Displaced by Football - Verdrängung obdachloser Menschen vor der Fußball-EM - GANGWAY e.V.
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Les sans-abris de Berlin souffrent sous les mesures sanitaires et de sécurité dans le contexte de la coupe de football europeenne.
6.6.2024 von Annabelle Brumm - In der aktuell laufenden Kalenderwoche 23 soll es zu zwölf Räumungen von Aufenthaltsorten obdachloser Menschen im Bezirk Mitte zwischen Jannowitzbrücke, Alexanderplatz und Hackeschem Markt kommen. Gleichzeitig werden durch die „Reinigungs-Streife“ der BVG in Neuköllner Stationen der U8 obdachlose und suchtkranke Menschen aus den U-Bahnhöfen entfernt. Der Schluss liegt nahe, dass kurz vor der EM Anziehungsorte für Touristen „obdachlosenfrei“ gemacht werden sollen.
In wenigen Tagen startet die Fußball-Europameisterschaft, die in Deutschland und mit mehreren Spielen auch in Berlin ausgetragen wird. In diesem Kontext sehen wir seit mehreren Wochen eine Häufung von Verdrängungsprozessen obdachloser und suchtkranker Menschen aus dem Stadtbild: So waren in diesem Jahr bereits mehrfach Aufenthaltsorte obdachloser Menschen im Bezirk Mitte zwischen Jannowitzbrücke, Alexanderplatz und Hackeschem Markt von Räumungen betroffen. Allein in der aktuell laufenden 23. Kalenderwoche sollen 12 sogenannte Platten geräumt werden. Eine Bitte um Stellungnahme an die Verkehrsstadträtin sowie die Leitungsebene des Ordnungsamtes in Mitte blieb unbeantwortet.
Zugleich läuft seit Februar das BVG-Projekt „Reinigungs-Streife“: Teams aus Reinigungs- und Sicherheitskräften patrouillieren auf Stationen der Linie U8, um diese zu säubern. Dabei werden jedoch nicht nur Müll und Dreck entfernt, sondern ebenfalls obdachlose und suchtkranke Menschen, die sich in den U-Bahnhöfen aufhalten. Entgegen der öffentlichen Darstellung der BVG erhalten die Menschen nur selten Informationen zu Hilfsangeboten, sondern bekommen bisweilen eher demütigende Ansagen oder rassistische Aussagen zu hören. Die Verdrängung aus den U-Bahnhöfen sorgt zudem dafür, dass sich diese Menschen nun vermehrt in den umliegenden Kiezen aufhalten, was wiederum zu Konflikten mit Anwohnenden führt. Der BVG-Vorstandsvorsitzende Henrik Falk sagt in diesem Statement auf der BVG-Seite, die Reinigungsstreife sei ein Projekt für Menschen und das, was die Menschen hier wahrnehmen und erleben, sei der wichtigste Maßstab. Scheinbar gilt das jedoch nicht für alle Menschen gleich.
Da dies alles in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Fußball-Europameisterschaft Euro 2024 stattfindet, liegt für uns die Vermutung nahe, dass an diesen touristischen Anziehungsorten das Stadtbild von Obdachlosigkeit befreit werden soll. (Ähnliches wird aktuell in Paris beklagt, wo vor den diesjährigen Olympischen Spielen vermehrt besetzte Häuser und Geflüchtetencamps geräumt wurden.)
All dies geht zulasten der obdachlosen und suchtkranken Menschen selbst – Verdrängung und insbesondere Räumungen sind für sie mit großem Stress verbunden: Nicht selten gehen wichtige Personalien verloren, Termine werden verpasst, die psychische Situation verschlechtert sich. Gleichzeitig verlagert Verdrängung Problematiken und verschärft Missstände auch für Anwohnende. Kein Problem wurde jemals nachhaltig durch Verdrängung gelöst.
Sinnvoller wären Investitionen in soziale Maßnahmen wie mehr Konsumräume mit längeren Öffnungszeiten, nachhaltig gesicherte Suchthilfe- und Beratungsprojekte, mehr Tagestreffs für obdachlose Menschen sowie ausreichend Wohn- und Therapieplätze für diese Zielgruppe. Auch von Betroffenen selbstorganisierte Safe Places wären eine Möglichkeit, Räume für obdachlose Menschen zu schaffen und somit sowohl Obdachlose als auch Anwohnende und Passant*innen zu entlasten.
Letztlich kann Obdachlosigkeit nur durch eine ausreichende Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum dauerhaft vermieden werden.