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  • Gräuel und Vergeltung : Das Massaker der Hamas und Israels Krieg im Spiegel der Geschichte
    https://www.telepolis.de/features/Graeuel-und-Vergeltung-Das-Massaker-der-Hamas-und-Israels-Krieg-im-Spiegel


    Das Massaker von Kanpur in einer zeitgenössischen Darstellung. Bild : jenikirbyhistory

    L’attaque du Hamas contre l’état d’Israël n’a rien d’exceptionnel. La révolte des colonisès et la rèpression par les colons produisent systématiquement des tragédies. Voilà le cas de la révolte des Sepoys contre l’empire britannique en 1857. L’article cite un journaliste contemporain, un certain Karl Marx.

    20.4.2034 von Andreas Wehr - Der Aufstand der indischen Sepoys von 1857 und der Angriff der palästinensischen Hamas 2023. Parallelen und unangenehme Fragen. Ein Vergleich.

    Im Sommer 1857 kam es in dem von Großbritannien beherrschten Indien zu einem Aufstand, der durch seine Grausamkeiten weltweit Entsetzen und Abscheu auslöste, und der bis heute nachwirkt. Die damaligen Ereignisse sollen hier zunächst in aller Kürze dargestellt werden. Grundlage hierfür ist der Artikel „Indischer Aufstand: Das britische Trauma vom Massaker von Kanpur“ des Historikers Berthold Seewald in der Tageszeitung Die Welt.

    Ausgelöst durch das Gerücht, die Patronen ihrer neuen Enfield-Gewehre würden Fett von Kühen und Schweinen enthalten, hatten sich zunächst in Meerut Hindu- und Muslim-Sepoys der East India Company gegen ihre britischen Offiziere und Unteroffiziere erhoben.

    Hintergrund war, dass man die Hüllen der Patronen vor dem Laden mit den Zähnen aufbeißen musste, sodass die Soldaten Gefahr liefen, Spuren des Fetts ungewollt zu sich zu nehmen. Das war – was die Kühe betraf – für Hindus aus religiösen Gründen unerträglich, und für die Moslems stellte das Schweinefett ein unüberwindliches Hindernis dar.

    Andauernde Unterdrückung und Aufstand

    Diese Zumutungen waren aber nur Anlass für den Aufstand. Ursachen waren die andauernde Unterdrückung, Demütigung und Missachtung der einheimischen Bevölkerung durch die englischen Kolonialherren.

    Als Sepoys wurden die von der englischen Kolonialmacht unterhaltenen indischen Truppen bezeichnet. Die „Große Meuterei“, wie die Erhebung auch genannt wird, hatte Anfang Juni 1857 die Garnison in Kanpur (im heutigen indischen Bundesstaat Uttar Pradesh) unter dem Befehl des englischen Kommandanten Hugh Wheeler erfasst. Im Juni spitzte sich die Situation zu. Unter Führung des Großmoguls Nana Sahib schlossen sich die indischen Truppen dort dem Aufstand an.

    Kanpur 1857: Das Leiden der Belagerten

    Das Gros der 3.000 Sepoys verweigerte den Befehl. 300 europäische Soldaten, 80 indische sowie einige Hundert Zivilisten, darunter 400 Frauen und Kinder, zogen sich daraufhin in den befestigten Kern der Garnison zurück. Wassermangel, Hunger, Krankheiten, der Gestank der Leichen sowie die seelische Belastung untergruben bald den Durchhaltewillen der Belagerten.

    Als klar wurde, dass auf Ersatz nicht zu hoffen war – die Aufständischen hatten die Telegrafenleitungen gekappt –, beschlossen Wheeler und seine Offiziere, das Angebot Nana Sahibs anzunehmen: freier Abzug nach Aufgabe.

    Am 27. Juni 1857 verließen die Briten die Ruinen und marschierten zum Ganges, wo sie Boote erhalten sollten, mit denen sie sich nach Allahabad durchschlagen wollten.

    Waffen und Munition durften sie mitnehmen, doch das half ihnen wenig. Die Boote wurden in Brand geschossen und versenkt, vorwiegend Männer wurden dabei getötet.

    Ruhr und Cholera unter Flüchtlingen

    125 Frauen und Kinder wurden in einem Frauenhaus eingepfercht. Zusammen mit weiteren Flüchtlingen kampierten dort rund 200 Menschen unter entsetzlichen Bedingungen. Ruhr und Cholera dezimierten die Inhaftierten.

    Als britische Truppen auf Kanpur vorstießen, setzte Nana Sahib die Eingeschlossenen als Geiseln für Verhandlungen ein. Da sich die englischen Truppen unter Befehl des Generals Henry Havelock aber als überlegen erwiesen und vorrückten, beschloss die Führung der Rebellen, die Gefangenen umzubringen, bevor die Briten die Stadt erreichten.
    Mord an Frauen und Kindern

    Am 15. Juli wurden die wenigen verbliebenen Männer ermordet. Die Sepoys weigerten sich aber, auch die 65 Frauen und Kinder zu töten, die die Tortur bis dahin überlebt hatten.

    So wurden Fleischer aus dem Basar der Stadt gedungen. Sie sollen eine Stunde benötigt haben, um mit ihren Schlachtmessern das grausame Werk zu vollbringen. Die Opfer wurden nicht nur getötet, sondern regelrecht zerteilt. Anschließend wurden ihre Überreste in einen Brunnen geworfen. Auch einige Überlebende wurden hineingeworfen und starben unter der Last der Verstümmelten.

    Als die Briten am 17. Juli 1857 in die Stadt einrückten, fanden sie – folgt man den kolportierten Berichten darüber – Kinderschuhe, in denen noch die Füße steckten. Blutige Hand- und Fußabdrücke an den Wänden zeugten von der Passion der Opfer.

    „Im Hof fünf Zentimeter hoch das Blut, Haarzöpfe und Kleider der armen Ladys, alles wurde vorgefunden“, notierte eine entsetzte Queen Victoria im fernen London nach der Lektüre der Zeitungen in ihr Tagebuch.
    Maßlose Rache sorgte für Entsetzen

    Nicht allein in Großbritannien, in ganz Europa und im Rest der sogenannten westlichen, „zivilisierten“ Welt war das Entsetzen über das Geschehene groß.

    So sah auch Karl Marx Anlass, die Ereignisse in mehreren Artikeln zu beschreiben und zu kommentieren. Am 16. September 1857 erschien in der New York Daily Tribune von ihm der Zeitungsbericht „Der indische Aufstand“.1

    Marx stellte die von den Sepoys begangenen Taten keineswegs in Abrede, er verglich sie aber sogleich mit der Gewalt, die unter dem „Beifall des respektablen Englands“ regelmäßig ausgeübt wird, wenn sie nur der Wahrung der eigenen Interessen dient, ob sie nun von den Engländern selbst oder von anderen Völkern ausgeübt wird, ob in Europa oder in den Kolonien, entscheidend ist immer das Klasseninteresse. Marx schrieb:

    Die von den revoltierenden Sepoys in Indien begangenen Gewalttätigkeiten sind in der Tat entsetzlich, scheußlich, unbeschreiblich - so, wie man sie nur in Insurrektionskriegen, in Kriegen von Völkerstämmen und Geschlechtern und vor allem in Religionskriegen anzutreffen erwartet, mit einem Wort, solche Gewalttätigkeiten, wie sie den Beifall des respektablen Englands zu finden pflegten, wenn sie von den Männern der Vendée an den „Blauen“, von den spanischen Guerillas an den ungläubigen Franzosen, von den Serben an ihren deutschen und ungarischen Nachbarn, von den Kroaten an den Wiener Aufständischen, von Cavaignacs Garde mobile oder von Bonapartes Dezemberleuten an den Söhnen und Töchtern des proletarischen Frankreichs verübt wurden.
    Karl Marx, Der indische Aufstand, a.a.O. S. 285

    Marx kommt dann auf die Ursache der Gewalt zu sprechen:

    Wie schändlich das Vorgehen der Sepoys auch immer sein mag, es ist nur in konzentrierter Form der Reflex von Englands eigenem Vorgehen in Indien nicht nur während der Zeit der Gründung seines östlichen Reiches, sondern sogar während der letzten zehn Jahre einer lang bestehenden Herrschaft. Um diese Herrschaft zu charakterisieren, genügt die Feststellung, daß die Folter einen organischen Bestandteil ihrer Finanzpolitik bildete. In der Geschichte der Menschheit gibt es so etwas wie Vergeltung; und es ist eine Regel historischer Vergeltung, daß ihre Waffen nicht von den Bedrückten, sondern von den Bedrückern selbst geschmiedet werden.

    Der letzte Satz bezog sich auf die Tatsache, dass es von den Engländern ausgebildete und ausgerüstete Truppen waren, die diese Taten begangen. Britannien hatte die Sepoys erst geschaffen.

    In dem Artikel zeigt sich die Überlegenheit der marxschen Argumentation. Er beließ es nicht bei der üblichen bigotten Empörung über die begangenen Taten der Aufständischen, sondern verglich sie mit dem alltäglichen Terror der Unterdrücker, der nicht weniger grausam ist. Er ordnete die Ereignisse historisch ein und machte sie dadurch erklärbar.

    Von den Friedensorganisationen in England und in den USA wurden die indischen Ereignisse von 1857 unterschiedlich, ja gegensätzlich bewertet. Domenico Losurdo geht in seinem Buch „Gewaltlosigkeit. Eine Gegengeschichte“ darauf ein:

    Die im Westen vorherrschende Stimmung beeinflusste auch die American Peace Society. Deren Mehrheit argumentierte folgendermaßen: Selbst wenn die Herrschaft Englands in Indien unrechtmäßig entstanden sei, hätten die Regierungen dennoch die Pflicht, die Ordnung aufrechtzuerhalten und zu respektieren. Anders formuliert, seien die Aufständischen im Unrecht, wenn sie zur Gewalt griffen und die herrschenden Rechtsnormen verletzten. Letztendlich seien sie somit Banditen und Kriminelle. Es handle sich also nicht um einen Krieg, sondern um einen Zusammenstoß zwischen gewöhnlichen Verbrechern und Polizeikräften.

    Losurdo zieht daraus den Schluss: Das „allgemeine Prinzip der Gewaltlosigkeit“ konzentriert „seine Kritik auf die gewalttätige Rebellion der Unterdrückten, ohne Kritik an der (brutalen) Art der Wiederherstellung der Ordnung zu üben (…)“.

    Anders die Reaktion der Friedensfreunde auf der anderen Seite des Atlantiks:

    Die Schwestergesellschaft, die London Peace Society, die sich in England konstituiert hatte, identifiziert sich nicht mit der Haltung der American Peace Society, und spricht – sich von dieser distanzierend – hinsichtlich des Konflikts in Indien ohne Zögern von Krieg und verurteilt damit auch die Gewalt der englischen Regierung. Die Verurteilung konzentriert sich jetzt sogar in erster Linie (Losurdo zitiert dafür den US-amerikanischen Professor für religiöse Studien, Valerie H. Ziegler, aus seinem Buch „The Advocates of Peace in Antebellum America“, d.A.) auf die „maßlose Machtgier und Ambition“ der Kolonialmacht, auf „die unverschämten Aggressionen“, auf ihren Anspruch, „Indien mit dem Schwert zu regieren“, und auf die „Erniedrigung von 150 Millionen Personen“. Nicht viel anders ist die Haltung, die Marx der „Katastrophe“ gegenüber einnimmt.

    Es ist Marx, der darauf aufmerksam macht, dass man nicht vergessen sollte, dass, „während die Gräueltaten der Engländer als Zeugnisse militärischer Kraft dargestellt und einfach und schnell erzählt werden, ohne bei abscheulichen Einzelheiten zu verweilen, die Gewalttätigkeiten der Eingeborenen, so entsetzlich sie sind, noch vorsätzlich aufgebauscht werden.“
    Gräueltaten und Vergeltung

    Nach Berthold Seewald erkannte auch der Times-Reporter William Russell, der wenige Monate später Kanpur besuchte, dass die Medien vor allem aus Briefen schöpften, die „von geschickten Meistern in dieser Art Kochkunst, mit so viel Schrecken gepfeffert, wie sie die Einbildungskraft noch nie ersonnen“.

    Die tatsächlich begangenen Gräueltaten und erst recht die Hinzugedichteten wurden als Rechtfertigung benutzt, um jede noch so infame Vergeltungsmaßnahme der englischen Kolonialmacht zu rechtfertigen:

    Wenn das Grauen, das die Briten vor Ort sahen, bereits ausgereicht hatte, um brutale Vergeltung zu üben, so sorgte der Schwall nationaler Entrüstung aus Europa dafür, alle Hemmungen dabei abzuwerfen. Sepoys, die das Pech hatten, gefangen genommen zu werden, mussten den Boden des Frauenhauses mit ihren Zungen ablecken, bevor sie gehenkt wurden. Muslime wurden zuvor in Schweineschwarten genäht, Hindus zwang man, Rindfleisch zu essen. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, Gefangene vor die Mündung von Kanonen gebunden, bevor man diese abfeuerte.
    Berthold Seewald

    Diese bestialischen Methoden der Vergeltung wurden aus einer besonderen Motivation heraus begangen: „Die besondere Schwere des Massakers von Kanpur bestand darin, dass es von einem unterworfenen Volk begangen wurde – von dunkelhäutigen Männern, die es wagten, das Blut ihrer Herren und das hilfloser Damen und Kinder zu vergießen.“

    „Herausragende Verbrechen“ im Sommer 1857

    So erklärte der britische Kriegsberichterstatter William Howard Russell das „herausragende Verbrechen“, das sich im Sommer 1857 auf dem Höhepunkt des indischen Aufstandes ereignete. Es sollte die Sicht der Briten auf ihre Untertanen nachhaltig prägen.

    Das Massaker von Kanpur wirkte auch nach der Niederschlagung des Aufstandes nach. Es wurde zur viel zitierten Begründung für das Trauma „von der stets lauernden Gefahr für die weiße Frau durch die ungezügelte Begierde des wilden Eingeborenen, die selbst bei Indern der Oberschicht bestenfalls unter einem dünnen Firnis angenommener europäischer Bildung und Sitten schlummerte“, wie es der Historiker Peter Wende formulierte. Derartige kolonialistische und rassistische Klischees sollten sich bis in die Gegenwart halten.
    Das Massaker der Hamas im Oktober 2023

    Am 7. Oktober 2023 überwanden Kämpfer des militärischen Arms der palästinensischen Organisation Hamas den schwer befestigten Grenzzaun zwischen dem Gaza-Streifen und Israel, überfielen dort Siedlungen und ein unmittelbar am Zaun stattfindendes Jugendfestival.

    Sie töteten etwa 1.200 Menschen, Israelis und Angehörige anderer Nationen. Das von Marx mit Blick auf die Taten der Sepoys gefällte Urteil als „in der Tat entsetzlich, scheußlich, unbeschreiblich“ trifft auch auf die Gewalt der Hamas zu.

    Neben Soldaten wurden Hunderte Unschuldiger, Männer, Frauen, Kinder getötet, ganze Familien wurden gemeinsam hingerichtet. Etwa 230 Geiseln wurden verschleppt.

    Das Massaker der Hamas und die Ausweglosigkeit der Palästinenser

    Wie seinerzeit kaum über die Ursachen für die in Indien ausgebrochene Gewalt gesprochen wurde, so wird heute über die Leiden, die Verzweiflung und die Ausweglosigkeit der Palästinenser in dem „offenen Gefängnis“ Gaza geschwiegen.

    Unerwähnt bleibt, dass sich das palästinensische Volk seit der Staatsgründung Israels 1947 einer Politik der Unterdrückung, der Vertreibung und des Terrors ausgesetzt sieht. Politik und Medien des Westens ignorieren dies weitgehend.

    Sie machen sich stattdessen die Sicht der American Peace Society von 1857 gegenüber dem Sepoy-Aufstand zu eigen, wonach es sich bei den Kämpfern der Hamas lediglich um „Banditen und Kriminelle“ handele, heute pauschal als „Terroristen“ abgetan.

    Es geht also nicht um einen Krieg, sondern nur um einen Zusammenstoß zwischen gewöhnlichen Verbrechern und Polizeikräften.
    Die maßlose israelische Rache

    Dementsprechend geht die israelische Regierung bei der Beschreibung ihres Krieges im Gaza-Streifen verharmlosend von „Antiterrormaßnahmen“ aus.

    In einem Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wird „die Dezimierung der Terrorbande“ als „Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden verlangt“.2

    Lenin schrieb im Mai 1917 in seiner Schrift „Krieg und Frieden“ über diese Kolonialkriege, die eigentlich gar keine Kriege sein sollen:

    Nehmen sie die Geschichte der kleinen Kriege (…), weil in diesen Kriegen wenig Europäer, dafür aber Hunderttausende aus jenen Völkern umkamen, die sie versklavten, die von ihrem Standpunkt nicht einmal als Völker angesehen werden (irgendwelche Asiaten, Afrikaner – sind das etwa Völker?); mit diesen Völkern wurden Kriege folgender Art geführt: sie waren waffenlos, und man mordete sie mit Maschinengewehren.

    Und er fügte sarkastisch hinzu: „Sind denn das Kriege? Das sind doch eigentlich keine Kriege, das kann man der Vergessenheit anheimfallen lassen.“
    Vergeltung Israels ohne Proportionalität

    Wie die Rache der Engländer 1857 maßlos und extrem grausam war, so übersteigt auch die Vergeltung Israels heute jegliche Proportionalität und wird in ihrer Zerstörungswut zu Recht als Völkermord verurteilt:

    Mehr als 40.000 Tote, davon 36.330 Zivilpersonen, 14.861 Kinder, 9.273 Frauen bilanziert der ’Euro-Med Human Rights Monitor’ nach 160 Tagen Krieg gegen Gaza.

    74.400 Verletzte, zwei Millionen Vertriebene, 112.000 völlig zerstörte, 256.100 stark beschädigte Wohngebäude, 2.131 zerstörte Betriebe, 634 zerstörte Moscheen, drei zerstörte Kirchen, 200 zerstörte Stätten des Kulturerbes, 175 zerstörte oder stark beschädigte Medienbüros und 134 bei ihrer Berufsausübung getötete Journalisten.

    Während aber über jedes noch so kleine Detail des Schicksals der getöteten und verletzten Israelis wieder und wieder ausführlich berichtet wird, und für die verschleppten Geiseln eine weltweite Solidaritätsbewegung organisiert wurde, bleiben die in die Zehntausende zählenden palästinensischen Opfer gesichtslos und daher anonym.
    Gewalt als Zeugnis militärischer Kraft

    Schon allein die wahllosen Bombardierungen der israelischen Armee sorgen dafür, dass sich nur noch wenige Journalisten in den Gaza-Streifen trauen, und so gibt es auch immer weniger Nachrichten und Bilder von den Leiden der Palästinenser.

    Wie die Gräueltaten der Engländer in Indien werden auch die heutigen der Israelis – wie Marx schrieb – „als Zeugnisse militärischer Kraft dargestellt und einfach und schnell erzählt (…), ohne bei abscheulichen Einzelheiten zu verweilen“.
    Kolonialismus und „Herrenvolk“-Demokratie

    Es zeigt sich also, dass es auffällige Parallelen zwischen dem indischen Aufstand von 1857 und dem Angriff der Hamas im Jahr 2023 gibt. Auch die maßlosen Reaktionen darauf – seinerzeit der Engländer, heute der Israelis – ähneln sich. Und das ist alles andere als zufällig; existiert doch noch immer der Kolonialismus. Als „Herrenvolk“-Demokratie unterdrückt Israel die Palästinenser.

    1947, 90 Jahre nach dem Sepoy-Aufstand, erlangte Indien seine Unabhängigkeit und konnte damit das koloniale Joch abschütteln. Die Palästinenser warten seit 76 Jahren auf ihren Staat.

    #révolte #colonialisme #British_Raj #Inde #Palestine #histoire

  • Die Zwei-Staaten Lösung ist offiziell tot
    https://www.telepolis.de/features/Die-Zwei-Staaten-Loesung-ist-offiziell-tot-9690671.html

    Ça y est, les responsables du massacre du 7 octobre déclarent qu’il n’y aura pas d’état Palestinien. L’oppression du peuple de Palestine sera maintenue ad infinitum alors on verra d’autres massacres après l’extermination des habitants de Gaza. Elle est encore loin la paix entre le fleuve et la mer. J’ai peur que les massacres ne finissent qu’une fois le compte des victimes déchiquetées soit le même des deux côtés.

    Vous avez appris qu’il a été dit : oeil pour oeil, et dent pour dent.
    Matthieu 5:38

    19.4.2024 von Uwe Kerkow - USA legen in Sicherheitsrat Veto gegen UNO-Mitgliedschaft Palästinas ein. Damit sind westliche Bekenntnisse zur Zwei-Staaten Lösung unglaubwürdig. Ein Hintergrund.

    Der FAZ ist es immerhin eine Randnotiz wert, doch die Tagesschau verzichtet komplett auf die Meldung: Am 18. April 2024 legten die USA im UN-Sicherheitsrat (UNSC) ihr Veto gegen einen Resolutionsentwurf ein, der eine Vollmitgliedschaft Palästinas bei den Vereinten Nationen vorsieht. Damit scheiterte die Beschlussvorlage.

    Zwölf Mitgliedsländer des UNSC stimmten für die Vorlage, die Schweiz und Großbritannien enthielten sich.

    „Hintergrund ist die Befürchtung der Regierung in Washington, dass mit einem solchen Schritt faktisch ein Palästinenser-Staat anerkannt werden würde“, schreibt. die FAZ.

    Das klingt in der Erklärung der US-Vertretung bei den Vereinten Nationen ganz anders: „Die Vereinigten Staaten haben sich mit Nachdruck und Entschlossenheit für eine palästinensische Eigenstaatlichkeit im Rahmen eines umfassenden Friedensabkommens eingesetzt, das den israelisch-palästinensischen Konflikt dauerhaft lösen würde“, heißt es da.
    Möglichst keine allzu offensichtliche Ablehnung palästinensischer Staatlichkeit

    Dabei ist man sich in Washington durchaus bewusst, dass dieses Veto die Glaubwürdigkeit der eigenen Lippenbekenntnisse zur Zwei-Staaten-Lösung weiter untergräbt. Schließlich hatte man versucht, um eine derart klare Ablehnung palästinensischer Staatlichkeit herumzukommen.

    The Intercept berichtet, dass die USA schon im Vorfeld für die Ablehnung des Entwurfs getrommelt hatte. In einem diplomatischen Telegramm vom 12. April werden die Argumente der USA gegen eine UN-Abstimmung über die palästinensische Eigenstaatlichkeit detailliert aufgeführt.

    In einem zweiten Kabel vom 13. April, das von der US-Botschaft in Quito, Ecuador, verschickt wurde, geht es um die Zustimmung der ecuadorianischen Außenministerin Gabriela Sommerfeld zu der US-Position. Demzufolge hatte Sommerfeld den ständigen Vertreter Ecuadors bei den Vereinten Nationen, José De La Gasca, angewiesen, bei Japan, Korea und Malta (allesamt derzeit nicht-ständige Mitglieder des Sicherheitsrats) für die Ablehnung des Vorschlags zu werben. Auch das ständige Mitglied Frankreich wird als Lobbyist erwähnt.
    Ecuador sollte Stimmung gegen den Resolutionsentwurf machen

    Derartige Manöver sind Standard im diplomatischen UN-Gerangel. Erwähnenswert sind sie nur deshalb, weil sie die Entschlossenheit Washingtons belegen, die Entstehung eines palästinensischen Staates zu verhindern, ohne dabei unangenehm aufzufallen. Dass Frankreich doch noch eingeknickt ist und letztlich für den Resolutionswurf gestimmt hat, hat in diesem Zusammenhang trotzdem ein Geschmäckle.
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    Richtig unverschämt ist allerdings, dass die USA insinuieren, dass eine Anerkennung Palästinas durch die Vereinten Nationen den Konflikt anheizen könnte: „Als Mitglieder des Sicherheitsrats tragen wir eine besondere Verantwortung dafür, dass unsere Maßnahmen der Sache des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dienen ...“

    Erst umgekehrt wird ein Schuh draus. UN-Generalsekretär António Guterres erklärte vor dem UNSC, dass der andauernde Krieg im Gazastreifen sowie die jüngsten Eskalationen zwischen Iran und Israel das Erreichen einer Zwei-Staaten-Lösung noch wichtiger gemacht hätten.
    Ein völlig unabhängiger, lebensfähiger und souveräner palästinensischer Staat

    Es gelte „die Bemühungen um einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und einem völlig unabhängigen, lebensfähigen und souveränen palästinensischen Staat zu unterstützen“, betonte Guterres.

    Wenn es nicht gelingt, Fortschritte auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu erzielen, werden die Unbeständigkeit und das Risiko für Hunderte von Millionen Menschen in der Region, die weiterhin unter der ständigen Bedrohung durch Gewalt leben müssen, nur noch größer.
    Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen

    „Wir haben alle möglichen echten Anstrengungen unternommen und unvorstellbare historische Zugeständnisse gemacht, um einen Frieden zu erreichen, der auf der Zwei-Staaten-Lösung basiert“, sagte fast schon resigniert Ziad Abu Amr, der palästinensische Vertreter bei den UN, in der Debatte.

    Palästina hat seit 2012 Beobachterstatur bei den Vereinten Nationen und damit denselben Status wie der Vatikan.

    #ONU #USA #Palestine #Gaza #massacre

  • Transhumanismus und KI : Bedrohung des Menschen
    https://www.telepolis.de/features/Transhumanismus-und-KI-Bedrohung-des-Menschen-9654886.html?seite=all

    Quand on s’intéresse à l’idée que se font les transhumanistes de l’homme on ne peut qu’en tirer la conclusion que ce sont eux qui se situent hors de l’espèce humaine.

    Leur quête de l’Übermensch les rend plus inhumain que les pires crimnels nazis. Pour ces gens déjà peu sympatiques l’homme nouveau était à développer à partir de vrais hommes. Les transhumanistes par contre transformeront l’homme dans une machine qui n’aura plus rien d’un être humain.

    17.3.2024 von Andreas von Westphalen - Partystimmung in Silicon Valley: Die Grenzen des Lebens werden gepusht. Mit einer erschreckend simplen Vorstellung des Menschen – und gravierenden Folgen?

    Der Name ist Programm. Das lateinische Präfix trans bedeutet „über“, „hinaus“. Vor fast 70 Jahren definierte der Biologie Julian Huxley den Transhumanismus:

    „Mensch, der Mensch bleibt, aber sich selbst, durch Verwirklichung neuer Möglichkeiten von seiner und für seine menschliche Natur, überwindet.“

    Bleibt der Mensch dabei aber tatsächlich Mensch?
    Die Grenzen des Menschseins hinter sich lassen

    Die extrem technikaffine Geistesrichtung des Transhumanismus verfolgt eine Reihe von Zielen, die mit Hilfe von Technik erreicht werden sollen (man ahnt, weshalb er in Silicon Valley sich solcher Beliebtheit erfreut):

    Die Überwindung des Todes durch die sogenannte Kryonik. Hierbei wird der Kopf oder ganze Körper eingefroren. Der Milliardär Peter Thiel hat sich beispielsweise hierfür schon angemeldet.
    Mind Uploading. Dadurch soll das eigene Gehirn extern dupliziert werden. Dabei gibt es verschiedene Formen und Ziele des Uploadings.
    Genkontrolle und Genediting des Fötus zur Optimierung des Kindes.
    Upgrading des Gehirns, das die kognitiven Grenzen des Menschen überwinden soll.
    Ein möglichst flächendeckender Einsatz Künstlicher Intelligenz zur Optimierung des Lebens insgesamt.

    Selbstverständlich teilt nicht jeder Transhumanist alle genannten Ziele, aber alle Transhumanisten sehen den Menschen als ein defizitäres Wesen an, dessen Natur enhanced, also verbessert werden muss.
    Unendliche Möglichkeiten

    Es stellt sich die Frage, was vom Wesen Mensch eigentlich nach Wunsch derjenigen bleiben soll, wenn der Mensch „überwunden“ wird. Ray Kurzweil, Director of Engineering bei Google:

    Es wird keine Unterscheidung (...) zwischen Mensch und Maschine oder zwischen physischer und virtueller Realität geben. Wenn Sie sich fragen, was in einer solchen Welt eindeutig menschlich bleiben wird, dann ist es einfach diese Eigenschaft: Wir sind die Spezies, die von Natur aus danach strebt, ihre physische und mentale Reichweite über die derzeitigen Grenzen hinaus zu erweitern.

    Viele Unternehmen in Silicon Valley und führende Persönlichkeiten der dortigen Community arbeiten genau daran. Elon Musk besitzt das Unternehmen Neuralink, das Computerchips für das menschliche Gehirn baut und diese auch seit kurzem an Menschen testen darf.

    Peter Thiel investiert massiv in eine Firma, die Gehirn und Computer direkt verbinden will.
    Partystimmung

    Die Transhumanisten kennen in ihrem Optimismus kaum Grenzen. Der flächendeckende Einsatz von Künstlicher Intelligenz, die mit Terrabyte persönlicher Daten gefüttert wird, erfüllt dabei die vermeintlich große Sehnsucht des Menschen, die Google-Mitbegründer Eric Schmidt schon vor Jahren formuliert hat:

    Ich denke tatsächlich, dass die meisten Menschen nicht wollen, dass Google ihre Fragen beantwortet; sie wollen, dass Google ihnen sagt, was sie als Nächstes sollen.

    Anstrengendes Nachdenken, Abwägen, sich informieren, mit einander diskutieren. Überflüssig. Schnee von gestern. Das Leben eine einzige unendlich supergeile Party. Endlich! Oder wie es der britische Philosoph David Pearce schreibt:

    Superintelligenz. Superlanglebigkeit und Superglücklichsein. (…) Das Leben wird immer aufregend sein, und der Spaß wird einfach nicht aufhören.

    Kritik wird laut

    In den letzten Jahren haben sich die Zahl von Experten gemehrt, die ihre Stimme gegen die Drohung der Künstlichen Intelligenz erheben. Im Herbst 2022 kam sogar eine Studie von KI-Forscher der Universität Oxford und Canbera zu dem durchaus beunruhigenden Ergebnis, dass die Künstliche Intelligenz die Menschheit vermutlich auslöschen wird.

    Zuletzt verließ Jeffrey Hinton, „der Vater der KI“, Google, um offen über die Risiken von künstlicher Intelligenz sprechen zu können und Mo Gawdat, ehemaliger Chief Business Officer von Google X, bezeichnet in einem beeindruckenden Interview die Diskussion um KI als „die existenziellste Debatte und Herausforderung, der sich die Menschheit jemals stellen wird.“

    Die Gefahr durch KI sei größer als die einer drohenden Klimakatastrophe. Der Internet-Pionier Jaron Lanier kann sich da nur anschließen:

    Eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft wird das Internet sich plötzlich zu einer superintelligenten KI zusammenballen, unendlich klüger als jeder einzelne Mensch und alle Maschinen zusammen. Es wird von einem Moment auf den anderen lebendig werden und die Weltherrschaft übernehmen, bevor wir kleinen unbedeutenden Menschen überhaupt wissen, wie uns geschieht.

    Thiels folgende Äußerung, die er bereits vor rund zehn Jahren von sich gab, trägt wohl kaum dazu bei, die Kritiker zu beruhigen:

    Natürlich hoffen wir, dass ein künstlich intelligenter Computer den Menschen freundlich gesinnt sein wird. Zugleich aber nehme ich nicht an, dass man als eines der menschlichen Wesen bekannt sein möchte, das gegen Computer ist und sein Leben dem Kampf gegen Computer bestreitet.

    Was ist der Mensch?

    Der Transhumanismus, den man aufgrund seines Erlösungsanspruch vom Tod und andere biologischer Grenzen des Menschseins auch als „Nerd-Religion“ (Douglas Rushkoff) bezeichnen kann, stützt sich auf eine bestürzend simple Vorstellung des Menschen.

    Larry Page, Mitbegründer von Google, drückte zum Beispiel seine Einschätzung der menschlichen DNA in diesem Sinne aus: Diese sei einzig „komprimiert 600 Megabyte, also kleiner als jedes moderne Betriebssystem (...) also sind Ihre Programmalgorithmen wahrscheinlich nicht so kompliziert.“

    Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins brachte seine Einschätzung noch prägnanter – aber ein wenig unterkomplex – auf den Punkt:

    Das Leben besteht nur aus Bytes und Bytes und Bytes von digitalen Informationen.

    Es mag in einer Welt, die von Big Data beherrscht wird und deren Geschäftsmodell Big Data ist, naheliegen, den Menschen auf ein Produkt seiner Bytes und Megabytes zu reduzieren, es ist aber mehr als befremdlich, wie viele Aspekte der menschlichen Natur bei dieser Reduktion übersehen werden, vielleicht auch übersehen werden müssen, um mit Verve für den Transhumanismus zu werben. Der Publizist Philipp von Becker bemerkt:

    Die Vorstellung des Mind-Uploads beruht auf der Fiktion, dass das Wesen des Menschen unabhängig von der spezifischen Materie seines Körpers sei und lediglich aus Daten bestehe, die auf eine beliebige Materie transferiert werden könnten.

    Auch die Vorstellung zur gentechnischen Umgestaltung des Menschen beruht auf der Fiktion des Menschen als einer formalisierbaren, berechenbaren, von der Umwelt abgeschnittenen Entität.

    Der (un)berechenbare Mensch

    Alle Überlegungen der Transhumanisten zu einer gentechnischen Optimierung gehen von einem berechenbaren Wesen Mensch aus und übersehen dabei ein paar Kleinigkeiten.

    Denn tatsächlich gibt es schon rein mathematisch ein gravierendes Problem, wie niemand anderes als Craig Venter betont, dessen Firma es als Erstes gelungen ist, ein menschliches Genom zu sequenzieren:

    Wir haben einfach nicht genug Gene, als dass diese Idee des biologischen Determinismus richtig sein könnte. Die wunderbare Vielfalt der menschlichen Spezies ist nicht in unserem genetischen Code fest verdrahtet. Unsere Umwelt ist entscheidend.

    Venter spricht dabei einen weiteren zentralen Punkt an, den Transhumanisten übersehen: Gene legen unser Leben und Verhalten bei Weitem nicht so stark fest, wie landläufig geglaubt wird.

    Unsere Umwelt und unser soziales Miteinander beeinflussen, welche Gene wie stark (oder gar nicht) zur Wirkung kommen. Matthieu Ricard, promovierter Zellgenetiker und weltbekannter buddhistischer Mönch, erklärt:

    Um aktiv zu sein, muss ein Gen „exprimiert werden“, d. h., es muss eine „Transkription“ in Form eines spezifizierten Proteins, das auf den Trägerorganismus dieses Gens wirkt, erfolgen.

    Findet keine Transkription statt und wird ein Gen nicht exprimiert, so ist dies gleichsam, als würde dieses Gen gar nicht existieren.

    Die Wirklichkeit ist nachweislich deutlich komplexer als eine Formel, die unser Verhalten aufgrund unserer Gene berechnet. Tatsächlich werden die meisten Gene des Körpers reguliert, nur sehr wenige Gene sind andauernd und unverändert aktiv.

    Mit anderen Worten, Gene bestimmen durchaus unser Leben. Inwiefern sie aber aktiviert werden oder nicht, ist von unseren äußeren Lebensumständen abhängig.

    Auch seelische Erlebnisse können Genexpressionen aktivieren oder deaktivieren. Der Neurowissenschaftler Robert Sapolsky erklärt:

    Transkriptionsfaktoren regulieren also Gene. Und was reguliert Transkriptionsfaktoren? Die Antwort ist vernichtend für das Konzept des genetischen Determinismus: die Umwelt.

    Einen genetischen Determinismus und damit eine theoretisch denkbare Berechenbarkeit des Menschen gibt es nicht. Willkommen in der Welt der Epigenetik!
    Der (a)soziale Mensch

    Beim Transhumanismus steht nicht das soziale Wesen Mensch im Mittelpunkt, stattdessen ist der Mensch ganz offensichtlich ein zu optimierendes Einzelwesen. Gedanken zum sozialen Wesen Mensch sucht man bei Transhumanisten daher vergeblich.

    Dass ungewollte Einsamkeit so gesundheitsschädigend wie Alkoholismus ist, Menschen also am dringendsten den Menschen und soziale Verbundenheit brauchen, passt offensichtlich im Hochgesang auf technische Möglichkeiten nicht ins Bild.

    Auch damit offenbart sich der Transhumanismus als eine philosophische Denkrichtung, die zwar massiv auf einem Menschenbild aufbaut, aber leider vom Wesen des Menschen mehr Annahmen als Wissen hat. Das ultra-kooperative Wesen mit einem Social Brain, großzügigem Spenderherz und Wunsch nach Gemeinschaft, das in Katastrophen zur mitmenschlichen Höchstform aufläuft.

    Der Mensch ist für Transhumanisten letztlich ein Fremder und all das, was Menschsein ausmacht, wird ignoriert, um im neoliberalen Credo das Selbst immer und immer weiter zu optimieren.
    Allianz mit Neoliberalismus

    Transhumanismus, Neoliberalismus und Silicon Valley-Kapitalismus gehen eine unheilige Allianz ein, wie mehrere Kritiker bemerken.

    Erstaunlicherweise entdeckt man nicht zuletzt die Vorstellung des Homo oeconomicus in den Tiefen des Transhumanismus. Denn dank der KI könnte der Mensch tatsächlich zum rein rationalen, eigenutzmaximierenden Wesen mit sich niemals ändernder Präferenz werden!

    All die Kritik an dem radikal vereinfachenden Modell der klassischen Wirtschaftswissenschaft wären dann Schnee von gestern und der Mensch wäre – dank Technik – endlich das, was einige schon immer behauptet haben: ein Homo oeconomicus.

    Aber die Vorstellung eines Tages unser Gehirn auf einer Festplatte abspeichern zu können, übersieht, dass der Mensch auch aus einem weiteren Grund nicht einzig in Daten ausgedrückt und in Nullen und Einsen zerlegt werden kann: den Körper. Etliche Experimente der Verhaltensökonomie haben die geradezu erstaunliche Irrationalität des Menschen bewiesen.
    Das irrationale Element und die Vernunft als Pressesprecher

    Eine Entscheidung in komplexen moralischen Fragen kann dadurch beeinflusst sein, ob der Mensch sich gerade die Hände gewaschen oder eine warme Tasse in den Händen hält. Ein Richterspruch kann davon abhängen, ob der richterliche Magen gerade mit einem Essen beruhigt wurde oder nicht.

    Wie wir uns fühlen, beeinflusst unser Denken! Der Mensch ist nicht das rationale Wesen, das die Anhänger des Homo oeconomicus so gerne hätten, sondern ein eher irrationales Wesen, das Entscheidungen zuerst intuitiv trifft, bevor die Vernunft als unser Pressesprecher auftritt, und möglichst überzeugende Argumente für die Entscheidung zu finden sucht.
    Körperliche Empfindungen

    Und nicht zuletzt: Menschen können ohne ihren Körper und den körperlichen Empfindungen nicht denken. Einen ungewollten Beweis liefern Menschen, die in Folge extrem seltener Hirnschädigungen an einer radikalen Unterdrückung ihrer Gefühle leiden.

    Ihr Intelligenzquotient ist zwar unverändert, aber sie haben massive Probleme im Alltag Entscheidungen zu fällen. Wenn es ihnen dennoch gelingt, sind die Entscheidungen oft völlig absurd. Joachim Bauer unterstreicht daher:

    Die Ansicht, Menschen seien Maschinen, bedeutet eine Verkennung der biologischen Realitäten. Körper und Gehirn des Menschen bedürfen der Realität. Sie sind außerdem soziale Akteure, sie reagieren auf soziale Interaktionen.

    Eine generelle Frage sei erlaubt: Was benötigen Menschen wirklich: ein Upgrade für das Gehirn, eine genetische Optimierung, eine KI, die rund um die Uhr Entscheidungen abnimmt, eine Dauerparty oder das Leben unserer sozialen Natur oder Begegnungen, Unterstützung, Großzügigkeit und Berührungen?
    Die Herrschaft von Big Data

    In der Welt des Transhumanismus besteht der Mensch angeblich nur aus Daten. Daher kann es kaum verwundern, dass grundsätzlich nur das zählt, was quantifizierbar, in Zahlen ausgedrückt, binär erfasst und in Nullen und Einsen als auswertbare Daten zerlegt.

    Damit verlieren wir komplett genau das aus dem Blick, was unser Leben wirklich lebenswert macht.

    Mithilfe der möglichst vollkommenen Vermessung der Menschen und der Welt wird die Künstliche Intelligenz vermutlich in baldiger Zukunft anbieten, die meisten oder vielleicht sogar alle Entscheidungsfragen unseres Lebens zu beantworten inklusive aller moralischen Dilemma (und diese vielleicht sogar für uns zu beantworten, ohne dass wir überhaupt gefragt haben.

    Denn – so die liebenswerte Begründung – die Dauerparty des Lebens solle nicht durch schwermütige Probleme belastet werden). Kants Kategorischer Imperativ ("Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.") wird zur Vergangenheit, denn im Transhumanismus benötigt der Mensch dank einer omnipräsenten KI keinen moralischen Leitfaden mehr.

    Philipp von Becker bringt es auf den Punkt:

    Im Transhumanismus würden wir uns richtig verhalten, weil es gar keine Alternative mehr gibt (und wir kein Gefühl für richtig und falsch mehr haben).

    Verlust der Freiheit und Ende der Demokratie

    Yuval Noah Harari beschreibt das Selbstbild des Menschen, das der Transhumanismus befördert:

    Die Menschen werden sich nicht mehr als autonome Wesen betrachten, die ihr Leben entsprechend den eigenen Wünschen führen, sondern viel eher als eine Ansammlung biochemischer Mechanismen, die von einem Netzwerk elektronischer Algorithmen ständig überwacht und gelenkt werden.

    Der Transhumanismus verspricht eine möglichst vollkommene Freiheit, schafft aber einen Menschen, der gesagt bekommen möchte, was er tun soll, um endlich von der Verantwortung für das eigene Leben befreit zu sein.

    Der Transhumanismus erbaut damit ein Gefängnis, denn der Mensch verliert mehr und mehr die Fähigkeit, eigene Entscheidungen fällen und Verantwortung für sein Leben übernehmen zu können. Er wird also zum unmündigen Menschen.

    Der Transhumanismus verspricht dem Menschen, die Grenzen des Mensch-Seins zu überwinden, und schafft dabei den Menschen als eigenständiges und unabhängiges Wesen ab. (Dabei wird auch übersehen, dass, wer die Macht über die Entscheidungsarchitekturen der Künstlichen Intelligenz hat, auch die Macht über die Menschen besitzt.)

    In der logischen Konsequenz droht damit auch das Ende der Demokratie. Denn die gemeinsame Kompromisssuche und die Mehrheitsentscheidung würde durch die angeblich optimale Lösung der KI ersetzt werden. Kein Dialog. Kein Zuhören. Kein Perspektivwechsel. Keine Suche nach einem gemeinsamen Nenner. Noch einmal Harari:

    Die Demokratie in ihrer gegenwärtigen Form kann die Verschmelzung von Biotechnologie und Informationstechnologie nicht überleben. Sie wird sich entweder radikal neu erfinden müssen, oder die Menschen werden künftig in „digitalen Diktaturen“ leben.

    Frage nach der Wirklichkeit

    Der Transhumanismus stellt nicht nur das Wesen des Menschen und unsere Natur infrage, sondern auch die Wirklichkeit. Der Philosoph David Chalmers drückt es vielleicht am radikalsten aus:

    1. Man kann nicht wissen, dass man sich nicht in einer Simulation befindet.
    2. Wenn man nicht wissen kann, dass man sich nicht in einer Simulation befindet, kann man auch nichts über die Außenwelt wissen.
    3. So: Du kannst nichts über die Außenwelt wissen.

    Seine Schlussfolgerung: „Wir sind wahrscheinlich Simulationen.“ Für Joachim Bauer ist das die „Vollendung des Realitätsverlustes“. Das bedeutet einen vollkommenen Rückfall hinter die Aufklärung, die den Menschen aus seiner Unwissenheit befreien wollte. Digitale Mystik!
    Starre Zweiklassengesellschaft

    Der Transhumanismus, der sich so gerne selbst als eine radikal liberale und zukunftsorientierte Denkrichtung des Fortschritts feiert und die Freiheit in leuchtend großen Buchstaben auf seine Fahnen schreibt, führt zwangsläufig auch zu einer starren Zweiklassengesellschaft.

    Denn die Lösungsvorschläge zur Optimierung des Nachwuchses, zur Selbstoptimierung und zur Überwindung des Todes werden natürlich keine patentfreien Lösungen sein, sondern zu einem neuen Luxusgut auf dem Technikmarkt, den sich nur die Crème de la crème leisten können wird. (Die unheilige Allianz mit dem Neoliberalismus ist per definitionem keine Open Source-Bewegung.)

    Der Siegeszug des Transhumanismus und der KI würde ewige und massive Ungleichheit mit sich bringen. Harari warnt:

    Doch so wie Big Data-Algorithmen die Freiheit auslöschen könnten, so könnten sie gleichzeitig die ungleichsten Gesellschaften hervorbringen, die es je gab. Aller Reichtum und alle Macht könnten sich in den Händen einer winzigen Elite konzentrieren, während die meisten Menschen nicht unter Ausbeutung, sondern unter weitaus Schlimmerem zu leiden haben – bedeutungs- und nutzlos zu sein.

    Die Erlebnismaschine

    Ganz im Sinne von David Pearces Wunsch, das Leben solle eine ewige Dauerparty sein, hier zum Abschluss ein Gedankenexperiment. Der Philosophen Robert Nozick schlug bereits in den 1970er-Jahren die Idee einer „Erlebnismaschine“ vor, bei der das Gehirn an einen Computer angeschlossen werden könnte.

    Stellen Sie sich vor, diese Erlebnismaschine würde Ihnen exakt die richtige Kombination von Dopamin, Opiaten und Serotonin zuführen, sodass Sie sich für immer und ewig glücklich fühlen würden. Kein Leid. Keine Trauer. Kein Frust. Keine Enttäuschung. Nie mehr.

    Das Leben eine einzige Dauerparty dank der Erlebnismaschine, die Ihnen ununterbrochen Bilder in Ihr Gehirn projizieren würde, die genau Ihrem Wunsch nach Glückserlebnissen entspricht. Weltmeister in Ihrer Lieblingssportart? Kein Problem. Ein Literaturpreis gefällig? Ein wunderbarer Partner? Kinder, die Sie lieben? Alles und immer.

    Es gibt nur einen kleinen Haken. Ihr Gehirn ist dauerhaft an einen Computer angeschlossen (wie im Film „Matrix“ hätten sie sich für die blaue Pille entschieden). Sie würden nicht mehr arbeiten, keine Beziehungen mehr haben oder Härten des Lebens erleiden müssen. Sie wären schlicht und einfach vollkommen glücklich. Wie würden Sie sich entscheiden?

    Wollen Sie für immer an die Erlebnismaschine angeschlossen werden? Die Suche nach dem Sinn unseres Lebens oder eine Welt, wo diese Frage keinen Sinn mehr ergibt und überhaupt nicht mehr verstanden wird?

    Würde es nicht vielleicht nicht ein wenig sinnvoller sein, dass die Abertausende hochintelligenter Menschen und die Abermilliarden Investitionskapital sich weniger dem Ziel annehmen, den Menschen künstlich zu einer Maschine zu formen, sondern die Welt zu einer mitmenschlicheren Welt zu machen?

    Literatur

    Joachim Bauer: Realitätsverlust
    Antonio Damasio: Descartes‘ Irrtum
    Jaron Lanier: Wem gehört die Zukunft
    Jonathan Haidt: The Righteous Mind
    Yuval Noah Harari: 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert
    Yuval Noah Harari: Homo Deus
    Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken
    Evgeny Morozov: Smarte neue Welt
    Eli Pariser: Filter Bubble
    Steven Pinker: Unbeschriebenes Blatt
    Matthieu Ricard: Allumfassende Nächstenliebe
    Robert Sapolsky: Gewalt und Mitgefühl
    Stefan Lorenz Sorgner und Philipp von Becker: Transhumanismus (Streitfragen)

  • Eklat in Berlin : Bedroht Aserbaidschan Akademiker in Deutschland ?
    https://www.telepolis.de/features/Eklat-in-Berlin-Bedroht-Aserbaidschan-Akademiker-in-Deutschland-9652786.ht

    12.3.2024 von Harald Neuber - Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik sagt Symposium zu armenischer Kultur ab. Betroffene erheben Vorwürfe. Was ist da geschehen?

    Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik sagt Symposium zu armenischer Kultur ab. Betroffene erheben Vorwürfe. Was ist da geschehen?

    Eine geplante Buchpräsentation über das „Kulturelle Erbe von Arzach“ ist laut einer Erklärung von Akademikern unter starken Druck seitens der aserbaidschanischen Botschaft geraten.

    Das von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) geplante wissenschaftliche Symposium sollte auf die Bedrohung des armenischen Kulturerbes durch den Exodus der Armenier aus Arzach/Berg Karabach und die Übernahme der Region durch Aserbaidschan hinweisen.

    Am 6. März 2024 sollte die Veranstaltung in hybrider Form stattfinden, heißt es in der Erklärung. Am Ende sei sie aufgrund des Drucks ausschließlich digital durchgeführt worden. Die Botschaft und aserbaidschanische Organisationen hatten die Absage der Veranstaltung gefordert.

    „Drohbriefe“ hätten diese Forderung verstärkt, schreiben die Akademiker. Zudem wurde eine proaserbaidschanische Demonstration in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsortes angekündigt, so Prof. Dr. Andreas Müller, Kiel, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Martin Tamcke, Göttingen, Dr. Harutyun Harutyunyan, Jerevan, und Dr. Dagmar Heller aus Bensheim.

    Die vier Autoren des Buches, die die Protesterklärung formuliert haben, sehen nun „eine öffentliche wissenschaftliche Veranstaltung in einem freiheitlich-demokratischen Land“ bedroht. Telepolis sprach mit dem evangelischen Theologen Andreas Müller von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

    Sie wollten am 6. März in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Veranstaltung zur armenischen Geschichte in Berg-Karabach durchführen. Dazu ist es nicht gekommen. Warum nicht?

    Andreas Müller: Wegen der im Brief erwähnten Sicherheitsbedenken. Die aserbaidschanische Botschaft und aserbaidschanischen Gongos, …

    … also von der Regierung organisierte Nichtregierungsorganisationen …

    Andreas Müller: … die von ihr eingesetzt worden sind, haben massiven Druck insbesondere auf die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, die DGAP, aufgebaut.

    Welche Sicherheitsbedenken haben zu der Entscheidung geführt, die Veranstaltung ausschließlich digital durchzuführen?

    Andreas Müller: Dass die Sicherheit im Saal trotz der eingestellten Sicherheitskräfte nicht gewährleistet werden kann. Die Polizei sah sich nicht in der Verantwortung, da es sich um eine Privatveranstaltung innerhalb der DGAP handeln würde.

    Prof. Dr. theol. Andreas Müller; Christian-Albrechts-Universität, Kiel

    Inwiefern sehen Sie in der Absage der Buchpräsentation eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und des wissenschaftlichen Diskurses?

    Andreas Müller: Wissenschaftliche Ergebnisse sollten öffentlich präsentiert und diskutiert werden können, auch wenn sie von anderen als einseitig betrachtet werden.

    Gibt es vergleichbare Fälle, in denen ähnliche Behinderungen stattgefunden haben?

    Andreas Müller: Im Blick auf Armenien, ja. Die Türkei hat immer wieder versucht, Veranstaltungen zum Thema Genozid zu unterbinden.

    Welche Rolle hat Ihrer Meinung nach die aserbaidschanische Botschaft in Deutschland gespielt?

    Andreas Müller: Sie hat die ganze Aktion gelenkt. Der Botschafter selbst hat den Leiter der DGAP und der KAS dazu aufgefordert, die Veranstaltung abzusagen. Dabei war sein Hauptargument, dass man auch auf die Zerstörung von aserbaidschanischem Kulturgut durch Armenier eingehen müsse.

    Das war aber angesichts der aktuellen Situation nicht unser Thema, auch wenn dieses natürlich u. a. durch den Vortrag von Adam Smith gestreift wurde. Es sollte bei uns nicht um Aufrechnung gegenseitiger Kriegsschuld und -verbrechen gehen, sondern um aktuell gefährdetes Kulturgut. Dieses wird in unserem Buch auch systematisch erfasst.

    Wie beurteilen Sie die Rolle der deutschen Behörden in dieser Angelegenheit, insbesondere im Hinblick auf den Schutz von Minderheiten und ihres kulturellen Erbes sowie die Durchführung öffentlicher Veranstaltungen?

    Andreas Müller: Die Berliner Polizei war an dieser Stelle nur mäßig konstruktiv. Dem AA, dem Außenministerium und auch dem Europarat scheinen oft ökonomische Kontakte wichtiger zu sein als der Schutz von Menschen und deren Kulturgütern. Arzach/ Berg Karabach ist dem europäischen Bedarf an Öl und Gas zum Opfer gefallen. Außerdem sind nachweislich deutsche und europäische Politiker von Aserbaidschan bestochen worden.

    Welche Schritte planen Sie nun als Reaktion auf die Absage der Veranstaltung und die anschließenden Drohungen? Gibt es Überlegungen, das Thema auf anderem Wege aufzugreifen oder weitere politische Schritte einzuleiten?

    Andreas Müller: Es wird weitere Präsentationen des Buches geben. Zudem haben wir einschlägige politische Stellen informiert und auch dort Protest eingelegt. In Arzach sind bereits Bulldozer im Umfeld von Kulturgut unterwegs. Friedhöfe sind bereits zerstört.

    Der Protest wird nicht eingestellt. Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden wir auch weiter wissenschaftliche Arbeit zu dem Thema leisten und Student:innen auf die Sache hinweisen.

    In einer Mitteilung des Zentralrats der Armenier ist von Drohbriefen an Beteiligte die Rede. An wen gingen diese Briefe, was stand darin und haben Sie auch einen solchen Brief erhalten?

    Andreas Müller: Ich selbst habe keine Briefe erhalten, wohl aber die DGAP. Darin wurde u. a. gedroht, deren Geldgeber zu veranlassen, die DGAP nicht weiter zu finanzieren. Zudem soll es auch Androhungen von Gewalt gegeben haben. Dazu müsste Stefan Meister bei der DGAP befragt werden.

    Wie beurteilen Sie die Lage in Berg-Karabach nach dem Anschluss an Aserbaidschan?

    Andreas Müller: Die Azeris sind aktuell dabei, die Region nach ihren Vorstellungen massiv umzugestalten. Kirchen wurden bereits transformiert, das Parlamentsgebäude in Stepanakert abgerissen. Die Lage ist sehr brisant, weil armenische Spuren vor Ort wohl ausgelöscht werden.

    Die Drohungen des Regimes in Baku gegenüber Armenien sind auch nicht zu unterschätzen. Möglicherweise wird es zeitnah weitere Angriffe auf armenisches Territorium geben. Daher besteht vor Ort eine enorm große Sorge und ein dringender Appell an die internationale Öffentlichkeit, Armenien nicht aus dem Blick zu verlieren.

  • L’enrégistrement audio de la visioconférence / conférence téléphonique d’officiers de l"armée de l’air allemande au sujet de la livraison des Taurus à l’Ukraine
    https://m.vk.com/video561960677_456241522
    publié le 1.3.2024

    Sujet de la discussion : comment préparer et mener une guerre qu’on ne veut pas déclarer.

    Taurus-Leak : Über diese Aussagen wird in der Öffentlichkeit kaum gesprochen
    https://www.telepolis.de/features/Taurus-Leak-Ueber-diese-Aussagen-wird-in-der-Oeffentlichkeit-kaum-gesproch

    Extraits de la transcription

    7.3.2024 von David Goeßmann - Was waren die zentralen Themenfelder bei dem Bundeswehr-Gespräch über die Taurus-Raketen? Wer hat was konkret gesagt? Machen Sie sich selbst ein Bild.

    In deutschen Medien wird relativ wenig über die einzelnen Aussagen und Inhalte des geleakten Audiomitschnitts, in dem sich Vertreter der Bundeswehr über Taurus-Raketen beraten, diskutiert.

    Wenn über Inhalte gesprochen wird, werden meist nur kurze Zitate und Paraphrasen gebracht. Im Zentrum der Debatte steht weiterhin der Skandal der Veröffentlichung von russischer Seite und die politischen Konsequenzen daraus, nicht so sehr die Inhalte und ihre Einordnung.
    Der Nato-Wille, nicht zu eskalieren, nimmt ab

    Im Ausland wird stärker auf einen anderen Skandal, der sich im Hintergrund des Gesprächs abspielt, abgehoben. So kommentierte Simon Jenkins, Kolumnist, Buchautor und BBC-Journalist, im britischen Guardian:

    Die deutschen Streitkräfte sind wütend. Die Veröffentlichung eines 38-minütigen Gesprächs zwischen dem Chef der Luftwaffe und hochrangigen Offizieren über die Entsendung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine durch Moskau deutet darauf hin, dass der Wille der Nato, den derzeitigen Krieg nicht zu eskalieren, schwächer wird. Das Treffen, das Berichten zufolge über eine unverschlüsselte Leitung stattfand, hatte die Geheimhaltungsstufe eines Gruppenchats unter Teenagern. Es bestärkte Wladimir Putin in seiner Behauptung, es handele sich um einen Krieg des Westens gegen Russland, bei dem die Ukraine nur ein Stellvertreter sei.

    Diesen Eindruck mag man teilen oder nicht. Doch um darüber zu entscheiden, wäre es notwendig, sich mehr mit dem konkret Gesagten auseinanderzusetzen.

    Deswegen wollen wir eine Reihe von Aussagen in Zitatform aus dem Leak bringen, über die der Luftwaffenchef mit den Offizieren spricht. Dabei haben wir die Aussagen praktisch nicht geglättet, um möglichst nah am Gesprochenen zu bleiben.

    Vier Themen lassen sich als zentral ausmachen: der politische Wille/Unwille, Taurus an die Ukraine zu liefern; die Frage nach der deutschen Beteiligung beim Einsatz von Taurus-Raketen; mögliche Ziele und Einsatzoptionen; Probleme bei Lieferung.

    Der Luftwaffenchef machte am Anfang der internen Absprache deutlich, dass es bei einem kommenden Treffen mit dem Bundesverteidigungsminister wichtig sei, ihm nicht nur Probleme zu schildern, sondern gleichzeitig auch immer Lösungen anzubieten.

    1. Der politische Wille/Unwille, Taurus an die Ukraine zu liefern

    Luftwaffen-Chef Gerhartz: „Wenn man hört, der Verteidigungsminister will mal, will mal wirklich auch wirklich tief in Taurus einsteigen, wobei der Termin ist ’ne halbe Stunde, so wie ich es gesehen habe, also … wir werden das Ding nicht zum Fliegen bringen können, um es mal so auszudrücken. Ich seh da keinen … im Moment da nicht ein Auslösungs-Momentum dahinter. Also es ist nicht so, dass der Kanzler ihm gesagt hat ‚Hey, mach dich da nochmal schlau und dann lass uns mal morgen entscheiden.‘ Das hab ich jedenfalls nicht erkannt, sondern, dass er nochmal Pistorius gesehen hat durch diese ganze Diskussion, die da immer und immer wiederkommt, und sie kommt natürlich, weil keiner so richtig weiß, warum blockt der Kanzler hier?“
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    Cooler Typ ... und ihr seid die Experts

    „Aber natürlich spukt bei ihm immer noch im Hinterkopf … wenn wir uns denn mal politisch entscheiden würden, die Ukraine zu supporten damit, wie könnte denn die ganze Nummer am Ende laufen? Und da wäre ich euch echt dankbar, dass wir ja … die Herausforderung, nach dem Motto: ‚Was ist daran nicht einfach?‘ Aber dass wir nicht nur ein Problem in den Raum stellen, sondern, dass wir auch immer die Lösung dazu nennen.“

    „Also ich denke, dass, selbst wenn ich jetzt nicht dabei sein sollte, da wird der Minister … ist sowieso ein total cooler Typ im Umgang. Also von daher ... Ihr seid die Experts. Mir war nur eben wichtig, dass wir einfach nüchtern da auftreten und nicht irgendwie Show-Stopper reinknallen, die man uns einfach … die nicht glaubwürdig sind, wenn andere Nationen Storm Shadows und SCALP liefern.“

    2. Die Frage nach der deutschen Beteiligung beim Einsatz von Taurus-Raketen

    General Fenske: „Wir brauchen selber bei der Schulung von unserem Personal ungefähr ein Jahr. Also um das jetzt quasi zu drücken auf, wie sage ich mal jetzt, zehn Wochen, mit der Erwartung, dass sie in einem Formel-1-Rennwagen im Gelände und auch in Formel-1-Strecken auch fahren können. Also wäre eine mögliche Variante, planungstechnisch zu unterstützen. Das kann man theoretisch sogar aus Büchel machen mit einer sicheren Leitung in die Ukraine rüber, den Datenfile rübertransferieren, und dann wäre er verfügbar und man könnte es gemeinsam planen.“
    Mit dem Auto nach Polen

    „Die Frage wird sein, wo kommen die Daten her. Jetzt gehe ich einen Schritt zurück. Wenn es um die Zieldaten geht, die idealerweise mit Satellitenbildern kommen, weil dadurch gibt es dann die höchste Präzision, dass wir also unterhalb von drei Metern Genauigkeit haben. Die müssen wir verarbeiten im ersten Set in Büchel. Unabhängig davon würde man aber in irgendeiner Art und Weise, denke ich, mit einem Datentransfer zwischen Büchel und Schrobenhausen was hinbekommen. Oder, was natürlich auch geht, dass man unter Umständen das Datenfile nach Polen schickt und man hat den Handover, Takeover in Polen irgendwo, und es fährt jemand mit dem Auto hin. Und ich denke, da muss man im Detail reingucken, und da wird es auch Lösungsmöglichkeiten geben.“
    Die direkte Verbindung

    Luftwaffen-Chef Gerhartz: „Und da hat man eben Angst [bei Bombardierung der Krim-Brücke], wenn da der direkte Link der Streitkräfte in die Ukraine geht. Und da wäre halt dann immer die Frage: Kann man im Grunde genommen den Trick pullen, dass man unsere Leute abstellt zu MBDA [Rüstungsunternehmen], dass nur eine Direct Line zwischen der MBDA und der Ukraine ist? Dann ist es weniger schlimm, wie wenn die Direct Line unsere Luftwaffe zu ihnen ist.“

    Das ist ein Kriegskriterium

    Offizier Gräfe: „Ich glaube, das macht keinen Unterschied …. Wir müssen halt aufpassen, dass wir nicht gleich zu Beginn im Kriegskriterium formulieren. Wenn wir dem Minister jetzt sagen, ich überspitze mal ein bisschen, wir planen die Daten und fahren sie dann von Polen aus mit dem Auto rüber, damit es keiner mitkriegt – das ist ein Kriegskriterium. Wir werden es nicht schaffen, dass wir mit einer irgendwie gearteten Beteiligung von uns das Ganze umsetzen. Also erst mal indem, wenn das von der Firma kommt, müsste erst mal die MBDA dem zustimmen, ob die das machen. Ja, aber dann macht es auch keinen Unterschied, ob wir das unsere Leute in Büchel das planen lassen, oder in Schrobenhausen. Beteiligt ist beteiligt, und ich glaube, über die Hürde werden wir nicht drüber kommen. Jetzt nochmal, was wir als rote Linie als Grundlage voraussetzen. Ich komme einfach nochmal darauf zurück, was ich ganz am Anfang meinte: Entweder wir müssen die Ausbildung aufteilen, dass wir sagen, wir machen eine Fast Track und einen Long Track. Und der Long Track – dann sind die da halt für vier Monate und lernen es komplett richtig, mit ‚Wie mach‘ ich’s mit ’ner Brücke‘. Und in den Fast Track geht es erst mal um den schnellen Einsatz, nach zwei Wochen, wie weiß ich, was ich mit einem Munitions-Depot mache. Oder die andere Option: Wir fragen, ob in dieser Phase, bis die selber komplett ausgebildet sind, fragen wir die Briten, ob sie in dieser Phase übernehmen. Aber ich glaube ein irgendwie gearteter Versuch einer Zwischenlösung – stell dir mal vor, das kommt an die Presse! Wir haben unsere Leute in Schrobenhausen oder wir fahren irgendwie mit dem Auto durch Polen – sind, glaube ich beides keine akzeptablen Lösungen.“
    Sollen die Ukrainer mal rüberkommen

    Luftwaffen-Chef Gerhartz: "Man kann’s natürlich so drehen, dass man sagt, also wenn der politische Wille jetzt mal da ist, dann müssen wir erst mal sagen: „So, soll einer aus der Ukraine mal hier hinkommen.“ Und dann müssen wir wissen, ist die politische Vorgabe – keinerlei direkte Beteiligung mehr an der Missionsplanung? Dann muss klar sein: Die Ausbildung dauert schon etwas länger. Und die Komplexität und auch am Ende der Einsatzerfolg nimmt natürlich ab, aber ist auch nicht unmöglich. Weil ist ja nicht so, dass jetzt nicht schon eine gewisse Erfahrung darin gesammelt haben, und wir sehen selbst, was wir gerade noch so an High-Tech-Zeug einsetzen. Und dann müsste man sehen: Wenn es die Vorgabe ist – gibt ja keine direkte Beteiligung, wir können nicht die Missionsplanung in Büchel machen und sie rüberschicken, da könnt‘ ich mir fast vorstellen, dass das für Deutschland eine rote Linie ist … Ja, da muss halt klar sein – man muss sie etwas länger ausbilden, dann geht’s halt paar Monate, und man kann auch nicht alles damit machen. Aber ist nicht so, dass man sagt, man kann nichts damit machen."
    3. Mögliche Ziele und Einsatzoptionen

    Offizier Florstedt: „Ich habe mich heute mal reingesetzt mit einem pragmatischen Ansatz. Ich habe mir überlegt, was das Alleinstellungsmerkmal gegenüber jetzt den Storm Shadows… So wie Air Defense, Obuszeit, Flughöhe, etc. – und da komme ich dann drauf, dass es so zwei interessante Targets halt gibt: einmal so eine Brücke im Osten und einmal Mun-Depots [Munitions-Depots], wo wir reinkommen. Die Brücke im Osten ist halt schwer zu erreichen, und die Pfeiler sind relativ klein, und das kann halt der Taurus darstellen, und die Mun-Depots – da kommen wir halt durch. Und wenn ich das jetzt berücksichtige und vergleiche, wie viele Storm Shadows und Mauls abgeschossen wurden, da hat man halt ein ganz guts Alleinstellungsmerkmal. Da habe ich mir so drei Routen rausgesucht, wo ich sagen würde, geht’s da um die Brücke oder geht’s da um Mun-Depots? Is it reachable mit den current caps … Und dann komme ich quasi zu dem Entschluss – ja, ist gut, es ist machbar. Der limitierende Faktor ist die Su-24 [Suchoi Su-24 ist ein Bomber, der in der Sowjetunion entwickelt wurde], wie viel die davon überhaupt noch übrighaben. Das wäre dann in einem einstelligen Bereich.“
    Krim-Brücke targeten

    „Wenn ich aber mir so eine Brücke anguck‘, da, wo ich drauf kommen wollte, ist, dass der C10 von Taurus nicht ausreicht, um die einfach so zu targeten – das heißt, ich brauch da Bilder von, wie der Taurus arbeiten kann, und da brauchen wir die Missionsdaten. Und ich weiß es nicht, ob wir in adäquater Zeit – natürlich, wenn wir in Monaten reden, [unverständlich] – aber in adäquater Zeit die Ukrainer ausbilden können … die Missionsdaten, wie sieht ein Brückenpfeiler für den Taurus aus, wie wir denen das beibringen. Das heißt, für mich ist es erst mal aus der operativen Perspektive nicht bewertbar, wie schnell bringt man Ukrainern diese Image-Planung, sage ich mal, bei, und wie schnell geht die Integration.“
    Brücke so groß wie Flugplatz: 20 Flugkörper nötig

    Offizier Fenske: „Ich würde gern nochmal schnell ergänzen wegen der Brücke, weil wir uns die intensiv angeguckt haben. Und die Brücke ist leider – aufgrund ihrer Größe – wie ein Flugplatz. Das heißt, es kann durchaus sein, dass ich dafür zehn oder 20 Flugkörper brauche.“

    Offizier Florstedt: „Ich habe durchgeschätzt, nämlich da, wo sie aufklappt, wenn du die Pfeiler nimmst.“

    Offizier Fenske: „Ja, der Pfeiler, da machen wir unter Umständen nur ein Loch rein. Und dann stehen wir da … um datenvalide Aussagen zu haben, müssten wir wirklich selber mal …“

    Luftwaffen-Chef Gerhartz: „Wir alle wissen ja, dass sie die Brücke rausnehmen wollen. Das ist klar, wissen wir auch, was es am Ende bedeutet … Dann hast du, ist die Versorgung dieser so wichtigen – nicht nur militärisch, strategisch wichtig, auch so ein bisschen politisch ist die gute Insel da ja ihr Herzstück. Jetzt nicht mehr ganz so … ganz so fatal, wo sie ja quasi ihre Landbrücke mehr oder weniger dahin haben.“
    4. Probleme bei Lieferung

    Offizier Fenske: "Was ist denn das Sensitivste oder das Kritischste, was jetzt passieren kann? Mit der ganzen Diskussion, das läuft ewig hin und her, und ich glaub, die zwei Punkte, die sensitiv sind. Das eine ist das Timing, so nach dem Motto, „Jetzt sagt der Kanzler, wir geben es doch ab“, und man kommt aus der Bundeswehr: Ja toll, aber in acht Monaten sind wir dann soweit, den ersten Einsatz zu beginnen. Und das Zweite ist natürlich, wir können die Zeit auch nicht verkürzen, wenn es nach einem Falscheinsatz geht und das Ding auf ’nen Kindergarten drauffällt und es zivile Opfer gibt. Deshalb sind das so die beiden … links und rechts ’ne Grenze, zwischen denen man abwägen muss."
    Negative könnte positive Nachricht schlucken

    Offizier Gräfe: "Aber wenn da jetzt dann halt die Message rüberkommt, „Klasse, der Bundeskanzler hat sich doch entschieden“, und dann die andere Message „Aber es dauert alleine für die Schnittstelle sechs Monate“, na, dann ist die positive Nachricht ganz schnell eine negative Nachricht."

    „Und dann müsste man natürlich jetzt mal überlegen, um jetzt ganz schnell mit gleich ersten Flugkörpern zu einer schnellen Lösung zu kommen, ob man da nicht sowohl mit der Schnittstelle als auch mit der Ausbildung auf die Briten zurückgreift, wenn die deswegen mit ihrem Know-How gucken, wie haben die die Storm Shadow drangekriegt – kann ja nicht so ein großer Unterschied sein – und die vielleicht die Bedienung am Anfang mitmachen, während in der Zwischenzeit die Besatzungen bei uns ausgebildet werden. Damit das einfach nicht so lange dauert. Und dann sind da jetzt noch so ein paar Sachen: Können wir eine Datenbank liefern? Können wir Satellitenbilder liefern? Können wir Planungsstation liefern?“
    Das wird nicht den Krieg ändern

    Luftwaffen-Chef Gerhartz: „Man muss ja immer davon ausgehen, was die Ukrainer dann mittlerweile sonst alles machen. Wir wissen ja auch, dass da viele Leute mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten rumlaufen. Das darf man sagen, dazu sind sie dann noch relativ schnell selbst in der Lage, weil die Satellitenaufnahmen, die haben sie alle. Da muss man auch davon ausgehen.“

    Luftwaffen-Chef Gerhartz: „Das ist natürlich, dass es klar sein muss, das wird nicht den Krieg ändern. Dafür haben wir gar nicht … Wir würden ja auch nicht alle, wir wollen wir ja auch nicht abgeben, und nicht alle sind bei uns auch gleich. Das muss ich euch nicht sagen. Also, man könnte sagen, 50 in der ersten Tranche, und wenn sie uns dann nochmal würgen würden, für die nächsten 50, und da wär‘ aber auch Ende Gelände. So, das ist völlig klar. So, das wäre jetzt mal wieder große Politik, und dann können wir selber nochmal wieder eintakten an dem Punkt … Ich vermute mal, es könnte schon ein Momentum dahinter sein, weil ich weiß – von meinen britischen und französischen Kollegen – dass die so gut wie Winchester sind mit ihren Storm Shadow und SCALPs.“

    Going Winchester
    Running out of ammunition during battle and needing to return to base for a reload.
    Quelle : https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Going%20Winchester

    #Allemagne #armée #Bundeswehr #Luftwaffe #Ukraine #Russie #guerre #visioconférence #espionnage

  • Das unsterbliche RAF-Gespenst und wozu der Staat es braucht
    https://www.telepolis.de/features/Das-unsterbliche-RAF-Gespenst-und-wozu-der-Staat-es-braucht-9641108.html

    L’arrestation d’une petite femme d’un certain age provque un tollé médiatique. Les medias officiels allemands publient des menaces contre toute opposition de gauche fondamentale : on vous aura tous, si vous ne rentrez pas dans les rangs.

    Peter Nowak nous rappelle les faits et dangers qu’emmène l’engouement pour la cause antiterroriste. J’ai l’impression d’assister à une mise en scëne parodique des campagnes antiterroristes des années 1970, lui par contre y identifie de véritables menaces pour toute expression libre de gauche.

    28.2.2024 von Peter Nowak - Staat präsentiert großen Fang: Daniela Klette wird als Top-Terroristin bezeichnet. Wird sie am Ende nur wegen „unpolitischer“ Taten verurteilt? Ein Kommentar.

    Man fühlte sich in die BRD der 1980er-Jahre und frühen 1990er-Jahre zurückversetzt, als an allen Bahnhöfen Fahndungsplakate von tatsächlichen oder vermeintlichen Mitgliedern der Roten Armee Fraktion (RAF) zu sehen waren.

    Senatorin lobt Hartnäckigkeit der Ermittler gegen aufgelöste RAF

    Dort war auch ein Foto von Daniela Klette abgebildet. Am Dienstag ist sie in Berlin verhaftet worden, was für die Berliner Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz, Felor Badenberg gleich Anlass einer kurzen Pressemeldung war, in der auch der politische Charakter deutlich wurde:

    Die Festnahme zeigt, dass sich der lange Atem der Ermittlungsbehörden auszahlt. Ihnen gilt mein Dank und meine Anerkennung, dass sie bei der Suche nach extremistischen Gewalttätern immer wieder beharrlich bleiben. Es war entscheidend, den Verfolgungsdruck aufrecht zu erhalten, um die Bevölkerung vor weiteren schweren Taten zu schützen.
    Aus der Pressemeldung der Berliner Senatsbehörde Justiz und Verbraucherschutz

    Abgesehen davon, dass Straftaten, die Klette im letzten Vierteljahrhundert begangen haben soll, gar nicht mehr politisch motiviert waren, sondern gegebenenfalls wohl nur noch zur Finanzierung des Lebensunterhalts im Untergrund dienten, ist der Verweis auf den langen Atem der Ermittlungsbehörden durchaus auch als Drohung zu verstehen.
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    Sie vergessen nicht, vor allem nicht bei einer politischen Gruppe, die einmal aus einem linken gesellschaftlichen Aufbruch entstanden ist und über deren weitere Entwicklung sich die gesellschaftliche Linke über Jahrzehnte gestritten hat.
    RAF: Ein Gespenst, das der Staat nicht ruhen lässt

    Am 20. April wird es bereits 26 Jahre her sein, seit sich die RAF aufgelöst hat, was selbst die Generalbundesanwaltschaft als Fakt auf ihrer Homepage notiert hat. Trotzdem behauptet die Senatsbehörde, dass der Verfolgungsdruck aufrechterhalten wurde, „um die Bevölkerung vor weiteren schweren Taten zu schützen“.

    Hier kann man wirklich behaupten, dass die RAF hier als Gespenst herangezogen wird, die noch ein Vierteljahrhundert nach ihrer Auflösung als Gefahr für die Bevölkerung hingestellt wird.

    Vorwand RAF: Eine Warnung an heutige linke Gruppen

    Das ist durchaus auch als Drohung für aktuelle linke Gruppen, die überhaupt keinen Bezug zur RAF haben und trotzdem sofort mit der RAF in Verbindung gebracht werden.

    So erklärte laut Medienberichten der Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro, die Festnahme der „Topterroristin“ zeige, dass der Rechtsstaat auch nach Jahrzehnten nicht locker lasse – und dass Berlin „nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzt bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist“.

    Als wäre selbstverständlich anzunehmen, dass eine gesuchte RAF-Frau hier in der „Szene“ verkehrt hat, die im Fokus von Polizei und Verfassungsschutz steht. Hätte das in ihrem Sinn 20 Jahre „gutgehen“ können – so lange, wie sie mindestens in Berlin gewohnt haben soll?
    Beschwörung neuer RAF: Keule gegen Klimabewegung und Antifa

    Immer wieder wird von Seiten der repressiven Staatsorgane und ihnen nahe stehender Medien eine neue RAF beschworen, wenn sich Menschen jenseits von Staat und Kapital organisieren. Mal soll eine „Klima-RAF“ verhindert werden, wenn Klimabewegte über klassische Demo-Konzepte hinausgehen, mal wird „die Antifa“ zur neuen RAF stilisiert.

    Das hat durchaus Methode. Die RAF wird hier zum Synonym für größtmögliche Feindschaft zum Staat. Um die konkrete Programmatik der einst real existierenden RAF geht es da gar nicht mehr. Mit dem Hype um die Verhaftung von Klette soll dann noch mal von Seiten des Staatsapparates klargemacht werden, dass sie bei ehemaligen Staatsfeinden keine Gnade und kein Vergessen gibt. Das soll heutigen politischen Gruppen eine Lehre sein.

    Deutung der RAF-Taten: Wo fängt Terrorismus an?

    Tatsächlich hat sich bis weit in linke Kreise in Bezug auf die RAF der Begriff Terrorismus durchgesetzt – in den 1970er-Jahren waren selbst Linksliberale nicht bereit, diesen Begriff zu verwenden, nicht aus Sympathie mit der RAF, aber aus der Ablehnung vor dem Staatsapparat einen Kotau zu machen. Der Begriff hat sich heute aber weitgehend durchgesetzt.

    Mit der Verhaftung von Klette wird noch einmal verdeutlicht: Der deutsche Staatsapparat besiegt weiterhin einen Gegner, der sich längst aufgelöst hat. Damit soll auch klargestellt werden, dass die Staatsapparate gegen ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Feinde aus linken, rechten oder islamistischen Milieus vorgehen, um der Totalitarismustheorie die Ehre zu geben.

    XY ungelöst: Schmückt sich die Sendung mit fremden Federn?

    Auch die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“, die erst kürzlich wieder die noch gesuchten Ex-RAF-Mitglieder thematisierte, will sich die Verhaftung von Klette als Erfolg anrechnen lassen, obwohl laut Polizei die Observation der Frau schon Monate andauerte, als die Folge ausgestrahlt wurde.

    Erst im Februar wurde in der Sendung die Fahndung nach Klette und den beiden noch gesuchten ehemaligen RAF-Mitgliedern Burkhard Garweg und Ernst-Volker Staub reaktiviert – was angeblich zu mehr als 160 Hinweisen aus der Bevölkerung führte – und am 17. Februar zu einem stundenlangen Polizeieinsatz in einem Zug bei Wuppertal. Doch der dort als früheres RAF-Mitglied verdächtigte Mann war verwechselt worden.

    Auch hier fühlte man sich in die 1970er- und 1980er-Jahre zurückversetzt, als eine deutsche Volksgemeinschaft Staatsfeinde jagte. Nur: Damals haben es manche der Verwechselten nicht überlebt. Es ist keineswegs ein gutes Zeichen, dass in Zeiten angestrebter „Kriegstüchtigkeit“ und der erklärten Absicht der Herrschenden, mit Kanonen statt Butter großen Teilen der Bevölkerung die Rechnung zu präsentieren, auch die Denunziationsbereitschaft gegen vermeintliche oder tatsächliche Staatsfeinde wächst.
    Umgang mit RAF-Mitgliedern: Ein Lehrstück politischer Justiz?

    Nun stellt sich natürlich die Frage, wie es nach der Verhaftung von Daniela Klette weitergeht. Droht ein klassischer RAF-Prozess, wie es die Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe in ihrer Pressemitteilung befürchtet?

    Zu erwarten ist ein politisch motivierter Gesinnungsprozess, wie sie heutzutage vielfach gegen Aktivist:innen der türkischen und kurdischen Linken sowie antifaschistische Gruppen stattfinden.

    Damit erübrigt sich für die Anklage der jeweilige Tatnachweis. Schon in früheren RAF-Prozessen wurden regelmäßig allen Mitgliedern sämtliche Taten während der Zeit ihrer Mitgliedschaft zur Last gelegt. Dies steht auch aktuell zu befürchten. Es ist die Aufgabe von Solidaritäts- und Grundrechtsorganisationen ebenso wie der gesamten Linken, sich gegen diese Gesinnungsjustiz zu stellen.
    Bundesvorstand der Roten Hilfe

    Noch ist es zu früh, darüber zu urteilen. Das hängt auch vom Verhalten der Verhafteten ab. Klette wurde schon angeraten, sie könne die Kronzeugenregelung für sich in Anspruch nehmen – was bedeuten würde: Strafnachlass gegen Aussagebereitschaft gegen sich und andere. Würde ein solches Szenario eintreten, wäre ein weiterer „Triumph“ des Staates über die schon aufgelöste RAF besiegelt.

    Widerstand gegen Verurteilung nach alter Methode ist nötig

    Doch noch ist nicht klar, wie sich die Gefangene verhält, wie sie sich verteidigt und wie ihre Anwälte agieren. Die demokratische Öffentlichkeit könnte schon jetzt fordern, dass eine Verurteilung nach der alten Methode gegen tatsächliche oder vermeintliche RAF-MItglieder heute nicht mehr erfolgt.

    Es gib keine RAF mehr, also kann auch nicht nach dem Konstrukt der Gesamt-RAF verurteilt werden. So müssen den einzelnen Angeklagten individuelle Taten nachgewiesen werden. Das kann auch im Fall von Klette schwierig werden.

    Zur Last gelegt wird ihr unter anderem Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag im Jahr 1993, bei dem keine Menschen verletzt oder getötet wurden – was auch erkennbar nicht beabsichtigt war: Die Wachmannschaft des noch leer stehenden Gefängnisneubaus im hessischen Weiterstadt war von den bisher nicht identifizierten Tätern gefesselt und in einem Lieferwagen aus der Gefahrenzone gebracht worden, ehe die Bomben explodierten.
    Mordanschläge hörten schon Jahre vor der RAF-Auflösung auf

    Als Mordversuch interpretiert werden könnten dagegen die Schüsse auf das US-Botschaftsgebäude 1991 in Bonn – in verschiedenen Medienberichten heißt es, dort sei nur „durch einen glücklichen Zufall“ niemand getötet worden.

    Die Verteidigung dürfte da genauer hinsehen, falls Klette eine Beteiligung nachzuweisen ist, denn Tötungsdelikte verjähren nicht, im Gegensatz zur bloßen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, die gemäß der Höchststrafe von zehn Jahren nach § 129a innerhalb von 20 Jahren verjährt.

    Eine Beteiligung an vollendeten Morden wird Klette bisher nicht vorgeworfen – die RAF hatte schon mehrere Jahre vor der Auflösung 1998 aufgehört, Repräsentanten von Staat und System gezielt umzubringen.
    RAF-Geschichte kaum noch in öffentlichem Bewusstsein

    Es wird sich auch zeigen, wie ein solcher RAF-Prozess in einer gegenüber vor 30 Jahren völlig anderen politischen Umgebung stattfinden würde.

    Die RAF und ihre Aktionen sind heute vielen völlig unbekannt. Dabei gibt es den Roman „Erzählung zur Sache“ in dem die Autorin Stephanie Bart die Geschichte der RAF literarisch bearbeitet. Vielleicht ist die Verhaftung von Klette ein guter Anlass, nach diesem Buch zu greifen.

  • Ist der Golfstrom wirklich in Gefahr ?
    https://www.telepolis.de/features/Ist-der-Golfstrom-wirklich-in-Gefahr-9639633.html?seite=all


    Geografie der Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC). Grafik : NASA, gemeinfrei

    Byebye Gulfstream, bienvenu le retour des hivers quand on faisait du patin à glace sur tous lacs, étangs et bassins des fontaines de la ville ? Pas de chance, si les températures tombent à cause de l’arrêt des courants océaniques on aura du moins 30, trop froid pour s’amuser dehors. Quoi qu’il arrve il faut oeuvrer contre afin d’éviter les pires catastrophes dans l’avenir. C’est ce que nous disent les climatologues avertis.

    27.2.2024 von Jutta Blume - Neue Studie sieht Golfstrom auf dem Weg zu dramatischem Kipppunkt. Europas Wärmepumpe ist in Gefahr. Ob sie zusammenbricht, bleibt aber umstritten.

    Was zurzeit am meisten Sorge bereiten sollte, ist die rapide globale Erwärmung. Sei es, dass in den vergangenen zwölf Monaten die globalen Durchschnittstemperaturen durchweg 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau lagen, sei es, dass die Ozeane schon wieder Rekordtemperaturen aufweisen, und zwar noch deutlich höhere als im vergangenen Jahr.

    Mitten in diesem realen Klimageschehen sorgte eine, Anfang Februar im Fachjournal Science Advances veröffentlichte Studie der niederländischen Klimaforscher René M. Van Westen, Henk a. Dijkstra und Michael Kliphuis für Aufsehen. Sie kommt zu dem Schluss, dass der Nordatlantikstrom sich auf dem Weg zum Kollaps befinden könnte und als Teil davon der Golfstrom, der Wärme nach Europa transportiert.

    Würde die Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (AMOC), wie die Ozeanzirkulation fachsprachlich genannt wird, zum Erliegen kommen, könnte es in Europa ziemlich schlagartig kälter werden – rund 3 Grad Celsius pro Dekade und bis zu 30 Grad insgesamt.

    Bis zu 30 Grad kälter in Europa

    Gleichzeitig würde es in der südlichen Hemisphäre noch wärmer und trockener werden, was für den Amazonas-Regenwald, der sich aufgrund der Abholzung ebenfalls auf einen Kipppunkt zubewegt, keine guten Neuigkeiten wären.

    Angetrieben wird dieses gewaltige Strömungssystem vor allem durch das Gefrieren des Meerwassers im hohen Norden. Dabei sinkt kaltes Wasser in die Tiefe, das im westlichen Atlantik nach Süden strömt. Auf dem Rückweg nach Norden wird wiederum warmes Wasser transportiert, das für das vergleichsweise milde Klima in Europa sorgt.

    Gestört werden könnte die Umwälzbewegung im Ozean durch den zunehmenden Eintrag von Süßwasser von abschmelzenden grönländischen Gletschern. Damit verändern sich die Dichteverhältnisse und weniger Wasser könnte in die Tiefe absinken. Die Strömung würde sich abschwächen.
    Abschwächung oder Kipppunkt?

    Die wissenschaftliche Diskussion um AMOC dreht sich um die Fragen, ob die Zirkulation mit der Klimaerwärmung nur schwächer wird oder ob sie einen Kipppunkt erreichen kann, an dem sie ganz zum Erliegen kommt. Hinzu kommt die Frage, ob bisherige Messdaten natürliche Schwankungen abbilden oder auf einen grundsätzlichen, mit dem Klimawandel verbundenen Trend hindeuten.

    Bei letzterer stellt sich das Problem, dass die bisherige Messreihe eigentlich zu kurz ist, um längerfristige Trends auszumachen. Spezielle Messbojen, die die Strömung überwachen, wurden erst im Jahr 2004 ausgebracht. Daher behelfen sich Klimaforschende in erster Linie mit Computersimulationen.

    Im 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC wird ein vollständiger Kollaps der AMOC noch in diesem Jahrhundert zwar als unwahrscheinlich beschrieben – was aber nicht bedeutet, dass er nicht doch eintreten könnte. Und im vergangenen Jahr veröffentlichten der dänischen Klimaforscher Peter Ditlevsen und die Mathematikerin Susanne Ditlevsen eine Studie, in Nature Communications der zufolge die AMOC schon zwischen 2025 und 2095 zum Erliegen kommen könnte.

    Dem Berechnungsmodell zugrunde lagen Daten zur Oberflächentemperatur des Nordatlantik zwischen 1870 und 2020. Andere Klimaforschende äußerten allerdings Zweifel an der Aussagekraft der Untersuchung und schätzten das einbezogene Datenmaterial als nicht ausreichend ein, um zu einer solchen Prognose zu kommen.
    Die große Frage ‚wann‘ bleibt unbeantwortet

    Die Studie von van Westen und Kollegen simuliert einen graduell ansteigenden Süßwassereintrag im Nordatlantik über einen Zeitraum von 2200 Jahren, wobei Klimabedingungen aus vorindustrieller Zeit als Startpunkt gesetzt werden. Das Ergebnis ist eine langsam abnehmende Strömung bis das System nach 1758 Modelljahren an einen abrupten Kipppunkt gerät.

    Als Indikator für das Bevorstehen dieses Kipppunkts machten die Forscher einen minimalen Süßwassertransport in 34 Grad südlicher Breite 25 Jahre vor dem Ereignis aus.

    „Die große Frage, wann die atlantische Zirkulation einen Kipppunkt erreichen wird, bleibt unbeantwortet. Die Beobachtungen reichen nicht weit genug zurück, um ein klares Ergebnis zu liefern“, schreiben van Westen, Dijkstra und Kliphuis allerdings in The Conservation.
    Irreversible Klimaveränderungen

    Wenn die Zirkulation jemals kollabieren würde, dann würde das zu ziemlich sicher irreversiblen Klimaveränderungen führen, betont van Westen in einer Pressemitteilung der Universität Utrecht.

    Klimaforscher:innen des Max-Planck-Instituts für Meteorologie sehen die Sachlage weit weniger dramatisch. „Es ist zwar nicht völlig ausgeschlossen, dass sich die Nordatlantikzirkulation in den nächsten paar hundert Jahre deutlich abschwächt, aber wir sehen zurzeit dafür weder in den Messdaten noch in unseren Simulationen Anzeichen“, sagt Daniela Matei, die am Max-Planck-Institut für Meteorologie die Rückkopplungen zwischen Klimawandel und Nordatlantikzirkulation erforscht.

    Das Institut kritisiert eine geringe räumliche Auflösung des in Utrecht verwendeten Modells, sowie dass neben dem Süßwassereintrag die Erderwärmung nicht in die Berechnungen eingeflossen sei.
    Zusammenbruch des Golfstroms unbedingt vermeiden

    Anders bewertet wiederum der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung die jüngst erschienene Studie. „Die neue Studie bestätigt frühere Bedenken, dass Klimamodelle die Stabilität der AMOC systematisch überschätzen“, schreibt Rahmstorf.

    Er sieht in der Veröffentlichung einen wichtigen Fortschritt auf diesem Forschungsgebiet und hebt den dahinterliegenden Rechenaufwand hervor: „Die Rechnung dauerte sechs Monate auf 1.024 Rechnerkernen in der niederländischen nationalen Supercomputing-Einrichtung, dem größten System der Niederlande für Hochleistungsrechnen.“

    Der entscheidende Punkt aber bleibt, dass ein Zusammenbruch der AMOC in jedem Fall vermieden werden muss. Das Warten auf sicherere Forschungsergebnisse könnte sich daher als fatal herausstellen. „Sobald wir ein eindeutiges Warnsignal haben, wird es angesichts der Trägheit des Systems zu spät sein, etwas dagegen zu unternehmen“, kommentiert Rahmstorf in seinem Blogeintrag.

    #climat

  • Berlinale: Bloß keinen Ärger mit den Rechtsextremen
    https://www.telepolis.de/features/Berlinale-Bloss-keinen-Aerger-mit-den-Rechtsextremen-9621036.html


    Pressekonferenz, Berlinale 2024, 22. Januar. Bild: Elena Ternovaja / CC BY-SA 3.0 Deed

    Die Leitung der Berlinale hat kein Verständnis für den gesellschaftlichen und politischen Kontext in dem sie agiert. Das zeigt ihr Umgang mit den Anliegen der Berliner Taxifahrer und nun an den Einladungen für hochrangige Politiker der AfD. Das TaxiFilmFest als Grassroot-Veranstaltung hat es da leichter. In den Zuschauerraum dürfen nur Freunde und Freunde von Freunden, immer acht auf einmal, und das gilt auch für Freundinnen. Die gehören mit Sicheheit nicht zum rechten Pack. Das TaxiFilmFest ist garantiert nazifrei.

    7.2.2024 von Rüdiger Suchsland - Provokation: Filmfestival hofiert AfD und beweist: Die Demokratie ist nicht wehrhaft. Es gäbe viele Möglichkeiten, das Problem zu lösen. Kommentar.

    „Wie kann man in Deutschland eine Revolution niederschlagen? Indem man eine rote Ampel vor das Parlament stellt.“

    Es ist dieser alte, durchaus etwas abgehangene Witz, der auch hier wieder vollkommen zutrifft: Eine unzweideutige Haltung gegenüber den Antidemokraten und Faschisten von der AfD scheitert an formaljuristischen Einwänden, an Bürokratie und an falscher Nachsicht.

    Das neueste Beispiel dieser schlechten Charaktereigenschaften und der praktischen Schwächen unserer demokratischen Verhältnisse bietet gerade die Berlinale, die ohnehin von vielen internen Querelen gebeutelten „Internationalen Berliner Filmfestspiele“. Kommende Woche wird die 74. Ausgabe dieses größten und einstweilen noch wichtigsten deutschen Filmfestivals eröffnet.

    Zu der Eröffnungsgala sind mehrere AfD-Parlamentarier des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses eingeladen worden – der Bund und das Land Berlin sind Träger und mit einem Gesamtanteil von rund 40 Prozent am Etat öffentlicher Geldgeber des Festivals.
    Widerstand gegen formalistische Praxis

    Gegen diese Einladungen gibt es seit vergangener Woche massiven und wachsenden öffentlichen Widerstand. Dies kann eigentlich niemanden überraschen – nur die Berlinale hatte damit aber offenbar nicht gerechnet.

    Selber schuld, und zwar doppelt: Die Einladungen wären vermeidbar gewesen, und auf den jetzigen Shitstorm hätte man sich einstellen müssen. Sich zu wundern, ist mindestens sehr naiv.

    Das Ergebnis ist „ein PR-Desaster“, wie jetzt der Deutschlandfunk treffend kommentierte.

    Das Netz vergisst nie

    Auslöser des Streits war wieder mal ein offener Brief: Der kursierte seit vergangenem Freitag eine Weile im Netz, ist aber inzwischen verschwunden. Offenbar fehlten einigen unter den woken Unterzeichnern unter all den „Jews, women, members of the BIPOC, LGBTI+, disabled, Roma and Sinti, or Jehovah’s Witness communities“ die Palästinenser?

    Aber wer gut sucht, kann ihn noch finden, seine Spuren ohnehin. Denn das Netz vergisst nie und am vergangenen Samstag, als der Brief noch online war, berichteten längst alle relevanten internationalen Branchendienste darüber.

    Zuerst die Publikation Deadline, wo auch die Namen von rund 200 Unterzeichnern veröffentlicht wurden, dann auch Variety und der Hollywood Reporter.
    Würde die Berlinale auch Adolf Hitler einladen?

    In einer an The Hollywood Reporter gesendeten Erklärung behauptet die Berlinale in einem Versuch der Schadensbegrenzung, dass das Festival-Protokoll darin bestehe, „demokratisch gewählte“ Politiker einzuladen.

    Alle eingeladenen AfD-Abgeordneten wurden bei den letzten Wahlen entweder in den Bundestag oder das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. „Entsprechend sind sie auch in politischen Kulturgremien und anderen Gremien vertreten. Das ist eine Tatsache, und wir müssen sie als solche akzeptieren“, sagte das Festival.

    Genau diese Behauptung der Berlinale muss man bestreiten. Ein Protokoll ist kein Dogma, es lässt sich ändern.

    Sehr wohl stellt sich umgekehrt die Frage, was denn eigentlich erst passieren muss, damit die Berlinale ihr Protokoll ändert? Was wäre, würde Adolf Hitler heute noch leben? Ein „demokratisch gewählter Politiker“, oder? Würde man ihn einladen? Vermutlich.

    Und wer jetzt darauf verweist, dass das „doch ganz andere Umstände und Zeiten“ waren, könnte man erwidern, er habe beim Geschichtsunterricht nicht aufgepasst. Oder was tut die Berlinale, damit diese Zeiten und Umstände nicht wiederkommen?
    Selbstlähmung von Demokratien

    Der Rückzug aufs Formaljuristische und ein Einladungsprotokoll, das für entspannte liberale Zeiten, aber nicht für Kulturkämpfe zwischen autoritären und demokratischen Parteien entstanden ist, ist de facto eine Kapitulationserklärung von Demokraten.

    Sie belegt zwei Dinge: den fehlenden Instinkt der Berlinale. Und die Gefahr der Selbstlähmung von Demokratien, wenn demokratische Verfahren zum Fetisch und Selbstzweck werden.

    Der ganze Vorgang der formaljuristisch korrekten, politisch fatalen Einladung für Faschisten ist in Zeiten, in den viel von Übergriffen die Rede ist, natürlich selbst ein Übergriff – ein Übergriff auf der politisch-symbolischen Ebene.

    Und er ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die mit weitaus weniger institutioneller Stützung und Hilfe als die Berlinale sie hat, und die mit weitaus weniger finanziellem Polster und politischen Backup heute tagtäglich gegen Rechtsextremismus demonstrieren.
    Schwächen der Kritik

    Der Offene Brief, der am Freitagabend veröffentlicht wurde, ist selbst ein Schnellschuss, der sowohl in manchen Formulierungen und inhaltlichen Exzessen, als auch im emotionalen, empörten Grundtenor, der durchdrehenden Rhetorik das Anliegen selbst eher beschädigt.

    Er wurde von vielen Leuten unterzeichnet. Etwa die Hälfte von ihnen sind Deutsche, andere kommen vor allem aus den USA, Großbritannien und anderen Teilen Europas. In dem Brief heißt es, die Einladung an AfD-Politiker sei „unvereinbar“ mit dem „Code of Conduct“ der Berlinale, „ein Ort der ’Empathie, des Bewusstseins und des Verständnisses’ zu sein“.

    Zugleich ist der Offene Brief aber auch zum Teil selbst sehr schrill formuliert und ebenso wie der Bericht auf Deadline ein Beispiel dafür, wie Konsens-Anliegen und Positionen der demokratischen Mehrheitsgesellschaft von der extremen Linken und in diesem Fall manchen erklärten Feinden der deutschen Kulturszene und ihrer Institutionen erwartungsgemäß instrumentalisiert werden.

    Deadline framed das Ganze in sehr einseitiger Weise, und spricht zum Beispiel fehlerhaft von „einem staatlich finanzierten Festival“ obwohl die Berlinale 60 Prozent ihres Etats selbst erwirtschaften muss.

    Fragwürdig sind auch bestimmte Formulierungen des Offenen Briefs, etwa jene:

    Die Einladungen ... sind ein weiteres Beispiel für das feindselige und heuchlerische Umfeld, mit dem Kunst und Kultur in Berlin und Deutschland konfrontiert sind. (...)

    Wir weigern uns, zu normalisieren oder rechten Politikern die Teilnahme an unseren Räumen zu erlauben.

    Im Ernst? Und wer ist das „wir“, dem die Räume gehören?

    Die Unterzeichner sind zugegeben meist eher Leute aus der dritten und vierten Reihe, wenn man mal von zwei, drei Namen, absieht, die unter ziemlich vielen Offenen Briefen der letzten Monate zu finden sind – etwa Candice Breitz, die längst nicht über alle Zweifel erhabene, südafrikanische Künstlerin und BDS-Unterstützerin. Aber auch deutsche Kuratoren finden sich auf der Liste.

    Das alles entschuldigt nicht das törichte Verhalten des Festivals, relativiert allerdings die Kritik an ihm.
    Was könnte die Berlinale jetzt tun?

    Was könnte die Berlinale denn tun? Eigentlich ist es gar nicht so schwer.

    Hier könnte ein maßvoll und konsensuell, nicht spalterisch formulierter offener Brief Wunder tun: Man könnte hier alle anderen demokratischen Parteien auffordern, auf ihren Sitz bei der Berlinale-Eröffnung öffentlich zu verzichten und ihre Einladung zurückzugeben.

    Das würde die Berlinale von dem angeblichen Zugzwang befreien, alle „demokratisch gewählten“ Parteien einladen zu müssen. De facto muss sie nämlich gar nicht die Mitglieder des Parlaments einladen, genauso wenig wie die Mitglieder des Verfassungsgerichts.

    Sie hat es nur bisher getan. Einladen muss sie allenfalls die Mitglieder der jeweiligen Regierung, an der die AfD ja nicht beteiligt ist. Also nur die erste Gewalt. Juristisch gesprochen, weil sich die Berlinale ja auf eine juristische Position zurückzieht.

    Vielleicht kommen die demokratischen Politiker ja auch von selber drauf.

    Oder die Berlinale traut sich noch, selbstständig zu handeln. Andere Institutionen machen es vor und entscheiden selbst, wen sie einladen. Das Prozedere, dass die Berlinale beschreibt, gehört der Vergangenheit an und ist unzeitgemäß. Tatsächlich hat man bei der Berlinale nicht daran gedacht, umzudenken.

    #Berlin #Taxi #AfD #Rechte #Berlinale #TaxiFilmFest

  • Migration: Dava-Partei oder Bundesregierung – wer ist der verlängerte Arm Erdogans?
    https://www.telepolis.de/features/Migration-Dava-Partei-oder-Bundesregierung-wer-ist-der-verlaengerte-Arm-Er

    5.2.2024 von Peter Nowak - Kampagne gegen neue konservative Partei: Welche Rolle der türkische Hintergrund spielt und worin die Heuchelei besteht. Ein Kommentar.

    Kampagne gegen neue konservative Partei: Welche Rolle der türkische Hintergrund spielt und worin die Heuchelei besteht. Ein Kommentar.

    Im Fall der AfD dauerte es einige Jahre, bis in der Öffentlichkeit über geheimdienstliche Überwachung geredet wurde. Bei der kürzlich gegründeten Partei Dava genügten wenige Tage, um solche Forderungen laut werden zu lassen. Dabei würde der ausgeschriebene Name „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ eher an eine Gruppierung aus dem linksliberalen Spektrum denken lassen.
    Dava-Partei: Zwischen moderaten Forderungen und AKP-Nähe

    Doch tatsächlich wird manchen Spitzenpolitikern der neu gegründeten Partei, die an den Europawahlen teilnehmen will, eine Nähe zur islamisch-konservativen AKP-Regierung in der Türkei nachgesagt. Die kurze Pressemitteilung zur Parteigründung ist wenig spektakulär.

    Die Dava-Gründer haben sehr moderate sozialpolitische Forderungen und stellen wenig überraschend fest, dass sich viele Menschen von den bisherigen Parteien nicht mehr repräsentiert vielen.
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    Wie alle Parteineugründer wollen auch die Dava-Leute also eine Lücke in der Repräsentation schließen. Die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die gar nicht repräsentiert werden wollen, kommt Parteigründern aller Couleur grundsätzlich nicht und so wäre es ungerecht, das nur den Dava-Gründern vorzuwerfen.
    Nur Misstrauen gegen Türken, die sich politisch engagieren?

    Was diese von anderen Parteigründern unterscheidet, ist ihre Zielgruppe. Die Dava wendet sich in erster Linie an Menschen mit türkischem Migrationshintergrund.

    Hier liegt sicher auch der Grund für die harsche Kritik, die die Partei schon kurz nach der Gründung erfährt. Man kann durchaus unterstellen, dass hier auch rassistische Motive eine Rolle spielen. Menschen mit türkischem Migrationshintergrund und Doppelstaatsbürgerschaft, die sich in die deutsche Politik einmischen, waren vielen schon immer suspekt. Schließlich hat man sie einst als Arbeitskräfte gerufen, die schnell wieder verschwinden sollten.
    Kohl-Ära: Remigrationspläne, die nicht für Aufregung sorgten

    Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hat noch in den 1980er-Jahren darüber schwadroniert, Millionen türkischstämmige Menschen müssten Deutschland verlassen. Diese sehr konkreten Remigrationspläne, die erst viel später bekannt wurden, haben allerdings keine großen Reaktionen ausgelöst.

    Doch es hat sich eben auch gezeigt, dass sich die Menschen nicht mehr vertreiben lassen. Kohl konnte seine im privaten Kreis geäußerten Remigrationspläne nicht umsetzen. Und als der CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer als Westberliner Innensenator migrantische Menschen vertreiben wollte, gab eine große Protestbewegung in der türkischen Community. „Wir sind keine Rausländer“ hieß eine Parole – und so hieß später auch eine kleine Ausstellung, die in den Berliner Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung daran erinnerte.
    Gefahr einer türkischen AfD? Die Debatte um die Dava-Partei

    Wenn jetzt vor Erdogan-Jüngern gewarnt wird, die in Deutschland Politik im Sinne des autoritären türkischen Präsidenten machen wollen, und sofort mit dem Verfassungsschutz gedroht wird, ist leider davon auszugehen, dass da eher bei vielen eher rassistische als Motive dahinter stecken als solche „gegen Rechts“.

    Dabei dürfte kein Zweifel bestehen, dass die neue Partei eher rechtskonservativ ist. Ob dann aber gleich von einer türkischen AfD geredet werden kann, darüber gibt es sicher Diskussionsbedarf. Wenn dann aber Ali Ertan Toprak von der konservativen Kurdischen Gemeinde Deutschlands gleich die Ausweisung der Parteigründer fordert, vertritt er selbst rechte Parolen.
    Doppelte Staatsbürgerschaft und politische Repression

    Schließlich leben die Gründer der Partei nicht nur lange in Deutschland, sondern haben oft die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft. Wer dann fordert, dass ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll, ist nicht weit weg von den Thesen jener rechten Potsdamer Klausur, das seit Wochen für Aufregung sorgt.

    Dort soll sogar als Vorteil der doppelten Staatsbürgerschaft bemerkt worden sein, dass damit die Abschiebung vereinfacht werden kann. Wer dann die Abschiebung von Doppelstaatlern mit türkischem Hintergrund wegen einer Parteigründung fordert, bleibt ganz im Drehbuch der rechten Potsdamer Klausur. Das zeigt auch einmal mehr, dass solche Remigrationspläne eben nicht nur eine Domäne der AfD sind.
    Selektive Wahrnehmung und Kritik ohne Reflexion

    Toprak ist CDU-Mitglied und kritisiert mit keinem Wort die jahrelangen Repressalien gegen Kurdinnen und Kurden, die verdächtigt werden, Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu haben. Für Toprak ist das kein Problem. Da fällt nur der lapidare Satz, dass die PKK nun mal verboten sei. Nein, die PKK ist verboten, weil deutsche Politiker linke Exilstrukturen möglichst klein halten wollen – und damit sind sie durchaus auf einer Wellenlänge mit ihrem Nato-Partner Recep Tayyip Erdogan.

    Vor der PKK waren auch immer Gewerkschaften und andere linke Organisationen im Visier der repressiven Staatsapparate. Man denke nur an die Repressionswelle gegen streikende Arbeiter im Kölner Ford-Werk Anfang der 1970er-Jahre.

    Der deutsche Staat ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit Repression gegen linke migrantische Strukturen vorgegangen. Dabei haben sich die Verantwortlichen auch durchaus mit der türkischen Justiz abgesprochen.
    Mehr Raum für Islamisten durch Druck auf migrantische Linke

    Damit wurde den ultrakonservativen migrantischen Organisationen erst Raum gegeben. Politisch Suchende mit Migrationshintergrund, die sich hierzulande ausgegrenzt fühlen, wurden gezielt von ihnen angesprochen, wo die migrantische Linke geschwächt war.

    Hinzu kommt: Ultrakonservative islamische Vereinigungen waren geschätzte Dialogpartner der Bundesregierung. Ihr sind religiöse Organisationen immer willkommen, um linke säkulare Organisationen einzudämmen, die bis in die 1980er-Jahre eine große Mobilisierungskraft hatten.

    Deshalb müsste die richtige Forderung auch angesichts der Dava-Gründung sein, Repressalien gegen linke Exilstrukturen aus der Türkei und anderen Ländern zu beenden und das PKK-Verbot aufzuheben. Sie wären ein großes Gegengewicht gegen rechtskonservative Organisationsversuche à la Dava.

    Es wäre doch eigentlich klar, was Menschen fordern sollten, die nicht ständig die autoritäre Staatlichkeit beschwören wollen: weniger statt mehr Staatseingriffe, nämlich die Abschaffung der Repression gegen linke migrantische Strukturen.
    Integration und politische Beteiligung: Das Beispiel Kotti und Co.

    Ein anderer Aspekt besteht darin, dass in sozialen Initiativen auch mehr Menschen, die aus der Türkei kommen, in ihre Arbeit einbezogen werden sollten. Beispielhaft wäre hier die Berliner Initiative Kotti und Co. zu nennen, die Mieterinnen und Mieter am „sozialen Brennpunkt“ Kottbusser Tor in Berlin Kreuzberg organisiert hat. Ihr Treffpunkt steht ganz in türkischer Protesttradition. Es ist ein Gecekondu, eine über Nacht gebaute Holzhütte, die nach türkischen Recht dann nicht geräumt werden darf.

    Bei Kotti und Co. arbeiten auch Menschen mit, die eine recht unkritische Haltung zur Erdogan-Regierung haben. Das wurde in der Auseinandersetzung innerhalb der Initiative zu den Protesten am Gezi-Park in Istanbul deutlich. Doch an dieser Auseinandersetzung ist die Organisation nicht zerbrochen.

    Auch die Kreuzberger Stadtteilorganisation Bizim Kiez (türkisch-deutsch: „Unser Kiez“) organisiert Menschen unterschiedlicher Herkunft. In solchen Bündnissen entstehen neue Beziehungen und Dialoge zwischen diesen Menschen. Die werden sich dann genauer überlegen, ob sie eine konservative Partei wie die Dava wählen.
    Politische Organisation und Identität: Die Rolle der Dava-Partei

    Das betrifft auch antirassistische Bündnisse in vielen Teilen der Republik, wie beispielsweise die Initiative 19. Februar, in der sich Überlebende, Angehörige und Unterstützer des rassistischen Amoklaufs vom 19. Februar 2020 zusammengetan haben.

    Unter den Opfern waren ganz unterschiedliche Menschen, auch solche, die positiv zur türkischen Regierung stehen. So waren auch Vertreter des türkischen Staates bei den Trauerfeiern dabei und das war auch der ausdrückliche Wunsch einiger Überlebender und Angehöriger der Opfer.

    Es steht in einem solchen Fall natürlich nicht „biodeutschen“ Antirassisten zu, darüber zu entscheiden. Es ist aber in einer Zusammenarbeit in solchen Bündnissen möglich, die Beteiligten für Ausgrenzung und Rassismus überall zu sensibilisieren. Wenn hingegen mit Begriffen wie „Handlanger Erdogans“ gegen konservative Erdogan-Anhänger in Deutschland agiert wird, braucht man sich nicht wundern, dass sie sich dann noch mehr abschotten und Parteien wie die Dava stärken.

    Der taz-Journalist Volkan Agar weist auch zurecht darauf hin, dass die Dava nicht der erste Versuch ist, konservative türkische Migranten in Deutschland parteipolitisch zu organisieren. Die bisherigen Parteien bleiben im Promille-Bereich und fanden auch sonst wenig Aufmerksamkeit.
    Empörung hier, Kumpanei mit Erdogan an der EU-Außengrenze

    Durch die Kampagne gegen die mutmaßlichen Erdogan-Anhänger in Deutschland aber bekommt die Dava große Aufmerksamkeit, was sie sich sicher gewünscht hat.

    Da sollte man entgegenhalten, dass viele Politiker von CDU/CSU bis SPD selbst wie verlängerter Arm Erdogans agieren, wenn sie gegen kurdische und türkische Linke vorgehen, dabei eng mit der türkischen Justiz kooperieren – und dass sie Erdogan als Grenzwächter zur Abwehr von Migranten gerne stärken.

  • Präsident von Namibia : Wie Hage Geingob Deutschland noch im Tod einen Spiegel vorhält
    https://www.telepolis.de/features/Praesident-von-Namibia-Wie-Hage-Geingob-Deutschland-noch-im-Tod-einen-Spie

    Avec sa politique en faveur de l’état d’Israël l’Allemagne se montre comme esclave de son passé colonial.

    5.2.2024 von Uwe Kerkow, Harald Neuber - Kritiker westlicher Politik mit 82 Jahren verstorben. Eine der letzten Wortmeldungen galt deutscher Haltung zu Israel-Krieg. Reaktionen werfen Schlaglicht auf unser Weltbild.

    Kritiker westlicher Politik mit 82 Jahren verstorben. Eine der letzten Wortmeldungen galt deutscher Haltung zu Israel-Krieg. Reaktionen werfen Schlaglicht auf unser Weltbild.

    Noch vor gut drei Wochen hatte sich Hage Gottfried Geingob mit scharfer Kritik an Deutschland zu Wort gemeldet. Er sei „zutiefst besorgt“ über die Haltung Berlins zur international viel beachteten Völkermord-Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof im niederländischen Den Haag, ließ Namibias Präsident wissen.

    Geingobs Letzte Worte: Scharfe Kritik an Deutschland

    Am frühen Morgen des 4. Februar starb Geingob im Alter von 82 Jahren in einem Krankenhaus in Windhoek. In Afrika und in vielen Ländern, die zu Zeiten des antikolonialen Befreiungskampfes dem „Trikont“ - Afrika, Asien und Lateinamerika - zugerechnet wurden, löste die Nachricht Bestürzung aus, in Europa war sie eher eine Randnotiz. Nicht nur daran zeigt sich der unterschiedliche Blick auf den Globalen Süden.

    Geingob wurde am 3. August 1941 im Distrikt Grootfontein in Südwestafrika geboren, das seit Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr unter deutscher Kolonialherrschaft, sondern unter dem Mandat des Völkerbundes stand. De facto stand das Gebiet jedoch unter der Apartheid-Verwaltung Südafrikas.
    Geingobs Wurzeln: Ein Leben unter Kolonialismus und Apartheid

    Mit 17 Jahren begann Geingob eine Lehrerausbildung, die er trotz seiner politischen Aktivitäten mit 21 Jahren abschloss. Seine Stelle als Lehrkraft musste er jedoch nach kurzer Zeit wieder aufgeben, da er gezwungen war, unter dem südafrikanischen Bantu Education Act zu unterrichten. Mit diesem Gesetz sollte die Rassentrennung im Schulsystem durchgesetzt werden. Stattdessen floh Geingob ins benachbarte Botswana, um dort die Südwestafrikanische Volksorganisation (Swapo) zu vertreten.

    Im Jahr 1964 erhielt Geingob ein Stipendium, das es ihm ermöglichte, in die Vereinigten Staaten zu gehen, wo er einen Master-Abschluss in Politikwissenschaft erwarb. Noch im selben Jahr wurde er zum Vertreter der Swapo bei den Vereinten Nationen ernannt. In den folgenden Jahren setzte er sich intensiv für die internationale Anerkennung des namibischen Befreiungskampfes ein, der seit 1966 auch mit Waffengewalt geführt wurde.

    Von der Bildung zur Politik: Geingobs Aufstieg bei der Swapo

    Und Geingob hatte Erfolg: 1976 wurde die Swapo schließlich von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in der Resolution 31/146 als „einzige und authentische Vertreterin des namibischen Volkes“ anerkannt.

    Über verschiedene Stationen bei den Vereinten Nationen und Lehraufträge an US-amerikanischen Universitäten erarbeitete sich Geingob in den folgenden Jahren eine Position, die es ihm ermöglichte, 1989 als Mitglied des Politbüros der Swapo den ersten Wahlkampf für die Befreiungsorganisation in Namibia zu leiten.

    Geingob an der Macht: Erster Premierminister Namibias

    Geingob, der auch ein geübter Rhetoriker war und kompromisslos für die Rechte der Unterdrückten eintrat, leitete nun die verfassungsgebende Versammlung in Windhoek und wurde am 21. März 1990 zum ersten Premierminister der Republik Namibia gewählt.

    Seitdem hat Geingob der Republik Namibia mit kurzen Unterbrechungen in verschiedenen Regierungsämtern gedient, unter anderem als Minister für Regional- und Kommunalverwaltung und Wohnungsbau, als Minister für Handel und Industrie und als Vizepräsident, bevor er am 28. November 2014 zum Präsidenten Namibias gewählt wurde. Dieses Amt bekleidete er nach seiner Wiederwahl im Jahr 2019 bis zu seinem Tod.

    Geingob und der antikoloniale Befreiungskampf: Ein Vermächtnis

    Geingob war einer der letzten Vertreter des antikolonialen Befreiungskampfes, der von den westlichen Kolonialstaaten mit einer hierzulande bis heute fast unbekannten Brutalität bekämpft wurde. In vielen Ländern des Südens wird er in einer Reihe mit Fidel Castro oder Nelson Mandela gesehen.

    Ganz anders in den ehemaligen Kolonialstaaten. Dort spielte die Nachricht von seinem Tod eine eher untergeordnete Rolle und wurde teilweise einseitig aufgegriffen. Während Tagesschau.de weitgehend sachlich berichtete, reicherte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel eine Agenturmeldung über den Tod Geingobs mit dem Satz an: „Doch seine Versprechen hielt er nicht immer.“

    Kritik und Interpretation: Was sagt Deutschlands Berichterstattung?

    Was das genau heißen soll, warum das relevant ist und ob man das nicht von jedem Politiker sagen kann – all das blieb offen. So sagt der Satz mehr über den deutschen Blick auf Afrika aus als über einen verstorbenen afrikanischen Staatschef.

    Nicht nur die Aussagen über Afrika lassen Rückschlüsse auf den deutschen Blick auf die Welt zu, sondern auch das, was nicht gesagt und berichtet wird. Drei Wochen vor Geingobs Tod hatte er scharfe Kritik an der Haltung der Bundesregierung gegenüber der Anklage Israels wegen Völkermords vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) geübt.

    Deutschland und IGH: Ein Streitpunkt in Geingobs letzten Tagen

    Dort war Ende Januar eine Klage Südafrikas gegen Israel wegen mutmaßlichen Völkermords erörtert worden. Zugleich hatte die deutsche Bundesregierung bekannt gegeben, Israel vor dem IGH zur Seite zu stehen.
    Lesen Sie auch

    In einer Stellungnahme verurteilte die namibische Regierung die Haltung Deutschlands, die ihrer Ansicht nach eine „völkermörderischen Absichten des rassistischen israelischen Staates gegen unschuldige Zivilisten in Gaza“ unterstützt.
    Namibias Standpunkt: Ablehnung der deutschen Unterstützung Israels

    Geingob selbst äußerte am Samstag seine „tiefe Besorgnis“ über die Entscheidung der deutschen Regierung, die Vorwürfe Südafrikas zurückzuweisen. Er bezeichnete dies als „schockierende Entscheidung“ und erinnerte an den Massenmord an Mitgliedern der Volksgruppen der Herero- und Nama durch Deutschland in den Jahren zwischen 1904 und 1908.
    Ein historischer Konflikt: Namibias Kritik an Deutschlands Rolle

    Namibia lehnt Deutschlands Unterstützung der völkermörderischen Absichten des rassistischen israelischen Staates gegen unschuldige Zivilisten in Gaza ab. Auf namibischem Boden beging Deutschland zwischen 1904 und 1908 den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, bei dem Zehntausende unschuldiger Namibier unter unmenschlichsten und brutalsten Bedingungen starben.

    Die scharfe Kritik aus Windhoek kam in deutschen Medien vor, gibt man Namibia und Gaza ein, finden sich aber weitaus mehr Artikel in englischer Sprache. Womit der 82-jährige ein letztes Mal deutlich machte, wie der Blick Deutschlands auf Afrika und die Welt ist.

    #Allemagne #colonialisme #génocide

  • Absage Chinas an US-Staatsanleihen : Die siamesischen Zwillinge werden getrennt
    https://www.telepolis.de/features/Absage-Chinas-an-US-Staatsanleihen-Die-siamesischen-Zwillinge-werden-getre

    Le désengagement du capital états-unien des marchés chinois pose plusieurs problëmes. D’abord une guerre entre la super-puissance militaire et le géant économique est de moins en moins risqué pour le capital américain. En même temps les économies des anciens partenaires ne soutiennent plus leur croissance mutuelle. Où investiront-ils alors ?

    Le défi est lancé, la lutte pour la domination des régions avec la plus grande probabilité de croissance a commencé il y a un bon moment. Et l’Europe alors, quel rôle pourrat-elle encore jouer ?

    29.1.2014 von Wolfgang Pomrehn - Beijings Zentralbank trennt sich Schritt für Schritt von ihren Treasuries. US-Firmen ziehen wiederum ihre Investitionen aus China ab. Eine Entkopplungsgeschichte.

    Es gab Zeiten – gerade zehn Jahre ist es her –, da waren die Volkswirtschaften der USA und Chinas sowie ihre Finanzsphären so eng miteinander verknüpft, dass sie siamesischen Zwillingen glichen, wenn auch sehr ungleichen. Manchem Beobachter erschienen die großen wechselseitigen Abhängigkeiten gar als Garant für ein friedliches Miteinander.

    Rund ein Drittel aller chinesischen Exporte gingen in die USA, die diese vor allem mit einer wachsenden Auslandsverschuldung finanzierten, mit Kredit, den nicht zuletzt China selbst gab. Zeitweise hielt die chinesische Zentralbank 2011 US-Staatsanleihen (Treasuries) im Wert von bis zu 1,3 Billionen US-Dollar. 2013 wurde dieser Höchstwert noch einmal erreicht.
    Entkopplung nimmt Fahrt auf

    Doch während sich die USA in der Zwischenzeit immer weiter im Ausland verschuldete – die Funktion des US-Dollars macht es möglich –, hat China in den vergangenen Jahren seinen Treasury-Bestand abgebaut.

    Zuletzt hatte er noch einen Wert von 782 Milliarden US-Dollar. Und während der chinesische Staat 2011 noch 14 Prozent aller ausgegebenen US-Staatsanleihen hielt, sind es derzeit nur noch drei Prozent, wie die Nachrichtenagentur Reuters meldet.

    Chinas Währungsreserven belaufen sich insgesamt auf 3,24 Billionen US-Dollar, wovon noch immer über diverse Kanäle schätzungsweise 60 Prozent in US-Dollar gehalten werden und der Rest in anderen Währungen wie dem Euro, dem Schweizer Franken oder dem japanischen Yen. Aber die finanzielle Entkoppelung hat parallel zur entsprechenden Entwicklung im Warenaustausch Fahrt aufgenommen, und sie verläuft nicht einseitig.

    US-Firmen und -Fonds haben in den letzten Jahren massiv Investitionen aus China abgezogen und einige Beobachter meinen, das könnte einer der Gründe für die derzeitigen Berg- und Talfahrten der chinesischen Aktienmärkte sein. Im dritten Quartal 2023 verlor die Volksrepublik zum ersten Mal seit Beginn der Öffnungspolitik Anfang der 1980er-Jahre mehr ausländische Direktinvestitionen als zugleich ins Land flossen, und zwar 12 Milliarden US-Dollar. Das Kapital flösse aus China ab und der USA zu, meint Reuters.

    Ansonsten ist China aber nicht der einzige Staat, der sich aus den einst bei Zentralbanken sehr beliebten Treasuries zurückzieht. Einerseits strebt die US-Staatsverschuldung immer neuen Rekorden entgegen. Die Schuldverschreibungen haben inzwischen den sagenhaften Umfang von 26 Billionen US-Dollar (93 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts). Das ist immerhin das Fünffache des Standes vor dem Beginn der großen Immobilien- und Börsenkrise 2007.

    Andererseits wird das Gros jedoch von Privatpersonen und privaten Gesellschaften gehalten. Ausländische Zentralbanken haben in ihren Portfolios Treasuries mit einem Wert von nur noch 3,8 Billionen US-Dollar. Weitere gut drei Billionen US-Dollar werden von Privaten im Ausland gehalten, und mit fast 20 Billionen US-Dollar ist der US-Staat im Inland verschuldet.

    #Chine #USA #Europe #économie #impérialisme

  • Spannungen zwischen Nato-Staaten und China : Analyse einer zunehmenden Rivalität
    https://www.telepolis.de/features/Spannungen-zwischen-Nato-Staaten-und-China-Analyse-einer-zunehmenden-Rival

    Dans une série d’articles bien documentés Norman Paech vérifie le bien fondé des accusations de génocide contre la Chine. Il confirme l’impression que j’ai depuis le début : Il y a sans doute beaucoup de pratiques du pouvoir chinois qu’on peut critiquer dans le détail, mais les reproches d’actes et de volonté génocidaires contre la Chine sont des fabrications des milieux islamistes et anticommunistes états-uniens, allemands et ouïgours.

    17.1.2024 - China gewinnt an Bedeutung, doch auch der Widerstand wächst. Vorwürfe vor allem aus Nato-Staaten. Wie sich der Konflikt auswirkt. Eine Analyse in drei Teilen. (Teil 1)

    Völkerrechtliche Perspektiven auf die Situation der Uiguren in China
    https://www.telepolis.de/features/Voelkerrechtliche-Perspektiven-auf-die-Situation-der-Uiguren-in-China-9600

    20.1.2024 - UN-Hochkommissariat sieht Menschenrechtslage in Xinjiang kritisch. Chinas Vorgehen stehen zur Debatte. Was sagen Völkerrecht und UNO? Eine Analyse in drei Teilen. (Teil 2)

    China und Xinjiang : Anschuldigungen wegen Völkermordes im Realitätscheck
    https://www.telepolis.de/features/China-und-Xinjiang-Anschuldigungen-wegen-Voelkermordes-im-Realitaetscheck-

    21.1.2024 - Überwachungsapparat in Xinjiang. Leben der Uiguren tiefgreifend verändert. Wird aber die uigurische Kultur zerstört? Eine Analyse in drei Teilen. (Teil 3 und Schluss)

    #USA #Chine #minorités_nationales #terrorisme #islamisme #impérialusme #génocide

  • „Unfähigkeit Deutschlands, Lehren aus seiner grausamen Geschichte zu ziehen“
    https://www.telepolis.de/features/Unfaehigkeit-Deutschlands-Lehren-aus-seiner-grausamen-Geschichte-zu-ziehen

    Harald Neuber - Namibia kritisiert deutsche Haltung zur Anklage gegen Israel. Frontalangriff lässt geopolitischen Umbruch erahnen. Hier die Erklärung aus Windhoek in deutscher Übersetzung.

    Namibia kritisiert deutsche Haltung zur Anklage gegen Israel. Frontalangriff lässt geopolitischen Umbruch erahnen. Hier die Erklärung aus Windhoek in deutscher Übersetzung.

    Namibia hat scharfe Kritik an der Haltung der Bundesregierung gegenüber der Anklage Israels wegen Völkermords vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) geübt. Dort war am Freitag vergangener Woche eine Klage Südafrikas gegen Israel wegen mutmaßlichen Völkermordes in erster Sitzung erörtert worden. Zugleich hatte die deutsche Bundesregierung bekannt gegeben, Israel vor dem IGH zur Seite zu stehen.

    In einer Stellungnahme verurteilte die namibische Regierung die Haltung Deutschlands, die ihrer Ansicht nach eine „völkermörderischen Absichten des rassistischen israelischen Staates gegen unschuldige Zivilisten in Gaza“ unterstützt.

    Namibias Präsident Hage Geingob äußerte am Samstag seine „tiefe Besorgnis“ über die Entscheidung der deutschen Regierung, die Vorwürfe Südafrikas zurückzuweisen. Er bezeichnete dies als „schockierende Entscheidung“ und erinnerte an den Massenmord an Mitgliedern der Volksgruppen der Herero- und Nama durch Deutschland in den Jahren zwischen 1904 und 1908.

    Die Bundesregierung hatte die Vorwürfe gegen Israel zuvor „entschieden und ausdrücklich“ zurückgewiesen und betonte, dass diese jeder Grundlage entbehrten. Auch hat die Bundesregierung seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres wiederholt darauf verwiesen, dass sie sich aufgrund der eigenen Geschichte, insbesondere des Holocausts, besonders der Konvention gegen Völkermord verpflichtet fühle. Dies wird aus Windhoek mit deutlichen Worten in Abrede gestellt.

    Die Kritik Namibias macht deutlich, wie heftig die diplomatischen Spannungen um die Anklage Israels sind und wie sich die geopolitischen Verhältnisse ändern.
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    In einem Leiartikel hatte Telepolis an diesem Freitag darauf verwiesen, wie unterschiedlich auch der Mediale Umgang mit dem Thema ist. So hätten die New York Times (NYT) und das Online-Magazin The Intercept kritisiert, wie die westliche Welt, vornehmlich die USA und Deutschland, gegenüber den Völkerrechtsverletzungen in Gaza die Augen verschließen.

    Megan K. Stack von der NYT verurteilt die oberflächliche Ablehnung der Völkermordanklage gegen Israel durch die USA, und Jeremy Scahill vom Intercept beschreibt Israels Verteidigung vor dem IGH als basierend auf einer „alternativen Realität“.

    Westliche Werte gegen politische Realität

    Deutschland, vertreten durch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), ignoriere die wachsende internationale Kritik und vielfältige Unterstützung für die südafrikanische Klage vor dem IGH. Die EU zeige sich besorgt, während die Lage in Gaza eskaliert.

    Israel beharrt auf Selbstverteidigung, aber die Diskrepanz zwischen westlichen Werten und realer Politik wirft zunehmend Fragen auf und hinterfragt die Rolle der USA und Deutschlands in diesem Konflikt.

    Lesen Sie auf der folgenden Seite die harsche Stellungnahme des namibischen Präsidenten zur Nahost-Politik der Bundesregierung.
    "Deutsche Regierung ignoriert gewaltsamen Tod von mehr als 23.000 Palästinensern

    Namibia lehnt Deutschlands Unterstützung der völkermörderischen Absichten des rassistischen israelischen Staates gegen unschuldige Zivilisten in Gaza ab. Auf namibischem Boden beging Deutschland zwischen 1904 und 1908 den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, bei dem Zehntausende unschuldiger Namibier unter unmenschlichsten und brutalsten Bedingungen starben.
    Namibias Ablehnung der deutschen Unterstützung Israels

    Die deutsche Regierung hat den Völkermord, den von ihrer Seite auf namibischem Boden begangen worden ist, noch immer nicht vollständig gesühnt.

    Angesichts der Unfähigkeit Deutschlands, Lehren aus seiner grausamen Geschichte zu ziehen, hat Präsident Hage Geingob seine tiefe Besorgnis über die schockierende Entscheidung zum Ausdruck, die die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, am 12. Januar 2024, mitgeteilt hat und der zufolge sie die moralisch aufrechte Anklage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof zurückgewiesen hat, wonach Israel einen Völkermord an den Palästinensern in Gaza begeht.
    Die unbeachtete Tragödie in Gaza

    Es ist besorgniserregend, dass die deutsche Regierung den gewaltsamen Tod von mehr als 23.000 Palästinensern im Gazastreifen und gleichsam mehrere Berichte der Vereinten Nationen ignoriert, die in beunruhigender Weise auf die Binnenvertreibung von 85 Prozent der Zivilisten im Gazastreifen angesichts des akuten Mangels an Lebensmitteln und lebenswichtigen Dienstleistungen hinweisen.

    Die hat sich dafür entschieden, vor dem Internationalen Gerichtshof die völkermörderischen und grausamen Handlungen der israelischen Regierung gegen unschuldige Zivilisten im Gazastreifen und in den besetzten palästinensischen Gebieten zu verteidigen.
    Der Widerspruch in Deutschlands Vorgehen

    Deutschland kann sich nicht moralisch zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Völkermord bekennen, einschließlich der Sühne für den Völkermord in Namibia, und gleichzeitig das Äquivalent eines Holocausts und Völkermords in Gaza unterstützen.

    Internationale Organisationen, wie Human Rights Watch, sind zu dem erschreckenden Schluss gekommen, dass Israel in Gaza Kriegsverbrechen begeht. Präsident Geingob bekräftigt daher seine Stellungnahme vom 31. Dezember 2023: „Kein friedliebender Mensch kann das Gemetzel an den Palästinensern in Gaza ignorieren.“

    In diesem Sinne appelliert Präsident Geingob an die deutsche Regierung, ihre verfrühte Entscheidung zu überdenken, als Drittpartei zur Verteidigung und Unterstützung der völkermörderischen Handlungen Israels vor dem Internationalen Gerichtshof aufzutreten.

  • Deutsche Bahn : Alles wird digital und der Fahrgast zum Problem
    https://www.telepolis.de/features/Deutsche-Bahn-Alles-wird-digital-und-der-Fahrgast-zum-Problem-9586236.html

    Voilà pourquoi je serai obligé d’acheter une voiture pour voyager. C’est assez ennuyeux car c’est cher et en principe le train est les meilleur moyen de transport pour se déplacer à l’intérieur de l’Europe. Pourtant avec les changements introduits depuis la transformation du service publique Bundesbahn en société anonyme Deutsche Bahn on ne peut plus voyager en train sans s’exposer à un bel ensemble de nuisances insupportables. Plusieurs problëmes mentionnés par l’auteur concernent également les trains français, mais la somme des aspects mégatifs est bien plus grande en Allemagne.

    4.1.2024 von Timo Rieg - Über Service-Rückbau und Probleme mit Bezahlmöglichkeiten. Kritische Analyse einer Institution, der die demokratische Steuerung fehlt. (Teil 2 und Schluss)

    Bereits Ende 2018 wurde die Bezahlmöglichkeit per Lastschrift (SEPA) für Sparpreistickets abgeschaltet, wohl weil es zu Betrügereien über die Storno-Funktion kam. Der Spiegel zitierte seinerzeit einen Bahnsprecher mit den Worten:

    Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass unsere Services so schnell wie möglich wieder wie gewohnt zur Verfügung stehen werden.

    Wie es nach fünf Jahren um diesen Hochdruck steht, beantwortete eine dazu von Telepolis befragte Sprecherin nun nicht. Zur Auswahl steht die SEPA-Zahlung ebenso weiterhin, wie sie weiterhin nicht funktioniert.

    Und dies nicht nur bei Sparpreistickets, sondern nach einer durch Trial and Error bisher nicht entschlüsselten Häufigkeit auch bei anderen Tickets und Reservierungen.

    Warum die Bahn die gute alte Überweisung nicht akzeptiere oder wenigstens ein Guthabenkonto anbiete, das ja immerhin beim Stornieren von Tickets zwangsweise eingerichtet wird (denn eine Zahlungserstattung gibt es nicht), wollte die Sprecherin nicht sagen. Stattdessen:

    „Alternativ haben wir unser Zahlungsportfolio vor Kurzem um Apple Pay erweitert.“

    Der Ticketverkauf im Zug wurde bereits zum Jahreswechsel 2021/22 eingestellt. Seitdem kann man als spontan Reisender im Zug nur noch ein digitales Ticket selbst buchen – oder den Schwarzfahrerpreis später bei der Fahrpreisnacherhebungsstelle zahlen.

    Selbst wenn man argumentieren wollte, die nur noch selten genutzten On-Board-Käufe stünden in keinem Verhältnis zum Abrechnungsaufwand mit Barzahlungen bei einzelnen Schaffnern: Zum einen gab es schon lange die Möglichkeit der Kartenzahlung (zeitweise allerdings nicht mit der EC-Karte), zum anderen gibt es noch (!) eine Barkasse im Fernzug, nämlich im Bordbistro.

    Da inzwischen auch immer mehr Reisende mit dem „Komfort-Check-in“ quasi ihre eigenen Schaffner sind, kann der stetige Serviceabbau nur auf eine Reduktion des Zugbegleitpersonals hinauslaufen, das sich auf längeren Strecken ohne Haltebahnhof schon längst langweilt.

    Denn neue Serviceaufgaben, wie man sie etwa von Flugbegleitern kennt, nimmt nur ein verschwindend kleiner Teil des Bahnpersonals wahr.
    Kein Papier mehr

    Mit Corona verschwanden aus den ICE die gedruckten Tageszeitungen. Ohne jede Evidenz war dies seinerzeit mit einem Infektionsrisiko begründet worden. (Aber evidenz- wie sinnfrei wurden ja auch Züge desinfiziert ...)

    Nachdem das eigene Kundenmagazin mobil bereits als Druckwerk zurückgekehrt war, kündigte die DB auf Nachfrage im Oktober 2020 an:

    Ab dem 4.11. werden wir in der 1. Klasse auch wieder Zeitungen auf einzelnen Verbindungen anbieten. Auf anderen Verbindungen bleibt es weiterhin beim digitalen Zeitungsangebot im „ICE Portal“, das von den Kunden sehr gut angenommen wird.

    Die weitere Entwicklung war vorhersehbar: Zeitungen auf Papier gibt es inzwischen nirgends mehr, auch das eigene Magazin gibt es nur noch als Website.
    Hält nur zum Aussteigen

    Zu den besonderen Ärgerlichkeiten im Service-Rückbau gehört, dass Züge in ihren Zielorten mit mehreren Bahnhöfen nur noch zum Aussteigen halten (und in ihren Startbahnhöfen nur zum Einsteigen, was jedoch schwieriger zu kontrollieren ist).

    Für den Fernverkehr hatte die DB dies zunächst auf Anfrage wie folgt begründet:

    Fernzüge dienen dem Schnellverkehr zwischen den Städten. Nahverkehrs- und Verbundfahrkarten werden im Regelfall nicht anerkannt. Daher sind die Bahnhöfe am Zielort ausschließlich für den Ausstieg vorgesehen.

    Darauf angesprochen, dass diese Vorgabe aber auch bei Nahverkehrszügen anzutreffen ist, antwortete der Bahnsprecher:

    Wenn Regionalzüge nur zum Aussteigen halten, hat dies betriebliche Gründe. So soll im Einzelfall sichergestellt werden, dass die Pünktlichkeit und Anschlusssicherheit für diejenigen gesichert wird, die schon im Zug sind. Eine solche Maßnahme wird aber nur dann ergriffen, wenn für die anderen Fahrgäste eine entsprechende Alternative besteht.

    Die Wahrheit dürfte eine andere sein, die auch mehrere Schaffner unabhängig voneinander bestätigt haben: Man mag auf den letzten Metern keine Tickets mehr kontrollieren. Deshalb werden Menschen auch mit gültigem Ticket von der Nutzung eines vorhandenen Zugs ausgeschlossen.

    Entscheiden darf dies – siehe Teil 1 – das Bahnmanagement.

    Datenschutz

    Eine weitere Ärgerlichkeit ist die mit der Digitalisierung einhergehende Personalisierung von Fahrkarten. Nicht nur unter Datenschutzgesichtspunkten ist dies eine Ungeheuerlichkeit, schließlich war das anonyme Reisen gängige Praxis und eine Personalisierung ist auch als Zahlungsnachweis schlicht nicht notwendig.

    Ein personalisiertes Ticket ist nicht übertragbar, was die Entscheidung verlangt: Reisen oder der Bahn für eine Null-Leistung Geld schenken. Dieses offenkundig lukrative Geschäftsmodell hat die DB gerade nochmals erweitert: auch in Verkaufsstellen erworbene Tickets müssen nun personalisiert werden.

    Zeitkarten (Monats- und Jahrestickets) gibt es schon seit 2023 – außer für Schüler – nur noch als Handy-Ticket. Wer in diese Veränderung seines Abonnements nicht einwilligen wollte, wurde gekündigt.

    Da künftig auch Bahn-Cards nur noch digital angeboten werden und die Plastikkarte abgeschafft wird, droht auch den Bahn-Card-100-Inhabern die totale Überwachung ihres Reiseverhaltens.

    Noch ist zwar laut DB nicht ausgemacht, welche Daten dann erhoben und gespeichert werden, aber alles spricht dafür, dass sie sich diesen attraktiven Datenfundus nicht entgehen lassen wird.

    Als nächste Stufe darf man dann schon mal für alle Dauerkarten an neue Flat-Rate-Modelle denken, die wie bei Internet-Tarifen eben keine unbegrenzte Nutzung mehr erlauben, sondern nur noch ein vorher gekauftes Volumen umfassen.
    Versteckte Preiserhöhungen

    Den kontinuierlichen Leistungsabbau kann man auch als versteckte Preiserhöhungen sehen. Am offensichtlichsten war dies mit der Streichung der in 1. Klasse Tickets enthaltenen Sitzplatzreservierung bei Sparpreisen. Sie kostet nun 5,90 EUR pro Strecke, was je nach Buchungstermin einer Gesamtpreiserhöhung von 10 bis 20 Prozent entspricht.

    Bei der Bahn-Card 100 wurde der ursprünglich täglich mögliche Gepäcktransport per Hermes auf zwei Gepäckstücke pro Monat limitiert und dann ganz abgeschafft.

    Als für alle übrigen Bahnkunden mit dem 9-Euro-Ticket das Chaos mit den vielen Verkehrsverbünden aufgehoben wurde, blieb die Nutzung der Bahn-Card-100 auf ausgewählte City-Zonen beschränkt. Begründung der DB: Die Bahn-Card-100 sei ein Angebot des Fernverkehrs, nicht des Nahverkehrs.

    Dass die meisten Menschen nicht nur von Bahnhof zu Bahnhof, sondern von einer Adresse zu einer anderen wollen, begreift die Bahn bis heute nicht.
    Problem: Fahrgast

    Natürlich kann man auch Positives zur Bahn sagen. Die Züge sind überwiegend sauber und gegen den ein oder anderen ungehobelten Fahrgast ist eben kein Kraut gewachsen. Das Zugpersonal ist in der Regel freundlich, sein Auftreten etwas weniger von oben herab als zur Zeit der ausschließlichen Beamtenbahn.

    Wie auch für Verschmutzungen sind für Unfreundlichkeiten häufig Reisende verantwortlich. Nicht nur, weil sich einzelne schlicht unverschämt benehmen. Sondern auch, weil jede Abweichung vom Protokoll heute zu einer Beschwerde führt, vorzugsweise in den sozialen Medien.

    Eine flapsige Zugdurchsage genügt, dass sich irgendein Denunziant berufen fühlt, den digitalen Pranger zu benutzen und auf Konsequenzen für den Mitarbeiter zu hoffen.

    Doch ob Preisgestaltung, Service oder Entscheidungen über Prioritäten: Das entscheidende Problem der Bahn ist ihre wirtschaftliche statt demokratische Steuerung. Wie sollten Bahnhöfe aussehen? Sind gepflegte Bahnsteige in Pusemuckel oder eine häufigere Taktung der Zugverbindungen wichtiger?

    Wie viel Komfort darf es in einem Zug sein (zur Erinnerung: vom ICE 1 bis zum ICE 4 wurde die Zugbreite und damit das Platzangebot stetig verringert, nur Flixtrain quetscht seine Fahrgäste noch enger aneinander).

    Bei einem Unternehmen, das zu 100 Prozent dem Staat gehört und damit den verpönten Namen „volkseigener Betrieb“ tragen dürfte, ist es nicht hinzunehmen, dass ein bestens vergütetes Management, das die Folgen seines Handelns am wenigsten zu tragen hat, quasi nach Gutsherrenart entscheiden kann.

    Da von der Bahn alle betroffen sind und keineswegs nur ihre Nutzer, denken wir an Anwohner viel befahrener Strecken und Steuerzahler, die aus welchen Gründen auch immer niemals die DB nutzen, ist eine Beteiligung von einzelnen Interessengruppen nicht ausreichend.

    Es braucht einen Bürgerbeirat, der alle Perspektiven vertritt.

    #Allemagne #voyage #train #transport #privatisation #surveillance #chemins_de_fer

  • Deutsche Bahn : Preise rauf, Service runter
    https://www.telepolis.de/features/Deutsche-Bahn-Preise-rauf-Service-runter-9584729.html?seite=all

    J"aime voyager en train mais le développement des tranports ferroviaires allemands m’obligera à choisir d’autres moyens de transport pour les trajets qui ne sont pas inclus dans mon ticket de 49 Euros.

    2.1.2024 von Timo Rieg - Wer wundert sich über die Preisgestaltung der Tickets? Über Management und Entwicklung einer Institution, der die demokratische Steuerung fehlt. (Teil1)

    Zum großen Fahrplanwechsel vor fünf Jahren haben wir Nervigkeiten und Schwachstellen der Deutschen Bahn ausführlich beleuchtet. Wie hat sich das Unternehmen seitdem entwickelt?

    Das Grundproblem ist weiterhin die fehlende demokratische Steuerung der Bahn. Sie ist als Aktiengesellschaft mit Hunderten von Einzelbetrieben organisiert, der Bund als Alleineigentümer kann ins Alltagsgeschäft nicht reinregieren, sondern nur über seine Sitze im Aufsichtsrat bestimmte Weichen stellen.

    Die Bürger, denen das Unternehmen eigentlich gehört und die es allesamt wenigstens indirekt über unvermeidliche Steuern wie die Mehrwertsteuer mitfinanzieren, haben nichts zu entscheiden.
    Fahrpreise weiterhin willkürlich

    Wer sich etwa über die Preisgestaltung der Tickets wundert, angefangen von undurchschaubaren Sparpreisangeboten bis hin zur kostenlosen Kindermitnahme in der ersten Klasse und der kostenpflichtigen Beförderung auch kleinster Hunde (die nicht in eine Box gesperrt sind), muss nicht nach dem demokratischen Bürgergremium suchen, das sich dies ausdenkt.

    „Das Preismanagement wird bei der DB Fernverkehr AG auf Vorstandsebene entschieden“, sagt ein Bahnsprecher und ergänzt auf Nachfrage, auch die teilweise kostenlose Reise von Kindern sei „der DB nicht vorgegeben worden, sondern eine eigenständige Entscheidung des Managements der DB Fernverkehr AG“.

    Dabei legt das Management immer mal neue Regeln fest – obwohl die Kosten letztlich einzelne Fahrgäste oder – durch die diversen staatlichen Zuschüsse – die Bürger insgesamt zu zahlen haben. So waren vor fünf Jahren nur eigene Kinder und Enkelkinder bis 14 Jahren kostenlos, inzwischen kommt es auf Abstammung oder Adoption nicht mehr an.

    Geblieben ist aber: Allein reisende Kinder ab 6 Jahren müssen wie Hunde den 50 Prozent-Preis zahlen. Dabei wissen Vielfahrer: Kinder fallen vor allem durch ihre Eltern bzw. deren Interaktion mit ihnen auf. Dass es sittsamer zuginge und daher preislich zu begünstigen wäre, wenn Kinder ältere Begleiter bei sich haben, ist nicht offensichtlich.
    Schreibtischmanagement

    Ein sich an die mangelnde demokratische Erdung der Bahn anschließendes Grundproblem sind die unzähligen Schreibtischentscheidungen des Managements. Die treffendste Aussage dazu gab einmal ein ICE-Schaffner, auf den Ausfall einzelner Halte seines Zugs an bestimmten Wochentagen angesprochen:

    „Das haben sich studierte Leute überlegt, da müssen Sie die fragen – ich weiß es nicht.“

    Wer dieses Schreibtischmanagement körperlich besichtigen möchte, schaue sich die Toiletten der verschiedenen Zuggattungen im deutschen Schienennetz an. Die erste Feststellung wird sein: Jeder Zugtyp hat seinen eigenen Toilettentyp.

    Auch 220 Jahre nach Einführung der Dampflokomotive als Beginn der Bahnzeit scheint das optimale Klo für die Schiene noch nicht gefunden. Und so darf der Fahrgast mit jedem neuen Zug gespannt sein, was sich das Management wieder neues ausgedacht hat.

    Für die Schreibtischgenese spricht u.a. der Winkel eines hochgeklappten Toilettensitzes, der keineswegs bei den ältesten Modellen so gewählt ist, dass er mitten während der Benutzung als Pissoir (das es als eigenständiges Angebot bis heute nicht gibt) zurück auf die Metallschüssel fällt. Entsprechend sieht es an diesen Örtchen dann aus.

    Selbst die Haltevorrichtung für Toilettenpapier wird jedes Mal neu erdacht – die in vielerlei Hinsicht kurioseste Form findet sich im aktuellen ICE 4.

    Eine demokratische Bahngestaltung, die gerade nicht auf Mehrheitsentscheid und das damit verbundene Dogma vom „one size fits all“ setzt, würde etwas Vielfalt anbieten, weil Menschen vielfältig sind.

    Verschiedene Toiletten, verschiedene Sitze, unterschiedliche Beleuchtungen, kleine und große Abteile. Doch Vielfalt ist bei der Bahn nicht vorgesehen. Das Management entscheidet, was für alle gut ist – und dies bei jedem neuen Zug, bei jedem umgestalteten Bahnhof aufs Neue.
    Selbstgeschaffene Probleme

    So schafft sich die DB viele Probleme selbst, weil sie meint, zentralistisch die Wünsche und Anforderungen aller Transportgüter einheitlich regeln zu können.

    Für die weitverbreitete Unzufriedenheit sind nicht Wind und Wetter verantwortlich, nicht der umgestürzte Baum oder die eine technische Störung an einem Zug, sondern die Unflexibilität des ganzen Unternehmens.

    (Die lautstark über eine 10-minütige Verspätung meckernden Fahrgäste mit der Parole „Das war das letzte Mal, dass wir die Bahn genommen haben“, sind fast ausnahmslos Seltenst-Fahrer, die einmal den inkludierten Fahrschein ihrer Flugreise nutzen wollten oder aus Gründen, über die wir nicht spekulieren wollen, ausnahmsweise auf die Bahn angewiesen waren.)

    Beispielsweise vermisst man regelmäßig eine Kosten-Nutzen-Abwägung der Bahn, die stattdessen durch Prinzipien ersetzt wird. Wenn ein möglicher Anschlusszug auf einen verspäteten Fernzug warten soll, mag das tatsächlich kompliziert sein.

    Schließlich sitzen in dem Zug, der durch seine spätere Abfahrt selbst eine Verspätung erhalten wird, ebenfalls Menschen, die Anschlüsse brauchen – oder schlicht pünktlich zur Arbeit oder einem Termin kommen wollen.

    Angesichts der rechtlichen Entschädigungsansprüche wird dies aber manchmal betriebswirtschaftlich und damit auch demokratisch wieder fragwürdig, wenn dutzende bis Hunderte von Fahrgästen mit Taxis durchs Land gefahren werden müssen, weil die letzte Regionalbahn keine fünf Minuten warten konnte.

    Polizei gegen Schwarzfahrer

    Manche Verspätung über 60 Minuten, die dann eine Fahrpreiserstattung von 25 Prozent für alle Reisenden (mit erheblichem Aufwand für alle Beteiligten) begründet, entsteht allein, weil ein einzelner Fahrgast nach Ansicht des Schaffners kein gültiges Ticket besitzt.

    Daten dazu will die DB nicht nennen und sagt auf Anfrage nur allgemein:

    „Der Zugführer entscheidet nach Ermessen über Ausschluss von Reisenden, in Fällen beispielsweise von starker Einschränkung des Reisekomforts von Mitreisenden, Verletzungsgefahr für Mitreisende, bei Beschädigung des Wagenmaterials, bei Mitführung von ausgeschlossenen Gegenständen.“

    So bleibt die anekdotische Evidenz, dass genau dies vorkommt: wegen einer einzelnen „Fahrpreisnacherhebung“, die den Einsatz der Bundespolizei erfordert, vergrößert sich die Zugverspätung auf über 60 Minuten, begründet Regressforderungen von Hunderten, bringt u.a. aufgrund der Blockierung des Gleises im Bahnhof auch den Fahrplan nachfolgender Züge durcheinander und verärgert schnell über tausend Reisende.

    Aber, wie sagte doch ein dazu befragter Schaffner:

    „Wenn wir das durchgehen lassen, macht es jeder, deshalb müssen wir da konsequent sein.“

    Wie oft kommt es nun zu Polizeieinsätzen wegen „Schwarzfahrern“? DB: „Hierzu liegen keine Daten vor.“

    Die Verspätungsbegründung „Notarzteinsatz am Gleis“ muss keinesfalls bedeuten, dass es zu einem schweren Unfall oder gar einem Suizidversuch gekommen ist. Es genügt, dass sich ein Fahrgast (nach Angabe von Mitreisenden) unwohl fühlt.

    Anstatt den Patienten aus dem Zug zu bringen, wartet die versammelte Zwangsgemeinschaft darauf, dass irgendwann zwei gelangweilte Sanitäter in den Zug kommen.

    Die Verspätung „wegen eines Polizeieinsatzes“ kann auch bedeuten – anekdotische Evidenz aus Leipzig –, dass die Polizei einen Drogenhändler gefasst zu haben glaubt, ihm aber – nach öffentlicher Leibesvisitation auf dem Bahnsteig – keinen Drogenbesitz nachweisen kann, weshalb alle Gleise abgesucht werden, ob der mutmaßliche Straftäter seine Ware dort irgendwohin geworfen haben könnte. Kosten-Nutzen-Ergebnis?

    Die Frage stellt man bei der Drogenprohibition schon lange nicht mehr (siehe die aktuellen Vorgaben zur teilweisen Freigabe von Cannabis-Besitz). Jedenfalls scheint nicht im Blick zu sein, dass in einem Zug, der wegen diesem oder jenem nicht weiterfahren darf, auch Menschen sitzen könnten, die für die Gesellschaft relevante Aufgaben zu verrichten haben - wenn sie denn mal an ihrem Ziel ankommen.
    Personen im Gleis

    Streckensperrungen wegen „unbefugter Personen im Gleis“ gehören ebenfalls in diese Reihe selbstgeschaffener Probleme. Jeder Brombeerpflücker in Sichtweite eines Lokführers scheint heute für diesen Alarm zu genügen, ganz egal, wie langsam die Strecke auch regulär befahren wird.

    Man stelle sich eine ähnliche Vorsichtsmaßnahme an Bundesstraßen vor. Oder gar bei Straßenbahnen, die mitten durchs städtische Menschengewimmel fahren.

    Wiederum aus eigener Beobachtung: Das verbotene Rauchen einer Zigarette auf der Zugtoilette kann zu einem sofortigen Zugstopp mit Polizei- und Feuerwehreinsatz führen – den letztlich natürlich der überführte Täter zu bezahlen hat.

    Dazu kommen kann es nur, weil die Bahn auf ihren stillen Örtchen bewusst Rauchmelder installiert hat, die - anders als die in Haushalten inzwischen verpflichtend anzubringenden – gerade auch auf Zigarettenrauch reagieren, und nicht nur auf Feuer oder Kohlenmonoxid.

    Ein Bahnsprecher schreibt dazu:

    „Die Rauchmelder in den Zugtoiletten sind mit einem Sensor ausgestattet, der bei Rauchentwicklung aller Art einen entsprechenden Warnhinweis an das Zugpersonal übermittelt. Damit entsprechen wir dem Sicherheitsbedürfnis unserer Fahrgäste.“

    Ob „Sicherheitsbedürfnis“ hier mit „Kontrollwahn“ verwechselt wird?

    Immerhin gab es Zeiten, da in Zügen auf Polstersitzen dicke Zigarren geraucht werden durften, und der Erinnerung nach gab es das ein oder andere kleine „Lagerfeuer“ im sehr üppig dimensionierten Aschenbecher, ohne dass die Sicherheit Mitreisender im Raucherabteil gefährdet werden konnte.
    Paternalismus

    Zu Problemen führt auch die Überbetreuung der Reisenden – man kann sie gelegentlich auch Entmündigung nennen. Selbstverständlich kann eine Zugtür außerhalb eines Bahnsteigs nicht geöffnet werden, selbst wenn das Gefährt bei brütender Sommerhitze wegen eines technischen Defekts, oder weil das Computersystem mal wieder resettet werden muss, ohne Klimaanlage zum Backofen wird.

    Am Bahnsteig wiederum darf der Zug nur betreten werden, wenn auch ausreichend Personal an Bord ist. Bis dahin steht man vor verschlossenen Türen.

    Auch dies dient der „Sicherheit unserer Fahrgäste“, wie eine Bahnsprecherin mitteilt, gilt aber – fast logischerweise – nur im Fernverkehr, da Regionalzüge regelmäßig ganz ohne oder allenfalls mit einem Schaffner bestückt werden. Wer die Wartenden im Falle eines Falles dann allerdings auf dem Bahnsteig an die Hand nimmt, ist ungeklärt.

    Ein letztes Beispiel für selbstgeschaffene Probleme der Bahn: die bereits erwähnten Klimaanlagen und ihre Notwendigkeit fürs Überleben. Da sich in keinem modernen Zug noch irgendein Fenster auch nur einen Spalt breit öffnen lässt, müssen Waggons komplett gesperrt werden, wenn die Klimaanlage ausgefallen ist. Denn damit ist auch die überlebenswichtige Luftzufuhr laut DB nicht mehr gewährleistet.

    Wo sie zwar noch pustet, aber nicht kühlt, wird aus Vorsorge vor dem Hitzekollaps dennoch der Wagen gesperrt, auch wenn wärmeaffine Reisende lieber dort sitzen als anderswo stehen würden. „One size fits all“ gilt auch hier.

    Zur Frage, wie man jemals auf die Idee kommen konnte, hermetisch abgeschlossene Züge in Betrieb zu nehmen, antwortete eine Schaffnerin reichlich genervt: „Das will ich nicht mehr diskutieren.“

    Zumindest vor einigen Jahren war die offizielle Antwort der Bahn noch, geöffnete Fenster könnten bei einer Begegnung mit einem entgegenkommenden Zug im Tunnel zu ungeheuren Druckschwankungen führen.

    Dass selbst ICE auf den meisten Strecken heute nicht schneller fahren als vor Jahrzehnten ein IC, Eilzug oder Interregio, und dass es neben dem Schiebefenster noch viele Möglichkeiten gäbe, Außenluft ohne Klimatisierung ins Wageninnere zu lassen, ignoriert die Bahn geflissentlich.

    #Allemagne #voyage #train #transport #privatisation #surveillance #chemins_de_fer

  • CDU-Spendenaffäre : Von schwarzen Kassen, Geheimnissen und dem Erbe Wolfgang Schäubles
    https://www.telepolis.de/features/CDU-Spendenaffaere-Von-schwarzen-Kassen-Geheimnissen-und-dem-Erbe-Wolfgang

    Avec le docteur Schäuble nous enterrons les souvenirs d’une génération de corrompus. Les élites politiques allemandes n’ont jamais cessés de se faire acheter par les producteurs d’armes et d’autres fabricants de la mort. Noublions jamais que les cercles du pouvoir ont sans exception des racines dans le régime nazi.

    28.12.2023 von Harald Neuber - Wolfgang Schäubles Karriere war auch von Machenschaften geprägt. Vor allem von der Spendenaffäre. Es gab noch andere Verantwortliche, wie ein Interview aus 2004 zeigt.

    Wolfgang Schäubles Karriere war auch von Machenschaften geprägt. Vor allem von der Spendenaffäre. Es gab noch andere Verantwortliche, wie ein Interview aus 2004 zeigt.

    Wenig Negatives wurde über Wolfgang Schäuble nach seinem Tod am Dienstag dieser Woche geschrieben. Über Tote (fast) nur Gutes, galt auch hier. Ein wenig in Vergessenheit scheint das Motto des Verstorbenen und des ehemaligen Bundeskanzlers, Vorgesetzten und Parteifreund Helmut Kohl: "De donatoribus nil nisi bene. Über Spender nichts Schlechtes.

    Eigentlich sogar überhaupt nichts: Nach der CDU-Parteispendenaffäre behielten beide Christdemokraten, allen voran Kohl, Details zu den Zuwendungen, Geldgebern und möglichen Deals für sich.

    Die CDU-Spendenaffäre hatte Ende der 1990er-Jahre die deutsche politische Landschaft Deutschlands erschüttert. Der Skandal drehte sich um illegale Parteispenden, die die CDU in den Jahren 1991 bis 1999 entgegengenommen hatte. Eine Schlüsselfigur war Wolfgang Schäuble, damals Generalsekretär der CDU und später Bundesinnenminister. Schäuble ist nun im Alter von 81 Jahren gestorben.

    Die Affäre nahm ihren Lauf, nachdem enthüllt wurde, dass die CDU erhebliche Geldsummen aus schwarzen Kassen erhalten hatte. Diese nicht deklarierten Gelder stammten von Unternehmen und Einzelpersonen, die ihre Identität verschleierte. Sie flossen unter anderem in den Wahlkampf der Partei. Der Vorwurf lautete auf Verstoß gegen das deutsche Parteispendengesetz, da die Herkunft der Spenden nicht offengelegt wurde.

    Wolfgang Schäuble trug als Generalsekretär der CDU die politische Verantwortung für die Vorgänge in der Partei. Im Februar 2000 übernahm er die Konsequenzen und trat als CDU-Vorsitzender zurück. Schäuble betonte stets, erst nachträglich von den illegalen Spenden erfahren zu haben, und bestritt jegliches Wissen oder Beteiligung an unrechtmäßigen Machenschaften.

    Die Affäre hatte weitreichende politische Folgen. Mehrere führende CDU-Politiker traten ebenfalls zurück, und es wurden Ermittlungen eingeleitet. Obwohl Wolfgang Schäuble selbst nicht strafrechtlich belangt wurde, prägte die Spendenaffäre sein politisches Erbe.
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    Sie trug dazu bei, die Diskussion über Transparenz in der Parteienfinanzierung zu intensivieren und führte zu verstärkten Bemühungen um Reformen in diesem Bereich. Insgesamt hatte die CDU-Spendenaffäre einen nachhaltigen Einfluss auf die deutsche politische Kultur und die Wahrnehmung von Parteienfinanzierung.

    Journalisten und politische Beobachter gehen davon aus, dass die Spenden politische Entscheidungen der CDU beeinflussten. Die Gelder, die über Schweizer Konten flossen, wurden unter anderem für den Wahlkampf und andere politische Aktivitäten verwendet. Als die Affäre aufflog, führte sie zu politischen Konsequenzen, Rücktritten von führenden CDU-Politikern und Ermittlungen.

    Im Dezember 2000 verlor die CDU aufgrund der illegalen Spenden 7,7 Millionen D-Mark aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Kohl verweigerte sich trotz dieser Konsequenzen weiterhin, die Namen der Spender zu nennen.
    Warum Helmut Kohl nicht in Beugehaft kam

    Als Geschädigte hätte die CDU Kohl in Beugehaft nehmen lassen können, um ihn zur Namensnennung zu zwingen. Die Partei verzichtete jedoch auf diesen Schritt. Mitte Januar des Jahres 2000 trat Kohl als CDU-Ehrenvorsitzender zurück.

    Zu der kriminellen Struktur um Kohl und Schäuble gehörte auch Holger Pfahls. Der CSU-Politiker war in den 1990er-Jahren auch für einige Zeit Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium unter Minister Volker Rühe.

    Pfahls geriet ins Visier der Ermittlungen, weil er im Jahr 1991 von dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber eine Million Mark erhalten hatte. Es wurde angenommen, dass dies als Gegenleistung für die Vermittlung von Rüstungsaufträgen gedacht war. Pfahls wurde deswegen im Zusammenhang mit Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung angeklagt.
    Staatssekretär Pfahls in Haft

    Im Jahr 2001 wurde Pfahls in Paris festgenommen, nachdem er sich mehrere Jahre der Fahndung entzogen hatte. 2003 wurde er in Deutschland zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Seine Verurteilung trug dazu bei, die Verwicklungen der CDU in die Parteispendenaffäre zu beleuchten und legte einen Teil der fragwürdigen Finanzpraktiken offen, die zu einem Umdenken in der deutschen Parteienfinanzierung führten.

    Mitte August 2004, sprach Telepolis mit dem damaligen grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele. Ströbele, der Ende August vergangenen Jahres verstorben ist, gehörte zu den vehementesten Aufklärern der CDU-Parteispendenaffäre. Im Interview mit Telepolis sprach er über die Auslieferung von Pfahls und die Position der damaligen CDU-Generalsekretärin, Angela Merkel. Merkel übernahm im Jahr darauf das Amt der Bundeskanzlerin.
    Hans-Christian Ströbele im August 2004 zur CDU-Spendenaffäre

    CDU-Generalsekretärin Angela Merkel wirkt vor der Auslieferung des ehemaligen Staatssekretärs Holger Pfahls nach Deutschland recht gelassen. Seine Aussagen würden nichts Neues in Bezug auf die Parteispendenaffäre der CDU/CSU erwarten lassen, sagt Frau Merkel. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie diese Einschätzung nicht teilen?

    Absolut. Ein solches Urteil ist Unsinn, weil Frau Merkel die Aussagen von Herrn Pfahls doch wohl bisher nicht kennen kann. Tatsache ist, dass es sich bei Herrn Pfahls um ein CSU-Mitglied und einen Mitarbeiter der damaligen Unions-Bundesregierung handelt, der Anfang der Neunzigerjahre in höchstem Maße in den Panzerdeal der Firma Thyssen mit Saudi-Arabien verstrickt war. Bei diesem Geschäft sind nachweislich 220 Millionen D-Mark (112,5 Mio. Euro) an „nützlichen Aufwendungen“ geflossen.

    Schmiergelder?

    So ist es auch; für Bestechung, Schmieren und Provisionen. Und auch Frau Merkel wird nicht bestreiten, dass aus diesen Aufwendungen der Betrag von einer Million D-Mark (511.000 Euro) auf die Schwarzkonten der CDU geflossen sind. Dies wurde im Laufe des inzwischen abgeschlossenen parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Spendenaffäre festgestellt.

    Es besteht also eine direkte Verbindung zwischen Pfahls’ Strafsache und der Spendenaffäre?

    Das ist richtig.

    Auch der frühere Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Volker Neumann (SPD), geht von neuen Erkenntnissen durch die Aussagen von Holger Pfahls aus, weil dieser umgerechnet nur 1,9 Millionen Euro erhalten habe, „und niemand für diese Summe untertaucht“. Ist eine solche Hypothese nicht etwas dünn, um einen neuen Untersuchungsausschuss zu fordern?

    Ich bin mir mit eigentlich allen Kennern aus der SPD- und meiner Fraktion einig, unter welcher Voraussetzung ein neuer Untersuchungsausschuss eingerichtet werden sollte. Der alte Ausschuss hat auf der damaligen Faktenbasis seine Untersuchungen abgeschlossen und konnte, wie allgemein bekannt sein dürfte, in einigen wichtigen Fragen zu keinem Ergebnis kommen.

    Es müsste also ein neuer Ausschuss eingerichtet werden, unter Umständen auch mit neuen Mitgliedern. Das kommt aber nur dann in Betracht - wird dann aber auch zwingend notwendig -, wenn Herr Pfahl eine umfassende Aussage macht. Es würde nicht genügen, wenn er nur seine Schuld eingesteht oder seine Unschuld beteuert. Im Falle einer Aussage aber kämen wir an einem neuen Untersuchungsausschuss gar nicht vorbei, denn Herr Pfahl gehört unbestritten zu den Leuten, die über wesentliche Fragen Auskunft geben können, an denen der alte Ausschuss gescheitert ist.

    Mal konkreter: Um welche neuen Erkenntnisse geht es?

    Vor allem um den angesprochenen Panzerdeal mit Saudi-Arabien. Herr Pfahl war in diesen Geschäftsvorgang von Anfang an involviert. Er weiß um die Kenntnisse der anderen Regierungsstellen, von Ministern der damaligen Regierung und vor allem des Kanzleramts. Herr Pfahls spielt aber auch in der Affäre um Schmiergeldzahlungen bei der Privatisierung der Leuna-Raffinerien eine Rolle. Auch dort soll er vermittelnd tätig gewesen sein.

    Was aber, wenn Herr Pfahls trotz all dieser nachgewiesenen Verbindungen von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht - so wie Helmut Kohl und andere?

    Das kann er natürlich. Herr Pfahls wird sich nach seiner bevorstehenden Auslieferung aber einer bereits zugelassenen Anklage vor der Staatsanwaltschaft Augsburg stellen müssen. Er braucht dort auch keine Silbe zu sagen. Allerdings gehe ich davon aus, dass er selbst ein Interesse hat auszusagen. Würde er der Anklage entsprechend verurteilt, drohte ihm eine erhebliche Freiheitsstrafe. Allen Erfahrungen nach fördert eine solche Perspektive die Auskunftsbereitschaft.

    Aus der Union, aber auch aus der FDP-Bundestagsfraktion wurden Sie wegen der Forderung nach einem neuen Ausschuss als „unseriös“ bezeichnet. Müssten Sie nicht tatsächlich zunächst die Aussagen von Holger Pfahls abwarten?

    Die Forderung aus den Fraktionen der Grünen und der SPD nach einem neuen Untersuchungsausschuss war immer an die Bedingung geknüpft, dass Herr Pfahls eine Aussage macht. Ich habe aber volles Verständnis, dass keine der Parteien, die an der damaligen Bundesregierung beteiligt waren, heute ein Interesse daran haben, die Untersuchungen neu aufzurollen – wenn neue Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen.

    #Allemagne #politique #corruption #histoire

  • Israel verstehen - Israel und Palästina im Konflikt
    https://www.telepolis.de/features/Israel-verstehen-9579776.html?seite=all
    On connaït le dicton états-unien : He is a bastard, but he is our bastard .Quand on s’intéresse au conflit en Palestine entre Hamas et Israël une traduction libre s’impose : Ce sont des génocidaires, mais ils sont nos génocidaires

    La constellation politique d’aujourd’hui garantit l’échec de toute négotiation et la continuation des affrontements sanglants jusqu’au dernier jour. Je viens d’annuler mon voyage à Bethléem. Peut-être dans une autre vie.


    En voilà deux qui sont contents de leur acte charitable de noël. En 2024 ils se positionneront encore du côté des génocidaires gagnants.

    23.12.2023 von Björn Hendrig - Die einen fordern unbedingte Unterstützung. Die anderen prangern Unterdrückung an. Israel polarisiert. Ein Essay zur Frage, was diesen Staat umtreibt.

    Die einen fordern unbedingte Unterstützung. Die anderen prangern Unterdrückung an. Israel polarisiert. Ein Essay zur Frage, was diesen Staat umtreibt.

    Im aktuellen Gemetzel zwischen der palästinensischen Hamas und Israel wird die Schuldfrage ausgiebig gewälzt.

    Im Wesentlichen stehen sich zwei Lager gegenüber. Das eine schiebt die Schuld der Hamas zu. Die habe schließlich am 7. Oktober mit ihrem Terror-Angriff auf den Süden Israels angefangen. Und sie habe dabei furchtbare Gewalttaten begangen. Also habe Israel alles Recht, sich zu wehren.

    Das andere Lager bestreitet nicht den Angriff und das brutale Vorgehen der Hamas. Aber es verurteilt den Überfall nicht, ohne auf die Mitschuld Israels zu verweisen.

    Dieser Staat habe die Palästinenser aus ihrem Land vertrieben, drangsaliere dieses Volk und verweigere ihm einen eigenen Staat. Und in Gaza sei die Lage verzweifelt, weil Israel jegliche Entwicklung blockiere.

    Eine solche Art der Debatte kann endlos so weitergehen und führt zu heftigsten wechselseitigen moralischen Anschuldigungen. Die einen schütteln empört und verständnislos den Kopf.

    Wie kann man angesichts der Morde, Vergewaltigungen, Erniedrigungen und Entführungen durch die Hamas-Terroristen nicht umstandslos und mit aller Macht dem israelischen Staat beipflichten und ihm beistehen in seiner Gegenwehr?

    Die anderen verweisen auf die Vorgeschichte der Vertreibung der Palästinenser und deren ausweglose Lage, verursacht durch Israel. Und dass die israelische Armee bei ihrem Vorgehen gegen die Hamas Völkerrecht verletzt, Zivilisten tötet.
    Polarisierung statt Verständnis

    Nun hat es sich seit dem Ukraine-Krieg hierzulande in der öffentlichen Debatte durchgesetzt, in der das Verstehenwollen, warum Staaten aufeinander losgehen, unterbunden wird. Was verstanden werden soll, wird umstandslos als ein Verständnis für eine Seite an den Pranger gestellt. Gefragt sind keine Erklärungen, sondern Verurteilungen – gegen den richtigen, den „bösen“ Staat, versteht sich.

    Im Falle des Kriegs im Gaza-Streifen handelt es sich zwar bei einer Partei nicht um einen Staat, sondern um eine Organisation, die mit Terror einen Staat zu erzwingen versucht. Aber auch und gerade eine solche kann und darf man in ihren Gründen für ihre Gewalt nicht verstehen wollen.

    Was man aber sicher tun darf, geradezu soll: Israel verstehen. Versuchen wir es also. Ein billigendes Verständnis für diesen Staat wird dabei wohl nicht herauskommen, so viel sei hier bereits verraten. Wohl aber eine Erklärung, was ihn zu all seinen Taten bis heute bewogen hat und weiter bewegen wird.
    Existenzrecht: Wird nicht verliehen, sondern mit Gewalt durchgesetzt

    Israel begründet seine seit seiner Gründung stets umfangreichen Rüstungsanstrengungen nebst zahlreicher Kriege und Militäraktionen mit der Verteidigung seines Existenzrechts.

    Zum einen gibt es dieses Recht. Es genießen laut Völkerrecht alle von den Vereinten Nationen (Uno) als Völkerrechtssubjekte anerkannten Staaten. Jeder Staat kann sich darauf berufen und vor der Uno Klage gegen die Verletzung dieses Rechts einlegen.

    Das nahm beispielsweise Kuwait 1990 in Anspruch: Der Irak mit Saddam Hussein an der Spitze war in das Land einmarschiert. Im fatalen Irrtum, dass diese Eroberung nicht gegen die US-amerikanischen Vorstellungen der Ordnung in der Region liefe, sondern geduldet würde.
    Das Existenzrecht Kuwaits – ein Rückblick

    So handelte sich der Irak einen Krieg unter Führung der USA ein, abgesegnet durch eine einschlägige Resolution der UNO. Ohne diese massive Intervention wäre das Existenzrecht Kuwaits keinen Pfifferling mehr wert gewesen.

    Dies bedeutet: Zum anderen hat dieses Recht keine Wirkung, wenn sich der betreffende Staat nicht mit genügender Gewalt als Souverän über Land und Volk behaupten kann – oder, wie im Fall Kuwait, keine mächtigen Staaten hinter sich weiß, die sein Existenzrecht mit überlegener Gewalt verteidigen.

    Ob Jugoslawien, Irak oder Ukraine, um nur einige Fälle der jüngeren Geschichte zu nennen: Deren Existenzrechte interessieren nicht, wenn andere Herrschaften sie zerstören wollen – und dies können. Und sich für sie keine ebenbürtigen Herrschaften dagegen einsetzen.
    Staatliche Souveränität und Gewalt

    Die Bestreitung der Souveränität ist eben schlicht eine Frage der Gewalt: Kann sich der betreffende Staat dem erwehren oder muss er kapitulieren? Das betrifft sowohl Angriffe anderer Nationen auf einen existierenden Staat als auch wenn ein Staat sich gründet.

    In beiden Fällen hat sich Israel behauptet, sein Existenzrecht durchgesetzt. Bei seiner Gründung vertrieben jüdische Siedler die arabischen Bewohner von ihrem Land, unter Anwendung von Gewalt. Den daraus folgenden Widerstand hat Israel in mehreren Kriegen gegen die Nachbarstaaten gebrochen, ging daraus dank überragender Militärmacht stets als Sieger hervor.

    De facto plant kein arabischer Staat mehr, Israel anzugreifen. Ägypten und Jordanien haben sich mit der jüdischen Nation arrangiert, Libanon und Syrien sind zu zerstört und entsprechend mit sich selbst beschäftigt, als dass sie in dieser Hinsicht etwas vorhaben könnten oder wollten. Auch Saudi-Arabien nähert sich Israel an.
    Iran eskaliert begrenzt

    Iran unterstützt zwar die Hisbollah im Süden Libanons bei ihren Attacken auf Israel, belässt es aber dabei. Man hat genug zu tun mit den Sanktionen des Westens gegen das eigene Atomprogramm und mit dem Ringen um die regionale Vorherrschaft gegen Saudi-Arabien. Und der Irak ist seit den US-amerikanischen Golfkriegen ein staatlicher Torso, der außenpolitisch keine Rolle mehr spielen kann.

    Vonseiten der weltweit mächtigsten Staaten hat Israel ebenfalls nichts zu befürchten, im Gegenteil. Die USA stehen seit Langem fest an seiner Seite, im Schlepptau die Partner des westlichen Lagers, allen voran Deutschland. Russland und China erkennen Israel als Staat an und bekunden desgleichen, seine Existenz nicht infrage zu stellen.

    Insgesamt 160 Staaten haben Israel anerkannt. Im übrigen auch die palästinensische Befreiungsorganisation PLO, im Zuge des Osloer Abkommens von 1993. Unter den rund 30 Staaten, die Israel nicht anerkennen, sind keine Nationen, die gegen den Staat feindlich vorgehen.
    Israels Existenz ist nicht in Gefahr – aber das ist Israel zu wenig

    Doch es gibt eben noch die erwähnte Hisbollah und die Hamas, die im Gaza-Streifen regiert. Beide Organisationen bestreiten das Existenzrecht Israels und greifen Land und Leute an. In der Regel mit Raketen, da sie militärisch zu einer Auseinandersetzung mit den jüdischen Streitkräften nicht in der Lage sind.

    Aber am 7. Oktober überfiel die Hamas den Süden Israels, tötete circa 1.200 Menschen, verletzte rund 5.400 und entführte mehr als 200 israelische Bürger.

    Furchtbar für alle Betroffenen, sicher. Die Existenz des Staates Israel wird dadurch jedoch nicht gefährdet. Wie sollte dies auch gehen? Weder Hamas noch Hisbollah verfügen über die Mittel, den jüdischen Staat zu besiegen und damit an seiner statt einen Staat der Palästinenser zu gründen.

    Wenn trotzdem Israel – und die ihm zur Seite stehenden Nationen – sein Existenzrecht dadurch so enorm bedroht sieht, dass es den Gaza-Streifen mitsamt der Hamas zerbombt, geht es offenbar um etwas sehr Prinzipielles. Welches sich von der realen Bedrohung emanzipiert.

    Eine Nation überschreitet die Grenze einer anderen Nation, ihre Soldaten besetzen das Territorium und bringen das dortige Volk unter ihre Gewalt. Mit dieser Grenzverletzung wird dem angegriffenen Staat seine Herrschaft über Land und Leute entrissen.

    Schließlich bezeichnen die Grenzen den Bereich, in dem der betreffende Staat der Souverän ist. Wer diese Grenzen infrage stellt, praktisch, aber auch theoretisch, rührt damit an der Existenz der herrschenden Gewalt.
    Wie stehen wir zum israelischen Vorgehen?

    Im Falle Israels braucht es keine ernst zu nehmende existenzielle Gefahr, sondern die fehlende Anerkennung, dass dieser Staat auf dem von ihm beanspruchten Gebiet einschließlich der dort lebenden Menschen die exklusive Macht besitzt.

    Seine Besetzung des Westjordanlands und der Golan-Höhen Syriens, die Blockade des Gaza-Streifens und sein – vorsichtig formuliert – unfreundlicher Umgang mit den Palästinensern sind zu akzeptieren.

    Und zwar auch und vor allem von denen, die die jüdischen Staatsgründer einst von ihrem Land vertrieben hatten. Indem es bei den Palästinensern immer noch zu viele gibt, die an einem eigenen Staat festhalten, sieht sich Israel weiterhin in seinem Existenzrecht verletzt.
    Haltung zum Existenzrecht Israels

    Obwohl mittlerweile diese, die Fatah im Westjordanland wie auch Hamas in Gaza und Hisbollah im Libanon, an einer Vernichtung Israels weder glauben noch sie betreiben; sondern mit einem Staat zufrieden wären, der mehr als die aktuell kümmerlichen drei Prozent Souveränität im Westjordanland umfasst sowie einen Gazastreifen, der keine Art Freiluftgefängnis mehr ist.

    Ein regelrechter Staat Palästina ist aus israelischer Sicht aber unvereinbar mit der Existenz Israels.

    Damit gilt jeder politischer Wille – ob gewalttätig artikuliert wie von der Hamas oder diplomatisch wie von den arabischen Nachbarn bis hin zu den USA, Stichwort Zwei-Staaten-Lösung – als inakzeptabel.
    Gegen diese Lösung stemmt sich Netanjahu

    Das ist übrigens nicht nur die Linie des aktuellen Kabinetts unter der Führung von Benjamin Netanjahu. Rabin, Peres, Olmert und weitere Vorgänger wie Nachfolger Netanjahus haben sich stets gegen diese Lösung des Nahostkonflikts gestemmt.

    Ganz einfach deshalb, weil für alle israelischen Regierungen die Lösung nur so aussehen kann: Jeglicher Widerstand gegen die jüdische Staatsgründung und gegen die Ausbreitung des Staatsgebiets einschließlich weiterer Vertreibung von Palästinensern im Westjordanland muss aufhören. Für einen Staat Palästina ist bei dieser Lösung schlicht kein Platz.
    Grenzenlose Grenze: die „historische Heimat des jüdischen Volkes“

    Dabei ist die Definition des Staates Israel in puncto Land und Volk gar nicht fix, sondern sehr dynamisch:

    Das Land Israel, in dem der Staat Israel gegründet wurde, ist die historische Heimat des jüdischen Volkes. Dieser Staat Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes, in dem es sein Recht auf nationale, kulturelle, historische und religiöse Selbstbestimmung ausübt. Das Recht auf nationale Selbstbestimmung ist im Staat Israel einzigartig für das jüdische Volk.
    Punkt 1. Grundprinzipien, Nationalstaatsgesetz

    Das liest sich merkwürdig tautologisch: Land, Staat, historische Heimat – ist das nicht das gleiche? Irgendwie schon, jedenfalls im Moment. Jedoch nicht unbedingt auf Dauer. Denn die „historische Heimat“ bezieht sich auf Stellen in der Bibel und weitere Exegesen religiöser Schriften. Darin sind die heutigen Grenzen natürlich nicht zu finden.

    Was mit „Land“ gemeint ist, umfasst daher einen generellen Anspruch des jüdischen Volks auf eine Heimat in der Region, wo einmal Araber lebten. Hinter diesem Anspruch steht kein Geringerer als der liebe Gott. Raum für ein solchermaßen auserwähltes Volk muss selbstverständlich da sein. Und wenn nicht, darf er mit Gottes Segen geschaffen werden.

    Schließlich kann es nicht sein, dass durch nichtjüdische Staaten geschaffene Grenzen dem jüdischen Volk verwehren, seine „historische Heimat“ vollends zu besetzen.
    Israelische Gesellschaft nicht einig

    In welchem Maß genau – das ist allerdings in Israel umstritten. Gehört das Westjordanland komplett zu dieser „Heimat“, auch Ost-Jerusalem? Breiten sich also die jüdischen Siedler dort zu Recht aus, verdrängen mit eigener Gewalt und Hilfe des israelischen Militärs die Palästinenser?

    Das ist jedenfalls der Standpunkt der derzeitigen Regierungskoalition: „Wir werden die Siedlungen weiter ausbauen und den israelischen Einfluss auf das Gebiet stärken“ sagte Finanzminister Bezalel Smotrich im Juni 2023.

    Das Kabinett Netanjahu hat seit Anfang des Jahres rund 7.000 neue Wohneinheiten genehmigt. "Knapp 600.000 Israelis leben dort heute in mehr als 200 Siedlungen. Der UN-Sicherheitsrat bezeichnete diese 2016 als Verletzung des internationalen Rechts und forderte Israel auf, alle Siedlungsaktivitäten zu stoppen."1
    Massive Etaterhöhung für „Siedlungen und nationale Missionen“

    Und es soll unvermindert weitergehen: Der Etat des für „Siedlungen und nationale Missionen“ zuständigen Ministeriums soll von 33 auf 135 Millionen Euro erhöht werden.2. Was in unmittelbarem Widerspruch steht zu: "Die Palästinenser wollen im Westjordanland, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem einen eigenen Staat errichten."3

    Neben der bewusst ungenauen und damit unfertigen Definition des Staatsgebiets leistet sich Israel eine ganz besondere Beschreibung, was dieser Staat unter seinem Volk versteht.
    Die Menschen und der Staat Israel

    Normalerweise sind das Menschen mit von einem Staat ausgestellten Personalausweis. Damit werden sie der Gewalt und dem Zugriff dieser Herrschaft unterworfen. Das ist eine sehr exklusive Angelegenheit, will sagen: Jeder andere Staat hat von ihnen seine Finger zu lassen. Ansonsten wird es ungemütlich.

    Einmischung in innere Angelegenheiten bis hin zur Reklamation von Rechten für eigentlich zu anderen Staaten gehörende Volksgruppen führen zu ernsthaften Auseinandersetzungen, nicht selten zu Kriegen.

    Eine größere Nummer dieses Kalibers war der Anspruch der BRD, für die Bürger der DDR der eigentliche Staat zu sein. Jeder rübergemachte DDRler erhielt sofort den bundesrepublikanischen Pass. Damit bestritt die BRD der DDR deren souveräne Gewalt über ihr Volk.

    Ein Kriegsgrund – denn wenn ein Staat nicht über sein Volk souverän regiert, wie kann er es dann uneingeschränkt für seine Zwecke nutzen? Also bestimmen, was es für den staatlichen Reichtum und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu tun hat, und zwar ausschließlich für ihn.
    Pass und Rechte: Wer gehört zu Israel, wer nicht?

    Einerseits verhält es sich damit in Israel nicht anders. Der Staat vergibt auch Personalausweise und benutzt seine Bürger in der herkömmlichen Weise. Manche werden dabei reich, die Mehrheit hingegen nicht, und einige zieht es in die Politik, um die Ansagen zu machen.

    Eine normale Klassengesellschaft mit einer modernen Ökonomie, die es in einigen Branchen inzwischen sogar zu global erfolgreichen Unternehmen gebracht hat. Andererseits gibt es israelische Bürger und arabische Bürger, also Zugehörige zum „jüdischen Volk“ und Nicht-Zugehörige, die aber einen israelischen Pass besitzen. Was es noch komplizierter macht: die Juden in der sogenannten Diaspora. Damit sind alle Juden gemeint, die in anderen Staaten auf der Welt leben.

    Der Staat ist offen für jüdische Einwanderung und die „Einsammlung der Exilierten“
    Punkt 5. Nationalstaatsgesetz „Jüdische Einwanderung“

    In der historischen Heimat der Juden befinden sich also ebendiese, aber auch nicht alle. Wer will und kann, darf als Jude aus aller Welt einreisen und Bürger Israels werden. Das ist Gesetz und bezeichnet damit den Anspruch Israels auf Zusammenführung des jüdischen Volks an seinem ihm von der Vorsehung bestimmten Platz.
    Diese rechten haben arabische Israelis

    Nichtjuden dürfen zwar auch einen israelischen Ausweis besitzen. Und diese Personen, vornehmlich Araber, dürfen laut Nationalstaatsgesetz ihre Sprache tatsächlich weiter pflegen. So betont „Punkt 4 Sprache“:

    Arabisch hat in Israel einen Sonderstatus; der Gebrauch des Arabischen in Behörden wird von Einzelgesetzen geregelt. Der bisherige Gebrauch des Arabischen wird durch dieses Gesetz nicht eingeschränkt.

    Was eine Diskriminierung von immerhin einem Fünftel der Bevölkerung jedoch nicht verhindert. Sie gehören zwar qua Ausweis zu Israel, arbeiten für dortige Unternehmen, zahlen Steuern, kaufen ein. Und als solche leisten sie oft Jobs, die für jüdische Israelis nicht infrage kommen.
    Nicht Teil des auserwählten Volkes

    Aber sie zählen nun einmal nicht zum auserwählten Volk. Und was es noch schlimmer macht: Sie repräsentieren als Araber eben jene Menschen, die von Israel bei seiner Gründung vertrieben wurden, und deren Nachfahren lauter potenzielle Feinde sind.

    Entsprechend misstrauisch bis feindlich gehen die israelischen Regierungen mit diesem Teil ihres Staatsvolks um. In dieser Logik ist das „Volk Israel“ erst fertig, wenn es in der historischen Heimat nur noch Juden gibt.

    Und diese Heimat so beschaffen ist, dass sie alle Menschen jüdischen Glaubens beziehungsweise Abstammung aufnimmt und aufnehmen kann – aufgrund der überragenden Gewalt, die Anfeindungen im Keim erstickt, und aufgrund schlicht des dafür nötigen Platzes. An letzterem gilt es daher, permanent zu arbeiten, siehe die Siedlungspolitik.
    Ein palästinensischer Staat ist für Israel unzumutbar

    Israel handelt also gemäß seiner National-Ideologie sehr konsequent: Die „Heimat des jüdischen Volkes“ ist über alle Zweifel und Widerstände erhaben. Sie kann nach ihrem Begriff keine modernen Grenzen akzeptieren und dehnt sich so weit aus, wie es erforderlich ist.

    So raumgreifend dieser Staat sein Gebiet definiert, so umfassend versteht er sein Volk: Es besteht nicht nur aus den ansässigen Juden mit israelischem Ausweis. Vielmehr gehören per definitionem alle Juden zu Israel, gleich wo sie leben. Die nichtjüdischen Bürger werden bestenfalls geduldet. Sie sind dem ständigen Verdacht ausgesetzt, potenzielle Feinde im eigenen Land zu sein.

    Mit diesem Programm ist für die anrainenden Staaten und für die nach einem eigenen Staat suchenden Palästinenser entsprechend schwer, Frieden zu schließen. So schafft sich Israel beständig und an allen Fronten Feinde.

    Das weiß Israel – und alle bisherigen Regierungen haben daher größte Anstrengungen unternommen, durch den Aufbau und Unterhalt einer in der Region überragenden Gewalt Widerstand keine Chance zu lassen. Jedenfalls keine, die die Existenz des Staates ernsthaft bedrohen könnte.

    Allerdings halten Hisbollah und Hamas den palästinensischen Staatsgründungswillen aufrecht; und das nicht nur auf der ideellen Ebene, sondern praktisch durch militärische Aktionen. Mehr als die Wirkung von Nadelstichen erzielten sie bisher indes nicht.

    Das hat sich durch die Hamas-Attacke vom 7. Oktober geändert – und auch wieder nicht. Geändert, weil der Überfall weit über die ansonsten sporadischen Raketen-Abschüsse Richtung Israel hinausging.

    Die vielen Todesopfer, Verletzten und Zerstörungen und die mangelhafte Gegenwehr haben in Israel Zweifel hervorgerufen, ob der Staat bisher genügend unternommen hat, die „historische Heimat“ gegen deren Feinde zu behaupten.

    Die Spaltung der palästinensischen Vertretungen – im Wesentlichen hier die palästinensische Verwaltung im Westjordanland, dort die Hamas-Regierung im Gaza-Streifen –, die Siedlungs- und Blockadepolitik, die repressive Kontrolle der Palästinenser in Israel und den besetzten Gebieten sowie vor allem die mit militärischer Gewalt und umfangreicher Unterstützung der USA durchgesetzte weitgehende Aufgabe der Gegnerschaft der arabischen Nachbarstaaten haben den Angriff offenbar nicht verhindern können.

    Nicht geändert hat sich durch den 7. Oktober, dass auch diese Gewalt dem Bestand Israels nichts anhaben kann. Einen irgendwie gearteten militärischen Erfolg hat der Angriff nicht erbracht. Es wurden keine Teile Israels erobert und besetzt.

    In der Logik der National-Ideologie interessiert dieser Punkt jedoch nicht: Der Angriff der Hamas hat nicht die Existenz des Staates infrage gestellt, aber sein selbst definiertes Recht, keinen palästinensischen Willen für eine eigene staatliche Gewalt zu dulden. Ein palästinensischer Staat – wo auch immer in der Nachbarschaft Israels – stellt eine unzumutbare Beschränkung für die „historische Heimat“ und die für sie bestimmten Juden dar.
    Wiederholung der Operation „Gegossenes Blei“ reicht nicht mehr

    Also gilt es für Israel, diese Bestreitung seines Rechts massiv zu bekämpfen. Das ist nicht neu. Dafür hat dieser Staat schließlich einige Kriege geführt und sein Militär auch zwischendurch ständig gegen Widerstände eingesetzt. Erinnert sei unter anderem an die Operation „Gegossenes Blei“ Ende 2008. Amnesty International begann damals seinen Bericht dazu folgendermaßen:

    Am 27. Dezember 2008, um 11.30 Uhr, begann die israelische Armee ohne Vorwarnung ein vernichtendes Bombardement des Gazastreifens, dem sie den Codenamen „Gegossenes Blei“ gab. Ziel dieser Operation war das Ende des Raketenbeschusses durch bewaffnete Gruppen assoziiert mit der Hamas und andere palästinensische Gruppen auf Israel.

    Als am 18. Januar 2009 der Waffenstillstand von Israelis und der Hamas ausgerufen wurde, waren 1.400 Palästinenser getötet worden, darunter 300 Kinder und Hunderte von unbewaffneten Zivilisten. Große Bereiche des Gazastreifens waren dem Erdboden gleichgemacht worden.

    Tausende wurden dadurch obdachlos und sind wirtschaftlich ruiniert. Viele der Zerstörungen wurden mutwillig durchgeführt und resultierten aus gezielten Anschlägen auf zivile Objekte sowie wahllosen Angriffen, die nicht zwischen militärisch legitimierten Zielen und zivilen Objekten unterschieden.

    Solche Angriffe verletzten fundamentale Bestimmungen der internationalen Menschenrechte, vor allem das Verbot von Direktangriffen auf Zivilisten und zivile Objekte, das Verbot wahlloser oder unverhältnismäßiger Angriffe und das Verbot von Kollektivstrafen.
    Amnesty International

    Im Verlauf des Berichts beschreibt Amnesty International den Gebrauch von menschlichen Schutzschilden – durch die israelische Armee. Der Hamas konnte dies nicht nachgewiesen werden. Das israelische Militär setzte laut dem Bericht weißen Phosphor ein, behinderte Rettungskräfte, unterschied kaum zwischen militärischen und zivilen Zielen. Entsprechend verheerend waren die Folgen.

    Um eine moralische Verurteilung besonders grausamer Gewalt einer Kriegspartei geht es hier allerdings nicht. In jedem Krieg versuchen die Gegner mit allen Mitteln – offiziell nach Genfer Konvention erlaubten wie auch verbotenen – den Sieg zu erringen.

    Aus der jeweiligen Grausamkeit lässt sich keine Erkenntnis gewinnen, welche Gründe zu dem Krieg geführt haben. Urteile zur Grausamkeit im Krieg dienen stets nur zur Verurteilung – der jeweiligen Gegenseite. Aus der Brutalität des Angriffs der Hamas ist nicht zu erkennen, warum sie ihn unternommen hat. Ihr diese Brutalität vorzuwerfen, erklärt nichts, taugt jedoch bestens zur Parteinahme für Israel.
    Die Hamas hat eine Grenze überschritten: die zu ihrer Vernichtung

    Was man allerdings aus dem Ausmaß des israelischen Gegenschlags erkennen kann: Dieses Mal soll es sogar über die Operation „Gegossenes Blei“ hinausgehen. Das Problem Hamas soll ein für alle Mal beseitigt werden. Und dieses Problem ist gleichbedeutend mit dem Gaza-Streifen und seiner Bevölkerung.

    Unterschiede zwischen dem dortigen Volk und der Hamas werden nicht gemacht. Denn erstens besteht das Volk aus Palästinensern, zweitens haben sie sich die Herrschaft der Hamas gefallen lassen und sind aus diesen beiden Gründen drittens prinzipiell verdächtig, sie zu unterstützen.

    Und da die Hamas nun einmal keine reguläre Armee in Kasernen unterhält, keine Luftwaffe mit Flughäfen besitzt und auch sonst kein Militär wie ein ordentlicher Staat, sondern sich in Tunneln verschanzt und Raketen abschießt – ist ein normaler Krieg gar nicht möglich.

    Man kann insofern tatsächlich Israel verstehen. Wenn das Ziel die Vernichtung der Hamas ist, dann muss deren Heimstatt und Ausgangspunkt für Angriffe dem Erdboden gleichgemacht werden.

    Konsequent auch, dass gleichzeitig der Wille zum palästinensischen Staat ebenfalls im Westjordanland vorsorglich bekämpft wird. Einen diesbezüglichen Aufstand gibt es zwar nicht. Aber schon Bekundungen der Solidarität mit der Hamas und dem Volk von Gaza reichen, um die Siedler und das sie begleitende Militär verschärft gegen diese Leute vorgehen zu lassen.

    Warum Israel bisher und aktuell so unerbittlich handelt, liegt damit auf der Hand: Es geht um die Aufrechterhaltung von nichts weniger als der Souveränität dieses Staates.

    Wie bei allen anderen Nationen definiert sie sich als unumschränkte Herrschaft über Land und Leute. Das Novum: Die Hamas hat diese Herrschaft mit ihrer Attacke empfindlich beschädigt. Statt der bisherigen Nadelstiche, die routiniert von der israelischen Raketenabwehr weitestgehend zur Wirkungslosigkeit verdammt wurden, gelang es, mit einer größeren Zahl von Hamas-Kämpfern die Grenze zu überwinden und große Schäden an einem Teil des israelischen Volks und seines Besitzes anzurichten. Israel hat es am 7. Oktober nicht geschafft, seine Bürger gegen den Angriff zu schützen.

    Das ist beileibe nicht zu verwechseln mit der leider beliebten Ideologie, einem Staat ginge es um den Schutz seines Volkes. Von Selbstverteidigung ist dann stets die Rede, wie nun sofort nach dem Hamas-Angriff. Nur was wird verteidigt?

    Der Anspruch des Staates Israel, nach seinem Gusto über Land und Leute zu herrschen – und daran von keinem anderen Staat und keiner anderen Organisation, wie Hamas oder Hisbollah, gehindert zu werden.

    Wer die Grenze verletzt, also den exklusiven Herrschaftsbereich überschreitet und damit die bisher geltende Gewalt außer Kraft setzt, bekommt es mit der Gegengewalt zu tun.

    Schließlich geht es darum, wer der Souverän im Lande ist, mithin wer die Einwohner ausschließlich für seine Zwecke einzusetzen vermag.

    Dann herrscht Krieg, in dem es tatsächlich um die viel zitierte „Selbstverteidigung“ geht. Nur nicht der einzelnen Bürger, sondern des Staates. Der ist in seiner Hoheit über seine Untertanen bedroht. Also setzt er sein Volk dafür ein, diesen Angriff abzuwehren; als Soldaten wie auch als sie unterstützende und unter den Gegenangriffen leidende Zivilisten. Kein Blutzoll kann für die Wiederherstellung der Souveränität zu hoch sein. Es geht schließlich um nichts Geringeres als den Erhalt der Nation. So viel zum Thema „Schutz des Volkes“.
    Israel verstehen? So bekämpft ein Staat den Widerstand

    Warum Israel mit aller Gewalt gegen Hamas, Gaza-Bewohner und Palästinenser generell vorgeht, erklärt sich aus seiner speziellen Sorte Nationalismus: Eine „Heimat des jüdischen Volkes“ schließt andere Völker auf dem israelischen Boden aus.

    Grenzen und Zugehörige dieser Nation sind nicht fix, sondern auf Ausdehnung und Zuwachs angelegt.

    Widerstand dagegen bedeutet deshalb, den Bestand dieses Staates infrage zu stellen. Das ist der Gehalt der Rede vom „Existenzrecht“ Israels, das bedroht sei. Mit seiner überlegenen Gewalt hat dieser Staat bisher Einsprüche seiner arabischen Nachbarn im Zaum gehalten, wie auch periodisch aufflammende Proteste von Palästinensern.

    Diese Routine im Niederhalten von Gegenwehr hat nun die Hamas durchbrochen: Sie hat mit ihrem Angriff buchstäblich und im übertragenen Sinne eine Grenze überschritten. Israel hat eben diese nicht schützen können. Das ist der Skandal, aus dem der jüdische Staat den unversöhnlichen Schluss zieht, nunmehr der Hamas den Garaus zu machen. Aus einer solchen nationalistischen Logik heraus kann man diese Konsequenz verstehen.

    Billigen muss man sie allerdings nicht. Im übrigen auch keinesfalls das Spiegelbild auf der palästinensischen Seite: Die sieht das Heil des Volkes in einer garantiert ganz eigenen Herrschaft. Das Hindernis auf dem Weg zu diesem zweifelhaften Glück heißt Israel.

    Diese Sorte Feindschaft entscheidet in einer Welt der Staaten und solcher, die ein Staat noch werden wollen, die Gewalt. Opfer werden dabei zynisch und eiskalt von allen Seiten einkalkuliert – von der Hamas und von Israel. Was keine Partei sympathisch macht.

    #Israël #Palestine #guerre #génocide #impasse

  • LNG-Konflikt : Indien fordert Milliarden von Deutschland
    https://www.telepolis.de/features/LNG-Konflikt-Indien-fordert-Milliarden-von-Deutschland-9572832.html
    Ils ont essayé de ruiner la Russie, maintenant ils ruinent l’Allemagne. Sarah Wagenknecht avait raison lors ce qu’elle a appellé l’actuel gouvernement allemand le plus incompétent de tous les gouvernements allemands.

    L’état allemand doit dédommager une entreprise indienne pour les pertes subies suite à la nationalisation de Gazprom Allemagne.

    Christoph Jehle - Indien verklagt Deutschland wegen LNG-Lieferausfällen. Sefe, ehemals Gazprom Germania, steht im Zentrum des Konflikts. Wie Bundesregierung Problem lösen will.

    Indien verklagt Deutschland wegen LNG-Lieferausfällen. Sefe, ehemals Gazprom Germania, steht im Zentrum des Konflikts. Wie Bundesregierung Problem lösen will.

    Wirtschaftspolitisches Ziel der Bundesregierung ist es, die Abhängigkeit Deutschlands von China zu verringern. Als möglichen neuen Partner hat sie Indien ins Visier genommen, von wo künftig mehr importiert werden soll. Doch inzwischen nehmen auch die Konflikte mit Neu-Delhi zu.

    Der indische Staatskonzern Gail hat die Bundesregierung auf Zahlung von 1,8 Milliarden US-Dollar verklagt. Das Unternehmen sieht sich durch den Wirtschaftskrieg Berlins gegen Russland geschädigt, der im vergangenen Jahr zum Ausfall zugesagter Lieferungen von Flüssiggas geführt hatte.
    Sefe und Gazprom: Verstaatlichung und ihre Folgen

    Die Sefe, ehemals Gazprom Germania, war Teil des russischen Gazprom-Konzerns und umfasste ihrerseits rund 60 Tochtergesellschaften. Unter dem Dach der SEEHG (Securing Energy for Europe Holding) GmbH in Berlin wurde der gesamte Teilkonzern zunächst von der Bundesnetzagentur unter Treuhandverwaltung gestellt und im November 2022 von der Bundesregierung verstaatlicht.

    Ziel dieser Maßnahme war die Sicherung der Gasversorgung in Deutschland. Die faktische Enteignung durch die Bundesregierung führte jedoch dazu, dass Gazprom seine Lieferungen einstellte. Dies brachte Russland den Vorwurf ein, Gas als politische Waffe einzusetzen.

    Um die Liquidität des verstaatlichten Unternehmens zu sichern, ergriff die Bundesregierung Stabilisierungsmaßnahmen, darunter ein KfW-Darlehen in Höhe von insgesamt 13,8 Milliarden Euro. Sefe ist einer der größten Gashändler Europas und liefert rund 30 Prozent des in Deutschland verbrauchten Gases.
    Vertragsrisiken nach Eigentümerwechsel

    Nach der Verstaatlichung kamen in Deutschland Befürchtungen auf, man habe sich mit der Enteignung russische Spione ins Haus geholt. Aus arbeitsrechtlichen Gründen konnten die rund 1.500 Mitarbeiter nach dem Eigentümerwechsel jedoch nicht geheimdienstlich durchleuchtet werden. Die eigentlichen Probleme schlummerten aber offensichtlich in den übernommenen Verträgen mit nun plötzlich riskanten Lieferverpflichtungen.

    In Deutschland konnte in einigen Fällen eine außergerichtliche Einigung erzielt werden, so bei der VNG-Tochter VNG Handel & Vertrieb GmbH und der inzwischen gelöschten Sefe-Tochter WIEH GmbH, ehemals Wintershall Erdgas Handelshaus. In beiden Fällen konnte eine Einigung über die Aufteilung der Kosten für die Ersatzbeschaffung erzielt werden. Die genauen Konditionen dieser Vereinbarungen wurden jedoch nicht veröffentlicht.

    Im Zuge der wirtschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und Russland wurde Gazprom Marketing and Trading Singapore (GMTS) zu einer der Gazprom Germania untergeordneten Einheit, bevor Gazprom Germania schließlich enteignet wurde und fortan unter dem Namen Sefe firmierte.
    Sefe M&T Singapore: Unterbrechung und Wiederaufnahme von LNG-Lieferungen

    Im Juni 2022 stellte die Sefe M&T Singapore, die über die Sefe Marketing & Trading Ltd. in London zur Sefe-Gruppe gehört, die Erfüllung der bei der Verstaatlichung der deutschen Gazprom-Tochter übernommenen Verträge ein. Sie nahm die LNG-Lieferungen jedoch offenbar im April 2023 wieder auf.

    Gail ging zunächst gegen ihren ursprünglichen Vertragspartner, die Gazprom-Tochter in Singapur, vor. Ab dem 1. Dezember 2023 richtete sich der Rechtsstreit dann gegen die Sefe Group.
    Konventionalstrafen als Lösungsansatz im Lieferstreit

    Der deutsche Staat versuchte seinerseits, das Problem des einseitigen Lieferstopps auf internationaler Ebene durch die Zahlung von Konventionalstrafen zu lösen. Dies wurde jedoch nicht von allen Kunden akzeptiert, da eine Ersatzbeschaffung der nun fehlenden Gasmengen auf dem Weltmarkt nicht zuletzt aufgrund der preistreibenden deutschen Gasnachfrage nicht realisierbar war.

    Zwar zahlt die verantwortliche Sefe Marketing & Trading (SM&T) an die indische Gail Konventionalstrafen in Höhe von 20 Prozent des vertraglich vereinbarten Preises, der Anfang 2022 weit unter den aktuellen Marktpreisen lag. Diese Vertragsstrafe macht jedoch nur einen Bruchteil der Kosten aus, die Gail derzeit am Spotmarkt für Ersatzlieferungen hätte zahlen müssen. Indien forderte die Sefe auf, die vertraglich vereinbarten Gasmengen anderweitig zu beschaffen, um ihren Lieferverpflichtungen nachzukommen.

    Mit Gail (India) klagt jetzt der größte, mehrheitlich staatliche Gasversorger Indiens vor dem London Court of International Arbitration gegen die von Deutschland verstaatlichte Sefe-Gruppe. Ob es bei diesem einen Verfahren bleibt, dürfte nicht zuletzt von dessen Ausgang abhängen.

    Langfristige Verträge und politische Spannungen

    Gail hatte seit 2012 einen 20-jährigen Liefervertrag mit Gazprom Marketing and Trading Singapore (GMTS), der die Lieferung von 2,85 Millionen Tonnen LNG pro Jahr vorsah.

    Sowohl Sefe als auch die Bundesregierung betrachteten die inländischen Verpflichtungen anders als die Verträge mit internationalen Partnern. Erstere standen unter hohem politischem Erfüllungsdruck und wurden daher von der Bundesregierung finanziell abgesichert.

    Bei den Lieferungen nach Indien wurde jedoch auf die Erfüllung der Lieferverpflichtungen verzichtet. Seit Mai 2022 wurden 17 LNG-Ladungen nach Indien storniert und damit die Regierung in Neu-Delhi vor den Kopf gestoßen.

    Rechtliche Auseinandersetzungen und Marktentwicklungen

    Die von Sefe geltend gemachte höhere Gewalt soll nicht den vertraglichen Bestimmungen entsprechen. Nach der aktuellen Kursentwicklung der Gail-Aktie gehen die beteiligten Investoren wohl von hohen Erfolgsaussichten der Inder aus.

    Inzwischen bezieht die Sefe-Gruppe wieder LNG aus Russland, da es sich bei den Gaslieferverträgen mit Russland eindeutig um sogenannte Take-or-pay-Verträge handelte, wie sie auch für die Lieferungen durch die Nord-Stream-Pipeline bestanden haben sollen. (Christoph Jehle)

    #économie #politique #impérialisme #guerre #Allemagne #Inde

  • Weltmacht gegen Klima : Wie die USA mit Energiesicherheit Geopolitik macht
    https://www.telepolis.de/features/Weltmacht-gegen-Klima-Wie-die-USA-mit-Energiesicherheit-Geopolitik-macht-9

    Cet article décrit la manipulation « manu militari » du prix du pétrole par les États Unis. Cette ruse stratégique constitue la base matérielle de l’impérialisme américain. Ceci explique aussi l’acharnement fanatique anti-iranien des gouvernements de Washington depuis l’abdiction de leur vassal Pahlavi en 1979.

    L’article ne s’intéresse pas au développement du système monétaire international. Cest une lacune car sans l’étudier on ne comprend pas les mécanismes derrière le pouvoir étatsunien. Dans l’ère du capitalisme financier le pouvoir ne repose plus que sur la puissance militaire. Il a besoin de lois et conventions internationales pour envahir les pays victimes et s’assurer la fidélité des compradors modernes.

    L’auteur néglige également le fait que le pétrole a d’abord été une ressource nationale qui a remplacé l’huile de baleine et a provoqué par son abondance un bond en avant pour la mobilité et la production au pays même. L’ascension au statut de superpower impérialiste n’est que l’avant-dernière phase du développement des USA qui a précédé sa dégradation au rang de player parmi d’autres depuis le succès sino-indien.

    Cet article est donc un récit intéressant plutôt qu’une analyse approfondie.

    1.12.2023 von Mohssen Massarrat - Ohne Dumpingpreise für Erdöl wäre die Industrialisierung anders verlaufen. Regenerative Energien hätten früher eine Rolle gespielt. Warum das aktuell wichtig ist.

    Die USA tragen eine Hauptverantwortung für die Klimakrise. Das siegt nicht nur an dem CO2-Ausstoß, sondern vor allem und viel schlimmer, daran, dass sie im letzten Jahrhundert mit billigem Öl dem Rest der Welt ihre Hegemonie aufgezwungen und der Menschheit ein Wohlstandsmodell auf fossiler Basis beschert haben.

    Diese Dimension der Klimakrise wird weitgehend vernachlässigt, verdient aber besondere Aufmerksamkeit.
    Das Zauberwort Energiesicherheit

    Denn die Überproduktion von Öl zu Dumpingpreisen hat den USA als Hauptprofiteur der Süd-Nord-Umverteilung der gigantischen Ölrenten nicht nur unermesslichen Wohlstand und den darauf basierenden American Way of Life beschert, sondern auch einen der wichtigsten machtpolitischen, aber unsichtbaren Hebel ihrer globalen Hegemonie und damit jener unilateralen Weltordnung, die heute zur Hauptgefahr für den Weltfrieden geworden ist.

    Alle US-Regierungen verfolgten die Strategie, alle von Ölimporten stark abhängigen Verbündeten ihrer Hegemonialmacht zu unterwerfen oder gar zu Vasallen zu machen. Dies erforderte die Kontrolle der Ölstaaten wie Saudi-Arabien und anderer Ölstaaten am Persischen Golf.

    Der Schlüsselbegriff für diese Hegemonialstrategie war Energiesicherheit, die spätestens seit der Ölkrise von 1973/74 zu einem der wichtigsten Narrativen der US-Außenpolitik geworden ist.

    In Wikipedia wird Energiesicherheit, die dort mit der Ölkrise in Verbindung gebracht wird, als Sicherheit der Energieversorgung definiert.

    In der Tat ist Öl, seit es im Globalen Süden entdeckt und gefördert wird, nicht mehr ein Rohstoff wie jeder andere, der frei auf dem Weltmarkt gehandelt wird.
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    Öl, dieser als schwarzes Gold mystifizierte Rohstoff, erhielt einen Sonderstatus in der Weltwirtschaft und wurde de facto als strategischer Rohstoff betrachtet, dessen Produktion und weltweiter Transport angeblich eines besonderen Schutzes bedurfte.

    Doch was bedeutet die Sonderstellung des Erdöls im internationalen Handel?

    Normalerweise ist die Voraussetzung für internationalen Handel eine zahlungsfähige Nachfrage und die Bereitschaft der Anbieter, ihre Waren zu einem fairen Preis zu verkaufen.

    Beide Seiten haben also ein materielles Motiv für den Warenaustausch, und deshalb kommt es zum freien Warenaustausch auf dem Weltmarkt.

    Niemand käme deshalb auf die Idee, international gehandelte Waren unter besonderen Schutz zu stellen.

    Es wäre absurd, von der Sicherheit des Weizens zu sprechen, von der Sicherheit des Autos, von der Sicherheit dieses oder jenes Rohstoffs, solange kein Staat die allgemeinen Regeln des Welthandels verletzt und solange kein Staat die Produktion und den Transport der Waren absichtlich behindert.

    Zwar haben die Ölstaaten des Globalen Südens seit den 1970er-Jahren immer wieder in den Ölmarkt eingegriffen.

    Diese Interventionen hatten jedoch die Funktion, den Ölpreis in Richtung fairer Preise zu verändern. Unabhängig vom US-Narrativ der Energiesicherheit unterliegt Öl - wie wohl alle Rohstoffe - aufgrund seiner Erschöpfbarkeit besonderen Marktregeln:

    – Öl ist monopolisierbar. Nach den Regeln des Freihandels wäre daher der Monopolpreis das Preisregulativ für Angebot und Nachfrage.

    – Aufgrund der Erschöpfbarkeit würde der Ölpreis unter Freihandelsbedingungen bei steigender Nachfrage überproportional steigen.

    Die Behauptung, der Erdölsektor (Förderung und Transport) bedürfe eines besonderen Schutzes, entbehrt jeder ökonomischen Grundlage.

    Vielmehr handelt es sich um ein Konstrukt, das offensichtlich dazu dient, die marktwirtschaftliche Preisbildung auszuhebeln und den Ölpreis auf ein politisch hegemoniekonformes Niveau zu drücken.

    Tatsächlich ist es den USA mit der Konstruktion des Begriffs der Energiesicherheit gelungen, den globalen Ölverbrauchern zu suggerieren, dass Öl eine Sonderstellung auf dem Weltmarkt einnehme und seine Produktion und Vermarktung daher eines militärischen Schutzes bedürfe, den nur die USA gewährleisten könnten.
    Energiesicherheit ist Preissicherheit

    Unter Energiesicherheit verstanden die USA die Gewährleistung eines ungestörten Ölflusses zu akzeptablen, d.h. möglichst niedrigen Preisen.

    Beides lässt sich durch die umfassende Kontrolle möglichst vieler Ölstaaten des Globalen Südens erreichen, vor allem von Ländern wie Saudi-Arabien, Iran, Irak, Kuwait im Nahen Osten bis Venezuela in Südamerika.

    Die so verstandene Energiesicherheit wurde für mehrere Jahrzehnte zu einem der wichtigsten sicherheits- und außenpolitischen Mantras der USA und der Nato.

    Die Carter-Doktrin etwa ist ein wichtiger Beleg für den Anspruch der USA, die Energiesicherheit der westlichen Staaten für alle Zeiten gewährleisten zu wollen.

    Der damalige US-Präsident Jimmy Carter erklärte in seiner Rede an die Nation im Januar 1980, wenige Monate nach dem Sturz des von den USA abhängigen Schah-Regimes im Iran:

    <Um unsere Position absolut klarzumachen : Jeder Versuch einer anderen Macht, die Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, wird von uns als Angriff auf die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten betrachtet. Ein solcher Angriff wird mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt, abgewehrt werden.

    Unter den Verbündeten der USA hat es nie einen Zweifel daran gegeben, dass es die Vereinigten Staaten sind, die die angeblich so grundlegende Energiesicherheit für ihre Volkswirtschaften gewährleisten können.

    Alle westlichen Ölverbraucherstaaten wie die Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Frankreich usw. in Europa, Japan und Südkorea in Asien, selbst ihrem Wesen nach imperialistische Staaten, nahmen fortan freiwillig in Kauf, dass es auch in ihrem Interesse war, dass die USA eine Sonderrolle, eine superimperialistische Position einnahmen, der sie sich freiwillig unterzuordnen hatten.

    Dies ist auch ein wesentlicher Grund für die offensichtliche Abhängigkeit und teilweise bedingungslose Gefolgschaft westlicher Staaten gegenüber den USA in fast allen sicherheitspolitischen Fragen und in allen Kriegen, die die USA in den letzten Jahrzehnten geführt haben.

    Neben der Herstellung von Sicherheit in der Ära des Kalten Krieges wurde so die Herstellung von Energiesicherheit zur wichtigsten Grundlage und zu einem festen, aber unsichtbaren Bestandteil der US-Hegemonie.

    In Wirklichkeit bedurfte weder der freie Handel mit Öl noch mit anderen Gütern eines militärischen Schutzes.

    Die USA hatten jedoch ein fundamentales Interesse daran, unter dem Vorwand der Energiesicherheit einen freien Ölhandel zu fairen, d.h. steigenden Preisen zu verhindern und stattdessen ein System von Öldumpingpreisen zu etablieren.
    Mitverantwortung der US-Hegemonie für die Klimakrise

    Unter den Bedingungen von Freihandel und fairen Preisen für alle Güter in der Weltwirtschaft, also in dieser rein hypothetischen Betrachtung, wäre die Welt nicht per se zum Paradies geworden.

    Aber aller Wahrscheinlichkeit nach wären der Menschheit durch eine freie Weltwirtschaft ohne Kolonialismus und Imperialismus viele Unglücke und Katastrophen wie die beiden Weltkriege, der Faschismus, der Holocaust, die Blockkonfrontation, alle Kriege und Interventionen wie der Vietnamkrieg, die Kriege im Nahen Osten, die Israel-Palästina-Kriege usw. erspart geblieben.

    Denn die Hauptursache der globalen Konflikte ist die tatsächliche oder empfundene Ungerechtigkeit und die erlebte Ohnmacht gegenüber den bestehenden Machtungleichheiten in den zwischenmenschlichen und zwischenstaatlichen Beziehungen. Kolonialismus und Imperialismus bilden letztlich den historischen Rahmen für die gewaltsame Durchsetzung von Ungleichheit in der Nutzung und Verteilung von Ressourcen und Einkommen.

    Kolonialismus und Imperialismus haben, wie oben am Beispiel des Energiesektors begründet, nie einen freien Handel zu fairen Preisen zugelassen.

    Die unfairen Öldumpingpreise im Energiesektor der letzten sieben Jahrzehnte haben aber nicht nur den Ölbesitzern des Globalen Südens geschadet, sondern auch der gesamten Menschheit die Klimakrise beschert, ein Aspekt, der in der Forschung wie in der öffentlichen Debatte bisher fast völlig ausgeblendet wird.

    Denn das unsägliche Interesse der USA an der Kontrolle des Mittleren Ostens beruhte nachweislich kaum auf den Ölimporten aus dieser Region für die eigene Wirtschaft, wie in der Literatur immer wieder behauptet oder stillschweigend unterstellt wurde.

    Tatsächlich deckten die USA ihren Ölbedarf zu einem großen Teil durch Importe aus Mexiko und nur zu einem geringen Teil aus dem Nahen Osten, vor allem aus Kuwait und Saudi-Arabien.

    Das Hauptinteresse der USA an den Ölquellen des Nahen Ostens bestand, wie oben dargestellt, darin, durch die gewaltsame Kontrolle der Ölstaaten des Globalen Südens für eine Überproduktion und Dumpingpreise zu sorgen, die bis zur Ölkrise von 1973/74 tatsächlich über ein halbes Jahrhundert auf dem Niveau von zwei US-Dollar pro Barrel stabil blieben, um den Verbündeten die eigene Hegemonie plausibel zu machen.

    In diesem Zusammenhang spielte die politische Kontrolle Saudi-Arabiens und anderer kleinerer Ölstaaten am Persischen Golf mit ihren riesigen Ölvorkommen und einem Weltmarktanteil von 20 Prozent eine herausragende Rolle.

    Ein Anruf des US-Präsidenten bei König Saud hätte in der Regel genügt, um Saudi-Arabien bei drohender Ölknappheit zu einer Erhöhung der Ölproduktion zu bewegen, was heute nicht mehr selbstverständlich ist.
    Die Carter-Doktrin und Daudi-Arabien

    Damit wurde Saudi-Arabien zu einer De-facto-Kolonie der USA, ohne eine Kolonie im klassischen Sinne zu sein. Im Gegenzug gaben die USA der saudischen Herrscherfamilie eine Schutzgarantie. Dazu diente auch die erwähnte Carter-Doktrin vom Januar 1980.

    Aber gerade, weil die USA aus hegemonialpolitischen Erwägungen dafür sorgten, dass billiges Öl über ein halbes Jahrhundert zum Wachstumsmotor der westlichen Welt werden konnte, wurde das System der Ölüberproduktion und des Öldumpings zum bestimmenden Faktor der hoch energieintensiven und fossil basierten Industrialisierungsmodelle in allen kapitalistischen Staaten, einschließlich der USA selbst.

    Dieses Modell hat zwar in den USA und den anderen westlichen kapitalistischen Staaten teilweise sogar zweistellige Wachstumsraten und einen unglaublich schnellen Wohlstand ermöglicht und damit auch die Entwicklung der Demokratie positiv beflügelt.

    Der Grundstein für die Autoindustrie als Symbol dieses Wohlstandsmodells und des American Way of Life in den USA, in Europa und Japan wurde bekanntlich vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, also in der Ära des Öldumpings gelegt und damit ein Industrialisierungsmuster geschaffen, das dem Individualverkehrssystem, dem Autobahnbau und generell der energieintensiven Konsumindustrie, also einem Wohlstandsmodell auf fossiler Basis, den Weg geebnet hat.

    Durch das unsägliche System der niedrigen Ölpreise haben die westlichen Industriestaaten sicherlich viele Milliarden US-Dollar gespart, die sie den Ölstaaten des Globalen Südens vorenthalten und damit ihr Wohlstandsmodell mitfinanziert haben. Der Schaden, der der gesamten Menschheit durch die Klimakrise entsteht, dürfte jedoch um ein Vielfaches höher liegen.

    Es besteht also kein Zweifel: Die USA tragen die Hauptverantwortung für die seit fast einem Jahrhundert kumulierten Treibhausgase.

    Die Vereinigten Staaten hatten und haben ein besonderes Interesse an der Aufrechterhaltung ihrer fossilen Hegemonie. So hat die neokonservative US-Regierung unter Bush versucht, die nachweislich klimaschädliche Kohleindustrie und die Fracking-Industrie durch Subventionen massiv auszubauen, während gleichzeitig der Ausbau regenerativer Energietechnologien gestoppt und damit eine längst überfällige Energiewende und klimafreundliche Strategie verhindert wurde.

    Auch Joe Biden hält bis heute an dieser klimaschädlichen fossilen Strategie fest, indem er entgegen seinem Wahlversprechen das Ziel verfolgt, in der Arktis zu bohren und dort in den nächsten 30 Jahren 600 Millionen Barrel Öl aus dem Boden zu holen. Damit konnte und kann sichergestellt werden, dass das fossil orientierte Wirtschaftssystem und die darauf basierenden Hegemonialinteressen der USA unangetastet bleiben.

    Denn in einem auf regenerativen Energien basierenden Energieversorgungssystem würden die USA alle fossilen Hebel aus der Hand geben, mit denen sie ihre Hegemonie gegenüber der Welt und vor allem gegenüber ihren eigenen westlichen Verbündeten durchsetzen können.

    In einem auf regenerativen Energien basierenden Wirtschaftssystem wären alle Staaten energieautark, Energiesicherheit und die USA als deren vermeintliche Schutzmacht hätten keine Bedeutung mehr.

    Zusammenfassend kann auf Basis der obigen Analyse festgestellt werden, dass ohne das System der Öldumpingpreise über einen langen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten die Industrialisierung im letzten Jahrhundert sicherlich einen anderen Verlauf genommen hätte: Statt des Individualverkehrs wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit weltweit der öffentliche Verkehr bevorzugt worden.

    Generell wären auch energiesparende Technologien flächendeckend zum Einsatz gekommen, die eine sukzessive Anreicherung von Treibhausgasen und damit im Klartext die heutige Klimakrise verhindert hätten.

    Das System der Öldumpingpreise war kein Naturgesetz, sondern Ergebnis der US-Hegemonie: Indem sich die USA als Schutzmacht der Energiesicherheit, d.h. Öl zu Dumpingpreisen und in beliebiger Menge, aufspielten, konnten sie ihre Hegemonie gegenüber den westlichen Verbündeten und Nutznießern des Öldumpingsystems durchsetzen und darüber hinaus die Entstehung des heutigen klimaschädlichen Wohlstandsmodells ermöglichen.

    Allein durch Freihandel und Marktgesetze geregelte Energiepreise schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hätten mindestens ein halbes Jahrhundert früher zum massenhaften Einsatz regenerativer Energietechnologien geführt.

    #USA #impérialisme #économie #histoire

  • « Le Hamas est une création d’Israël »
    https://www.telepolis.de/features/Juedische-Identitaet-verstehen-Ein-Wegweiser-abseits-von-Vorurteilen-95344

    Dans cet article sur l’identité juive Daniela Dahn cite une interview de The Intercept avec un général israëlien qui décrit comment se passait la transmission d’argent du gouvernement d’Israël aux islamistes . C’était une conjuration d’ennemis jurés dans le but de torpiller la solution à deux États. Ils ont mis 35 ans pour y arriver mais on ne peut que constater le succès du complot. Ils sont responsables pour les victimes des deux côtés du conflit.

    Si on considère que le Hamas n’aurait pas atteint la position qu’il occupe aujoutd’hui sans ce soutien, on doit accepter la conclusion que le gouvernement d’Israël porte a responsabilité pour les tueries du Hamas depuis au moins trente ans.

    Cette tragédie confirme la déclaration de la chanson Solidaritätslied
    https://de.m.wikipedia.org/wiki/Solidarit%C3%A4tslied

    Reden erst die Völker selber
    Werden aie schnell einig sein.

    Les manifestants israëliens contre le gouvernement de droite ont raison. Il est toujours possible de retourner sur le chemin de la paix.

    https://www.youtube.com/watch?v=L6pISIqyX_Y&pp=ygURc29saWRhcml0w6R0c2xpZWQ%3D

    „21.11.2023 Daniela Dahn
    ...
    Die Hamas muss vernichtet werden“, heißt es. Wer genau ist da zum Töten freigegeben? Die Hamas hatte sich als Zweig der Muslim-Bruderschaft zu Beginn der ersten Intifada von der weitgehend säkularen PLO abgespalten. Weil sie die Zweistaatenlösung, zu der sich der Realist Jassir Arafat schweren Herzens durchgerungen hatte, nicht mittragen wollte. Das kam einigen israelischen Führern sehr gelegen, da sie bekanntlich den Palästinensern auch keinen souveränen Staat gönnten.

    Seit 1987 förderte daher Israel den Aufstieg der islamischen Hamas. Brigadegeneral Yitzak Segev sagte dem Investigativ-Portal The Intercept, er habe von der israelischen Regierung ein Budget für die Hamas bekommen, das an die Moscheen übergeben wurde. „Die Hamas ist, zu meinem großen Bedauern, eine israelische Kreation.“ Ministerpräsident Jitzchak Rabin habe dies später als fatalen Fehler eingestanden.

    Auszug aus : Jüdische Identität verstehen: Ein Wegweiser abseits von Vorurteilen

    Les chrétiens et l’occident y sont également pour quelque chose.

    Palestinalied (la chanson des croisés allemands) de Walther von der Vogelweide
    https://fr.m.wikipedia.org/wiki/Chant_de_Palestine

    Paroles

    8. Dans le royaume dont il a parlé
    Existe une justice absolue,
    Où l’orphelin sera vengé
    La veuve pourra faire un procès
    Et les pauvres s’armer
    Contre la violence qu’on leur a faite
    Là, le bien sera récompensé
    ...
    11. Chrétiens, Juifs et profanes
    Affirment que c’est leur héritage !
    Dieu et sa Trinité jugent de cela.
    Tout le monde lutte pour cela.
    Mais nous sommes dans notre droit,
    Et c’est ce droit qu’Il nous accorde.

    Tradition

    C’est l’unique chanson de Walther von der Vogelweide dont, non seulement le texte, mais aussi la mélodie originale sont parvenus à l’époque moderne.

    #Israël #Palestine #Hamas #OLP #histoire #complot #croisades