BVG-Busfahrer gehen unter Polizeischutz auf die Toilette

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    28.3.2023 von Peter Neumann -Die Treppe hinunter, dann rechts zu einer unscheinbaren Tür und aufschließen. „Machen Sie sich auf etwas gefasst“, sagt der Mann. In der Tat, der Geruch ist nur schwer erträglich. Es riecht dumpf nach alten Leitungen, Verkrustungen, Ablagerungen. Als ob die Luft hier schon seit Jahrzehnten stehen, als ob hier niemals gelüftet würde. Eigentlich möchte man sofort wieder nach draußen. „Trotzdem ist das noch eine der besseren Toilettenanlagen, die es bei uns gibt“, erklärt ein Busfahrer der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Bei dieser Rundfahrt wird sich bald zeigen, dass das stimmt.

    Willkommen bei dem Berliner Landesunternehmen, das mit mehreren Millionen Fahrgastbeförderungen pro Tag unverzichtbar für das Funktionieren dieser Stadt ist! Willkommen auch bei den Menschen, die dieses Unternehmen und ihre Fahrgäste an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden lang in Bewegung halten. Zwei von ihnen wollen darüber informieren, was sie erleben, wenn sie während der Arbeit auf die Toilette müssen.

    Ein anrüchiges Thema? „Ohne uns würde kein Bus, keine Bahn rollen“, sagt der Fahrer. „Ohne uns könnte sich Berlin keinen Meter in Richtung Verkehrswende mehr bewegen. Wie unsere Toiletten aussehen, hat viel mit Wertschätzung zu tun.“ So gesehen, sehe es mit dieser Wertschätzung nicht gut aus. Auch wenn sich das Unternehmen bemüht.

    „Unsere Leute sind froh, wenn sie hier auf die Toilette können“

    Der BVGler ist in den U-Bahnhof Märkisches Museum gekommen, um zu zeigen, wie die Oberklasse aussehen kann. Wie gesagt, in den Räumen 150–152 riecht es nicht gut. Aber es ist geheizt, Toiletten und Waschbecken glänzen sauber. Toilettenpapier, Seife und Papierhandtücher sind vorhanden. „Unsere Leute sind froh, wenn sie hier auf die Toilette können“, so der BVG-Mitarbeiter. Er meint das Fahrpersonal der Buslinien 165 und 265, die hier, am Rand der östlichen Berliner Innenstadt, ihre Endstation haben.

    An fast 400 Orten können BVG-Mitarbeiter aufs Klo, dazu gehören auch S-Bahnhöfe. Eine interne Liste zählt mehr als hundert Personaltoiletten allein in den Berliner U-Bahnhöfen auf. Wenn ein U-Bahn-Fahrer der Leitstelle die Ziffer 700 übermittelt, wissen die Kollegen in der Zentrale: Da muss jemand austreten. „Wenn eine Bahnhofsaufsicht oder ein Bahnhofsmanager auf dem Bahnsteig sind, passen sie auf den Zug und die Fahrgäste auf. In besonders dringenden Fällen ist es auch möglich, den Fahrschlüssel abzuziehen und schnell aufs Örtchen zu verschwinden“, so die Erläuterung. Auch andere BVG-Beschäftigte dürfen im Untergrund aufs Klo.

    Mit dem Bus 147 geht es nach Friedrichshain zum Ostbahnhof. Auf dem Stralauer Platz geht es nicht so reinlich zu wie in dem Klo in der U-Bahn-Station. Das zeigt schon die Rampe, die von der Bahnhofsvorfahrt hinunterführt: Haufen von Menschenkot säumen den Weg. In der struppigen Grünanlage am Stralauer Platz leben Wohnungslose, die sich offenbar nicht anders zu helfen wissen.
    In den schwarzen Kästen warten Giftköder auf Ratten

    Am Rand des Busparkplatzes ließ die BVG Fertigbauten aufstellen. Der Fahrer nennt sie „Cadolto“ – so heißt die Herstellerfirma in Franken. Ein Container beherbergt einen Pausenraum mit Plastikstühlen und einem Tisch. Karg, aber immerhin geheizt. Daneben zwei Toilettenkabinen. In einer von ihnen hat jemand Toilettenpapier auf dem Boden verteilt. „Nicht jeder Kollege hinterlässt den Ort so wie er sollte“, lautet die Erklärung.

    Hinter den Fertigbauten versperrt ein Drahtzaun den Weg in ein Gebüsch. Unter den Sträuchern erstreckt sich ein Berliner Stillleben: Dönerpapier, Pappbecher, Taschentücher und anderer Abfall. Darüber leuchtet orangerot ein Müllbehälter der BSR, der überquillt. In dem Schmutz fallen schwarze Kunststoffkästen auf. Sie enthalten Giftköder für Ratten, die sich hier vor allem bei Dunkelheit reichlich tummeln. „Ziemlich große Tiere“, sagt eine Busfahrerin. Sie zieht noch einmal an der Zigarette, dann geht sie wieder auf Tour. Die Frau von der BVG scheint froh zu sein, wieder wegfahren zu können.

    Manche Fahrer haben Blasenkrebs, andere einen künstlichen Darmausgang

    Personaltoiletten gehören zur Sozialinfrastruktur. Das hört sich erst mal abstrakt an. Doch ihr Zustand trägt ganz konkret dazu bei, ob jemand bei dem größten deutschen Nahverkehrsunternehmen bleibt – oder wieder das Weite sucht. „Viele Kollegen aus dem Fahrdienst leiden unter Krankheiten des Verdauungstrakts“, erzählt der BVGler. „Einige haben Blasenkrebs, Reizdarm oder einen künstlichen Darmausgang. Aber sie fahren trotzdem Bus, weil sie das Geld brauchen oder ihre Zeit nicht nur zu Hause verbringen möchten.“ Das freut die BVG, bei der im Bus-Fahrdienst rund 180 Arbeitsplätze unbesetzt sind. Und es freut natürlich die Fahrgäste, weil Fahrten nicht ausfallen.

    Aber auch für Fahrerinnen ist es wichtig, dass die Toiletten funktionieren und sauber sind. „Im Moment haben wir im Fahrdienst einen Frauenanteil von rund 25 Prozent“, sagt der BVG-Mann. „Wenn sich die Toilettensituation nicht nachhaltig bessert, könnte es schwierig werden, diesen Prozentsatz deutlich zu steigern.“

    Der Werbefaktor des Klo-Containers an der Michael-Brückner-Straße in Schöneweide dürfte jedenfalls gering sein. Der kleine Fertigbau neben einer Tankstelle, die hier in Treptow-Köpenick natürlich „1. FC Union Zapfstelle“ heißt, ist mit Graffiti beschmiert. „Er ist relativ weit von der Endstelle der Buslinie 160 entfernt, außerdem muss die Straße an einer Ampel überquert werden“, erklärt der BVGler. „Das kostet Zeit.“ Bei wenigen Minuten Pause, wie sie der Dienstplan oft vorsieht, kann es knapp werden. „Früher gab es ein Pausenheim, doch das Gebäude wurde unter Finanzsenator Thilo Sarrazin verkauft.“ Der Container sei eine „Notlösung“, aber einen anderen Ort gebe es nicht.

    Wie unter einem Brennglas zeigt sich bei der Rundfahrt, wie schwer es in Berlin ist, auch kleine Projekte umzusetzen. Die BVG sei darauf angewiesen, dass die Verwaltung Sondernutzungsgenehmigungen des öffentlichen Straßenlands erteile, erläutert BVG-Sprecher Jannes Schwentu. Der Bau von Toilettenanlagen sei komplex. „Planungen müssen erstellt, Genehmigungen vom Bezirksamt eingeholt werden. Oft ist in der Nähe einer WC-Anlage kein Wasser-, Abwasser- oder Elektroanschluss gegeben.“

    Er habe nicht selten den Eindruck, dass manch einem in der Verwaltung das Verständnis fehle, entgegnet der Busfahrer, der die Berliner Zeitung zu der WC-Tour eingeladen hat. „Jeder Bezirk möchte, dass der Autoverkehr reduziert wird und die Menschen den öffentlichen Verkehr nutzen. Aber dann müssen es die Behörden uns auch ermöglichen, unter menschenwürdigen Bedingungen zu arbeiten.“

    Nachts kommen in Müggelheim Füchse zum Bus

    Die Rundfahrt ist am S-Bahnhof Baumschulenweg angelangt. „In der Glanzstraße am Bahndamm wollte die BVG ein Toilettenhäuschen bauen. Doch das Bezirksamt Treptow-Köpenick lehnte ab, weil dafür Straßenbäume gefällt werden müssten. Das Baumwohl steht über dem Wohl der Menschen, die an der Mobilitätswende mitwirken“, so das Resümee. Die BVG musste sich jahrelang mit einer Dixi-Toilette behelfen – in der sich zeitweise ein Wohnungsloser häuslich einrichtete.

    Inzwischen durfte die BVG zumindest einen WC-Anhänger aufstellen, eine von mittlerweile 17 Anlagen dieser Art. Der Anhänger hat Strom, aber kein fließendes Wasser. An der Wand klebt eine Fototapete, die eine Südseeküste zeigt. Allerdings ist der Anhänger nur ein Fortschritt auf Zeit. „Die Genehmigung zur Sondernutzung öffentlichen Straßenlands ist wie alle Erlaubnisse dieser Art befristet“, so der BVGler.

    Er könnte noch andere Beispiele zeigen. Im Cadolto an der Endstelle Odernheimer Straße in Müggelheim kommt das Wasser ebenfalls aus einem Kanister – der schon ziemlich veralgt ist. „Seit 20 Jahren ist das schon so“, berichtet ein anderer Fahrer. In der Nähe des Objekts 326, wie der transportable Bau intern heißt, verlaufen Wasserleitungen, doch es wäre schwierig, die Anlage zu verlegen. Die Haltestelle liegt in einem sensiblen Bereich: Trinkwasserschutzgebiet, private Grundstücke. „An der Endstelle kommen immer wieder Füchse zum Bus, manchmal eine ganze Familie“, erzählt eine Fahrerin. „Wenn wir abends zur Toilette müssen, müssen wir an ihnen vorbei. Das ist nicht jedermanns Sache.“

    Nicht zu vergessen die Linien 296 und 396 in Karlshorst. „Manche Frauen weigern sich, diese Linien zu fahren, weil die Toilettensituation dort besonders prekär ist“, berichtet der Busfahrer. Oder die Endstelle Nöldnerplatz: „Da gibt es eine Wall-Toilette, die aber oft blut- und kotverschmiert ist, als Fixerstübchen oder Wohnstätte missbraucht wird.“ Die BVG-Leute dürfen sich auch in einer benachbarten Polizeidienststelle erleichtern. Doch wenn polizeiliche Maßnahmen laufen, bleibt die Tür verschlossen. „Außerdem müssen die Kollegen zur Toilette begleitet werden. Ein Polizist wartet vor der Tür, bis das Geschäft erledigt ist“, so der Fahrer. „Keine schöne Situation für erwachsene Menschen.“

    Wassergüte mangelhaft – Wasserhähne abgeschraubt

    Eine eigene WC-Anlage ist an dem Standort in Lichtenberg leider nicht möglich, da der gesamte Platz neben der Endhaltestelle unter Denkmalschutz steht, entgegnet BVG-Sprecher Jannes Schwentu. Und was den Standort Ostbahnhof anbelangt: „Hier planen wir noch im ersten Halbjahr 2023 die Erneuerung des WCs und des Pausencontainers. Natürlich werden wir sofort aktiv, sollten Ratten gesichtet werden. Dazu stehen wir auch im Austausch mit dem zuständigen Ordnungsamt.“

    An der Endstelle am früheren Flughafen Schönefeld spitzte sich die Situation im vergangenen Jahr zu. Nachdem eine Probenentnahme ergeben hatte, dass die Wassergüte nicht den Vorgaben entspricht, wurden die Wasserhähne kurzerhand abgeschraubt – mit der Folge, dass sich das Fahrpersonal dort nicht mehr die Hände waschen konnte. Schwentu: „Seit Ende 2022 nutzen wir einen WC-Container am alten Taxispeicher. Darüber liegen unserem Fachbereich keine Beschwerden vor.“

    Für Investitionen in eine moderne und gute soziale Infrastruktur für die Mitarbeitenden stehen seit 2016 für zehn Jahre 20 Millionen Euro bereit. Das Thema habe für die BVG eine sehr hohe Priorität, versichert Schwentu. „Hierzu gehören Kantinen, Pausen- und Ruheräume sowie natürlich Toiletten, selbstverständlich auch und gerade für die Beschäftigten aus dem Fahrdienst.“ So weit die Theorie. Die Praxis sieht oft anders aus.

    Von den fehlenden Toiletten für die Fahrgäste gar nicht zu reden.

    #Berlin #BVG #Arbeit