AfD-Vertreter als Verfassungsrichter: Fragen und Antworten
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A propos des magistrats AfD en Bavière
26.1.2024 von Petr Jerabek, Ute Rauscher - Gemeinsam haben CSU, FW, Grüne und SPD diese Woche im Landtag ein Zeichen gegen die AfD gesetzt. Uneinig waren sie aber bei der Wahl von AfD-Kandidaten zu Verfassungsrichtern. Warum? Was macht der Verfassungsgerichtshof? Welche Reaktionen gibt es?
Der Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter kommentierte die Nachricht aus Bayern in den sozialen Netzwerken mit knappen, aber deutlichen Worten: „Entsetzen pur.“ Zuvor hatte der Bayerische Landtag auch zwei AfD-Kommunalpolitiker zu ehrenamtlichen bayerischen Verfassungsrichtern gewählt – en bloc mit 13 weiteren Kandidaten, die von den anderen Landtagsfraktionen vorgeschlagen worden waren. CSU und Freie Wähler betonten, dass die Zustimmung unvermeidbar gewesen sei, damit der Verfassungsgerichtshof arbeitsfähig bleibt.
Was macht der Verfassungsgerichtshof eigentlich? Warum wurden AfDler gewählt? Welche Aufgaben haben ehrenamtliche Verfassungsrichter? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was macht der Bayerische Verfassungsgerichtshof?
Der Verfassungsgerichtshof ist laut bayerischer Verfassung (BV) das oberste Gericht für staatsrechtliche Fragen. Er entscheidet demnach über Anklagen gegen Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung oder des Landtags, den Ausschluss von Wählergruppen von der Wahl und die Gültigkeit der Wahl. Außerdem befasst sich der Verfassungsgerichtshof mit Normenkontrollklagen und Verfassungsbeschwerden betreffend die Landesverfassung sowie Streitigkeiten zwischen den obersten Staatsorganen.
Darüber hinaus besteht mit der Popularklage für jeden Bürger in Bayern die Möglichkeit, Klage gegen Landesgesetze, Rechtsvorschriften oder Verordnungen vor dem Verfassungsgerichtshof zu erheben, auch ohne selbst betroffen zu sein.
Wie setzt sich der Verfassungsgerichtshof zusammen?
Das Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof (VfGHG) legt fest, dass dieser „aus dem Präsidenten, 22 berufsrichterlichen Mitgliedern, 15 weiteren Mitgliedern und deren Vertretern“ – also ehrenamtlichen Richtern – besteht. Alle Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs müssen das 40. Lebensjahr vollendet haben; sie sollen sich durch besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht auszeichnen.
Wie werden die Verfassungsrichter gewählt?
Der Präsident und die Berufsrichter des Verfassungsgerichtshofs werden vom Landtag für die Dauer von acht Jahren gewählt. Die nichtberufsrichterlichen oder ehrenamtlichen Mitglieder und ihre Vertreter wählt jeweils der neu konstituierte Landtag am Beginn der fünfjährigen Legislaturperiode.
Die ehrenamtlichen Verfassungsrichter werden von den Landtagsfraktionen vorgeschlagen. Für die aktuelle Legislaturperiode durfte die CSU als größte Fraktion sieben Kandidaten benennen, die Freien Wähler drei, AfD und Grüne jeweils zwei, die SPD einen. Die Personen dürfen nicht dem aktuellen Landtag angehören und sollen laut VfGHG „besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht“ vorweisen können. Wichtig ist: Über die Kandidaten stimmt das Plenum nicht einzeln ab, sondern über die gesamte Vorschlagsliste. Also entweder alle 15 oder keiner.
Wer stimmte für die AfD-Kandidaten und warum?
Im Landtag stimmten am Mittwoch CSU, Freie Wähler und AfD für die Liste. Die Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler stellte die Wahl vor ein großes Dilemma: Normalerweise gilt für sie, wie für Grüne und SPD, eine „Brandmauer“ zur AfD – also: keine Zusammenarbeit. In diesem Fall entschieden sich CSU und Freie Wähler anders.
Die Begründung: Ohne die Besetzung aller Richterposten wäre die Arbeitsfähigkeit des obersten bayerischen Gerichts gefährdet. Somit könne die Rechtsprechung zum Erliegen kommen. Außerdem gelte es, gesetzliche Vorgaben zu erfüllen, die auf die Schnelle nicht geändert werden könnten. „Wir können Radikalen und Extremisten nicht vorwerfen, falsch zu spielen, wenn wir es selbst nicht richtig machen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion, Michael Hofmann. Mut mache dabei die Tatsache, dass der Verfassungsgerichtshof diese schwierige Konstellation auch in den vergangenen fünf Jahren gemeistert habe.
SPD und Grüne lehnten die Vorschlagsliste ab – und damit auch ihre eigenen Kandidaten. „Wir haben es sehr gründlich abgewogen“, sagte SPD-Fraktionschef Florian von Brunn. Er verstehe alle, die sagten, „es ist wichtig, die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtshofs zu beachten“. Die SPD habe sich aber entschieden, die „neuen Nazis“ nicht zu wählen. „Die SPD steht in einer Tradition des Antifaschismus.“
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Jürgen Mistol, argumentierte: „Feinde unserer Verfassung haben in einem Verfassungsgericht nichts zu suchen.“ Die Grünen-Fraktion werde einen Gesetzentwurf vorlegen, „um Rechtsunsicherheiten im Verfassungsgerichtshofgesetz zu beseitigen“.
Kurz nach der Abstimmung setzten CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD zusammen ein Zeichen gegen die AfD – mit ihrem ersten gemeinsamen Dringlichkeitsantrag dieser Legislaturperiode. Darin verurteilten die vier Fraktionen „jedwede Bestrebung, die Demokratie in Bayern und die Organe der bayerischen Demokratie gezielt zu schwächen, zu schädigen und zu delegitimieren“.
Gab es schon AfD-Vertreter als Verfassungsrichter in Bayern?
Ja. Bereits 2018 standen zwei AfD-Kandidaten (sowie zwei Stellvertreter) auf der Liste, die vom Landtag abgesegnet wurde. Sie wurden Anfang 2019 vereidigt.
Wer sind die von der AfD benannten Kandidaten?
Für die AfD wurden wie schon 2018 erneut die AfD-Kommunalpolitiker Wolfram Schubert und Rüdiger Imgart in den Verfassungsgerichtshof gewählt. Der frühere Oberstaatsanwalt Schubert sitzt für die AfD im Landshuter Stadtrat. In der Partei war er eine Zeitlang Kreisvorsitzender in Landshut und als Schriftführer Mitglied des AfD-Landesvorstands. Der Rechtsanwalt Imgart ist Weilheimer AfD-Stadt- und Kreisrat.
Für Wirbel sorgten im Jahr 2020 Fotos, die den ehrenamtlichen bayerischen Verfassungsrichter Imgart auf einer Corona-Demonstration vor dem Berliner Reichstag zeigten – im Hintergrund sind Reichsflaggen zu sehen. Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte er damals, er habe die genehmigte Querdenker-Demonstration besucht, um sich ein eigenes Bild davon zu machen. Er habe die Veranstaltung bald wieder verlassen. Die spätere Besetzung des Reichstagsgeländes „durch politische Abenteurer“ sei zu verurteilen.
Als Stellvertreter erneut dabei ist der Rechtsanwalt Peter Ditges. Er gehört dem AfD-Bundesschiedsgericht an und kandidiert im Juni bei der Europawahl für die Partei. Erstmals als Stellvertreter gewählt wurde der Münchner Peter Solloch. Er machte bisher vor allem dadurch auf sich aufmerksam, dass er AfD-Politiker wie den Bundestagsabgeordneten Petr Bystron als Rechtsanwalt vertrat.
Wer ist für die anderen Parteien im Verfassungsgerichtshof?
Unter den gewählten CSU-Kandidaten sind der frühere bayerische Fraktionsvorsitzende Thomas Kreuzer sowie Ex-Fraktionsvize Alexander König. Für die Freien Wähler ist unter anderen weiterhin auch Robert Mader dabei – FW-Fraktionschef im Landshuter Stadtrat und ehemaliger Vorsitzender Richter am Landgericht Landshut. Die Grünen schickten erneut auch ihren ehemaligen Landesvorsitzenden und Ex-Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag an den Verfassungsgerichtshof, die SPD Franz Schindler, der lange für die Partei im Landtag saß.
Für die FDP war in den vergangenen Jahren die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ehrenamtliche Richterin. Da die FDP bei der Landtagswahl im Oktober den Wiedereinzug ins Maximilianeum verpasste, ist künftig kein Vertreter der Liberalen mehr Mitglied des Verfassungsgerichtshofs.
Bei welchen Verfahren entscheiden ehrenamtliche Mitglieder mit?
Die jetzt vom Landtag neu gewählten 15 ehrenamtlichen Verfassungsrichter wirken in festgelegten Gremien, den sogenannten „gemischten Spruchgruppen“ des Verfassungsgerichtshofs mit. Mitglieder sind jeweils der Präsident, drei Berufsrichter und fünf Ehrenamtliche. Wer in welcher Spruchgruppe sitzt, wird zu Beginn der Amtsperiode durch einen Geschäftsverteilungsplan vom Berufsrichterplenum festgelegt.
Die „gemischten Spruchgruppen“ sind im Wesentlichen für Verfassungsbeschwerden, Organstreitigkeiten – zum Beispiel zwischen Regierung und Parlament –, Wahlprüfungen und die Zulassung von Volksbegehren zuständig. Da die Ehrenamtlichen in den gemischten Spruchgruppen in der Mehrzahl sind, haben sie auf diese Entscheidungen rein rechnerisch großen Einfluss.
In welchen Gremien sind AfD-Vertreter dabei?
In neun dieser Spruchgruppen hat schon in der Vergangenheit jeweils ein von der AfD-Fraktion vorgeschlagenes nichtberufsrichterliches Mitglied mitgewirkt. An dieser zahlenmäßigen Verteilung wird die Neuwahl nach Auskunft des Verfassungsgerichtshofs nichts ändern.
An – bisher theoretisch gebliebenen – Verfahren über Anklagen des Landtags gegen ein Mitglied der Staatsregierung oder des Landtags wirken ebenfalls ehrenamtliche Verfassungsrichter mit. Die dafür zuständige Spruchgruppe besteht aus dem Präsidenten, acht Berufsrichtern sowie zehn weiteren Mitgliedern. In dieser Spruchgruppe ist nach dem bisherigen Geschäftsverteilungsplan des Verfassungsgerichtshofs ebenfalls ein von der AfD-Fraktion vorgeschlagener Ehrenamtlicher vertreten. Auch an dieser Verteilung hat die Neuwahl nichts geändert. Die Vertreter der weiteren Mitglieder treten in Verhinderungsfällen an deren Stelle.
An welchen Verfahren sind ausschließlich Berufsrichter beteiligt?
Die ehrenamtlichen Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes sind nicht an Normenkontrollverfahren, also vor allem Popularklagen und Meinungsverschiedenheiten, beteiligt. Über diese Verfahren entscheiden der Präsident und acht Berufsrichter.
Was sagen die AfD und andere Parteien?
Die bayerische AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner wertet die Wahl als „ein wichtiges Zeichen in einer Zeit, in der die Staatsregierung und sämtliche Altparteien ihre Dauerkampagne gegen die AfD sogar noch intensiviert haben“. Bei dieser Wahl hätten sich demokratische Gepflogenheiten und geltendes Recht gegen „parteitaktische Brandmauern“ durchgesetzt.
Außerhalb Bayerns äußerte sich Grünen-Bundestagsfraktionschefin Britta Haßelmann kritisch zur Wahl der ehrenamtlichen AfD-Verfassungsrichter. Im Kurznachrichtendienst X beklagte sie: „Was für eine Entscheidung der CSU in Bayern in diesen Zeiten! Nicht zu fassen.“ Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz schrieb: „Verfassungsrichter wachen über die Einhaltung der Verfassung. Die AfD tut das Gegenteil.“ Sie missachte Menschenwürde und Pressefreiheit und werde vom Verfassungsschutz beobachtet. „Wie kann man auf die Idee kommen, AfD-Mitglieder in das bayerische Verfassungsgericht zu wählen?“