Otto Waalkes – der Fall : Warnung vor dem Warnhinweis

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  • Otto Waalkes – der Fall: Warnung vor dem Warnhinweis
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    24.8.2023 von Harry Nutt - Über Otto Waalkes lachen? Die TV-Konserve eines bald 50 Jahre alten Bühnenauftrittes ermöglichte kürzlich die Überprüfung. Funktioniert der Humor noch, der eine ganze Teenagerkohorte zum unkontrollierten Giggeln gebracht hatte? Das Eingeständnis, einmal davon gestreift worden zu sein, ist begleitet von der Scham, selbst den flauesten Pointen und flachesten Witzen nicht ausgewichen zu sein. Trost spendet vielleicht die Erkenntnis, dass sittliche Reife seit jeher beinahe naturwüchsig aus Sumpfblüten, Abgründen und Niederlagen hervorgeht.

    Zum gerade in Gestalt von Warnhinweisen vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) dargebotenen Stück „Otto – der Fall“ kommt man ohne humorhistorische Einordnung nicht weiter. An dem eingangs beschriebenen Auftritt des Pseudo-Barden, der mit Gitarre auftrat, ohne sie ernsthaft zu bespielen, verblüfft inzwischen die zappelige Jugendlichkeit, die im weiteren Verlauf der Karriere immer mehr als zwangsneurotischer Tick eines in die Jahre gekommenen Komikers erschien. Mit und über Otto zu lachen deutete auch auf ein Verharren in der Infantilität.
    Populärer Arm des subversiven Schabernacks

    Aber natürlich war da viel mehr. In der Spaßoffensive jener Jahre, für die nicht zuletzt die der sogenannten Neuen Frankfurter Schule zugerechneten Drehbuchautoren Bernd Eilert, Pit Knorr und der Dichter Robert Gernhardt stehen, war die Kunstfigur Otto letztlich auch ein Teil des Versuchs, die deutsche Humorproduktion zu radikalisieren. Als Mitarbeiter des Magazins Titanic waren sie lustvoll bemüht, die eng gezogenen Grenzen des Biedersinns der Unterhaltungsbranche zu sprengen. Otto war gewissermaßen der populäre Arm des grob-subversiven Schabernacks, der in der Titanic auf die Spitze getrieben wurde und nicht zuletzt darin bestand, Tabus aller Art zu Leibe zu rücken.

    Wenn der WDR jetzt bezüglich in die hauseigene Mediathek verklappter Ausgaben von Harald Schmidts Show „Schmidteinander“ sowie einiger Otto-Auftritte vor Inhalten warnt, die heute als diskriminierend empfunden werden können, so unterliegen derlei Markierungen einer grotesken Fehleinschätzung vom Auffassungsvermögen des Publikums unserer Zeit und früherer Jahre. Tatsächlich wäre es eine soziologisch interessante Frage, inwieweit die Verwendung sexistischer, rassistischer, antiklerikaler und anderweitig abschätziger Einlassungen der flapsigen Wortkünstler gegen Institutionen und soziale Gruppen zur nachhaltigen Liberalisierung der Bundesrepublik – und durch grenzüberschreitende Schallwellen auch der DDR – beigetragen haben. Die skrupellose Otto-Bande hatte sich ganz gezielt der Herausforderung der herrschenden Moral verschrieben und ist dabei ziemlich tief in den Massengeschmack vorgedrungen.

    Ach, Robert Gernhardt

    Inzwischen feiert die längst in die Knie gezwungen geglaubte Hegemonie biederer Moral ihre Wiederkehr im theoriegesättigten Ton mutmaßlicher Intersektionalität, mit dem Unterdrückung markiert und Opferstatus wie eine Trophäe verliehen wird.

    Wenn man die Warnhinweise des öffentlich-rechtlichen Senders auch nicht gleich für eine Unterwerfung an den Zeitgeist halten will, zeugen sie doch zumindest von einer eklatanten Denkfaulheit, mit der man sich vor kreativer Verantwortung aus dem Staub macht. Vielleicht kann eine Zeile des Otto-Einflüsterers Robert Gernhardt zur Beruhigung beitragen: „Ob im Mann, ob im Weib, Dunkel herrscht in jedem Leib.“

    #Allemagne #culture #humour #censure #ÖRR #WDR