondern auch mit deren Inhalt. Zwar stellen die Befragten die Relevanz journalistischer Berichterstattung nicht infrage und bekunden zugleich ein großes Interesse an Politik. Dennoch kritisieren einige, dass es den Angeboten an regionaler Verankerung sowie an einem erkennbaren Bezug zu ihrem eigenen Alltag fehlt.

    Statt in News-Apps und auf News-Websites erhält der Großteil der befragten Nutzergruppe primär über Social Media Meldungen zum Tagesgeschehen und hält sich für gut informiert. Doch es werden in diesen Medien journalistische Themen nicht in größerem Umfang vertieft. In den Interviews wird sogar eine inzidentelle Nachrichtennutzung sichtbar, bei der journalistische Inhalte beiläufig und ungeplant im Rahmen der Social-Media-Nutzung rezipiert werden. Diese Form der Rezeption ist durch kurze, oberflächliche Informationshäppchen ("Snackable Content") gekennzeichnet, die zwischen anderen Beiträgen konsumiert werden.
    Kombination von Musik und Nachrichten

    Soziale Netzwerke wie Instagram und Tiktok spielen für die Befragten zwar eine wichtige Rolle im Nachrichtenkonsum, wenn es jedoch um die vertiefte Auseinandersetzung mit journalistischen Inhalten geht, wenden sie sich fast ausschließlich Plattformen wie Youtube und Spotify zu. Auffällig ist, dass ein Medienformat, in dem das alte Medium Radio eine Renaissance erlebt, erheblich an Bedeutung gewinnt: der Podcast. Für Hintergrundinformationen greift die Nutzergruppe gezielt auf journalistische Formate wie „Anne Will“, „FAZ Frühdenker“, „Lanz und Precht“ oder „Lage der Nation“ zurück, doch auch Comedy-Podcasts wie „Baywatch Berlin“ erfreuen sich großer Beliebtheit.

    Mehrfach genannt wurde außerdem das personalisierte Spotify-Feature „Daily Drive“, das Musik und Nachrichten in einer Playlist kombiniert. Podcasts werden gruppenübergreifend für ihre thematische Vielfalt gelobt. Das Spektrum der hier behandelten Inhalte reicht von Selbstoptimierung und Mental Health bis hin zu Persönlichkeitsentwicklung, Leistungsdruck, Femizide, Wehrpflicht und Finanzthemen. Diese Themen tauchen auch bei den 19- bis 28-Jährigen immer wieder auf, wenn sie beschreiben, welche Inhalte für sie besonders relevant sind und ihrer Meinung nach in klassischen Nachrichtenformaten häufig zu kurz kommen.
    Besonders gefragt sind Kurzvideos

    Interessant ist die Selbstwahrnehmung der Teilnehmer bezüglich ihrer Aufmerksamkeitsspanne. Sie berichten von Veränderungen in ihrer Konzentrationsfähigkeit und führen das insbesondere auf Apps wie Instagram und Tiktok zurück, die mit kurzen Videos und parallelen Interaktionsmöglichkeiten dieses Verhalten fördern. Offen reflektieren sie ihre Schwierigkeiten, sich länger zu konzentrieren, und betonen zugleich die Attraktivität von Social-Media-Apps, bei denen sie, während sie kurze Videos schauen, Eindrücke und Reaktionen sofort sammeln. Besonders gefragt sind Kurzvideos, personalisierte Inhalte und Karussellposts - also Beiträge, die mehrere Bilder, Videos oder Grafiken bündeln.

    In der Nutzergruppe zeigt sich ein klarer Trend: Die Nutzung klassischer Medien tritt spürbar in den Hintergrund, während Social-Media-Plattformen und ihre Diskussionsräume das Informationsverhalten dominieren, selbstverständlich auf dem Smartphone. Auffällig ist die Abhängigkeit vom Angebot großer Drittplattformen. News-Angebote, die ausschließlich mit eigenen Websites oder Apps bestehen wollen, haben im Mediennutzungsverhalten dieser jungen Zielgruppe kaum Chancen, relevant zu bleiben.
    Verschiebung der Rezeptionswege

    Der tiefgreifende Medienwandel, den diese Studie dokumentiert, hat aus kommunikationswissenschaftlicher und medienökonomischer Sicht Folgen: Der klassische Agenda-Setting-Effekt tritt bei jungen Menschen nur noch eingeschränkt auf. Selbst bei formal hoch Gebildeten wirkt er zwar bei aktuellen Schlagzeilen, aber kaum noch bei hintergründigen Themen außerhalb des eigenen Interessenshorizonts.

    Medienökonomisch gilt: Die traditionellen Marken sind präsent, doch die Rezeptionswege haben sich radikal verschoben. Klassische Nachrichtenportale und Apps spielen eine Nebenrolle; der Zugang zu Informationen erfolgt vor allem über Social Media und Podcasts. Für Geschäftsmodelle der Branche ist das eine schwierige Ausgangslage. Langfristige, zukunftsfähige Erlösquellen sind schwer zu identifizieren, und die Entwicklungen bei Künstlicher Intelligenz bieten bislang keine Lösung. Realistische Szenarien für die Medienzukunft müssen daher entwickelt werden. Empirische Daten sind dafür eine notwendige Grundlage, qualitative Studien gewinnen zusätzlich an Bedeutung, da sie tiefere Einblicke in Nutzungsweisen und Erwartungen ermöglichen.
    Klarer Trend zum Infotainment

    In der Nachrichtennutzung zeigt sich somit ein klarer Generationsbruch. Es geht längst nicht mehr nur darum, klassische Medien wie Zeitung, Radio oder Fernsehen ins Netz zu übertragen und ihre Inhalte in ein neues Format zu gießen. Was früher für junge Menschen oft bedeutete, bestimmte journalistische Autoren zu lesen, verlagert sich heute hin zu Influencern oder Podcastern. Statt gezielt Nachrichtenportale aufzurufen, wählen viele lieber Plattformen wie Tiktok oder Instagram - oder künftig möglicherweise sogar KI-Nachrichten -, die Inhalte algorithmisch aufbereiten und anhand von Faktoren wie Standort, individuellen Interessen oder persönlichem Nutzungsverhalten zuspielen. Dabei bevorzugen junge Menschen zunehmend Nachrichtenformate, die Information und Unterhaltung miteinander verbinden - ein klarer Trend zum Infotainment.

    Die Online-Angebote großer Medienhäuser erreichen damit viele junge Menschen nicht mehr. Und wenn traditionelle Medien schon unter Hochgebildeten nicht mehr flächendeckend wahrgenommen werden, stellt sich erst recht die Frage, welche jungen Menschen durch die aktuellen Angebote überhaupt erreicht werden und wie Teilhabe breiter gesellschaftlicher Gruppen ermöglicht werden kann. Demokratietheoretisch ist diese Entwicklung nicht ohne Risiko. Zugleich zwingt sie den Journalismus dazu, neue Formen der Ansprache zu entwickeln und damit Anschluss an junge Generationen zu finden.

    Konrad Scherfer ist Professor für Medienwissenschaft an der Technischen Hochschule Köln.

    #journalisme #communication #médias #jeunesse

  • Der Erfolg der Rechten ist das Versagen der Linken
    https://www.telepolis.de/features/Der-Erfolg-der-Rechten-ist-das-Versagen-der-Linken-10666854.html

    A propos de la distance croissante entre les milieux de gauche et et les classes travailleuses

    24.9.2025 von Andreas Wehr - Rechte Parteien feiern weltweit Erfolge. Verantwortlich dafür ist auch die Linke, die sich von den Sorgen der Bürger entfernt hat.

    Manchmal ist es der politische Gegner, der die Wahrheit über die Linke sagt. So geschehen im Leitkommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 5. September 2025, verfasst von Nikolas Busse, einem der führenden Redakteure des deutschen „Zentralorgans des Kapitals“.

    Schon der Titel „Die rechtspopulistische Revolution“ zeigt an, dass es dem Autor um nicht weniger als eine politische Zäsur geht:

    Die alte Erkenntnis, dass nichts so mächtig ist wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, gilt heute für den Rechtspopulismus. Sein Aufstieg vollzieht sich inzwischen in allen drei Weltgegenden, die man dem erweiterten Westen zurechnet und in denen sich lange etablierte Demokratien befinden: Nordamerika, Europa und jetzt auch Japan.

    In den Vereinigten Staaten und in Italien haben es Rechtspopulisten bekanntlich schon in die Regierung geschafft, Trump zum zweiten Mal. In Großbritannien und Frankreich liegen sie in Umfragen vorn, in Deutschland kommt die AfD der Union nahe.

    Das lässt sich nicht mehr mit Besonderheiten im jeweiligen Land erklären, noch nicht mal mit Protest oder Uninformiertheit der Wähler. Der Rechtspopulismus hat eine global verbreitbare Weltanschauung hervorgebracht, für die sich seine Anhänger bewusst entscheiden. Wir erleben eine Revolution.
    Nikolas Busse, FAZ

    Dieser Beschreibung eines Epochenwechsels kann kaum widersprochen werden, vollzieht sie sich doch vor aller Augen. Erst kürzlich wurde etwa eine Umfrage für die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt bekannt, wonach die AfD dort die Chance hat, die CDU deutlich zu überrunden. Der SPD wird ein Ergebnis von knapp über fünf, den Grünen von unter fünf Prozent vorausgesagt.

    Nikolas Busse geht es aber nicht allein um die Beschreibung dieses Phänomens. Er fragt nach den Gründen für den Aufstieg:

    Im Kern will der Rechtspopulismus die Politik wieder national eingrenzen, wobei nicht immer ganz eindeutig ist, wer oder was zur Nation gezählt wird. Aber die Stoßrichtung ist unverkennbar: Sie richtet sich gegen Migration (nicht nur irreguläre), gegen Freihandel, gegen Minderheitenrechte, gegen internationale Institutionen. Angestrebt wird letztlich die Rückkehr in eine Welt, wie sie in vielen westlichen Ländern vor der Globalisierung bestand.
    Nikolas Busse, FAZ

    Busse weist dabei „oberflächliche Vergleiche mit dem Faschismus“ zurück. Tatsächlich sind die heute so beliebten Analogien mit der Zeit vor 1933 hilflos, zeigen sie doch nur, dass heute kaum noch Kenntnisse über den wirklichen Faschismus vorhanden sind. Nach Busse liegt „der Bezugspunkt eher in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren.“

    Und in der Tat waren dies zwar kulturell und politisch verstockte, konservative Zeiten, doch die Menschen erlebten zugleich eine stetige Verbesserung ihres Lebens: Ihre Löhne stiegen, die Arbeitszeit wurde verkürzt und bessere Bildungschancen für ihre Kinder gab ihnen die Gewissheit, dass es der nächsten Generation einmal besser gehen werde.

    Es war die Zeit des CDU-Slogans „Wohlstand für Alle“ und des „Modells Deutschland“ der SPD. Warum sollten heute nicht viele Sehnsucht nach diesen Zeiten haben? Mit den Errungenschaften der 68er-Generation, der sexuellen Befreiung und der Individualisierung, können sie hingegen wenig anfangen.

    Doch diese besseren Zeiten sind nicht einfach so vergangen. Verantwortlich dafür war die neoliberale Wende, die 1979 in Großbritannien unter Thatcher einsetzte und 1981 unter Reagan in den USA ihren Schwung erhielt. Und so lebt nach Busse heute „fast die gesamte westliche Welt (…) in einer Ordnung, die auf einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Liberalisierung beruht, wie sie die Menschheit nie erlebt hat.

    Nichts kannte in den vergangenen Jahren Grenzen: der Handel nicht, die Wanderung nicht, die Emanzipation nicht. Die erstaunliche Allianz, die in den USA Wirtschaft und Wokeismus eingingen, war der Höhepunkt dieser Entwicklung, und sie schwappte natürlich nach Europa über. Es war die letzte Welle des linksliberalen Zeitgeistes, die nicht mal mehr vor der Biologie haltmachte.

    Dass die Politik irgendwann anfing, sich ständig mit Ansprüchen sexueller Kleingruppen zu beschäftigen, war einer der Momente, in dem sie auch Teile des Bürgertums verlor.“ Doch die Antwort der Mehrheit blieb nicht aus:

    In einer Demokratie kann man vieles machen, aber nicht Politik gegen große Gruppen oder Mehrheiten, zumindest nicht auf Dauer. Der Rechtspopulismus spricht potentiell die Teile der Gesellschaft an, die in westlichen Staaten in jüngerer Zeit vergessen oder gar bekämpft wurden: Arbeiter, Männer, traditionelle Familien und, besonders wirkmächtig, die Inländer.

    Das macht Wählerkoalitionen möglich, die nicht schnell verschwinden dürften, wie besonders die Erfolge des Rechtspopulismus bei jungen Leuten zeigen. Als Jugendbewegung könnte er Durchschlagskraft über ein, zwei Generationen erlangen.
    Nikolas Busse, FAZ

    Busse dürfte wohl die Haltung der FAZ-Redaktion wiedergeben, wenn er schreibt, dass gegen die „rechtspopulistische Revolution“ auf absehbare Zeit nichts zu machen sei, zumal dort, wo sie bereits erfolgreich war, etwa in den USA und in Italien: „Sie können darauf bauen, dass sie für ihre Wähler erst mal das kleinere Übel bleiben werden.“ Den unter Druck geratenen deutschen Christdemokraten hält der Kommentator den Rat bereit, sich für die Themen des Rechtspopulismus zu öffnen.

    Keinen Rat gibt Busse hingegen der Linken, worunter er die drei Parteien SPD, Grüne und Die Linke zusammenfasst. Warum sollte er das auch als FAZ-Redakteur tun? Die Linken müssen selbst Antworten auf Fragen finden, die schon lange im Raum stehen.

    Da ist zunächst die Globalisierungskritik. Sie war einst eine Domäne der Linken. Erinnert sei an die großen Demonstrationen aus Anlass von G7 bzw. G8-Gipfeln, etwa in Seattle und in Genua 1999 und 2001. Warum protestiert heute kaum noch einer gegen sie? Und wo sind die weltweiten Sozialforen geblieben?

    Angeklagt wurden seinerzeit die kapitalistischen Konzerne, dass sie ohne Rücksicht auf die Lebensinteressen der Arbeiter die Produktion und damit auch Steueraufkommen in die Länder des Globalen Südens verlagern, um so Lohnkosten zu sparen, Aufwendungen für die soziale Sicherung zu vermeiden und Auflagen zum Umwelt- und Klimaschutz zu umgehen. Heute ist es Trump, der diese Jobs zurückholen will.

    Verstummt ist auch die linke Kritik an der Verlagerung von Arbeitsplätzen innerhalb der EU nach Osteuropa, an der „Delokalisation“. Nur noch die AfD und der Ressemblement national von Le Pen verurteilen sie.

    Doch wo sind hier die europäischen Linken? Diese bekennen sich inzwischen alle zur EU, betrachten sie gar als großes zivilisatorisches Projekt, darauf gerichtet, den Nationalstaat zu überwinden. Den Austritt Großbritanniens, den Brexit, haben sie deshalb bedauert und als Weg in die falsche Richtung verurteilt.

    Auch Jeremy Corbyn hat ihn als Labour-Vorsitzender nicht gewollt. Heute ist es Nigel Farage, einstiger Anführer der Brexit-Befürworter, der mit seiner rechtspopulistischen Reform UK Party gute Chancen hat, nächster Premierminister zu werden. Auf die Unterstützung der Arbeiterklasse in Mittelengland, die bereits bei der Brexit-Entscheidung den Ausschlag gab, kann er sich jedenfalls verlassen.

    Was ist aus der linken Kritik am Euro-System geworden? Als Konsequenz der Griechenlandkrise hatten Oskar Lafontaine und Jean-Luc Mélenchon ein anderes, gerechteres Währungssystem in einem „Plan-B“ vorgeschlagen. Davon ist aber heute nichts mehr zu hören. So ist es nur noch die AfD, die die fatalen Konsequenzen der Einheitswährung anprangert.

    Kommen wir zum Problem der Migration, dem mit Abstand wichtigsten Antreiber des rechtspopulistischen Erfolgs. Mit der libertär-anarchistischen Parole „No Nations – No Borders“ hat die Linkspartei ihre ganze Verachtung für die Probleme und Ängste der sogenannten „kleinen Leute“ zum Ausdruck gebracht. Doch ganz anders als die Linken verbinden die Abgehängten mit der Nation die Hoffnung auf einen Schutz- und Rückzugsraum. Die Vorstellung, dass sich Deutschland in einer multikulturellen Welt auflösen könnte, weckt dort Ängste und Widerstand.

    Entspricht es nicht der Realität, wenn Nikolas Busse diesen Linken vorwirft, sich immer mehr mit den „Ansprüchen sexueller Kleingruppen zu beschäftigen“? Nichts gegen die Regenbogenfahne der LGBTQ-Bewegung auf öffentlichen Gebäuden am Christopher-Street-Day, schließlich sind Schwule, Lesben und transsexuelle Menschen täglichen Diskriminierungen und Beleidigungen ausgesetzt.

    Aber was ist mit den Frauen? Sind nicht auch sie von Zurücksetzungen und Gewalt betroffen? Warum weht daher am Internationalen Frauentag, am 8. März, nicht auch die violette Flagge auf den Amtsgebäuden? Und gehört nicht die rote Fahne am 1. Mai dorthin, so wie die blaue Friedensflagge am 1. September? Aber solche Forderungen traut sich eine libertär gewordene Linke nicht zu stellen.

    Dort hält man hingegen große Stücke auf den eigenen antirassistischen Kampf. Doch der beschränkt sich auf hohle Gesten, auf die Ächtung kompromittierender Begriffe oder die Umbenennung von Straßen. Ein wirklicher Kampf gegen Rassismus muss hingegen mit antikapitalistischem Kampf einhergehen.

    Angela Davis hat immer wieder darauf hingewiesen, dass im Zehnpunkteprogramm der US-amerikanischen Black-Panther-Party der 70er-Jahre, die als Ausgangsinitiative der heutigen Bewegung gegen Rassismus anzusehen ist, Forderungen nach Arbeitsplätzen, umfassender Wohnungsversorgung, Gesundheit und Bildung ganz oben standen.

    Eine wirkliche antirassistische Linke hat daher die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Diskriminierten und Unterdrückten, ganz gleich, ob mit deutschem oder migrantischem Hintergrund, in den Blick zu nehmen.

    Nikolas Busse ist zuzustimmen, wenn er abschließend schreibt, dass man mit „Haltung“ oder dem Beschwören einer „demokratischen Mitte“ den Zug des Rechtspopulismus nicht mehr aufhalten kann. „Dies wird nur mit einer Politik möglich sein, die den Fragen nicht ausweicht, die die Wähler der Rechtspopulisten umtreibt.“

    Doch die heutige Linke weicht genau diesen Fragen aus, ist sie doch längst eine soziallibertäre Linke geworden, die die Globalisierung mit all ihren fatalen Folgen nicht mehr infrage stellt. Ihre Zustimmungswerte gehen denn auch von Wahl zu Wahl zurück. Daran ändert auch der Aufschwung der Partei Die Linke bei den letzten Bundestagswahlen nichts, ist er doch vor allem Ergebnis eines Wählerwechsels von anderen linken Parteien hin zu ihr.

    Gebraucht werden die linken Parteien heute nur noch für breite „Bündnisse der Demokraten“ zusammen mit CDU, CSU und der FDP zur Verhinderung von Wahlerfolgen der AfD. Als bloße Funktionsparteien haben sie aber keine Zukunft.

    #gauche #classe_ouvrière #politique #nationalisme

  • Peter Thiel warnt : Der Antichrist will Künstliche Intelligenz regulieren
    https://www.telepolis.de/features/Peter-Thiel-warnt-Der-Antichrist-will-Kuenstliche-Intelligenz-regulieren-1

    Peter Thiel bei einem Vortrag (Bild : mark reinstein / Shutterstock.com)

    La stratégie des Thiel et Trump est une lutte contre l’antichrist. Ces milliardaires détraqués se servent de l’absence de formation et de culture de leur électorat pour répandre une vision du monde où leur richesse monstrueuse est le seul rempart contre les forces du mal. Chomsly avait raison quand il désigna Trump comme plus dangereux que Hitler.

    27.9.2025 von Bernd Müller - Mit religiösen Endzeitvisionen warnt Tech-Investor Peter Thiel vor KI-Regulierung: Wer die Technologie zügelt, bereitet dem Antichristen den Weg.

    Der Tech-Milliardär und PayPal-Mitgründer Peter Thiel hat mit einer vierteiligen Vortragsreihe für Aufsehen gesorgt: Darin warnt er eindringlich vor den Gefahren einer staatlichen Regulierung von Wissenschaft, Technologie und insbesondere Künstlicher Intelligenz (KI).

    Für Thiel ist klar: Wer KI regulieren will, ebnet dem Antichristen den Weg und riskiert nichts weniger als das Ende der Welt.

    Der Antichrist als Regulierer: Thiels düstere Prophezeiung

    In seinen vom Acts 17 Collective organisierten Vorträgen zeichnet Thiel ein apokalyptisches Bild der nahen Zukunft: Atomkriege, Umweltkatastrophen, Biowaffen und autonome Killerroboter, gesteuert von KI, werden die Menschheit an den Rand des Abgrunds bringen.

    Doch die eigentliche Bedrohung sieht er in einer Ein-Welt-Regierung, die angesichts dieser existenziellen Risiken Frieden und Sicherheit verspricht – aber in Wahrheit die Ankunft des Antichristen markiert.

    Thiel stützt sich auf die Theorie, dass der Antichrist als charismatische Person oder Organisation auftreten könnte, die ständig vor dem Weltuntergang warnt und so die Gesellschaft dazu bringt, ihr die Macht zu geben, Wissenschaft und Technologie zu regulieren. Der US-Präsident könnte ein Kandidat für den Antichristen sein, so Thiel – vermutlich, wenn er damit anfinge, die Technologien zu regulieren.

    Doch genau diese Regulierung, so Thiel, werde das Kommen des Antichristen erst recht beschleunigen.

    Geschäftsinteressen und Endzeit-Rhetorik: Thiels zwiespältige Rolle

    Was Thiels Warnungen so brisant macht, ist die Tatsache, dass er selbst massiv in jene Technologien investiert, deren Regulierung er als Werk des Antichristen brandmarkt. Als Gründer von Palantir und Risikokapitalgeber hat er ein vitales Interesse an einem unregulierten Tech-Sektor – und scheut nicht davor zurück, religiöse Ängste für seine Agenda zu instrumentalisieren.

    Kritiker sehen darin einen gefährlichen Widerspruch: Thiel profitiert von den Technologien, die er als Bedrohung darstellt, und nutzt apokalyptische Rhetorik, um berechtigte Regulierungsbestrebungen zu diskreditieren.

    Religiöser Libertarismus: Thiels politische Vision

    Doch es geht Thiel um weit mehr als seine Geschäftsinteressen. Sein religiös gefärbter Libertarismus zielt auf eine radikale Neuordnung der Gesellschaft ab: Liberale Demokratie und globale Institutionen betrachtet er als Vorstufe einer tyrannischen Weltregierung.

    Als Gegenentwurf propagiert er eine „starke Ordnung“, die sich auf den rätselhaften „Katechon“ aus der christlichen Apokalyptik beruft – eine Macht, die das Chaos aufhält.

    Gemeinsam mit Gesinnungsgenossen wie dem Monarchisten Curtis Yarvin und dem bekennenden Katholiken JD Vance, den er zum US-Vizepräsidenten machte, arbeitet Thiel an einer christlich-libertären Gegenordnung.

    Unheilige Allianzen: Wenn Glaubenseifer auf Tech-Milliarden trifft

    Thiel ist nicht der einzige Tech-Mogul, der religiöse Motive mit handfesten wirtschaftlichen Interessen verquickt. Gerade in den USA gibt es eine wachsende Allianz zwischen konservativ-religiösen Kreisen und libertären Milliardären, die gegen staatliche Regulierung Sturm laufen.

    Experten warnen vor den Folgen: Wenn Glaubenseifer auf die Milliarden und den Einfluss der Tech-Elite trifft, geraten die Fundamente der liberalen Demokratie ins Wanken. Sachliche Debatten über Regulierung werden unmöglich, wenn Giganten wie Thiel ihre Agenda mit der Autorität des Glaubens untermauern.
    Fazit: Die Gefahr der digitalen Apokalypse

    Peter Thiels Vortragsreihe ist ein Alarmsignal: Sie zeigt, wie religiös-libertäre Ideologien im Silicon Valley an Einfluss gewinnen. Unter dem Deckmantel apokalyptischer Warnungen betreibt Thiel einen Feldzug gegen jede Form von staatlicher Regulierung – insbesondere im Bereich Künstlicher Intelligenz.

    Doch seine Argumentation ist mehr als fragwürdig: Ausgerechnet jene Technologien, mit denen er sein Vermögen gemacht hat, stilisiert er nun zur Bedrohung der Menschheit. Gleichzeitig arbeitet er an einer autoritären Gegenordnung, die auf religiösem Fundamentalismus und radikaler Regulierungsfeindlichkeit basiert.

    Als einer der reichsten und best-vernetzten Tech-Investoren hat Thiel die Mittel und den Einfluss, die politische Debatte zu prägen. Seine Kritik an der KI-Regulierung ist nur ein Aspekt einer umfassenderen Agenda, die auf nichts weniger als eine Neuerfindung der westlichen Gesellschaft abzielt.

    #USA #impérialisme #fascisme #technocratie #objectivsmie #nazis #idiocratie

  • F-126-Fiasko : Wenn Deutschlands Marine zum Milliardengrab wird
    https://www.telepolis.de/features/F-126-Fiasko-Wenn-Deutschlands-Marine-zum-Milliardengrab-wird-10670269.htm

    L’Allemagne met fin au contrôle parlentaire des dépenses militaires

    25.9.2025 von Jürgen Wagner - Milliarden versenkt, Vertrauen verspielt, Kontrolle abgeschafft. Im Zeitenwende-Rausch triumphieren Rheinmetall und TKMS. Die nächste Rüstungspanne ist programmiert.

    Hunderte zusätzliche Milliarden sollen in den kommenden Jahren in neue Rüstungsprojekte fließen und damit einen bereits heute heillos überforderten Beschaffungsapparat weiter anfüttern, der immer neue Pannenprojekte wie zum Beispiel den Schützenpanzer Puma hervorzaubert.

    Jüngstes Beispiel ist der bevorstehende Abbruch des Fregattenprojektes F-126, in das bereits erhebliche Beträge investiert wurden. Unklar ist, wie es mit dem Vorhaben weitergeht, in jedem Fall dürfte aber die Federführung, die bislang bei einem niederländischen Unternehmen lag, in „deutsche Hände“ übergehen.

    Parallel dazu zeichnen sich tiefgreifende Veränderungen im deutschen Marinesektor ab, für den diese Entwicklung wie gerufen kommen dürfte. Gleichzeitig werden Kontrollmöglichkeiten der Rüstungsprojekte weiter eingeschränkt, sodass die nächsten Pannen nur eine Frage der Zeit sind.

    Allzweckwaffe F-126: Das größte Kampfschiff der Bundeswehr

    Da Deutschland über keine Flugzeugträger verfügt, sind Fregatten die höchste maritime „Gewichtsklasse“. Die Planungen für den Bau einer neuen Fregattengeneration reichen mindestens bis ins Jahr 2009 zurück.

    Zuerst firmierte das Vorhaben unter dem Namen Mittlere Überwasserkampfeinheit (MÜKE) und dann wurde es als Mehrzweckkampfschiff 180 (MKS) bezeichnet, bevor es den aktuell gebräuchlichen Namen F-126 (Niedersachsen-Klasse) bekam.

    Gemäß der Konzeption als Mehrzweckkampfschiff sollten von Anfang an diverse Befähigungen gewährleistet werden.

    Das MKS soll also in der Lage sein, einerseits überall auf der Welt und für lange Zeit große Seeräume zu patrouillieren, Embargos zu überwachen und notfalls deutsche Staatsbürger aus Krisensituationen zu evakuieren, andererseits sich notfalls aber auch im Nordatlantik oder Mittelmeer im Seegefecht gegen andere Kriegsschiffe seiner Art und U-Boote durchsetzen zu können. Ein einzelner Schiffstyp konnte so ein breites Aufgabenspektrum bisher nicht erfüllen.
    bundeswehr.de, 02.12.2020

    Schlussendlich bewilligte dann der Bundestag im Juni 2020 den Bau von vier F-126 zum Preis von 5,27 Milliarden Euro (inklusive Zusatzmodulen und Bewaffnung rund sechs Milliarden Euro). Den Auftrag sicherte sich nach einer europaweiten Ausschreibung die niederländische Damen-Shipyards-Group, was damals teils heftig kritisiert wurde, auch wenn geplant war, die Fertigung von deutschen Werften durchführen zu lassen.

    Über die Zeit rückten mit Blick auf die Auseinandersetzungen mit Russland vor allem die Fähigkeiten zur U-Boot-Jagd ins Zentrum des Interesses. Im „Zielbild Marine 2035+“ vom März 2023 wurde dann mit sechs statt mit vier Fregatten der Klasse 126 geplant.

    Insofern war es absehbar, dass im Juni 2024 weitere Gelder für die Ziehung einer vorhandenen Option zum Bau zweier weiterer F-126 für zusätzliche 3,1 Mrd. Euro bewilligt wurden.

    Damit schien das „künftig das größte Kampfschiff der deutschen Streitkräfte“ (bmvg.de, 13.06.2024) in trockenen Tüchern. Die erste F-126 sollte ursprünglich 2028 ausgeliefert werden, die Schiffe fünf und sechs schließlich 2033 beziehungsweise 2034, sodass ein nahtloser Übergang zur sich ebenfalls bereits anbahnenden übernächsten F-127-Generation gewährleistet gewesen wäre.
    Abzeichnende Probleme

    Doch bald wurde immer deutlicher, dass das Projekt in turbulentes Fahrwasser geriet. Ein erstes Krisensymptom waren stetig steigende Kosten und dann auch Verzögerungen. Nachzulesen war dies auch für die interessierte Öffentlichkeit damals noch in den Rüstungsberichten, in denen die Bundeswehr regelmäßig über den Stand ihrer Großprojekte informierte.

    Im 18. Rüstungsbericht vom Januar 2024 war schon von Kostensteigerungen von 810 Millionen Euro zu lesen – allerdings wähnte man sich damals wie auch im darauf folgenden Bericht vom Juni 2024 noch im anvisierten Zeitplan. Im Mai 2025 wurde dann allerdings erstmals über massive Verzögerungen berichtet:

    Der Marine droht das nächste Desaster: Der Bau der sechs neuen Fregatten der Klasse 126, die als Kampfschiffe die Flotte verstärken sollen, wird sich nach Informationen der Kieler Nachrichten weiter verzögern. […] Inzwischen gehen Insider aber eher von einem Termin ab 2030 aus.
    Kieler Nachrichten, 24.05.2025

    Kurz darauf wurden dann auch erste Forderungen vernehmbar, das Projekt komplett einzustampfen:

    Während das Ministerium das Vorhaben offenbar noch nicht abschreiben will, ist bei einigen Politikern die Stimmung mittlerweile am Kipppunkt. Bastian Ernst, Marine-Berichterstatter im Bundestags-Verteidigungsausschuss für die CDU/CSU-Fraktion, sieht so gravierende Probleme bei dem Schiffbauprogramm für die F126, dass er einen Abbruch und eine Neujustierung fordert. […] Nach Informationen von hartpunkt gibt es auch in Kreisen der SPD Sympathien für den Vorschlag.
    hartpunkt.de, 11.07.2025

    Bevorstehendes Aus

    Inzwischen hat sich die Krise weiter zugespitzt. Als Hauptgrund werden Softwareprobleme bei der Übermittlung der niederländischen Konstruktionsdaten an die deutschen Werften genannt. Dies sei mittlerweile so gravierend, dass der Rausschmiss von Damen beschlossene Sache sei. Einen entsprechenden Beschluss werde der Haushaltsausschuss des Bundestages wohl im Dezember fassen.

    Ähnlich berichtet es auch das Fachportal defence-network.com, unklar sei lediglich, wer die Zeche für dieses Fiasko zu zahlen habe – auf deutscher Seite sei man aber optimistisch, glimpflich davonzukommen:

    Die Nicht-Erfüllung der Vertragsschritte durch Damen sei dabei so groß, dass ein Ausstieg aus dem Vertrag ohne Strafzahlungen seitens Deutschlands möglich sei. Vielmehr gehe man von Strafzahlungen seitens des Unternehmens aus.

    Tatsächlich geht es hier um beträchtliche Summen, Berichten zufolge wurden bereits 1,829 Millarden Euro in das Projekt investiert. Ob überhaupt und wenn ja, wie viel der dabei bislang geleisteten Arbeit in ein Folgeprojekt hinübergerettet werden kann, ist aktuell unklar. Unter anderem auch deshalb, weil über das weitere Vorgehen noch nicht entschieden wurde.
    Deutsche Hände

    Als der Auftrag zum Bau der F-126 im Jahr 2020 an die niederländische Damen-Shipyards ging, war der Unmut groß. Im Handelsblatt wurde deutlich vor einem „Ausverkauf der deutschen Marine-Schiffbaukompetenz“ gewarnt.

    Für den damaligen FDP-Bundestagsabgeordneten Hagen Reinhold war es „schleierhaft“, weshalb das Konsortium von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) und Naval Vessels Lürssen (NVL) nicht zum Zuge gekommen war. Und auch die IG Metall Küste ging mit einem Positionspapier in die Bütt, in dem die Vergabe als „Fehlentscheidung“ gegeißelt wurde:

    Keine andere Nation würde bei einem Beschaffungsprojekt solcher Dimension und Bedeutung so vorgehen und damit Arbeitsplätze und Standorte sowie die technische Zukunftsfähigkeit der Branche im eigenen Land in Gefahr bringen. […] Der Auftrag MKS 180 ist entscheidend für die Sicherung der Grundauslastung der Werften und den Erhalt einer leistungsfähigen wehr- und sicherheitstechnischen Industrie in Deutschland.
    Gemeinsames Positionspapier von IG Metall Küste und Betriebsräten von Werften und Zulieferern, 16.01.2020

    Insofern dürfte sich die Trauer, dass das Projekt in schwierige Fahrwasser geraten ist, bei einer Reihe von Akteuren in engen Grenzen gehalten haben. Zumal eigentlich alle diskutierten Optionen eine Rücküberführung der Projektleitung in die Hände eines oder mehrerer deutscher Unternehmen vorsehen.

    Diskutiert wird dabei unter anderem, das Projekt komplett auszusetzen, bis mit der F-127 Mitte der 2030er die Nachfolgegeneration am Start ist – allerdings legt die Marine großen Wert auf die Fähigkeit zur U-Boot-Jagd, die bis dahin weitgehend vakant wäre.

    Dasselbe Problem hätte wohl ein langwieriger F-126-Neustart unter rein deutscher Führung, nämlich unter der von TKMS und NVL sowie gegebenenfalls noch German Naval Yards.

    Gute Chancen hat deshalb TKMS mit dem Bau der Mehrzweck-Kombination (MEKO) 200 als erprobte und auch kurzfristiger lieferbare Brückenlösung beauftragt zu werden:

    Um eine Befähigung zur U-Boot-Jagd für die deutsche Marine für die Übergangszeit zu erhalten, gehen Beobachter davon aus, dass TKMS mit dem Bau von Fregatten der Klasse MEKO 200 beauftragt werden könnte. Dieser Schiffstyp könne flexibel ausgerüstet werden und ist auch für den Kampf gegen U-Boote geeignet. Auch soll es möglich sein, die Schiffe für den Einsatz im Eismeer zu ertüchtigen. […]

    Insider gehen davon aus, dass das erste Schiff bei zeitnaher Beauftragung bereits im Herbst 2029 an die Marine übergeben werden könnte. Überdies gilt die MEKO 200 als vergleichsweise günstig. So vermuten Beobachter, das [sic] vier dieser Schiffe nur wenig mehr kosten würden als zwei F 126 im gegenwärtigen Design.
    hartpunkt.de, 23.09.2025

    Weil die MEKO 200 aber deutlich kleiner als die F-126 wäre, wird auch darüber spekuliert, ob nicht beide Projekte parallel verfolgt werden könnten. Zumal von Marineseite zuletzt bekräftigt wurde, an der F-126 festhalten zu wollen:

    Ich kann Ihnen versichern, dass ich nach Vizeadmiral Stawitzki der Einzige in diesem Raum bin, der tatsächlich weiß, was im Moment im Projekt F126 besprochen wird. Und ich kann Ihnen versichern, dass wir mit Hochdruck daran arbeiten, dass die Fregatte F126 möglichst schnell der Deutschen Marine zur Verfügung gestellt wird.
    Andreas Czerwinski, Abteilungsleiter See im BAAINBw, beim 27. DWT-Marineworkshop, 22-24.09.2025

    F-127: Neue Königsklasse

    Wie es auch ausgeht, in jedem Fall dürfte die deutsche Marineindustrie gestärkt aus dem F-126-Fiasko hervorgehen. Die befindet sich gerade mit dem Anfang August beschlossenen Börsengang von TKMS und der Mitte September verkündeten Rheinmetall-Übernahme von NVL ohnehin im Umbruch. Mit dem auf 1,5 bis zwei Milliarden Euro geschätzten Einstieg expandiert Rheinmetall nun auch erstmals in den Marinesektor:

    Damit steigt Rheinmetall in den Bau von Kriegsschiffen ein – und wird zu einem der wichtigsten deutschen Anbieter für Marine-Rüstung. [Durch] die Übernahme [entsteht] ein echter Universalanbieter für alle Teilstreitkräfte – und ein europäisches Gegengewicht zu US-Giganten wie Lockheed Martin.
    merkur.de, 18.09.2025

    Jedenfalls sind sowohl Rheinmetall/NVL als auch TKMS hervorragend positioniert, um führende Rollen beim anstehenden Bau der nächsten Fregattengeneration F-127 zu spielen. Deren Auslieferung ist ab 2034 geplant, wobei im Zielbild Marine 2035+ ursprünglich fünf bis sechs Fregatten 127 anvisiert wurden.

    Um den Auftrag zu ergattern, taten sich TKMS und NVL zusammen, was nach einer Unbedenklichkeitsbescheinigung des Kartellamts im September 2024 zur Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens führte. Die Fregatte soll auf dem TKMS-Konzept MEKO 400 basieren und den Fokus nicht mehr wie bei der F-126 auf der Unter-, sondern der Überwasserkriegsführung legen.

    Im Dezember 2024 gab der Haushaltsausschuss dann die Gelder für die Anfinanzierung des US-amerikanischen Aegis-Kampfsystems frei, womit praktisch die – bislang noch nicht offiziell erfolgte – Entscheidung für TKMS/NVL gefallen sein dürfte:

    Spätestens mit dem nun beschlossenen Vertrag mit Lockheed Martin gilt als gesichert, dass Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) gemeinsam mit einem oder mehreren Partnern den Zuschlag zum Bau der F127 erhalten wird: Der Entwurf der Fregatte MEKO A-400 von TKMS ist der einzige nationale Schiffsentwurf, der ein Aegis Flugabwehrsystem aufnehmen kann.
    ndr.de, 18.12.2024

    Das Vorhaben könnte sich als ungemein lukrativ erweisen: Bislang wurde von Kosten auf einen Umfang zwischen 7,5 und 15 Milliarden Euro geschätzt. Doch inzwischen stehen noch einmal ganz andere Beträge im Raum.

    So veröffentlichte Politico am 23. September 2025 eine Liste mit Rüstungsprojekten, die zwischen September 2025 und Dezember 2026 vom Haushaltsausschuss bewilligt werden sollen. Darin findet sich für die Ausschusssitzung am 24. Juni 2026 der Eintrag „F-127“ mit einem zu beantragenden Finanzvolumen von satten 26,182 Milliarden Euro.

    Eine Stückzahl ist aus der Liste nicht ersichtlich, nahezu parallel dazu berichtete aber das Fachportal hartpunkt.de, es sollen nun wohl acht dieser Kampfschiffe beschafft werden.
    Intransparentes Rüstungsdebakel

    Das F-126-Fiasko ist beileibe kein Einzelfall. Liest man die Rüstungsberichte der Bundeswehr, so handelt es sich dabei um eine einzige Chronik des Scheiterns.

    Im 19. Bericht vom Juni 2024 wurde über eine durchschnittliche Verspätung der Großprojekte von 26 Monaten bei einer Steigerung der Gesamtkosten um 14 Milliarden Euro berichtet. Gründe für diese massiven Probleme gibt es eine Menge.

    Von notorischen Schwierigkeiten bei europäischen Kooperationsprojekten über das Militär, das penetrant teure Goldrandlösungen bevorzugt, bis hin zu Abgeordneten, die ungeachtet der Kosten und Risiken primär daran interessiert sind, Rüstungsprojekte in ihre Wahlkreise zu lotsen.

    Am gesamten Beschaffungsapparat der Bundeswehr hapert es also gewaltig, wie bereits vor der Ausrufung der Zeitenwende auch in rüstungsnahen Kreisen wie dem Magazin des Reservistenverbandes kritisiert wurde:

    Deutschlands Rüstung könnte kaum schlechter organisiert sein. […] Die Großprojekte im Rüstungsbericht des Wehrressorts kennen praktisch nur eine Konstante: Verzögerung. […] Künftig dürfte die Rüstungsmisere noch drastischer werden. Denn die Schwächen des deutschen Beschaffungswesens lassen sich kaum beseitigen.
    loyal, 04.06.2021

    Mit den seither sprunghaft gestiegenen Rüstungsausgaben nehmen auch die Investitionen dementsprechend zu. Aus den Rüstungsberichten der Bundewehr geht hervor, dass im Jahr 2021 vom Haushaltsausschuss 46 Vorlagen mit einem Umfang über 25 Millionen Euro bewilligt wurden, die sich auf einen Gesamtwert von 23,3 Milliarden Euro summierten.

    Mit den neuen Rüstungsgeldern steigen diese Zahlen sprunghaft an, sodass es voriges Jahr bereits 97 Vorlagen mit 58 Milliarden Euro waren. In der von Politico präsentierten Liste sollen nun allein zwischen September 2025 und Dezember 2026 154 Rüstungsprojekte mit einem Gesamtwert von 83 Milliarden Euro vom Haushaltsausschuss abgenickt werden.

    Schwer vorstellbar, wie der bereits mit einem weit geringeren Umfang heillos überforderte Beschaffungsapparat mit derlei Zahlen zurande kommen soll. Es ist also damit zu rechnen, dass die Verzögerungen und Kostensteigerungen der Bundeswehr-Großprojekte weiter zunehmen werden – erfahren wird die Öffentlichkeit davon aber nicht mehr so ohne weiteres.

    Der 19. Rüstungsbericht vom Juni 2024 dürfte wohl der letzte seiner Art gewesen sein. Ihre Erstellung wurde mittlerweile von der schwarz-roten Bundesregierung im Sommer 2025 mit dem Verweis auf Bürokratieabbau eingestellt.

    Auch den Abgeordneten des Haushaltsausschusses werden diese und andere Berichte künftig vorenthalten, weshalb dessen Grünen-Obmann Sebastian Schäfer „die radikale Abschaffung von Berichtspflichten“ ebenso wie die windige Begründung hierfür kritisierte:

    Das kann auch das Mäntelchen des „Bürokratieabbaus“ nicht verhüllen, mit dem die Koalition diesen Schritt erklärt. Es ist eine eklatante Schwächung der Kontrollmöglichkeiten.

  • Kampfansage der Verlage gegen Plattformen : Jetzt geht es um alles
    https://www.telepolis.de/features/Kampfansage-der-Verlage-gegen-Plattformen-Jetzt-geht-es-um-alles-10661475.

    Les éditeurs et les entrepreneurs taxi somt les premières victimes du modèle d’affaires des plteformes imternet états-uniennes. Les associations concurrentes des éditeurs de presse se sont unis poir porter plainte sur base si DSA européen contre l’exploitation de leurs publicatioms par les moteurs d’imtelligence artificielle. La guerre des milliardaires allemands contre les milliardaires d’outre-mer fera des dégâts chez les indépendants.

    18.9.2025 von Andrej Simon - Die deutschen Zeitungsverleger blasen zum Angriff. Beim BDZV-Kongress wurde ein „medialer Kriegszustand“ gegen Google und Co. ausgerufen. Analyse.

    Die deutsche Zeitungsverleger-Lobby zeigt sich kämpferisch wie selten zuvor: Beim Jahreskongress des BDZV mit rund 200 Führungskräften wurde ein „medialer Kriegszustand“ gegen Konzerne wie Google, Meta oder TikTok ausgerufen: „Wir befinden uns in einem Kriegszustand medial – Wir gegen die.“

    Dahinter steckt mehr als nur martialische Rhetorik. Es geht um nicht weniger als das Überleben des Journalismus in der tradierten Form – um Unabhängigkeit. Es geht um die Frage, ob die Branche angesichts der neuen Konkurrenz, den Plattformen der US-Milliardäre, ihre tradierte Rolle als vierte Gewalt behaupten kann.

    Wer der BDZV ist – und warum er jetzt auf Offensive schaltet

    Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) vertritt über 300 Marken und rund 2800 journalistische Angebote in Deutschland und Europa. Seine Aufgabe: die Interessen der Pressehäuser zu bündeln und politisch durchzusetzen.

    Doch bisher galt der Verband bei vielen als zerstritten und reaktiv. Nun inszeniert sich der BDZV mit einem Selbstverständnis als „Zukunftslabor für Demokratie und Medien“. Das Ziel: Journalismus wieder als gesellschaftliche Kerninfrastruktur sichtbar machen – und den Kampf gegen die Plattformen endlich offensiv führen.
    Warum gerade jetzt? – Die strukturelle Krise des Journalismus

    Die Auseinandersetzung mit den Digitalkonzernen eskaliert, weil drei Entwicklungen zugleich auf die Branche drücken:

    • Abhängigkeit: Google und Meta dominieren den Zugang zu Informationen, Social Media wird für viele zu einer vorrangigen Nachrichtenquelle und zum Raum, wo Debatten mit großer Resonanz stattfinden.
    • Werbemarkt-Verlust: Immer mehr Anzeigenbudgets landen bei den Plattformen – und nicht bei den klassischen Verlagen.
    • Demokratie-Frage: Wenn Debattenräume in sozialen Netzwerken ausfransen, droht der Journalismus seine Rolle als Agenda Setter, Gatekeeper und Moderator der Öffentlichkeit zu verlieren.

    Die Befürchtung, die die Branche in die Offensive wechseln lässt: Ohne wirksame Regulierung und strategischen Schulterschluss riskiert sie, ins digitale Abseits gedrängt zu werden. Deshalb lautet ihre Botschaft: „Kampf den Plattformen.“
    Kampfansage mit Symbolik: Medialer Krieg

    Die Wortwahl ist kein Zufall: „Krieg“, „härter angehen“, „nicht mehr mit Wattebäuschchen werfen“ (Stephanie von Unruh, neu im BDZV-Vorstand). Mit dieser Zuspitzung signalisiert der BDZV, dass er nicht länger als Bittsteller auftreten will. Seine Botschaft soll Politik und Gesellschaft erreichen: Journalismus ist systemrelevant.

    Das selbstbewusste Auftreten ("Wir sind Möglichmacher, keine Bittsteller") ist Teil einer Kommunikationsstrategie, die den Kampf gegen die Plattformen als kollektive Überlebensfrage rahmt.

    Bündnisse: Von Feinden zu Verbündeten

    Neu ist auch die Bereitschaft zum Schulterschluss. Der BDZV spricht inzwischen eng mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den Privatsendern und sogar mit alten Rivalen wie dem MVFP (Medienverband der freien Presse).

    Die Strategie: Nur in einer geschlossenen Medienfront lässt sich im Kampf den Plattformen genügend Druck auf Politik und Wirtschaft erzeugen. Das Motto „Eine Stimme, eine Branche“ zeigt den Versuch, interne Grabenkämpfe hinter sich zu lassen.
    Was die Verlage fordern

    Analytisch auffällig ist die Klarheit der Forderungen:

    • Nationale Regulierung statt Brüssel-Abwarten – Berlin soll handeln, nicht nur auf EU-Gesetze vertrauen.
    • Fairer digitaler Wettbewerb – Google und Meta dürfen nicht länger Gatekeeper ohne Kontrolle sein.
    • Finanzielle Basis sichern – ohne Umverteilung im Werbemarkt können Verlage keinen unabhängigen Journalismus leisten.

    Damit richtet der Kampf den Plattformen sich nicht nur gegen die Digitalkonzerne selbst, sondern auch gegen politische Trägheit.

    Streitpunkte: Gefahr für redaktionelle Unabhängigkeit?

    Ein kritischer Aspekt, der von zwei Publikationen hervorgehoben wird (turi2 und Medieninsider): BDZV-Chef Matthias Ditzen-Blanke will die Trennung von Verlag und Redaktion „aufweichen“. Journalismus, so sein Argument, sei eine gemeinsame Aufgabe beider Seiten.

    Analytisch brisant: Während diese Forderung den Schulterschluss intern stärken könnte, gefährdet sie gleichzeitig die journalistische Unabhängigkeit – ein Kapital, das im Kampf den Plattformen entscheidend ist. Hier zeigt sich eine Ambivalenz zwischen ökonomischem Überlebenskampf und professioneller Ethik.
    Journalismus als Bollwerk

    Jenseits ökonomischer Fragen betont der BDZV den Wert des Journalismus für die Demokratie. Verlage sollen neue Diskursräume bieten, wenn soziale Medien die politische Debatte verzerren.

    Die Botschaft: Wer in Qualitätsjournalismus investiert, investiert in demokratische Resilienz. Im Bild eines Managers: „Werbung in Qualitätsmedien ist wie grüner Strom – gut für das Klima, hier das demokratische Klima.“

    Damit wird der Kampf den Plattformen aufgeladen: Nicht nur Märkte stehen auf dem Spiel, sondern die Stabilität der öffentlichen Debatte.
    Kampfansage als Strategie – aber mit offenen Fragen

    Ob die Offensive des BDZV einen Wendepunkt darstellt, ob sich aus einem beschwörenden Aufruf zu Einigkeit, etwas herausgestaltet, das auch die Öffentlichkeit überzeugt, bleibt abzuwarten.

    Zu beobachten ist der Appell und der Wille, aus zerstrittenen Verlagen eine Front zu bilden, die im Kampf den Plattformen mehr Selbstbewusstsein zeigt als je zuvor.

    Die Branche muss beweisen, dass sie trotz ökonomischem Druck und politischen Lagern in der öffentlichen Sphäre, die auf Konfrontationskurs sind und Parteilichkeit ("Wir gegen die") einfordern, die Unabhängigkeit des Journalismus bewahrt.

    Dazu gehören genaues Hinschauen und Distanz zu den Lagern. Nur so gibt es Qualität, die das Publikum vom hehren Anspruch der Unabhängigkeit überzeugt. Auch in Deutschland werden Medienhäuser von Milliardären geführt.

  • Die große Abkassier-Falle : Werden GKV-Versicherte systematisch enteignet ?
    https://www.telepolis.de/features/Die-grosse-Abkassier-Falle-Werden-GKV-Versicherte-systematisch-enteignet-1

    En 1923 l’inflation provoque l’imsolvabilité de l’assurance maladie publique. En 2015 le gouvernement oblige les assursnces á couvrir les frais médicaux de millions de personnes qui me côtisent pas. Le résultat sera le même si on continue à exempter les riches et les fonctionnaires de l’obligation de contribuer. Actuellement on prévoit de réduire encore le nombre de soins couverts.

    19.9.2025 von Christoph Jehle - Kürzungen, steigende Eigenanteile, Bürgergeldbezieher: Die Krankenkassen schlagen Alarm - und ziehen vor Gericht.

    Die Leistungen der Gesetzlichen Krankenkassen werden aus Kostengründen zunehmend reduziert und Versicherte müssen schon heute für zahlreiche Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen.

    Zahnärztliche Leistungen wurden gegenläufig zur Verbesserung der Zahnmedizin für die Versicherten gekürzt und müssen von den Versicherten aus der eigenen Tasche bezahlt werden und selbst die angebotenen Zahnzusatzversicherungen decken gerade einmal knapp 50 Prozent der Kosten ab, die von der GKV nicht bezahlt werden.

    Die zahnmedizinische Versorgung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, und das Ziel ist inzwischen, die vorhandenen Zähne zu erhalten und so zu sanieren, dass sie weiterhin ihre Aufgaben erfüllen können und nur als letzte Option die dritten Zähne zu implementieren.

    Vieles davon muss heute jedoch von den Patienten in Eigenleistung bezahlt werden, weil die Versicherungsleistungen mit den Kostensteigerungen in der Zahnmedizin nicht mitgehalten haben.

    Der Eigenanteil der Versicherten wird weiter steigen, wie sich in anderen medizinischen Bereichen wie der Augenoptik schon seit Jahren zeigt. Die schwarz-rote Bundesregierung hat inzwischen schon angekündigt, dass es für die Versicherten hart werden würde und sie sich auf teilweise drastische Leistungskürzungen einstellen müssten. Dazu kommt, dass immer mehr Dienstleister im medizinischen Umfeld ihre Kassenzulassung zurückgeben und nur noch Privatrechnungen ausstellen.
    10 Milliarden Euro pro Jahr für Bürgergeldempfänger werden auf die GKV abgewälzt

    Der Bund als Träger der Fürsorge hat die gesetzlichen Krankenkassen damit beauftragt, die gesundheitliche Versorgung der Bürgergeldbezieher zu übernehmen. Und die Krankenkassen machen das, sie sorgen dafür, dass die Menschen gut versorgt werden. Aber statt für diese Leistung voll zu bezahlen, lässt der Bund die Krankenkassen auf rund zwei Drittel der Kosten sitzen.

    Bei den Beiträgen für Bürgergeldempfänger entlastet sich der Staat seit Jahren auf Kosten der GKV-Beitragszahler. Die Leidtragenden sind die 75 Millionen gesetzlich Versicherten und ihre Arbeitgeber. Die Folge dieser Entwicklung sind höhere Arbeitskosten für die Unternehmen und weniger Netto vom Brutto für die Beschäftigten. Dieses Vorgehen der Bundesregierung schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland, denn so wird Arbeit immer teurer.

    Jahr für Jahr bleibt der Bund den gesetzlichen Krankenkassen so rund zehn Milliarden Euro schuldig. Aber anstatt Fairness herzustellen, hat es das Problem nicht einmal mehr in den Koalitionsvertrag geschafft.

    Die Bundesregierung scheint die Augen vor dieser sozialpolitischen Ungerechtigkeit zulasten der gesetzlich Versicherten und ihrer Arbeitgeber zu verschließen. Da wundert es wenig, dass die GKV jetzt auf Konfrontation gehen und den Rechtsweg beschreiten wollen.

    Seit vielen Jahren setzen wir uns auf allen Ebenen dafür ein, dass diese rechtswidrige Unterfinanzierung beendet wird. Ohne Erfolg. Nun reicht es! Wir sehen uns jetzt gezwungen, den Rechtsweg zu beschreiten und zu klagen. Für unsere 75 Millionen Versicherten. Wir wollen damit erreichen, dass unsere Versicherten und deren Arbeitgeber nicht länger mit einer Finanzierungsaufgabe des Staates belastet werden.

    Immer wieder wurden kurzfristige politische Interessen über die langfristige Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung gestellt. Das Ergebnis sehen wir jetzt: Beitragsanhebungen auf Rekordniveau, kaum noch Reserven bei den Kassen und einen Gesundheitsfonds, der genauso schlecht dasteht.

    Als die gewählten Vertreterinnen und Vertreter der Versicherten und ihrer Arbeitgeber erheben wir immer wieder laut und deutlich unsere Stimme. Und ich sage ganz deutlich: Für eine bessere Krankenversicherung brauchen wir mehr und nicht weniger Handlungsmöglichkeiten der Selbstverwaltung. Denn unsere oberste Priorität ist immer eine langfristig qualitativ hochwertige und für Versicherte und Arbeitgebende bezahlbare gesetzliche Krankenversicherung.
    Uwe Klemens, Verwaltungsratsvorsitzender und Versichertenvertreter

    Aufgrund der nicht kostendeckenden Finanzierung des Versicherungsschutzes für Bürgergeldbezieher erfüllt die GKV im Ergebnis eine Aufgabe, die in die alleinige Verantwortung des Bundes fällt.

    Dies begründet einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht der Sozialversicherungsträger zu organisatorischer und finanzieller Selbstständigkeit aus Art. 87 Abs. 2 GG (in Verbindung mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG).

    Zugleich liegt aus Sicht der GKV ein Verstoß gegen die strenge Zweckbindung von Sozialversicherungsbeiträgen vor, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben verwendet werden dürfen.
    Steigende Zusatzkosten für die gesetzlich Versicherten

    Das Defizit der GKV jetzt mithilfe von Darlehen abzufedern, ist keine nachhaltige Lösung, weil dadurch nur die Kosten in die Zukunft verschoben werden. Und diese Kosten werden auch für die eigentlichen Leistungen für die Versicherten weiter steigen, weil die Löhne auch in der medizinischen Versorgung weiter steigen werden, weil die Lebenshaltungskosten weiter steigen.

    Dazu kommen jetzt noch geopolitisch verursachte Kosten wie die von Trump geforderten Zölle in Höhe von 100 Prozent auf Pharmagrundstoffe aus China und Indien, die in irgendeiner Form auf die Versicherten abgewälzt werden müssen.

    Dies gilt auch für die Kosten für die vierte Reinigungsstufe der Kläranlagen in Deutschland. Auch hierfür sollen die Pharmaunternehmen aufkommen, was dann dazu führen dürfte, dass verschiedene Pharmazeutika mit geringen Margen vom deutschen Markt verschwinden oder nur noch mit erhöhter Zuzahlung vertrieben werden.

    #Allemagne #assurance_maladie #iatrocratie

  • Neue Corona-Variante XFG breitet sich in Deutschland aus
    https://www.telepolis.de/features/Neue-Corona-Variante-XFG-breitet-sich-in-Deutschland-aus-10652851.html

    Le virus s’est dit mutatis mutandur et pouf, le voilà de retour. Le petit dernier s’appelle Stratus d’après le nuage, aucun rapport avec Billy Cobham.

    https://www.youtube.com/watch?v=-N_SqtFerjg

    20.9.2025 von Christoph Jehle - Eine neue Corona-Variante namens „Stratus“ oder XFG erobert Deutschland im Sturm. Typische Symptome sind rasierklingenartige Halsschmerzen.

    In Südostasien erkranken zunehmend Menschen an der Coronavirus-Untervariante XFG. Infizierte klagen hauptsächlich über Heiserkeit, aber auch Husten, hin zu Fieber und Durchfall. Anlass zu großer Sorge besteht aber nicht. Vor allem in Indien, aber auch in südostasiatischen Ländern ist eine neue Untervariante des Coronavirus auf dem Vormarsch.

    Das Coronavirus scheint pünktlich zum Ende der Sommerferien auch wieder in Deutschland zurück zu sein. Mit der neuen Stratus-Varianten XFG meldet es sich derzeit auch in Deutschland wieder zurück. Zwar hat der Erreger seinen Schrecken längst verloren, aber auch fünf Jahre nach der Pandemie sorgt er immer noch für Infektionen. Das Infektionsgeschehen in Deutschland hat in den vergangenen zwei Wochen wieder an Fahrt aufgenommen.

    Vor allem in Asien breitet sich auch die Variante NB.1.8.1 „Nimbus“ aus. In Deutschland spielt diese aber bisher ebenfalls keine große Rolle, wie das Robert Koch-Institut Mitte Juni erklärt hatte. Eine Infektion mit „Nimbus“ produziert mehr Folgeinfektionen als andere Varianten.

    Das in Deutschland aus Kostengründen nicht flächendeckend verfügbare Abwassermonitoring zeigte zuletzt eine zunehmende Viruslast.

    Im aktuellen ARE-Wochenbericht (ARE: „Akute Respiratorische Erkrankungen“) stellt das Robert-Koch-Institut (RKI) fest:

    In den letzten Wochen zeigte sich in allen Systemen eine Zunahme der Sars-CoV-2-Aktivität.

    Angetrieben wird das Infektionsgeschehen aktuell von einer neuen Corona-Variante namens XFG, auch „Stratus“ genannt. Die Zahl schwer verlaufender Atemwegsinfektionen ist bislang erfreulicherweise niedrig. Wie sich die Lage in den nächsten vier, sechs oder acht Wochen entwickeln kann, lässt sich allerdings anhand der aktuell vorliegenden Zahlen bislang nicht ablesen.

    Nimbus und Stratus sind übrigens die ersten Varianten, die seit Pirola (BA.2.86) vor fast zwei Jahren einen Spitznamen erhalten haben. Dieses Mal habe man sich für Arten von Wolken entschieden, während es zuvor Fabelwesen wie Orthrus oder Kraken oder astronomische Namen wie Eris oder Pirola die Namensgeber waren.

    Die neue Corona-Variante ist eine Rekombination aus den zwei bereits bekannten Varianten LF.7 und LP.8.1.2. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weisen die Spike-Proteine von Stratus spezifische Mutationen auf, die der Variante ermöglichen könnten, der Immunabwehr noch besser auszuweichen als ihre Vorgänger.

    Dies ist möglicherweise einer der Gründe für den globalen Siegeszug von XFG. Anfang Juli kamen erste Berichte aus Südostasien, dass sich dort innerhalb kürzester Zeit immer mehr Menschen mit einer neuen Virus-Variante infizieren. Schutzmasken gehören jetzt beispielsweise in Thailand wieder zur täglichen Bekleidung.

    Knapp drei Monate später ist Stratus auch in Deutschland die dominante Variante. Laut RKI ist sie für rund 65 Prozent aller nachgewiesenen Covid-Infektionen verantwortlich. Die zuvor führende Nimbus-Variante (NB.1.8.1) macht inzwischen nicht mal mehr ein Viertel der Fälle aus.

    Und auch international ist Stratus auf dem Vormarsch. Daten der WHO zufolge nahm der Anteil bei Proben im Juli weltweit von knapp 7 auf mehr als 22 Prozent zu, innerhalb von nur wenigen Wochen seit dem ersten Auftauchen. Heute liegt der Anteil der Variante bei über 66 Prozent.
    Für den Schutz vor einer Infektion muss jeder selbst sorgen

    Eine Infektion kann für den Betroffenen durchaus unangenehm werden. Patienten klagen über Heiserkeit und ein teilweise sehr schmerzhaftes Kratzen im Hals. Berichte von US-Patienten beschreiben die Halsschmerzen sogar als „rasierklingenartig“, ein Symptom, das bei früheren Varianten eher untypisch war. Hinzu kommen im Falle einer Infektion aber auch altbekannte Beschwerden wie Fieber, trockener Husten, Halsschmerzen, Müdigkeit und Durchfall.

    Man kann davon ausgehen, dass die aktuellen Impfstoffe und die, die im kommenden Herbst angeboten werden, auch gegen XFG schützen. Es fällt allerdings auf, dass viele inzwischen den Infektionsschutz durch Impfung verdrängen, da die Pandemie schon lange her ist und die Wirkung von Impfungen in alternativen Medien gerne lauthals bestritten wird.

    In den USA haben sich diese alternativen, wissenschaftsfeindlichen Ansichten bis in die Bundesregierung geschafft, was für ein beachtliches Covid-Infektionsrisiko sorgt.

    Die Stiko empfiehlt in Deutschland über 60-Jährigen, Menschen mit Vorerkrankungen oder die in Pflegeeinrichtungen leben oder arbeiten, eine Auffrischimpfung gegen Sars-Cov-2. Gleiches gilt für Angehörige oder Kontaktpersonen von Menschen mit erwarteter eingeschränkter Immunantwort. In der Regel sollten für eine Auffrischungsimpfung zwölf Monate nach der letzten Impfung oder Infektion vergangen sein. Der beste Zeitpunkt ist laut Stiko im Herbst.

    Wer wissen möchte, ob er sich tatsächlich mit Corona und nicht etwa einem anderen Virus infiziert hat, kann nach wie vor einen Antigen-Schnelltest machen. Da sowohl Nimbus als auch Stratus aus der Omikron-Familie stammen, funktionieren diese Tests weiterhin recht zuverlässig.

    Vorausgesetzt, sie haben ihr Haltbarkeitsdatum nicht überschritten und wurden bei der empfohlenen Temperatur gelagert. Konsequenzen im Fall eines positiven Befunds gibt es heute allerdings nicht. Eine Corona-Infektion sollte wie auch eine Erkältung oder Grippe mit viel Ruhe und Tee zu Hause auskuriert werden.

    Jeder Bürger hat inzwischen ausreichend Informationsquellen über Corona zur Verfügung und muss sich nicht mehr auf die staatliche Fürsorge verlassen. Vor allem Rentner, die nicht mehr produktiv tätig sind und nicht für die Landesverteidigung benötigt werden, sollten jetzt nur noch nachrangig versorgt werden.

    #coronavirus #Stratus #XFG

  • Charlie Kirk : Held oder Hassfigur ?
    https://www.telepolis.de/features/Charlie-Kirk-Held-oder-Hassfigur-10646565.html

    15. Juli 2024 : Turning Point USA CEO, Charlie Kirk auf dem Republikanischen Nationalkongress. (Bild : Maxim Elramsisy / Shutterstock.com)

    De mortuis nil nisi bonum dicendum est soit, mais permettez mois d’attiter votre attention sur la ressemblance physiognomique avec un autre défunt .

    Têtes de nazi.

    Luca Schäfer - Der umstrittene MAGA-Aktivist Charlie Kirk wurde bei einem Attentat getötet. Sein Tod polarisiert die USA und befeuert den politischen Kulturkampf.

    „Wir sehen uns in Walhalla“ – mit diesem aus der nordischen Mythologie entlehnten Satz verabschiedete FBI-Boss Kash Patel das Mordopfer. Charlie Kirk, rechter Influencer, MAGA-Aktivist und evangelikaler Christ, war zuvor Opfer eines Attentats bei einer öffentlichen Open-Air-Fragerunde geworden. Ein Tatverdächtiger wurde mittlerweile festgenommen.

    Allein diese Sequenz befeuert eine verdrehte Debatte und sorgt für Reaktionen: Nach Angaben der Agentur Reuters wurden in den USA 15 Personen aus dem Staatsdienst suspendiert, die sich online auf den Tod des bekennenden Trump-Anhängers bezogen hatten.
    Attentat auf Charlie Kirk: Schockierende Bilder und politische Folgen

    Doch wer ist der Mann, der wie kaum ein Anderer polarisiert?

    Die Bilder vom Attentat auf Kirk sind verstörend. Wie in den sozialen Medien verbreitete Videosequenzen belegen, wird Kirk regelrecht hingerichtet: Nach dem Schuss spritzt Blut aus seinem Hals, sein Körper erschlafft.

    Gewalt, insbesondere in dieser abscheulichen Form, ist nicht zu legitimieren – auch nicht nachträglich. Doch existiert ein feiner Unterschied zwischen der Goutierung eines Mordes und der berechtigten Kritik an einer Person des öffentlichen Lebens.
    Vom TPUSA-Gründer zum Sprachrohr der MAGA-Bewegung

    Charlie Kirk, Jahrgang 1993, war ein Einpeitscher. Er sprach vermeintlich aus, was vielen verboten erschien, und traf damit in den USA wie auch in weiten Teilen einer männlich-konservativ geprägten Erlebniswelt den Nerv der Zeit.

    Er war Vorsitzender der Organisation Turning Point (TPUSA). Die 2012 mit dem Ziel gegründete Organisation, konservative Politik unter jungen Menschen zu verbreiten, machte Kirk zu einem Wegbereiter von Donald Trump.

    Mit Campus-Debatten und der „Professor Watchlist“, einem Portal, auf dem primär Professoren gemeldet werden sollten, denen vorgeworfen wurde, sie würden Konservative diskriminieren oder „linke Propaganda“ verbreiten, erschuf Kirk eine Echokammer der Polarisierung.

    Seine große Reichweite unter jungen Konservativen sicherte ihm einen Platz im Pantheon der MAGA-Bewegung. Er wurde zum Sprachrohr einer Bewegung, für die der Senior Trump wenig Attraktivität versprüht.
    Reichtum, Skandale und dubiose Finanzstrukturen rund um Kirk

    Kirk hinterlässt seine Ehefrau, die Influencerin und ehemalige Miss Arizona, Erika Kirk, sowie zwei Kinder. Die Witwe versucht, dem Ableben Kirks späten Glanz zu verschaffen. Er „trage die Krone eines Märtyrers“.

    Zumindest auf der finanziellen Ebene dürften sich bei Frau Kirk keine Sorgenfalten einstellen, denn das Vermögen von Charlie Kirk wurde im Jahr 2025 auf 12 Millionen US-Dollar geschätzt. Zudem besaß Kirk mehrere Luxusvillen.

    Kirk ritt die Erfolgswelle der MAGA-Bewegung auch ökonomisch: Als Chef von TPUSA genehmigte er sich hohe Auszahlungen als Kompensation für seine Tätigkeit. So stieg sein Gehalt seit der Gründung um mehr als das Zehnfache an – statt 27.000 US-Dollar zu Beginn der Non-Profit-Organisation, waren es laut Yahoo im Jahr 2021 schon 407.000 US-Dollar.

    Undurchsichtig bleiben die verbundenen Organisationen. Kritiker warfen Kirk vor, Gelder oft über Firmen fließen zu lassen, deren Eigentümerstruktur schwer nachzuvollziehen ist, um somit Spendergelder an Personen seines Umfelds umzuleiten. Associated Press (AP) sprach 2023 von mehr als 15 Millionen US-Dollar, die offenbar in diese dubiosen Strukturen flossen.

    Eine Schwesterorganisation wurde wegen nicht korrekt deklarierter Spendengelder mit einer Strafzahlung bestraft.

    Auch sonst bewegte sich Kirk gerne am schmalen Grat der Justiziabilität: Nicht nur wurde kritisiert, dass er mit Desinformationen arbeite, sondern auch, dass er öffentlich skandalöse Positionen bezog.

    Provokation war sein Geschäftsmodell: Er hielt den Civil Rights Act von 1960 für einen Fehler, nannte die Anti-Covid-Maßnahmen eine „medical apartheid“, stand verbissen zur Pro-Life-Bewegung ("Abtreibung ist schlimmer als der Holocaust") und ihm wurde vorgeworfen, partiell in eine antisemitische Rhetorik abgedriftet zu sein. Der ironische Gipfel seiner Aussagen war seine Polemik gegen ein Waffenverbot in den USA.
    Täter, Motiv und die wachsende politische Gewalt in den USA

    Nach kurzer Fahndung konnte ein tatverdächtiger Mann festgenommen werden. Dabei handelt es sich um den 22-jährigen ehemaligen Studenten Tyler Robinson aus Utah. Bei ihm wurden ein Mauser-30-06-Gewehr sowie mehrere Patronenhülsen gefunden.

    Laut ZDF lebte Robinson als ältester von drei Brüdern mit seiner Familie in der rund 250 Kilometer südwestlich des Tatorts gelegenen Stadt St. George.

    Aktuell schweigen die Ermittler zu seinen Tatmotiven. Noch würden Bezüge zu anderen politischen Gruppen oder Beweggründe ausgewertet.

    Als starkes Indiz für eine politische Motivation mögen die vorgefundenen, beschrifteten Hülsen dienen: Mit „Bella Ciao“ und „Hey Faschist, fang ihn“ spielte Robinson womöglich auf seine antifaschistische Haltung und den Kampf der italienischen Partisanen gegen die Wehrmacht an.

    Fernab seiner privat-ökonomischen Interessen blieb Kirks Mission die Verschiebung eines Diskursfensters nach rechts. So heißt es über ihn:

    Dabei wird übersehen, dass es dem MAGA-Missionar vor allem darum ging, seine radikale Agenda zu verbreiten. Er hat diskutiert, um andere bloßzustellen, um Linke, Liberale und LGBTQ+-Aktivisten mit seinen christlich-fundamentalistischen bis rassistisch-nationalistischen Parolen zu überrollen. Bei ihm wurde Debatte nur simuliert.

    Und weiter:

    „Prove me wrong“ hieß eines seiner erfolgreichsten Formate. „Versuch doch, mir das Gegenteil zu beweisen“. Schon der Titel zeigt, dass hier einer zur Diskussion antrat, dem es nicht darum ging, Positionen auszutauschen oder den Diskurs voranzubringen. Kirk verstand es hervorragend, den öffentlichen Debatten-Raum zu kapern und mit seiner millionenschweren Organisation „Turning Point USA“ (TPUSA) breite Wählerschichten anzusprechen. Er trat dabei aber nahbar und charmant auf – als schillernder Posterboy der extremen Rechten in den USA. Kaum jemand machte Trumps autoritäre Agenda so zugänglich für junge Leute wie er.

    Ohne die reichhaltige Beeinflussung der amerikanischen Debatte – von Influencerin Loomer bis zum TV-Sender Fox – hätte Trump seine zweite Präsidentschaft nicht ins Werk setzen können. Herrschaft benötigt, will sie reibungslos funktionieren, Narrative. Die Lobeshymnen auf Kirks Ableben sind daher auch als ein letzter Dank für Geleistetes zu verstehen.

    So verwundert es nicht, dass der ansonsten apolitische Instagram-Account der Sportliga UFC von Trumps Intimus Dana White mit einem Tabu brach: Am Samstag überbrachte man millionenfach geklickte öffentliche Kondolenzen.

    Kirk hatte keine Verbindung zum Kampfsport, aber sein politisches Vermächtnis wirkt posthum. Er erfüllt einen politischen Zweck. Er konnte sich medial inszenieren, besaß Reichweite und vermittelte subtil politische Codes. Im vom rechten Lager proklamierten Kulturkampf wird seine Stimme fehlen. Kirk verstand es wie kaum ein Zweiter, sozial-politische Themen in Kulturkampf-Rhetorik umzuwandeln. Trump verliert einen wichtigen Blitzableiter.

    Zu befürchten ist, dass mit Kirks Tod die politische Gewalt eskaliert. Die binnenpolitische Polarisierung der USA erreicht eine neue Stufe, und das Beispiel des FBI-Chefs Patel belegt eindrucksvoll, wie weit der Prozess der rechten Staatsdurchsetzung fortgeschritten ist.

    Die Zeichen der rechten Kulturhoheit sind unmissverständlich: Während Kirk ein viral-gegangener Märtyrer ist, fällt die gleichermaßen politisch ermordete Demokratin Melissa Hortmann dem Vergessen anheim.

    #nazis

  • Donald Trump meldet Angriff auf angebliches Drogenboot in internationalen Gewässern. Venezuelas Präsident Maduro warnt vor US-Invasion und droht mit Widerstand.

    via https://diasp.eu/p/17846314

    https://www.telepolis.de/features/Eskalation-vor-Venezuela-US-Militaer-zerstoert-mutmassliches-Drogenschiff-

    [...]

    Rekordkopfgeld auf Präsident

    Washington hatte kürzlich das auf Maduro ausgesetzte Kopfgeld auf 50 Millionen Dollar verdoppelt – laut US-Angaben das höchste jemals von den USA ausgesetzte Kopfgeld. Die US-Justiz wirft dem autoritär regierenden Staatschef vor, in internationale Drogengeschäfte verwickelt zu sein.

    Maduro warf der US-Regierung seinerseits vor, es auf die Bodenschätze seines Landes abgesehen zu haben. „Sie wollen unser Öl und unser Gas gratis bekommen“, sagte er. „Dabei gehört das Öl nicht Maduro und schon gar nicht den Gringos, sondern dem venezolanischen Volk.“

    [...]

    #Venezuela #USA #désinformation #psy-ops (...)

  • Restaurant-Hygiene: Was Sie nicht wissen sollen
    https://www.telepolis.de/features/Restaurant-Hygiene-Was-Sie-nicht-wissen-sollen-10442842.html

    Bild: Shutterstock.com

    Was dem Taxi sein Uber ist dem Restaurant sein Ekelkonkurrent. Wenn die Stadt gesetzliche Vorschriften kontrollieren und durchsetzen würde, gäbe es beide nicht mehr. Die ausbeuterischen, dreckigen Billigheimer werden offenbar gebraucht, um Touristen anzulocken und den internationalen Ruf der Stadt bei Liberalen und Kriminellen zu pflegen.

    13.6.2025 von Christoph Jehle - Hygiene in Restaurants bleibt oft im Dunkeln. Berlin wollte das ändern, doch der Plan scheiterte. Was verbirgt sich hinter den Kulissen?

    Seit Corona war es unübersehbar, dass die alte Kneipen- und Restaurantkultur Schlagseite bekommen hat, wie man es damals bei Rauchverbot schon vorhergesagt hatte. Wenn bei den Konsumenten der Geldbeutel weniger hergibt, und in der Gastronomie der Fachkräftemangel um sich greift, werden einfache Lösungen gesucht.

    Leider findet man dann unter dem Druck der Öffentlichkeit meist schnelle Lösungen, wie eine Rückkehr zur Umsatzsteuersenkung, die zu Corona-Zeiten ein gelungenes Instrument zu sein schien, um den Druck aus dem Kessel zu nehmen.

    Wurde damals die Umsatzsteuersenkung nicht an die Gäste weitergegeben, so war es wenig verblüffend, dass man die Wiedereinführung des normalen Steuersatzes dazu genutzt hat, um die Preise anzuheben und den Unmut über die Rückkehr zum alten Steuersatz genutzt hat, um den Gesetzgeber anzugreifen.

    Wer jetzt glaubt, die Gastronomen würden die erneute Steuersenkung dieses Mal an ihre Kunden weitergeben, dürfte das gleiche Erlebnis haben wie damals.

    Der angeschlagene Ruf der Systemgastronomie

    Die Systemgastronomie und die Mehrzahl der verbliebenen sternenlosen Gasthäuser haben ihre Küche auf das Niveau der ICE-Bordküchen abgesenkt, lautet ein viel gehörter Vorwurf böser Zungen.

    Vorgebracht wird weiter, dass die wichtigste Kenntnis der in den Küchen Beschäftigten im Bedienen der Mikrowelle bestehe. Fast alle Speisen würden zudem industriell vorgefertigt angeliefert. Eigentlich müsse man nur noch die Einhaltung der Kühlkette verfolgen.

    Hygiene und Transparenz

    Sinnvoll wäre es in diesem Zusammenhang dennoch, die einschlägigen Hygieneregeln einzuhalten. Das 2021 vom damaligen Rot-Grünen Senat initiierte Hygiene-Transparenzsystem verpflichtet gastronomische Betriebe, die Ergebnisse amtlicher Hygienekontrollen öffentlich auszuhängen. Die Verbraucher sollten erkennen können, wie sauber es in Restaurants, Imbissen und Bäckereien zugeht.

    Das betrachtete man als wichtigen Baustein für informierte Entscheidungen und gesundheitlichen Verbraucherschutz. Denn in der Regel bleiben die Ergebnisse von Hygiene-Kontrollen in Restaurants, Bäckereien und anderen Lebensmittelbetrieben geheim.

    Das ″Saubere-Küchen-Gesetz″

    Mit dem Lebensmittelüberwachungs-Transparenzgesetz, auch unter dem Namen ″Saubere-Küchen-Gesetz″bekannt, das seit Anfang 2023 in Berlin in Kraft ist, sollten ″Ekel-Küchen″ als solche gekennzeichnet werden dürfen und jeder potentielle Gast könnte dann selbst entscheiden können, ob er das Risiko eingehen will.

    Die Vorstellung vom „Transparenz-Barometer“ am Eingang zu jedem Lokal fand nicht überall Zustimmung. Das Gesetz stieß auf Widerstand in der Gastronomie und war auch bei den Bezirken nicht gerade beliebt, die es für nicht umsetzbar hielten, weil für Kontrollen der Gastronomie das Personal fehle.

    Ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes 2023 hatten die Bezirke den Unternehmen insgesamt gerade einmal drei Kontrollergebnisse zur Veröffentlichung präsentiert, wie eine Umfrage von foodwatch unter den Bezirken ergeben hatte.
    Verzicht auf Kontrolle als Wirtschaftsförderung

    Die Verbraucherorganisation foodwatch und die Transparenz- und Rechercheplattform FragDenStaat haben nun den aktuellen Gesetzentwurf des Berliner Senats zur Abschaffung des Lebensmittelüberwachungs-Transparenzgesetzes kritisiert.

    Die in Berlin regierende Union bediene nach der Abschaffung der Mehrwertsteuer im Bund einmal mehr die Interessen der Gastro-Lobby und stellten die Rechte der Verbraucher auf Information und Gesundheitsschutz hinten an, heißt es dort.

    In dem Gesetzentwurf bezeichnet der CDU-geführte Senat den Mehraufwand für die Behörden zwar als ″verhältnismäßig gering″, aber dennoch so groß, dass eine Abschaffung des Gesetzes gerechtfertigt sei.

    Nach der Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie im Bund jetzt auch noch das: Die Union macht der Gastro-Lobby das nächste Geschenk – diesmal auf Kosten der Transparenz. Die Abschaffung des Hygiene-Barometers ist ein Segen für Schmuddelbetriebe und ein massiver Rückschritt für die Bürgerrechte in Berlin.
    Rauna Bindewald, foodwatch

    Statt das Gesetz zu verbessern, will es der Berliner Senat nun ersatzlos streichen.

    Grund sei der Mehraufwand für die Behörden. Eine Überarbeitung des Gesetzes, sodass weniger personelle Ressourcen in den Bezirken beansprucht würden, sei nicht möglich, ohne die unternehmerische Freiheit der Gastronomie-Betriebe unverhältnismäßig zu beschneiden.

    Smiley-System in Dänemark etabliert

    Beim Smiley-System erfahren Verbraucher direkt an der Ladentür sowie im Internet anhand von Smiley-Symbolen, wie es um die Sauberkeit in den betreffenden Lebensmittelbetrieben bestellt ist. Das System soll keinen nennenswerten Mehraufwand für die Behörden darstellen, sobald einmal die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind.

    Wie erfolgreich das System in Dänemark ist, zeigt sich daran, dass sich wenige Jahre nach Einführung des Smiley-Systems im Jahr 2002 die Quote der beanstandeten Betriebe halbiert hat.

    Statt für bessere Hygiene und transparente Kontrollen zu sorgen, werde ausgerechnet das Instrument gestrichen, das Betriebe zur Sauberkeit anhalten sollte.

    Unsere gemeinsame Aktion „Topf Secret“ hat das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gezeigt und zur Einführung des Gesetzes geführt. Nun sollen die Rechte von Verbraucher:innen und Transparenz, die sich Bürger:innen selbst erkämpft haben, wieder einmal unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus für Wirtschaftsinteressen geopfert werden.
    Arne Semsrott, FragDenStaat

    Auf ″Topf Secret″ ist es möglich, auf Grundlage des Verbraucherinformationsgesetzes amtliche Kontrollergebnisse abzufragen und für die breite Öffentlichkeit hochzuladen. Dies gilt auch für solche, welche die Behörden bislang geheim halten.

    Alleine innerhalb der ersten zwei Jahre nach Start der Plattform 2019 wurden laut FragDenStaat über ″Topf Secret″ mehr als 50.000 Anträge gestellt.

    #Berlin #Gastronomie #Hygiene #Vollzugsdefizit

  • Deutschlandticket wird wieder teurer - Widerstand kaum zu erwarten

    via https://diasp.eu/p/17814733

    Deutschlandticket - Widerstand seitens der Medien, der Sozialverbände, der Gewerkschaften? - Fehlanzeige ... wetten dass? Bestenfalls ein gekonnter Threehundredsixty à la Bärbock!

    Mit sattsam bekannter neoliberal geschulter Rhetorik samt paternalistisch bevormundem Tonfall wird jede und jeder, die hier einmal die Dinge deutlicher zur Sprache bringen sollten, kurzerhand zur persona non grata erklärt, da sich der- oder diejenige nach allgemeinen Dafürhalten nicht in der Lage sehen könnten, den medial längst ausführlich dargelegten Sachzwängen (vgl. u.a. 5% / BIP US-seitig aufoktroyierte #Militärausgaben ) adäquat Rechnung zu tragen.

    (...)

  • Trinkgeld im Job: Was erlaubt ist und was nicht
    https://www.telepolis.de/features/Trinkgeld-im-Job-Was-erlaubt-ist-und-was-nicht-10528334.html

    Arbeitnehmerprivileg : Trinkgeld steuerfrei, Selbständige müssen Trinkgeld versteuern. Nicht erwähnt : Trinkgelder werden vollatândig mit dem Bürgergeld verrechnet.

    14.8.2025 von Bernd Müller - Trinkgeld gehört für viele zum Einkommen dazu. Doch was ist rechtlich erlaubt? Wir klären die wichtigsten Fragen zu den Zusatzzahlungen.

    Ob im Restaurant, beim Friseur oder im Taxi – in vielen Branchen gehört das Trinkgeld für die Beschäftigten fest zum Einkommen dazu. Viele Kunden honorieren damit guten Service und wollen die oft nicht üppig entlohnten Arbeitnehmer unterstützen. Doch so selbstverständlich die Praxis des Trinkgeldgebens auch sein mag, so unklar sind vielen die rechtlichen Rahmenbedingungen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen:

    Was ist Trinkgeld eigentlich genau?

    Rechtlich gesehen ist Trinkgeld eine Geldzuwendung, die ein Kunde freiwillig zusätzlich zum eigentlichen Rechnungsbetrag für eine Dienstleistung gibt. Juristisch spricht man von einer sogenannten „Anstandsschenkung“. Das bedeutet: Es besteht kein Rechtsanspruch darauf. Der Kunde entscheidet selbst, ob und in welcher Höhe er etwas geben möchte.

    Wichtig ist dabei die Abgrenzung zum regulären Arbeitslohn. „Der Arbeitgeber darf das Trinkgeld auf keinen Fall auf den vertraglich vereinbarten Lohn anrechnen“, betont Fachanwalt für Arbeitsrecht Peter Meyer gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Das Trinkgeld ist also eine reine Zusatzleistung. Andererseits hat aber auch der Arbeitnehmer keinen einklagbaren Anspruch darauf. Er kann vom Kunden nicht verlangen, dass dieser zwingend Trinkgeld zahlt.

    Worin unterscheidet sich Trinkgeld vom Bedienungsgeld?

    Während das Trinkgeld eine freiwillige Leistung ist, handelt es sich beim Bedienungsgeld um einen verpflichtenden Aufschlag auf den Rechnungsbetrag. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte „Kofferträgergeld“ in Hotels oder das „Metergeld“, das bei Möbelumzügen oft zusätzlich berechnet wird.

    Der entscheidende Unterschied: Trinkgeld geht direkt und ungekürzt an den Mitarbeiter, der die Leistung erbracht hat. Bedienungsgeld dagegen fließt zunächst an den Arbeitgeber. Für ihn stellt es eine Form des steuerpflichtigen Arbeitsentgelts dar, das er nach den üblichen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Regeln behandeln muss. Auf welche Weise es dann an die Mitarbeiter weitergegeben wird, hängt von der jeweiligen betrieblichen Praxis ab.

    Darf der Arbeitgeber auf das Trinkgeld seiner Mitarbeiter zugreifen?

    Nein, das ist gesetzlich ausgeschlossen. Das Trinkgeld gehört allein dem Arbeitnehmer, der die entsprechende Leistung erbracht hat. Der Arbeitgeber hat kein Recht, es ganz oder teilweise einzubehalten. Das gilt auch dann, wenn der Kunde mit EC- oder Kreditkarte zahlt und das Trinkgeld zunächst auf dem Geschäftskonto des Unternehmens landet. Auch in diesem Fall muss der Chef es in voller Höhe an seine Mitarbeiter auszahlen.

    Eine Ausnahme von dieser Regel ist nur möglich, wenn im Betrieb eine gesonderte Vereinbarung zur Verteilung der Trinkgelder getroffen wurde, etwa in Form eines sogenannten Trinkgeldpools (auch Tronc-System genannt). Aber selbst dann gilt: Der Arbeitgeber darf nicht eigenmächtig und willkürlich über die Aufteilung entscheiden.
    Wer entscheidet über die Verteilung des Trinkgelds, wenn es gesammelt wird?

    In vielen Unternehmen, insbesondere in der Gastronomie, ist es üblich, die Trinkgelder in einem gemeinsamen Topf zu sammeln und dann nach einem bestimmten Schlüssel an alle Mitarbeiter zu verteilen. Damit sollen auch die Beschäftigten „hinter den Kulissen“, etwa in der Küche, an den zusätzlichen Einnahmen beteiligt werden.

    Doch Vorsicht: „Der Arbeitgeber darf nicht eigenmächtig und nach Gutdünken über die Verteilung entscheiden“, gibt Arbeitsrechtler Meyer zu bedenken. Die Aufteilungskriterien müssen transparent und nachvollziehbar sein. In Betracht kommen etwa die Funktion des Mitarbeiters, die geleistete Arbeitszeit oder eine prozentuale Beteiligung am Umsatz.

    In vielen kleineren Betrieben gibt es oft keine schriftlich fixierten Regeln zur Trinkgeldverteilung. Stattdessen wird die Aufteilung meist intern unter den Mitarbeitern abgesprochen, erklärt Prof. Michael Fuhlrott, ebenfalls Fachanwalt für Arbeitsrecht, laut dpa
    .
    Sind Arbeitnehmer verpflichtet, ihre Trinkgeldeinnahmen offenzulegen?

    Eine allgemeine Auskunftspflicht gegenüber dem Arbeitgeber besteht nicht. Der einzelne Mitarbeiter muss also nicht unbedingt offenlegen, wie viel Trinkgeld er während seiner Schicht eingenommen hat.

    Etwas anderes kann sich aber aus dem Arbeitsvertrag oder einer speziellen Betriebsvereinbarung ergeben. Das ist insbesondere dann relevant, wenn die Trinkgelder nicht individuell behalten, sondern in einen gemeinsamen Pool eingezahlt und später nach einem bestimmten Schlüssel verteilt werden. Dann kann durchaus eine Pflicht zur Abrechnung und Meldung der Trinkgeldeinnahmen bestehen.
    Haben Beschäftigte einen Anspruch auf Barzahlung des Trinkgelds?

    Nein, einen solchen Anspruch gibt es nicht. Ob das Trinkgeld in bar oder bargeldlos gezahlt wird, hängt von den Gepflogenheiten im jeweiligen Betrieb und natürlich auch von den Wünschen und Möglichkeiten der Kundschaft ab.

    Gerade bei Kartenzahlungen oder Trinkgeldzahlungen über spezielle Online-Systeme haben die Beschäftigten aber oft das Nachsehen. „Besonders in Branchen wie Paketdiensten und Lieferservices empfiehlt sich daher nach wie vor die Barzahlung des Trinkgelds, da es sonst oft gar nicht bei den ausführenden Mitarbeitern ankommt“, rät Fachanwalt Meyer.

    Müssen Arbeitnehmer ihr Trinkgeld versteuern?

    Das hängt von der Art und Weise der Trinkgeldzahlung ab. Freiwillige Trinkgelder, die Kunden direkt und ohne Umwege an die Mitarbeiter zahlen, sind in der Regel steuer- und sozialversicherungsfrei. Der Beschäftigte kann also über diese Zusatzeinnahmen frei verfügen.

    Anders sieht es aus, wenn das Trinkgeld zunächst an den Arbeitgeber geht und von diesem über ein Tronc-System an die Belegschaft verteilt wird. Dann handelt es sich um steuerpflichtiges Arbeitsentgelt, für das auch Sozialabgaben anfallen. Gleiches gilt für verpflichtende Bedienungsgelder oder Serviceaufschläge.

    Übrigens: Selbstständige und Freiberufler müssen generell auch freiwillig gezahlte Trinkgelder als Betriebseinnahmen versteuern.

    Welche Trinkgeld-Höhe ist in welcher Branche üblich?

    Feste Regeln zur Höhe des Trinkgelds gibt es nicht. Sie hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa von der Art des Betriebs, der Region oder der Zufriedenheit des Kunden mit der Leistung.

    In der Gastronomie sind laut Arbeitsrechtler Fuhlrott je nach Segment zwischen fünf und 20 Prozent des Rechnungsbetrags als Trinkgeld üblich. In anderen typischen Trinkgeld-Branchen wie dem Friseurhandwerk, bei Taxifahrten oder Lieferdiensten liegt die Spanne meist um die zehn Prozent des Preises, schätzt sein Kollege Meyer. Feste Vorgaben gibt es aber nicht. Letztlich entscheidet jeder Gast selbst, wie viel er geben möchte – oder ob er überhaupt etwas gibt.

    Fazit: Trinkgeld ist immer eine freiwillige Zusatzleistung. Es sollte als Anerkennung und Wertschätzung für gute Arbeit verstanden werden, nicht als selbstverständliche Pflicht. Für Arbeitgeber gilt: Finger weg vom Trinkgeld der Mitarbeiter! Klare, transparente und fair ausgehandelte Regeln im Betrieb können helfen, Streitigkeiten und Unzufriedenheit in der Belegschaft zu vermeiden.

    #Arbeit #Einkommen

  • Falsche Meldungen, echte Bedenken: Die Gates-Millionen der Bundesregierung
    https://www.telepolis.de/features/Falsche-Meldungen-echte-Bedenken-Die-Gates-Millionen-der-Bundesregierung-1

    11.8.2025 von Philipp Fess - 630 Millionen Euro Fördergelder? Die Zahl aus alternativen Medien stimmt nicht – doch die Kritik an der Gates-Stiftung geht weit darüber hinaus. Kritische Analyse.

    Außerordentliche Sitzung des Entwicklungsausschusses (DEVE) des Europäischen Parlaments. Meinungsaustausch mit Bill Gates, Vorsitzender der Gates-Stiftung. Bild (Juni 2025): © European Union, 1998 – 2025

    630 Millionen Euro Fördergelder? Die Zahl aus alternativen Medien stimmt nicht – doch die Kritik an der Gates-Stiftung geht weit darüber hinaus. Kritische Analyse.

    Die brisantesten Meldungen sind nicht immer die akkuratesten. Die Bundesregierung fördert die Stiftung des Microsoft-Gründers und erklärten Philanthropen Bill Gates mit 630 Millionen Euro, liest man dieser Tage in Alternativmedien wie Apollo News oder dem News-Blog des aktivistischen Corona-Anwalts Markus Haintz.

    Der Tenor der Berichte: Die Bundesregierung mischt sich in die Politik souveräner Staaten ein (Jonas Aston, Apollo) oder verfolgt „Interessenpolitik unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit“ (Janine Beicht, Haintz Media).

    Nun klingen 630 Millionen Euro nach einer gewaltigen Summe. Schaut man sich das Fundament der steilen These an, zerbrechen allerdings tönerne Füße.

    Deshalb aber die Kritik an der Bill & Melinda Gates Stiftung (BMGF) gleich mit auf den Scherbenhaufen zu werfen, hieße nach Auffassung des Autors, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die Gründe legt er im Folgenden dar.
    Public-Private-Partnerships in der Entwicklungszusammenarbeit

    Hintergrund der aufrührerischen Meldungen ist die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der AfD vom 23. Juni. Konkret geht es darin um Zuwendungen an „US-amerikanische Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen sowie das Zentrum Liberale Moderne in Deutschland“.

    Über das bemerkenswerte – und jenseits der aktuellen Regierungskonstellation bemerkenswert kontinuierliche – Verhältnis zu transatlantischen Stiftungen im Allgemeinen und des durchaus als aktivistisch zu bezeichnenden Thinktanks um die Grünen Marie-Luise Beck und Ralf Fücks hat Telepolis im vergangenen Jahr ausführlich berichtet.

    Aber es geht hier nicht um die rund 1,1 Millionen Euro Förderung, die „LibMod“ laut der Auskunft des Auswärtigen Amts erhalten soll. Sondern um die Bill & Melinda Gates Stiftung (BMGF).

    630 Millionen – diese Zahl ist korrekt, allerdings beziffert sie die Ausgaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für Projekte, bei denen die BMGF als temporärer „Kofinanzierer“ auftritt.

    Diese Projekte wurden als Gesamtvorhaben bereits vor Beginn der aktuellen Legislaturperiode bewilligt und reichen mehrere Jahre in diese hinein. Der Eigenanteil der Stiftung an den jeweiligen Projekten beträgt demnach rund 30 Millionen Euro. Wie einer Anmerkung zu entnehmen ist, flössen bei diesen „Kombifinanzierungen“ keine „deutschen Haushaltsmittel an Stiftungen“.

    Die genannten Projekte sind die folgenden (nähere Informationen verlinkt):

    • Globalvorhaben Digitale Transformation
    • Skalierung von digitalen Agrarinnovationen durch Start-ups (SAIS)
    • Marktorientierte Wertschöpfungsketten für Jobs und Wachstum in der ECOWAS Region (MO-VE)
    • Globalvorhaben Ernährungssicherung und Resilienzstärkung
    • Support to Social Protection including Social Health Protection (SP-SHP)
    • Supporting Soil Health Interventions in Ethiopia, Phase III

    Schaut man sich die Projekte im Einzelnen an, erfüllen sie oberflächlich tatsächlich den Zweck einer humanitären Hilfeleistung. In einer – zugegebenermaßen ebenso oberflächlichen Recherche – sind nur vereinzelt Hinweise zu finden, die Zweifel an den karitativen Absichten wecken könnten.
    Blendende Absichten?

    So zum Beispiel beim Projekt „Marktorientierte Wertschöpfungsketten“ in der ECOWAS-Region. Laut der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) stehen dabei der nachhaltige Anbau speziell von Cashew-Nüssen und Reis etwa im geopolitisch umkämpften Burkina Faso oder in der Elfenbeinküste.

    Der Anbau soll einerseits mithilfe von smarten Klima-Methoden ("climate smart practices") „nachhaltig“ ausgestaltet und so sollen etwa Monokulturen vorgebeugt werden. Zum anderen will man einen wettbewerbsfähigen Marktzugang schaffen, damit auch die einheimische Bevölkerung ihren Eigenbedarf decken kann, statt das Übermaß von Produkten zu exportieren. So weit, so gut.

    In der Beschreibung der GIZ findet sich allerdings auch das Vorhaben, einen „öffentlich-privaten Dialog“ zu unterhalten, um diesen Zielen nachzukommen.

    Damit ist ein Aspekt berührt, der sich auch im Projekt der „Skalierung von digitalen Agrarinnovationen“ wiederfindet – allerdings befreit vom humanitären Jargon, dafür umso reicher an ökonomi(sti)schen Buzz-Words:

    Durch maßgeschneiderte Company-Development-Maßnahmen, die von internationalen Venture Buildern umgesetzt werden, wird die Investment Readiness der Start-ups – also ihre Fähigkeit, die spezifischen Bedürfnisse und Erwartungen von Investoren zu verstehen und zu erfüllen – verbessert.
    Food4Transformation: Silicon Valley für Afrikas Agrar-Start-ups, Michel Bernhardt (GIZ) (Fettung d. Autors)

    Derlei Ausführungen lassen Zweifel an der humanitären Selbstlosigkeit der Zuwendungen zu. Eine ökonomische oder gar post-koloniale Motivation hinter westlicher Entwicklungshilfe hat spätestens der Weltbank- und IWF-Berater John Perkins in den „Confessions of an Economic Hitman“ (2004) aufs Tapet gebracht.

    Telepolis hat sich 2022 in einer dreiteiligen Serie damit befasst, inwieweit die Klimaschutzprojekte eine Fortführung desselben Prinzips darstellen, welches Perkins beschreibt.

    Man muss allerdings gar nicht so tief in die kritische Sphäre des Entwicklungshilfe-Diskurses eintauchen, um auf solche Gedanken zu verfallen.
    Auf dem Weg zur „Refeudalisierung der Politik“?

    2017 publiziert die Hilfsorganisation „Brot für die Welt“ die Studie „Gestiftete Entwicklung? – Die Kooperation zwischen der deutschen Entwicklungspolitik und privaten Stiftungen“. Darin spielt auch die Bill & Melinda Gates Stiftung eine tragende Rolle.

    So hebt die Studie gleich zu Beginn auf die „Kehrseite“ des „Philanthropie-Booms“ ab und kommt dabei vordergründig auf die Stiftung des Microsoft-Milliardärs zu sprechen:

    Es stellt sich die Frage, ob tatsächlich die Demokratie gestärkt wird, wenn gesellschaftliche Aufgaben dem guten Willen einiger ultrareicher Milliardäre wie Bill Gates und ihren Stiftungen überlassen werden. Thomas Gebauer, Geschäftsführer von medico international, sieht darin eher eine Art „Refeudalisierung von Politik“.
    Jens Martens und Karolin Seitz: „Gestiftete Entwicklung?“, Brot für die Welt, 2017 (Fettung P.F.)

    Diesem Ansatz entsprechend zitiert die Studie die britische NGO Global Justice Now, die das Interesse der Gates-Stiftung an der genetischen Veränderung und der Privatisierung von Saatgut, dem Einsatz von Chemikalien oder der Privatisierung von Gesundheitsdienstleistungen zu folgendem Urteil veranlasst:

    Es handelt sich um eine spezielle ideologische Strategie, die für eine neoliberale Wirtschaftspolitik, wirtschaftliche Globalisierung und die damit verbundene Technologie wirbt.
    John Curtis, Global Justice Now, zitiert nach „Gestiftete Entwicklung?“ (Fettung des Autors)

    Insgesamt benennt die Brot-für-die-Welt-Studie zentrale Aspekte, die die „Risiken und Nebenwirkungen“ der philanthrokapitalistischen Verbindung mit der Politik beschreiben:

    Anwendung reiner Wirtschaftslogik und Fokus auf kurzfristige Erfolge
    Unerschütterlicher Glaube in technologische Lösungen
    Förderung von Privatisierungstrends und Schwächung zwischenstaatlicher Institutionen
    Mangelnde Transparenz und Rechenschaft

    Das Fazit der Autoren zur BMGF fällt dementsprechend negativ aus:

    Die Gates-Stiftung favorisiert Interventionen, die schnelle Ergebnisse erzielen, während strukturelle Maßnahmen mit längerfristigen und schwerer messbaren Resultaten vernachlässigt werden. Die massive Förderung punktueller Impfkampagnen ist dabei das markanteste Beispiel.
    „Gestiftete Entwicklung?“, Brot für die Welt, 2017

    Entwicklungsländer als „Versuchslabore“?

    Mit Blick auf das „Globalvorhaben Digitale Transformation“ und den Vorwurf, die sogenannten Entwicklungsländer auf eine technologische Norm einzuschwören, ist auch das folgende Zitat einer akademischen Untersuchung interessant, die sich mit der Klima-Finanzialisierung auseinandersetzt:

    Innerhalb dieses räumlichen Neigung ("pivot"), dieses Neulands der Klimafinanzierung sollen Orte in Afrika die Grundlagen für eine globalistische Zukunft der digitalisierten Moderne entwickeln.
    Sam Unsworth: We don’t want to be colonialism 2.0’: emerging frontiers of climate finance for technology innovation, Finance and Space, Vol. 2, 2025

    Oder nur wenig paraphrasiert: Bedürftige Entwicklungsländer als „Versuchslabore“ für eine neue Weltordnung.

    In diesem Zusammenhang kann auch ein Bezug zum Wiederaufbau der Ukraine und ihrer Öffnung für westliche Investitions- und Gesellschaftsprojekte hergestellt werden – inklusive eines KI-gestützten, digitalisierten Staats und dem totalitären Missbrauchspotenzial, das er birgt.

    Inwieweit allerdings die Vorteile der Entwicklungshilfe, also die Aussicht auf Wohlstand überwiegen – und darin scheint wiederum auch eine Parallele zur frühen Bundesrepublik auf – kann an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden.

    An anderer Stelle hat sich Telepolis in diesem Kontext auf den US-Historiker Stephen Gill bezogen.

    Gill zufolge erkannte insbesondere das US-amerikanische Establishment in der seit den 1970er-Jahren zunehmenden Unabhängigkeit der Entwicklungsländer eher eine potenzielle Bedrohung der westlichen Hegemonie.

    Man erhoffte dort, dass man dies durch Einbindung in „kollektive Bündnisse“ ("collective frameworks") einzudämmen vermag (Vgl. Gill: American Hegemony And The Trilateral Commission, 1990). Auch darin kann man Parallelen zu Deutschland erkennen.

    Ferner bleibt angesichts der, wenn auch in den USA unter Trump schwer zurückgedrehten, Investitionen im Sinne der ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) sowie dem damit verbundenen Phänomen des (Social) „Impact Investing“ die Frage offen, inwieweit öffentlich-private Partnerschaften lediglich eine Form der scheinbaren Absolution darstellen, wie es Kritiker analog zum „Greenwashing“ unter Verwendung des Begriffs „impact washing“ behaupten.

  • Kann Tata die LKWs von Iveco retten ?
    https://www.telepolis.de/features/Kann-Tata-die-LKWs-von-Iveco-retten-10515561.html

    Tata-Vertretung im Oman. Foto : Philip Lange, shutterstock

    Compte rendu de l’état de la production d’autocars en Europe

    11.8.2025 von Christoph Jehle - Bei PKW wurden die Europäer bereits von chinesischen Herstellern überholt. Mit der Elektrifizierung kommt nun auch die Bereinigung im LKW-Markt. Werden hiesige Firmen dabei erfolgreicher sein?

    Bei PKW wurden die Europäer bereits von chinesischen Herstellern überholt. Mit der Elektrifizierung kommt nun auch die Bereinigung im LKW-Markt. Werden hiesige Firmen dabei erfolgreicher sein?

    In Europa sind in den vergangenen Jahrzehnten schon zahlreiche LKW-Marken verschwunden. Wer kennt heute noch die Ulmer Magirus oder die Braunschweiger Büssing, die schon Anfang der 1970er Jahre von der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) übernommen wurden und deren Braunschweiger Löwe so Einzug in das MAN-Logo fand.

    Mit der Übernahme der Marken ÖAF, Gräf & Stift sowie Steyr erwarb MAN dann Produktionskapazitäten in Österreich auf, und im ehemaligen Büssing-Werk Salzgitter werden nun Busse gebaut. Außerdem kaufte MAN 2001 die Busmarke Neoplan. Die deutschen Werke sind inzwischen Geschichte. Die Busproduktion findet in Ankara sowie in Starachowice in Polen statt.

    Auch die Kasseler Marke Henschel und die Hannoveraner Hanomag verschwanden 1974 vom Markt.

    Die mit Wirkung zum 1. Dezember 2021 durch Abspaltung von Daimler entstandene Daimler Truck Holding ist einer der weltweit größten Nutzfahrzeug-Hersteller mit über 40 Hauptstandorten. Zu den Marken zählen Freightliner, Western Star, BharatBenz, Thomas Built Buses und FUSO. Zur Mercedes-Benz-Omnibusproduktion gehören BharatBenz Buses, FUSO Buses und Setra.
    MAN und Daimler-Benz

    Mit dem Asiengeschäft war Daimler Trucks dagegen nicht so glücklich. Daher hat man den Geschäftsbereich Trucks Asia mit der Mitsubishi Fuso Truck and Bus Corporation – mit den Marken FUSO und RIZON – im Juni 2025 mit der Hino Motors von Toyota als neues Unternehmen zusammengeführt.

    Seit dem Jahr 2001 ist Renault Trucks ein Teil der schwedischen Volvo Group mit Sitz in Göteborg. Die LKW-Sparte ist unabhängig von Volvo Cars, die zur chinesischen Geely Holding zählt, die auch Anteile an Mercedes Benz und Smart besitzt. 2013 erwarb man 45 Prozent der Lkw-Sparte von Dongfeng, wodurch man einen Fuß in den chinesischen Markt bekam.

    In den PKW-Werken von Dongfeng in China wird von der ungarischen Tochter der französischen Renault Group bislang auch der Dacia Spring gebaut.
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    Volvo, DAF und Renault

    Die niederländische DAF, ursprünglich Van Doorne’s Automobiel Fabriek, hat ihren PKW-Zweig schon lange an Volvo abgestoßen und firmierte in einem Joint Venture mit Mitsubishi als Nedcar überdies auch als Auftragsfertiger für Smart. 1987 übernahm die LKW-Sparte von DAF den britischen Hersteller Leyland und verdoppelte damit seine Produktionskapazitäten.

    1993 musste DAF Insolvenz anmelden, startete im gleichen Jahr jedoch unter dem Namen DAF Trucks neu und wurde im Jahr 1996 vom amerikanischen Nutzfahrzeughersteller Paccar übernommen.

    Renault Véhicules Industriels (RVI), heute Renault Trucks geht auf die Marken Saviem und Berliet zurück und wurde 1981 durch die Übernahme des Lastwagenbereichs von Peugeot ergänzt. 1990 kam Mack Trucks in den USA dazu.

    1993 gründete RVI mit dem tschechischen Omnibushersteller Karosa ein Joint Venture, das 1998 wieder ausgegliedert wurde und unter dem Namen Irisbus in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Iveco aus dem Fiat-Konzern eingebracht wurde, das 2001 vollständig an Iveco ging.
    Fiat stößt Iveco an den indischen Hersteller Tata ab

    Nachdem die Familie Agnelli im Jahre 2021 schon ihre Automobilmarke Fiat an den multinationalen Konzern Stellantis verkauft hatte, stand 2025 auch die Trennung von der LKW-Sparte an. Daran war die Agnelli-Holding Exor noch mit 27 Prozent beteiligt.

    Schon 1975 waren die Nutzfahrzeughersteller Fiat, Lancia, OM, Unic und Magirus-Deutz und später die spanische Pegaso in Iveco aufgegangen. Pegaso war ein staatliches Unternehmen in der Nachfolge der LKW-Fertigung von Hispano-Suiza. Seit 1994 wird auch in Spanien nur noch die Marke Iveco verwendet.

    Bevor Tata jedoch Iveco übernehmen kann, wird der Rüstungsbereich (Iveco Defence Vehicles) an den italienischen Rüstungskonzern Leonardo verkauft, der ihn möglicherweise an Rheinmetall weiterreichen wird.
    Durchaus europäische Tradition bei Tata

    Tata war mit Daimler bereits seit 1954 verbunden, die Anteile am indischen Hersteller hielten. 2010 wurde die Beteiligung verkauft, die Zusammenarbeit im PKW-Bereich jedoch nicht beendet. Mercedes nutzt noch immer die Lackieranlagen von Tata in Pune für seine lokal produzierten Baureihen Mercedes-Benz E- und S-Klasse.

    Im LKW-Bereich hatte man sich jedoch schon vor Jahren getrennt. Daimler Trucks hat vor zehn Jahren ein Nutzfahrzeugwerk im Südosten Indiens errichtet, in dem Lastwagen verschiedener Gewichtsklassen vom Band laufen sollen. Die Produktionskapazität soll bei bis zu 70.000 Fahrzeuge jährlich liegen.

    Im PKW-Bereich hatte sich Tata 2008 auf dem Umweg über Ford bei Jaguar Land Rover, einem Überbleibsel von British Leyland eingekauft.
    Tata will emissionsfreie LKW bauen

    Nun beabsichtigt Tata Motors mit Iveco in großem Stil in den europäischen Nutzfahrzeugmarkt einzusteigen. Der Konzern besitzt in diesem Bereich bisher keine europäischen Produktionsstätten. Iveco erzielt wiederum drei Viertel seines Umsatzes in Europa. Die Italiener stellen bereits rein batterieelektrische Nutzfahrzeuge her.
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    Die fusionierte Gruppe strebt einen Jahresabsatz von über 540.000 Fahrzeugen und einen Umsatz von rund 22 Milliarden Euro an. Der Umsatz soll zu 50 Prozent auf Europa, zu 35 Prozent in Indien und zu 15 Prozent in den USA erzielt werden.

    Ob MAN, Daimler, DAF und Iveco/Tata gegen die chinesische Konkurrenz bestehen werden, wird sich allerdings erst noch erweisen müssen. Weitere Konsolidierungswellen sind keineswegs ausgeschlossen.

    #Europe #Industrie #automobile #omnibus #autocar

  • Die Tiktokisierung der Seifenoper
    https://www.telepolis.de/features/Die-Tiktokisierung-der-Seifenoper-10504381.html

    niert Kampfkunst vor fernöstlich anmutender Kulisse Grafik : Avesun, shutterstock

    Comment faire pour raconter des histoires complexes en épisodes de moins que trois minutes ?

    31.7.2025 von Uwe Kerkow - China erfindet die Serie neu: Dramen, zerlegt in kleine Häppchen, erobern die Bildschirme. Dort übersteigen die Umsätze auch schon die Kinoeinnahmen. Was macht den Erfolg der Minis aus?

    China erfindet die Serie neu: Dramen, zerlegt in kleine Häppchen, erobern die Bildschirme. Dort übersteigen die Umsätze auch schon die Kinoeinnahmen. Was macht den Erfolg der Minis aus?

    Minutenkurze chinesische Dramen, auch bekannt als Mikro-Dramen oder „Wei Ju“, sind ein rasant wachsendes Phänomen in der chinesischen Unterhaltungslandschaft. Die oft als Miniserien bestehen aus extrem kurzen Episoden, die in der Regel eine bis drei Minuten dauern.

    Präsentiert werden schnelllebige, spannungsgeladene Geschichten, die die Zielgruppe – meiste junge Frauen – rasch und gleichzeitig dauerhaft fesseln.

    Die Serien heißen beispielsweise “Die Fake-Heirat mit meinem milliardenschweren CEO”, „Die Rückkehr der verlassenen Erbin“ oder „Der Quarterback von nebenan“. Ziel ist es, die 50 Episoden einer solchen Serie – jede zwischen ein und zwei Minuten lang – in nur vier Tagen zu drehen. Wie El País in seiner englischen Ausgabe berichtet, beträgt das Budget dafür umgerechnet etwa 53.000 US-Dollar.

    Mini-Formate, Mini-Budgets

    Dieses Projekt ist Teil eines neuen Trends, den Chinas boomende Mikro-Drama-Industrie bedient – ein kulturelles Phänomen. Der Hype ist ziemlich neu und entstand um das Jahr 2020 in Verbindung mit Video-Apps wie Douyin (dem chinesischen Pendant zu TikTok). Seitdem hat sich dieser Trend rasant ausgebreitet, wobei zahlreiche Apps eine schier endlose Auswahl an Titeln anbieten.

    Jede Episode bietet eine schnelle, intensive Dosis von Drama, Romantik, Mystery oder Komödie, die in wenigen Minuten konsumiert werden kann – perfekt für viel beschäftigte Zuschauer oder für die mobile Nutzung im vertikalen Format, auf das die Produktion von vorneherein ausgerichtet wird.

    Trotz dieser Kürze bieten Mikro-Dramen oft komplexe Handlungsstränge mit Wendungen, emotionaler Tiefe und starker Charakterentwicklung, die traditionellen Seifenopern ähneln. Beliebte Themen sind Rache, Romantik, Wiedergeburt oder sogenannte CEO-Tropes. Cliffhanger und ständige, möglichst überraschende Wendungen halten die Zuschauer in Atem.
    Emotionale Tiefe und komplexe Handlung

    Die Dramen decken ein breites Spektrum an Genres ab, darunter Romantik, Fantasy, Wuxia, Hofdramen und Mystery, und zeichnen sich oft durch hohe Qualität aus – trotz der geringen Budgets und der kurzen Laufzeiten. Viele Macher veröffentlichen sogar täglich neue Episoden

    Ebenso neuartig wie die Erzählform ist die Vermarktung, die ausschließlich digital erfolgt. Genutzt werden hauptsächlich chinesische Plattformen wie Kuaishou und iQIYI. Das internationale Publikum erreichen die Macher über Apps wie ReelShort und DramaBox oder soziale Medien wie TikTok.

    Typischerweise werden diese Mini-Dramen zu Serien mit 50 bis 100 Episoden zusammengestellt. Die ersten Clips kann man oft kostenlos ansehen – für die folgenden Episoden wird dann jeweils eine geringe Gebühr fällig. Andere Vermarktungsmodelle beinhalten aber auch Pauschalpreise, VIP-Boni oder Gebühren für den werbefreien Genuss der Filmchen. Die Kosten schwanken zwischen 10 und 20 Dollar pro Woche.

    Bedeutende Umsätze

    Die Mikro-Drama-Industrie erzielt inzwischen bedeutende Umsätze. Im Jahr 2024 stiegen die Einnahmen auf umgerechnet etwa 6,8 Milliarden US-Dollar. Damit übertrafen sie erstmals die Einnahmen an den Kinokassen. Allein im Juni 2025 erreichte die Zahl der Nutzer laut China Daily 576 Millionen Menschen.

    Die südchinesische Stadt Hengdian hat sich zu einem Mekka für Mikro-Dramen entwickelt und zieht viele Glücksritter an, die sich im Filmchenbusiness versuchen wollen. Hier residieren die Hengdian World Studios, wo 2024 etwa 1.500 Drehs für die Mini-Dramen stattgefunden haben.

    Chinesische Internetgiganten haben das Potenzial erkannt und setzen immer höhere Maßstäbe. Sie streben vor allem professionellere Arbeiten an und investieren dafür beträchtliche Summen, arbeiten mit Plattformen zusammen und engagieren namhafte Schauspieler. Das erklärte Ziel ist es, die Unterschiede zum Kino vergessen zu machen.

    Globale Expansion?

    Und die chinesischen Unternehmen nehmen nun auch die globale Expansion in den Blick. Einige Plattformen, die außerhalb Chinas zugänglich sind, bieten bereits übersetzte chinesische Mikro-Dramen an: ByteDance brachte Ende 2024 eine eigene App namens Melolo für Südostasien auf den Markt.

    ReelShort, unterstützt von den chinesischen Giganten Tencent und Baidu, ist die größte Mikro-Drama-Plattform in den Vereinigten Staaten. Chinesische Produktionsfirmen erstellen bereits Inhalte auf Englisch, und Hengdian World Studios haben Allianzen geschlossen, um die internationale Expansion voranzutreiben.

    Es wird spannend sein zu beobachten, ob und wie sich dieses Phänomen in den globalen Unterhaltungsmarkt integriert – ob die Handlungen, voll von Verrat und spektakulären Kämpfen, weltweit Anklang finden oder ob sie ein asiatisches Phänomen bleiben. Zumindest außerhalb Asiens und der USA ist die Akzeptanz des Formats jedenfalls noch ziemlich begrenzt, auch wenn chinesische Medien stolz auf die Erfolge der jungen Industrie verweisen.

  • Umfrage : Experten weiter komplett uneins über Quantenmechanik
    https://www.telepolis.de/features/Umfrage-Experten-weiter-komplett-uneins-ueber-Quantenmechanik-10505427.htm

    Je sais que je ne sais rien, alors je me trouve au même niveau de connaissce que les meilleurs physiciens du monde. Est- ce rassurant ou inquiétant ?

    31.7.2025 von Marcel Kunzmann - Quantenphysik spaltet Forscher auch nach 100 Jahren. Experten zeigen fundamentale Meinungsverschiedenheiten. Was bedeutet das für unser Weltbild?

    Quantenphysik spaltet Forscher auch nach 100 Jahren. Experten zeigen fundamentale Meinungsverschiedenheiten. Was bedeutet das für unser Weltbild?

    Ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung bleibt die Quantenmechanik eine der erfolgreichsten und zugleich umstrittensten Theorien der Physik. Eine neue Umfrage des Fachmagazins Nature unter mehr als 1100 Forschern zeigt, wie tief die Wissenschaftsgemeinde über die Grundlagen der Theorie gespalten ist.

    Bei einer Veranstaltung zum 100. Jahrestag der Quantenmechanik im vergangenen Monat verdeutlichten zwei Nobelpreisträger den Konflikt: „Es gibt keine Quantenwelt“, erklärte der Physiker Anton Zeilinger von der Universität Wien. Quantenzustände existierten nur in seinem Kopf und beschrieben Information, nicht die Realität. „Ich widerspreche“, antwortete Alain Aspect von der Universität Paris-Saclay, der sich 2022 mit Zeilinger den Nobelpreis für Arbeiten über Quantenphänomene teilte.

    Wellenfunktion: Real oder nur Werkzeug?

    Nature führte die größte jemals durchgeführte Umfrage zu diesem Thema durch und kontaktierte mehr als 15.000 Forscher, deren jüngste Arbeiten sich mit Quantenmechanik befassten.

    Die über 1100 Antworten, hauptsächlich von Physikern, offenbarten fundamentale Meinungsverschiedenheiten. Bei der zentralen Frage nach der Wellenfunktion – der mathematischen Beschreibung eines Quantenzustands – gingen die Ansichten stark auseinander: 36 Prozent der Befragten sehen sie als etwas Reales, 47 Prozent als bloßes Werkzeug und 8 Prozent als Beschreibung subjektiver Überzeugungen über Versuchsergebnisse.

    Dies zeigt eine tiefe Spaltung zwischen „realistischen“ Ansätzen, die Gleichungen auf die reale Welt projizieren, und „epistemischen“ Sichtweisen, die besagen, dass Quantenphysik nur Information beschreibt.

    Ebenso gespalten zeigten sich die Forscher bei der Frage, ob es eine Grenze zwischen Quanten- und klassischer Welt gibt: 45 Prozent bejahten dies, 45 Prozent verneinten es, 10 Prozent waren unsicher. Mehr als 100 Befragte lehnten die Fragestellung ganz ab und gaben eigene Interpretationen.

    „Ich finde es bemerkenswert, dass Menschen, die sehr viel über Quantentheorie wissen, von völlig gegensätzlichen Ansichten überzeugt sein können“, sagte Gemma De les Coves, Theoretische Physikerin an der Pompeu Fabra Universität in Barcelona.
    Kopenhagen dominiert, aber umstritten

    Die Kopenhagener Interpretation, entwickelt von Werner Heisenberg und Niels Bohr in den 1920er Jahren, führt weiterhin die Rangliste an: 36 Prozent der Befragten bevorzugten diesen praktischen und oft gelehrten Ansatz.

    Diese Interpretation besagt, dass Quanteneigenschaften erst durch Messung definiert werden und dass die Beobachtung selbst das Ergebnis beeinflusst.

    Besonders Experimentalphysiker neigen zu dieser Sichtweise - fast die Hälfte von ihnen bevorzugte sie, verglichen mit 33 Prozent der Theoretiker. „Es ist die einfachste, die wir haben“, erklärte Décio Krause, Philosoph an der Bundesuniversität Rio de Janeiro, der an der Umfrage teilnahm. Kritiker wenden jedoch ein, dass Kopenhagens Dominanz eher auf historischen Zufällen als auf konzeptionellen Stärken beruhe.

    „Ich bin enttäuscht, aber nicht überrascht über die Popularität von Kopenhagen“, sagte Elise Crull, Philosophin für Physik an der City University of New York. „Mein Gefühl ist, dass Physiker nicht reflektiert haben.“ Bemerkenswert: Nur 24 Prozent aller Befragten hielten ihre bevorzugte Interpretation für korrekt – andere betrachteten sie lediglich als angemessen oder als nützliches Werkzeug unter bestimmten Umständen.

    Alternative Welten gewinnen Anhänger

    Die Viele-Welten-Interpretation, 1957 von Hugh Everett vorgeschlagen, fand bei 15 Prozent der Befragten Zustimmung. Diese radikale Theorie besagt, dass sich das Universum bei jeder Quantenmessung in parallele Welten aufteilt, in denen alle möglichen Ergebnisse gleichzeitig auftreten.

    „Es erfordert eine dramatische Anpassung unserer Intuition über die Welt, aber das ist genau das, was wir von einer fundamentalen Theorie der Realität erwarten sollten“, erklärte Sean Carroll, Physiker und Philosoph an der Johns Hopkins University in Baltimore.

    Weitere 7 Prozent bevorzugten die Bohmsche Mechanik, die durch „Führungswellen“ den Determinismus wiederherstellt, während 4 Prozent spontane Kollaps-Theorien favorisierten, bei denen die Wellenfunktion von selbst zusammenbricht.

    Auffällig ist der Anstieg epistemischer Interpretationen, die Quantenmechanik als Beschreibung von Wissen statt physikalischer Realität verstehen: 17 Prozent unterstützten diese Position, verglichen mit nur 7 Prozent in einer kleineren Umfrage von 2016.

    „Es ist die vorsichtigste Sichtweise“, sagte Ladina Hausmann, Theoretische Physikerin an der ETH Zürich. „Sie erfordert nicht, dass ich etwas über die praktische Nutzung des Quantenzustands hinaus annehme.“

    Die Umfrage zeigt, dass viele Quantenforscher die Theorie schlicht anwenden, ohne sich tiefgreifend mit ihrer Bedeutung auseinanderzusetzen – der sogenannte „Halt die Klappe und rechne“-Ansatz, wie Renato Renner von der ETH Zürich erklärte.

    „Wir hätten keinen Quantencomputer, wenn jeder wie ich wäre“, fügte der Grundlagenforscher hinzu.

    #physique #wtf #science